Hans Dominik
Klaus im Glück
Hans Dominik

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Farmer in Südwest

Klaus Kröning hatte nicht zuviel behauptet, als er dem Baumeister Jensen in jener ersten Unterredung in Lüderitzbucht zukünftige Millionengewinne in Aussicht stellte. Groß, über alles Erwarten und Hoffen hinaus groß wurden diese Gewinne.

Im Süden unten in Kimberley auf britischem Gebiete, da mußte man in die Tiefe gehen, mußte den ziemlich festen, diamanthaltigen Grund ausschaufeln und Karre für Karre durch Siebe schütteln, um aus einem Kubikmeter derartig verarbeiteten Bodens schließlich ein paar Steinchen des kostbaren Minerals zu gewinnen. Hier in Südwest hatte der Seewind im Laufe der letzten Jahrtausende bereits die Hauptarbeit verrichtet. Unzählige Kubikmeter des feinen Quarzsandes hatte er in Wolkenform in das Innere des Landes vertragen, jedes Diamantsteinchen aber als zu schwer an Ort und Stelle liegenlassen. So steckte der Reichtum hier in der allerobersten lockeren Sandschicht und ließ sich mit leichter Mühe und mit geringen Unkosten gewinnen.

Schon das, was die von den Gesellschaften beschäftigten Schwarzen beim einfachen Absuchen der Felder sehen und sammeln konnten, war beträchtlich. Viel größer aber noch die Menge der Edelsteine, sobald man daranging, diesen gesegneten Sand mit Rechen und Sieben zu bearbeiten.

In dichtgefugten, verschlossenen und plombierten Holzkästen wurde die tägliche Ausbeute jeden Abend von den verschiedenen Feldern her in das Hauptbüro der Gesellschaft gebracht. Mit Hilfe besonderer automatisch arbeitender Siebgruppen fand hier eine Trennung der Steine nach ihrer Größe, ihrem Karatgehalt statt. Die einzelnen so gesonderten Mengen wurden gewogen und danach in größere eiserne Kästen geschüttet, die ihren Platz in schweren Panzerschränken fanden.

Klaus stand vor diesen Kästen, ließ die flimmernden Stückchen in vollem Strom durch die Finger rieseln und hing dabei seinen Gedanken nach. Es waren wirklich Millionenwerte, in die er hier mit vollen Händen griff. Millionen, die sich auf den Kreditseiten der deutschen Gesellschaften in London und auf ihren Bankkonten häuften. Wohl forderte auch der Staat einen hohen Anteil an dem Gewinn, wohl waren mancherlei Unkosten zu tragen, aber überreich war noch der Teil, der den Gründern und Aktieninhabern der Gesellschaften als Gewinn zufloß.

Klaus wurde reich und lernte mit dem Reichtum neue Sorgen kennen. Sein Gehalt bei Voßberg & Co. war für ihn mehr als ausreichend gewesen. Während der letzten Jahre hatte er jeden Monat einen festen, wenn auch kleinen Betrag als Ersparnis für sich selbst zurücklegen können. Hatte darüber hinaus ständig Geld nach Deutschland geschickt, nicht so sehr um die Eltern zu unterstützen, als für die Geschwister. Die beiden Alten in ihrer rührenden Bedürfnislosigkeit brauchten und verlangten nichts. Aber gern nahmen sie seine Zuschüsse, die es ihnen erlaubten, den andern Kindern eine bessere Ausbildung zukommen zu lassen.

Das war jetzt ganz anders geworden. Mehr als das Hundertfache seines früheren Gehaltes floß Klaus nun fast automatisch zu. Wohin mit diesen gewaltigen Summen? Das war die Frage, die er schon öfter an Baumeister Jensen gerichtet hatte und auch jetzt wieder stellte.

Der Baumeister lachte.

»Ja, lieber Freund, Reichtum bringt Sorgen. Mehr als eine Zigarre kann auch ein Millionär nicht auf einmal rauchen, und wenn er nach dem ersten Beefsteak gesättigt ist, hat es keinen Zweck, ein zweites zu bestellen. Früher sagten wir im Scherz: ›Ihre Sorgen möchte ich haben und Rothschilds Geld.‹ Jetzt kommen wir so langsam dahinter, daß auch der Herr Baron von Rothschild einige Sorgen haben dürfte.«

Klaus wurde ungeduldig.

»Sie reden ganz unterhaltsam, lieber Jensen. Aber Ihre Philosophie hilft mir nicht weiter, Ihren Rat möchte ich haben.«

»Da muß ich erst noch einmal den schon erwähnten Herrn von Rothschild zitieren, lieber Kröning. Der sagte einem Kunden mal in ähnlicher Lage: Das kommt darauf an. Wollen Sie gut essen oder gut schlafen? Das heißt, wollen Sie eine möglichst hohe Verzinsung oder eine möglichst hohe Sicherheit Ihres Kapitals. Danach richtet sich die Art der Anlage . . .«

Klaus unterbrach ihn.

»Sicherheit natürlich in erster Linie. Was nützt mir die höhere Verzinsung, wenn ich vielleicht nach kurzer Zeit das ganze Kapital einbüße.«

»Wenn Sie durchaus auf sicher gehen wollen, dann müssen Sie fest verzinsliche Werte kaufen. Etwa Hypothekenpfandbriefe . . . oder Sie können auch direkt Hypotheken ausleihen, sich die sichersten Objekte selber aussuchen.

Wenn wir die Frage einmal theoretisch erörtern wollen, was wohl die allersicherste Anlage in der Welt ist, so möchte ich sagen: Eine erste Hypothek auf eine fruchtbare Geestwiese.«

Klaus sann eine Weile nach. Dann sagte er:

»Meinen Sie nicht, daß es dann noch sicherer wäre, die Geestwiese selber zu kaufen?«

Jensen fiel ihm ins Wort.

»Wir sprachen von Kapitalsanlagen, Kröning. Eine erste Hypothek auf die Geestwiese ist eine Kapitalsanlage. Die Geestwiese zu kaufen, bedeutet etwas anderes. Damit werden Sie Grundeigentümer und bekommen neue Sorgen. Entweder müssen Sie die Wiese verpachten, und wenn der Pächter seine Pacht nicht zahlt, können Sie Ihrem Gelde nachlaufen. Oder Sie müssen die Wiese selbst bewirtschaften, dann sind Sie nicht mehr Kapitalist, sondern Landwirt.«

»Aber sicherer ist es doch, Jensen, die Wiese zu kaufen, als eine Hypothek darauf zu geben.«

Der Baumeister zuckte die Achseln.

»Mag sein, mag auch nicht sein. Darüber könnte übrigens einer seine Doktorarbeit schreiben. Aber wir sprechen von Kapitalsanlagen. Was halten Sie von Voßberg & Co?«

Klaus sah ihn fragend an.

»Wie meinen Sie das, Herr Jensen?«

»Ich meine, wir beiden kennen die Firma seit einer Reihe von Jahren in- und auswendig recht genau. Wir sollten besser als viele andere wissen, ob man ihr sein Geld anvertrauen kann oder nicht.«

Klaus schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Alle Wetter, Baumeister, das ist eine Idee und ein Rat! In unsere alte Firma habe ich volles Vertrauen.«

»Na, also, dann wären wir ja einig. Kaufen wir vorläufig mal Aktien von Voßberg & Co. Alles andere findet sich später.« – –

Einige Monate später traten Klaus Kröning und Baumeister Jensen als Großaktionäre in den Aufsichtsrat von Voßberg & Co. ein. Wo Klaus noch vor zehn Jahren als Lehrling gearbeitet hatte stand er jetzt an höchster und verantwortungsreichster Stelle.

Doch der Segen nahm kein Ende. Jeder Monat brachte neue, große Gewinne. Weiter gute Papiere kaufen, riet Jensen. Deutsche Industrieaktien . . . englische, amerikanische Shares.

Klaus schüttelte den Kopf. Gedanken, die damals zuerst in ihm auftauchten, als er mit Jensen über die Geestwiese gesprochen, arbeiteten in der Stille in ihm weiter. Während der vergangenen Jahre war er auf seinen Streifzügen in alle Ecken und Winkel der Kolonie gekommen, war manche Nacht auf deutschen und burischen Farmen zu Gaste geblieben. Für ihn, den einfachen, nur auf sein Gehalt angewiesenen Eisenbahningenieur lag damals der Gedanke, selbst eine Farm zu erwerben, außerhalb des Bereiches jeder Möglichkeit. Trotzdem hatte er die Augen aufgemacht, hatte gesehen, wie die Farmer es trieben, und was sie erreichten.

Fast immer war es dasselbe Lied. Kapitalmangel hinderte die Besitzer daran, den höchsten Ertrag aus ihrem Anwesen zu ziehen. Die Regierung gab das Land billig, stundete den Kaufpreis für lange Zeit. Aber außerdem war Kapital notwendig. Viel mehr, als die meisten deutschen Siedler, die sich hier eine neue Heimat gründen wollten, über den Ozean mitbrachten. Da waren manche, die schlugen sich ihr erstes Haus buchstäblich aus Kistendeckeln zusammen, hausten darin fast noch bedürfnisloser als die Schwarzen und kamen doch auf keinen grünen Zweig. Eine einzige besonders starke Dürre vernichtete ihnen den eben erst gewonnenen Viehbestand. Mit geringem Besitz waren sie ins Land gekommen. Als Bettler, den weißen Stab in der Hand, verließen viele es wieder.

Klaus sprach mit Jensen über die Farmerfrage. Der zuckte die Achseln.

»Ohne Kapital geht's nicht, lieber Kröning. Kapital ist das Lebenselixier für jeden Betrieb. Leute, die in Deutschland nicht daran denken könnten, auch nur ein Bauerngut zu erwerben, kommen hierher und hoffen ihr Glück als Farmer zu machen. Diejenigen aber, die sich in Deutschland ein Rittergut kaufen können, schenken uns nicht die Ehre ihres Besuches. Letzten Endes ist es dumm von den Leuten. Sie hätten hier ganz andere Zukunftsmöglichkeiten als auf dem übervölkerten und ausgemergelten Boden Europas.«

»Sie meinen also, mit genügend Geld in der Hand könnte ein Farmer hier sein Glück machen?«

»Gewiß, Kröning, er könnte es. Aber merken Sie wohl auf. Er müßte nicht nur Geld haben, er müßte auch ein tüchtiger Landwirt . . . oder sagen wir, ein tüchtiger Farmer sein, der alle Möglichkeiten klar erkennt und keine Ausgaben scheut, dem Lande das Höchste abzugewinnen. Nur wenn diese beiden Voraussetzungen zusammentreffen, ist ein Erfolg wahrscheinlich.«

Klaus überlegte eine Weile.

»Sie sprachen vor einiger Zeit vom Ausleihen von Hypotheken, Jensen, nannten es eine sichere Kapitalsanlage. Würden Sie Farmern in unserer Kolonie Hypotheken geben?«

Jensen machte eine abwehrende Bewegung.

»Nicht um die Welt, Kröning! Die Geschichte wäre mir zu unsicher. Die erste Hypothek hat immer die Regierung für den Kaufpreis des Bodens. Was danach kommt, schwebt in der Luft. Alles hängt von der Tüchtigkeit und Umsicht des Farmers ab. Das Ganze wird schließlich eine rein persönliche Angelegenheit, läuft auf einen Personalkredit hinaus. Darauf läßt sich das Kapital nicht ein. Sie sehen ja auch, daß es unseren Farmern hier nur in Ausnahmefällen gelingt, Geld aufzunehmen, und dann sind die Bedingungen gewöhnlich mehr als hart.«

Jensen hatte geendet, war damit beschäftigt, seine ausgegangene Zigarre wieder in Brand zu setzen. Auch Klaus schwieg. Eine lastende Stille herrschte in dem Raum. Jetzt warf Jensen das Streichholz in den Aschbecher und blickte auf Klaus.

Wie verändert schaute der aus. Seine Stirn krauste sich, es zuckte und arbeitete in seinen Mienen.

»Was haben Sie, Kröning? Geht Ihnen das Schicksal unserer Farmer so nahe?«

Klaus erhob sich langsam. Sein Entschluß war gefaßt. In eigener Arbeit wollte er mit dem Reichtum, den das Schicksal ihm geschenkt, etwas Neues, Wertvolles für die Kolonie schaffen.

»Ich danke Ihnen für Ihre Mitteilungen, Baumeister. Ich werde selbst Farmer werden.«

Jensen schüttelte den Kopf. Er verstand Klaus Kröning nicht mehr. – – –

Lange fuhr Klaus Kröning durch die Kolonie. Endlich glaubte er gefunden zu haben, was er suchte. Im Landesinnern, östlich der Nord-Südbahn, da, wo es keine Wanderdünen mehr gibt und dichte Weide den Boden bedeckt, kaufte er Boden. Er kaufte bar, das Scheckbuch in der Hand. Auch für afrikanische Begriffe war es ein gewaltiges Areal. Manches deutsche Herzogtum mochte ein gutes Stück kleiner sein als das Gebiet in Süd-West-Afrika, auf dem Klaus Kröning seinen Farmerbetrieb errichtete.

Durch das Gebiet, das er erworben hatte, zog sich von Nordosten nach Südwesten ein breites mächtiges Flußbett, einer der sogenannten Riviere. Nur in der Regenzeit führte es Wasser, die übrigen Monate lag es wie fast alle Flüsse dieses Landes trocken.

Hier entstand die erste Anlage eines großen Farmhofes. Von Windhuk her kamen auf den schwerfälligen Ochsenwagen, die abseits der Bahn noch immer das einzige Verkehrsmittel des Landes bildeten, Baustoffe, Maurer und Zimmerleute. Klaus Kröning begann seine Laufbahn als Farmer nicht, wie so manche andere, in einer aus Kistendeckeln zusammengeschlagenen Hütte, sondern in einem stattlichen, massiven Herrenhaus, an das sich reichlich Vorratsgebäude und Lagerhäuser anschlossen. Etwa zwanzig Kilometer davon entfernt auf dem Kamme eines bewaldeten Höhenzuges ließ er sich ein zweites Wohnhaus errichten. Es lag fast tausend Meter höher als der Farmhof am Flußbett. Auch während der heißen Jahreszeit war hier ein mildes Höhenklima zu erwarten. Während der nächsten Jahre sollte der Aufenthalt in diesem Hause auf dem Berge Klaus die Europareise ersetzen, denn vorläufig wollte er bei den Schöpfungen bleiben, die hier unter seiner Hand neu entstanden.

Das Gebiet, das er sich für seine Siedlung gewählt und erworben hatte, gehörte zu jener südwestafrikanischen »Parklandschaft«, die den europäischen Besucher immer wieder bezaubert und doch für einen Ackerbau europäischer Art unbrauchbar ist. Weite, schwellende Grassteppen unterbrochen von ausgedehnten Baum- und Buschgruppen. Die Flußläufe an den Ufern von dichten Galeriewäldern begleitet. Ein ideales Gelände – scheinbar.

Doch das Land hier hat zwei Gesichter. Anders sieht es zur Regenzeit, anders zur Zeit der Dürre aus. Wenn im Dezember die große Regenzeit einsetzt, die sich bis in den Mai hinzieht, dann grünen und blühen die weiten Steppen. Überall sprießt junges, grünes Gras, und Tausende von bunten Blumen bedecken die Steppe. Dann schmücken sich Büsche und Bäume mit neuen Trieben, und die ganze Natur atmet Frische und Wohlsein.

Sechs Monate etwa dauert die Regenzeit. Dann beginnt die Trockenheit. Das grüne Gras wechselt seine Farbe. Es beginnt zu vergilben, geht schließlich in ein immer satter werdendes Gelb über. Schon im September leuchten die Weideflächen wie schimmerndes Gold. Dann beginnen auch Büsche und Bäume unter der Dürre zu leiden. Immer grauer und glanzloser wird ihr Laub. Verstaubt und verdurstet liegt das Land während der letzten zwei Monate, bis endlich der Dezember neuen Regen und neues Leben bringt.

Bisweilen gibt es wohl im September und Oktober eine zweite kurze Regenzeit, die der verschmachtenden Natur neue Frische bringt. Aber gelegentlich bleibt sie auch Jahre hindurch aus, und der afrikanische Farmer darf nicht mit ihr rechnen. So war das Land beschaffen, in dem Klaus Kröning sein Leben als Farmer begann. Er kannte das Land und seine Tücken. Er wußte aber auch, was aus ihm zu machen war.

Wie ein Feldherr legte er sich seinen Schlachtplan zurecht und führte ihn Zug um Zug aus. Der nächste Punkt, der jetzt auf seinem Programm stand, hieß: Arbeiterbeschaffung. Klaus rief seinen alten Boy, der noch von der Eisenbahnerzeit her bei ihm geblieben war.

»Abraham!«

»Der Aubaas wünscht?«

Seitdem Klaus seine Stellung bei Voßberg & Co. aufgegeben und sich selbständig gemacht hatte, war er bei Abraham avanciert. Er war nicht mehr der Baas (der Herr), sondern der Aubaas (der große Herr).

»Abraham, ich brauche Arbeiter für meine Farm.«

»Oje, Oje, der Aubaas braucht Brüder von Abraham.«

»Aber anständige Brüder, Abraham. Leute, die Salz und Tabak ehrlich verdienen und keine Ochsen stehlen.«

Der Klippkaffer schnitt ein gekränktes Gesicht.

»Brüder von Abraham stehlen keine Ochsen. Der Aubaas wird viel Salz und viel Tabak geben?«

Klaus nickte gelassen.

»Der Aubaas wird geben«, sagte er gravitätisch.

Mit einem dreitägigen Urlaub wurde Abraham entlassen. Die Folgen seiner Sendung zeigten sich schnell. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich unter den Klippkaffern und Hereros das Gerücht, daß der gute Baas von Gründorn im Osten Farmland gekauft habe. In Trupps kamen die Schwarzen von allen Seiten herbeigezogen und boten ihm ihre Arbeitskraft an.

Systematisch teilte Klaus sein Land ein. Sieben große Vorwerke wuchsen aus dem Boden, jedes einzelne von einem zuverlässigen weißen Verwalter geleitet. Zuchtvieh wurde gekauft, zum Teil von benachbarten Farmern, zum andern Teil in Europa. In endlosen Zügen wanderten die Herden von Windhuk her durch die Steppe, bis sie Krönings Farm erreichten. Eine neue Arche Noah schien ihren Inhalt hier von sich zu geben. Rindvieh, Wollschafe und Perserschafe, Angoraziegen, Pferde, Maultiere, Esel, Kamele und Schweine füllten bald die Koppeln der neuen Farm. Geflügel aller Art wurde in den schwerfälligen Ochsenkarren herangebracht. Bald herrschte reges Leben auf den endlosen Weiden, auf denen vor kurzem nur vereinzelte Springböcke und Hartebeests geäst hatten.

Und dann besann sich Klaus eines Bibelwortes, das er vor langen Jahren von seinem Vater, dem alten Gemeindehirten, gehört hatte. »Das Auge des Herrn macht das Vieh fett.« Wohl an sechzig Kilometer weit streckte sich seine Farm den Riviere entlang von Südwesten nach Nordosten. Wohl an zwanzig Meilen hätte er jeden Tag reiten müssen, um wirklich alles zu sehen, seine Augen überall zu haben. Eine neue Technik bot ihm die Mittel, das Unmögliche möglich zu machen . . .

Die Sonne stand schon tief im Westen. In Freshwater, dem nördlichsten von Klaus Krönings Vorwerken, waren die Klippkaffern schwatzend und lachend mit dem Melken des Milchviehs beschäftigt. In Strömen ergoß sich das weiße Naß aus den strotzenden Eutern in die Melkkübel. Da drang von weither ein fremdartiger Ton über die Steppe. Fast ähnlich wie das Schreien eines wilden Ochsen klang es. Die Schwarzen horchten auf, unterbrachen die Arbeit, suchten mit ihren scharfen Augen den Horizont ab.

Irgend etwas kam dort aus der Ferne daher. Ein Wagen schien's zu sein. Ein Ochsenkarren vielleicht, dessen Zugtiere geblökt oder geschrien hatten. Aber so schnell kam der Wagen heran. Viele Male schneller, als schwerfällige Zugochsen jemals zu laufen vermocht hätten.

Und jetzt – die scharfen Augen der Schwarzen erkannten es ganz deutlich – ein Zauberwagen mußte es sein. Ohne Zugvieh davor rollte er mit Windeseile über die ebene Steppe daher.

»Zauberei!« Ein Teil der Schwarzen stürmte in wilder Flucht querfeldein davon. Andere warfen sich zu Boden, bedeckten das Gesicht mit den Händen. Zitterten am ganzen Leibe, als es in nächster Nähe bei ihnen fauchte und puffte, wieder der Schrei eines wilden Ochsen in ihr Ohr drang.

Plötzlich verstummte das Geräusch. Und dann – dann brach die unendliche Neugier dieser schwarzen Kinder durch. Vorsichtig blinzelten sie durch die Finger zu dem unbekannten Ungetüm hin und sahen, daß ihr wohlbekannter Baas in dem Zauberwagen saß. Da wich die Scheu. Erst vorsichtig, immer kühner, dann kamen sie näher heran. Und dann brach es von allen Seiten los. Ein Geschnatter wie von hundert Enten, eine Flut von Rufen und Fragen.

»Was ist das? . . . Was hat der Baas da? . . . einen Wagen ohne Rinder! . . . Einen Wagen, der von selber fährt . . . Einen Feuerwagen . . .«

Immer näher kamen sie heran, begannen vorsichtig einzelne Teile zu betasten. Die Reifen – die Karosserie – die Motorhaube.

Vielstimmiges Geschnatter. Die Haube war warm. Da mußte das Feuer drin sein. Wildes Geschrei jetzt. Die Vorwitzigsten hatten den heißen Kühler betastet und sich die Finger verbrannt. Erschreckt stürzten sie zurück.

Klaus mußte lachen. Dann rief er ihnen in dem bekannten Mischmaschdialekt zu:

»Das ist ein eiserner Ochs!«

Im Nu lief das Wort in hundert Variationen durch die schwarze Gesellschaft . . . ein eiserner Ochs! . . . Der Baas hat einen eisernen Ochsen . . .

Das Kühlwasser war während der langen Fahrt zum beträchtlichen Teile weggedampft, eine Nachfüllung notwendig. Klaus wandte sich wieder an die Menge.

»Der eiserne Ochs will saufen!«

Neues, endloses Geschnatter . . . der eiserne Ochs will saufen . . . der Feuerochs vom Baas will saufen! Schon liefen sie nach allen Seiten auseinander, strömten nach wenigen Minuten zurück und brachten in allerhand Kannen und Töpfen Wasser heran. Waren stolz, es selbst durch den Trichter in den Kühler hineingießen zu dürfen. Gekränkt nur die, die mit ihrem Wasser zu spät kamen, als der Kühler schon voll war.

So machten Klippkaffern und Hereros die erste Bekanntschaft mit einem vierzigpferdigen Daimler. Überall, wo Klaus zum ersten Male damit auftauchte, gab's den gleichen Schreck, dasselbe Staunen bei den Schwarzen.

Bald freilich verblaßte der Reiz der Neuheit. Nur die eine unbehagliche Tatsache blieb bestehen, daß man niemals wußte, wo der Aubaas eigentlich steckte. Allzu schnell konnte sein Zauberwagen laufen. In knapp zwei Stunden rannte sein eiserner Ochse vom südlichsten bis zum nördlichsten Vorwerk durch die Steppe. Nicht immer ließ ihn der Aubaas dabei brüllen. Ganz leise kam er manchmal an, war schon mitten unter ihnen, bevor sie ihn recht bemerkt hatten. Da blieb ihnen nichts anderes übrig, als fleißig ihre Arbeit zu tun, wenn sie den großen Baas nicht böse machen wollten. So geschah es, daß Klaus Krönings Farmereibetrieb von Anfang an besser gedieh als viele andere. – – –

In der Nachbarschaft zuckten sie die Achseln über Klaus, nannten ihn den Gentlemanfarmer. Wer in einem dieser neumodischen Maschinenwagen im Veldt herumkutschierte, anstatt auf dem Pferderücken zu sitzen, der konnte in ihren Augen kein rechtschaffener Farmer sein. Bald sollten sie noch mehr Gelegenheit bekommen, ihre Glossen über Klaus zu machen.

Als die Dürrezeit begann, kamen von Windhuk her viele Ochsenkarren, beladen mit Feldbahngleisen, mit Loren und mit Lokomotiven. Deutsche Schachtmeister kamen und neuangeworbene schwarze Arbeiter mit ihnen. Klaus aber besann sich auf das, was er einmal vor vielen Jahren bei dem alten Feldmesser Wendt gelernt hatte. Wieder schweifte er mit dem Theodolithen und mit Meßlatten durch das Land. Der Riviere machte bei dem neuen Farmhof einen Bogen. Dicht daneben, vom Flußlauf nur durch einen schmalen Landrücken getrennt, zog sich eine ausgedehnte Bodensenke dahin.

Hier maß und nivellierte Klaus eine Woche hindurch. Dann streckten sich Feldbahngeleise, Lokomotiven pfiffen und Loren rollten. An hundert Schwarze waren beschäftigt, einen Kanal vom Riviere zu diesem Tal zu graben. Rastlos schaufelten sie den ausgehobenen Boden in die Loren. Mit ihrer Last rollten die Feldbahnzüge zum Riviere und schütteten einen Damm quer durch die halbe Breite des Bettes.

»Ein kostspieliges Vergnügen«, meinten die Farmer in der Umgebung. »Aber der Diamantenkönig hat's ja dazu. Jeder wird sein Geld auf seine Weise los.« Klaus lachte, als er davon hörte.

»Laßt sie sich die Mäuler zerreißen«, sagte er zu Georg Schmidt, seinem ersten Verwalter, »sie werden noch öfter Gelegenheit haben, sich über mich zu wundern.«

Die Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. Neue Transporte kamen aus Windhuk. Schwere Eisenteile, Betonmischmaschinen, Motoren und unendliche Mengen Zement. Ein vollkommenes Einlaufwerk mit Schleusentoren wuchs dort aus dem Boden, wo der neugegrabene Kanal stromaufwärts dicht vor dem geschütteten Damm in den Riviere mündete.

Die Dürre ging weiter. Auch Klaus mußte ihr seinen Tribut zahlen. Das Vieh fiel ab, manches gute Stück ging ein. Und doch bewährte sich auch hier wieder sein schon fast sprichwörtlich gewordenes Glück. Eine Regenwoche im September verhütete das Schlimmste. Und dann endlich war die Dürre vorüber. Die große Regenzeit setzte ein. Der Riviere, so lange ein trostloses, sandiges Tal, verwandelte sich in einen schäumenden Strom. Gewaltige Wassermassen trug er vom Nordosten her durch das Land. Vor dem frisch geschütteten Damm stauten sich die Fluten hoch auf, strömten in mächtigem Schwall durch den Kanal in die Bodensenke. Wo seit undenklichen Zeiten niemals Wasser gewesen, streckte sich jetzt der Spiegel eines großen Sees.

Als das Wolkengrau lichter wurde, als das erste Himmelsblau hindurchbrach, begannen die Wasser des Riviere sich zu verlaufen. Da wurden alle Tore und Schützen in dem Einlaufwerk geschlossen. Den gefangenen Fluten war der Rückweg abgeschnitten. Längst lag das Flußbett wieder gelb und staubig da, aber der neugewonnene große See blieb stehen.

Er bot dem durstenden Vieh nicht nur willkommene Tränkplätze, Klaus ließ auch Gräben von ihm aus weit in das Land hineinziehen, durch die das kostbare Naß über die Weide verteilt und beträchtliche Flächen auch während der Dürrezeit saftig grün erhalten blieben.

Das war die erste große Verbesserung, mit der Klaus in sein zweites Farmjahr ging. Genauer gesagt, der Anfang einer Verbesserung, denn in den folgenden Jahren wurden solche Stauseen noch an zahlreichen anderen Stellen von ihm angelegt. So gewann er ein bedeutendes Areal, das auch für einen nutzbringenden Ackerbau geeignet war. – – –

Die lange Dürre war und blieb der schlimmste Feind des Farmers in Südwest. Wenn das Gras vergilbte, begann das Vieh abzufallen. Blieb im September die zweite kurze Regenperiode aus, dann trat eine Krankheit auf, die von den burischen Farmern die Lahme genannt wurde. Die Tiere verloren die Herrschaft über ihre Glieder, und der Tod hielt reiche Ernte unter ihnen. Auch reichliche Tränkung vermochte das Unheil nicht aufzuhalten. Das Übel kam von dem verdorrten Futter.

»Der Diamantenkönig macht neue Experimente«, sagten die Farmer in der Nachbarschaft. »Schade um das schöne Geld, was da verpulvert wird.« Auch seine weißen Verwalter zuckten die Achseln. Selbst der erste Administrator, ein erfahrener und umsichtiger Landwirt, sagte ihm Mißerfolge voraus. Klaus schlug ihm auf die Schulter.

»Lieber Schmidt, wenn auf zwanzig Mißerfolge ein Erfolg kommt, bin ich zufrieden. Im übrigen kann ich nicht einsehen, warum hier in Afrika nicht gehen soll, was in Deutschland schon seit langem geübt wird.«

»Deutschland ist nicht Afrika, Herr Kröning«, erwiderte der Administrator.

»Aber Gras ist Gras, lieber Schmidt. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir hier nicht auch zu einem brauchbaren Verfahren kämen.«

Klaus stand während dieser Unterredung mit Schmidt hinter den Wirtschaftsgebäuden vor einer Reihe großer, glatt ausbetonierter Gruben.

»Wir werden ganz systematisch vorgehen, Herr Schmidt. Sobald die Regenzeit vorüber ist, beginnen wir mit dem Füllen der ersten Grube, nehmen Woche für Woche eine neue Grube vor. In allen Fällen wird Süßfutterzusatz gegeben. Ich habe die erforderlichen Chemikalien bereits aus Deutschland kommen lassen. Die gefüllten Gruben werden mit Lehm abgedeckt.«

»Ja, aber, Herr Kröning . . .«

»Jetzt kein ›Aber‹, Herr Schmidt. Es haben schon Leute vor Ihnen geglaubt, daß Klaus Kröning ein Esel ist, und haben . . .«

»Verzeihung, Herr Kröning, nichts liegt mir ferner als . . .«

Klaus lachte.

»Gedanken sind zollfrei. Denken Sie, was Sie Lust haben, aber führen Sie meine Anordnungen aus. Später mögen Sie meinetwegen reden.« – – –

Die Regenzeit ging vorüber, die neue Dürre brach ein. Als der Oktober ins Land zog, stand Klaus mit seinem Administrator wieder vor den Silos. Ein paar Klippkaffern machten sich daran, die Lehmdecke von der ersten Grube abzuräumen, fuhren erschrocken zurück und hielten sich die Nasen zu. Ein fürchterlicher Gestank kam aus der Grube.

Schmidt drehte sich um und biß sich auf die Lippen. Klaus zog sein Taschenbuch, in dem er die einzelnen Versuche mit allen Daten notiert hatte, und machte durch die erste Position einen roten Strich.

»Zum nächsten Silo!« sagte er kurz.

Die Decke der zweiten Grube wurde aufgebrochen. Auch hier ein entsetzlicher Gestank. Ein zweiter roter Strich in dem Buch.

So ging es von Silo zu Silo weiter.

Der Administrator räusperte sich.

»Sagten Sie etwas, Herr Schmidt?«

»Nein, Herr Kröning. Aber ich meine . . .«

»Es ist noch zu früh zum ›Meinen‹, Herr Schmidt. Wir sind noch nicht am letzten Silo.«

Schmidt hielt sich die Nase zu und schüttelte den Kopf.

»Es wäre besser, Sie machten die Nase wieder auf und prüften den Geruch.«

Der Administrator schwieg. »Geruch nennt der Mann diesen bestialischen Gestank«, dachte er bei sich.

Als die achte Grube aufgebrochen wurde, trat Klaus dicht heran und witterte über der Öffnung.

»Kommen Sie näher, Herr Schmidt, riechen Sie auch mal.«

»Danke vielmals, Herr Kröning, ich bin nicht so vergnügungssüchtig.«

Klaus machte den achten Strich in sein Buch.

Als die zehnte Grube an die Reihe kam, trat auch der Administrator näher. Tiefbraun, fast frischem Torf ähnlich lag die eingestampfte Masse hier unter dem Lehm. Ein würziger, honigartiger Geruch ging von ihr aus. Ebenso war's an der elften und zwölften Grube. Drei rote Kreise kamen in Krönings Buch.

»Na, Herr Schmidt! Was meinen Sie jetzt?«

Der Administrator kratzte sich den Kopf.

»Es wird darauf ankommen, Herr Kröning, ob das Vieh das Zeug frißt, und wie es ihm bekommt.«

Klaus lachte.

»Sie sind ein unverbesserlicher Zweifler. Den Versuch werden wir schnell machen.

Einen Ochsenkarren her! Vollgeladen aus Grube zehn und elf, und in die nächste Koppel damit!«

Wenig später lief der eiserne Ochse über das verbrannte Veldt, trug Klaus und seinen Administrator zu der Koppel. Gierig drängte sich das matte Vieh um das hingeworfene Süßfutter, fraß und kaute mit vollem Behagen. Eine Weile betrachtete Klaus das Schauspiel schweigend. Dann wandte er sich zu seinem Begleiter.

»So, lieber Schmidt, jetzt ist die Reihe an Ihnen. Jetzt können Sie reden.«

»Sie haben recht behalten. Ich habe nichts mehr zu sagen, Herr Kröning.«

»Einverstanden, Herr Schmidt. Wir wollen nicht mehr reden, sondern handeln.« – – –

Bald erhoben sich auf allen Vorwerken die charakteristischen Bauten neuer, großer Silos. Von jetzt an wurde Viehfutter im großen nach dem von Klaus Kröning entdeckten Verfahren konserviert. Zuerst geschah es nur auf seiner Farm. Bald kamen auch die Nachbarn, die so lange über ihn gespottet hatten.

Sie sahen und staunten. Dann ließen sie sich von ihm in das Verfahren einweihen. Der Kernpunkt der Erfindung lag in der richtigen Zeitwahl. Das Gras für die Silos mußte zu einer ganz bestimmten Zeit nach der Regenperiode geschnitten und gespeichert werden, wenn es bereits leicht vergilbt war. Nur dann machte es eine süße, würzige Gärung durch und ergab ein wunderbares Futter, das den notleidenden Herden in der Dürrezeit sehr zugute kam. Der Erfolg war so augenscheinlich, daß sein Verfahren schnell allgemein zur Anwendung kam.

Bald war die Farm von Klaus Kröning als Musterwirtschaft in der ganzen Kolonie bekannt. Auch durch ihre Größe begann sie Aufsehen zu erregen, denn von Jahr zu Jahr wuchs ihr Areal durch Neuerwerbungen. Immer wieder gab Klaus seinen Nachbarn Grund zum Staunen. Als er die erste Straußenfarm anlegte und eine Straußenzucht im großen begann, steckten sie die Köpfe zusammen und lachten. Aber als die ersten Federsendungen nach Europa gingen und vom dortigen Markt zu hohen Preisen aufgenommen wurden, verging ihnen das Lachen. Wieder einmal hatte Klaus Kröning ihnen gezeigt, daß er weiterblickte als sie und den Erfolg zu zwingen verstand.

Auf einem anderen Gebiet freilich wollte es ihm nicht glücken, so viele Opfer er auch seiner Idee brachte. Eine wirklich lohnende Fleischversorgung im großen war nur möglich, wenn man das Fleisch der auf der Farm geschlachteten Rinder sicher konservieren konnte. Es gab keine neue Erfindung, kein neues Konservierungsverfahren, über das er sich nicht eingehend informiert hätte.

Spielend leicht mußte das Problem zu lösen sein, wenn auch nur die Hälfte von dem zutraf, was die Erfinder versprachen. Aber leider traf es nicht zu. Tausende und Abertausende gab Klaus in diesen Jahren für neue Konservierungsanlagen aus. Fast jeder Dampfer, der in Swakopmund anlegte, hatte Apparate und Maschinenteile für seine Farm an Bord. Keine Mißerfolge konnten ihn davon abbringen, den einmal gefaßten Plan mit größter Zähigkeit zu verfolgen. In einem alten großen Schuppen seiner Hauptfarm begannen die als unbrauchbar erkannten Apparate sich zu Bergen zu häufen. Wohl oder übel mußte er auf die Durchführung dieses Planes verzichten.

»Vorläufig nur und bis auf weiteres«, sagte er zu sich selber, als er sich anderen Dingen zuwandte, die inzwischen sein Interesse erregt hatten.

 


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