Hans Dominik
Klaus im Glück
Hans Dominik

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Die schwarzen Steine im Riviere

Als seine Leute den Sperrdamm in dem großen Riviere schütteten, waren Klaus zum ersten Male merkwürdige schwarze Steine aufgefallen. Während die Steppen der Parklandschaft von einer ziemlich starken Humusschicht bedeckt waren, trat in dem Flußbett ein scharfer, gelber Sand zutage, der mit größeren und kleineren schwarzen Brocken durchsetzt war. Der alten Gewohnheit treu hatte er begonnen, diese Steine zu sammeln. Von jedem seiner Gänge zum Riviere hatte er eine Handvoll mitgebracht. Schon lag eine ziemliche Menge davon in einem seiner Schreibtischkästen.

Jetzt saß er davor, ließ die schwarzen, glasig schimmernden Brocken durch die Finger gleiten. Auffallend schwer schienen ihm die Steine zu sein. Prüfend wog er einen der größten in der Hand. Sein Blick fiel auf die Briefwaage, mechanisch legte er den Stein darauf. Der Zeiger spielte bis zur 26, blieb dann stehen.

26 Gramm Gewicht. Aber das wollte er ja gar nicht wissen Das spezifische Gewicht interessierte ihn. Er griff nach einem Faden, knotete den Stein ein und band ihn an das Knie der Briefwaage, daß er frei nach unten hing. Wieder spielte der Zeiger auf die 26. Er schob ein leeres Glas unter den Brocken, begann es aus der Karaffe vorsichtig zu füllen. In dem Maße, in dem das Wasser den Brocken umspülte, ging der Zeiger zurück.

Jetzt war der Stein vollkommen im Wasser. 22,2 Gramm zeigte die Waage. Klaus griff nach Bleistift und Schreibblock, begann zu rechnen. 26 minus 22,2 gleich 3,8 Gramm. Also Gewicht des Steines 26 Gramm, Gewicht eines gleichen Volumens Wasser 3,8 Gramm. Spezifisches Gewicht des Brockens gleich 26 dividiert durch 3,8 gleich 6,85 . . .

Er ließ den Bleistift sinken. Spezifisches Gewicht 6,85 . . . fast siebenmal so schwer als Wasser war dieser Brocken. Er wiederholte den Versuch mit anderen der schwarzen Steine. Stets das gleiche Resultat. Erze eines Schwermetalles mußten es sein, die hier vor ihm lagen. Und reiche Erze ganz zweifellos, denn nur so ließ sich dies hohe spezifische Gewicht erklären.

Sein Spüreifer wurde rege. Aus einem anderen Fach des großer. Schreibtisches holte er ein Trockenelement und ein Galvanometer hervor, schaltete sie zusammen, begann mit den beiden blanken Drahtenden den Brocken abzutasten. Da! . . . Über die ganze Skala schlug der Zeiger des Galvanometers aus. Der Stein war ein guter Leiter für den elektrischen Strom. Nur ein hochwertiges reiches Metallerz konnte sich so verhalten. Er griff in den Kasten nahm andere Brocken, prüfte sie in der gleichen Weise. Überall dasselbe Verhalten.

Klaus spürte, wie die Erregung des Jägers ihn packte, der sein Wild zum Schuß bekommt.

Die Erze durch einen Sachverständigen untersuchen lassen? Ah bah! Er verwarf den Gedanken so schnell wie er kam. War er nicht selber sachverständig genug. Ein Metallerz war es sicher, was da vor ihm lag. Wahrscheinlich eine Metallsauerstoffverbindung, im ungünstigsten Falle ein Schwefelmetall. Eine mit reduzierenden Mitteln geschmolzene Probe mußte ihm Aufschluß geben. Die Mittel für solche Analysen hatte er sich seit langem beschafft.

Schon stand der Benzinbrenner auf dem Tisch und begann zischend und brausend seine heiße Flamme nach oben zu recken. Im Mörser zerstampfte Klaus eine Portion der schwarzen Brocken, mischte das gewonnene Pulver mit Kohlenstaub, schüttete es in eine Quarzschale, bedeckte es mit gestoßenem Borax und schob die Schale über die Flamme.

Die Uhr in der Hand stand er davor und beobachtete. Die Hitze begann sich dem Inhalt der Schale mitzuteilen. Ein leichter Rauch stieg empor. Knisternd gab der Borax sein Kristallwasser ab und begann zusammenzusintern.

Nun floß die Masse auseinander, eine glasartige Schicht geschmolzenen Boraxes stand über dem Schaleninhalt. Zischend umspülte die Flamme des Blaubrenners das Gefäß, höher und immer höher stieg die Temperatur. Ohne zu erweichen oder sonst Schaden zu nehmen, ließen sich diese aus reinem Bergkristall erschmolzenen Retorten ja bis auf tausend Grad erhitzen.

Jetzt wallte es in der Schale auf. Das schwarze unter der Boraxdecke liegende Pulver begann Gase auszustoßen. Die erwartete Reaktion setzte ein. Mit dem Sauerstoff des Erzes verband sich der beigefügte Kohlenstaub zu Kohlensäure und entwich durch den schäumenden Borax. Das Metall wurde frei.

Minuten verstrichen, dann ließ das Schäumen nach. Der Prozeß war zu Ende. Klaus hob die Schale vom Feuer und betrachtete sie von der Seite. Durch die klare Quarzwand konnte er den Inhalt gut erkennen. Unter der schützenden Boraxdecke stand ein silbern schimmerndes Metallbad. Was war's, was er da aus den schwarzen Steinen erschmolzen hatte?

Er griff ein Stück Karton, tauchte es in Wasser und kniffte eine kleine Form daraus. Dann griff er von neuem nach der Schale, schüttete den geschmolzenen Inhalt in die Form. Der feuchte Karton begann unter der Hitze zu dampfen, sich stellenweis zu bräunen. Er tropfte Wasser darauf, griff dann das Ganze mit der Pinzette und warf's in ein Wasserglas.

Ein kurzes Zischen. Das erwärmte Wasser begann den Borax zu lösen, das Papier der Form blätterte ab. Er griff in das Wasser, zog ein silberweißes Metallstäbchen heraus. Mit der Spitze der Pinzette fuhr er darüber hin. Tiefe Furchen ritzte der scharfe Stahl in das Metall. Für Zink war's zu weich. Blei oder Zinn, das war die Frage.

Er brachte das Stäbchen dicht an sein Ohr, bog es zusammen und hörte dabei ein feines, knisterndes Kreischen. Zinn! Das typische, jedem Chemiker so wohlbekannte Zinngeschrei war an sein Ohr gedrungen. Dieses Stäbchen hier in seiner Hand mußte zum überwiegenden Teil aus reinem, metallischem Zinn bestehen, sonst hätte es diesen Ton nicht hervorbringen können.

Mit einem Stichel kratzte er eine Spur von der Schmelzprobe ab, brachte sie in den Blaubrenner, blickte durch das Spektroskop darauf. Klar und deutlich sah er die charakteristischen Linien des Zinnspektrums. Jeder Zweifel war jetzt beseitigt. Ein hochwertiges, reines Zinnerz war es, mit dem er hier die Schmelzprobe gemacht. In Millionen von Brocken und Bröckchen lag dieses Erz auf seinem Grund und Boden in dem Riviere. Wieder zeigte ihm das Schicksal einen Glücksfund. Ihn fassen, ihn greifen und festhalten, das war jetzt die Aufgabe. – – –

Die Stunden verstrichen. Als die Mitternacht heraufzog, saß Klaus immer noch vor der brausenden Lötflamme und machte quantitative Schmelzen. Der Bogen vor ihm bedeckte sich mit Zahlen. 60% . . . 70% . . . 75%. Er ging an den Bücherschrank, griff einen Band, las und verglich. Da stand es schwarz auf weiß zu lesen. Noch zweiprozentige Erze verhüttete man in Deutschland und kam zurecht damit. Siebzigprozentige Erze lagen hier im Boden seiner Farm. – – –

Die kommenden Tage verbrachte Klaus im Riviere. An vielen Stellen ließ er graben. Wo immer seine Kaffern den Spaten in den Flußgrund stießen, stand er dabei, ließ den ausgehobenen Sand durch die Finger rieseln. Dann wußte er, was er wissen wollte, überall, wo er gegraben, enthielt der Sand das Zinnerz in ziemlich gleichbleibender Menge. Von Walnußgröße bis hinab zu Stecknadelkopfgröße waren die schwarzen Brocken und Stäubchen überall zutage getreten, wo der Spaten in den Sand gestoßen wurde.

Der Schatz war da. Ihn zu heben, seine Aufgabe.

Klaus entsann sich einer Szene aus seiner ersten afrikanischen Zeit. Es war noch während des Hererokrieges, als die Lebensmittel überall knapp waren. Ein eigenartiges Bild hatte er damals gesehen. Damaraweiber saßen da etwas abseits von der Bahnstrecke. Jede hatte eine große runde Holzschale vor sich, die sie gleichmäßig mit beiden Händen schwenkten und dazu in regelmäßigen Intervallen auf das Knie aufstieß.

Er war herangegangen, um sich das merkwürdige Schauspiel aus der Nähe zu besehen, und hatte des Rätsels Lösung erfahren. Die Schwarzen hatten einen Termitenbau gefunden, einen jener großen weit über mannshohen Lehmkegel, in dem die afrikanischen Ameisen hausen. Erst hatten sie das Ding mit Hilfe von feuchtem Stroh gründlich ausgeräuchert, denn gereizte Termiten beißen dermaßen, daß es auch einer schwarzen Haut zuviel wird. Dann hatten sie den Bau aufgebrochen und die großen massiven Lehmstücke der Seitenwände fortgeworfen. Was übrigblieb war ein Gemenge von Lehmstaub, Termiteneiern und Grassamen, den die fleißigen Insekten als Nahrungsmittel gesammelt und in ihrem Bau gespeichert hatten.

Termiteneier! Ein Leckerbissen für die Kaffern. Man konnte sie roh essen, konnte auch knusprige Kuchen aus ihnen backen. Grassamen! Ein vorzügliches Material für Suppen. Aber der Lehm dazwischen, der mußte weg. Den konnte auch ein Negermagen nicht verdauen.

Separieren hieß es. Das war die Aufgabe, die die schwarzen Weiber dort mit einer wohl schon Jahrhunderte alten primitiven Technik erledigten. Sie schütteten das Gemenge in die großen Holzschalen, und durch jene eigenartige drehende und stoßende Bewegung brachten sie es in überraschend kurzer Zeit dahin, daß Grassamen, Termiteneier und Lehmstaub sich voneinander trennten. In kurzen Pausen konnten sie Eier und Grassamen mit Holzkellen aus den Schalen schöpfen, bis schließlich nur noch klarer Lehm darin war, der weggeworfen wurde.

Wer etwa vier Wochen später den Riviere durch Klaus Krönings Farm entlanggewandert wäre, hätte ein wunderliches Schauspiel gesehen. In langen Reihen saßen Klippkaffern, Männer und Frauen bunt durcheinander, am Flußbett, schwenkten und stießen emsig die mit dem erzhaltigen Sand gefüllten Holzschalen. Ein großer Jutesack lag neben jedem der Arbeiter. Schwarz, und immer schwärzer wurde während der Schüttelbewegungen eine Stelle des gelben Sandes in den Schalen. Dann griffen sie mit Holzlöffeln dorthin, schöpften das reine, vom Sand getrennte Erz und schütteten es in die Säcke. Setzten die Schalen von neuem in Bewegung, schüttelten und stießen weiter, bis auch die letzten Erzbrocken gewonnen waren, und der taube weiße Sand einer neuen Füllung aus dem Flußgrunde Platz machen mußte.

So arbeiteten sie den lieben langen Tag hindurch, und das Ergebnis war gut. Klaus kannte seine Leute und hatte sie auf Akkord gesetzt. Nur wenn die wußten, daß sie für jedes Pfund Erz bezahlt bekamen, war zu hoffen, daß sie ihre natürliche Faulheit überwinden würden.

Als der erste Monat des neuen Betriebes sich seinem Ende zuneigte, lagerte bereits manche Tonne reinen Zinnerzes in den Schuppen auf Klaus Krönings Farm. Am Riviere aber waren die Spuren dieser Arbeit kaum zu merken. Jahre, ja, Jahrzehnte konnte in dem gewaltigen, viele Quadratkilometer großen Flußbett so gearbeitet werden, bevor einmal eine Abnahme der Schätze zu merken sein würde. Viele Tausende von Tonnen des edlen Erzes waren hier zu gewinnen. Während der Schatz in seinen Lagern sich zu häufen begann, überdachte Klaus alle Möglichkeiten seiner Verwertung.

Zinn hatte seinen festen Marktpreis. Gewaltige Mengen davon brauchte die junge, kraftvoll aufblühende Industrie des afrikanischen Kontinentes. Allein die Eisenbahnen benötigten alljährlich viele Tonnen des edlen Weißmetalls für ihre Achslager. Aus England, aus Kanada oder von den Straits in Hinterindien mußten sie es beziehen. Würde es nicht besser und wirtschaftlicher sein, wenn er das Metall hier aus den einheimischen Erzen unmittelbar gewönne?

Neue, große Möglichkeiten sah Klaus vor sich. Pläne wurden gesponnen. Eigene Schmelzöfen hier am Riviere. Unmittelbar neben dem Gewinnungsort konnten die Erze verhüttet werden. Das Papier vor ihm bedeckte sich mit Zahlen. Und wie er das Problem von allen Seiten durchdachte und durchrechnete, stieß er immer wieder auf einen unsicheren Faktor.

Der Brennstoff hier im Lande war zu teuer. Das Fünffache des europäischen Preises mußte man für die Kohle bezahlen. Trockenes Gras und Büffelmist waren das landesübliche Brennmaterial, mit dem sich seine Kaffern in allen Lebenslagen behalfen.

Für den Betrieb einer Zinnhütte kam das nicht in Betracht. Zweifellos würde er das Brennmaterial für solchen Betrieb aus Europa importieren müssen. War's dann aber nicht besser, an Stelle der Kohle die viel ausgiebigeren Öle zu verwenden, eine Schmelze für Ölfeuerung anzulegen?

Von Tag zu Tag fühlte Klaus deutlicher, daß er hier vor einer Reihe von Fragen stand, die nur durch eine Studienreise nach Europa und Deutschland geklärt werden konnten. Betrieb er einstweilen die Gewinnung der Erze durch seine Kaffern behelfsmäßig, so mochte vorläufig auch die Verwertung eine behelfsmäßige sein.

Er setzte sich mit größeren Zinnhütten in England und in den Straits in Verbindung, sandte Proben seiner Erze dorthin. Es gab langwierige und umständliche Verhandlungen. Klaus Kröning mußte die Erfahrung machen, daß es gar nicht so leicht war, die wertvollen Bodenschätze, die er hier gewann, zu angemessenen Preisen auf dem Weltmarkt unterzubringen. Bald bekrittelten die Geschäftsfreunde in London den Prozentgehalt seiner Erze, bald hatten die in den Straits allerhand daran auszusetzen. Das alles unverkennbar in der Absicht, die Preise für das Erz bis an die Grenze des Möglichen zu drücken,

Schon wollte er die Verkaufsverhandlungen abbrechen und die Aufstellung eigener Öfen energisch in Angriff nehmen, als ihm von einer anderen Seite Hilfe kam. Eine Zinnhütte auf Borneo machte ihm Angebote, die ihm einen guten Gewinn ließen.

Gerade von dieser Verbindung hatte er sich nur wenig versprochen. Die Hütte auf Borneo war im Besitze von Chinesen und Malaien. Nach dem, was er bisher von den Geschäftspraktiken der Gelben und Braunen gehört, fürchtete er schlimme Erfahrungen. Doch das Gegenteil trat ein. Die Besitzer der Hütte hielten getreulich, was sie versprachen.

Zug um Zug kam jetzt ein lebhaftes Geschäft in Gang. Jeder Dampfer, der von Kapstadt nach Borneo ging, nahm eine stattliche Anzahl von Tonnen der Kröningschen Erze mit. Ebenso prompt lief die Zahlung ein. Es waren wunderliche Papiere, die Klaus da oft in Händen hielt. Wechsel und Zahlungsanweisungen in chinesischen und malaiischen Schriftzügen, deren Inhalt ihm unentzifferbar war. Papiere, die oft schon einen langen Weg durch die Handelshäuser des fernen Ostens zurückgelegt hatten, bevor sie zu ihm kamen. Aber Papiere, die ihren Betrag in gutem deutschem oder englischem Gelde wert waren und von den Banken ohne Zaudern honoriert wurden.

Der nächste und einfachste Weg der Verwertung war das freilich nicht. Die Erze, die da unten in Südwestafrika gewonnen wurden, segelten erst nach Osten hin um den vierten Teil der Erde, um verhüttet zu werden. Das gewonnene Zinn schwamm wieder nach Westen zurück, um dort auf den Markt zu kommen. Aber alle Beteiligten kamen dabei zurecht, und Klaus beließ es bei dieser Art der Ausnutzung.

Vorläufig . . . jeden Tag wiederholte er es sich jetzt . . . vorläufig sollte alles so bleiben, bis er selbst in Europa gewesen war und dort die besten Separatoren und Schmelzöfen gefunden hätte.

 


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