Hans Dominik
Lebensstrahlen
Hans Dominik

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Im Basaltkeller der Eulenburg standen sie zu dritt vor jenem mächtigen Schrank, den Reinhard in einer abenteuerlichen Nacht einmal irrtümlich für einen Panzerschrank angesehen hatte. In der Tat erinnerte seine Tür, die jetzt offenstand, in ihrer Stärke und Massigkeit auch an einen Banktresor, und nur die Inneneinrichtung ließ erkennen, daß es sich doch um etwas anderes handelte. Treibhauswärme ging von den Wänden dieses Schrankes aus. Fernthermometer, auf Zehntelgrade geeicht, gestatteten es, die Temperatur in seinem Innern auch bei geschlossener Tür abzulesen. Regelwiderstände ermöglichten es, die Stärke der elektrischen Beheizung innerhalb weiter Grenzen zu verändern.

Wie gebannt starrte Professor Braun auf ein Reagenzglas, nahm starke und immer stärkere Lupen zu Hilfe, um genau beobachten zu können, was sich in diesem Gläschen in einer durch die Schrankwärme halbflüssigen Gelatine abspielte. Schweigend ließen Eisenlohr und Holthoff ihn gewähren. Endlich nach langen Minuten richtete Professor Braun sich auf, seine Hand zitterte, als er das Vergrößerungsglas sinken ließ.

»Sind Sie überzeugt, Herr Professor?« fragte Eisenlohr.

»Es ist so, Herr Doktor. Das sind keine Amöben mehr, das sind bereits lebende Zellen!« Erregung klang aus Brauns Worten, während er weitersprach: »Urzellen noch, Herr Doktor. Zellkerne und Zellhülle sind noch nicht deutlich geschieden, aber als Zellen muß man die Gebilde unbedingt ansprechen. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Entdeckung . . .!« Er ergriff die Hand Eisenlohrs und hielt sie lange in der seinen. Begann dann wieder zu sprechen . . . stockend, als habe er Mühe, für die Überfülle der Gedanken Worte zu finden.

»Urzeugung . . . Amöben und lebende Zellen durch Strahlung aus totem Stoff geformt . . . erschaffen nach menschlichem Willen – wer es gewagt hätte, die Möglichkeit auch nur anzunehmen . . . verlacht hätte man ihn . . . und jetzt ist das Wunder geschehen. Wir können es mit unsern Augen sehen, wir können es mit unsern Händen greifen . . . ein neues, ein ungeheures Gebiet haben Sie der Forschung erschlossen, Doktor Eisenlohr . . .« Er hielt inne, als benähme die Größe des eben Geschauten ihm den Atem. –

Störend, die Stimmung zerreißend schrillte in die feierliche Stille die Glocke des Telephons. Holthoff ging zum Apparat, hörte, sprach leise mit Eisenlohr. Der nickte nur und ging über die Wendeltreppe nach oben. –

»Mister Spranger ist in Ihrem Arbeitszimmer, Herr Doktor«, meldete ihm Michelmann im Laboratorium.

»Es ist gut, Michelmann.« Eisenlohr blieb stehen und griff sich mit beiden Händen an die Stirn. Er brauchte eine Minute der Sammlung, um aus der Gedankenwelt, die ihn seit so vielen Stunden gefangenhielt, wieder in den Alltag zurückzufinden. Mußte der Amerikaner gerade jetzt kommen? Jetzt, wo er sich mit Braun beraten wollte, die nächsten wichtigen Schritte mit ihm besprechen, Richtlinien für Veröffentlichungen und den weiteren Gang der Arbeiten festlegen . . . mußte jetzt gerade der andere kommen? Mit Fragen und Plänen, die Eisenlohr als kleinlich und töricht empfand gegenüber dem so viel Größeren, das ihn bewegte? Mit Gewalt zwang er sich zur Ruhe, mit Gewalt suchte er einer Stimmung Herr zu werden, die ihn selbstsüchtig und ungerecht zu machen drohte. So stand er mit geschlossenen Augen, bis er wieder ganz Herr seiner selbst war.

Verändert war der Ausdruck seines Gesichts, als er die Hände wieder von der Stirn zurücknahm. Mit offener, fast heiterer Miene trat er in sein Arbeitszimmer und begrüßte Spranger.

»Schon wieder aus Paris zurück, William? Das ging ja schneller, als ich dachte. Hast du schon genug von Monsieur Bigot?«

»Ich brauche deinen Rat, Eisenlohr.«

»Der ist schnell gegeben: Laß die Finger davon!«

»Warum, Eisenlohr? Hast du besondere Gründe für deine Meinung?«

»Die habe ich, William. Ich bekam eine Auskunft über den Mann, die alles andere als gut ist . . .«

»Darf ich wissen, von wem du sie hast?«

»Von einem Bekannten. Ein gewisser Hauptmann Reinhard gab sie mir.«

»Reinhard? Hauptmann Reinhard? . . . Ich erinnere mich, ich habe den Herrn vor einiger Zeit durch Doktor Holthoff kennengelernt . . . ein verabschiedeter Offizier . . . Ob das der richtige Mann für eine so wichtige Sache ist? Ich weiß nicht –«

»Du kannst überzeugt sein, daß Reinhard es ist. Er verfügt über Informationsquellen, die nicht jedem offen sind.«

Spranger suchte nach Worten. »Bigot hat uns drei Versuche vorgeführt, in allen drei Fällen ist die Metallumwandlung gelungen.«

Eisenlohr legte sich bequem in seinen Klubsessel zurück, faltete die Hände und drehte die Daumen umeinander.

»Mein lieber William«, begann er gemächlich, »ich müßte stundenlang reden, wenn ich dir den ganzen Unfug klarmachen wollte. Es ist Humbug von vorn bis hinten. Ausgekochter Schwindel . . .«

»Aber Monsieur Bigot hat doch . . . versuchte Spranger zu unterbrechen. Mit einer Handbewegung schob Eisenlohr den Einwand beiseite.

»Nimm selbst einmal an, William, er hätte wirklich Blei in Gold verwandelt, und nimm weiter den sehr unwahrscheinlichen Fall an, es wäre ihm auch auf solche Art gelungen, daß reines Gold kaum noch teurer als Blei wäre . . . was hätte er damit erreicht? Nichts als eine ungeheure Verwirrung des Weltmarktes und der ganzen internationalen Wirtschaft. Nicht einen Pfifferling hätte er der Menschheit damit genützt. Nur Unruhe und Unsicherheit hätte er gestiftet, in der vielleicht einige skrupellose Spekulanten im trüben fischen könnten, während Hunderttausende um das ihrige kämen. Das wäre der Erfolg, wenn Monsieur Bigot wirklich könnte, was er verspricht.«

»Aber er kann es doch, Eisenlohr!« Spranger zog seine Brieftasche und legte die drei Plättchen mit den Goldflecken auf den Tisch. »Hier ist der Beweis dafür.«

Die Augen Eisenlohrs wurden starr.

Stählern hing sein Blick an den Proben, die Spranger vor ihm ausbreitete. Er beugte sich darüber, betrachtete sie schweigend.

»Nicht wahr, Eisenlohr das hast du nicht erwartet? Du bist überrascht?«

»In der Tat, William, ich bin überrascht.« Eisenlohr stand auf, zog einen Schreibtischkasten auf, griff etwas heraus und warf es vor Spranger auf den Tisch. Ein halbes Dutzend Plättchen genau derselben Art, wie der Amerikaner eben deren drei hingelegt hatte. Den gleichen runden Goldfleck trugen sie in der Mitte. In maßlosem Staunen blickte Spranger bald auf die Plättchen, bald auf Eisenlohr. Der lachte kurz auf.

»Was? Jetzt ist die Überraschung wieder bei dir? So schlau wie euer Monsieur Bigot sind wir hier auch. Vielleicht noch ein bißchen klüger, mein lieber William. Halt, mein Junge, bringe die Dinger nicht durcheinander! Die drei hier sind von dir. Laß noch mal sehen.« Er nahm die drei Plättchen, die Spranger mitgebracht hatte, in die Hand und sprach weiter: »Die beiden hier . . . die sind ohne Zweifel von dem Blei, das ich dir mitgegeben habe. Das dritte Stück . . .«, er schüttelte den Kopf, »das ist nicht von uns, William. Der Schnitt ist anders. Ich kenne doch meine alte Stanze.«

»Das habe ich schon selber entdeckt!« brach Spranger los. »Deshalb bin ich ja zu dir gekommen. Ich habe immer noch gedacht, das Stück könnte trotz der Verschiedenheit doch vielleicht von dir sein, denn ein Stück von deinem Blei habe ich Bigot auch für den dritten Versuch gegeben.«

»Ja, mein Lieber«, Eisenlohr wiegte den Kopf leicht hin und her, »da wird der Monsieur eben ein wenig gezaubert haben. Entschuldige mich, bitte, für ein paar Minuten, ich möchte noch eine kleine Untersuchung vornehmen.«

Er griff nach den drei Platten, die Spranger mitgebracht hatte, und verließ das Zimmer. William Spranger blieb mit seinen Gedanken allein . . . Bigot doch ein Betrüger? Ziemlich unverblümt hatte Eisenlohr das zum Ausdruck gebracht. Nun gut, man würde die Konsequenzen daraus ziehen . . . aber das andere Neue, was er hier eben erfahren hatte? Auch Eisenlohr beherrschte das Geheimnis der Metallumwandlung, und der machte bestimmt keinen Humbug . . . Wenn man mit dem verhandelte? . . . Wenn Kelly and Company mit Eisenlohr den Vertrag machten, den sie ursprünglich mit Bigot schließen wollten? . . . Aber würde Eisenlohr dazu bereit sein? . . . Was konnten ihm amerikanische Dollar bedeuten, wenn er wirklich Gold aus Blei zu machen vermochte . . . Immer schneller liefen die Gedanken Sprangers, begannen sich zu überstürzen. Vielleicht übte Eisenlohr die Kunst schon längst im stillen für sich selber aus . . . die wertvolle Laboratoriumseinrichtung . . . die gediegene Ausstattung der ganzen Burg . . . vielleicht war das alles schon mit einem so gewonnenen Gold bezahlt . . .? Abweisen, auslachen würde Eisenlohr sie jetzt, wenn sie ihm Dollars für solche Wissenschaft bieten wollten. Tat der nicht das einzig Richtige, wenn er sein Können nur im geheimen für sich selber nutzte? Hatte er nicht eben erst gesagt, daß ein Bekanntwerden solcher Möglichkeit nur endlose Verwirrung und Zerrüttung stiften müßte? . . .

Fast überhörte er, in Zweifeln und Grübeln versunken, die Rückkehr Eisenlohrs. Wie erschöpft ließ sich der in einen Sessel fallen und warf die drei Metallscheiben vor sich hin auf den Tisch. William Spranger sah, wie es in des Doktors Mienen zuckte und arbeitete. Er ließ eine kurze Zeit verstreichen, bevor er sich zu einer Frage aufraffte. Und wieder eine Weile dauerte es, bis Eisenlohr antwortete:

»Die beiden ersten Proben enthalten ein zweifellos durch eine Strahlung erzeugtes Gold.«

»Also doch Gold!« Mit einem Seufzer der Erleichterung stieß Spranger die Worte heraus.

»Ein instabiles Isotop des Goldatoms, mein lieber William, um es genau wissenschaftlich zu sagen. Die dritte Probe? . . . Da möchte ich noch einen Versuch machen. Gestattest du?«

Spranger nickte. Eisenlohr griff in die Tasche und zog eine Blechschere heraus. Mit einem scharfen Schnitt trennte er die dritte Platte mitten durch, griff mit den Fingern fest zu. Ebenfalls in zwei Teile zerschnitten fiel der goldene Kern locker aus dem Blei heraus. Erst jetzt fand Spranger Worte.

»Was hast du gemacht, Eisenlohr? Die Probe zerstört?«

»Den Schwindel aufgedeckt, William. Das hat Monsieur Bigot bei aller Gerissenheit doch reichlich dumm gemacht. Da, hier!« Er reichte ihm die Probe und eine Lupe. »Überzeuge dich selbst. Er hat einfach ein Loch in die Bleiplatte gebohrt und einen Goldpfropf hineingepreßt. Man kann die Spuren des Bohrers noch deutlich erkennen. Hätte er sich die Mühe gemacht, die beiden Metalle zusammenzuschmelzen, würde ihm der Betrug schwerer nachzuweisen sein.«

Nach kurzer Untersuchung legte Spranger die Metallstücke wieder auf den Tisch. »Es ist mir ein Rätsel«, seufzte er.

»Offen gestanden, mir auch, William. Wenn Bigot das Blei zweimal durch seine Strahlung umgewandelt hat, konnte er's doch auch das drittemal tun.«

»Warum tat er's dann nicht?« Spranger mußte die Frage zweimal wiederholen, bevor Eisenlohr, in Nachdenken versunken, ihn hörte, mußte auch dann noch warten, bis eine Antwort kam.

»Verschiedene Möglichkeiten sind denkbar, William. Laß mir Zeit zum Überlegen. Vielleicht werde ich dir schon bald sagen können, wie die Dinge liegen.«

»Bald? Wann, Eisenlohr?«

»Vielleicht schon morgen.«

»Zu spät, hier geht es um Stunden. Bigot drängt zum Abschluß. Was soll ich tun?«

»Drahte eine Warnung an Kelly und bleibe hier, bis ich dir Genaueres sagen kann.«

»Ich bewundere deine Ruhe, Eisenlohr.« Spranger zitterte vor Ungeduld.

»Ruhe ist viel wert, mein lieber William. Übrigens, wie hieß euer Experte?«

»Mister Percy Hartford aus Schenektady, New York.«

Eisenlohr notierte sich den Namen. »So. Den Herrn wollen wir uns auch mal etwas genauer ansehen. Ich werde mir von Reinhard eine Auskunft über ihn erbitten . . .«

»Reinhard . . . immer wieder Reinhard! Ist der Hauptmann denn an einem Auskunftsbüro beteiligt?« unterbrach ihn Spranger.

»So etwas Ähnliches ist es wohl, William, er wird mich jedenfalls schnell und zuverlässig bedienen.«

Eisenlohr erhob sich und sah nach der Uhr. »Du hast schönes Wetter mitgebracht, William, ich rate dir, einen Spaziergang durch den Wald zu machen. In anderthalb Stunden wollen wir zusammen essen.«

*

Am Vormittag des gleichen Tages, an dem Spranger wieder bei Eisenlohr erschien, waren Bigot und Hartford in der Rue Saint Antoine zusammen. Die Zigarette wollte dem Franzosen nicht schmecken, mißmutig zerdrückte er sie im Aschenbecher, sprang auf, lief unruhig durch das Zimmer und stieß abgebrochene Sätze heraus.

»Doktor Bruck läßt nichts von sich hören. Der eine von den Amerikanern ist wieder nach Deutschland geflogen . . . der andere muß sich's noch überlegen . . . will warten, bis sein Partner zurück ist . . . Es geht nicht, Hartford, wir können nicht länger warten. Unsere Mittel sind erschöpft.« Er blieb vor Hartford stehen. »Es muß sofort etwas geschehen, oder es gibt eine Katastrophe.«

»Sie hätten es nicht so weit kommen lassen sollen«, sagte Hartford phlegmatisch.

»Ihre Ruhe macht mich noch wahnsinnig!« schrie ihn Bigot an. Hartford steckte die Hände noch tiefer in die Hosentaschen.

»Etwas leiser, Bigot! Es ist nicht notwendig, daß Ihr Diener draußen hört, was wir hier zu besprechen haben. Spranger ist nach Deutschland gegangen; im Augenblick haben wir's nur mit Kelly zu tun. Ich halte Spranger für den Gefährlicheren von den beiden.

»Sie haben doch gehört, daß Kelly sich ohne seinen Partner nicht entscheiden will«, fiel ihm Bigot ins Wort.

»Nonsens! Wir wissen, daß er Feuer gefangen hat. Rücken Sie ihm auf den Pelz! Bluffen Sie ihn! Wenn Sie's geschickt machen, wird er ohne seinen Partner abschließen.«

»Er wird mich gar nicht empfangen, bevor Spranger da ist«, warf Bigot ein. Gemächlich zog Hartford seine Hände aus den Taschen und kam aus seinem Sessel allmählich in die Höhe. »Kommen Sie mit«, forderte er Bigot auf, »damit Sie gleich hören, was ich Kelly sage; ich werde ihn jetzt anrufen. Danach werden Sie zu ihm gehen und von ihm empfangen werden.« –

Bigot wischte sich die Stirn, als Hartford den Hörer wieder auflegte. »Sie haben viel riskiert, Hartford«, sagte er schwer atmend, »wenn Kelly ablehnte, war alles verloren.«

»Er hat nicht abgelehnt, Bigot. Fahren Sie jetzt zu ihm und verhandeln Sie so, wie ich es Ihnen sage.« –

»Ich lasse bitten«, sagte James Kelly, als ihm zwanzig Minuten später Monsieur Bigot gemeldet wurde.

»Die Mitteilung Mister Hartfords kommt mir völlig unerwartet«, empfing Kelly den Eintretenden.

Bigot fühlte seinen Mut wieder sinken, als er die grauen, von buschigen Brauen überschatteten Augen Kellys auf sich gerichtet sah. Er vermochte die Zuversicht Hartfords, daß der Seniorpartner der Firma Kelly and Company bereits innerlich für ihre Sache gewonnen sei, nicht ohne weiteres zu teilen. »Der Funkspruch aus Schenektady kommt auch mir überraschend«, begann er stockend. »Ich hatte vor Monaten Verhandlungen, hatte sie als aussichtslos abgebrochen. Jetzt kommt der Konzern darauf zurück und will eine Option von mir haben. Mister Hartford hielt es für richtig, Sie sofort darüber zu orientieren.«

Kelly bot seinem Besucher einen Stuhl an, während er etwas Unwilliges, Unverständliches vor sich hin knurrte.

»Die Sache kommt mir reichlich verquer, Monsieur Bigot«, sprach er weiter, »mein Partner will sich noch mit einem Wissenschaftler in Deutschland beraten. Davon soll unsere Entscheidung abhängen . . .«

Bigot erinnerte sich an die Instruktionen, die Hartford ihm mit auf den Weg gegeben hatte.

»Das verstößt gegen unsere Abmachung«, begann er mit gespieltem Unwillen, »Sie und Mister Spranger haben sich zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet.«

James Kelly warf Bigot einen Blick zu, unter dem diesem reichlich unbehaglich wurde.

»Mit der Geheimhaltung scheint es nicht weit her zu sein«, erwiderte er abweisend. »Die deutschen Freunde meines Partners waren bereits genau unterrichtet, bevor er selber ihnen noch ein Wort gesagt hatte.«

»Wie ist das möglich?« fuhr Bigot auf.

»Von uns hat niemand etwas erfahren«, wehrte Kelly kühl ab. Bigot fühlte, daß er den Hebel woanders ansetzen müsse, um weiterzukommen.

»Ich muß eine Antwort auf den Funkspruch geben«, begann er, brach ab, als er das Mienenspiel Kellys sah, wollte wieder etwas sagen, als es klopfte. Ein Hotelpage kam herein und überreichte Kelly eine Depesche. Der riß sie auf und las. Mit Luchsaugen blickte Bigot von seinem Platz aus auf das Blatt. Soviel er zu erspähen vermochte, kam das Telegramm aus Deutschland. Für sein Leben gern hätte er gewußt, was auf der andern Seite stand, doch das konnte nur Kelly lesen.

»Betrug so gut wie sicher. Ich bleibe bis zur Aufklärung noch hier. William Spranger.« stand dort geschrieben.

Minutenlang las Kelly die wenigen Worte wieder und immer wieder, während die Unruhe Bigots aufs höchste stieg. Ein ungünstiges Urteil aus Deutschland mußte den von Hartford ausgeheckten Plan über den Haufen werfen.

Endlich schien Kelly mit sich im reinen zu sein. Langsam faltete er die Depesche zusammen und steckte sie in seine Brusttasche. Abwechselnd heiß und kalt wurde es Bigot unter den Blicken, mit denen er ihn dabei betrachtete.

»Schenektady will also auch eine Option von Ihnen?« fragte der Amerikaner.

»Jawohl, Mister Kelly.« Nur unsicher brachte Bigot die Antwort heraus.

»Ich wäre bereit, Monsieur Bigot, eine . . . eine . . . ich möchte sagen . . . eine Voroption zu nehmen. Ich müßte es bei der Abwesenheit meines Partners auf mein eigenes Risiko tun.«

Bigot faßte wieder Hoffnung. »Wollen Sie, bitte, Ihren Vorschlag genauer präzisieren, Mister Kelly?«

»Ich denke so, Monsieur Bigot: Nach Schenektady funken Sie ausweichend. Unsere Verhandlungen bleiben auf dem jetzigen Stand, bis Mister Spranger zurück ist . . .«

»Schenektady könnte mir darüber verlorengehen, Mister Kelly.«

»Für das Risiko will ich Sie bezahlen. Wieviel verlangen Sie, Monsieur Bigot?«

Bigot raffte sich zusammen. »Wir sprachen von einer Million . . .

Kelly lachte kurz auf. »Sie scherzen, Sir. Wir sprechen nicht von einer Option, sondern – ich sagte es bereits – von einer Voroption. Ich würde Ihnen dafür einen Scheck über fünfzigtausend Dollar ausschreiben.«

Bigot preßte unter der Tischkante die Nägel in seine Handballen. Fünfzigtausend Dollar . . . sehr wenig, wenn man auf eine Million ausging . . . viel, wenn einem das Messer so wie jetzt an der Kehle saß. Sollte er ablehnen? Sollte er zugreifen? Während er von Zweifeln hin und her gerissen wurde, griff Kelly nach Feder und Papier und begann, einen Vertrag zu entwerfen. Als Bigot immer noch unschlüssig aufblickte, schob er ihm das Blatt hin und legte sein Scheckbuch daneben.

»Wenn Sie Ihren Namen dorthin setzen, Monsieur Bigot, können Sie einen Barscheck über fünfzigtausend Dollar mitnehmen. Die Bankschalter sind bis zwei Uhr geöffnet.«

Fünfzigtausend . . . Die Zahl klang Bigot in den Ohren, während er an drängende Gläubiger und demnächst fällige Wechsel denken mußte.

»Der Hauptvertrag!« Er flüsterte die Worte mehr als er sie sprach.

»Darüber reden wir, Monsieur Bigot, wenn Mister Spranger zurück ist. Die fünfzigtausend Dollar bekommen Sie dafür, daß Sie Schenektady bis dahin vertrösten.«

Bigot schrieb seinen Namen unter den Vorvertrag und griff nach dem Scheck. »Ich bitte aber auch weiterhin um volle Verschwiegenheit«, sagte er beim Fortgehen.

»Selbstverständlich, Monsieur Bigot«, rief ihm Kelly nach.

Bigot war noch nicht lange fort, als James Kelly ein anderer Besucher gemeldet wurde: Monsieur Lorrain, ein Börsenmakler, dem James Kelly ziemlich regelmäßig Aufträge zu geben pflegte.

»Mister Kelly wird gleich zu Ihrer Verfügung stehen. Wollen Sie sich ein kurzes Weilchen gedulden, mein Herr«, sagte der Page, der den Makler in Kellys Zimmer führte.

Monsieur Lorrain ließ sich in einen Sessel nieder und vertrieb sich die Zeit damit, die Gemälde an den Wänden zu betrachten. Mr. Kelly war offenbar noch in seinem nebenan befindlichen Schlafzimmer beschäftigt, dessen Tür nur leicht angelehnt war. Der Makler hörte ihn dort am Telephon sprechen und wollte sich bemerkbar machen, unterließ es aber, weil das Gespräch, das der Amerikaner führte, ihn plötzlich höchlichst zu interessieren begann. Er beugte sich vor, um besser lauschen zu können, und sog jedes Wort gierig ein.

»Ja, die Sache ist heute perfekt geworden«, hörte er Kelly sagen. »Sofort alle südafrikanischen Goldpapiere abstoßen . . . sofort abstoßen . . . um jeden Preis . . . Sowie etwas bekannt wird, stürzen die Kurse ins Bodenlose . . . ich kann hier am Telephon nicht mehr sagen. Man kann nie wissen, ob nicht jemand mithört.« Unwillkürlich mußte Monsieur Lorrain nicken. »Natürlich handelt es sich um die Sache Bigot . . . Funken Sie gleich per Code an Smith und Blacksmith in New York. An der Frühbörse muß dort verkauft werden . . . jawohl, verkaufen Sie blanko . . .

Monsieur Lorrain segnete den glücklichen Zufall, der ihn dies Gespräch mit anhören ließ; aber es schien ihm zweckmäßig, Kelly von seiner Mitwisserschaft nichts ahnen zu lassen. Jetzt merkte er, daß das Gespräch sich seinem Ende näherte. Er hatte auch genug gehört. Auf den Fußspitzen schlich er zur Tür hin und zog sie geräuschlos ins Schloß. Als Kelly in den Wohnraum kam, saß der Makler wieder in seinem Sessel, so sehr in die Betrachtung eines Watteau vertieft, daß er sich erst zu Kelly hinwandte, als der ihn ansprach.

Es war keine große Order, die Kelly ihm heute zu geben hatte, und Monsieur Lorrain hielt sich nicht lange auf. Er hatte Eile, fortzukommen, um das soeben Gehörte an der Pariser Mittagsbörse für sich selber auszumünzen.

*

Aus den vierundzwanzig Stunden, die Spranger ursprünglich auf der Eulenburg bleiben wollte, waren bereits drei Tage geworden, ohne daß es Eisenlohr bisher gelungen war, das Rätsel zu lösen, das der Amerikaner ihm mit den drei Proben Bigots aufgegeben hatte. Immer wieder kam er zwangsläufig zu dem gleichen Schluß: Der Mann kann etwas. Er hat auf dem Gebiet der Metallumwandlung das gleiche erreicht wie wir hier. Warum aber in drei Teufels Namen hat er dann beim drittenmal betrogen?

Auch an diesem Vormittag konnte er Spranger, der ihm in seinem Arbeitszimmer gegenüber saß, nichts anderes sagen. Noch einmal ließ er sich von ihm genau den Gang der Versuche erzählen. Eine große Elektronenröhre . . . das Einlegen der Bleiplatte in die elektrooptische Bank . . . danach das Einschalten der Hochspannung . . . Er hatte es schon mehr als einmal gehört, heute wurde er plötzlich stutzig.

»Du sprichst vom Einschalten der Spannung«, unterbrach er Spranger. »Vorher mußte Bigot doch Kühlung auf die Röhre geben.«

»Davon habe ich nichts gesehen«, sagte Spranger.

»Du hast es vielleicht übersehen, William?«

»Ausgeschlossen, Eisenlohr. Das wäre mir nicht entgangen. Ich habe doch die Kühlung hier an deinen Apparaten gesehen. Die Röhre Bigots ist überhaupt etwas anders als deine. Kleiner und einfacher, meine ich . . .«

Eisenlohr schrieb Zahlen auf ein Blatt Papier, machte eine Rechnung auf, warf danach den Bleistift hin und preßte seine Fäuste gegen die Stirn.

»Er hat bestimmt keine Kühlung«, unterbrach Spranger das Schweigen.

»Unmöglich, William! Bei dieser Elektronengeschwindigkeit . . . die Röhre mußte ihm in Sekunden zusammenschmelzen.«

Wieder griff Eisenlohr zum Bleistift. Längere Zeit dauerte diesmal seine Rechnung. Endlich ließ er den Stift sinken.

»Nun, was hast du gefunden?« fragte Spranger. Eisenlohr deckte die Hand über die Augen und sprach mehr zu sich selbst als zu Spranger.

»Jene leicht verfärbten Platten hätte Bigot allenfalls auch mit einer ungekühlten Röhre zustande bringen können . . . niemals aber diese Proben hier. Es ist unmöglich, daß er sie selbst erzeugt hat. Mag der Himmel wissen, wo er sie her hat!«

»Aber es sind doch die Bleiplatten, die ich ihm für den Versuch gab, die gleichen Platten, die ich hier von dir bekam. Der Stanzschnitt beweist es doch. Wie willst du das erklären?«

Eisenlohr richtete sich auf. »Ich würde sagen, daß er sie bei uns gestohlen hätte . . . aber das ist ja unmöglich. In unser Laboratorium kommt kein Dieb hinein . . . und wenn er doch hineinkäme, er käme nicht wieder lebendig heraus . . . Nein, so geht es nicht. Wir werden eine andere Erklärung finden müssen. Ich brauche noch Zeit, William. Das Rätsel ist schwerer, als ich glaubte. Laß uns zusammen ein wenig ins Freie gehen. Vielleicht kommt uns dort ein guter Gedanke . . .«

Wohl eine halbe Stunde ging Eisenlohr, von Spranger begleitet, kreuz und quer durch den Wald. Bald machte er so lange Schritte, daß der Amerikaner Mühe hatte, ihm zu folgen, bald wieder blieb er, in Nachdenken versunken, vor irgendeinem Busch oder Strauch stehen. Auf Umwegen näherten sie sich schließlich wieder dem Hauptweg, und hier am Straßenrand tat Eisenlohr zum erstenmal wieder den Mund auf.

»Er muß es doch bei uns gestohlen haben! Eine andere Lösung gibt's nicht!« Kurz und rauh stieß er die Worte hervor. Noch suchte Spranger nach einer Erwiderung, als ein herankommender Kraftwagen ihre Aufmerksamkeit erregte. Dicht bei ihnen hielt der Wagen, am Steuer saß Reinhard.

»Hallo, Captain!« begrüßte ihn Spranger nach Yankeemanier, während Eisenlohr die kurze Zeit benutzte, seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben.

»Ich treffe die Herren beim Spaziergang. Sehr richtig von Ihnen, Herr Doktor, daß Sie auch mal an die frische Luft gehen«, nahm Reinhard die Unterhaltung auf. »Nach unserer Verabredung wollte ich eigentlich erst telephonisch anrufen, aber die Sache war mir so wichtig, daß ich es vorzog, selber zu kommen. Wollen wir hier sprechen oder zu Ihnen hinaufgehen?«

Eisenlohr deutete auf eine steinerne Bank neben dem Wege. »Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir hier. Wir sind hier ganz ungestört.« Während sie Platz nahmen, fragte Eisenlohr:

»Sie haben vermutlich eine Auskunft über den von mir angefragten Mister Hartford bekommen?«

»Ja und nein, wie man's nimmt, Herr Doktor. Sie fragten nach einem Professor Percy Hartford aus Schenektady.«

»Ganz recht, Herr Hauptmann.«

»Ja, da muß ich Ihnen leider eine Enttäuschung bereiten. Den gibt es nicht.«

»Aber ich habe den Professor doch in Paris kennengelernt!« mischte sich Spranger ein.

»Stop, William!« brachte ihn Eisenlohr zum Schweigen.

»Es gibt in Schenektady einen Professor James Hartford, der dort ein Hochspannungslaboratorium leitet«, fuhr Reinhard fort. »Aber der ist heute noch dort, also können Sie ihn kaum in Paris gesprochen haben. Außerdem hat es ebenfalls in Schenektady einen Percy Hartford gegeben, der als Techniker im Laboratorium seines Namensvetters tätig war. Der ist vor zwei Monaten unter Mitnahme einiger nicht gerade billiger Platinschalen in der Richtung Europa verschwunden. Den könnten Sie allenfalls in Paris kennengelernt haben, Mister Spranger.«

Bei jedem Wort, das Reinhard sprach, war das Gesicht Sprangers länger geworden. Staunen und maßlose Verblüffung malten sich so drastisch darin, daß Eisenlohr auflachen mußte. Wie ein Fisch auf dem trockenen schnappte der Amerikaner ein paarmal nach Luft, ehe er zum Reden ansetzte.

»Er hat mir doch aber sein Diplom gezeigt. Ich habe es mir genau angesehen. Auf ›Herrn Professor Doktor Percy Hartford‹ lautete es. Ein schweres Universitätssiegel befand sich neben den Unterschriften auf dem Dokument. Ich kann nicht glauben, daß Ihre Informationen zutreffend sind, Herr Hauptmann.«

»Meine Informationen sind richtig, Mister Spranger. Es gibt Institute, man könnte fast sagen Fabriken, die derartige Diplome gegen entsprechende Bezahlung kunstvollendet liefern. Mister Percy Hartford wird die Dienste einer dieser Anstalten in Anspruch genommen haben, um in Paris mit dem nötigen Nimbus auftreten zu können.«

»Verdammt!« Spranger stand in seiner Erregung auf. »Wenn das wirklich so wäre . . .«

». . . hätte Mister Kelly sich nicht gerade die geeignete Persönlichkeit als Experten gewählt«, vollendete Reinhard.

»Es muß etwas geschehen! Sofort, Eisenlohr!« Hilfe suchend blickte Spranger seinen Freund an.

»Ich fürchte fast, es wird dazu bereits zu spät sein«, fuhr Reinhard fort. »Ich bekam inzwischen weitere Nachrichten aus Paris, die mich veranlaßten, selber hierher zu kommen. In den letzten Tagen muß es Bigot und Hartford gelungen sein, Ihren Partner während Ihrer Abwesenheit zu überrumpeln, Mister Spranger. Er hat die Bigotsche Erfindung angekauft. Gerüchtweise wird von einer sehr hohen Kaufsumme gesprochen. Es wurde ein Preis von einer Million Dollar genannt..

»Unfaßbar! Wie konnte Kelly das in meiner Abwesenheit tun!« Spranger griff sich verzweifelt an den Kopf. »Eine Million für einen Humbug wegzuwerfen . . . Wissen Sie sicher, daß es so ist, Herr Hauptmann, oder handelt es sich hier nur um Gerüchte?«

Reinhard zuckte die Achseln. »Die Pariser Blätter sind voll davon, Mister Spranger. Hier, bitte«, er zog eine Zeitung aus der Tasche. »Ich habe Ihnen den ›Temps‹ von gestern mitgebracht. Da, sehen Sie die Überschriften! ›Amerikanischer Millionär kauft französische Erfindung‹ . . . Hier weiter: ›Kaufpreis eine Million Dollar.‹ Hier noch ein anderer Aufsatz über das gleiche Thema. Sie sehen wohl, daß das mehr als Gerüchte sind.«

William Spranger fühlte seine Knie wanken. Erschöpft ließ er sich auf die Bank fallen. Wenn auch nur die Hälfte von dem zutraf, was in der französischen Zeitung stand, dann hatte sein Partner eine unverzeihliche Dummheit begangen und die gemeinsame Firma schwer geschädigt, so schwer vielleicht, daß sie liquidieren mußte. Unbegreiflich, daß das einem Mann wie Kelly passieren konnte. Mit welchen Mitteln mochten die Schwindler gearbeitet haben, um den klugen Kaufmann so hereinzulegen?

In sein Sinnen klang eine Frage Eisenlohrs an Reinhard:

»Wie hat die Nachricht auf die Börsen gewirkt, Herr Hauptmann?«

Reinhard blätterte weiter in der Zeitung und schlug den Kurszettel auf, deutete mit dem Finger auf Stellen, wo anstatt der Zahlen nur Striche vorhanden waren.

»Hier können Sie es sehen, Herr Doktor. Eine schwere Baisse in Goldminenwerten ist ausgebrochen. Schon vor zwei Tagen hat es namentlich in den südafrikanischen Goldpapieren Kursrückgänge bis zu fünfzig und mehr Punkten gegeben. Gestern muß die Stimmung an den Börsen geradezu panikartig geworden sein. Man hat für manche Werte überhaupt keine Kurse mehr notiert. Während der letzten drei Tage dürften Vermögenswerte in Milliardenhöhe verlorengegangen sein. Die Schuld daran muß zweifellos auf das Konto von Monsieur Bigot geschrieben werden.«

Eisenlohr legte Spranger die Hand auf die Schulter. »Erinnerst du dich an das, William, was ich dir vor wenigen Tagen sagte? Wörtlich ist es in Erfüllung gegangen. Unruhe, Verwirrung der Märkte . . . Millionenverluste, und das bereits auf eine erste unbestimmte Nachricht hin. Wie würde es erst werden, wenn Monsieur Bigot wirklich könnte, was er versprochen hat?«

Spranger rang nach Fassung und raffte sich zu einem Entschluß auf.

»Ich muß sofort wieder nach Paris, muß zu retten versuchen, was noch zu retten ist.«

»Viel wird nicht mehr zu machen sein«, sagte Reinhard.

»Die Million will ich retten!« fuhr Spranger auf. »Unser gutes Geld will ich den Schwindlern wieder abnehmen. Es muß doch Mittel und Wege dazu geben!«

Reinhard machte eine zweifelnde Bewegung.

»Halten Sie es nicht für möglich, Herr Hauptmann?« fragte Spranger hastig.

»Ich weiß es nicht, Mister Spranger. Die französische Justiz arbeitet anders als die deutsche. Vielleicht haben auch die Herren Bigot und Hartford mit ihrer Beute schon das Weite gesucht.«

»Ganz egal – ich muß sofort nach Paris!« beharrte Spranger eigensinnig auf seinem Entschluß.

»Ich kann Ihren Wunsch verstehen«, kam ihm Reinhard zu Hilfe. »Was hier auszurichten war, habe ich bestellt. Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Sie mit meinem Wagen zum Flugplatz.«

*

An dem gleichen Vormittag, an dem Eisenlohr und Spranger am Burgweg die Unterredung mit Reinhard hatten, standen Dr. Holthoff und Professor Braun in dem Basaltkeller der Burg und beobachteten die Weiterentwicklung verschiedener durch die ultrafrequente Strahlung belebter Gelatineproben in der Wärme des großen Brutschrankes.

»Ein Zweifel ist nicht mehr möglich, Herr Kollege«, sagte Professor Braun nach einer längeren Untersuchung. »Diese durch Menschenwitz geschaffenen Zellen teilen und vermehren sich hier selbsttätig weiter.«

»Ich habe es kaum anders erwartet, Herr Professor«, bestätigte Holthoff die Worte Brauns. »Aber ich glaube, bei einer dauernden Einwirkung der Strahlung würde die Vermehrung noch schneller vor sich gehen.«

»Das könnte wohl sein, Herr Holthoff, aber nach meiner Meinung wäre es nicht so beweiskräftig als das, was wir hier sehen«, nahm Braun den Gedanken auf. »Das ist ja gerade das Fundamentale an Ihrer Entdeckung, daß diese organischen Gebilde auch nach dem Aufhören der Strahlung, durch die sie erschaffen wurden . . . von Menschenhand erschaffen, Herr Holthoff . . . aus eigener Kraft weiterleben und weiterwachsen. Schade, daß Herr Eisenlohr nicht hier ist, um das selber zu sehen! Es müßte doch eine große Freude für ihn sein.«

Holthoff machte eine zustimmende Bewegung. »Gewiß, Herr Professor. Leider ist er die letzten Tage stark durch Mister Spranger in Anspruch genommen worden. Einstweilen müssen Sie mit meiner Assistenz vorliebnehmen.«

Professor Braun verbarg seinen Mißmut nicht. »Ich empfinde diesen Amerikaner nachgerade als ein störendes Element«, meinte er unwillig. »Wenn wir im besten Experimentieren sind, platzt der Mann unangemeldet herein, nimmt Eisenlohr in Beschlag und hält unsere Arbeiten auf. Wenn er wenigstens noch einen vernünftigen Grund dafür hätte; aber soviel ich davon gehört habe, handelt es sich doch um eine schwindelhafte Sache, für die ein ernsthafter Wissenschaftler nicht fünf Minuten vergeuden sollte. Ach was, Doktor, unsere Zeit ist auch zu schade für solchen Humbug! Wir wollen lieber die nächsten Proben untersuchen.« –

Während Eisenlohr nach der Abfahrt von Reinhard und Spranger allein den Burgweg hinaufschritt, waren seine Gedanken nicht wesentlich von denen verschieden, die Braun zur gleichen Zeit Holthoff gegenüber aussprach.

Allzusehr hatte er während der letzten Tage seine eigenen Angelegenheiten Spranger zuliebe vernachlässigen und wichtige Untersuchungen seinen Assistenten überlassen müssen. Die Möglichkeit, jetzt wieder selber ruhig und ungestört arbeiten zu können, erfüllte ihn mit Befriedigung. Von solchen Gefühlen bewegt, ging er über den Burghof auf sein Laboratorium zu; er blieb einen Augenblick stehen, als das Geräusch arbeitender Maschinen aus den Kellerräumen her an sein Ohr drang. Ventiltacken verriet, daß die große Kältemaschine in Betrieb war.

Braun und Holthoff sind wohl bei neuen Versuchen, ging es ihm durch den Sinn, während er die Treppe zum Laboratorium hinaufstieg. Ich bin neugierig, was sie inzwischen ausgerichtet haben. Vorsichtig öffnete er die Tür, um die beiden möglichst wenig zu stören . . . und sah, daß seine Annahme irrig war. Der Professor und Dr. Holthoff waren nicht im Laboratorium. Nur Bruck stand bei der elektrooptischen Bank und experimentierte mit der großen Strahlröhre. Über die Bank gebeugt, war er so in seine Arbeit versunken, daß er das Hereinkommen Eisenlohrs nicht bemerkte.

Befremdet blieb Eisenlohr stehen. Vergeblich suchten seine Augen in der Apparatur nach einer Gelatineprobe. Was hatte Bruck denn für einen Versuch vor? Lautlos ging er nach kurzem Beobachten näher heran, ein Blick auf die Meßinstrumente zeigte ihm, daß Bruck mit Spannungen und Strömen arbeitete, die für einen Gelatineversuch überhaupt nicht in Betracht kommen konnten. Der Verdacht, daß sein Assistent anderen, nicht aus dem Arbeitsplan stehenden Dingen nachging, wurde in ihm wach und fand seine Bestätigung, als er endlich dicht neben ihm an der Bank stand.

Bruck hatte eins jener schon öfter erwähnten Bleiplättchen in die Bank geschoben und ließ die Strahlung darauf wirken. Zusehends wandelte sich die dunkle Bleifarbe unter ihrem Einfluß in schimmerndes Goldgelb; nicht mehr auf einen kleinen Mittelteil beschränkte sich die Veränderung, fast bis zum Rand hin ging sie. Gegenüber jenen Proben, die Eisenlohr bei seiner neuerlichen Unterredung mit Spranger diesem zeigte, war ein beträchtlicher Fortschritt unverkennbar.

Jetzt schien der Versuch zu Ende zu gehen. Dr. Bruck richtete sich auf, um den Strom abzuschalten. Er schrak zusammen, als er Eisenlohr neben sich erblickte. Der griff schweigend nach einem Protokollbuch, das neben der optischen Bank lag, und blätterte darin. Im Gegensatz zu den sonst im Laboratorium gebräuchlichen Büchern war es nur ein kleines Oktavheft, in dem Dr. Bruck diese Versuche und ihre Ergebnisse notiert hatte, nach Format und Stärke durchaus geeignet, unauffällig in einer Rocktasche zu verschwinden.

Immer noch schweigend legte Eisenlohr das Heft wieder hin und sah Bruck durchdringend an. Dem wurde unbehaglich unter dem Blick. Er wollte etwas sagen, als Eisenlohr ihm zuvorkam:

»Herr Doktor Bruck, ich habe angeordnet, daß diese Versuche nicht weiter fortgesetzt werden sollen. Ich bitte Sie, sich künftig an meine Bestimmungen zu halten.«

Bruck bekam einen roten Kopf und fand nun auch Worte. »Verzeihung, Herr Doktor! Diese Atomumwandlung interessierte mich privat. Ich dachte, wenn die Röhre nicht anderweitig benutzt wird, könnte ich –«

»Nein, Herr Doktor Bruck! Wir müssen unsere Röhren schonen. Wir haben noch Hunderte von Gelatineversuchen vor, die viel wichtiger sind als diese Spielerei.«

»Spielerei, Herr Doktor!? Ich glaube doch, daß das hier«, er nahm das goldig schimmernde Plättchen aus der Bank, »wichtiger ist als alle Gelatineversuche . . .«

»Da glauben Sie etwas Falsches, Herr Doktor Bruck!« fiel ihm Eisenlohr scharf ins Wort. »Ich bitte Sie, sich strikt an meine Anweisungen zu halten! – Wissen Sie, wo die Herren Braun und Holthoff sind?«

Bruck fühlte, daß es zu einer scharfen Auseinandersetzung, ja vielleicht zu einem sofortigen Bruch kommen würde, wenn er noch weiter auf seiner Meinung bestand.

»Herr Professor Braun und Herr Doktor Holthoff arbeiten am Brutschrank«, antwortete er, froh, das Thema wechseln zu können. »Die Herren beobachten das Wachstum der zuletzt erzeugten Zellen.«

»Ah! Die Zellen wachsen im Schrank weiter?« fragte Eisenlohr mit Interesse. Auch er schien über diese Mitteilung den eben beendeten Streit vergessen zu haben.

»Die Zellen wachsen und teilen sich, Herr Eisenlohr«, bestätigte Bruck seine Frage.

»Danke, Bruck, das muß ich selbst sehen.« Eisenlohr ging an die Treppe, die in den Basaltkeller hinunterführte. Bruck schaute ihm nach, bis sich die eiserne Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann änderten sich seine Haltung und Miene mit einem Schlage. Eben noch stand er wie das verkörperte schlechte Gewissen da. Jetzt warf er nach der Richtung, in der Eisenlohr verschwunden war, einen Blick, in dem offene Feindseligkeit lag.

»Bist doch zu spät gekommen, du Narr!« flüsterte er vor sich hin, steckte das Protokollheftchen in seine Brusttasche, griff in eine andere Tasche und holte ein gutes Dutzend runder Platten heraus, die ganz und gar aus schimmerndem Gold zu bestehen schienen. Klingend ließ er sie von der einen Hand in die andere fallen, während seine Lippen weiter Worte formten:

»Spielereien nennt er das? Spielerei ist ihm die Umwandlung von gemeinem Blei in lauteres Gold? Nur seine elende Leimsiederei will er gelten lassen? . . . Mag er damit glücklich werden . . . um so besser, wenn er nicht mitmacht. Monsieur Bigot denkt Gott sei Dank anders darüber. Ich weiß, was ich zu tun habe . . .«

Noch einmal schüttete Bruck die schimmernden Scheiben auf den Handteller seiner Rechten. Sie wogen nicht leicht. Einen Wert von tausend Mark etwa mochte dies Häufchen Gold haben, das er in wenigen Freistunden durch die Ultrastrahlung erzeugt hatte.

Er ließ die Plättchen in seine Tasche zurückgleiten, sprach dabei weiter vor sich hin. »Eine Spielerei, Herr Doktor Eisenlohr – meinetwegen. Aber dann eine Spielerei, die sich jedenfalls besser lohnt als Ihre brotlosen Künste . . . Tausend Mark in wenigen Stunden – nicht tausend Pfennige wird man für die Schleimwesen in Ihren Reagenzgläsern geben . . .«

Er hörte Schritte auf der vom Keller her nach oben führenden Treppe, verließ das Laboratorium und zog sich in sein Zimmer zurück. Ein wenig später saß er am Schreibtisch und war mit der Abfassung eines Briefes an Monsieur Bigot beschäftigt.

*

Gleich bei seiner Ankunft auf dem Pariser Flugplatz hatte Spranger sich an französischen Zeitungen gekauft, was er bekommen konnte. Auf der Fahrt zum Hotel durchflog er sie, und was er darin fand, übertraf seine finstersten Vermutungen. Aufgeregt stürmte er in das Zimmer Kellys, hielt ihm die Zeitungen hin, schrie ihn an.

»Wie konnten Sie das tun, Kelly? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen!?«

James Kelly sog gemächlich an seiner Shagpfeife, stieß ein paar Rauchwolken aus und ließ sich von der Aufregung seines Partners nicht anstecken. Um so erregter wurde der.

»Ich habe Ihnen doch gedrahtet, Kelly! Haben Sie meine Depesche nicht bekommen?«

Kelly nickte und griff in seine Tasche. »Doch, Spranger, hier ist sie.«

»Und trotzdem haben Sie mit Bigot abgeschlossen? Einem Schwindler eine Million in den Rachen geworfen?«

»Keine Million, Spranger – nur fünfzigtausend Dollar!«

Spranger atmete erleichtert auf. Fünfzigtausend Dollar waren zwar auch Geld, aber schließlich konnte die Firma den Verlust verschmerzen.

»Nur fünfzigtausend, Kelly?« fuhr er etwas ruhiger fort. »Und hat Bigot sich darauf eingelassen?«

»Er mußte wohl. Das Messer saß ihm an der Kehle.«

»Aber Sie, Kelly? Warum haben Sie das getan? Sie mußten doch wissen, daß wir es mit einem Schwindler zu tun haben?«

»Natürlich wußte ich das, Spranger. Vermutet hatte ich es bereits nach dem letzten Versuch Bigots. Ihr Telegramm gab mir die volle Gewißheit. Daraufhin entschloß ich mich, zu handeln.«

Spranger warf sich in einen Sessel und sah seinen Partner verständnislos an. Der stieß mächtige Rauchwolken in die Luft und belustigte sich an dem Erstaunen des andern.

»Ich begreife Sie nicht!« stöhnte Spranger. »Haben Sie auch an die Blamage gedacht? Die Zeitungen werden nicht schlecht über Sie herfallen, wenn der Schwindel 'rauskommt. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie die sich über Sie auslassen werden. ›Alter Wallstreet-Mann von Gaunerpaar 'reingelegt!‹ wird's in den Schlagzeilen heißen, und vielleicht wird noch Schärferes über Sie in den Blättern stehen . . .«

Kelly rieb sich die Hände. »Hoffentlich, Spranger! Je eher und gröber, desto besser. Ich glaube selber, daß es für die Burschen in den Redaktionen ein gefundenes Fressen sein wird. Sie werden mich gehörig abledern, davon bin ich heut schon überzeugt!«

Spranger griff sich an die Stirn. War sein Partner plötzlich erkrankt? Sprach er im Fieber? Hatte er es mit einem Unzurechnungsfähigen zu tun?

»Haben Sie nicht an Ihren guten Ruf gedacht, Kelly?« fragte er vorsichtig. »Ich fürchte, man wird Sie nach dieser Affäre in Wallstreet nicht mehr für voll nehmen. Es wird unseren amerikanischen Geschäften schwer Abbruch tun!«

»Sind Sie jetzt fertig?« fragte Kelly, als William Spranger endlich eine Pause machte. »Gut! Dann merken Sie sich eins: Wer James Kelly 'reinlegen will, muß etwas früher aufstehen als die Herren Bigot und Hartford. Ich merke, Sie verstehen mich immer noch nicht. Dann sehen Sie sich mal, bitte, das Orderbuch hier an.«

Er schob Spranger ein Buch hin. Der schlug es auf und wurde blaß, während er darin blätterte. Verstört ließ er es sinken.

»Um des Himmels willen, Kelly! Was haben Sie getan? Diese Ordres – Millionen und nochmals Millionen – ein Mehrfaches unseres Kapitals – schwache Deckung! Gehen die Kurse noch zehn Punkte zurück, dann sind wir erledigt! Mein Gott! Wie konnten Sie nur . . .!«

»Die Kurse werden nicht weiter fallen. Ich habe richtig beim tiefsten Stand gekauft.«

»Sie mögen es glauben, Kelly. Aber wenn Sie sich irren?«

»Ich irre mich nicht. Seit gestern ist bereits eine Beruhigung des Marktes zu merken. Morgen, spätestens übermorgen werden meine Bomben platzen. Die Presse wird programmgemäß über Old Kelly herfallen, und gleichzeitig wird an allen Börsen ein Boom in Goldpapieren ausbrechen. Alle, die Minenaktien gefixt haben, werden sich eindecken müssen.«

Spranger hielt sich die Ohren zu. »Hören Sie auf! Wenn und wenn und nochmals wenn! Und wenn's andersrum geht, sind wir fertig! Ich fürchte, Kelly, Sie sind zu hart an den Wind gesegelt!«

»Zu hart nicht, Spranger. Hart 'ran – meinetwegen. Es war notwendig, wenn das Geschäft sich lohnen sollte. Vernünftigerweise dürfen wir annehmen, daß die Goldwerte ihren früheren Kurs wieder erreichen. Wahrscheinlich werden sie ihn vorübergehend überschreiten. Ich werde den Höchststand nicht abwarten, sondern beizeiten realisieren.«

»Und wenn Bigot doch etwas gelingt, Kelly?«

James Kelly klopfte gelassen seine Pfeife aus. »Bigot ist ein Schwindler«, sagte er, während er sie frisch zu stopfen begann.

»Nein, Kelly! Zweimal hat er durch seine Strahlung wirklich Gold erzeugt. Auch Doktor Eisenlohr hat das zugegeben.«

Kelly riß ein Streichholz an und setzte seine Pfeife wieder in Brand. »Durch Strahlung erzeugt?« warf er zwischen zwei Rauchwolken hin. »Vielleicht, Spranger, aber dann bestimmt nicht bei dem Versuch, den er uns vormachte. Ich habe den andern Burschen, diesen Professor Hartford, keinen Moment aus den Augen gelassen. Er hat die Sache geschickt gefingert, aber für mich nicht geschickt genug.«

»Sie haben mir kein Wort davon gesagt, Kelly.«

»Mit Absicht nicht. Ich wollte noch eine Bestätigung von einer andern Seite haben. Es kam mir sehr gelegen, daß Sie damals gleich wieder Ihren Freund in Deutschland aufsuchten. Sobald ich Ihr Telegramm hatte, entschloß ich mich, loszuschlagen.«

William Spranger sah unsicher vor sich hin. Alles, was Kelly ihm sagte, hatte Hand und Fuß, schien durchaus logisch zu sein, und doch wollten ihm die Worte Eisenlohrs nicht aus dem Sinn. »Diese beiden Proben sind zweifellos durch Strahlung erzeugtes Gold«, hatte ihm der auf der Eulenburg gesagt.

»Ziehen Sie Ihr Gesicht in andere Falten, Spranger!« rief ihm Kelly zu. »Es könnte sonst so stehenbleiben, wenn die Glocken von Notre-Dame zu läuten anfangen!«

*

Am nächsten Tag sah sich Eisenlohr veranlaßt, in eine Meinungsverschiedenheit zwischen Professor Braun und Dr. Holthoff vermittelnd einzugreifen. Der Professor hatte die Absicht, die sämtlichen Gelatinearten, die er mit auf die Eulenburg gebracht hatte, der Strahlung zu unterwerfen. Holthoff vertrat die verständigere Meinung, daß es mit den bisher erfolgreich bearbeiteten zwanzig Sorten wohl des Guten genug wäre.

Eine Weile hörte sich Eisenlohr die Debatte der beiden ruhig mit an, benutzte dann einen geeigneten Augenblick, um eine Frage dazwischenzuwerfen.

»Was würden Sie damit erreichen, Herr Professor Braun, wenn Sie im Laufe der nächsten Wochen auch noch die restlichen hundertachtzig Proben, sei es mit, sei es ohne Erfolg, bearbeiteten?«

»Man würde wissen, Herr Eisenlohr, daß –« platzte Braun mit der Antwort los und stockte dann, weil er ein passendes Ende für seinen Satz nicht finden konnte.

Wir würden keinen Deut mehr erfahren, als wir heute bereits wissen, mein verehrtester Herr Professor«, sprach Eisenlohr weiter. »Die Hauptsache ist geklärt. Die Urzeugung, das heißt die Umwandlung unbelebter in belebte Materie, ist uns gelungen. Daran dürfte wohl nicht mehr zu rütteln sein.«

»Sie ist Ihnen gelungen, Herr Doktor«, bestätigte Braun die Worte Eisenlohrs. »Den Ruhmestitel kann Ihnen niemand streitig machen.«

Eisenlohr schüttelte den Kopf. »Verzeihung, Herr Professor, nach internationalem wissenschaftlichem Brauch gilt derjenige als Entdecker, der eine neue Sache zuerst veröffentlicht.«

»Wer, außer Ihnen, sollte das tun – tun können, Herr Eisenlohr?«

»Der Zufall spielt bisweilen wunderlich, Herr Professor Braun. Die Geschichte der Forschung kennt Fälle, die zur Vorsicht mahnen. Ich halte es für angebracht, daß wir jetzt einen kurzen Bericht für unsere Fachpresse herausgeben.«

»Wir?« fragte Braun verwundert. »Nur Sie können das machen! Sie allein sind der erfolgreiche Forscher gewesen!«

»Zusammen mit meinen Assistenten, Herr Professor, und auch Ihre Hilfe unterschätze ich nicht. Ich denke mir die Sache so: Ich gebe einen knappen Bericht über die ersten glücklich gelungenen Urzeugungen unter Nennung meiner beiden Mitarbeiter. Sie schließen sich als Gutachter mit einem zweiten Bericht an, in dem Sie Ihre Erfahrungen mit andern Gelatinearten mitteilen. Das Ganze läßt sich nach meiner Schätzung auf vier Druckseiten erledigen, aber es müßte schnell geschehen.«

»Warum plötzlich solche Eile?« fragte Braun. »Ich meine, das hätte doch Zeit, bis wir noch ein Stückchen weiter wären.«

»Nein, Herr Professor«, entschied Eisenlohr mit Bestimmtheit. Ich habe triftige Gründe, die Veröffentlichung zu beschleunigen. Die Berichte müssen heute abend noch an die Fachzeitschriften abgehen.«

»Kurze Zeit, Herr Eisenlohr. Ich weiß nicht, ob ich bis heute abend damit fertig werde.«

»Es muß sein, Herr Professor. Herr Doktor Holthoff steht Ihnen dafür zur Verfügung. Meinen Bericht werde ich selber schreiben . . .«

»Aber warum nur, Herr Eisenlohr?«

»Glauben Sie mir, Herr Braun, mir wird erst wieder wohl sein, wenn ich diese beiden Berichte auf der Post weiß. Danach können wir uns in aller Ruhe über unser weiteres Arbeitsprogramm schlüssig werden.«

»Nun, wenn es sein muß – meinetwegen«, fügte sich Braun, ohne seine abweichende Ansicht zu verbergen, der Entscheidung. »Wir wollen unsere Protokollbücher nehmen, Herr Holthoff, und in Ihr Arbeitszimmer gehen. Hoffentlich schaffen wir's zur Zeit. Sie nehmen sich wohl Herrn Doktor Bruck zur Unterstützung, Herr Eisenlohr?«

»Der ist leider nicht greifbar, Herr Professor. Er hat sich für heute Urlaub genommen, wollte etwas in Ihlefeld besorgen. Ich werde mit meiner Sache schon selber zu Rande kommen.« –

In Holthoffs Zimmer legte sich Braun Schreibpapier und Feder zurecht und griff nach den Protokollbüchern, begann einen Satz zu formen und niederzuschreiben und ließ die Feder dann wieder sinken.

»Verstehen Sie diese plötzliche Eile, Herr Kollege?« fragte er Holthoff.

Der überlegte einen kurzen Augenblick, sprach dann zögernd: »Etwas Bestimmtes weiß ich auch nicht. Möglicherweise hängt es mit einem Besuch zusammen, den Eisenlohr heute früh hatte.«

»Besuch? Wer war denn da, Herr Holthoff?«

»Ein Bekannter von ihm, ein Herr Reinhard.«

»Reinhard? – Reinhard? – Kenne ich nicht. Was ist das für ein Mann?«

»Ein Hauptmann a. D., soviel ich weiß, Herr Professor.«

»Hauptmann a. D.? Verstehe ich nicht . . . Was hat ein verabschiedeter Offizier mit unseren Versuchen zu tun?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Professor. Ich weiß nur, daß Eisenlohr von dem Herrn gelegentlich wertvolle Informationen bekommen hat. Daher meine Vermutung – es ist auch nur eine Vermutung, daß diese Eile jetzt einen ähnlichen Grund haben könnte.«

Mit einer unwilligen Gebärde griff Braun wieder zur Feder. »Lächerlich!« brummte er vor sich hin. »Darum müssen wir eine Sache überstürzen, für die man eigentlich Tage nötig hätte. Nun, es hilft nichts, wir haben den Bericht versprochen. Sehen wir, daß wir so schnell wie möglich damit fertig werden.«

*


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