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Sechster Abschnitt.

Fatima packte die persönlichen Effekten und war eine sorgsame Dienerin, so daß der bequeme Simba gute Tage hätte haben können. Doch er wurde dadurch nicht zur Eifersucht, sondern zur Nachahmung angespornt und verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Erbenheim wurde wie ein Negersultan bedient.

Die Dienerin servierte die Speisen viel appetitlicher als der Boy mit den naschhaften Fingern. Als er nach alter, übler Gewohnheit in die Schüssel fuhr und einen Bissen fischte, schlug sie ihn so rücksichtslos mit dem heißen Bratspieße über die Hand, daß er buchstäblich als Dieb gebrannt und gebrandmarkt wurde. Aber alles ließ sich der Bursche von ihr gefallen, einen Nasenstüber nahm er lächelnd, wie eine kleine Liebkosung, hin.

Im Zwielicht des Morgens blies der lange Sudanese, der noch von Wißmann gedungen war, das Signal zum Aufbruch. Die Truppe von fünfzig Gewehren bestand zur Hälfte aus abgedienten Askaris, d. h. Kriegern, zur Hälfte aus Rekruten, die aus allen möglichen Negerstämmen angeworben waren. Die Zahl der Träger war recht knapp, denn mehrere hatten allem Anschein nach einen Gegenbefehl Gottes erhalten und vor dem Abmarsche sich versteckt.

Die im Gänsemarsch ziehende Karawane ähnelte einem achthundertfüßigen, dünnen Riesenwurm von Halbmeilenlänge. Der Marsch wurde, wie in Feindesland, gesichert. Die Pfadfinder mit einem Unteroffizier und acht Askaris bildeten die Spitze, die aufzuklären und alles irgendwie Verdächtige zu erforschen hatte. In zweihundert Meter Abstand folgte der Oberleutnant mit zwanzig Mann, dann kam die Trägerkolonne, alle zehn Meter von einem Askari eskortiert, und die Nachhut hatte ein Feldwebel mit zwölf Mann. Grundsätzlich wurde nie in einem Dorfe, wo ein Hinterhalt leicht zu legen ist, sondern stets auf offnem Platze mit freiem Schußfeld gelagert. Nachdem die Gewehre zusammengestellt, die Lasten hingelegt waren, zog die Wache auf Posten. Jobst hatte eine einfache, selbsttätige Revision der Posten eingeführt. Die Posten hatten ihre Nummer und mußten, mit eins beginnend, alle halbe Stunde ihre Nummern laut und der Reihe nach abrufen, so daß sofort gemerkt wurde, wenn ein Mann nicht munter war.

Etwa zweihundert Kilometer waren zurückgelegt. Man war im Zuflußgebiet des Malagarassi, der kaum hundert Kilometer von seinem Ursprung mündet und in seinem kuriosen Laufe einen ovalen Kreis beschreibt.

Weite, ausgetrocknete Sümpfe mit einem Wald von Papyrus und Ried mußten umgangen werden. Erb taumelte in Erschlaffung weiter und hatte nur den einen Wunsch, zu trinken, einen klaren See auszutrinken.

Wasser! Das erlösende Evangelium Afrikas klang heiser von vorn und pflanzte sich bis hinten fort. Fatima hüpfte in den Tümpel und hielt den vollen Lederbecher an die rissigen Lippen des Deutschen, der dankbar dem braunen Kinde das schwarze Haar streichelte. Glücklich und glühend war ihr Antlitz zu ihm emporgerichtet. Sofort zog er die Hand zurück. »Noch einen Trunk!« Die Dirne sprang in den Weiher und füllte noch zweimal den Becher.

Jobst fragte freundlich: »Ob du wohl morgen auf dem Rücken liegen und über das mörderische Klima Afrikas schimpfen wirst? Die Gegend ist vergiftet ...«

»Von den Wahns?« Der Neffe goß den Rest fort.

»Nein, von den Moskitos ... hörst du sie nicht surren? Und was ist das für ein Tierchen, das dort fliegt?«

»Eine Fliege, etwas größer als unsre Stubenfliege.«

»Ja, diese kleine Fliege hat mehr Verderben über Afrika gebracht als alle Negerkriege eines Jahrhunderts, hat mehr Rinder getötet als die mordende Rinderpest ... es ist die Tsetsefliege, mit ihrem gelehrten Namen Glossina morsitans genannt, die durch ihren Stich die tödliche Surra-Krankheit einimpft, so daß in den Gebieten der Tsetse jeder Huf und jede Klaue zugrunde geht. Und dieses winzige Scheusal hat eine Schwester, die noch niederträchtiger ist und Menschen mordet, die Glossina palpalis welche die schauerliche Schlafkrankheit vermittelt und verbreitet. Unsre Esel und Muli müssen fortwährend mit Zweigwedeln geschlagen werden, um die Fliegenbestien fernzuhalten.«

Der Leutnant gab sehr energische Befehle, um die Tiere nicht zu verlieren.

Am Wasser standen unzählige, eingetrocknete Wildspuren. Jobst kannte und deutete alle, den Huf des Zebras, Gnus, Hartebeests, des Sumpfbocks, auch Giraffen hatten hier den Durst gelöscht.

»Was bedeuten diese gleichmäßigen, runden Löcher? Hat ein Neger sie zum Fallenstellen gemacht? Oder warum hat er einen Baumstamm eine Elle tief in den Sumpf gerammt und wieder herausgezogen?«

»Das sind die Fußstapfen der Dickhäuter.«

»Elefanten!« Erb war wie elektrisiert und seine Erschöpfung wie weggeblasen.

Auf einer sogenannten Insel, einer hohen Stelle der Sumpfniederung wurde gelagert, die Askaris schlugen halb im Schlaf mit Zweigen die Tiere. Die Jäger zogen von dannen und sahen einen ungeheuren Wildreichtum, daß jedem Weidmann das Herz im Leibe hüpfte. An hundert Zebras und Gnus ästen in voller Eintracht – ein schöner Zebrahengst sicherte, wieherte und warnte. Antilopen sprangen, wie die Hasen im deutschen Rübenfeld. Ein Dutzend Giraffen blieben ruhig stehen und gafften die lächerlichen, zweibeinigen Geschöpfe an.

Abgebrochene Zweige, umgerissene Bäume zeigten, daß Dickhäuter, die arge Verwüster sind, hier gewesen. Aber wann? Der Büchsenträger fand Elefantenlosung, und Jobst untersuchte den mächtigen Misthaufen. »Keine Stunde alt!«

Ein Knacken und Bersten drang ans Ohr. Die Füße vermieden jedes Geräusch, die Nerven waren gespannt, die Augen bohrten sich durch die Büsche und brannten. Simba kletterte geschmeidig und hing wie eine schwarze Raupe an einem dünnen Baumstamm. »Bana, da sind sie ... acht ... zehn ... zwölf ... vier sind Junge ... fünf Kühe ... ein starker Elefantenbock hat riesige Zähne.«

Das merkwürdige Kollern und Bluffen, das aus dem Leibe der Kolosse kommt, wurde jetzt deutlich gehört. »Psttt! Hier gegen den Wind! So lautlos wie ein Floh, so ruhig wie meine Schwiegermutter auf dem Schragen!«

Die Jäger krochen vorwärts, die Büchse im Anschlag. Erb sah ein wedelndes Ohr, schlüpfte um den Eukalyptusbusch, sah die ganze Herde auf der Lichtung und hörte auf zu atmen. Die ersten Elefanten in freier Wildbahn sind ein unvergeßliches, großartiges Erlebnis, ein bleibendes Bild.

Auf die Kühe wird kein Weidmann schießen – und der Bulle, der leckermäulig rupfte, kehrte ihm das Hinterteil zu. Erb kroch auf Händen und Knien, um die Seite des Tieres zu gewinnen. Ungeduldig riß er seinen Fuß aus einer Grasschlinge, das Geräusch genügte, um das Elefantenohr mißtrauisch zu spitzen. Die kleinen Augen des Sauriers suchten argwöhnisch.

Ein andrer Bulle trompetete gellend: Gefahr, Gefahr! Alle Elefanten trampelten über die dröhnende Erde. Eine wilde Windsbraut von grauen Fleischmassen, von antediluvianischen Ungeheuern raste und brach die Büsche nieder. Schüsse knallten. Erb traf zweimal, aber nur die zolldicke Haut des Bullen, den die Kugel kaum kitzelte. Elefantengroß war Erbs Ärger.

Der Oheim höhnte gründlich. »Bravo, du hast den Elefanten in den Spiegel geschossen. Merke dir, mein Sohn, den schönen Vers: Den Elefant von Borneo, den schießet man von vorneo, den Elefant von Indien, den schießet man von hindien ... aber unsren Elephas africanus muß man entweder ins Blatt oder ins Gehirn treffen ... wer das nicht kann, soll auf Schakale knallen. Himmel! Nun ist die schöne Herde für acht Tage vergrämt.«

Erb dankte ironisch und pirschte auf Antilopen.

»In der Not frißt der Fuchs Frösche,« spottete der Alte.

Es dämmerte bereits, als Simba ein Kudu sah und so geschickt aufjagte, daß es seinem Herrn in die Büchse lief. Das Geweih maß 1,20 Meter und war eine herrliche Trophäe.

»Schlägst du mich jetzt?« schmunzelte der pfiffige Bursche.

»Das heißt, du meinst eine Platte Tabak verdient zu haben.«

»Ja!« Der Boy rauchte für sein Leben gern. Trotzdem gab er, ein ungeheures Opfer bringend, eine Pfeife voll ab an – Fatima. Die hatte natürlich vom vierten Jahre an, wie alle Negerkinder, geraucht, paffte aber heimlich, weil sie wußte, daß der Herr es nicht sehr gern sah.

Höher, fröhlicher flammten die Lagerfeuer, lebhafter war das Geschnatter, denn in Hülle und Fülle war Wildfleisch vorhanden. Die Träger schnitten es in lange Streifen, die sie oberflächlich brieten und halbroh verschlangen. Das übrige Fleisch hängten sie als blutrote Girlanden an alle Zweige, damit es dörre und Bulltong werde.

Die Hyänen, vom Blutgeruch angelockt, heulten und tututeten ums Lager, ja die frechsten sprangen nach den Girlanden, so daß die Posten schossen.

Schläfrig wedelten die Askaris mit den Zweigen, um die satanischen Fliegen von den Eseln fernzuhalten. Erb erkundigte sich nach Art und Wesen der bösartigen Glossina palpalis, und der alte Afrikaner erzählte: »Nicht die großen, sondern die winzigsten Bestien sind die giftig-grimmigsten Feinde der Menschheit, und die glossina übertrifft alle an Bösartigkeit; denn sie überträgt die entsetzliche, ganze Negerdörfer hinmordende Schlafkrankheit. Die Landschaft von Uganda, die am Viktoria Nyansa liegt, die Peters als Paradies vorfand, ist fast ausgestorben durch die Krankheit, gewiß eine Million Neger hat diese Fliege in fünf Jahren getötet. Ein an Schlafkrankheit sterbendes Dorf ist das Schrecklichste, das ich in meinem Leben gesehen ... nein, noch grausiger war jene Nacht vor dreißig Jahren und der blutige ...« Die Stimme erstarb, der ergraute Mann stierte ins Feuer.

Um das Schweigen zu brechen, sagte der Neffe: »Du bist seit dreißig Jahren in Afrika?«

Der Oheim schaute von unten mißtrauisch empor. »Rede nur weiter, du unschuldiger Fuchs! Du geborner Geheimdetektiv willst ja von hinten herum erfahren, warum ich Europa verließ und mich absentierte.«

»Nein, auf Ehre nicht! Europa ist für mich abgetan.«

Jobst zündete mit einer Kohle seine Pfeife an. »Der Tabaksrauch vertreibt die Mücken und die Mucken und beruhigt das Gemüt. Ja, ich bin sogar in Deutsch-Südwestafrika gewesen, dazumal als noch keine deutsche Kolonie am Swakop Millionen einbrachte ... nein, verschlang.«

»In der deutschen Sahara warst du?«

»Rümpfe nur nicht, wie alle Nichtkenner, die Nase! Südwest ist weit, weit besser als sein Ruf, hat schöne Weiden und mächtige Berge. O, das Land, in dem einzelne Kaffern drei ... viertausend und mehr Stück Vieh besitzen, kann ein Neudeutschland werden. Ich weilte dort unten in jener Zeit, wo noch die Hereros und Hottentotten mit Kugel und Kirri sich gegenseitig umbrachten. Die schmierigsten, schurkischsten Subjekte herrschten als König-Kapitäne in Damara- und Namaland. Beide, Hereros und Witbois, sind ein verlogenes, heimtückisches und oft bestialisches Räubergesindel, das sich gegenseitig ausrotten müßte und sich auch peu à peu umgebracht hätte, wenn die braven Deutschen nicht mit ihrer Schutzherrschaft gekommen wären. An der ganzen schwarzen Bande drunten ist kein gutes Haar, kaum ein menschlicher Zug. Ich hasse die hinterlistigen Kerle ... denn viele von den Halunken sind getauft und werden von ihrem Missionar, der ein saudummer Mensch sein muß, Christen genannt ... Samuel, Manasse, Salatiel, Josua, Isaak, kurz das ganze Alte Testament sitzt im Damaralande beisammen, und die schwarzen Christen morden wie die Kinder Israel im gelobten Land ... auch vergiften sie gelegentlich einen unbequemen Bruder in Christo, der mit Gesang und Predigt begraben wird. Kurz, das abscheulichste von allem schwarzen Ungeziefer haust in unsrer Kolonie.«

»Du hast böse Erfahrungen mit den Hereros gemacht.«

»Ja.« Rauchend erzählte der Alte eins der Abenteuer seines Lebens. »Obgleich die Witbois oft einen Viehzehnten nahmen, hatten die Hereros gewaltige Herden – ein Beweis für die Brauchbarkeit des Durst- und Dornenlandes, das Sommer und Winter die Wiederkäuer ernährt. In ihrem Geiz oder in ihrer Gier nach Flinten, Pulver, Rum schlachteten sie sich selten ein Stück, höchstens eine alte, kranke oder krepierte Kuh, nein, sie nährten sich von Omeire – einer Sauermilch – und von Ointjes – einem zwiebelartigen, wildwachsenden Gewächs, das auch Unkjis genannt wird – und schmachteten lieber, um die Ochsen zu verkaufen. Der Besitz von Hinterladern war allerdings für sie eine Lebensfrage, wenn sie nicht von den Hottentotten totgeschlagen werden wollten, genau so wie sie selbst als Eindringlinge und Eroberer die Urbewohner des Damaralandes, die Buschleute, Klippkaffern und Bergdamaras, grausam-greulich abgemuckst hatten. Ihre Kapitäne – wie Kambazembi und Kamaherero – besaßen oft – ich lüge nicht – vier, ja fünf, sechstausend Rinder. Ich kannte sie alle, die alttestamentlichen Herren, trank ihre Omeire, die nicht übel schmeckt – wofern man nicht Augenzeuge der Zubereitung gewesen –, stand mit ihnen auf du und du, kaufte ihre Ochsen, wobei wir sehr redlich bemüht waren, einander übers Ohr zu hauen, und trieb die Tiere nach dem Kapland, was sich ziemlich lohnte, wenn nicht allzu viele »Beester«, wie der Bur sagt, unterwegs »gekehrt«, d. h. gestohlen wurden. Dann brach die gute, goldene, ja die diamantene Zeit der Händler und Südafrikas an. Kimberley mit seinen Gruben wuchs wie ein Riesenpilz aus der Wüste des Freistaats empor. Die Schatzgräber, Spieler, Spitzbuben, Spelunkenwirte, die Arbeitskaffern und die paar ehrlichen Leute wollten essen und schrien nach Fleisch. Vieh, grobfaseriges Vieh wurde in Kimberley hoch und wie in London, in Islington, bezahlt. Ich und andere Schlauköpfe kauften Hererovieh, das wir auf einem fürchterlich langen Mordswege entweder über den Orange und dann nach Osten oder nordwärts und dann südöstlich gen Kimberley trieben. Weil ich die Kalahari kannte und fürchtete, zog ich den letzteren und längeren Weg vor. O, es waren große, gesegnete Zeiten für den Händler. Dazumal habe ich oft für einen guten Hinterlader dreißig Ochsen in Okahandja erhalten, später wurden die Dreckkapitäne zu klug und wollten nur zwanzig, dann zehn, zuletzt bloß fünf oder gar zwei Brüller für einen Knaller geben. Ja, das Geschäft lohnte gut, obgleich auf dem grauenhaften Marsche manchmal fünfzig, ja siebzig Prozent der Tiere entweder stürzten oder von den diebischen Negerstämmen geraubt wurden. Die ungeheuren Verluste und Abzüge unterwegs schrieben wir seelenruhig auf das Verlustkonto als Spesen und Unkosten ... wenn wir nur dreißig von hundert nach Kimberley brachten, machten wir einen schönen Profit. Die Leute dort warfen mit dem Gold und zahlten für einen abgetriebenen Ochsen fünfzehn bis zwanzig Pfund. Einmal hatte ich für zweiundzwanzig Hinterlader sechshundert Ochsen von meinem Freunde, dem Schuft Josua« – Jobst knirschte mit den Zähnen – »erhalten, die Regenzeit war gut, die Weide vorzüglich, und so gelang es mir zu meinem eigenen Erstaunen, fünfhundert Stück nach Kimberley zu bringen ... die neunzig waren als »Geschenke« von den Häuptlingen unterwegs erpreßt worden. Ich hatte ein Bombengeschäft gemacht und siebentausend Pfund für meine zweiundzwanzig Hinterlader eingestrichen. 144 000 Mark Einnahme und 2200 Mark Ausgabe für die Flinten. Das war allerdings mein größter » robber« und beinahe ein unanständiger Gewinn, obgleich die Mühe unsäglich und das Leben täglich in Gefahr war. Meine Bank auf der Brust konnte damals kaum die Banknoten fassen, ich war in zwei Jahren ein reicher Mann geworden, wollte mit meiner Beute in Pension gehen, aber noch ein letztes und allerletztes Mal Ochsen kaufen und den Mordsmarsch machen. Da war schon die Gier des Geldtigers erwacht.

»In Kimberley wurden damals viele Diamanten von den Arbeitern gestohlen und von den Hehlern gekauft – ein Karat oft für eine Flasche Brandy –, das saubere Geschäft lohnte sehr, konnte aber schief gehen und fünf Jahre Zuchthaus bringen, denn das Diamantenstehlen und -hehlen wurde drakonisch und ärger als Totschlag bestraft. Eines Tages nach Verkauf meiner Ochsen trat ich ein, um einen Whisky zu trinken und meinen Wüsten- und Kamelsdurst zu löschen. Ein bekleideter Kaffer lungerte in der Schenke herum, sah mir mein gutes deutsches Herz, das keinen Durstigen sehen kann, wohl an, schwatzte mit höflichem Sir und Beg your Pardon und stänkerte mit seinen Negerdüften mich an, sprach aber ein fließendes Englisch, was meinen ersten Verdacht, der Kerl sei ein gerissener Gauner, erregte, und klagte mir, daß er auf einem Bummel gewesen sei, keinen Sixpence mehr und eine Kehle, so ausgebrannt und trocken wie die Kalahari, habe. Na, ich füllte den Kerl, der mir dann auf die Straße folgte und geheimnisvoll flüsterte, er habe in den Mienen gearbeitet und wolle ein Glas ausgeben, wenn ich ihm für einen großen »Kiesel« ein Pfund geben wolle. Der Kaffer holte einen mindestens sechskarätigen Brillanten, der wie grelles Feuer funkelte, hervor und wollte mir ihn geschwind in die Hand drücken. Da hatte ich eine glückliche Ahnung, der Gauner sei kein armer Diamantdieb, sondern ein hundsföttischer Geheimagent und Spitzel der Kompagnie, der ehrliche, einfältige Leute zum Hehlen verführt, seinen Brillanten ihnen zusteckt und sofort für fünf Jahre in den Kerker bringt. Ich nicht faul, versetze dem Kaffer meinen Bauchhieb, daß er nach Luft schnappt und die Augen verdreht, ich brülle den Konstabler von der Ecke herbei: He, verhaften Sie diesen Spitzbuben, der mir einen Diamanten verkaufen will! Ich »kicke« – d. h. einen Fußtritt versetzen – den Kerl in die Waden, wo der Nigger bekanntlich seine Achillesferse hat, ich verhaue ihm unbarmherzig das Fell, je lauter er wimmert » Dear Sir, I am an agent of the company.« Ich schreie natürlich »Nix verstehn, du Lump« und haue immer fester zu, denn der Konstabler kommt angerannt, kennt den Kaffer und erklärt atemlos: »Das ist ja Jimmy, ein Angestellter.« Der halbtote Spitzel liegt stöhnend auf der Erde und hält seine polizeiliche Legitimation in der Hand. Ich spiele den Naiven und mache mein dümmstes Gesicht: › Excuse my mistake!‹ Ich wollte einen Diamantdieb der hohen Obrigkeit überliefern und wußte nicht, daß die Polizeioffizianten hier mit gestohlenen Diamanten Straßenhandel treiben.«

Erb lachte aus vollem Halse. »Möchten alle Lockspitzel in solche Fäuste fallen!«

Der Oheim stopfte seine Pfeife und fuhr fort: »Das schöne Ochsengeschäft verschlechterte sich im Umsehen, um Kimberley herum siedelten Burenfarmer sich an, die Hereros wurden immer heller und aufgeklärter, wollten schließlich nur zwei, ja einen ihrer geliebten Brüller für einen Hinterlader geben, sagten laut, daß wir sie übertölpelt hätten, und tauschten tückische Blicke. Wer fünftausend Prozent verdiente, wird doch kein Höker werden, sondern bei lumpigen zwanzig Prozent weit ausspucken. Ich wollte mit meinem Reichtum ein ehrbarer Familienvater und dickbäuchiger Rentier werden ... ja, das Wichtigste ist ganz von mir vergessen worden ...« Jobst schwieg plötzlich und sinnierte düster, seine Brauen zogen sich zusammen, und seine Narbe im Gesicht glühte – lauter Anzeichen, daß etwas in ihm wallte.

»Soll auch die Quintessenz dieser spannenden Geschichte in deiner Brust verschlossen bleiben?« fragte der Neffe ungeduldig.

»Ich muß nachholen, daß ich ein Bastardmädchen aus Rehoboth, fast so weiß wie eine blauäugige Holländerin – ihr Vater war ein Bur – und noch viel schwarzhaariger und schöner als deine Fatima ...«

»Bitte, meine ist sie nicht.«

»... Aber kann sie werden ... ich sehe es schon kommen, die Duplizität der Fälle und die Dummheit im zweiten Gliede. Na, ich liebte zweimal ... nein, das erste war Wahn und liegt dreißig Jahre im Grabe ... ich liebte die Rehobotherin ... Antje – so hieß sie, die eine sehr helle Hererobastardin als Mutter hatte – war wie eine Weiße, nur die Nägel verrieten das Halbblut, war mir so sehr lieb, daß ich eine sogenannte Mesalliance machte und den Missionar in Okahandja uns trauen ließ. Mein Weibchen machte zweimal mit mir den Marsch nach Kimberley, buk und kochte an den Wasserstellen, hegte und herzte mich ... das waren Flitterwochen, und die mühselige Fahrt eine wahre Vergnügungsreise. Als die Geschäfte schlecht wurden, weilten wir in Omburo bei meinem Freund Josua« – einen Fluch zerknirschten die Zähne – »mit dem ich manches Glas Rum getrunken, der mir große Ergebenheit heuchelte und als mein Makler beim Einkauf hohe Spesen verdient hatte. Mein Treckwagen war gestopft voll von Winchesterbüchsen, Patronen, Tabak, Rum und anderen Artikeln; die Hererohalunken lugten unter den Plan und grinsten: ›Baas, was hast du viele schöne Sachen, und was für eine schöne Frau ... und deine Vorkiste ist voll von Geld ... du kannst bei so viel Gut und fetter Kost hundert Jahre alt werden – wenn du nicht vorher stirbst.‹ Ich Stocktauber hörte den Hohn nicht ... ich vertraute dem Kapitän, der mir zu viele, allerdings gut belohnte Dienste geleistet hatte. Wohl merkte ich mit Verdruß, daß die Hererohunde spöttisch für einen Hinterlader eine halbe Kuh mir boten und im Inneren uns Händler gründlich haßten. Ich sah aber nicht die lauernden, heimtückischen Blicke, ich kannte noch nicht den beispiellos boshaften, niederträchtigen, teuflischen Charakter der Hereros, die für einen Schluck Branntwein ihren besten Freund verraten und ihre alten Eltern seelenruhig durch Gift ins Jenseits befördern, um von der Last befreit zu werden. Ich Starblinder achtete nicht auf die lüsternen Blicke, mit denen der lüderliche Kapitän meine Antje verschlang, ich hatte keine Ahnung von dem satanischen Anschlag. In Omburo wurde das Begräbnis eines Unterkapitäns mit einigen geschlachteten Kühen und viel Branntwein gefeiert. Ich mußte natürlich als Gast mittrinken ... es stieg mir zu Kopf, auch haben die Schufte ein betäubendes Gift hineingegossen. Meine Antje faßte mich am Arm und bat: ›Komm mit, du hast genug.‹ Fügsam wollte ich ihr folgen und reichte, meinem Freunde Josua die Hand. Da fielen sie von hinten, ehe ich mein Gewehr loshaken konnte, über mich und mein Weib her, ich wurde gebunden und mit den Kirris bedroht. Im Nu war mein Wagen ausgeplündert, mein Geld wurde mir vom Leibe gerissen, die Hunde wühlten in Hundertpfundnoten. Wenn ich zu protestieren und Josua an unsre Freundschaft, an die Strafe und Rache zu erinnern versuchte, so berührte die Keule meinen Schädel.« Jobst sprach jetzt in den abgerissenen, atemlosen Sätzen der inneren Erregung. »O Bestialisches, Scheusäliges, das ich nicht sagen mag vor Scham und Wut, habe ich mit meinen Augen sehen müssen. Sie banden meiner armen Antje die Hände, daß sie wehrlos war, und schleppten sie in den Pontok des schweinischen Kapitäns ... da graute mir, daß die Bestien Viehisches planten ... o, ich wurde auch in den Pontok geschleift ... zerrte mir die Stricke ins Fleisch bis an die Knochen ... ich mußte sehen, o, und Augenzeuge sein, daß der tierische Josua mein Weib, meine süße Antje, umschlang und küßte und, wenn sie schrie und beißen wollte und nach ihm spukte, vor Lachen brüllte. O, ich, ich ... ich mußte sehen, daß mein Weib ... gewaltsam ... das Weib des Tieres wurde ... o Scheusäligkeit! Nicht genug der Teufelei! Die gräßlichste, grausigste Schmach meines Lebens mußte ich noch von dem Satan erdulden, ehe er mich laufen ließ. Ich kann ... ich kann es nicht aussprechen, denn die Schande ist nicht gerächt, die Bestialität noch nicht mit seinem Blute gesühnt. Erlasse mir den Schmerz!«

Das mußte schrecklich, schauerlich sein!

»Sprich nicht mehr davon!« bat der Zuhörer wie starr. »War denn der Weiße rechtlos im Hererolande?«

Jobst trank aus dem Wassersack und trocknete den Schweiß von der Stirn. »Rechtlos waren wir, die ungeheure Schandtat ist nie gerochen worden ... aber sie wird es werden ... die Rache kommt. Ich kenne die Hereros, die jetzt deutsch sind und Aufruhr machen werden, weil sie nicht wie Kanaille, wie Sklaven behandelt werden ... den milden Herrn verachten, nur den Schambock ehren sie. Der Aufruhr und meine Stunde muß kommen bei der närrischen Milde und Michelei der deutschen Verwaltung. Mir ist, als könne ich nicht sterben, bevor die Bestialität geahndet, alle Hererohunde ausgerottet und der Kapitän Josua, das Tier,« – ein Fluch, ein Knirschen – »gehängt, gemartert ist, also wie ich in dem Pontok lebendig gefoltert und mir das Herz aus dem Leibe gerissen wurde. Ich klagte bei dem deutschen Konsul, er zuckte die Achseln. Wer nach Damaraland gehe, tue es auf eigne Rechnung und Gefahr. Ich schilderte der englischen Behörde in Kapstadt den Greuel und erhielt die Antwort, das besagte Hererogebiet sei nomansland – Niemandesland – und stehe nicht unter dem Schutze der großbritannischen Majestät. Ein Mann, der nackt und bloß ist, wird nicht sein Recht, ein Cecil Rhodes wird noch viel mehr bekommen. Südwest ist deutsch geworden ... Kapitän Josua wird nicht in seinem Bett, sondern am Baume sterben.«

»Nur eins! Was ist aus der unglücklichen Rehobotherin geworden?«

Der abgehärtete Afrikaner bedeckte sein gefurchtes und gebeiztes Gesicht mit den Händen. »Antje fühlte sich unrein, für alle Zeiten besudelt, konnte nach der Schande und Schändung nicht leben ... in ihrer wilden Raserei warf sie sich auf das Tier, da ihre Hände frei waren, und würgte seinen Hals mit den Nägeln ... aber sein Sohn lief herbei und erschlug sie mit dem Kirri ... ich habe ihr Grab, ihren Leichnam, den ich unter steter Lebensgefahr suchte, allerdings nicht gefunden, doch mehrere Feldhereros machten die bestimmte Aussage, daß Antje mit einer tiefen, tödlichen Wunde im Schädel in den Busch geschleift und »tot für gut« gewesen sei. Da war kein Zweifel ... keine Hoffnung ... die Hyänen hatten ... o, mein Erb ... der Herr bewahre dich vor meinen Schrecknissen!«

Erb drückte und herzte die Hand des Oheims und suchte erschüttert sein Lager auf.

Sobald er sich auf dem mit Riemen überspannten Holzrahmen, den er sein Feldbett nannte, ausgestreckt, hörte er einen federleichten Schritt. Die Dienerin kehrte zurück und hockte am Kopfende sich nieder. Donnerwetter! Was bedeutete die Dreistigkeit? Er richtete sich auf und fühlte eine fächelnde Luftbewegung. Fatima fuhr mit einem Palmenwedel über die Lagerstatt hin und her, um angenehme Kühlung zu bringen und unangenehme Insekten zu verjagen.

»Kind, was soll das heißen? Hältst du mich etwa für einen Esel, den die Tse-tse beißt?«

»Nein, du bist ein großer Löwentöter, darum will ich wachen und wedeln, um die Moskitos und Giftfliegen, von denen Bana Bunduki sprach, fernzuhalten. Schlafe, mein Gebieter!«

»Am Ende singst du mir noch ein Wiegenlied?« lachte er laut auf.

»O ja, ich kann ein sanftes, leises singen, das mein totes Brüderchen in Schlummer lullte.« Fatima blieb ernst und sachlich und verschwand erst, als er in das Moskitonetz hineinkroch. –

Die Safari war in Uha. Glut und Schwüle, Schweiß und Durst waren die Tage. Die Landschaft wurde wilder, zerklüfteter, keinem Menschen begegnete man, und doch fand Jobst Spuren von nackten Füßen, wo Erb und andre gar nichts gewahrten. Ein paar umgebogene oder abgebrochene Gräser genügten seinem Spürsinn. »Noch ist Saft an den Bruchstellen, die Spuren sind frisch,« sagte der Pfadfinder, »wir werden also stets beobachtet, und wir sehen niemand. Es ist immer verdächtig, wenn der Neger, der neugierig wie ein Mandril ist, Versteckens spielt. Die Safari rückt dichter zusammen, Seitenpatrouillen müssen das Gelände rechts und links aufklären.«

Der Oberleutnant war nicht kleinlich, aber etwas eifersüchtig auf seine Autorität und brauste auf: »Wer hat zu befehlen?«

Jobst lächelte freundlich. »Sie haben den Oberbefehl und ich die Pflicht, unerläßliche Maßregeln vorzuschlagen. Hauptmann von Zelewski war Chef der Expedition, die ich führte, und der tapfre Mann unterließ es trotz meiner Warnung, den Höhenzug, an dem wir entlang marschierten, aufzuklären ... die Schwarzen brachen aus dem Hinterhalt der Berge in zwanzigfacher Übermacht hervor und massakrierten zehn Offiziere und Unteroffiziere und Hunderte von Askaris ... ich war durch einen Speerstich schwerwund, stellte mich tot, kroch unter einen Felsblock und entkam durch ein Wunder.«

Der Oberleutnant legte stumm, aber vielsagend die Hand an die Mütze. Was Jobst wollte, wurde Befehl. Eine Spitze und eine Vorspitze und zwei Seitenpatrouillen sicherten nach vorn, Erb hatte die Nachhut zu führen und die Nachzügler anzutreiben. Die Landschaft war von tiefen, jetzt trocknen Schluchten zerklüftet, die durch Galeriewälder und Lianengewirr unzugängliche Schlupfwinkel boten. Ein Eldorado für Räuber!

An den Bäumen hingen die komischen Nestsäcke der Webervögel, der Sperlinge Afrikas, Perlhühner, Frankoline, Feldhühner huschten und gingen hoch, graue und bunte Papageien kreischten und klatschten, Spring- und Buschböcke flitzten vorbei. Leoparden-, ja Löwenfährten lockten zur Jagd und erschreckten die Träger, die vor dem meist feigen Wüstenkönig einen heillosen Respekt haben. Simba entdeckte sogar eine Elefantenspur. Da standen sie, und Erbs Atem stockte! Auf einer Lichtung äste eine ganze Herde, zahm-friedlich schoben die Riesentiere mit der Rüsselhand Gras und Blattbüschel ins Maul. »Sieh, die Zähne des Bocks! Schieße, Bana!« flüsterte der Boy erregt. Ach, es durfte laut Armeebefehl nicht geschossen werden. Der Bock, der starke Bulle, bot ein nahes, breites Ziel. Simba zupfte seinen Herrn fast zornig: »Schieße! Wir sind hinten ... wer hört's? Und die Zähne vergraben wir bis zur Rückkehr.«

»Ei, du kleiner, geborener Gauner! Du Strick von Geburt und für den Strick Geborener! Wann werde ich dir die zehn Gebote beibringen?«

»Welches Gebot sagt: ›Du sollst nicht Elefanten schießen?‹« fragte der Schlaukopf.

»Der Befehl des Bana ist stets ein Befehl Allahs, ein Gebot Gottes.«

Die Kolosse, die Überbleibsel einer gigantischen Vorzeit, bildeten ein hübsches Still- und Familienleben. Einige schaukelten hin und her und träumten von angenehmen Dingen, Elefantenjünglinge spielten »Stoßen« und kitzelten sich mit den kurzen Zähnen die Rippen, und die Kälber sogen, mit dem Schwänzlein wedelnd, die Milch der Mutter, die sinnig-zärtlich ihren Liebling betrachtete. Erb störte nicht das Elefantenidyll.

Vorn im Zuge entstand eine Stockung, man war an dem Ort, wo die letzte Karawane überfallen und zum Teil ermordet war. Ein Träger derselben, den man von Tabora mitgenommen, bestätigte es. Von den Geiern weißgenagte Gerippe lagen zu Dutzenden herum, aufgeschnittene Stricke, Wachstuchfetzen, zerschlagene Flaschen, leere Patronenhülsen berichteten von einer greuelreichen Tragödie des menschenmordenden Erdteils. Simba wühlte in der Asche und fand sogar ein geschwärztes, aber gutes Messer, das er an seine Seite hängte; hatte er doch bisher ein Stück altes, auf einer Seite geschliffenes Bandeisen an einem Bindfadengürtel als Wehr und Waffe getragen.

Nach einer Stunde äußerte der Pfadfinder: »Hier herum hauste früher der Häuptling eines Wahastammes, ein geriebener und unverschämter Patron, der sich Hamia nannte und jede Karawane schröpfte ... der wird ohne Zweifel an dieser Missetat beteiligt sein und müßte durch einen Besuch überrascht werden. Ist natürlich nur meine Privatmeinung, Sie haben zu befehlen, Herr Oberleutnant.« Jobst, der seinen langen Knochenkörper militärisch strammte, um den Sarkasmus zu unterstreichen, hatte kaum ausgeredet, als zwei fremde Neger mit beringter Nase und fettriefenden Ohrlocken, wie aus dem Boden gewachsen, vor der Spitze standen, den Speer in der einen und einen grünen Zweig – das Friedenszeichen – in der anderen Hand.

»Wir sind Boten des großen Sultans Hamia, dem alles Land, soweit ein Krieger in vierzehn Tagen nach Ost und West marschieren kann, gehört. Er ersucht euch, ihn morgen in seiner Boma zu besuchen und gute Geschenke, die einem so mächtigen Sultan geziemen, mitzubringen.«

»Der kleine Dreckhäuptling müßte eine gebührende Antwort haben,« brummte Jobst.

Der Leutnant entgegnete den Boten mit Würde: »Wir sind Krieger des großen deutschen Sultans, der mehr Soldaten besitzt, als dein Herr und alle seine Leute Haare und Läuse auf dem Haupte haben. Sage Hanna: ›Er soll morgen zu uns kommen und gebührende Geschenke bringen.‹«

Die Boten ließen ihre Augen hin und her laufen, zählten rasch die Träger, die Askaris und Flinten und verschwanden. Ob sie Späher waren?

Das Lager dieser Nacht wurde durch einen Verhau befestigt und durch Doppelposten bewacht. Um Mitternacht schossen plötzlich die Wachen, alle wurden alarmiert und eilten herbei. Schwarze Gestalten hätten sich herangeschlichen, um das Lager zu überfallen, behaupteten die Posten, hätten Feuer bekommen und die Flucht ergriffen. Mit Bränden leuchtete man die Umgebung ab. Ohaoha! Das feindliche Heer war – eine Pavianherde gewesen. Ein Weibchen lag auf der Strecke, und ein armes Junges saß und zupfte die tote Mutter, wehklagte und weinte – tatsächlich, das verwaiste Tierchen weinte Tränen. Der mitleidige Erb wollte das hilflose Pavianlein einfangen, was weder ihm noch seinem flinken Boy, wohl aber der Fatima durch eine List – sie konnte den Lockruf der Äffin nachahmen – gelang. Der kleine Pavian wurde ihrer Hut anvertraut, und mit der kostbaren, kondensierten Milch ist Basse – so wurde der Findling getauft – aus dem Säuglingsalter herausgebracht worden.

Am Morgen erschien der »Sultan« Hamia, ein fetter, fettiger Dickwanst – vom vielen Pombesaufen – mit einem verschlagenen Spitzbubengesicht, bekleidet mit einer weiten Weiberunterhose, einer schmutzigen Khakijacke, teuren Juchtenstiefeln – die aber, weil zu eng, einfach aufgeschnitten waren – und einem deckellosen Zylinderhut. Die Minister und Geheimräte dieser grotesken, aber offenbar von ihrem Gottesgnadentum überzeugten Majestät begnügten sich mit einem Schurz oder einem Lumpen als Feigenblatt. Jedoch die schwarzen Grandseigneure trugen moderne Hinterlader und ließen ihre Diebsaugen lüstern über die vielen Lasten und Gewehre hin- und herlaufen, und manch einer schien in Gedanken sich sein Beutestück auszusuchen.

Der Sultan brachte aber als Friedenszeichen Geschenke, zwei magere Ziegen, zwei Zwerghähne und drei respektable Kalebassen voll von Pombe mit.

Die Unterhaltung war nicht geistreich und dauerte doch zwei Stunden. Der schmierige Fürst nahm die Krone, den deckellosen Zylinder, ab und thronte auf der Unterhose. »Was schenkst du mir?«

Der Oberleutnant ließ Tabak und bunte Perlen bringen. Diese wurden kaum beachtet und der Tabak verächtlich berochen. Dreist zeigte Hamia auf das Repetiergewehr und auf den Revolver im Gürtel des Offiziers. »Das wirst du dem König von Uha, der königliche Geschenke erwartet, geben.«

»Nein, die Feuerwaffen gebrauchen wir selbst, um die Räuber zu bestrafen.«

Das schwärze Gaunergesicht hatte einen einfältigen Ausdruck. »Räuber? In meinem Reiche und in Uha gibt es doch keine Räuber.«

Der Leutnant erwähnte die Skelette in der Schlucht. Mit der unschuldigsten Miene log der Kerl: »Ach, die Gerippe lagen schon da zu den Zeiten meines Vaters, das werden alle meine Großleute bestätigen und beschwören. Wirst du mich morgen in meiner Boma besuchen?«

Jobst blinzelte dem Offizier zu, der auswich. »Wir wollen nach Urundi und haben wenig Zeit.«

Die Antwort befriedigte den Häuptling, der freundlich fragte, wie viele Frauen, Sklaven und Krieger der deutsche Sultan habe. Was? Eine Frau und gar keine Sklaven? O welch ein armseliger König!

Der Leutnant suchte die Größe der deutschen Heer- und Wehrmacht dem Neger begreiflich zu machen. »Nimm dein Land, so hast du ein Dorf des deutschen Reiches ... nimm deine Krieger, so viele Male du Finger hast, nimm diesen großen Haufen wieder zehnmal, und diese Menge noch einmal zehnmal, so hast du noch nicht das Heer des deutschen Sultans.«

Hanna gluckste ein paarmal. »Erzähle mehr! O du kannst aber fein und lustig lügen, daß es eine Freude ist, dein Zuhörer zu sein.« Er hatte kein Wort davon geglaubt, hegte aber hohe Bewunderung vor einem solchen Lügenkünstler.

Der Leutnant verabschiedete sich von dem schwarzen Herrn, der noch rasch einen unmenschlich häßlichen Bengel, einen wahren Gorilla, als seinen Sohn und Thronfolger vorstellte. Dieser Kronprinz von Uha hatte während der Verhandlung Fatima mit Wohlgefallen begafft, ja mit frechen Blicken verschlungen. Beim Abmarsch ging er dicht an ihr vorbei, um plötzlich in unanständiger Weise nach ihrem Körper zu greifen. Die Dirne riß sich los und lief ins Zelt. Simba aber rächte ihre Ehre, raste herbei und versetzte dem Kronprinzen eine schallende Ohrfeige und einen knallenden Fußtritt. Dieser drastische Abschluß der Entrevue trug dem resoluten Boy viel Lob ein.

Der Oberleutnant hielt Kriegsrat mit den Weißen, auf Jobsts Vorschlag wurde eine Kriegslist ins Werk gesetzt. Die Safari bog ab und zog mit der Sonne in zwei rüstigen Märschen; der alte Pfadfinder war bei der Nachhut, trug ein paar Negersandalen, die er sich verkehrt – die Spitze nach hinten – an die Füße band, und spielte Versteckens hinter Bäumen und Büschen. Er beobachtete und belauerte die Waha, die als Späher der Karawane folgten, und verkündete eines Morgens: »Die Luft ist rein.« Sofort beschrieb die Karawane einen spitzen Winkel, um in nordöstlicher Richtung in einem trocknen Flußlauf zurückzugehen. Der Weg war fürchterlich, bald tiefer Sand, bald spitzes Steingeröll. Am Abend lagerte der Zug in einem Rivier, wo gutes Wasser gegraben wurde; hier sollten die Lasten und Träger liegen bleiben unter dem Schutze eines weißen und eines schwarzen Unteroffiziers, eines Schauisch, und einiger Askaris.

Der Leutnant, die Führer, die übrigen Askaris und der Neger, der dem Überfall beigewohnt hatte, auch ein paar Träger mit dem Nötigsten, brachen auf, als das Kreuz des Südens aufging. Fatima hatte inständig gebeten, sie mitzunehmen, was ihr Herr schroff ablehnte. Sie blieb weinend zurück.

Der Trupp von vierzig Gewehren machte einen höllischen Nachtmarsch über Stock und Stein, und das im Dunkeln. Sie stolperten und stürzten, zerschunden und zerrissen sich die Hände und Kleider. Jobst mußte nach Sternen und Kompaß führen und rieb ein Streichholz an. In dem kurzen Lichtblitz sah ein Askari eine menschliche Gestalt und legte den Finger an den Abzug. »Halt, oder ich schieße!«

»Es ist Fatima,« rief eine Frauenstimme. Donnerwetter! Die Dirne hatte den Mordsmarsch gemacht, und noch dazu mit einem Sack auf der Schulter. Fatima hatte für das Donnerwetter des Herrn einen Blitzableiter bereit und sagte demütig: »Bana, du hattest deinen Wassersack vergessen, ich füllte ihn und lief dir nach ... ihr werdet sehr durstig sein.« Das war natürlich ein Vorwand, aber die Verschmachteten tranken gierig und waren so dankbar, daß Schelte lächerlich geklungen hätten. Dennoch brummte Jobst: »Pack' dich nach Hause mit deinem leeren Sack!«

»O, ich würde mich zu Tode fürchten, und die wilden Tiere werden mich fressen.«

»Warum hast du dich nicht gegrault auf dem Herwege?«

»Ich hörte euch stets und konnte rufen.« Fatima blieb keine Antwort schuldig und bei der Expedition.

Vier Stunden ging es noch durch stockdunklen Wald und schreckliche Wildnis. Die Askaris konnten nicht weiter und murrten: »Wir sterben.«

Da krähte ein Hahn. Dieser Hahnenschrei wirkte Wunder und weckte neue Kraft. Das mußte Hamias Dorf und Boma sein. Die Negerpfade liefen in großer Zahl kreuz und quer. Nun mußte nur noch die unerwartete Visite gelingen.

Der Häuptling hatte sein Dorf mit einer für Afrika starken Fortifikation befestigt. Ein undurchdringlicher Dornkraal, zwei Faden tief und einen Faden hoch, umgab die Niederlassung und hatte nur zwei schmale Zugänge, die ein Mann zur Zeit passieren konnte. Hinter der Dornenmauer war ein Graben ausgehoben, und die ihm entnommene Erde bildete einen Wall, der mit spitzen Baumstämmen gespickt war.

»Dieser schwarze Vauban soll sich wundern,« sagte der alte Afrikaner und kroch auf allen Vieren, um zu kundschaften. Seinem Neffen, der sich ihm anschloß, zeigte er, wie ein Späher bloß auf Händen und Knien sich langsam-lautlos vorwärts schieben, vorher jede Stelle, die er berühren will, von trocknen Zweigen säubern und auch daraufhin untersuchen muß, ob spitze, vergiftete Pflöcke im Erdboden stecken. Die Neger spicken oft, mit Ausnahme von ein paar Pfaden, die sie allein kennen und benutzen, die ganze Umgebung ihres Dorfes. Die beiden Pfadfinder krochen durch den Dornkraal.

Richtig, ein Mha kauerte als Posten und wie ein Pavian oben auf dem Walle, sein Kopf lag schlaftrunken auf den Knien. Jobst schob sich den Wall hinauf, sprang hoch und versetzte dem Neger, der den Mund zu einem Alarmschrei öffnete, einen Faustschlag in die Schläfe. Bekanntlich hat der Schwarze einen so eisenharten Dickschädel, daß er nach einem kurzen Anlauf und Bockssprung eine zolldicke Bretterwand mit dem Kopf zersplittert. Der Mha aber sank lautlos nieder. Erb konnte kaum von allen Vieren auf seine zwei Füße kommen; der geschmeidige Oheim lächelte und unterrichtete ihn am betäubten Objekt: »Just hier ist der Punkt – einen Zentimeter rechts oder links zerbrichst du dir den Knöchel –, wo ein Hieb, ein Hammerhieb der Faust den Neger still macht, ohne seinen kapitalen Gehirnkasten zu beschädigen.«

Der erste Tagschimmer gab ein wenig Dämmerlicht, als der Askarizug in der Kolonne zu einem den Eingang der Negerburg passierte, unter Hahnengekrähe und Hundegekläff vorwärts rannte und rings um das größte Hüttenviereck – den Palast und Harem des schwarzen Fürsten – in Parade mit schußfertigem Gewehr sich stellte. Eine Ehrensalve knatterte in die Luft und weckte die Neger, die gegen Morgen fest und faul im Bau liegen. Hamia erschien, mit der Unterhose bekleidet, sein Sohn war splitternackt, die Minister des Reichs krochen hier und da hervor, viele Waha versuchten zu fliehen und fanden die zwei Ausgänge besetzt. Hamia war im lächerlichen Kontrast zu seinem vorgestrigen, großtuerischen Gottesgnadentum kleinlaut und kriecherisch. »Was wünschen die hohen Herren des großen deutschen Sultans von dem kleinen Sultan Hamia? Ich wollte just heute für die schönen Perlen und den starken Tabak zwei Ochsen und zehn Hühner euch nachsenden, damit ihr keinen Hunger leidet.« Der knauserige Spitzbube, der jetzt so freigebig – log!

»Wir wollen nur deinen Besuch erwidern.«

Der schlaue Neger dankte höflich und machte den Vorschlag: »Hier im Dorfe sind arg viele Zecken und Sandflöhe ... wollen unsre Gäste nicht draußen auf dem kühlen Platze Feuer machen? ... Fleisch und Bier in Fülle bringen wir hinaus.«

»Nein, keine Umstände, alter Freund! Wir wollen dein schönes Dorf besehen.«

Plötzlich-heftig klammerte sich Fatima an Erbs Arm. »O, beschütze mich vor dem häßlich-gräßlichen Gorilla! Seine Augen fressen mich.«

Jung-Hamia, der nackte Kronprinz, glotzte das braune, schöne Weib verliebt an, kokettierte durch Grinsen und Winken auf Negerart und verriet durch allerlei Gebärden seine erotischen Wünsche. Erb drohte ihm mit der Hand, ohne Erfolg.

Aber Simba, der Waffenträger, hob die eine Büchse, zielte sehr gut – die Kugel ging genau, wie sie sollte, und zischend über den kronprinzlichen Wollschädel hinweg – und lamentierte unter hundert Entschuldigungen, daß sein Ärmel sich am Abzug festgehakt habe, und lobte Allah, daß kein Unglück geschehen sei. Der Gorilla war wie weggeblasen.

Die Weißen besichtigten den elenden Negerpalast, steckten die Nasen und Augen in alle Winkel. Jener Träger, der Augenzeuge des Überfalls gewesen, zeigte triumphierend auf ein Martinigewehr, dessen Kolben kostbare Elfenbeinintarsien hatte.

»Das ist die Flinte des Inders Rahajaputra, des Herrn der Safari.« Jobst nahm die Flinte und versteckte sie unter Fellen.

Hamia kam nachgelaufen und wehklagte: »Hier ist mein Frauenhaus ... es zu betreten, ist bei Todesstrafe meinen Untertanen verboten ... tu mir die Schande nicht an!«

Jobst schob Seine Majestät bei Seite. »Alter Heuchler, wir fassen deine Frauenzimmer nicht mal mit der Feuerzange an.«

Der Sultan kroch in sich zusammen, so daß er nur halb so groß erschien. Eine junge Negerfrau – wohl die Favoritin – trug einen Männerrock aus Seide mit Goldstickerei. »Den hatte Rahajaputra an Feiertagen an.«

Ein altes Weib blieb störrisch sitzen, bis Jobst sie hochriß. Ihr Sitz bestand aus drei Blechkisten, mit Munition angefüllt und mit einem R gezeichnet. »Kennst du die Kisten?« Der Träger, der als Kronzeuge sich fühlte, grinste schadenfroh: »Alle Lasten des Inders trugen oben dieses Warenzeichen und unten einen Zauberfetisch, der so aussah.« Der Neger malte aus dem Gedächtnis eine Figur in den Fußbodenstaub und frohlockte: »Kehrt sie um!« Auf der Unterseite war die indische Haus- und Handelsmarke.

Jobst vergriff sich an der schwarzen Majestät. »Alter Spitzbube, du hast die indische Safari überfallen ... bekenne!«

Mit jener grandiosen Frechheit, die ein Grieche bewundern, aber nie erreichen wird, redete Hamia sich heraus: »Der Mann lügt, alle Wanjamwesi lügen schauderhaft. Ich habe das Pulver vor drei Monaten von dem indischen Händler Rululangchi ehrlich gekauft ... sonst soll der Schlag mich rühren ... ob Rululangchi es deinem Rahajaputra gestohlen hat, weiß ich nicht ... alle Inder stehlen.«

»Nur die Waha sind ehrliche Leute,« grunzte der alte Afrikaner, »was dieser goldgestickte Mantel? Den hast du wohl auch von dem großen Unbekannten Rululangchi gekauft?«

»Nein, ich rede die reine Wahrheit, obgleich sie schmerzlich ist. Vor sechs Wochen kamen Waha, die weit im Norden wohnen, hier durch, hatten viele Gewehre, die von hinten gefüllt werden, und verkauften mir den Rock für Hirse ... auch eine feine Flinte erwarb ich ... sie hängt am Pflocke ... was? Wo ist sie?« Der schlaue Neger kam der Anklage zuvor, ehe man ihm das schlimmste Corpus delicti unter die Nase hielt. »Ich muß leider glauben, daß jene Waha die Safari überfallen haben ... ich bin betrübt, sehr betrübt, daß unter meinen Landsleuten so schlechte Menschen sind ... o, Waha sind Diebe und Räuber gewesen, o!« Hamia weinte vor moralischem Schmerz über die Schlechtigkeit der Menschen, weinte große, dicke Tränen. »Komm mit an das Grab meines Vaters, auf dem Grabe will ich schwören, daß ich alles ehrlich erwarb ... nimm es, den Rock und die Flinte, ja die Flin–te« – Hamia heulte wie ein geprügelter Hund, denn das Zurückgeben ging ihm ans innerste Herz – »und gib es dem Eigentümer zurück ... ich will von gestohlenem Gut keinen Fetzen behalten.«

Der geriebene Schurke machte offenbar Eindruck auf den Leutnant, was Jobst ärgerte; denn er brummte auf deutsch: »Er müßte hängen.«

Der Chef erklärte kurz: »Ich fälle kein Todesurteil ohne strikte Beweise.«

Man nahm die Sachen des Inders und, ohne es zu wollen, viel Ungeziefer mit.

Fatima flüchtete um Erb herum, wie vor einer Brillenschlange. »Dort steht das Ungeheuer ... mir ist so angst ... Simba, töte ihn!«

Der Gorilla lauerte hinter einer Hütte, und sein Blick war lüstern, ja lustmörderisch, tückisch und tierisch. Sein fettglänzender Körper schillerte wie eine Schlange und verschwand.

Fatima weinte. »O, der Teufel will mir Böses tun und will mich stehlen ... Bana, stehe mir bei!«

Ihr Bana strich beruhigend über ihr Haar hin. »Ich beschütze dich.«

»Darf ich des Nachts in einem Winkel deines Zeltes kauern? Draußen am Feuer sterbe ich vor Furcht.«

Der Herr sah ihre große Angst und gab das voreilige Versprechen. Jobst grifflachte spitzbübisch und spöttisch.

Der Trupp marschierte auf dem kürzesten Wege zu seinem Lager zurück. Die Safari machte zwei Tagesreisen. Der Pfadfinder stöberte rechts und links vom Pfade, schob den Hut nach hinten – was bei ihm ein Zeichen der Unzufriedenheit war – und fluchte in den Bart. »Was hast du?« – »Das hier habe ich.« Er zeigte auf ein paar geknickte Halme und eine Stelle im Sande hin.

»Ich sehe nichts, rein gar nichts.«

»Das ist ein Blutstropfen ... ein Bandit hat an dem Kameldorn sich geritzt, das Blut ist frisch und keine halbe Stunde alt ... und daneben ein Fußeindruck ... als er sich ritzte und mit einem Au unwillkürlich zur Seite sprang.«

»Was du dir herausliest! Das ist doch kein Fuß gewesen.«

»Nein, die Waha tragen oft Sandalen von Binsengeflecht.«

«Ja, zum Donnerwetter, du hast Augen ... und was bedeutet das?«

»Daß Hamias Leute uns verfolgen und Böses im Schilde führen.«

In der Nacht wurden die Posten verdoppelt. Der junge Deutsche hörte sie ihre Nummer rufen und konnte vor Hitze im Haupt nicht schlafen. Durch seinen Regenmantel und eine Reservezeltbahn war ein Vorhang gemacht und im Zelte ein Vorraum abgetrennt, in dem Fatima schlief. Heftiger Durst und die Gewißheit: Ich habe Fieber, quälte ihn. Konnte das braune Mädchen auch im Schlummer seine Wünsche erraten? Im Stockdunklen kniete eine Gestalt an seinem Lager und hielt den Wasserbecher an seine Lippen. Bisher von allen Teufeleien der Tropen verschont, war er auf jenem forcierten Nachtmarsch von den Moskitos, von den verruchten Weibchen der Anophelesmücke, welche die Malaria ohne Maklergebühr vermitteln, gestochen worden.

Im ersten Morgenlichte tutete der Bläser der Truppe: Auf–auf–aufstehen. Der Leutnant gab zwanzig Minuten später dem schwarzen Hornisten einen Wink, und das Askarisignal »Edrup hakim«, d. h. »Blase den Arzt«, erscholl. Der Sanitätsunteroffizier schlüpfte in den weißen Mantel und stand in ärztlicher Positur und Würde neben der kleinen Apotheke im Kasten. Oberleutnant F., der sich nur zum Fluchen der englischen Sprache bediente, sagte dreimal mit langem Gesicht: Goddam! Denn arg viele Träger und Askaris, wirklich Kranke und wahre Simulanten, kamen heute zum Arzneiappell und verlangten Daua. Die meisten hatten Risse, Wunden, Bein- und Fußschäden – solch nackter Negerkörper ist oft von Dornen geradezu gespickt – und wollten Luttuluttu – Kupfervitriol –, das Universalmittel der Neger bei allen Hautkrankheiten, haben. Einige klagten über »Schingo« – Halsschmerzen –, über »Homa« – Fieber –, die meisten jammerten »Tumbo, tumbo« – Leibweh –, was bei der Unmäßigkeit des Schwarzen begreiflich ist. Jeder Patient stellte sich selbst die Diagnose und erwartete seine Daua, d.h. das für sein Leiden spezielle, unfehlbare Mittel. Der Safaridoktor gab freigebig Daua in gewaltigen Dosen. Ausschließlich

Chinin und Rizinus waren seine Medikamente, womit er die schönsten Heilerfolge erzielte.

Blaß und taumelig erschien Herr von Erbenheim als letzter und ließ seine Temperatur messen. Das Fieber war hoch, so daß der »Sanitätsrat« radikal vorging und drei Gramm Chinin gab. Der Unteroffizier dosierte nämlich nach den erprobten medizinischen Grundsätzen – die bekanntlich alle zwei Jahre wechseln – jener alten, guten Zeit, wo die Tropenärzte ungeheure Chinindosen in ihre armen Opfer hineinfüllten und so wenigstens – wenn auch ungewollt – der grausamen Natur bei der Zuchtwahl Assistenz leisteten und eine Auslese der Tropenstarken – das Schwache ging bei drei Gramm bald zugrunde – radikal besorgten. Kaum zehn Minuten, nachdem Herr von Erbenheim seine Daua verschluckt hatte, wurde ihm so schwarz vor den Augen, daß er lang hinschlug. Fatima bettete sein Haupt in ihrem Schoße und schrie wild: »Mein guter, großer, weißer Bana Simba stirbt!« Der schwarze Simba, der Boy, heulte mit ihr um die Wette. Sogar Jobst bat um einen Rasttag, was der Leutnant mit den Worten ablehnte: »Wenn ich Malaria habe, lasse ich mich tragen.« Sie legten also Erbenheim auf das Feldbett von Ledergurten, das vier Männer trugen. Fatima hielt in der Rechten den Schirm gegen die Sonnenstrahlen, in der Linken den Palmwedel für die Fliegen.

Die Dirne pflegte und wachte 48 Stunden ohne Schlaf. Die Chininvergiftung hatte ausgerast. Der Patient ritt auf dem Maskatesel. Das Land, mit Felsen und Steinen besäet, mit Busch- und Waldstücken bestanden, war ganz unübersichtlich, aber sehr wildreich. Schüsse krachten. Jobst hatte einen Elefantenbullen erlegt. Die Träger schnitten sich in Eile aus dem Tierkadaver dünne, ellenlange Fleischstreifen heraus, die sie sich als bluttriefende Ketten um Hals und Schultern hängten, um im Lager das Fleisch zu dörren. Scheußlich sahen die Kerle in ihrem blutigen Schmuck, der ekelhafte Fliegenmyriaden anlockte, aus. Darum blieb der Eselreiter mit seinen Begleitern recht weit hinter der Trägerkolonne und dem Schmeißfliegenheere zurück. Der kleine Umstand förderte ein großes Unglück.

Erb dröselte in der Glut, sein Kopf fiel auf die Brust und fuhr jählings in die Höhe. »Was ... was ist los da vorne?« Von der Spitze her klang ein Geschrei... ein Schuß fiel. »Fatima! Du hast flinke Füße ... schau mal nach, was man geschossen hat!« Ohne irgendeine bange Ahnung wurde der Befehl erteilt.

Erb horchte und harrte gespannt. Was war das? Wehte nicht ein kurzer Aufschrei durch die siedeheiße Luft, die zu kochen schien? Wieder ein Knall – dann eine große Stille, ein Stocken des Zuges von der Spitze an. In Ungeduld und Unruhe schickte Erb den Boy als zweiten Boten.

Ein Unglück war geschehen. Urplötzlich sprang ein frecher Löwe – wohl ein alter maneater – aus dem Busch, mitten in den Menschenzug, schlug einen Schwarzen nieder und schleifte den gräßlich Schreienden fort. Die nächsten Träger warfen ihre Last zum Teufel und flohen bestürzt, aber der dort eskortierende Askari war ein beherzter Kerl, rannte dem Löwen nach und schoß wacker, obgleich er noch ein Rekrut und – als Träger aus dem Kongo nach Daressalam verschlagen – vor einem halben Jahre angeworben war. Er wurde von seinen Kameraden Kitumbua, d. h. Eierkuchen, genannt, weil er Rührei aus Krokodilseiern mit wahrer Leidenschaft aß, und der Spitzname war, wie es oft in der Schutztruppe geschieht, sein amtlicher, in der Askariliste eingetragener Name geworden. Bei dem Löwenüberfall bewies er Kühnheit und Geistesgegenwart. Sein Schuß traf die Bestie, die auf dem Träger lag, in den Kopf.

Inzwischen wartete Erbenheim in brennender Ungeduld.

Simba kam völlig atemlos und mit hellem Entsetzen in Gesicht und Gebärden angerannt. »Bana, Bana ... kann Fatima nicht finden ... o, o, ist verschwunden und ... uh – uh ... vom Löwen gefressen ... uh ... uh.«

»Um Gottes willen!« Der Deutsche, der noch sehr matt war, hieb mit der Peitsche auf den Esel ein, galoppierte die Reihe hinauf, »Fatima« rufend, heiser und hundertmal in die Wildnis hinausschreiend, »Fatima« qualvoll suchend und klagend. Er merkte nicht, daß ihm der Schweiß bis in die Stiefel floß.

Auf sein Rufen kam keine Antwort. Jobst lief wildblickend den Weg zurück und suchte. »Verlaufen ... verirrt... hat sie sich nicht, nein, nein ... und wäre sie von einem Löwen angefallen, würden wir bald die Spuren sehen!«

»Nein, nur das nicht,« keuchte der Eselreiter, der im Sattel kaum Schritt hielt mit dem Schnellmarsch des Alten. »Zu grauenhaft ... das junge, liebe Ding!«

»Was ist dir das liebe, süße Ding?« spottete Jobst.

»Laßt uns suchen ... suchen! Fatima! Fatima!« keuchte Erb.

»Schrei nicht in die Luft! Die Luft sagt nichts ... der Erdboden beantwortet uns, wo sie geblieben ist.«

Kaum 200 Meter von der Stelle, wo Erb gehalten und das Mädchen fortgeschickt hatte, war das Gras zertreten, rechts vom Pfade. Jobst bückte sich und schnoberte und schniefte betrübt, als er seine Schlüsse zog. »Sie ist von vier – ja, von vier Negern überfallen, mit einem Tuche geknebelt, mit Lianen – hier liegt noch ein Stück – gefesselt und weggetragen worden. Da haben sie Zweige abgebrochen, die sie über ihre Lanzen legten, um eine Tragbahre herzustellen ...«

»Sie ist verwundet ...?«

»Nee, die schwarzen Brüder sind galant und in die schmucke Person verliebt gewesen und haben das arme Kind ritterlich getragen ... um verdammt schnelle Beine zu machen, weil sie meine Büchse im Gedächtnis behalten haben.«

»Den Schuften nach! Hamias Leute haben sie geraubt.«

»Das mein' ich auch,« murmelte der Alte und machte ein mächtiges Marschtempo. »Hamias Sohn hat uns heimlich verfolgt, hat aus Rache, und um Repressalien zu üben, Fatima entführt.«

»Scheußlich ... schauerlich, satanisch!« stöhnte Erb. »Der Gorilla, vor dem sie ein instinktives Grauen empfand, wird dem unschuldigen Kinde Gewalt ... in seiner tierischen Gier ... entsetzlich ...«

»Wahrscheinlich auch das ... zunächst aber wollte er eine Geisel in der Hand haben ... denn die Schufte kalkulieren, daß das einzige Weibsbild bei unsrer Expedition unser Wertobjekt sein wird. Verflucht! Durch die Drohung, Fatima umzubringen, binden sie uns nach Belieben die Hände ... eine ganz infernalische Zwickmühle!« knurrte der Alte grimmig.

»Ich beschwöre dich, wir müssen das kleine, wackre Ding aus der Hand des Gorilla befreien.«

»Ja, wenn es von Menschen zu machen ist ... ich stand aber im Leben ziemlich oft vor dem Berge Unmöglich, den kein Sterblicher besteigen kann. Dann legt man die Hände demütig zusammen.« Der von hundert Abenteuern gehärtete Mann faltete die knochigen Tatzen.

Die Verfolgung war vergeblich. Die Spur endete im Sumpf und Ried eines Sees, wo zahllose Fußeindrücke waren und eine ganze Wahatruppe die Räuber erwartet hatte. »Ihnen nach!« eiferte der junge Afrikaner. Aber der alte entgegnete: »Es wäre Tollheit, wenn wir zwei uns von zweihundert Waha totschlagen ließen. Zurück zur Safari!«

Die Tropennacht überfiel plötzlich, schwarz und schwer die Wildnis und die Wanderer. Doch die Safari zeigte ihnen durch drei kurz nacheinander gelöste Schüsse die Richtung an. Kein Stern schien. Dunkle Wolken zogen als Vorboten der Regenzeit. Sie fahren oft wochenlang über den Himmel hin, ohne sich zu entleeren; denn die arme, ausgedörrte, verdurstete Erde, die nach einem Tropfen schmachtet und keine Gestalt noch Schöne hat, übt gar keine Anziehungskraft auf die Wolken, die in stolzer Höhe höhnend vorüberziehen.


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