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Fünfter Abschnitt.

Die Safari des Oberleutnants F. zog weiter, um in Tabora zu rasten. Die Löwenjäger gingen, von Simba und den fünf mutigsten Kriegern des Dorfes begleitet, hinaus, um das Terrain und die Wasserstelle in Augenschein zu nehmen.

Der Boy entdeckte zuerst die Spur – »Mister, er spaziert auf drei Beinen, es ist der Hinker« – und kroch keck voran durch das verfilzte Dickicht. Er rief die andren herbei und zeigte auf die noch frischen Fell- und Knochenreste eines Zebra, das der Löwe zerrissen hatte.

»Pfui Spinne,« knurrte Jobst, »nun hat die Katze sich vollgefressen, hält ihre Verdauungssiesta und wird uns in zwanzig Stunden keine Audienz geben.« Seine straff gespannte Haltung wurde nachlässig und die Büchse über die Schulter gehängt.

Da! Ein kreischendes Geschrei, ein Rascheln, Klettern und Krachen, ein Feuerblitz, ein Knall, ein markerschütterndes Gebrüll! Und das alles schneller, als die Zunge es spricht! »Simb–,« heulte der Suaheli, der Simba hieß, der Schreckensruf blieb ihm im Halse stecken, mit Affengeschwindigkeit saß er in einem Leberwurstbaum. Die sämtlichen Neger waren wie weggeblasen.

Erb sah im gelben Grase ein gelbliches Etwas und zwei glühende Lichter. Die Flinte an die Backe und Funken reißend, schoß er mitten zwischen die Lichter, mitten ins Gehirn des Löwen, der mit dem Tod im Haupte fünf Meter durch die Luft flog, aber um zwei kleine Schritte zu kurz sprang und zu Erbs Füßen auf dem Kopfe zu stehen schien. In derselben Zehntelsekunde stand der todwunde Menschenfresser aufrecht auf den Hinterläufen, um den Feind mit Fang und Pranken zu fassen. Des Raubtiers Odem hauchte dem Jäger heiß ins Gesicht, der Geifer bespritzte ihn. Aber seine Hand, sein Herz war fest, sein Büchsenlauf berührte beinahe das Blatt, der Blitz zuckte, die Riesenkatze brach im Feuer zusammen und verreckte. Ihre Pranke hatte nur einen Fetzen aus seinem Rockärmel gerissen.

Jobst, der jetzt erst die Flinte im Anschlag hatte, rief: »Bravo! Das war ein Tellschuß! Nenne mich einen Esel, ich hatte in meinem Dusel nicht daran gedacht, daß zwei Menschenfresser hier ihren Unfug treiben.«

Jetzt hüpfte der Suaheli vom Baume herunter und untersuchte sehr weidmännisch und stolz den erlegten Wüstenkönig. »Ist ein sehr, sehr viel großer Löwenbock, aber alt, denn die Zähne sind schlecht.« – Jedes männliche Tier, auch des Katzengeschlechts, bezeichnete Simba als Bock und jedes weibliche als Kuh, so daß er toternst sogar von Leopardenkühen und -böcken redete.

Dieser maneater, den die Neger noch im Tode scheu und aus der Entfernung betrachteten, war ein mächtiger, aber betagter Bursche mit einem mäßigen und mangelhaften Gebiß, aber die Muskeln und Krallen waren furchtbar, und eine lange Lebenserfahrung hatte den alten »Löwenbock« mit Menschenverachtung erfüllt und zu einer so bösartigen Bestie gemacht.

Jobst klopfte seinem Neffen auf die Schulter. »Du kannst ziemlich schießen und mit der Zeit ein Afrikaner werden. Diese alten Eigenbrötler unter den Löwen sind nämlich die allerschlimmsten Brüder und werden nicht durch Mut, sondern durch Not und Mangel zu Menschenfressern. Im hohen Alter werden ihnen die Glieder steif und rheumatisch, so eine Riesenkatze ist nicht mehr geschmeidig genug, um das flüchtige Wild zu fangen. Der greulichste Hunger quält sie, aus purer Verzweiflung fällt sie über den ersten Menschen her, merkt sofort, die Sache macht gar keine Schwierigkeiten, die bequeme Negerjagd wird ihr Metier und das zarte Menschenfleisch ihr liebster Braten. Die Löwen werden, ähnlich wie die Kongoneger, durch unerträglichen Fleisch- und Heißhunger zu Kannibalen.«

Erb lachte. »Man soll die armen Bestien am Ende noch bedauern.«

»Ja, und möglichst schnell und schmerzlos wegschießen, denn uralte und kranke Löwen finden sonst ein sehr unrühmliches Ende und werden von frechen Hyänen gefressen. Ich sah einmal, wie sechs scheußliche Hyänen über einen siechen Löwen, der kaum kriechen konnte, herfielen ... da klang das Geschmatz der Aasfresser wie ein heiser-höhnisches Lachen ... sonst ist das sogenannte Hyänengelächter meist eine afrikanische Fabel.«

Man streifte die Gegend ab, um den zweiten Simba zu suchen. Alle Mühe schien umsonst, die Sonne stach niederträchtig. Man stellte nur fest, daß der Hinker, der ab und zu die Vorderpranke leicht aufsetzte, an der Tränke gewesen sei, um mit einem tüchtigen Trunke nachzuspülen. Dort war die Spur verloren und keine Rückspur zu entdecken.

Nach einer langen Rast ging die Suche weiter, die Schatten wurden länger, die Moskitos surrten lauter. Jobst brummte in den Bart: »Morgen ist auch ein Tag. Pfeife deinem Burschen, der sich verlaufen hat und vielleicht schon gefressen ist!«

Erb flötete. Da gab Simba, der noch einmal der Schlaue war, durch einen Pfiff das verabredete Zeichen. »Er hat ihn, er hat ihn!«

Vorwärts! Das Schilf und Elefantengras schlug schmerzhaft ins Gesicht und schnitt sogar Wunden. Simba zeigte voll Triumph frische, feuchte Löwenstapfen, die vom Wasser landeinwärts gingen. Der geriebene Kerl war mehr als eine englische Meile im sumpfigen Bache spaziert ... um seine Fährte zu verwischen, oder um seine Pranke zu kühlen? Jetzt war die Pirsch leicht, wurde aber verteufelt schwer, da die Spur in einem niederträchtigen Dorndickicht endete, in dem der Bursche seine Siesta hielt – insofern ein günstiger Umstand, als die Bestie im Verdauungszustande träger und kampfunlustiger ist. Die Neger standen auf dem Sprunge, um beim allergeringsten Geraschel Reißaus zu nehmen, und waren nicht vorwärts zu bringen. »Drei Ziegen, wenn ihr ihn heraustreibt!«

»Nicht für 300 gehen wir hinein,« sagten und zitterten sie.

Simba war tapfrer, kroch auf seinem Bauche einige Klafter, horchte und hielt inne. Die Neger hatten einen Dorfköter bei sich, den er hineinhetzte. Der Hund bellte wütend, heulte jämmerlich und kam mit aufgerissenem Leibe heraus. »Das arme Tier lief fort und lag am Abend tot vor seines Herrn Hütte. Also der Mosjö Menschenfresser war im Lager.

»Es gilt, ihn hochzubringen ... sag du mal, was wir jetzt machen!« Der Alte blinzelte listig, und Erb antwortete schnell und schneidig: »Ich krieche hinein und schieße ihn nieder.«

»Gott sei Dank! Das war mal wieder eine echt europäische Idioterei ... ich fing schon an auf dein Afrikanertum eifersüchtig zu werden von wegen der Löwentrophäe, aber nun bin ich durch deine erbauliche Rede getröstet. Auf dem Bauche und im Dornbusch, wo Kleider, Lauf und Hahn alle Naslang festhängen, hat keiner einen sichren Schuß.«

Jobst ließ ein Feuer anmachen und gab den feigen Treibern hellbrennende Brände in die Hand. Mit der Waffe wehrt man den ärgsten Menschenfresser ab, vor Feuer haben die Raubtiere eine instinktive und große Furcht.

Hüben und drüben an einem Mimosenbaum standen die zwei Schützen, den Doppellauf schußbereit, die Elefantenbüchse als Reserve an den Stamm gelehnt. Die Treiber kesselten das Dickicht von drei Seiten ein und drangen äußerst behutsam, und ganz graublaß im schwarzen Gesicht, schreiend und schimpfend – »Simba, du feiger Hund, du Stinkhyäne, heraus!« –, um ihr Grauen durch Geschrei zu betäuben, Schritt um Schritt vor. Doch der erfahrene Löwe erkannte die Gefahr und blieb liegen.

Die Sonne war am Untergehen, plötzlich brach die Nacht herein, die der schlaue Bursche zum Entwischen benutzen wollte. Jobst und Erb verloren vor Ungeduld die absolute Ruhe, fluchten und feuerten an: »Ihr Feiglinge, kitzelt ihm den Schwanz mit den Feuerbränden!«

Das taten die Leute wohlweislich nicht, doch sie schleuderten glühende Brände hoch durch die Luft. Zufällig versengte ein Brand dem Tier die Rute. Das war ihm zu viel. Mit einem Wutgebrüll, daß sogar der junge Deutsche nervös zuckte, sprang der Löwe über einen Treiber, dem der Rücken gekratzt wurde, und der halbtot vor Angst liegen blieb, mit einem Satz hinweg. Der Menschenfresser hinkte in der Kampfhitze nicht. In drei mächtigen, fluggleichen Fluchten war er aus dem Gebüsch und griff den eigentlichen Feind, die Flinte, an. Jobst zielte kaltblütig nach dem Blatt – die Blattschüsse hatten ihn berühmt gemacht –, leider aber fielen die gelben, grellen Strahlen der untergehenden Sonne ihm blendend ins Gesicht. Sollte der boshafte Zufall der Laufbahn des alten Pfadfinders, der zwanzigmal dem Tode entronnen war, ein Ende bereiten? Es hatte ganz und grausig den Anschein, es war ein bluterstarrender Augen- und Anblick.

Die Kugel ging einen Zoll am Herzen vorbei. Der Löwe sprang vier Meter, riß den stämmigen Jobst, ehe dieser den zweiten Lauf abdrücken konnte, wie ein Zweijahrskind um, stand auf dem Besiegten und schlug die Krallen ins Fleisch. O welche Geistesgegenwart! In dieser Lage schrie der Liegende die Anweisung: »Ruhig zielen auf Blatt oder Gehirn!«

Erb war kreideweiß, seine Hand flog. Er verfluchte seine Schwäche und rief: »Mein Gott!« Da waren Hand und Auge fest, der Blitz fuhr und traf genau das Gehirn. Die Bestie schwankte. Aber die unheimlich zählebige Katze war nicht tot, ließ von Jobst ab und nahm den neuen Gegner an. Alle Neger waren sofort im Anfang, gleich wie wenn man Daunen in der Hand hält und darüber hinpustet, verschwunden. Der Blut geifernde Löwe lief – das Springen war ihm vergangen –, die zweite Kugel schlug ihm durch die Brust – trotz der drei Todeswunden kroch er weiter, um sterbend den Feind zu zerfleischen. Dicht vor dem Jäger, der die Elefantenbüchse raffte und hochriß, richtete er sich zum furchtbaren Prankenhieb auf die Hinterläufe. O, der Schlaue schlug den Lauf mit der Tatze herunter – die Kugel flog am Lauscher vorbei – und zerbrach das Stahlrohr, wie einen Schilfstengel. Der junge Deutsche glaubte sein Stündlein gekommen. Aber zu seinem Heile zermalmte der sinnlose Löwe den Gewehrlauf, und die linke, kranke Pranke war zu schwach, um den abwehrenden Arm sehr tief zu treffen. Erb wurde in der Not ein tüchtiger Linkshänder, riß mit der Linken das Bowiemesser aus dem Gürtel und stach es bis zum Heft in das funkelnde Auge der Bestie. Das war der viermal tödlich getroffenen doch zu viel, sie verreckte auf der Stelle, die lange Zunge lag auf dem Stiefel, und das Löwenblut überspritzte die Hose des Löwentöters.

Er eilte zum Oheim hin, der die Hand in den Grund stemmte, sich befühlte, ob die Knochen noch heil seien, und ärgerlich sich kraute, als wenn er sich schäme, dann aber erschrocken den Blutbespritzten anglotzte.

Erb sagte: »Wir hauen Zweige ab und tragen dich ins Dorf.«

»Das kannst du wohl nötiger brauchen als ich. Menschenkind, wie siehst du aus ... leg dich schnell hin, damit ich dich verbinde ... du verblutest ja. Mir fehlt nichts ... ein paar Risse an meinem Rücken und meinem Kilimandjaro ... das und der Purzelbaum schmerzt mich am meisten. Bist ein braver Kerl und hast den alten Bana Bunduki sozusagen gerettet. Himmel! Daß mir das passieren mußte! Ein Löwe spielt Fangball mit mir, und – was noch schrecklicher ist – von einem Grünhorn muß ich mich herausreißen lassen. O meine Reputation und aller Respekt des Neffen geht jetzt zum Teufel! Leg dich hin ... o der Bengel hört schon auf zu gehorchen.«

»Das ist ja nicht mein, sondern des Löwen Blut.« Er erzählte, der Alte klopfte ihm auf den Rücken und streichelte gerührt seinen Arm.

Jobst hatte vier tüchtige Fleischwunden, die er nicht achtete, seufzte aber: »Mein Ruf ist hin, denn nun heißt es in ganz Afrika – du weißt nicht, wie hier »Stories« und Geschichten gehen –, nun heißt es: Ein Löwe hat dem großen Bunduki den Kilimandjaro versohlt.«

Der erlegte Simba war ein mächtiges, ja majestätisches Tier mit einem abgenutzten Gebiß, aber einer unheimlichen Lebenskraft. Ein Leu, der auf den Königstitel Anspruch erheben durfte!

Simbalimpi war von seiner Geißel befreit. Die Kadaver wurden unter Triumphgeschrei und Trommelschlag nach dem Dorfe geschleift. Männer, Weiber und Kinder strömten herbei, und die Beherzten betasteten mit Vorsicht den Schwanzwedel. Fatima geriet in eine förmliche Ekstase. In ihren schwarzen Augen funkelte ein grausamer Haß, mit einem gellenden Gelächter weidete sie sich an dem Anblick der toten Löwen, sie sang und schalt: »Meine Mutter ist gerächt, meines Bruders Tod vergolten! Ihr Hunde, ihr feigen Kindsmörder und Frauenfresser! Räudige Hyänen, Stinkschakale seid ihr, ein Futter der Aasvögel. Nun beißt doch mit den Zähnen, ihr bösen Teufel!« Das leidenschaftliche Mädchen zupfte höhnisch an den Barthaaren und riß die lange Zunge noch weiter heraus. Ohne Scheu stampfte sie auf den Leibern herum, Fatima triumphierte und tanzte auf den Kadavern.

Das war dem gesitteten Deutschen zuwider, er winkte ihr. »Genug! Wehe dem, der dein Feind ist!«

»Ja, aber dreimal wohl dem, der mein Freund ist und mein Vertrauen hat! Ich würde für ihn dürsten und hungern, durch Wasser schwimmen und durch Feuer schreiten. Sag an, wer hat die Menschenfresser besiegt?« Die letzten Worte waren an Jobst gerichtet; dieser zeigte stolz auf seinen Neffen. »Er ist der Held.«

Das Mädchen warf sich in wilder Dankbarkeit zu Erbs Füßen hin, umklammerte seine Knie und küßte stürmisch seine Hände, seine Kleidung, ja seine Schuhe. »Hoher Herr, ich bin arm und habe nichts dir zum Lohne zu geben als mich selbst. Fatima gibt sich dir... Fatima ist deine Dienerin, deine Magd, die dein Gewand wäscht, dein Essen kocht, deine Last trägt, sie ist deine Sklavin, die von deinen Wimpern deine Wünsche liest, ja deine Hündin, die dir folgt und vor deiner Zelttür wacht. Du bist fortan mein Bana und Gebieter, mache mit mir, was du willst!«

Der Deutsche dachte: Ein Glück, daß die wilden, wechselnden Affekte einer heißblütigen Orientalin rasch kommen und noch rascher gehen. Darum lächelte er gutmütig: »Morgen werden wir nüchterner danken und denken, mein Kind.«

Sie wiederholte nur sehr bescheiden, aber sehr bestimmt: »Du bist mein hoher Herr, ich bin und bleibe deine geringe Magd.«

Der Onkel schielte um die Ecke und fing mit seinen Sarkasmen an. »Du hast viel Glück, mein Sohn, in der Löwenjagd und der Liebe. Für einen neugeborenen Afrikaner ein netter Anfang! Jetzt hast du eine schmucke Magd, eine schnelle Dienerin, vielleicht sogar die Grundlage zu einem kleinen, niedlichen Harem... was willst du mehr?«

Jobst selbst hatte keine Beschwerden und nur die Belästigung, daß er auf seinem Naturpolster nicht liegen konnte. Der Neffe dagegen wurde nachts von einem mäßigen Wundfieber befallen und kroch am Morgen blaß und matt aus dem Moskitonetz heraus. Sein erster Blick fiel auf Fatima, die vor der Zelttür hockte und dort die ganze Nacht gekauert hatte.

Für einen Samariter hatte der Onkel eine etwas rauhe Tatze. Fatima hingegen schlüpfte ins Zelt, hatte eine weiche Hand und geräuschlose Art, kauerte am Kopfende, verjagte mit einem Palmenwedel jede Fliege und erriet jeden Wunsch. Obgleich geschwätzig, wie alle Töchter Afrikas, gab sie nur auf Fragen Antwort, bloß einmal erklärte sie ihm: »Du hast nun gesehen, daß du ohne deine Dienerin nicht sein kannst.«

Das Dorf brachte als Dankgeschenke Pombe, Eier, Ziegen, Hirse in großer Menge. Und da behauptet man, daß der Neger den Begriff, ja das Wort Dankbarkeit gar nicht kennt!

Am dritten Tage marschierten die Jäger. Simba trug stolz, als wenn er der Löwentöter sei, die Löwenfelle und alle Büchsen und Patronentaschen bis auf die Flinte, die vom echten Afrikaner unzertrennlich und sein Alterego ist. Fatima hatte ein Bündel mit ihren paar Armseligkeiten – Kamm und Negerzahnbürste, ein weiches Stück Holz zum Reiben und Polieren des blendenden Gebisses, fehlten nicht – gepackt und war reisefertig.

Erb redete freundlich-wehmütig und ernst-verständig auf sie ein. »Es geht mir ans Herz, daß ich dich betrüben muß, aber du kannst nicht mit uns gehen, wir marschieren hundert Tagereisen weiter als zum Tanganjika, du würdest ermüden, erkranken, sterben.«

»Ich marschiere zweihundert Tagereisen, ohne müde zu werden.«

»Wir sind lauter Männer und dürfen kein Weib in unsrem Zelte dulden.«

»O, Fatima schläft unter Baum und Strauch, auf Gras und ohne Zelt.«

»Nein, nein, ich darf dich nicht bei mir haben nach unsren Christensitten.«

Die Beharrliche wußte einen Rat und Ausweg. »Ich werde eine Christin und lasse mich mit Wasser begießen.«

»Kurz und gut und unwiderruflich, ich kann und darf und will dich nicht mitnehmen, du sollst nicht auf der wilden Safari verkommen und verderben.«

Wie erschrocken und flehend sie ihn ansah! »Ich kann und darf nicht hier bleiben, denn ich bin deine Sklavin und du mein Herr, dem ich folgen und gehorchen muß.«

Erb machte sein Gemüt hart und sein Gesicht finster. »Gut, ich bin dein Herr, und du gehorchst mir unbedingt?«

»Ja, ja, Bana Simba!« Ihr Ohr glaubte eine Erhörung zu vernehmen, und es kam anders, hart und herrisch aus seinem Munde. »Als dein Herr befehle ich dir, hier zu bleiben, und du hast zu gehorchen ... lebe wohl und habe Dank!«

Ihm war nicht wohl, und ein schreiendes Weh ergriff ihr kindliches Herz. Fatima kauerte mit ihrem Reisebündel unter einer Bananenstaude und weinte und schluchzte. Er kehrte sich ab und konnte nicht dahin sehen, um nicht weich und wankelmütig zu werden und seinen Befehl zu widerrufen.

Fatima weinte sich die Augen aus, während das ganze Dorf zu Ehren der Weißen tanzte und trommelte. Die alten Weiber mit den Hängebäuchen watschelten in grotesken Tritten, die Greise, die kaum humpeln konnten, hopsten und machten lächerliche Beinverrenkungen, die schwarzen Bälge, die noch taumelten, tanzten possierlich und purzelten, sogar der Säugling hüpfte im Arm der Mutter und sang sein Ba–ba–ba. Das tanzende Dorf gab den Löwentötern eine Meile weit das Geleit, sang neue Lieder, die der schwarze Dorfpoet in Pombebegeisterung gedichtet hatte, Lieder von dem alten Bana Bunduki und dem jungen Bana Simba und nahm tiefgerührten Abschied.

Erbenheim hat bei den Negern den Ehrennamen »Herr Löwe« behalten.

Hinter dem lärmenden Haufen schlich sich die weinende, tieftraurige Fatima.

Die Deutschen machten einen forcierten Marsch, um noch zwei Rasttage in Tabora zu gewinnen. Der Boy, auf dessen Haut Tropfen glänzten, seufzte: »Heiß, sehr groß heiß.« Das war sein Superlativ.

Sein Herr äußerte eine Schadenfreude. »Das ist dir und deiner Trägheit gut. Ich muß einen Eimer meines edlen Schweißes von mir geben, während der Bengel keine Tasse voll vergießt.«

»Nimm dir lieber an dem Bengel, der wenig trinkt und darum wenig transpiriert, ein Beispiel,« bemerkte der Oheim trocken. »Genug für heute! Wir haben dreißig Kilometer gemacht.«

»Wie du ohne Karte und Sextant die zurückgelegte Strecke feststellst, ist mir rätselhaft.«

Ein Schmunzeln. »Sehr einfach mit Uhr und Kompaß! Bei Beginn des Marsches peile ich mit Hilfe meines mit Gradeinteilung versehenen Kompasses die Richtung des Weges an, indem ich die Nadel auf N einspielen lasse, dann lese ich auf der Gradeinteilung ab, um wie viele Grade die Wegrichtung von der NS-Linie abweicht. Die Anzahl der Grade und die genaue Zeit schreibe ich mir auf, und das wiederhole ich alle zehn Minuten, was freilich recht mühsam-langweilig ist. Die Kardinaltugend Afrikas heißt eben Geduld, Geduld und nochmal Geduld. Meine Messung ist natürlich eine recht rohe, weil man aber bald zu viel, bald zu wenig mißt, gleichen sich die Fehler von selber aus, und diese Art der Aufnahme genügt für achtzig Kilometer. Dann muß allerdings eine Korrektur durch astronomische Beobachtung eintreten.«

Der Neuling hatte begriffen und sein Wissen bereichert. »Ein Mann hierzulande muß von allem etwas, muß Jäger, Soldat, Bauer, Architekt, Arzt, Ingenieur, Richter, Landmesser und Astronom sein.«

»In Afrika ist der Daseinskampf und die natürliche Zuchtwahl intensiver als anderswo ... was nicht taugt, geht zugrunde. Wenn Anophelesmücken d. h. Mückinnen – es sind immer die verdammten Weibsen –, Giftpfeile, Chinin, Löwen und Krokodile dich nicht vorzeitig umbringen, wirst du mich bald belehren. Du bist mir nur zu kühn ... allzu kluge Kinder werden selten alt. Bravour, mein Sohn, taugt nichts den Bestien und Negern gegenüber.«

Die Feuer lohten, der ewige Reis mit Hühner- oder Ziegenfleisch war verzehrt. Urplötzlich nach dem grandiosen Abschied der Sonne, die in königlichem Purpur ihre ganze Schöne, Glut und Größe noch einmal zeigte, war es dunkel geworden. Glühkäfer flogen, in der Stille klang das tausendstimmige Gezirpe der Zikaden. In der Weite brüllte ein Löwe, die Träger zuckten und schürten das Feuer, Hyänen heulten im nahen Busch vor Hunger ihr Tu–tu, seltsame Schreie unsichtbarer Nachtvögel ertönten. Am Firmament strahlten die Sterne, die ganz anders über Afrikas Gefilden glitzern und funkeln. Wunderbar ist die laue Tropennacht, wenn auch die hellen deutschen Mittsommernächte viel zarter, trauter und traumhafter sind.

»Sprich nicht von deutschen Sommernächten!« murmelte der Alte, »ich floh vor den Nächten, vor einer hellen Nacht.« In düstere Grübeleien versank er.

Erb hatte auch unfrohe Gedanken, hatte seit Wochen sich Gewalt angetan und nicht an die Heimat gedacht, die ihm die Brandmarke aufgedrückt hatte, er wollte die Heimat hassen und mußte sie lieben und Heimweh leiden. Eine Sehnsucht nach der Mutter und Ella Ritterhus beschlich ihn. Nein, fort mit aller Sentimentalität! Die Heimat ist die Schande, Schurkerei und Treulosigkeit, alle Brücken sollen abgebrochen, alle Bänder zerrissen sein, meine Zukunft und mein Grab ist Afrika.

Den Oheim hatte er noch nie in solcher Stimmung und Geistesabwesenheit gesehen, ohne rechte Überlegung berührte er den Arm des Tiefsinnigen. »Warum magst du nicht die hellen Nächte?«

Jobst fuhr empor, fuhr jenen an und antwortete, den Spieß umkehrend, mit der Frage: »Warum ...? Warum bist du nach Afrika gegangen?«

Das war die bisher so rücksichtsvoll unterlassene Frage. Erb wischte die Stirn und schwieg. Die stumme Minute war ihm wie eine Stunde.

Der andere gab sich selbst die Antwort und seinem Neffen höchst unerwartete Aufschlüsse. »Ich will es dir sagen, ich weiß es längst ... die ungeheuer sensationelle Geschichte, daß der Sohn eines adligen Landgerichtsrats, um Spielschulden zu decken, einen gefundenen oder ihm nicht gehörenden Ring versetzte ... das stand sogar in der ostafrikanischen Zeitung ... und eben darum schrieb ich deiner Mutter und ließ dich kommen. Für unsresgleichen ist in dem hochehrbaren Deutschland kein Raum, aber hier ist Ellenbogenfreiheit, uns ein weiteres und weitherzigeres Neudeutschland zu schaffen ... die Geschichte ist begraben, Gras drüber!« Wie viel Zartgefühl und Edelmut besaß dieser Mann!

Dennoch rang der Neffe nach Worten: »Und du ... du glaubst, daß ich ein Brillantdieb gewesen und nach Verdienst und Würdigkeit bestraft bin?«

Jener umspannte mit herzlichem Druck Erbs Hand. »Ich sage: Wenn du schuldlos bist, so sollst du stolz dem hundsgemeinen, tückischen, schuftigen Schicksal Trotz bieten und im erhabenen Gefühl deiner Unschuld die menschlichen Kläffer verachten ... wenn du aber in einer verrückten Stunde zu sehr Mensch gewesen bist, gleichwie ich und viele andre anständige Subjekte, die von irgendeinem der tausend deutschen Paragraphen am Kragen gepackt werden sollten, aber sich nicht fassen ließen, so bist du erst recht mein Mann, mein Kamerad und Kampfgenoß, denn ich habe auch eine bitterböse, ja blutige Kerbe auf dem Kerbholz. Hand her, mein Freund! Es sind sehr wenige unter dem zweibeinigen Gelichter, die ich Freund nannte und nenne ... Ben Hamid und Musa waren zwei Treue ... und du bist mein letzter und liebster Freund. Wir sind ehrlicher als die heimlichen, hochangesehenen Spitzbuben und die braven, beschränkten Spießer daheim, die über solche Subjekte, wie wir, eine zolldicke Gänsehaut kriegen und mit ihrem Gottseidank gen Himmel schielen. Der Herrgott möchte den Kerlen am liebsten auf den Kopf spucken und ärgert sich gründlich, daß er eine solche Kanaille geschaffen hat.«

Erb erzählte in raschen, erregten Sätzen, wie er durch einen bildschönen, lückenlosen Indizienbeweis – so hatte ein Jurist gesagt – erdrosselt worden sei, und schloß mit einem schrillen Lachen: »Also ist es mir von der Strafkammer auf den Leib gebrannt worden, daß ich ein Dieb bin. Glaubst du den unfehlbaren Richtern, oder glaubst du an meine Unschuld? Glaubst du mir?«

»Ich traue jedem Menschen Gutes zu, solange bis er mir das Gegenteil beweist ... wenn er mich einmal belogen hat, bin ich aber eklig mißtrauisch. Ich habe noch keine Falschheit und Lüge an dir gefunden, darum traue ich dir und deinem Wort. Es gibt hier Leute, die für eine Flasche Whisky drei Meineide schwören, in Deutschland sind sie nicht ganz so wohlfeil.«

Der Neffe preßte die hornharte Hand. »Ich danke dir!« Eine sehr nahe liegende Frage entschlüpfte ihm: »Du hast auch vor dreißig Jahren die Heimat verlassen – müssen?«

»Ja, ich mußte mich aus dem Staube machen, um nicht eingesteckt zu werden ... o, ich hatte von der Knabenzeit her einen Busenfreund ... und sein Blut ...« Er wurde von der Erinnerung, wie von einem Fieberanfall, geschüttelt. »Ein andres Mal ... später ...«

Um den Verstörten abzulenken, bat Erb: »Gib mir einen kurzen astronomischen Unterricht, damit ich in dem Stand der Himmelslichter Stunde und Himmelsrichtung richtig lesen kann! Das Kreuz des Südens kenne ich; das berühmte Kreuz, davon man übertriebene Vorstellungen in Europa hat, hat mich enttäuscht ... das Sternbild imponiert mir nicht.«

»Es würde dir gewaltig imponieren, wenn es dir, wie mir, den Weg gewiesen hätte. Ich irrte zwei Tage und zwei Nächte bei bewölktem Himmel, unter Gewittergüssen, von Löwen umbrüllt, von wütenden Wahehe umlauert, nach dem entsetzlichen Untergang der Zelewskiexpedition durch die Wildnis ... als da das Kreuz des Südens durchbrach und dem Verwundeten, Verhungerten Weg wies, habe ich das Sternbild angebetet. Verachte nicht das Kreuz! Tausend Verirrten war es der Retter. Beachte stets, daß die Sonne im Norden, das Kreuz im Süden steht, und außerdem die folgenden Sterne, dann kannst du stets dich zurecht- und weiße Menschen finden!«

Simba bereitete das Lager und spannte die Moskitonetze. Alles schlief, am Feuer lagen drei ... vier Menschenbündel.

Der Morgen – es war kurz nach fünf Uhr – brachte zwei Überraschungen. Als Erb herauskroch, erhob sich eine vor der Zelttür kauernde Gestalt, schlug das über den Kopf geschlagene Gewand zurück – und Fatima schaute furchtsam flehend, aber auch kindlich-treuherzig ihn an. »Ich bin ja deine Sklavin und du mein Gebieter. Ein Gelübde machte ich, unsre Götzenbilder und alle Geister, auch Allah und den Kreuzesgott, um keinen zu vergessen, rief ich als Zeugen ... wenn du die Löwen töten würdest, dir zu dienen, für dich zu leben und zu sterben ... und ein Gelübde muß man halten. Auch schwor ich: Wenn ich mein Wort nicht halte, sollen die Simbas mich verschlingen! Ach, sollen die Löwen Fatima fressen?«

Des Naturkindes leidenschaftliche Bitte und Beharrlichkeit hätten ein härteres Herz gerührt. Barsch befehlen konnte er nicht, aber er bat: »Sei vernünftig und kehre nach deinem Dorfe zurück! Ich darf dich nicht behalten, wir marschieren tausend Meilen in fremde Länder, wo Kannibalen hausen und die Fliegen wie giftige Schlangen sind ... du würdest sterben.«

»Hoher Herr, ich bin deine geringe Magd.«

»Gehe zurück zu deiner Sippe!«

»Nein ... wenn du mich mit Schlägen und Steinwürfen, wie ein armes, allzu anhängliches Hündlein, zurückjagst, würde ich doch aus der Ferne dir folgen und morgens vor deinem Zelte liegen, bis du mich erhörst und dein Hündlein um dich duldest.«

Jobst wurde weichherzig und polterte: »Du bist ja ein wahrer Unmensch, das arme Ding nach Simbalimpi zurückzujagen, damit die Raubtiere sie fressen ... nun müssen wir sie bis Tabora mitnehmen.«

Fatima hatte gewonnen und blieb bei den Pfadfindern.

Ein gewaltiges Hallo erhob sich. Die Kochkiste war verschwunden und gestohlen.

»Hast du sie geklaut und ausgeräumt, du Hungerleiderin?« fuhren die Träger das Mädchen an, um nicht selbst in Verdacht zu kommen.

Simba deutete lachend auf die Spur des Diebes – eine Hyäne hatte die Kiste verschleppt. Man fand sie im Busche, aber alle Geräte, Messer, Gabeln, Zinnteller, Kasserollen waren verstreut, und die Ziegenkeule fehlte.

Der Tag brachte wieder einen Gewaltmarsch und eine grauenhafte Hitze. Erb zog oft die Uhr, deren Zeiger nicht rückte, und das Thermometer, dessen Säule beständig und bis 42 Grad stieg, hervor. Der schmächtige Boy schielte nach dem Wärmemesser – »Ist das dein Fetisch?« – noch öfter aber nach Fatima, die leichtfüßig tänzelte und ihr Bündel in der Hand hielt, hinüber. Sie war überglücklich und erregte seltsamerweise doch sein Mitleid. Der recht faule Bursche schielte und sagte galant: »Kleine, laß mich dein Bündel tragen, es ist dir zu schwer!« Lachend hängte sie es ihm über den einen Gewehrlauf, lustig-neckisch nannte sie ihn ihren braven Esel. Gutmütig grinsend, ließ er sich von dem schönen Kinde alles gefallen, in seiner Negerbrust regten sich die ersten erotischen Gefühle. –

Die Nachzügler der deutschen Safari schritten auf dem viel begangenen Pfade rüstig aus, die vielen eingezäunten Felder waren die Anzeichen der Stadtnähe. Plötzlich klatschte Fatima in die Hände, und alle riefen: Tabora, Tabora! Unten in einer Bodensenkung lag die ausgedehnte Stadt, die große Handels- und Karawanenzentrale im Herzen Ostafrikas. Alle waren entzückt, weil des ungeheuren Weges erste Etappe erreicht war, weil die Stadt mit ihren lang entbehrten Genüssen, mit Bad und Bartscher, mit Seife und Schüssel, mit Bett und Bier dem verschmutzten Kulturmenschen winkte. Die schreienden Träger träumten von Pombe und Pombeweibern. Wie alle Städte Afrikas und des Orients ist Tabora in der Ferne ein Paradies und hält in der Nähe nicht, was es verspricht; in seinen Gassen muß man oft bedenklich blicken und auch die Nase sich zuhalten. Dennoch ist Tabora die Gepriesene, Ersehnte, die Hunderte von Weißen, abertausende todmüde Neger mit Jubel begrüßten. Die massige Boma dräut mit Zinnen und Scharten sehr imposant, kann und soll Eindruck machen, die Stadt selbst besteht aus vielen Haufen von Gehöften, Strohhütten, Fachwerkbauten, daran sich Gärten und Felder anschließen. Die buntfarbige Bevölkerung fluktuiert beständig, alle Völker und Stämme Ostafrikas sind hier vertreten; schwarzes Gesindel und gelbe Galgengesichter fehlen nicht. Der spitzbübische Inder findet ein Feld für seine unheilvolle Handelstätigkeit, der stolze Araber, der unter gravitätischen Allüren seine Leidenschaften und Laster verbirgt, spricht von der alten, guten, goldenen Zeit des Sklavenhandels und der schönen Menschenjagden und verwünscht die deutsche Gesittung und die deutschen Gesetze, die solchen Scheußlichkeiten ein Ende machten.

Als Jobst und Erb anlangten, war der Oberleutnant F., der gemessene, wortkarge Mann, war die ganze Stadt in Aufregung. In letzter Zeit waren nämlich Karawanen im Westen überfallen worden. Von drei Trägerkolonnen waren nur dreiunddreißig Mann dem Gemetzel entronnen und an zweihundert Träger mit ihrer wertvollen Last getötet oder in der Gewalt der Waharäuber. Dieser Tag brachte noch eine Hiobsbotschaft. Zwei arabische Händler waren in einem Engpaß Uhas mit Hinterladern beschossen und mit fast allen ihren Leuten niedergemacht worden.

Der Oberleutnant äußerte sich: »Den Arabern, die den Waffenschmuggel treiben und Hinterlader verkaufen, gönne ich es von Herzen, daß sie die Kugeln, die sie gossen, im eignen Leibe haben. Aber haben die Waha rebelliert, oder hat sich nur eine freche Raubbande zusammengetan? Was meinen Sie, Mister Renner?«

»Es wird eine Räuberbande sein, die von einem Häuptling der Waha gegen Gewinnbeteiligung und Prozente insgeheim bewaffnet und protegiert wird. Die Banditen kommen uns wie gerufen, jetzt wo wir nur einen kleinen Umweg zu machen brauchen. Eine prächtige Gelegenheit, um mit Ihren Askaris eine gefechtsmäßige Übung und die Feuerprobe zu machen! Das ist meine Meinung.«

»Und just die Laus, die mir über die Leber läuft ... ja, das ist die Autorität und Macht eines Oberleutnants, bei dem man, wie die Instruktion so schön besagt, Initiative und selbständiges Handeln voraussetzt, aber beileibe nicht duldet; der vielmehr erst bei der vorgeordneten, höheren Instanz vorfragen muß, ob er mal – austreten darf. Ich müßte eigentlich die Order des Hauptmanns, ob wir den Räubern unsre Aufwartung machen sollen, ganz gehorsamst und ganz geduldigst abwarten – aber ich will es zum Teufel nicht tun, sondern auf eigne Faust handeln.« –

Nach dem Gerede in Tabora sollten zuerst fünfhundert und schließlich zweitausend Träger am Malagarassi erschlagen sein. Mehrere Träger der deutschen Safari verdufteten, andere kamen leichenblaß und meldeten sich krank. Renner erhielt den Auftrag, neue Leute, die womöglich ein Gewehr zu handhaben wüßten, anzuwerben. Er ging mit Erb nach dem Bazar und Markt. In einer Bretterbude war die Schenk- und Schmutzwirtschaft eines Mestizen. Der alte Pfadfinder schielte nach der Giftbude. »Hm, hm, ich habe Durst und nehme ein Glas ... aber du trinkst ja keinen Alkohol in den Tropen.«

Der Neffe schrie ein scharfes Nein.

Der alte Schalk bestellte – zwei Sodawasser.

»Mit,« sagte der mundfaule Mestize, der die Germanen kannte und die Kognakflasche nahm.

»Nein, ohne!« brüllte Jobst, »hältst du mich für einen Säufer? Du Mischling und Giftmischer!«

Der junge Herr schlürfte befriedigt, balancierte auf einem wackligen Stuhl und betrachtete das Marktgetriebe. Jählings emporhüpfend, stampfte und trampelte er einen wilden Schuhplattler, um ein Tier aus seinen Büxen herauszuschütteln. Es gelang ihm nicht. Der Tyroler wurde zum förmlichen Indianertanz und Indianergeheul: »O, o, o! Eine Schlange beißt mich, eine Schlange ist mir ins Hosenbein gekrochen und hat sich festgebissen!«

Hundert Neger scharten sich mit Gaudium und Gegrinse um den unglücklichen Tänzer, der leichenblaß die Giftschlange an seinem Beine fühlte und sich für verloren hielt. Die boshaften Zuschauer – zweihundert waren es geworden – wieherten und hielten sich den Bauch.

Der Schuhplattler sank kraftlos auf den wackligen Stuhl und stammelte: »Gib mir Alkohol, viel Alkohol! Ich muß eine ganze Flasche trinken, um die Giftwirkung aufzuheben.«

»Was? Du trinkst ja keinen Alkohol in den Tropen, und Schlangen beißen sich nicht fest, mein Sohn,« sagte Jobst sehr ruhig und zog dem Ärmsten vor allen Leuten die Büxen mit einem Ruck herunter.

»Oha, oha, ohahaha!« Das hundertstimmige Oha hörte nicht wieder auf. Ein Hundertfuß war ihm von unten ins Hosenbein gekrochen und hatte seine Zähne und Zangen ins Fleisch geschlagen. Das tut schauderhaft weh, ist aber unlebensgefährlich. Der benaute Bana Simba saß mit unbekleideten Beinen vor zweihundert lachenden Zuschauern und ließ sich von dem infamen Hundertfuß erlösen. Aber noch einmal fing er zu schuhplatteln, wild und wütend zu trampeln an, um den Satan mit dem Stiefel zu Mus zu zerquetschen. Der junge Afrikaner hörte noch lange das brüllende Oha–oha, mußte noch oft vom Onkel ekelhafte Witze und seinen eigenen Notschrei: »Ich muß Alkohol, einen ganzen Liter Alkohol trinken,« in boshaft naturgetreuer Nachahmung hören. –

Jobst wandte seine Überredungskünste an, um Träger zu dingen, erhielt aber meistens die achselzuckende Antwort: »Was nützen uns deine Rupien, wenn wir in Uha totgeschlagen sind?«

Er lachte. »Alles wird deiner Frau nach deinem Tode ausgezahlt.«

»So mag sie mit dir gehen und für sich selber sterben,« sagte der zärtliche Gatte.

Die wildesten Gerüchte wurden geglaubt, die Angst steckte an und erzeugte eine Art von Panik. Aber Jobst mußte Leute haben und griff, zwar ungern, zu dem alten Mittel, einem Glase Niggertod. »Im Alkohol sitzen die angstfressenden Bazillen und die furchttötenden Bakterien,« behauptete er, »ohne Alkohol ist kaum ein Sieg erfochten worden.«

Das angstfressende Mittel bewährte sich auf dem Markt von Tabora. Die Wanjamwesi wurden nach einem Glase sehr viel mutiger und sagten als Fatalisten: »Es ist ein Befehl Gottes, daß wir mit dir gehen, sterben wir, so sterben wir.«

Tausende von Trägern haben von den Zeiten des harten Stanley bis auf den heutigen Tag ihr Leben gelassen. Einen langen Vortrag über die gräßlichen Gefahren einer solchen Reise hielt Erb der anhänglichen Fatima, ausführlich die vielen Schrecknisse und Todesarten schildernd. Lächelnd antwortete das junge, braune Kind: »Es ist Allahs Befehl, daß ich mit dir gehe, mit dir lebe und mit dir sterbe.«


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