Hans Dominik
Klaus im Glück
Hans Dominik

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Der Brückenbau bei Bodenberg

Der Sommer kam und brachte Arbeit in Fülle. Klaus lernte seinen Lehrmeister dabei von immer neuen und anderen Seiten kennen. War Wendt im verflossenen Jahr hauptsächlich als Geometer und Mathematiker tätig gewesen, so wirkte er jetzt in schneller Abwechslung als Ingenieur, Bauleiter, Organisator, Diplomat, ja bisweilen sogar als Volksredner. Staunend beobachtete Klaus diese Vielseitigkeit. Nur allmählich begriff er, daß sie unbedingt notwendig war, wenn die Bauarbeiten terminmäßig und glatt vonstatten gehen sollten.

Daß es trotzalledem doch noch bisweilen Anstände gab, daß selbst die Geschicklichkeit Wendts nicht alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen vermochte, zeigte sich, als der Bahnbau bei Bodenberg an der Aache im Gange war. Die Bahn lief hier am Nordufer des Flusses. Unmittelbar daneben lag die Stadt Bodenberg, auf dem anderen Ufer der Ort Radenfelde. Zu dem Projekt von Voßberg & Co. gehörte auch eine eiserne Brücke über die Aache, um den Radenfeldern einen bequemen Zugang zum Bahnhof zu bieten. Aber dieser Brückenbau fiel nicht unter die eigentliche Bahnkonzession, sondern mußte von den beiden Gemeinden Bodenberg und Radenfelde genehmigt werden. Selbstverständlich waren die Radenfelder mit Feuer und Flamme für die Brücke, aber die Bodenberger oder wenigstens ihr Stadtbaurat schienen anders zu denken. Schon des öfteren hatte Klaus den Namen Holzschneider gehört. Bald von Wendts, bald von Jensens Lippen. Selten ohne Beiwörter, die meistens der Zoologie entnommen waren. Aber als er einmal fragen wollte, hatte Wendt abgewinkt.

»Ruhig, Klaus. Frage nicht danach. Das geht dich nichts an.«

Da hatte er geschwiegen, doch seine Neugier war rege geworden.

Nun waren die Bauarbeiten am Bahnhof Bodenberg im vollen Gange. Schon erhob sich neben dem frischgeschütteten Damm der Rohbau des Bahnhofsgebäudes. Jeden Mittag gegen ein Uhr erschien ein hageres, bewegliches Männchen auf der Baustelle, grüßte Wendt sehr höflich und spazierte am Flußufer entlang wieder nach Bodenberg zurück. Wütend machte Wendt eine Faust hinter ihm her. Trotz des Verbotes konnte Klaus die Frage nicht unterdrücken.

»Das war doch der Stadtbaurat Holzschneider, Herr Wendt?«

Wendt schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Papiere umherflogen.

»Zum Kreuzhimmeldonnerwetter, ja doch, Junge! Das ist der verfluchte Kerl, der uns auf die Brückenkonzession warten läßt, bis wir schwarz werden . . . So geht's nicht weiter. Ich will an den Baumeister telegrafieren. Der muß ins Ministerium gehen, sich über die Schlampereien beschweren.«

Er griff nach Bleistift und Papier, um die Depesche aufzusetzen. Klaus unterbrach ihn.

»Herr Wendt . . .«

»Was denn, Junge, was willst du?«

»Eine kurze Frage nur, Herr Wendt. Brauchen wir denn die Genehmigung von dem . . . dem Herrn Baurat Holzschneider für unseren Brückenbau?«

»Selbstverständlich, Klaus.«

»Ja, ich meine, Herr Wendt, wenn wir aber ohne die Genehmigung bauen würden . . .?«

»Dann, ja dann, Klaus, würde uns der Baurat mit Polizeigewalt daran hindern.«

»Ach so, Herr Wendt. Und dann müßten wir alles wieder abreißen?«

Wendt saß schweigend in seinem Sessel und rieb sich die Stirn. Vergeblich wartete Klaus auf eine Antwort. Wendt schien ihn vergessen zu haben. Wie im Selbstgespräch bewegten sich seine Lippen, während seine Rechte allerhand Zahlen auf das Papier warf. Jetzt griff er nach einem frischen Bogen und begann eifrig zu schreiben. Ein langer Brief wurde es, den er kuvertierte und adressierte. Dann zog er die Uhr.

»Mach dich fertig, Klaus. Du mußt den Brief an seine Adresse bringen.«

Klaus warf einen schnellen Blick darauf. Das Schreiben war an Baumeister Jensen in Erfurt adressiert. Wendt hatte die Uhr vor sich auf den Tisch gelegt.

»Mach fix, Klaus. In fünf Minuten mußt du auf dem Rade sitzen. Den Brief mußt du hüten wie deinen Augapfel und dem Baumeister Jensen persönlich übergeben. Zeig mal, hast du eine zuverlässige innere Brusttasche? So, das wird gehen. Hier hast du Reisegeld. Jetzt los!« – – –

Baumeister Jensen war gerade im Begriff, sein Bureau zu verlassen, als Klaus atemlos hineinstürmte.

»Was ist, Klaus, was bringst du?«

»Einen Brief von Herrn Wendt.«

Jensen riß den Umschlag auf, warf einen Blick auf die Zeilen und winkte Klaus, sich zu setzen. Er las das Schreiben einmal und noch einmal und schließlich ein drittes Mal. Jetzt nahm er ein Streichholz, zündete den Brief an, warf ihn in den Ofen und wartete, bis er vollkommen verbrannt war. Rührte danach die Aschenreste bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit durcheinander. Und dann begann der Herr Baumeister Jensen ein fideles Studentenlied zu pfeifen, was Klaus bisher noch niemals an ihm beobachtet hatte.

»Komm, mein Junge, wir fahren mit dem nächsten Zuge, ich komme mit nach Bodenberg.«

Er griff nach Hut und Stock und warf die Bürotür ins Schloß. So vergnügt und aufgeräumt wie auf dieser Fahrt hatte Klaus den Baumeister Jensen kaum je gesehen. Er kam zu der Überzeugung, daß Wendt dem etwas sehr Lustiges geschrieben haben müsse. – – –

Der Mittag des nächsten Tages kam heran und brachte wie gewöhnlich den Besuch des Stadtbaurates Holzschneider. Doch weder Jensen noch Wendt gaben sich die Ehre, ihn besonders zu begrüßen. Die saßen zusammen in einer Baubude und beobachteten mit der Uhr in der Hand, wie er den üblichen Gang zum Flusse machte.

»Riskant bleibt die Geschichte, Herr Wendt.« Jensen kratzte sich dabei hinter dem Ohr. »Zum mindesten wird's eine gehörige Ordnungsstrafe setzen.«

»Ah bah, Herr Baumeister, die verbuchen wir als ›Unvorhergesehenes‹ im Kostenanschlag. Ich habe mir's hin und her überlegt. Es bleibt die einzige Möglichkeit, um endlich vorwärtszukommen.«

»Wie sind Sie denn eigentlich auf die tolle Idee gekommen?«

»Wenn ich's genau sagen soll, durch unseren Klaus. Der Junge stellte in seiner Naivität ein paar Fragen, und da kam mir plötzlich die Erleuchtung.«

Baumeister Jensen lachte hell auf.

»Aha! Und was kein Verstand der Verständigen sieht, das übt in Einfalt ein kindlich Gemüt. Also, unser Klaus ist der eigentliche Urheber dieser Verschwörung.«

Wendt legte die Finger auf die Lippen.

»Der Junge hat keine Ahnung davon, Herr Baumeister.«

»Also lassen wir ihn auch weiter in seiner Ahnungslosigkeit.« Jensen warf einen Blick durch das Fenster. »Freund Holzschneider scheint seine Inspektion beendet zu haben und kehrt zur Stadt zurück. Haben Sie alles vorbereitet?«

»Jawohl, Herr Baumeister.«

»Dann in Gottes Namen los!«

Sie verließen die Bude. Wendt führte den Baumeister zum Ufer. Dort lagen ein paar Fetzen Dachpappe. Als er sie mit dem Stock beiseiteschob, kamen vier in den Boden geschlagene Pfähle zum Vorschein, welche die Ecken eines sechs Meter langen und anderthalb Meter breiten Rechteckes markierten. Jetzt zog er eine Trillerpfeife. Ein Pfiff gellte über den Platz. Noch ehe er verklungen, strömte eine Kolonne von zwölf Mann mit Spaten und Karren heran. Wendt brauchte nichts mehr zu sagen. Er hatte seine Instruktionen dem Polier bereits während der Mittagspause gegeben und der doppelte von ihm für diese Arbeit bewilligte Akkord tat das übrige. Mit Gewalt fuhren die Schaufeln in den Boden, und wie durch Zauberhand füllten sich die Karren. Von Minute zu Minute gewann die Grube an Tiefe. Zwei Stunden nach dem ersten Spatenstich war sie auf anderthalb Meter ausgeschachtet, das Vorspiel des Dramas war beendet. Ohne jegliche Zwischenpause traten die Mitwirkenden des nächsten Aktes, die Maurer auf den Plan. Während die Erdarbeiter jetzt unablässig Steine und Mörtel herbeikarrten, begann ein massiver Mauerklotz aus der Fundamentgrube emporzuwachsen.

Man sagt den Maurern bisweilen nach, daß sie sich zu ihrer Arbeit noch mehr Zeit lassen als andere Handwerker. Aber das gilt nur für Lohnmaurer. Wenn es um Akkordarbeit geht, dann verstehen sie es auch, sich ganz gehörig ranzuhalten, und denen, die hier mauerten, hatte Wendt den doppelten Akkord bewilligt. In sinnverwirrendem Spiel flogen die Steine durch die Luft zur Arbeitsstätte hin. Einen Moment im Wasserkübel, im nächsten Augenblick schon in Mörtel gebettet und mit der Kelle auf ihrem Platz festgeklopft.

Die Stunden verrannen darüber, doch niemand dachte an Feierabend. Als die Sonne unter dem Horizont verschwand und die Schatten der Dämmerung sich niedersenkten, flammten Gasolinscheinwerfer auf und tauchten die Arbeitsstätte in waberndes, grelles Licht. Schon hoben sich Rüststangen um das Bauwerk, Bretter fügten sich zu Plattformen, und unaufhörlich ging die Arbeit weiter. Als die Glocke die zweite Morgenstunde verkündete, war sie vollendet. Schnell wurde noch die Rüstung abgebaut, und dann endlich lag die Stätte so langer fieberhafter Tätigkeit verlassen im Dunklen. – – –

Der Herr Stadtbaurat Holzschneider kam wie immer von der Bahnbaustelle her und schritt zum Flußufer hin. Jetzt blieb er stehen, stutzte, strich sich über die Augen – ging weiter, bis er dicht vor dem Bauwerk stand, das hier in der vergangenen Nacht aus dem Boden gewachsen war. Er betastete es, stieß mit dem Stock dagegen. Kein Zweifel, die Augen trogen ihn nicht. Das war solides, gutes Zementmauerwerk.

Er griff sich zum Halse, als ob der Kragen ihm zu eng würde, und wechselte die Farbe, von tiefster Blässe bis zu dunkelster Röte. – – –

Wendt beobachtete den Vorgang von seiner Baubude aus. Jetzt kniff er Klaus so kräftig in den Arm, daß der kaum einen Schrei unterdrücken konnte.

»Klaus, Junge, ich glaube, der will den Pfeiler fressen. Der möchte am liebsten ein Ende davon abbeißen. Na, wir werden ja hören, was er uns zu sagen hat.«

Er brauchte nicht lange darauf zu warten. Baurat Holzschneider kam in die Bude gestürmt.

»Herr Wendt, was soll das? . . . Was bedeutet das? Was haben Sie da ohne Konzession gebaut?«

Der zuckte die Achseln.

»Ich verstehe Sie nicht, Herr Baurat. Vorarbeiten zum Bahnhof Bodenberg. Auf besondere Anordnung des Herrn Baumeister Jensen ausgeführt.«

»Vorarbeiten! . . .« Die Stimme des Baurates schnappte vor Erregung über. »Vorarbeiten nennen Sie das, wenn Sie hier einen soliden Brückenpfeiler an den Fluß setzen. Wollen Sie mich dumm machen, Herr!«

»Ich würde etwas Derartiges für zwecklos halten, Herr Baurat«, antwortete Wendt ebenso höflich wie doppelsinnig.

Holzschneider zwang sich gewaltsam zur Ruhe.

»Ich erkläre Ihnen hiermit ausdrücklich, Herr Wendt, daß ich den Brückenbau verbiete und polizeilich verhindern werde, solange nicht die behördliche Konzession vorliegt.«

»Ich denke, die liegt nachgerade lange genug bei Ihnen«, brummte Wendt dazwischen.

». . . polizeilich verhindern werde, Herr Wendt«, schrie der Baurat und schoß aus der Tür.

Wendt zuckte die Achseln.

»Kann er uns nicht zwingen, den Pfeiler wieder abzureißen?« fragte Klaus.

»Nein, mein Junge«, lachte Wendt. »Das ist ja das Schöne an der Sache, daß er das nicht kann.«

Schon der nächste Tag zeigte, daß Holzschneider es mit seiner Drohung ernst meinte. Um acht Uhr morgens erschien ein Amtsdiener von Bodenberg und bezog seinen Wachtposten neben dem Brückenpfeiler. Bis sechs Uhr abends, bis die Bauhandwerker Feierabend machten, blieb er dort, und das wiederholte sich die folgenden Tage und Wochen. Manchen derben Scherz mußte er dabei von den Maurern einstecken, bis Wendt eingriff und seine Leute anhielt, dem Manne seinen Auftrag nicht unnötig zu erschweren. Währenddem wuchs auf dem Radenfelder Ufer gemächlich der zweite Brückenpfeiler in die Höhe. Mit Mißfallen bemerkte es der Baurat Holzschneider bei seinen täglichen Besuchen, und noch etwas anderes war geeignet, ihn aufs äußerste zu beunruhigen.

Senkrecht zum Ufer hin bauten sie auf dem anderen Flußufer ein Bohlengerüst, und bald begannen sich dort unter den Schlägen der Niethämmer eiserne Träger und Winkel zu einer schöngeschwungenen Fachwerkbrücke zusammenzuschließen. Zwar lag die Brücke jetzt noch auf dem festen Lande, aber Holzschneider war geneigt, den Leuten von Voßberg & Co. jede Ungesetzlichkeit zuzutrauen. An dem Tage, an dem sie auf Radenfelder Grund die letzte Niete in die Brücke schlugen, verdoppelte er die Wache. Wenn der Tagespolizist seinen Dienst beendigte, trat ein anderer an, der die Nacht über bei dem Bodenberger Pfeiler zu wachen hatte.

»Hm«, sagte Wendt und steckte sich eine Zigarre an, »habe ich dir nicht gesagt, Klaus, daß der Mann uns mehr Schwierigkeiten machen würde, als wir unbedingt nötig haben?«

Klaus zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht, was Sie da tun könnten, Herr Werdt . . . Den Wächter betäuben . . . oder . . .«

»Oder vergiften oder zum mindesten mit dem Lasso fangen«, fiel Wendt lachend dazwischen. »Nein, mein Junge, solche Indianergeschichten machen wir hier nicht. Höchstens ein bißchen Wild-West.« Aber als Klaus wieder bei seiner Arbeit saß, kam das Wort »betäuben« dem Feldmesser nicht aus dem Sinn. – –

Dann geschah es in der nächsten Woche, daß sie auf den Dachstuhl des Bahnhofs Bodenberg eine Tannenkrone mit vielen bunten Bändern pflanzten, weil nun das Haus gerichtet war. Und am Abend des gleichen Tages – es war etwas nach Feierabend, und der Nachtpolizist hatte seinen Posten schon bezogen – da kamen die Maurer und Zimmerleute mit bunten Bändern an den Hüten singend zum Flußufer hinab, um nach Radenfelde überzusetzen. Begehrlich schaute ihnen der Wächter nach.

»Heute ist Richtfest, heute trägt keiner den dummen Pfeiler weg. Komm mit nach Radenfelde. Da wollen wir ordentlich einen heben«, rief ihm einer von den Maurern zu und schwenkte eine volle Flasche dabei. Und dann saß der feurige Bote des Baurats Holzschneider mit im Kahn, saß mit im Krug, und es gab nicht nur Freibier in Fülle, sondern auch andere schärfere Sachen. –

Das war's, worauf Baumeister Jensen und Wendt gewartet hatten. Aus einer flußaufwärts gelegenen Krümmung der Aache brach Jensen mit seinen Prähmen und Hilfsmannschaften hervor wie weiland Ziethen aus dem Busch. In unglaublich kurzer Zeit war die Brücke mittels schwerer Topfschrauben von ihrer Balken-Unterlage abgehoben und auf Feldbahnloren gesetzt. Kähne brachten schwere Flaschenzüge vom Brückenende an das andere Ufer. Viele Dutzende von Händen griffen zu, Seile strafften sich, der ganze Brückenbau geriet in Bewegung, rollte auf den Fluß zu. Schon hing sein vorderes Ende weit über das Flußbett, als ihn schwer beladene Prähme unterfuhren. Schnell wurden die Bleibarren, welche die Ladung bildeten, in andere Kähne übergeladen. Die entlasteten Prähme hoben sich, trugen die ganze Brücke frei.

Ein erneutes Arbeiten mit Flaschenzügen von dem Ufer her. Langsam fuhr die Brücke zwischen die beiden Pfeiler ein. Jetzt schwebten ihre Enden etwa einen viertel Meter über den Pfeilerköpfen. In Eile wanderte die Bleilast in die Prähme zurück. Tiefer und tiefer senkten sie sich dabei, knirschend setzten die Brückenenden auf die Pfeiler auf.

In zwei Stunden war alles geschehen. Fest und sicher spannte sich die eiserne Brücke über die Aache. Jensen schickte seine Flottille in ihre Schlupfwinkel zurück. Schweigend hatte Klaus während dieser Zeit am Ufer gestanden. Es verschlug ihm fast den Atem, wenn er sah, wie hier alles zusammengriff, wie die Riesenlast der Brücke von tausend Händen gleichzeitig bedient und beeinflußt sich hob und vorschob, genau hinkam, wohin sie kommen sollte. Wie wenige kurze Kommandoworte und Winke genügten, um dies ganze wunderbare Räderwerk der Arbeit in Gang zu halten.

Nun war alles vorüber. Noch lag die Dämmerung des langen Sommerabends über dem Flusse, als Jensen zurückkam. Ein Weilchen besah er sich schweigend sein Werk und rieb sich die Hände.

»Gut gemacht! Feine Sache! Was, Klaus? Aber halt! Wir haben ja noch was vergessen.«

»Vergessen?« Wendt schaute ihn fragend an.

»Die Brückenlaternen, Wendt. Der Kerl schickt uns noch ein Extrastrafmandat, wenn wir die Brücke eine Nacht unbeleuchtet lassen. Lauf mal hin, Klaus, in der Bude mußt du sie finden. Vier Laternen, zwei rote und zwei grüne. Vergiß die Ölkanne und die Streichhölzer nicht.«

Bald kam Klaus mit dem Gewünschten zurück.

»So, Junge, nun turne mal los, aber falle nicht in die Aache . . . es ist nicht deinetwegen, ich weiß, daß du schwimmen kannst. Aber es würde den Laternen schaden.«

Der Auftrag des Baumeisters war nicht ganz einfach zu erfüllen. Noch fehlte der Brücke der Bohlenbelag, und Klaus mußte zwischen den Fachwerkfeldern vorwärts klettern. Aber nach einer Viertelstunde war auch das erledigt. Die Brückenlaternen saßen an ihren Stellen und warfen rotes und grünes Licht über die Wellen der Aache.

»So«, sagte Jensen, »so ist die unvorschriftsmäßig gelegte Brücke wenigstens vorschriftsmäßig beleuchtet. Das hätten wir auch glücklich hinter uns. Jetzt können wir getrost nach Hause gehen.«

Aber Klaus hatte noch eine Frage auf dem Herzen. »Sagen Sie, Herr Baumeister, was wird nun aus dem Wächter? Er hat sich doch verleiten lassen, ist von seinem Posten gegangen.«

Jensen lachte.

»Das kann ich dir mit ziemlicher Sicherheit sagen, Klaus, den schmeißt unser Freund Holzschneider morgen sofort achtkantig raus. Der ist das erste Objekt, an dem er seine Wut ausläßt. Wir kommen erst später dran. Haben Sie Lust, Wendt, auf eine Bierlänge zum Richtfest mitzukommen?«

Klaus gab noch keine Ruhe.

»Herr Baumeister, dann wird der Mann aber seine Stellung los. Wer weiß, ob er so leicht eine andere wiederfindet.«

Baumeister Jensen blieb stehen und wandte sich Klaus zu.

»Mein Junge, du brauchst nicht zu denken, daß Voßberg & Co. andere Leute ins Unglück bringen. Für den Mann ist gesorgt. Wir haben bereits einen Posten bei uns für ihn in Aussicht genommen. Wahrscheinlich zieht er es vor, die persönliche Begrüßung vom Baurat Holzschneider erst gar nicht abzuwarten, sondern schriftlich zu kündigen. Wenn er will, kann er morgen schon bei uns anfangen.«

Klaus atmete erleichtert auf. Erst jetzt empfand er volle Freude über das Husarenstückchen, das sich da vor seinen Augen abgespielt hatte.

Der nächste Morgen kam und pünktlich um acht Uhr trat der Tagespolizist seinen Dienst an. Der sah, was geschehen, und lief spornstreichs zum Baurat. Dann stand Holzschneider vor Jensen, und jetzt drohte das kleine quecksilberne Kerlchen wirklich zu explodieren. Nur stoßweise und abgerissen konnte er die Worte hervorbringen.

»Herr Baumeister! . . . Unerhört . . . unfaßlich . . . die Brücke da . . . wie kommt die da hin? . . .«

Jensen saugte mit unerschütterlicher Ruhe an seiner Morgenzigarre.

»Ja, Herr Baurat, die muß einer hier in der Nacht über die Aache gelegt haben. Gestern abend lag sie noch am Lande.«

Holzschneider zitterte vor Wut.

»Einer 'rübergelegt! . . . Trotz des polizeilichen Verbotes . . . trotzdem der Polizist die ganze Nacht hier gestanden hat . . .«

Jensen schüttelte den Kopf.

»Hier hat die Nacht kein Polizist gestanden.«

»Kein Polizist gestanden!« Die Stimme Holzschneiders überschlug sich vor Wut. »Den Kerl kassier' ich! Den schmeiß' ich 'raus! Den bring' ich vors Gericht.«

»Das, mein verehrtester Herr Baurat, können Sie halten wie die Dachdecker, das geht mich persönlich nichts an«, erwiderte Jensen.

Die unerschütterliche Ruhe Jensens brachte den Baurat zur vollkommenen Raserei.

»Und Ihnen«, schrie er wütend, »Ihnen verbiete ich es ein für allemal, die Brücke in öffentlichen Verkehr zu nehmen . . .«

Jensen schmunzelte.

»Hochverehrter Herr Baurat, Sie überschreiten Ihre Befugnisse. Sie vergessen, daß sich Ihre Jurisdiktion nur über Bodenberg und die Bodenberger erstreckt. Aber ich will Ihnen entgegenkommen. Wenn ein Passant sich beim Betreten der Brücke als Bodenberger legitimiert, sind wir bereit, ein Brückengeld von ihm zu nehmen.«

Das schlug dem Faß den Boden aus.

»Sie werden noch von mir hören«, brüllte Holzschneider und trabte in der Richtung nach Bodenberg davon.

Wendt rieb sich die Hände. »Ich glaube, Herr Baumeister, das hat ihm den Rest gegeben.«

Jensen lachte.

»Bis er zum Rathaus kommt, wird seine Wut sich etwas gelegt haben. Letzten Endes ist er der Blamierte bei der Geschichte und so etwas wirkt auf die Dauer abkühlend.«

Jensen behielt recht. Acht Tage später kam endlich die Konzession, und von einem Brückengeld war nicht mehr die Rede.

 


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