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Was ist der Himmel, was ist die Welt,
Als das, wofür eben einer sie hält;
Was hilft uns alle Herrlichkeit
Ohne Seelenbehaglichkeit
Und ohne des Leibes Liebesleben;
Was hilft euch alles Streiten und Streben.
Goethe.

Nun, wie steht's, sind genug Hähne für uns verhört?« fragte Karl August, mit seinen Begleitern und ein paar Stallknechten Abends vor der Wartburg vom Pferde steigend, wo ihn der Kastellan und sein Oberförster, verschiedene Revierförster nebst dem Burgpersonal mit devoter Begrüßung empfingen.

»Durchlaucht zu dienen, jawohl,« entgegnete der alte Oberförster. »Die Waldläufer und Forstwarte sind jede Nacht draußen gewesen und haben ihrer genug ausgemacht. Und es ist ein Glück für den Forst und die jungen Kulturen, wenn Durchlaucht und die anderen Herren ein paar Auerhähne abschießen, denn den Saaten haben sie im vorigen Sommer wieder arg zugesetzt, den jungen Herztrieb derartig verschnitten, daß wenige von den Sämlingen zum Auspflanzen passen werden.

»Sie sind und bleiben mehr Forstmann als Weidmann, alter Freund,« lachte der Herzog. »Nun, das ist mir lieb; unsere Berge hier herum brauchen sorgfältige Pflege des Waldbestandes, und darum – nicht wahr, Wedel, nur darum – schießen wir Ihnen hoffentlich morgen in der Frühe etliche der mißliebigen Gesellen herunter.«

Man ging in die Burg und begab sich in das Landgrafenhaus.

Nach dem Abendbrot, als die Herren noch beim Wein saßen, wurde das Forstpersonal eingeführt, das über den Stand der Hähne Bericht erstatten mußte. Jeder suchte sich eine andere Stelle aus, wo er der Jagd in stiller Morgenfrühe obliegen wollte.

Es war eine windstille, frühlingsduftige Nacht, der Himmel wolkenlos und hoch gewölbt, die Sterne hell und von sanftem Lichte, als die Jagdteilnehmer sich Punkt ein Uhr auf dem Schloßhofe der Wartburg an den bereit gehaltenen Pferden zusammenfanden.

Zwischen dem Zimmerberg und Drachenstein schieden die Herren mit einem fröhlichen Weidmannsheil! und der Herzog ritt allein, nur von einem ortskundigen Reitknecht begleitet, in die Nacht hinaus.

Die scharfen Umrisse der Hörselberge traten am nördlichen Horizont immer klarer hervor, da gerade über denselben die zarte Sichel des ersten Mondviertels auf dunkelblauem Grunde schwamm. Ein Reh, das aufgeschreckt die Menschennähe witterte, schmälte in bellenden Tönen durch die Stille.

»Gut, daß wir die Musik nicht später haben,« sagte der Herzog zu seinem Begleiter; »davor würde der flotteste Balzer verstummen, und ich müßte angeführt wieder umkehren.«

Endlich langte man am Fuße der Hirschwand an, da wo es zum Kohlberg hinaufging. Der Reitknecht übernahm des Herzogs Pferd, und dieser stieg allein, vorsichtig lauschend, im Waldesdunkel bergan. Es war ein mühsames Stück Arbeit; nur so viel Licht, um die Richtung nicht zu verlieren, und dabei ein pfadloses Klettern über Geröll und Baumwurzeln.

Eine Stunde lang mochte er sich so gemüht haben, als er, etwa noch zweihundert Schritte über sich, den wohlbekannten Hohlschlag des Auerhahns hörte, der die Hennen anlockte. Das Schleifen, jener Ton, während dessen der Hahn nicht hört und sieht – einige Sekunden, die vom Jäger zum Näherkommen benutzt werden müssen – folgte, und der Herzog beeilte sich, seine Büchse zu untersuchen und möglichst genau die Richtung, in der sich das edle Wild aufhielt, auszumachen.

Dann birschte er sich vorsichtig näher; er tat, als nach dem Hohlschlag das Schleifen folgte, zwei große Schritte und stand dann lauernd, mit erwartungsvoll klopfendem Herzen still.

Endlich auf etwa fünfzig Schritte herangekommen, mußte er den Angriffsplan entwerfen, denn jetzt erst übersah er den Charakter des Bestandes, in welchem der Hahn balzte. Er hatte darauf zu denken, nach dem Vorschreiten gedeckt zu stehen, denn nahe dem Bergesgipfel lichteten sich die Stämme, und es war kaum möglich, die schußgerechte Stellung zu gewinnen.

Ein paarmal mußte er noch in äußerster Geschwindigkeit, während des Schleifens, größere Strecken überspringen, stand nun aber endlich, wohlgedeckt, die Waffe im Arm, und wartete so viel Büchsenlicht ab, um den Hahn zu erkennen und mit Sicherheit zielen zu können.

Rötlich färbte sich gegen halb fünf Uhr der östliche Himmel, und bei dem Schimmer gewahrte der Herzog den großen, schwarzen Vogel auf dem kahlen Ast einer Fichte.

Er riß bei dem nächsten Schleifer die Büchse an den Kopf, gab Feuer – und flatternd platschte der Auerhahn vom Baum herab.

Als der prächtige Vogel nach den letzten Zuckungen tot da lag, hob der Herzog mit vor Jagdlust leuchtenden Blicken seine Beute an den Ständern auf und betrachtete das schöne Tier. Dann wandte er sich, um den Platz genauer anzusehen, wo er den Auerhahn an einen Zweig hängen und später abholen lassen wollte.

Indem sein suchender Blick im Kreise schweifte und er ein immer wärmeres Erglühen am östlichen Himmel, drüben neben dem Poppenberge wahrnahm, sah er, nur wenige Schritte von sich entfernt, eine hohe Gestalt von den dämmernden Büschen sich ablösen und jetzt frei dastehen.

Es war ein schlanker Mann in tadelloser Hofkleidung; er trug einen Anzug von schwarzem Sammet, ein feines Spitzenjabot und ebensolche Manschetten, schwarzseidene Strümpfe und Hackenschuhe mit blitzenden Schnallen. Der Fremde lüftete seinen Federhut, und Karl August konnte sein Antlitz, warm überflogen von den ersten Sonnenstrahlen, deutlich erkennen; es war ein pergamentartig glattes Gesicht, nicht alt, nicht jung, mit dunklen Augen voll unheimlichen Blitzens und mit scharfen Zügen. Der Herzog erinnerte sich nicht, den Mann jemals gesehen zu haben. Die Sauberkeit seines Anzugs fiel ihm besonders auf, und vergleichend ließ er den Blick über seine eigenen lehmigen, vom Tau durchfeuchteten hohen Stiefel gleiten.

»Wie kommen Sie in solch famosem Wichs hierher?« rief er auflachend. »Sie sehen ja aus, als wären Sie heraufgeflogen!«

»Durchlaucht haben recht, das bin ich auch!« entgegnete der andere mit einer scharfen, von fremdem Akzent gefärbten Sprechweise und dem vollkommensten Ernst.

Der Herzog starrte ihn an; hatte er einen Tollen vor sich? Wie sollte er diese Behauptung aufnehmen? Die gute Laune siegte, er lachte wieder und sagte sarkastisch: »Muß äußerst bequem sein, Bergeshöhen fliegend zu gewinnen, während wir anderen Sterblichen keuchend und schwitzend über Steine und Baumwurzeln herauf stolpern. Aber was verschafft mir denn die Ehre, dem eleganten Herrn auf seinem ›Morgenfluge‹ zu begegnen?«

»Ich bin Durchlaucht angemeldet und erlaube mir, nach unumstößlichen Gesetzen, an denen wir beide nichts ändern können, dero Bahn zu kreuzen.«

Dem Herzog ging plötzlich ein Licht auf. »Den Kuckuck auch!« rief er höchlich interessiert, »sind Sie vielleicht der vielbesprochene Graf Saint-Germain? Der Meister des wunderlichen Kaufmanns?«

»Eines Anfängers!« schaltete der Fremde mit dem Tone der Geringschätzung ein und fügte dann höflich sich verbeugend hinzu: »Eure Durchlaucht haben richtig geraten; ich bin der Graf Saint-Germain.«

»Na, also wirklich! – Ich war allerdings vorbereitet Sie zu treffen und bin nun doch überrascht.« – Er schwieg ein paar Sekunden und trat dann dem Grafen einen Schritt näher; ihn ernst und scharf ansehend, fuhr er fort: »Machen Sie's kurz, mein Bester, was wollen Sie von mir? Ich bin ein Fürst ohne große Mittel, ohne Vorliebe für alchimistische Spielereien; vielleicht sogar ohne rechte Schätzung des Goldes. Durch dies offene Bekenntnis wird das Interesse des Herrn Grafen gewaltig sinken; he, ist es so? Freut mich, Sie 'mal gesehen zu haben, und nun geben Sie sich weiter keine Mühe mit mir – fliegen Sie ab!«

»Durchlaucht irren,« erwiderte der Graf fast traurig, sonst aber unberührt von dem abweisenden Spott des Herzogs. »Mich leitet kein eigennütziges Motiv; ich folge lediglich einem höheren Drang und bin zu jeglichem Beweise meiner besonderen Ausrüstung, meiner wundergetragenen Sendung in dies irdische Dasein bereit. Hunderte von Jahren suche ich schon nach einem Menschen, wie Eure Durchlaucht mir zu sein scheinen; nach einem Hort und Schirmherrn erhabener Geheimnisse, einem Fürsten, der fähig ist, sich den höchsten Bestrebungen zu weihen, Licht in sich aufnehmend, um eine Leuchte für die Menschheit zu werden.«

»Viel Ehre, zu solchem Laternenmann ausersehen zu sein!« spöttelte Karl August wieder.

Der andere ließ sich nicht irre machen.

»Ich bitte, die Dinge aus ernstem Gesichtspunkt aufzufassen,« sagte er kühl, »wenn ich auch anfänglich Skepsis begreife, ja solche Vorsicht billigen muß; Eure Durchlaucht werden sich bald überzeugen, daß ich samt meiner Mission über allen selbstsüchtigen Bestrebungen stehe. Möglich allerdings, daß ich mich auch in Ihnen täusche, wie so oft schon!« Er seufzte tief und ein Ausdruck düsteren Schmerzes legte sich über sein gesenktes Antlitz.

Der Herzog schaute ihn fragend an und sprach, als der andere schwieg: »Nun, so reden Sie, was soll ich denn nach Ihrem Sinne tun?«

»Das ist nicht mit wenigen Worten gesagt.« Sein Blick hob sich zum strahlenden Morgenhimmel, die Gestalt stand schlank und wie schwebend da, und mit würdigem Pathos hub er an: »Ich bin ausgesandt, einen Menschen zu suchen, der rein und in voller Erdenkaft aufgewachsen, stets diese Reinheit und Kraft bewahrt, mehrt und betätigt; ihm nur kann die höchste Herrlichkeit dieser Welt zu teil werden.

»Voll Hoffnung und Vertrauen schaute ich mich in früheren Zeiten um; stets wurde ich in meinen Erwartungen getäuscht. Nun habe ich schmerzdurchzittert auch in diesem Jahrhunderte vergebens gesucht; o möchte ich endlich finden, wonach ich mit grenzenloser Sehnsucht ringe!«

Er hatte die Arme wie in Verzückung der Sonne entgegengebreitet, ließ sie jetzt sinken und verhüllte sein Angesicht; des Zuhörers schien er vergessen zu haben.

Karl August stand verstummt. Der Gedanke: entweder ein Verrückter, oder – ein unbegreifliches Wunder! drängte sich ihm auf. Es lag etwas so imponierend Ernstes, fast Erhabenes im ganzen Wesen des Mannes, daß der Herzog in die Landschaft hinaussehen, ja, seinen Auerhahn betrachten mußte, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume, um in die Gegenwart zurückzukehren. Endlich brach er das Schweigen und sagte, auf die Ideen des anderen eingehend: »Aber, Verehrtester, wie alt sind Sie denn, wenn Sie seit Jahrhunderten Ihre Art Jagd betreiben?«

Graf Saint-Germain ließ die Hände herabfallen, kam aus seiner Versunkenheit zu sich und lächelte wehmütig.

»So alt wie diese Berge. Ein weiteres Gedankenfeld bietet sich Ihrem Geiste doch nicht. Fürchte ich zu erschlaffen, so trinke ich von meinem Lebenselixir, von dem ich meinen Auserwählten auch mitteilen kann.«

Ein lauernder Blick streifte den jungen Fürsten, ob derselbe auf die ausgeworfene Glanzfliege stoßen werde.

Der Herzog lachte aber in harmlosem Leichtsinn laut auf und sagte munter: »Was tue ich mit Lebenselixiren? Ich habe Leben genug!« Und wie zur Bestätigung atmete er hoch und kräftig auf und dehnte die starken, jungen Glieder.

Der Graf verschränkte die Arme und sprach würdevoll: »Wenn Eure Durchlaucht die Redlichkeit meiner Gesinnung, meine weitreichenden Kräfte prüfen wollen, bevor ich Vertrauen finden soll, so bin ich bereit, irgend ein besonderes Verlangen Ihres Herzens zu erfüllen.«

»Potz Blitz! ein kühnes Versprechen!«

»Ich bitte also zu begehren. Wollen Sie meinen einstigen Freund, Friedrich Barbarossa, mit mir im Kyffhäuser besuchen?«

»Wüßte nicht, welchen Spaß ich davon hätte, des alten Herrn Bekanntschaft zu machen!«

»Oder wollen Sie vielleicht drüben ins Innere des Hörselberges eintreten, um Frau Venus, das schöne Gütterweib zu sehen?«

Die Augen des jungen Fürsten funkelten.

»Da würde ich dem sehr verliebten Herrn Tannhäuser in die Quere kommen,« scherzte er.

»Der Tannhäuser hat ausgeliebt und ausgebüßt,« erwiderte der Graf feierlich und zuversichtlich. »Längst wandelt er in neuen Sendungen durch das Leben; das Götterweib aber ist unvergänglich in seinem außerirdischen Liebreiz und in der Kraft, das höchste Liebesentzücken zu spenden!«

Unter der gesenkten Wimper hervor blinzelte ein Seitenblick über die offenen frischen Züge des Herzogs, um den Eindruck der eben gesprochenen Worte zu erspähen. Sie blieben nicht ohne Wirkung.

»So eine schöne Frau Venus wäre mir recht,« schmunzelte der Herzog. »Aber wie ist's mit dem getreuen Eckart, der warnend auf einem Felsen dem Bergeseingange gegenüber sitzen soll?«

»Wenn ich Durchlaucht führe, bedarf es keines anderen treuen Eckart.«

»Na aber, mein Bester, wenn ich der schönen Frau Venus ansichtig werde, lassen Sie gütigst meinen Rockschoß los und gestatten mir eine nähere Bekanntschaft der Huldin!« lachte Karl August mit neckischem Augenzwinkern.

»Das würde schon die Erfüllung eines zweiten Wunsches sein, welchen ich vielleicht später gewähre.«

»Bitte aber ernstlich, mich nicht mit Malereien, Wachsfiguren und solchem Lirum Larum anführen zu wollen, dergleichen gibt's in Weimar mehr als genug. Können Sie ein frisches, schönes Weib von solchem Fleisch und Bein wie ich selber bin, mir drüben im Berge – na meinetwegen auch erst nur zeigen! – so gehe ich mit und wär's zur Hölle. Tapfer mache ich allen Hokuspokus durch, ohne den solcher Witz nicht abgehen wird. Ich glaube aber, ich bin hier herum besser orientiert als Sie, und da will ich Ihnen nur sagen, daß das sogenannte Hörselloch, durch welches man in den Zauberberg gelangen soll, eine ganz enge Spalte ist, die nicht weit führt. Wie das wilde Heer, das drinnen sein Tagesquartier hat, sich herauswürgt – vermutlich drücken sich spukhafte Schemen dünner zusammen als unsereiner – werden Sie bei Ihren übernatürlichen Kenntnissen besser wissen als ich.«

»Allerdings,« entgegnete der wunderbare Fremde mit sicherer Gelassenheit. »Das sind mir vollständig bekannte Dinge. Wir kommen also dahin überein, daß ich als Beweis meiner Glaubwürdigkeit Eure Durchlaucht beim nächsten Vollmond in den Hörselberg führe und Ihnen Frau Venus vorläufig zeige?«

»Sie wollten wirklich Ernst mit der Geschichte machen?« rief Karl August staunend.

»Buchstäblichen Ernst! Zum Vollmond – in acht Tagen – wird der Herr Landgraf Adolf von Hessen- Philippstal-Barchfeld seine Jagdeinladung wiederholen; ich bitte dieselbe anzunehmen und werde mich auch einfinden, um mein Versprechen einzulösen.«

»Aber von Barchfeld hierher ist doch ein weiter Ritt, ich kann Sie ja hier treffen.«

»Durchlaucht vergessen, daß Entfernungen für mich kaum existieren, wenigstens niemals hinderlich sind.«

»Und ich soll Ihre Flugpartie mitmachen?«

»Ja, soweit es einem sterblichen Wesen, geführt von höherer Geistesinkarnation, möglich ist.«

Der Herzog schüttelte den Kopf dazu, rief aber sehr vergnügt: »Ein famoses Abenteuer, welches Sie mir da in Aussicht stellen; na, man zu! Ich bin nie ein Kostverächter, wenn es flotte Späßchen gibt! Nun lassen Sie mich aber einmal sehen, wie Sie abstreichen; müssen einen närrischen Vogel geben!«

»Dies ist irdischen Augen verborgen!« sagte der Wundermann gravitätisch. »Und da kommen, wie mir scheint, die Jagdgefährten Eurer Durchlaucht, denen ich nicht zu begegnen wünsche.«

Er verneigte sich mit edlem Anstande und trat einen Schritt zurück.

Der Herzog konnte nicht umhin, sich den Nahenden: Wedel, Stein und einigen Jägern, zuzuwenden, die ihn freudig anriefen und, des erlegten Auerhahns ansichtig werdend, darauf hinwiesen, winkten und seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Währenddessen verschwand Graf Saint-Germain in demselben Gebüsch, aus welchem er aufgetaucht war.

Die Zweige teilend, eilte er auf einen Punkt zu, wo ein großer, dunkler Mantel, wohlversteckt unter trockenen Blättern, im Dickicht lag. Er warf denselben rasch über, fuhr in hohe Stiefel, verbarg Schnallenschuhe und Federhut in den Seitentaschen, stülpte sich eine unscheinbare Kapuze über, schritt in entgegengesetzter Richtung von den herüberschallenden, sich jetzt entfernenden Stimmen der Männer davon und murmelte vor sich hin: »So der Mensch Wünsche, Leidenschaften hat, bietet er Handhaben genug, ihn zu gängeln!«

Vignette

 

Denn mit Göttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwärts
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sonne,
Nirgend haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde!
Goethe.

Die Begegnung mit dem wunderbaren Manne beschäftigte den Herzog lebhaft. Noch zu jung, um den verlockenden Worten des Grafen innerlich einen festen Widerstand entgegensetzen zu können, war er eben jetzt, suchend und leer, sehr geneigt, der abenteuerdurstigen Seele Genüge zu verschaffen, wo und wie es sein mochte. Man hatte keinen günstigeren Augenblick finden können, auf ihn einzuwirken, als in dieser Zeit.

Die Tiefe des empfangenen Eindrucks betätigte sich – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit – in einem vorsichtigen Schweigen über seine interessante Begegnung.

Er sprach kein Wort über den Grafen gegen Wedel und Stein, war aber an den folgenden Jagdtagen und auf der Rückreise nach Weimar so schweigsam und zerstreut, innerlich so voll Ungeduld und Spannung, daß die volle Unbefangenheit seiner Jagdgenossen dazu gehörte, seine veränderte Stimmung nicht zu bemerken.

In Weimar eilte er sofort, Goethe aufzusuchen; gegen den Freund wollte er sich aussprechen! Aber – er hatte Goethes Urlaubsgesuch ganz vergessen – das Gartenhaus am Stern stand leer, Goethe war Tags zuvor nach Ilmenau abgereist. Indes welche Wandlung in des Herzogs Empfinden! Eigentlich war ihm jetzt Goethes Abwesenheit gar nicht unlieb. Der Freund hätte ihn auslachen, verspotten, möglicherweise verhindern können, auf Saint-Germains Vorschläge einzugehen. Das, was er selbst dem Grafen entgegnet hatte, wollte er jetzt nicht gern auch von einem anderen hören, denn er schwelgte in der Hoffnung, Außerordentliches gefunden zu haben und noch erleben zu sollen! Das heimliche Ausspinnen der empfangenen Eindrücke hatte ihm schon die Freiheit der Auffassung geraubt, er wünschte glühend, keine Enttäuschung zu erleben und ward täglich froher, als der Mond sich rundete, die Jagdeinladung vom Landgrafen eintraf, der Freund aber noch nicht zurückkam.

Im Schloßpark zu Barchfeld spazierten einige Tage später zwei fürstliche Herren.

Der Landgraf Adolf von Hessen-Philippstal-Barchfeld, ein stattlicher Offizier, der in holländischen Diensten stand, unterhielt sich im Gehen mit seinem Gast, dem Herzog Karl August. Derselbe war, nur von seinem Reitknecht begleitet, zu Mittag von Eisenach aus angekommen, der Jagdeinladung des Landgrafen endlich Folge zu leisten.

Graf Saint-Germain befand sich auch zum Besuche samt einigen anderen Herren vom Kasseler Hofe in Barchfeld. Ohne einer früheren Erzählung zu erwähnen hatte er sich dem Herzoge vorstellen lassen und in seinem Benehmen den Hofmann, den Kavalier und geistreichen Gesellschafter herausgekehrt. Allerdings waren ihm bei Tafel scheinbar absichtslos Äußerungen entschlüpft, die auf weit zurückliegende Lebensverhältnisse hindeuteten. Fast erschrocken suchte er dann diese Mitteilungen zu bemänteln, wie jemand, der sich selbst auf einer Unvorsichtigkeit oder zu großen Offenherzigkeit ertappt, und da keiner der Herren nachforschte oder erstaunt schien, ließ auch Karl August die, Dinge gehen, glühte aber vor Neugier, nach Tisch seinen Wirt im Vertrauen zu fragen, was von dem merkwürdigen Manne eigentlich zu halten sei.

Die ersehnte Stunde, sich ungestört über Saint- Germain zu erkundigen, war jetzt endlich gekommen. Die Herren unterhielten sich zwanglos, wo und wie sie wollten.

Der Herzog gesellte sich seinem Wirte zu. Er nahm den Arm des würdigen, etwas steifen Herrn und war froh, daß sich keiner der anderen Gäste ihnen anschloß.

»Ich bitte Eure Liebden dringend,« sagte Karl August, als sie miteinander eine einsame Allee hinabgingen, »mir nähere Auskunft über den merkwürdigen Mann zu geben, der heute mit uns speiste, ich meine den Grafen Saint-Germain!«

»Ach der!« erwiderte der Landgraf und nahm die Tonpfeife aus den Zähnen, »ja, der ist merkwürdig genug.«

»Nun, inwiefern? Woher stammt er? Was ist er? Was hat's auf sich mit seinem übernatürlichen Alter?«

Der Landgraf lächelte, blieb stehen, sah dem anderen fast erschrocken in die Augen und sprach mit gemächlicher Ruhe: »Eure Liebden verlangen etwas viel und obendrein auf einmal. Ja, wer alle die Fragen beantworten könnte!«

»Nun, General, so beantworten Sie wenigstens eine!« rief der Herzog mit brennender Ungeduld.

»Welche, Mynheer?«

»Welche Sie wollen, bleiben wir bei dem Alter!«

»Darüber können wir Gewisses nicht sagen. Tatsache ist, daß der Graf Details weiß, die eigentlich nur Zeitgenossen in der Weise berichten können. Es ist in Kassel jetzt Mode, respektvoll seinen Angaben zu lauschen und sich über gar nichts mehr zu wundern. Der Graf ist kein Renommist, kein zudringlicher Schmarotzer; er ist ein Mann aus der guten Gesellschaft, und für die gute Gesellschaft, den an sich zu fesseln jeden erfreut. Wenn er auch bei dem Chef unseres Hauses, dem regierenden Landgrafen Friedrich II., nicht sonderlich angeschrieben ist – derselbe nennt ihn einen Mucker und Moralisten –, so steht er doch mit vielen bedeutenden Männern in naher Beziehung und übt einen unerklärlichen Einfluß auf andere. Mein Vetter, der Landgraf Karl von Hessen, ist ihm sehr gewogen, sie treiben eifrig Freimaurerei und allerlei dunkle Künste miteinander, und Lavater schickt ihm Auserwählte. Er kann mit verschiedenen Stimmen und aus verschiedenen Entfernungen sprechen, schreibt jede Handschrift, die er einmal gesehen, täuschend nach, soll mit Geistern und übernatürlichen Wesen verkehren, welche auf seinen Ruf erscheinen, ist Arzt, Geognost und besitzt, wie versichert wird, ein untrügliches Mittel, das Leben zu verlängern. Gründe genug, den Mann anzustaunen.«

Mit äußerster Spannung hatte der Herzog alle diese Mitteilungen von den Lippen des bedächtig redenden Landgrafen vernommen. In der Tat hätte Saint- Germain den neuzugewinnenden Jünger an keine bessere Adresse weisen können, als an die des Landgrafen Adolf.

Mit einem wahren Fieber äußerster Spannung harrte Karl August auf die weitere Annäherung des Wundermannes und auf das ihm in Aussicht gestellte Abenteuer. Er brauchte nicht lange darauf zu warten; sich dem Schlosse wieder zuwendend, sahen, die beiden Männer den Vielbesprochenen mit dem Marquis de Luchet, dem Intendanten des Theaters und der Kapelle, Günstling des allem Französischen zugetanen Landgrafen Friedrich von Hessen-Kassel, daherkommen.

Es machte sich sehr natürlich, daß der Marquis mit dem Landgrafen Adolf vorausging, während der Herzog, sich zu Saint-Germain gesellend, folgte.

»Nun, Graf?« fragte Karl August und sah dem Begleiter forschend in das ernste Gesicht.

»Sind Eure Durchlaucht heute abend zu unserem Wagnis bereit?«

»Mit Leib und Seele!« rief der junge Fürst. »Sagen Sie nur, was ich tun soll?«

Ein befriedigtes Lächeln flog wie matter Sonnenschein über die düsteren Züge des Wundermannes, dann hub er an: »Es ist meine bislang versäumte Pflicht, Serenissimus darauf aufmerksam zu machen, daß wir einem nicht ganz gefahrlosen Unterfangen entgegengehen. Ein Wagnis ist's, Sie in das Reich unterirdischer Mächte einzuführen, welches nur mir offen steht. Einem sterblichen Menschen dort Zutritt zu verschaffen, der weder mit den Gesetzen jener geheimnisvollen Welt vertraut ist, noch furchtbare Möglichkeiten zu beurteilen vermag, bleibt stets bedenklich. Eure Durchlaucht dürfen nie vergessen, daß von meiner Seite nur der reine Beweggrund vorliegt: Sie von dem Zusammenhange meines Wesens mit höheren Regionen zu überzeugen und dadurch Ihre Hingabe für mich – das heißt für meine edlen Bestrebungen – zu gewinnen. Ich fühle, daß ich Ihnen diese Probe schuldig bin, und ich werde dieselbe ablegen, koste es, was es wolle! Der Zweifel muß zwischen uns aufhören, er muß vernichtet werden! Er hindert Sie, den Tempel der Erkenntnis und Vollendung zu betreten, zu dem Sie an meiner Hand gelangen sollen. Um nun bei dem beabsichtigten Unternehmen einige Sicherheit für Sie und für mich – denn auch ich wage viel! – zu finden, müssen Eure Durchlaucht sich genau meine Vorschriften merken, genau meinen Angaben und Forderungen Folge leisten.

»Sie werden mit verhüllten Augen den geheimnisvollen Ritt in den Vorhof des Hörselberges machen; Sie werden, wenn wir der Venus gegenüberstehen, kein Wort sprechen, damit wir nicht die gräßlichen Schemen der wilden Jagd aufscheuchen, welche uns zweifellos zu Tode hetzen würden. Stumm schauen Sie Schrecken und Herrlichkeit der Tiefe, stumm kehren Sie an meiner Hand zurück. Möglich, daß die gefangene Huldgöttin den Heros in Ihnen ahnt, der, gleich dem verlorenen Tannhäuser, ihr Seligkeit bereiten könnte, möglich, daß sie die rührende Sprache der Gebärden an Sie richtet, daß sie Liebe, Licht, Freiheit erfleht, da heißt es, stark bleiben, denn eine Unmöglichkeit ist's, sie durch rasche Tat zu gewinnen. Vielleicht gelingt dies – wenn Sie es begehren sollten – auf einer späteren Stufe unseres Emporstrebens.«

Er hatte dies alles halblaut, rasch und eindringlich gesprochen, und Karl August fühlte wieder, wie bei jenem ersten Sehen, sich von einem Schwindel durchrieselt, in welchem das, was er bisher für möglich, das, was er für unmöglich gehalten hatte, zu einem untrennbaren Chaos ineinanderfloß. Seine lustige Spottsucht, sein derber Humor waren zum Schweigen gebracht; er wollte fragen, aber wo anfangen, da das beabsichtigte Unternehmen im ganzen ein so durchaus fragwürdiges war? So brachte er nur die bescheidene Erkundigung nach der Zeit ihres Ausritts hervor.

»Um neun Uhr geht der Mond auf,« erwiderte der Graf mit der Miene ernster Überlegung. »Wenn Sie etliche Luftvolten vertragen, so können wir binnen einer halben Stunde am Fuß der Wartburg oder des Hörselbergs sein.«

»Luftvolten?« fragte der Herzog erstaunt.

»Ah, ich vergesse! Durchlaucht wissen nicht, daß, während Sie nur die Empfindung haben, im Kreise zu reiten, wir mit jeder Wendung Meilen zurücklegen; auf andere Art kann ich die Gunst außerirdischer Fortbewegung keinem Sterblichen verschaffen. Unser geehrter Wirt, der Herr Landgraf, wird sich nach dem Souper mit den anderen Herren an den Spieltisch setzen; während man sich in das Cavagnote vertieft, bemerkt man unser Verschwinden kaum und binnen ein bis zwei Stunden sind wir, wenn alles glücklich geht, wieder aus dem Berge zurück. Bis Mitternacht liegt das wilde Heer unter dem Banne; wecken wir es mit keinem unvorsichtigen Laute, so sind wir ungefährdet.«

Der Herzog konnte zu alledem nur staunend den Kopf schütteln.

Gegen acht Uhr setzte man sich im Speisesaale zum Souper. Es wollte Karl August bedünken, als ob der Graf weniger unterhaltend sei, als am Mittage; ein Zug feierlichen Ernstes lag zwischen seinen dunklen Brauen, und fester schlossen sich die schmalen Lippen, verstohlen blickte er mehrmals auf seine Uhr.

Der Herzog befand sich in peinlicher Aufregung. Was sollte mit ihm geschehen? In welches Unternehmen hatte er sich eingelassen? War er das Opfer eines unerhörten Betruges oder der Auserwählte des erhabensten Geistes? Diese Fragen, innerlich zum hundertsten Male aufgeworfen, zerstreuten ihn immer wieder bei jedem Gespräche, auf das er einzugehen versuchte.

Endlich wurde die Tafel aufgehoben, plaudernd, rauchend trat man in das Spielzimmer. Die Partien fanden sich zusammen, der Herzog und Graf Saint- Germain lehnten ab.

Ein paar Augenblicke standen sie noch hinter den Stühlen der Spieler, dann, als diese sich in ihr Vorhaben vertieften, winkte der Wundermann mit seinen gewaltigen Augen, und unter dem Einflusse einer seltsamen Empfindung, halb von Bangigkeit, halb von jubelnder Lust, folgte der abenteuersüchtige junge Fürst dem Voranschreitenden aus dem Schlosse.

Als sie in den hell im Glanze des Vollmondes daliegenden Garten traten, schlug es vom Turme die neunte Stunde.

»Gut,« murmelte Saint-Germain, »nun vorwärts!«

Quer den Park durchschreitend und denselben durch ein Seitentürchen verlassend, gelangten sie auf eine Wiese, wo hinter dichtem Gebüsch ein Mann zwei Pferde hielt. Das eine trug statt des glatten englischen Sattels einen ungarischen Bock. Saint-Germain bezeichnete dem Herzoge dies als für ihn bestimmt; da er mit verhüllten Augen reiten werde, könne er die Zügel nicht selbst führen und habe sich also am Sattelknopf zu halten.

Er warf dem Herzog dann eine Kapuze über den Kopf, die nur Luftlöcher zum Atmen hatte, aber die Augen fest verhüllte, und half ihm beim Aufsitzen. Gehorsam umklammerte der blinde Reiter den Höhepunkt seines geschweiften Sattels und ließ sich willenlos entführen. Er fühlte, daß auf seiner Seite der Graf ritt und sein Pferd am Zügel leitete.

Bald setzten sie sich in Galopp; eine eigentümlich schwindelnde Empfindung bemächtigte sich des Herzogs, als er so, ohne zu sehen, ohne Zügel zu fassen, in die Nacht hinausjagte.

»Sitzen Sie fest!« raunte ihm jetzt der Graf zu, »wir erheben uns zu einer Luftvolte, die uns um Meilen weiter führt.«

Es geschah, sie sausten im scharfen Kreise rundum. Schlugen wirklich die Pferde nicht mit den Hufen auf? Die Kapuze verhüllte das Ohr; es war dem jungen Fürsten in der Tat, als ob er fliege.

So dauerte der Ritt nicht länger als eine halbe Stunde, und schier erschreckend vernahm er die Worte des Magus: »Wir sind am Ziele, dort liegt der Hörselberg!«

Man half ihm vom Pferde, er fühlte den steinigen Boden unter sich, man führte ihn bergan. Er spürte, daß Gebüsch seine Hand streifte, und stützte sich, als man halt machte, mit der Hand auf einen Felsblock; deutlich sah er im Geiste die bekannte Stelle, wo unter einer Felskante, die längs des sich steil ins Tal absenkenden Berges hinläuft, des engen Hörselloches Spalte klafft. Man führte ihn noch ein paar Schritte weiter.

»Treten Sie vorsichtig hinunter und stehen Sie fest!« flüsterte der Graf ihm zu; er tat's, sein Fuß berührte Leitersprossen; der Führer hielt ihn, und dann stiegen sie beide langsam in die Tiefe.´

Dumpfe Kellerluft, wie sie nur unter der Erde herrscht, umfing sie, sie standen auf festem Boden, und der Graf löste seinem Begleiter die hüllende Kapuze.

Karl August sah sich in einer trüb beleuchteten Höhle, in der das braunrote Licht einer Pechfackel sich an hohen, nicht von Menschenhand gemeißelten Wölbungen brach. Dunkle Schlagschatten lagen in den Winkeln und fuhren in raschem Wechsel hin und her, sowie ein Luftzug die Flamme der Fackel bewegte.

Der Graf faßte die Hand seines Schützlings und schritt mit ihm vorwärts, ein felsiger Gang tat sich auf, den man verfolgte, dann umfing sie eine geräumige Halle, von der sich Seitengrotten und Gänge in die Tiefe abzweigten; wieder steckten ein paar Fackeln in den Felsspalten, der Graf ergriff die eine und schritt vorsichtig leuchtend voran.

Ein starkes Rauschen schlug an das Ohr des Herzogs, und feuchte kühle Luft strömte ihm entgegen; der Gang wandte sich jetzt plötzlich, rohe Stufen führten zu einer Plattform empor. Er stand überrascht staunend. Zu seinen Füßen ein wildes Bergwasser, schäumend, in Kaskaden vorüberrauschend, drüben, jenseit des Wassers, eine Felswand – in der eine Stelle sich plötzlich erhellte. Es war, als tue eine Nische sich auf, von rosigem Licht erfüllt. In derselben stand ein goldenes Ruhebett, Purpurdecken waren darüber gebreitet, der Boden mit Rosen bestreut.

Auf dem Bette lag sanft hingelehnt eine Gestalt, sie richtete sich auf; »Frau Venus!« raunte der Magus, aber der Herzog hätte dieser Weisung nicht bedurft.

»Ja, das war ein Weib und doch eine Göttin!« Unter einem strahlenden Diadem fiel aschblondes Haar herab und in losen Wellen um den ganzen Körper, welchen ein weißes, griechisches Gewand hüllend umschloß und doch in seinen schlanken, vollen Formen verriet; ein goldener Gürtel raffte dasselbe zusammen. Und nun dies wunderbare Angesicht! Die großen Strahlenaugen, die reizvollen Züge, das kindliche Lächeln, ja, das alles lebte, regte sich, atmete Schönheit und Liebe!

Frau Venus richtete sich von ihrem Lager auf und trat einen Schritt vor, sie warf das reiche Haar zurück; welch ein Arm, wie anmutig jede Bewegung! Dann hob sie bittend die Hände, flehend streckte sie dieselben vor, drückte sie auf ihr Herz, endlich sogar warf sie sich auf die Kniee und breitete weit die Arme, dem ganz im Schauen aufgehenden jungen Fürsten entgegen.

Dieser brach in einen hellen Freudenlaut aus, der wie ein Jubelruf durch die dunklen Wölbungen hallte, und wäre ins Wasser gesprungen, um zu der sinnbetörenden Erscheinung hinüber zu gelangen, wenn der Graf ihn nicht zurückgehalten hätte.

Kaum ertönte jener Aufschrei von den Lippen des Herzogs, so warf sich Frau Venus mit verhülltem Angesicht auf ihr Lager zurück, und ein donnerähnlicher Laut rollte durch die Felsengänge.

»Rasch, entfliehen wir!« flüsterte der Graf. »Folgen Sie mir, eilen Sie, es gilt Hackelberg, dem wilden Jäger, zu entkommen!«

In stürmischer Hast riß er den fast besinnungslosen Gefährten – der noch einen letzten glühenden Blick auf das schöne Weib warf – hinter sich her, stülpte ihm in der vorderen Höhle die Kapuze über, drängte ihn vor sich die Leiter hinauf und stieg mit ihm in die Höhe. Oben angelangt und die freie Luft spürend, atmete der Herzog tief auf.

»Gerettet!« sagte der Graf. »Nun rasch zu Pferde und davon!«

Man saß auf wie beim Kommen und kehrte in derselben Weise zurück.

Vor der Seitenpforte des Barchfelder Schloßparkes entfernte Saint-Germain die Hülle, welche des Herzogs Haupt bedeckte; heller Mondschein lag wie vorhin auf den Kieswegen, den Rasenflecken und zartbegrünten Bosketts des Gartens, nur stand der Mond höher als vorhin, und jetzt, jetzt schlug es zehn Uhr vom Turm des Schlosses.

»Sie sind wirklich ein Wundermann, Graf, in einer einzigen Stunde mich das erleben zu lassen!« rief der Herzog tief erschüttert. »Wenn ich sie, dies entzückendste Weib, das mein Auge je geschaut, nicht jetzt noch deutlich, unauslöschlich, unvergeßlich vor mir sähe, ich könnte mir einbilden, ich habe hier auf der Gartenbank gelegen und im Mondschein geträumt, so wunderbar war dies Erlebnis!«

Als die beiden Männer wieder in das von Tabakswolken erfüllte Spielzimmer traten, erkannten sie aus der anderen Herren Anrede, daß man ihre längere Abwesenheit gar nicht bemerkt habe.

Der Herzog ging zur Seite; verdrossen schlug er die Arme unter, winkte Saint-Germain zu sich und sagte: »Jetzt fordern Sie, bestimmen Sie, machen Sie mit mir, was Sie wollen; alles andere widert mich an, nichts hat Reiz als sie! Schaffen Sie mir jene Huldgöttin, Ihre Venus!«

»Durchlaucht müssen Geduld haben,« erwiderte der Wundermann kühl. »Ich erlaubte mir schon früher die Bemerkung, daß dies ein sehr schwieriges, weitaussehendes Unternehmen sein würde.«

Vignette

 


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