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Dritter Abschnitt.

Am 2. Juni fuhr das Schiff der Ostafrikalinie die Elbe hinunter. In seinem Sommerkleid, in seiner vollen Schönheit prangte das herrliche, holsteinische Ufer, dessen Höhenzüge mit Villen, Gärten und Parks besäet sind. Hier hatte Fräulein Vermehren eine Sommerresidenz. Erb blickte unverwandt durch das Glas nach einem Garten mit Terrassen. Das Haus war aus seinem Winterschlafe erwacht, durch die offnen Fenster flutete die Sonne. Dort unter dem japanischen Schirm saßen zwei Damen. Die weißgekleidete, zarte Gestalt, die eine Zeitung hielt, mußte Ella sein. Aus dem Stuhle zwischen den Damen lag eine Handarbeit – nein – ein Hündchen, der verhätschelte Ami, – ein Irrtum war ausgeschlossen.

Erb schaute mit aller Anspannung seiner Sehkraft, mit Herzklopfen durch das Glas. O, das schien kein blühendes, von roten und weißen Rosen überhauchtes Antlitz, sondern ein schmales, blasses, von Krankheit oder Kummer verfärbtes Gesicht zu sein. Zu schnell glitt das Schiff vorbei, um ein klares Bild und Gewißheit zu gewinnen. Hatte Ella schwere Leiden durchgemacht, war sie krank gewesen? Hatte sie darum geschwiegen, weil das Schrecknis sie niederschmetterte? Jetzt erst, wo es zu spät war, schoß ihm diese Möglichkeit so heftig durch das Gehirn, daß er sich den Kopf hielt und seinen Geist zermarterte. Nein, sie hätte schreiben, reden, schreien können, denn keine Ohnmacht oder Krankheit, kein Schreck und Chok währt Monate, wie seine Haft.

Die Ufer wurden reizloser. Die Eßglocke, die man auf deutschen Schiffen meist »Dinnerbell« benamst, dröhnte. Bei Tisch hatte der Wortkarge einen gesprächigen Nachbar, der viel schwatzte und ein wenig schmatzte und nach dem letzten Gang fragte: »Finden Sie nicht, daß das Essen für die zwete Kajüde gud ist?«

Erbenheim, um den guten Deutschen, der an Bord mit englischen Brocken um sich wirft, zu markieren, brummte: » I do not know.« Er wußte in Wahrheit nicht, ob es Kalb- oder Karnickelfleisch gewesen.

Er konnte in seiner Haltung und seinem ganzen Habitus den einstigen Offizier nicht verleugnen. Die meisten Passagiere achteten seine Reserve, sprachen viel von ihm, aber nicht mit ihm. Nur der Redselige stand neben ihm und erzählte, daß er aus »Dräsden« sei und in »Kaddun« reise, um die Zivilisation zu fördern und den Neger zu bekleiden, daß er nicht, wie die schmutzige Konkurrenz, die »rene Appredur« verkaufe. Als diese Beichte unerwidert blieb, blinzelte der helle Sachse: »Ei, mein gudester Herr, Sie gähen zur Schutzdruppe.«

»Nein, zu Verwandten.«

»Zum Vergniegen, um enige Lewen und Raubdiere zu schießen?«

»Nee, um Unterricht in der Beantwortung müßiger und dummer Fragen zu nehmen.« Den Lästigen war er los für diese Seefahrt, die für die meisten eine andauernde, von kurzen Seekrankheitstragikomödien unterbrochene Esserei zu sein schien.

Erbenheim hielt sich fern von der Herde der Durchschnittsmenschen und wechselte nur mit einem hageren Fräulein, das in den besten Jahren zwischen 30 und 50 stand und vor den üblichen dummen Witzen der anderen sich zurückgezogen hatte, einige Worte. Er tat es halb aus Opposition halb aus Mitleid mit dem Fräulein Griebel, das weder Vater noch Mutter, weder Hund noch Katze, wohl aber einen kleinen, hübschen Myrtenbaum hatte, daran ihr Herz hing, den sie mit ihrem Waschwasser begoß, auf Deck in die Sonne stellte und sorgfältig bewachte und betreute. Als sie bald und dann gründlich auftaute, beichtete sie ihm mit einem verschämten Augenaufschlag: »Ich habe einen guten Freund, der seit zehn Jahren in Ostafrika weilt und jetzt eine kleine Plantage besitzt ... plötzlich nach zehn Jahren hat er mir geschrieben ...«

»Und Ihnen das Geld geschickt, damit Sie hinüberkommen und seine Frau werden? Wie rührend!«

Sie errötete. »Ne-ein, doch nicht, das Geld hab' ich mir erspart. Er schrieb, ob ich noch an die Kirmeß in Frotzheim und die Karussellfahrt – da küßte er mich – dächte, ob ich nicht mal nach Afrika käme, ihn zu besuchen ... wenn er das plötzlich nach zehn Jahren schreibt, so muß ich doch ernstliche Absichten annehmen, nicht wahr? Den Myrtenbaum will ich mitnehmen für ... für ...«

Erbenheim bewahrte mit Mühe eine ernste Miene. Das naive Fräulein errötete noch einmal und raunte diskret: »Wenn ich mein Bäumchen gesund und heil nach Afrika bringe, soll es mir ein gutes, gewisses Zeichen sein, daß er mich ... wenn es aber ausginge, möchte ich am liebsten gleich umkehren oder ... ins Wasser springen.«

Er betrachtete jetzt erst die Pflanze und konnte mit gutem Gewissen sagen: »Der Baum gedeiht ja prächtig und wird unter der Tropensonne alle Tage einen Zoll wachsen, passen Sie mal auf, wenn wir im Roten Meer sind!«

Das Fräulein paßte mit Argusaugen auf seinen Schatz, aber, ach, es hatte auch mit anderen von seiner Hoffnung, seinem Omen gesprochen. Böse Menschen spotteten über die alternde Jungfer und spielten ihr einen teuflischen Schabernack. Im Roten Meer fing der Baum nicht an zu schießen, sondern zu kränkeln und zu verdorren, und in Mombassa war er ein welker Strunk geworden. Die Boshaften hatten heimlich die Pflanze mit Salzwasser begossen.

Da fuchtelte der schweigsame Passagier mit der Faust, guckte alle Verdächtigen, die ein möglichst dummes Gesicht machten, wütend an und wetterte: »Wenn ich den Schuft fasse, fliegt er in elegantem Schwung über Bord, sobald sich eine Haifischflosse blicken läßt!«

Die meisten Reisenden waren das übliche, recht unpersönliche Passagiergut. Nur einer, der gewiß nicht Beachtung finden wollte, fiel just durch sein verschlossenes Wesen auf, so daß man sogar aus Neugier in der Liste nachsah und seine Personalien mit drei Worten »Hans Schramm, Kaufmann« feststellte. Erst hinter Gibraltar kam er aus seiner Kabine ans Tageslicht. Er hatte ein ganz glattes, blasses Bureaugesicht und einen unangenehmen, schrägen Blick, stand in Port Said – diesem Spucknapf der Welt – mit einem kleinen Koffer an der Reling und starrte in das buntfarbige, übel verrufene und übel riechende Gewimmel hinein. Viel Gesindel brodelt mit lautem Geschrei in allen Zungen in diesem heißen, stinkenden Spucknapf. Herr Schramm, die Augen mit Brille und Kneifer doppelt bewaffnet, beobachtete jeden, der an oder von Bord ging.

Erbenheim lüftete den Hut. »Sie erwarten wohl jemand?«

»Ja, ich erwarte S. Hoheit, den Khedive, der mich begrüßen will,« lautete die höhnische Antwort.

Sobald das Schiff sich bewegte, nahm der Herr ohne Ärger seinen Koffer und ging in seine Kabine, wo er eine Flasche Wein bestellte und einsam, wahrscheinlich auf Port Saids oder des Khediven Wohl, leerte.

Hinter dem Kap Guardafui blies der Monsun so kräftig, daß der blaßgrünliche Jammer alle befiel. Nur der Offizier a. D. stand stark und stolz auf Deck und schaute nach Westen, wo die gewaltige Masse des dunklen Erdteils liegen mußte. Der Sturm legte sich, die lang rollende Dünung wurde zum blendenden Tropenmeer. Der Schweigsame sah Afrika zuerst und schrie durch die Gänge: Land, Land!

Waren das Berge, die am Horizonte bläulich schimmerten? Ja, die Berge von Usambara, die den Afrikafahrer zuerst begrüßen. Die Küste tauchte auf und enttäuschte aufs angenehmste Erbs sehr niedrig gespannte Erwartung; denn die frischgrüne Küste hatte einen schmucken Saum von schlanken Kokos- und Dumpalmen, von dunklen Mango- und Papayabäumen.

Die Schraube wirbelte, das Schiff eilte am bewaldeten Ufer entlang durch eine schmale Einfahrt. Plötzlich lag der Hafenort, lag Tanga gerade und ganz überraschend vor dem Bug des Schiffes. Unter den Küstenstädten ist Tanga eine afrikanische Schönheit, die auch das Auge, das Ansprüche macht, erfreut und fesselt. Auf der Landzunge wacht der Leuchtturm, daneben liegt die weiße Erholungsstätte für Europäer, die nach dem hartnäckigen Kampf mit Moskitos und Malaria Heilung suchen. Zwischen Korallenriffen gleitet das Schiff in das herrliche, von arabischen Dhaus belebte Hafenbecken, und als majestätischer Hintergrund stehen die blauen Berge.

Passagiere, Güter wurden ausgeschifft. Herr Schramm, mit doppeltem Glase das Auge bewaffnet, stand wiederum mit seinem Köfferchen, das nicht viel enthalten konnte, an der Reling und guckte und ging nicht mit den andren.

Als aber das Schiff aus dem Hafen dampfte, war der merkwürdige Monsieur verschwunden. Entweder mußte er über Bord oder in die Händler-Dhau zuallerletzt hineingesprungen sein.

Daressalam! riefen viele Stimmen. Ein Fischerdorf war es gewesen und nach einem schnellen Wachstum die Hauptstadt der Kolonie geworden. Uniformierte Beamte – sie begleiten und behüten den deutschen Bürger von der Wiege bis zum Grabe –, Hafenarzt und Hafenpolizei kletterten an Bord. Die einen fragten teilnahmsvoll nach dem Befinden, die anderen nach den Papieren, rannten durch alle Kajüten und riefen nach einem gewissen Herrn Rabe. Aber kein Rabe und keine Krähe meldete sich.

Die zwei Herren der afrikanischen Hermandad traten von hinten an Erbenheim heran, so daß sie nötigenfalls mit einem Griff zupacken konnten, beäugten ihn frech und fragten nach dem Paß. Er hatte ja eine Legitimation, sogar ein Zeugnis seiner tadellosen Führung im – Gefängnis zu F. in der Tasche, doch den Paß wollte er um keinen Preis vorzeigen. Hochmütig schnarrte er: »Von Erbenheim, werde von meinem Onkel, einem alten Afrikaner, empfangen.«

Die Herren wurden höflich, sobald sie das Wörtlein von, das eine kuriose Wirkung auf gewisse Menschen hat, vernahmen. Der eine blätterte: »Das telegraphisch mitgeteilte Signalement paßt nicht, wir sind auf falscher Fährte.«

»Wen suchen Sie?«

»Einen ganz großen Gauner!«

Erb lächelte spöttisch. »Hat er eine lehmgraue, schmutzige Gesichtsfarbe, hm ... und spaßig große Löffel, hm ... und vom rechten Ohrläppchen fehlt ein Happen, hm ...?«

»Donnerwetter! Das ist der Kerl! Sind Sie Krimina–? Nein? Wo ... wo ist er? 3000 Mark Belohnung sind ausgesetzt! Der Rabe ist ein Defraudant, ein Buchhalter, der der Westfälischen Bank 160 000 Mark geklaut hat.«

»Der Herr ohne Ohrläppchen und mit 160 000 Em ist in Tanga von Bord gegangen.«

» Goddam, Goddam!« Die deutsche Polizei erleichterte ihr deutsches Gemüt in englischen Flüchen.

Der Passagier, der sich über das lange Gesicht der Polizisten amüsierte, machte auf dem Lande ein ebenso langes. Er hatte nämlich einen Empfang erwartet.

Ein wohlgekleideter, würdevoller Gentleman suchte unter seinem Schirm Schatten und mit den Augen unter den Ankömmlingen irgend etwas. Das mußte er sein! Erb zog verbindlich den Hut. »Habe ich die Ehre, mit Herrn Jobst Renner zu sprechen?«

Der Wohlgekleidete rückte beleidigt mit den Schultern. »Mann ... Mister ... wofür halten Sie mich? Ich bin Herr Lehmann von der Firma Lehmann und Müller. Der olle Jobst ist an der ganzen Küste wie ein bunter Hund bekannt ... ja, das ist ein Kostgänger des Herrgotts, den werden Sie totsicher in einer Bier- oder Niggerkneipe finden.«

Der Anfang in Afrika war nicht ermutigend. Erb schritt durch die Hitze, die ihn betäubte, dumm, schwer und schläfrig machte. Die scheußlichsten Hundstage in Hamburg waren ja im Vergleich zu diesem Back- und Brutofen eine angenehme Temperatur. Wo er eine Schenke witterte, schielte er durch die offnen Türen und Fenster. In den zwei besten Bierstuben saßen Europäer, tranken, rauchten oder spielten in Hemdsärmeln Billard.

Der Gesuchte war offenbar – und Gott sei Dank – gar nicht im Wirtshause. Daher erkundigte er sich nach Jobst Renners Wohnung bei einem Passanten, der sofort grifflachte. »Da hinten unter den drei Palmen werden Sie Jobst zweifellos in der Niggerspelunke finden ... er macht seine Bier-Safari in diesen Tagen.« Das hieß Bierreise und bedeutete nichts Gutes.

Der Neuling stutzte, entschloß sich aber, die Suche nach dem braven Bruder seiner Mutter fortzusetzen, um ein klares Bild von diesem lieben Onkel zu gewinnen.

Die Schenke war eine recht schmutzige Holzhütte mit einer Tonbank und einem Flaschenbord, mit lungernden Negern und ungeheuren Fliegenschwärmen. Die Suaheli, die ein rötliches Fez auf dem Wollhaar, ein langes, einst weiß gewesenes Hemd und nichts weiter auf dem Leibe trugen, machten mit einem höflichen Jambo bana, dem weißen Herrn Platz, nahmen sogar die Kopfbedeckung ab, wohl nur, um pfiffig-frech im Kauderwelsch der Küste zu fragen: »Wollen Ihr ausgeben ein Drink? Sehr viel heiß, Mister, sehr viel Durst.«

Ein langer, ungemein magerer, aber muskulöser Mann, den die Tropensonne ganz braun gebrannt und völlig ausgedörrt hatte, lehnte an der Tonbank, leerte ein Glas Whisky, spülte mit Wasser nach und wischte sich den ergrauten Vollbart. Über der rechten Schulter hing die Büchse, im breiten Gürtel staken Bowiemesser und Revolver, die Waffen gehörten zu den besten ihrer Art, jedoch die lederne Hose war verschlissen, die Schnürschuhe schienen nie geputzt zu sein, die Jacke war von englischem Leder, nur der breitkrempige Hut war ein neuer und teurer Strohhut. Das gefurchte Gesicht war durch eine tiefe Narbe unter dem rechten Auge entstellt, auch am Hinterkopf war eine handgroße, haarfreie Stelle, so daß der Mann auf Schönheit keinen Anspruch machen konnte. Trotzdem hatte der rauhbeinige Hinterwäldler nichts Abstoßendes, sondern etwas Biderbes, Offnes, Echtdeutsches in seiner Erscheinung.

Der Eingetretene sagte: »Ist Herr Renner hier?«

Der Bärtige brummte, ohne sich umzuschauen: »Wer fragt so dumm? Wer in Daressalam kennt mich nicht?«

»Einer, der soeben angekommen ist und Erb von Erbenheim heißt.«

»Himmelkreuzdonnerwetter! Du bist schon da, mein Junge?« Renner schnellte herum, in seinen Bewegungen rasch und lebhaft wie ein Jüngling, und lachte – ein lustiges, herzliches, sympathisches Lachen. Aber das Gesicht verzerrte sich beim Lachen zu einer fürchterlichen, ja furchteinflößenden Grimasse. Weil nämlich eine schwere, schlecht verheilte Verletzung ein förmliches Narbenloch zurückgelassen und die Muskeln gelähmt hatte, blieb die rechte Gesichtshälfte völlig unbeweglich, während die linke schief und schrecklich sich verzerrte.

Der Oheim gewahrte die schlecht verhehlte Enttäuschung, die unfreudige Überraschung des Neulings und neuen Neffen. »Also das ist mein lieber Schwestersohn, ein feiner, tadelloser Kerl, im tadellosen, pikfeinen Tropenanzug schon ein ganzer Afrikaner. Du entsprichst vollkommen meinen Erwartungen und Hoffnungen.« Erb merkte Ironie, und Renner lachte noch schiefer und schrecklicher. »Du denkst jedenfalls: Na, das ist ja ein reizender und rührender Onkel! Du hättest dir ihn anders, als reichen, barschen, Befehle brüllenden Pflanzer mit der Nilpferdpeitsche in der Hand, vorgestellt. Du hättest ihn in besserer Gesellschaft und nicht unter diesem dreckigen Niggergelichter gesucht, nicht wahr?«

»Ja und noch einmal ja! Doch ich werde dich nehmen, wie du bist, und ich werde aus der Verwandtschaft möglichst viel Nutzen ziehen.«

»Du bist ein aufrichtiger Kerl und ein Mitteleuropäer, aus dem vielleicht ein Afrikaner werden kann. Du kommst nicht aus purem Edelmut, um den schwarzen Erdteil der Zivilisation zu erschließen, sondern mit einem gesunden Egoismus.«

Renner schüttelte jetzt die Hand des Neffen und wurde zutraulicher. »Hast es schlecht getroffen ... ich habe nämlich meine Durstperiode jetzt ... will es dir erklären, warum ich in den Biertempeln sitze. Das Kamel kann und muß oft wochenlang durch dürre Wüste wandern, ohne einen Tropfen zu bekommen, wenn es aber eine Oase erreicht, säuft es seine fünfzig Eimer, um sich für die Abstinenz schadlos zu halten und seinen Riesendurst zu löschen. So ein altes, unverbesserliches Kamel bin und bleibe ich auch. Wenn ich wochenlang schmachten mußte, hat sich naturgemäß ein gigantischer Durst angesammelt ... diesen aufgespeicherten Riesendurst lösche ich, sobald ich Daressalam oder eine andere Oase erreiche, indem ich von Kneipe zu Kneipe wallfahre.«

Erb war nicht sehr erbaut von dieser Beichte, konnte aber an dem neuen Oheim keine Betrunkenheit feststellen.

»Du brauchst mir nicht Moral zu predigen, mein lieber Neffe, ich weiß selber, daß ich ein Kamel und Esel bin. Es ist eine Saudummheit, die schönen Rupien diesem Spitzbuben zu geben.« Jobst blinzelte pfiffig. »Hier liegt die Sache etwas anders, hier saufe ich nicht aus Dummheit, sondern aus kluger Berechnung. Dieser schwarze Ehrenmann, der Wirt, schuldet mir nämlich 33 Rupien, die er in Ewigkeit nicht bezahlen wird, und die ich versaufen muß, um zu meinem Gelde zu kommen. Was nimmst du, mein Junge? O, wie du mich an meine Schwester erinnerst! Whisky oder Bier?«

»Ich trinke nichts, in den Tropen soll man keinen Alkohol trinken, wenn man gesund bleiben will.«

»Was quasselt das Grünhorn, ehe es noch in den Tropen warm geworden ist?«

»O, ich bin gründlich warm geworden.«

Jobst kraute sich. »Mit dem Alkohol kennt man sich nicht aus. Der alte Händler Hopfer, der seit 55 Jahren Hunderte von Hektolitern vertilgt hat, ist jetzt 75 Jahre und kerngesund ... mein Freund Abel dagegen, der Pflanzer, hatte zwei Söhne, die in den Tropen keinen Tropfen Alkohol tranken und dennoch starben, als sie 10 und 12 Jahre alt waren. Ich für meine Person will lieber fünf Schnäpse von deinem Fusel, Bakuna,« – so hieß der Wirt – »als ein Gramm Chinin schlucken.«

Erb wunderte sich, daß die Schwarzen in der Schenke den alten, schnurrigen Patron sehr höflich behandelten, ihn Bana Bunduki – d. h. Herr Flinte – titulierten und sehr devot, sobald er auf Kisuaheli mit ihnen sprach, den Fez herunterrissen. Auf seine Frage, was der Titel bedeute, lachte der Onkel. »Bei allen Negern heiße ich Herr Flinte.«

Der Wirt Bakuna, der deutsch radebrach, erklärte: »Mister Renner hat Zauberflinte, hat 100 Simbas und 100 Elefanten geschossen, Mister Bunduki schießt Licht aus, schießt Ohr weg ... wo er vorher sagt, trifft seine Kugel Fliege an Wand, Laus an Hemd.«

»Deine Flinte fehlt nie? Du bist wohl ein Freischütz?«

»Unsinn, ich habe eine ausgezeichnete, doppelläufige Büchse ... wenn sie unter 500 Schüssen einmal ihre Pflicht nicht tut, wird es totsicher dann sein, wenn ein Löwe auf zehn Schritt mich annimmt.«

»Ist die Narbe der Denkzettel einer Löwenplanke?«

»Nee, das ist eine kleine Erinnerung an die entsetzliche Expedition des Hauptmanns von Zelewski, die ich als Pfadfinder, als Scout, wie der Deutsche sagt, mitmachte.«

»O, von dem Überfall las ich mit Schauder, der ganze Zug, 10 Weiße und 250 Askaris, wurde massakriert.«

»Nee,« sagte Jobst trocken, »denn ich war vorne und lebe noch ... ein langer Mhehe rannte mir den Speer durch die Backe, alle lagen tot um mich her und ich hinter einem Felsen ... nachher lief ich und steckte die Zunge durch das Loch der Backe, um besser jappen zu können, denn der Schlund war voll von Blut.«

»Erzähle!« Der Offizier a. D. war Feuer und Flamme.

»Was kann man den Herren, die es aus Büchern weit besser wissen, noch erzählen! Berichtet man etwas, das nicht im Buche steht, so heißt es: Au, der alte Jobst lügt wie ein Königlich preußischer Oberförster und gibt Afrikanerlatein zum Besten. Ein andres Mal!«

Bana Bunduki verhandelte mit den Negern, die um so aufgeregter gestikulierten, je gleichmütiger er seinen Bart harkte. Zuletzt legte er ein Papier hin, darauf sie nach langem Geplapper ein Zeichen malten. Ein Vertrag schien geschlossen, den Jobst dadurch besiegelte, daß er eine Runde »Niggertod« ausgab. Die Neger nennen in Selbstpersiflage den Rum, der ihnen Verderben bringt, Niggertod.

Die Schwarzen hatten bisher den alten Jobst mit großem Respekt behandelt.

Da betrat ein riesiger Neger, ein Träger aus Unjamwesi, der offenbar Jobst kannte, die Schenke, betrachtete das gerötete Gesicht des Deutschen, blinzelte den andren zu und sagte: »Na, alter Bunduki, bist du auf deiner Suff-Safari? Du gibst ein Glas Rum für mich aus.«

Jobst war in dem Moment ein anderer Mann geworden, und seine Miene eisig. »Ja, hier ist dein Glas, trinke dein Niggerbier!« Ruhig stellte er das schmutzige Wasserglas, in dem der Schaumabstreicher stand, dem Mann aus Unjamwesi vor die Nase hin. Der Schwarze hatte bös funkelnde Augen, nahm das Glas und machte Miene, das Schmutzwasser dem Europäer ins Gesicht zu schleudern.

Doch er kam nicht so weit. Ein blitzschneller Griff der sehnigen Faust, ein japanischer Griff, der den Negerarm nach hinten drehte, machte den Halunken wehrlos und auch höflich. »Bana Bunduki, sei mir nicht böse, laß mich los! Ich habe kein Geld und will bloß riechen, bloß eine Nase voll vom Rumgeruch.«

Der Neger ist, wo er es bieten kann, unglaublich frech, wo er aber seinen Herrn findet, so beispiellos bescheiden in seinen Ansprüchen, daß er mit dem Einatmen des abscheulischen Alkoholdunstes sich begnügt. Um wenigstens den widerlichen Wirtshausgeruch zu bekommen, lungern die schwarzen Kerle, die keinen Heller an der Schnur haben, stundenlang in der Schenke herum.

Jobst Renner brummte gutmütig: »Ich kann keinen Menschen schmachten sehen ... Wirt, gib der schwarzen Seele auf den Schreck einen Niggertod! Gib den Burschen allen einen Rum zum Abschied!« Er warf das Geld auf die Tonbank. Nachdem er sein Glas geleert, nickte er seinem Neffen zu: »Wir wollen Schluß machen, damit ich nicht in deinem ersten Heimbericht als vollkommen verkafferter Alkoholiker geschildert werde. Mein Junge, dein Anfang in Afrika ist eine Enttäuschung ... du hattest mich als großen Herrn mit dem Kiboko in der Hand, mit einem kriechenden Sklaven vorn und hinten dir gedacht, und du findest mich in der Negerspelunke als verkafferten, versoffenen Afrikaner, haha, jaja ... daher merke dir: Es kommt in Afrika meist ganz anders, als man gedacht hat.« Er kehrte sich halb um und rief: »Guten Abend! Daß ihr Kerle übermorgen rechtzeitig am Platze seid ... ihr kennt den alten Jobst.«

»Ja, wir kennen Euch, Bana Bunduki, wir kommen.« Die Neger rissen den Fez vom Kopfe und dienerten.

Erb fiel von einem Erstaunen ins andere. Der Onkel lächelte. »Merke dir einen zweiten afrikanischen Lehrsatz! Die Schwarzen sind als Kinder schon erwachsen und als Erwachsene noch Kinder, demgemäß behandle ich sie gut und freundlich, ja mit Nachsicht lasse ich ihre Torheiten und Dummheiten durchgehen ... bis zu einem gewisse Punkte ... bei der geringsten Frechheit muß man zupacken und einige Hiebe nicht scheuen. Der Neger als Kind kann ohne Prügel nicht erzogen werden.«

Sie gingen über den von der Sonne verdorrten, staubigen Vorplatz der Schenke, über den zwei arabische Bastarde in lebhaftem Geschnatter kamen. Plötzlich hüpften diese beiden wie die Heuschrecken über die Büsche hinweg und heulten: »Schlange, Schlange!«

Dort war das giftige, schnell sich windende Reptil. Eine Puffotter zischte und zielte nach Erb und hatte zum Stoße sich aufgerichtet. Noch ehe der Neuling zur Besinnung kam, hatte der rasend rasche Vorfall sich abgespielt. Jobst tanzte einen possierlichen Schuhplattler, hüpfte auf dem linken Bein und hob den rechten, schwer besohlten Fuß, der die Schlange traf und mit großartiger Präzision ihr den Kopf in den Sand trat. In der Hand blitzte ein Messer. Ein Schnitt! Und der kopflose Körper der Schlange wand sich in Todeszuckungen, während der Kopf sein Gift in die Stiefelsohle spie und zermalmt wurde.

Das etwas gemischte Gefühl, das der Deutsche für den neuen Onkel hegte, schlug in Hochachtung um. Jobst lachte laut: »Haha, meine Aktien steigen! Nimm dir daraus eine Lehre: In Afrika muß man immer beide Augen offen halten, denn hier kann man verdammt schnell und auf vielerlei Weise ins Jenseits befördert werden.«

Jobst brachte seinen Neffen nach einem guten Hotel. »Ich schlafe in meinem Zelt, einmal um den Schuppen, in dem schon viele Lasten der Karawane, die ich begleiten soll, lagern, zu bewachen, hauptsächlich, weil ich in der drückenden Zimmerluft sofort Asthma bekomme. Seit vielen Jahren habe ich nicht mehr zwischen Stein- und Holzwänden geschlafen. Morgen früh bin ich rechtzeitig hier.«

Erb schlief sehr gut, denn die Tropenschwüle wich einer angenehmen Kühle, die eine vom Meer wehende Brise brachte. Mit Behagen hörte er das Summen der Moskitos, ihr Gesurre klang wie ein erbostes Gemurre, weil sie ihm in seinem Netz nichts anhaben konnten.

Als er aufwachte, stand Jobst am Bett und lachte.

»Das nenne ich allerdings rechtzeitig.«

»Wenn mir ein Grünhorn per Postschiff geschickt wird, muß ich den afrikanischen Schulmeister spielen ... weil der Tag heiß und von zehn bis vier Uhr oft unerträglich wird, muß er früh angefangen werden.«

Erb wunderte sich im stillen, daß der Alte so frisch und fidel und trotz des Alkoholkonsums keine Spur von Katzenjammer zu entdecken war. Der hagere Mann, der nur aus Haut und Knochen bestand, mußte eine Bärennatur besitzen.

Sie frühstückten im Hotel. Erb wurde angenehm überrascht, denn der Oheim trank Sauerbrunnen und erklärte mit ergötzlicher Selbstpersiflage: »Ich altes Kamel habe drei Tage lang meinen Durst gelöscht, gestern war Schluß, heute wird kein Alkohol getrunken, und morgen marschieren wir ins Innere.«

»Wir?«

Der Onkel schmunzelte, gabelte schnell und aß gewaltig. Nachdem er seinen Hunger gefüllt, erklärte er: »Safari ist die Reise mit Trägern, die einzige, die hierzulande möglich ist, solange der deutsche Reichstag nicht mehr Eisenbahnen bewilligt. Möge Gott das Reich erhalten und der Teufel den Reichstag holen! Morgen bricht die Karawane auf, um über Tabora nach dem Tanganjika zu gehen, ein netter, kleiner Marsch von 170 Meilen. Fünfzig Askaris, die der Oberleutnant F. befehligt, sollen die Stationen im Westen verstärken und 300 Träger, die Munition und alle möglichen Vorräte schleppen, auf dem Marsche beschützen. Ich bin als Pfadfinder und Führer mit Handgeld gedungen und mit Handschlag vereidigt worden, weil ich elfmal am See gewesen.«

»Und ich?«

»Du kannst entweder hier bleiben und Maulaffen feilhalten oder als mein Gehilfe mitgehen und Afrika kennen lernen.«

»Nimm mich als Lehrling mit! Ich will willig und fleißig sein und werde einen guten Meister haben.«

»Pstt! Sag das nicht laut! Ich habe nämlich die ehrliche Absicht, für meinen Gehilfen vom Gouvernement Handgeld, Lohn und Verpflegungsgelder herauszuschlagen ... du kannst es gewiß brauchen für deine Ausrüstung.«

»Ich bin von dem besten Tropengeschäft in Hamburg mit allem versehen worden.«

»Soso, laß mal sehen!« Jobst prüfte mit einem lauernden Blick und mit dreist wühlenden Zöllnerfingern den Inhalt der Koffer und hustete trocken: Die feinen Tropensachen seien sehr gut – für die jungen Afrikaner, die in Daressalam hin und her bummeln und zu Hause den Hamburgern von ihren Löwenjagden haarsträubendes Löwenlatein erzählen. Er warf vieles als Firlefanz bei Seite und lobte manches.

»In diesem geschniegelten Anzug kann ich dich nicht als meinen Gehilfen vorstellen ... die Kerle im Bureau würden mich auslachen. Wir müssen erst aus dem Grünhorn einen älteren Afrikaner machen. Komm mit!«

Selbander gingen sie in ein Geschäft, das kein Inder – eine Menschenrasse, die Jobst haßte –, sondern ein Deutscher führte.

Zwei derbe Kord- und Khakianzüge, auch starke Stiefel, Schuhe, Wickelgamaschen wurden ausgesucht. Der Neffe mußte alles, auch einen Ledergürtel mit Bowiemesser, Patronentasche und Browning, an- und umlegen und einen Tropenkorkhut auf seine Haare stülpen.

Dann kam die Frage: »Was hast du an Schießprügeln mitgebracht? Hochmodernes, hochnäsiges Zeug?«

»Eine Jagdflinte und ein Magazingewehr, einen vorzüglichen Mehrlader, bei dem Ziel- und Treffpunkt zusammenfallen.«

»Den kannst du behalten, nur ist der Mehrlader zu kompliziert, muß alle Tage geölt und gepflegt werden, wenn sein Mechanismus nicht im kritischen Moment versagen soll.«

Der alte Pfadfinder ließ sich Waffen vorlegen, prüfte mit Sorgfalt und wählte eine Winchesterflinte und eine schwerkalibrige Elefantenbüchse, hörte den Preis, als wenn er taub wäre, und feilschte lange.

Erb zog seine Börse, um das Gekaufte zu bezahlen. Der Onkel ließ ihn gewähren, sah mit stillem Lächeln das unbewegte, aristokratische Gesicht und legte die Hand auf das Geld, als der Händler es in seine Kasse raffen wollte. »Du dummer und dummstolzer Bursche! Ich habe versprochen, Vaterstelle an dir zu vertreten.«

Der Alte hatte eine umständliche Zahlungsmethode, zog den Rock, den Gürtel aus, öffnete das Hemd und gelangte endlich an die Ledertasche, die an einem Lederbande auf der bloßen, behaarten Brust hing. Erb sah mit Erstaunen, daß dieser Geldbehälter bedeutende Summen, wohl zwanzig bis dreißigtausend Rupien, enthielt.

Jobst lachte trocken. »Du wirst mich doch nicht draußen in der Wildnis abmucksen ... ich lasse sonst keinen einen Blick in meine Bank tun ... zu viele Spitzbuben, Diebe und Hochstapler laufen in Afrika herum.«

Erb, dem das Feuer in die Wangen fuhr, sah aus dem Fenster, um sich zu fassen. War das auf ihn gemünzt? Auf ihn und seinen Diebstahl?

Die Deutschen verließen den Laden und passierten eine Schenke. Obgleich es noch nicht acht Uhr war, brach der Schweiß aus allen Poren. Jobst schielte nach der Bierquelle, und sein durstiger Begleiter meinte: »Möchtest du gern, so kehren wir ein.«

»Ja, ja, ich möchte für mein Leben gern zwei bis drei Liter von dem kühlen, königlichen Getränk schlürfen, aber ich darf ja nicht, ich habe mir selbst befohlen: Keinen Tropfen mehr! Und ich kann und darf nicht meinen Befehl widerrufen.«

Erb freute sich sehr, daß sein Oheim trotz allem ein fester und freier Mann sei.

Da beguckte ihn der Alte von oben bis unten und kraute sich. »Verdammig, du bist wie aus dem Ei gepellt, blitzblank aus dem Laden gekommen ... hm, da merken die Schreiber eine Vorspiegelung falscher Tatsachen ... verzeihe, aber ich muß dich mit afrikanischer Erde taufen und ein paarmal im Staube dich wälzen.«

Erb, ganz überrumpelt, fügte sich dem tollen Einfall, wurde im Sande gerollt und mit Wohlgefallen betrachtet. »Nun kannst du zur Not als Afrikaner passieren ... ich will ins Bureau gehen und alles vorbereiten.«

Bald kam Jobst heraus aus dem Bureau und forderte seinen bestaubten Neffen auf, hineinzuspazieren und nichts als All right zu sagen.

Erb erhielt eine Feder, um seinen Namen zweimal zu schreiben, und 300 Rupien in Rollen und war zu seiner maßlosen Überraschung wohlbestallter Führer in einem Lande, das ihm genau so bekannt wie der Nord- oder Südpol war.

»Wie hast du das angefangen?« stotterte er den Alten an, der grifflachte und keine Staatsgeheimnisse verraten wollte.

»Ich fürchte ... unser Betrug wird wohl kurze Beine haben. Ich geh' hinein und sage offen, wie es ist.«

Jobst lachte aus vollem Halse. »Ich habe natürlich dir und nicht dem deutschen Gouvernement einen Bären aufgebunden ... o, die Herren am grünen Tisch sind so gewitzigt, daß sie das Gras wachsen hören ... die wissen Bescheid. Dein Äußeres hatte mir zu viel Glanz und Firnis, und es machte mir zu viel Spaß, deine europäische Appretur mit unsrem Sande abzureiben, darum wälzte ich dich, wie der Hund den Igel.«

Erb biß sich auf die Lippen; solche Späße, wenn man Gegenstand derselben ist, bereiten kein Vergnügen. »Lache nur! Es ist ein Lehrgeld, das ich gern zahle.«

Der Onkel schlug einen Richtweg durch eine Plantage von Kokospalmen ein, die in dem Küstenklima nur in einem vierzig bis fünfzig Kilometer breiten Gürtel gedeihen. Er hielt sich mitten in der schnurgeraden Schneise zwischen den Reihen, die zehn Meter voneinander standen, der junge Afrikaner aber suchte unter der Fächerkrone und nahe dem Stamme ein wenig Schatten vor den sengenden Strahlen.

Wiederum ein Lachen und Auslachen! »Geh lieber weg da! Die Bäume schießen und schleudern Bomben ... Die Kokosnüsse reifen ja zu ganz verschiedenen Zeiten ... wenn so eine Nuß herunterfällt und richtig trifft, schlägt sie sogar in einen zehnzölligen Negerschädel ein gehöriges Loch.«

Erb sprang geschwind mitten in die Schneise. »Daher wohl das Wort: Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen. Es ist nicht gerade angenehm, auf Schritt und Tritt den Dummen zu spielen.«

»O, du wirst als frisch importierter Europäer noch ganz andere Sottisen in Afrika begehen,« tröstete Jobst.

Im Hotel wieder angekommen, suchte er aus dem Gepäck des Neffen das für die Reise Notwendige und Nützliche heraus, das er geschickt verpackte und verschnürte, und so genau traf er das Gewicht, daß jede Last ca. 60 Pfund wog. Mehr kann kein Neger Hunderte von Meilen auf Kopf oder Schulter tragen; das ist schon in der Sonnenglut eine wahrhaft große Arbeitsleistung der als faul verschrienen schwarzen Rasse.

Der junge Afrikaner sah dem alten auf die Finger, merkte sich jeden Griff und jeden Knoten; und als er allein war, übte er sich, die Lasten aufzulösen und wieder kunstgerecht zu verschnüren, bis es ihm flink und fehllos gelang.

Früh um fünf Uhr versammelte sich die Karawane auf einem freien Platz vor der Stadt, die beiden Führer, die fünfzig Askaris, zum Teil altgediente Sudanesen, zum Teil frisch angeworbene Wanjamwesi- und andere Negerrekruten, von einem Oberleutnant und zwei weißen Unteroffizieren befehligt, erschienen zuerst.

Renner hatte 300 Träger in den Niggerkneipen angeworben, aber 7–800 Menschen von tiefschwarzer, schwarzbrauner und schmutzig angebräunter Farbe – die letztere verriet den Bastard – sammelten sich. Waren 500 mehr, als angeworben waren, und trotzdem fing Jobst an zu fluchen, denn das wimmelte und schnatterte durcheinander und stiebitzte gern. Die vielzuvielen waren die Frauen, Freunde und Verwandten der Träger, die, mit Pombetöpfen und Rumflaschen bewaffnet, den Scheidenden das Geleit gaben und unter fürchterlichem Geschnatter, jedoch ohne Tränen, Abschied nahmen. Die Träger wurden aufgerufen und eingetragen, was ein schwieriges Geschäft, sintemal der Neger seinen Namen ohne Standesamt nach Gutdünken wählt und – wenn er etwas auf dem Kerbholz hat – wechselt, so daß er als Abdullah stirbt, um als Hammarabi lustig weiter zu leben.

Zwei Flinten fehlten. Goddam, Goddam! Jobst drückte seinem Gehilfen die Nilpferdpeitsche in die Hand: »Halte den Raum, wo die Lasten liegen, von dem Gelichter frei!«

Das war kein angenehmer Auftrag, denn die Negermännlein, -weiblein und -fräuleins waren dreist wie Wespen, diebisch wie Elstern und gehorchten nur, wenn es kräftig auf ihren nackten Rücken klatschte.

Bis neun Uhr kamen die Nachzügler angekeucht, den Wassertopf, mit Pombe angefüllt, in der Hand. Nur fünf Träger fanden sich nicht ein, was den Oberleutnant mit solcher Befriedigung erfüllte, daß er dem Pfadfinder sagte: »Sonst fehlten immer fünf bis zehn Prozent .... Sie haben die Bande am Bande ... wie bringen Sie das fertig?«

»Ich behandle sie wie große, gescheite Kinder. Die Neger wissen, daß ich sie in Krankheit und Not nicht liegen lasse ... die Schwarzen besitzen keine Spur von Dankbarkeit, wohl aber die Klugheit, da zu bleiben, wo ihnen ihr Recht wird.«

Die Safari setzte sich in Bewegung, Männer, Weiber und Kinder liefen nebenher, lachten, weinten und lärmten.


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