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Der Schneemann

Ein Märchenspiel in drei Akten Das Aufführungsrecht ist bei der Verfasserin zu erholen.

Personen:

Mutter
Spielmann
Liese
Heinz
Schneemann
Märchengestalten
Blumengeister
Nikolaus
Die Jahreszeiten
Christkind
Weihnachtsengel
Nachtwächter.

1. Akt.

Szene: Schneebedeckter Hofraum vor einem kleinen einstöckigen Häuschen. Gegen den Vordergrund rechts etwas erhöht ein alter verknorrter Baum; ringsherum eine morsche Bank. In der Nähe des Baumes ein Schneemann.

Personen des 1. Aktes: Die Mutter ist krank, abgearbeitet und fieberhaft erregt. Anfangs ganz niedergeschlagen, lebt sie in der Erinnerung an einstige Zeiten zu voller Frische auf. Der Spielmann ist fast erblindet, durch Not und Sorge über seine Jahre gealtert. Liese zwischen 8 und 9 Jahr alt. Heinz zwischen 6 und 7 Jahr alt.

1. Szene.

Heinz, Liese, später die Mutter.

Heinz ( auf einer Bank stehend am Schneemann beschäftigt): Mach' ihm noch einen schönen Schnurrbart mit dieser Kohle, Liese, und ich setze ihm den Hut auf den Kopf. Einen Hut braucht er schon bei dieser Kälte. Mutter sagt, jetzt dürfe man nie ohne Kappe aus der Stube, sonst könne man sich erkälten. Und unser Schneemann soll nicht frieren.

Liese: Nein, der arme Kerl soll es gut haben.

Heinz: Ei, zeig' mal! – Schön ist der Bart! Gelt, Herr Schneemann, wir haben dich schön und stolz gemacht.

Liese: Ja, schön und stolz schaut er aus, die Augen lachen ordentlich.

Heinz: Und es sind doch nur ein paar alte Knöpfe! ( Sie lachen beide lustig auf, fassen sich bei den Händen und tanzen um den Schneemann herum, folgendes Liedchen singend):

La, la, la, der Schneemann der ist da,
Nun lach' und sieh uns freundlich an,
Wir bitten dich Herr Schnee–e–mann.
La, la, la, der Schneemann, der ist da.

Heinz ( plötzlich Lisas Hand loslassend, traurig): Jetzt sind wir fertig, und die Freude ist aus – heut' ist Christnacht, und der Schneemann ist unsre einzige Freude. ( Er weint).

Liese: Komm, Heinz, mußt nicht weinen, wenn Mutter heimkommt und sieht es, wird sie noch trauriger und kränker; sie war so schwach heute und ging doch zur Arbeit fort.

Heinz: Vielleicht ist ihr doch das Christkind begegnet –

Liese: Sieh, da kommt die Mutter!

( Sie laufen ihr entgegen.)

Heinz: Mutter, hast du das Christkind gesehen?

Mutter: Bin so müde, Kinder, muß mich einen Augenblick setzen –

Liese: Aber hier ist's kalt, Mutter!

Mutter: Doch drinnen in der Stube ist's auch nicht wärmer.

Liese: Hättest nicht fort gesollt, Mutter! Hast ja kaum stehen können heute morgen.

Mutter: Habt ihr keinen Hunger, Kinder? Und woher sollte unser Brot kommen, wenn ich nicht nach Arbeit gehe?

Liese: Aber du bist ja krank!

Mutter: Ja, ja, krank und müde und arm – aber heut' ist Christnacht, da kann uns noch Gutes geschehen. – In der Christnacht wandeln Gottes Engel auf Erden, und es geschehen Wunder.

Heinz: Wird Gott uns das Christkind schicken, Mutter?

Mutter: Vielleicht Kinder – vielleicht –

Liese: Wir waren ja so brav, Mutter.

Heinz: Sogar ich auch. – Schau, den Schneemann haben wir gemacht, da ist uns so gut warm dabei geworden.

Liese: Ist er nicht schön, Mutter – mußt du nicht auch lachen, wenn du ihn anschaust?

Mutter ( versucht zu lachen): Ja, fein habt ihr ihn gemacht.

Heinz: Aber meine Hände sind steif geworden – ganz kalt und blau sind sie –

Liese: Meine auch. Bei Mütterchen ist's warm. – ( Sie stecken beide ihre Hände unter Mutters Schürze und schmiegen sich eng an sie.) Erzähl' uns was, Mütterchen!

Heinz: Vom Christkind, Mütterchen.

Mutter: Erzählen – ja ( sie lehnt sich matt und müde an den Baum) ja, dann geht die Zeit, und es wird Abend, und wir gehen zu Bett –

Heinz: Aber erst muß das Christkind kommen!

Mutter: Ich will euch erzählen, wie es vor vielen Jahren zu einem armen Mädchen kam und es glücklich machte.

( Die Kinder rücken noch näher an die Mutter und lauschen ihren Worten.)

Mutter: Es war einmal ein Mädchen, das war gar jung und brav, aber auch gar so arm wie ihr.

Liese: Ein Mädchen wie ich?

Mutter: Nein, nein, älter war's, schon grad' 20 Jahre alt! Und in der heiligen Nacht, da war es ganz allein; der Vater und die Mutter waren ihm gestorben. Da weinte das Mädchen in der kalten Christnacht, weil es so gar einsam war und niemand es trösten wollte.

Liese: Und das Christkind?

Mutter: Ja, hört nur! Wie es nun gar so traurig dasaß und beide Hände vor den Augen hatte und weinte, als ob ihm das Herz brechen wollte, kam plötzlich leise das Christkind heran und brachte dem Mädchen gar schöne Sachen und tröstete es so lieb und gut. Das Mädchen wußte nicht, wie ihm geschah – ganz verwirrt war es, denn das Christkind hatte seine Hände erfaßt und neigte sich ganz nahe zu ihm. Dabei fiel ihm sein Schleier vom Gesicht, und da lachte das Mädchen plötzlich fröhlich auf und rief: Ei wart nur, du Schelm, du Bösewicht, sich so zu vermummen, daß ich dich gar nicht kennen konnte –

Liese: Aber, Mutter, wer war es denn, wie kommt denn nur der Bösewicht in unser Märchen herein?

Heinz: Das versteh' ich gar nicht. Ich dachte doch, das Christkind wär's gewesen.

Liese: Was ist dir doch. Mutter?

( Die Mutter hängt ganz versonnen ihren Gedanken nach und singt leise vor sich hin):

In einer kalten Winternacht
Ein Röslein ist entsprossen,
Und in der heiligen Weihenacht
Ward uns das Glück erschlossen.

Liese: Mutter, bist du krank?

Heinz: Hei, wie du frierst, du zitterst ja ganz.

Mutter: Still, Kinder, still, ich war nur weit fort mit meinen Gedanken, ich dachte an meine Jugend – denn das arme traurige Mädchen in dem Märchen war ich –, und euer Vater kam in der heiligen Nacht und hatte sich als Christkind vermummt, und hinter dem Schleier lachte er mich fröhlich an und sagte, daß er mich lieb habe und ob ich sein Weib sein wolle. –

Kinder: Unser Vater, sagst du? Wo ist der? Wir kennen ihn ja gar nicht.

Mutter: Ihr armen Kinder! Fort ist er vor langen Jahren, hinaus in die weite Welt! Wir waren beide gar arm, und in dem kleinen Dorfe, in dem wir damals lebten, konnte er nicht genug Arbeit finden, um uns alle satt zu machen. Und so zog er denn bald fort in die weite Welt, um das Glück zu suchen und es uns zu bringen.

Liese: Hat er uns ganz vergessen, Mutter?

Mutter: Vergessen, nein, sicher nicht. Zuerst hat er noch oft geschrieben und auch Geld geschickt. Doch dann nicht mehr.

Heinz: Warum hast du uns nie von ihm erzählt?

Mutter: Ihr jungen Dinger, sollt ihr denn schon allen Kummer mit mir tragen?

Liese: Und kommt er bald zu uns zurück?

Mutter ( fährt fröstelnd zusammen): Hu! Es ist doch kalt!

Heinz: Wann kommt er denn wieder einmal heim, Mutter?

Liese: Still, Heinz, still! Schau, die Mutter ist krank.

Mutter: Schön wird's, wenn er kommt, aber die Leute sagen, er sei tot!

Heinz: Tot! Unser Vater tot!

Liese ( lehnt sich liebevoll an die Mutter): Mutter, liebes Mütterchen.

Mutter: Nein, nein, er lebt, ich fühle es in meinem Herzen, und er kommt zu uns zurück. – Bald, bald! ( Erhebt sich mühsam; gestützt von den Kindern, geht sie zum Hause hin und singt mit müder, wehmütiger Stimme das Lied):

Auch in der Hütte blüht das Glück,
Wenn die Lieb' drin wohnet
Und in der armen, kalten Kripp
Wie auf güldnem Stuhle thronet.

( Sie hustet und hält sich, von den Kindern geführt, an den Türpfosten erschöpft an. Da ertönt aus der Ferne erst leise, dann stärker werdend das Lied des Spielmanns: «Stille Nacht, heilige Nacht!« Sie horcht auf, und ihre Züge verklären sich.) Hört, ihr Kinder, die Englein singen, das Christkind kommt. ( Sie streckt die Arme sehnend nach der Richtung aus, aus der das Lied: »Stille Nacht, heilige Nacht« ertönt, doch erschöpft sinkt sie zurück. – Die Kinder lauschen entzückt nach der Musik des Spielmanns.)

Liese: Heinz, die Mutter! Hilf mir sie stützen! Mutterle, Mutterle, nur nicht sterben!

( Sie schaffen die Mutter ins Haus.)

2. Szene.

Der Spielmann, später Liese und Heinz.

Spielmann ( hört auf zu spielen, als er auf den Hof kommt, und fängt zu singen an):

In einer kalten Winternacht
Ein Röslein ist entsprossen,
Und in der heiligen Weihenacht
Ward uns das Glück erschlossen.

( Näherkommend.)

Vom Himmel stieg das Christuskind
Zu armen Menschen nieder,
Und durch die Schindeln blies der Wind,
Da froren des Kindleins Glieder.

( Tritt auf.)

Und Friede war den Menschen all –
Und Tier und Felsen beben,
Wenn in der heiligen Weihenacht
Die Engel zur Erde schweben.

Liese ( aus der Tür tretend zu Heinz): Wie schön er singt!

Heinz: Komm, wir wollen Ringelreihe um ihn tanzen, und er soll wieder spielen!

Liese: Nein, nein, nicht spielen, das stört die Mutter.

Heinz ( zum Spielmann): Die Mutter ist krank.

Liese: He, du Spielmann! Sei bitte still! Die Mutter ist krank und schläft.

Spielmann: Gutes Kind. Gib mir die Hand! Ja, hüte dein Mütterchen gut, geht nichts über die Mutterliebe, seid warm und wohl bei ihr bewahrt. ( Sieht Liese lange gerührt an.) Du liebes kleines Ding, wie alt bist du?

Liese: Acht Jahre.

Spielmann: So alt könnte jetzt mein Lieschen sein!

Liese: Ich heiße auch so, und das ist mein Brüderchen, der Heinz.

Spielmann: Meine Liese hat kein Brüderchen! Eure Mutter ist krank, sagst du?

Liese: Ja.

Spielmann: Und euer Vater?

Liese: Wir haben keinen Vater mehr; er ist tot.

Spielmann: Oh, oh – Mutter krank, Vater tot – ihr armen Kinder! Habt ein traurig Weihnachtsfest wie ich auch, bin auch allein und zieh' in der Welt umher und verdiene mir mein Brot mit diesem Spiel.

Heinz: Und das Christkind kommt gewiß auch nicht mehr, es ist schon so spät.

Spielmann: Und habt gar keine Freude heute, nichts, was euch fröhlich macht?

Liese: Nur der Schneemann dort. Über den haben wir schon gar viel gelacht heute.

Heinz: Den haben wir selbst gemacht!

Spielmann: So, so – fein habt ihr ihn gemacht, und er sieht aus, als könne er ein altes Märlein wahr machen.

Liese und Heinz ( neugierig nahe zu ihm herankommend) Was für ein Märlein, erzähl' uns doch!

Spielmann: Das Märlein, daß in der Christnacht alles lebendig wird.

Heinz: Auch der Schneemann soll lebendig werden, meinst du?

Spielmann: Ja, Ja, der auch, in der Christnacht bekommt alles Leben, alle toten Dinge können plötzlich reden, gerade wie die Tiere ringsherum auch.

Liese: Auch unser Nero dort?

Heinz: Und unser Schneemann wird auch sprechen können in dieser Nacht? Ei, das wird lustig!

Spielmann: Gelt, da staunt ihr? Auch euer Schneemann wird reden können in der zwölften Stunde dieser Nacht. Und wer gerade im rechten Augenblick erwacht, der wird große Wunder schauen und kann glücklich und reich werden wie ein König, wenn er sein Glück nicht verscherzt.

Liese: Oh, wenn wir nur im rechten Augenblick erwachen!

Heinz: Wir gehen lieber gar nicht schlafen.

Liese: Glücklich und reich werden, wie schön wäre das für unser armes Mütterlein!

Spielmann: Ja, in dieser Nacht kommt das Glück euch entgegen, und wer klug und gut ist, bei dem bleibt es auf immer. Aber nur ein Herz voll Liebe kann es erringen. Weh' dem, der ohne Liebe nur aus Neugierde die Wunder der Christnacht belauscht! Der wird die Prüfung nicht bestehen, die ihm das Glück auferlegt.

Heinz: Wie sieht es denn aus?

Spielmann: Das weiß niemand vorher.

Liese: Wo wird es uns denn begegnen?

Spielmann: Auch das kann ich euch nicht sagen. – Aber es wird euch jemand bei der Hand nehmen und hinführen.

Beide: Wer?

Spielmann ( lächelnd): Nun, vielleicht der Schneemann dort. –

( Der Schneemann nickt mit dem Kopfe.)

Heinz: Liese, schau! Der Schneemann hat genickt.

Liese: Wirklich, wirklich? Lieber Schneemann, willst du uns helfen zu unserm Glück?

( Der Schneemann nickt wieder.)

Heinz: Schau, Spielmann! Der Schneemann hat wieder genickt.

Spielmann ( lächelnd): So, so, kann schon sein. Aber seht, die Sternlein steigen schon empor, es wird Nacht, und bald fängt die tote Welt an, im Christzauber zu erwachen.

Liese: Wir wollen recht aufpassen, daß wir es sehen dürfen.

Spielmann: Geht nur jetzt hinein, Kinder! Es ist noch eine Weile Zeit bis Mitternacht.

Heinz: Wenn wir aber nicht rechtzeitig aufwachen?

Spielmann: Sagt nur fromm euer Gebet, das andre kommt dann schon. Jetzt aber geht, seht, dort fallen die ersten Sterne herab. Das werden Weihnachtsengel, wenn sie die Erde berühren, und diese gehen von Tür zu Tür und machen ein Zeichen an jedes Haus, in welches das Christkind einkehren soll. Aber belauschen darf man sie nicht, sonst fliegen sie gleich wieder fort.

Heinz: O Christkindlein, komm!

Liese: O schick' du uns das Christkindlein, wenn du ihm begegnest, guter Spielmann!

Spielmann: Das will ich schon tun. Aber jetzt geht und schlaft, auch ich muß weiterziehen und irgendwo Obdach suchen. ( Die Kinder geben dem Spielmann stumm die Hand und gehen ins Haus. Bevor sie noch darin sind, singt er das Lied):

Auch in der Hütte blüht das Glück. –

Liese ( bleibt erstaunt stehen): Horch! Das Lied der Mutter! ( Beide ab ins Haus.)

3. Szene.

Der Spielmann allein.

Spielmann: Arme Kinder, hab' so ein seltsames Weh im Herzen gespürt, als ich das kleine Mädchen sah. Gerade so groß und lieb mag auch jetzt mein Lieschen sein. Hab' schier das Gefühl, ich wäre hier daheim bei meinen Lieben. So still und friedlich fühlt sich's hier. Aber ich muß weiter wandern zu meinem Heimatdorf – noch viele Meilen – und wie werd' ich sie finden – Weib und Kind gesund und meiner wartend? Hab' schon so lange keine Kunde mehr von ihnen, so lange schon, denn unstet wie Kain zog ich über die Erde, dem Glücke nach, aber ich fand es nicht, und mit leeren Händen kehr' ich heim. ( Greift in die Tasche.) Grad ein paar rote Heller hab' ich noch. ( Geht zum Schneemann hin, legt ihm die Heller in die Hand.) Da, guter Schneemann, laß dies die Kleinen morgen finden! ( Er geht dem Ausgang zu.) Fort muß ich! – was bleib' ich denn nur immer wieder stehen? So ein tiefes Heimweh wühlt in meinem Herzen. Kann mich nicht losreißen von diesem Fleck. Das Häuschen hält mich mit Geisterhänden fest. Mein Weib und Kind denken eben vielleicht an mich. – Aber weiterwandern, weiter muß ich – und bin doch so müd. Todmüd. ( Er setzt sich auf die Bank, sinnt eine Weile vor sich hin und fängt dann leise an zu singen:)

O Komm, du holdes Christkindlein,
Zu Betlehem geboren.
Hast einen kalten Hirtenstall
Zum Wohnzelt dir erkoren.
– Du schläfst – auf hartem – kaltem Holz –
– Hu! Wie mich's friert! –
O komm, du holdes Christkindlein,
– Zu Betlehem geboren.– – –

( Er ist eingeschlafen. In der Ferne hört man, wie von hellen Engelstimmen gesungen, dieselbe Melodie weiterklingen. Ein Stern fällt vom Himmel und mitten vor das Häuschen. Wenn er auf den Boden auffällt, verwandelt er sich in einen Weihnachtsengel.)

4. Szene.

Der Weihnachtsengel.

Weihnachtsengel ( mit geheimnisvoller Stimme): Die Menschen schlafen! Aus Wolkenhöhe schwebt Gottes Liebe zur Erde nieder! Ihr Tiere, die ihr lebend seid, doch ewig stumm, erwacht und redet! Ihr Dinge, die ihr tot erscheint, erwacht und lebt! Ihr aber, die ihr Menschen seid, erschauert froh im Glück der Liebe! Gottgesandt, mach' ich das Flammenzeichen hier übers Tor! Hier kehrt das Christkind ein mit seinem Segen. Und du, Schneemann, komm herab und lebe und sei bereit, dein Liebeswerk zu tun. Denn leben heißt lieben. Führe diese Kinder den Weg zum Glück – aber es finden müssen sie selbst.

( Von der Dorfkirche fängt es an Mitternacht zu schlagen. Der Engel verstummt und horcht einen Augenblick auf die Töne, kniet dann in der Mitte nieder und streckt betend seine Arme aus. Während er die Verse sagt, müssen die zwölf Schläge verklungen sein. Er betet:)

Mitternacht – die Stunde schlägt,
Wenn sich Tier und Felsen regt.
Christkind, heilige Liebesmacht,
Segne in der Weihenacht
Menschen, Dinge und Getier.
Segne, segne für und für.

( Der letzte Glockenschlag ist verhallt, ein vielstimmiger Gesang mit Glockengeläute und Orgelbegleitung ertönt. Der Weihnachtsengel verschwindet. Der Schneemann wird lebendig, steigt von seinem Hügel herab, und Nero, der Kettenhund, springt aus seiner Hütte. Die vordere Wand des Häuschens ist verschwunden, so daß man die Mutter und die Kinder in ihren Betten schlafen sieht. Gesang der Engel in der Ferne: »Auch in der Hütte blüht das Glück« usw.)

Heinz ( erwacht): Liese, Liese, Hör' doch!

Liese: Was ist denn, Heinz?

Heinz: Sieh nur, unser Schneemann ist lebendig geworden.

Liese ( richtet sich auf): Ja, wirklich – er stapft durch den Schnee – träumen wir denn? ( Sie reibt sich die Augen.)

Heinz: Schau nur, er kommt zu uns, ich fürchte mich so, Liese. ( Steckt den Kopf unter die Decke.)

Schneemann ( hereinkommend): Fürchtet euch nicht, liebe Kinder – ich tue euch nichts zuleid.

Liese: Ist das nicht ein Traum – bist du wirklich lebendig?

Schneemann: Habt ihr denn vergessen, daß heute Christnacht ist? Da bekommen alle Dinge Leben, und alles Stumme redet.

Heinz: Ach ja – der Spielmann sagt' es schon – aber ich glaubte es nicht.

Schneemann: Nun ist es doch wahr – aber eilt euch. Kinder, kommt heraus mit mir, ich will euch die Wunder der Christnacht zeigen.

Liese: Wohin willst du uns führen?

Schneemann: In den Wald, da ist es in der Christnacht gar wundervoll und schön.

Liese: In den Wald – hu, da ist's dunkel und kalt.

Schneemann: Kommt nur mit – ihr werdet schon sehen – heute Nacht ist's hell und warm. Aber eilt euch – wir haben nur eine Stunde Zeit, dann ist die Herrlichkeit vorbei.

Liese ( aufstehend): Komm Heinz – steh auf.

Heinz: Ach, es ist so kalt im Zimmer – im Bett ist's schöner, ich mag nicht mit.

Schneemann: Da soll es gleich warm sein hier – eins, zwei, drei. ( Er bückt sich, nimmt eine Hand voll Schnee, macht einen Ball daraus und wirft ihn an den Ofen, in dem sofort ein helles Feuer aufprasselt.)

Heinz ( lachend): Ei, das ist fein. ( Er springt aus dem Bett.)

Schneemann: Nun aber schnell – macht euch fertig.

( Die Kinder nehmen schnell Mützen und Schuhe an.)

Liese ( lauscht nach der im Schlafe stöhnenden Mutter hin): Können wir Mütterlein allein lassen? Sie stöhnt und seufzt so schwer.

Schneemann ( legt der Mutter etwas Schnee auf das Herz): Nun wird sie gut schlafen, bis wir wiederkommen.

( Der Schneemann und die Kinder gehen hinaus über den Hof. Aus seiner Hütte kommt der Hund Nero, erst bellend, dann sprechend, heraus.)

Nero: Wohin geht ihr? Nehmt mich mit.

Kinder: Aber was ist denn das? Der Nero – unser Nero spricht?

Nero: Ja, heut' einmal – im ganzen Jahr einmal, dürfen wir auch sagen, was wir fühlen.

Schneemann: Und alle Tiere rufen heute den Menschen zu: seid gut zu uns, seid gut zu uns und quält uns nicht, wir fühlen Freud' und Schmerz wie ihr.

Nero: Ja, das sagen sie wohl alle – aber ihr seid immer gut zu mir gewesen, ich danke euch.

Schneemann: Kommt, kommt, die Zeit vergeht.

Heinz: Darf der Nero mit?

Schneemann: Freilich, freilich. ( Die Kinder hängen sich rechts und links an seinen Arm, nach ein paar Schritten bleiben sie stehen und lachen laut auf.)

Heinz: Nein, du siehst zu komisch aus.

Liese: Die Mütze sitzt ganz schief auf deinem Kopf.

Schneemann: Ja, so habt ihr mich gemacht! Hättet ihr mich doch schöner aufgebaut.

Liese: Unsre Hände waren ganz steif und blau vor Kälte.

Heinz: Hei, wie lustig ist das! Unser Schneemann lebt, und der Nero spricht. ( Die beiden umtanzen den Schneemann, und der Hund springt mit.)

Nero: Wohin geht ihr denn – wohin geht ihr denn?

Schneemann: In den Wald zur Christnachtfreude, da wartet das Glück auf euch – horcht, die Weihnachtsglocken läuten, kommt, kommt – es ist höchste Zeit! Wenn der Hahn kräht, muß ich wieder an meinem Platze sein.

( Man hört Glockengeläute und ganz fernen, leisen Gesang.)

Der Vorhang fällt.

2. Akt.

Szene: Weiter Wald. Alles blüht und grünt. Ein helles, aber geheimnisvolles Licht ist umher. Vögel singen. Allerlei Tiere lagern im Grase. Wichtelmännlein gehen mit Futterkörben umher und füttern die Tiere und spielen mit ihnen. Glocken läuten. es schlägt Mitternacht.

1. Szene.

Es treten der Reihe nach auf: 1. Frühling, 2. Sommer, 3. Herbst, 4. Winter. Jede dieser Figuren ist von einem Chor begleitet. Im Chor des Frühlings befindet sich der Nikolaus (oder der Weihnachtsmann, auch Knecht Rupprecht, je nach der Gegend, wo das Stück gespielt wird), in dem des Winters erscheinen die bekanntesten Märchengestalten, darunter der »schwarze Mann«, »Hans im Glück« u. a.

Nikolaus: Hört – hört! – Die Dorfglocke hat geschlagen! Mitternacht schlägt sie.

( Blumengestalten kommen erst einzeln, dann in großer Zahl.)

Schneeglöckchen: Lag tief noch als Keim unterm Schnee und ei, welch feines Kleid ich auf einmal anhabe! Kling, kling – kling, kling lauten meine Glöckchen! Und die Blätter flattern fröhlich im Wind!

Blumenchor ( durcheinander): Ihr Blümlein alle, heida, schon aufgewacht? Noch gestern lag der Schnee auf der Flur.

Glockenblume: Auch schon da, Vetter Rittersporn?

Rittersporn: Was ist das für ein tolles Treiben. Base Glockenblume, 's ist doch noch der Frühling nicht da? Oder hätt' ich verschlafen?

Nikolaus: Schaut, dort kommt er schon daher, der fröhliche Lenz, der euch alle geweckt.

Chor des Frühlings:

Heil, der du dies Erde beglückt,
Heil, willkommen, du junger Held!
Den Winter, der herrisch die Erde bedrückt,
Hat siegreich dein Schwert gefällt.

Schneeglocke: Schaut nur dort, welch ein Getümmel; und seht, kaum ist der Lenz erschienen, rückt auch schon der Sommer an mit seinen Scharen.

Rose: Und dort, der Herbst!

Chor des Frühlings:

Heil dir, Frühling! – Heil!
Der du den Reim in die Erde gelegt.

Chor des Sommers:

Heil dir, Sommer,
Der du den Samen lässest sprießen
Und reifest das goldene Korn!

Chor des Herbstes:

Mit tausendfältiger Frucht gesegnest du die Erde
Und reichst im vollen Becher
Das Blut der Reben, den goldenen Wein.

Rittersporn: Hei, welch kunterbuntes Durcheinander! Frühling, Sommer, Herbst. – Sonst waren's Feinde! Trieb einer den andern aus dem Lande, und heute sind sie so einträchtig beisammen.

Rose: Mich friert es plötzlich.

Schneeglocke: Es pfeift ein kalter Wind auf einmal her.

Rose: Der Winter kommt – seht, der schlimme Schelm!

Rittersporn: Auch der Geselle kommt?

Schneeglocke: Komm, Base, laß uns fliehen!

Mehrere Blumen: Hu, hu, wie kalt!

( Sie wollen fortlaufen.)

Nikolaus: Halt! Bleibt und hört!

Winter: Donner und Doria! Die Hälfte meiner Bande ist mir entwischt! Wo ist denn das Schneewittchen? Nur die sieben Zwerge sind noch da, und auch das Rotkäppchen fehlt und das Dornröschen auch? Wo ist das lose Volk nur hin?

Nikolaus: Nur nicht so böse gleich, lieber alter Herr! Ich habe große Heerschau gehalten unter deinem Märchenvolk und dir allerlei weggeholt. Einige habe ich fortgeschickt, die braven Kinder zu erfreuen, andre, die bösen zu schrecken und zu strafen. Nur ein paar habe ich dir gelassen, damit sie dich hierher begleiten. Schau, auch die andern hohen Herren, Herbst und Sommer, haben nicht alle ihre Trabanten dabei. Viel Vögel und Getier ist fort, weit über Tal und Berg, dem Christkind entgegen. Ihr aber, ihr stummen Blumen, dürft heute schon zum Leben erwachen und dürft denken und sprechen nach Menschenart, denn heute ist die heilige Nacht, wo das Christkind zur Erde kommt und Wunder wirkt überall. Es kommt auch zu euch, um euch zu segnen für ein neues Jahr.

Herbst: Kommt es bald?

Frühling: Schon schlug die Glocke Mitternacht!

Nikolaus: Den ganzen Weltenraum durchzieht es heute, um alle Wesen zu beglücken. Ehe diese Stunde noch vorüber, ist es auch hier bei uns. Doch hört, ich bin sein Bote, Grüße sendet es euch durch mich und eine Botschaft. In jedem Orte wirkt das Christkind in dieser Nacht ein leises feines Wunder – überall wählt es von guten Kindern solche aus, die tief in Not um seine Hilfe beten. Ihr sollt ihm dienstbar sein zu diesem Werke – wollt ihr?

Die Gestalten ( verneigen sich tief gegen die Erde): Wir wollen alle.

Nikolaus: So hat der Weihnachtsengel mir die Botschaft aufgetragen: Einen Schneemann sendet er mit zwei Kindern her. Und diese Kinder sollen hier, wie üblich in der Weihnacht, sich Herz und Sinn erprüfen lassen, ob es sich klug und gut bewährt.

Frühling: Seht, dort kommt er schon, ein lieblich Mädchen führt er und einen mutigen Knaben.

Herbst: Ihr Märchenwesen und ihr Blumenkinder, schnell hin zu ihnen, nehmt sie zum Reigen in eure Mitte, bis wir hier die Art ersonnen haben, in der wir ihre kleinen Herzen prüfen wollen.

Einige Märchengestalten: Kommt zu den Kleinen!

Blumengeister: Kommt, kommt!

( Sie nehmen die Kinder freundlich in ihre Mitte und tanzen, einen Reigen singend, mit ihnen umher, indes der Schneemann zu den andern geht:)

Christnacht – heilige Nacht,
Da wird euch ein Glück erdacht,
Dürft euch selig darauf freun,
Wenn ihr gut seid, klug und rein!

( Die Jahreszeiten, Nikolaus und Schneemann stellen sich in einem Halbkreis auf und beraten. In ihr Sprechen hinein hört man bald leiser, bald lauter den Gesang der tanzenden Kinder, die sich allmählich in den Hintergrund verlieren.)

2. Szene.

Vorige, der Schneemann.

Schneemann: Hier bringe ich euch zwei brave Kinder, sie haben mich mit ihren Händen aufgebaut, und so kann ich mich in der heiligen Wundernacht einmal des Lebens freun. Zum Dank dafür möchte ich ihnen gern etwas Gutes tun – Der Weihnachtsengel wies mich mit ihnen zu euch her, denn sie bedürfen sehr der Hilfe in ihrer Not. Krank ist die Mutter und sehr arm – der Vater weit von ihnen fort.

Winter: Ja, Gutes soll ihnen schon werden, doch nach guter alter Sitte stellen wir der Fragen drei, und was sie darauf tun, zeigt uns ihr Herz.

Schneemann: Nun wohl, so prüft sie, doch nicht allzu schwer, daß glücklich sie von dannen gehen.

Nikolaus: Und wer ist Richter über ihre Tugend?

Frühling: Laßt mir die Kleinen. Wie's den jungen Herzen ziemt, stell' ich die Fragen, nicht allzu leicht, nicht allzu schwer, wie's für die Kleinen paßlich ist.

Sommer: Ich stimme bei.

Schneemann: Ich auch, ich auch.

Herbst: Mit nichten, nein, denn allzu jung bist du, Herr Lenz, als daß du richtig richten könntest.

Winter: Dem Greise, mir gehört dies Ehrenamt, nur er hat die Erfahrung, die das Leben lehrt.

Schneemann: Kein Streit, ich bitt' euch, hier zu dieser Stunde. Die Kinder sind gar gut und werden leicht bestehn.

Winter:

Das wird sich zeigen -
Ich bin wohl erfahren,
Fein ist mein Sinn,
Mein Haupt ist alt an Jahren.

Hört und merkt auf –
Fein, kraus und leicht
Und doch auch schwer,
Bring' ich drei Fragen
Euch nun her.

Schneemann: Ich bitte nochmals, macht es gut mit ihnen.

Winter: Du, Frühling, her mit deinen Gaben, gib Blumen her und auch den Samen. Von beiden eines sollen nun die Kinder wählen.

Frühling: Wär' ich ein Kind, ich würd' die Blumen nehmen.

Winter: Ja freilich, freilich, da zeigt's sich schon, daß du zum Richter gar nicht taugst. Blumen sind nur eitle Lust, man freut sich dran und wirft sie fort. Das kluge Kind wird gern mit Mühe sich selbst die Früchte sammeln, zu welchen den Samen es auch selbst gesät. – Es wählt den Samen.

Schneemann: Ei, Winter, streng seid ihr fürwahr und kennt nicht mehr der Kinder leichten Sinn.

Winter: Es ist gesagt. Wenn sie die Blumen greifen, ist ihre erste Aufgabe vertan.

So will ich es,
Denn ich bin alt an Jahren,
Mein Sinn ist fein.
Am Leben lang erfahren.

( Es schlägt ¼ auf eins.)

Nikolaus: Die Glocke schlägt, es drängt die Zeit.

Winter: Nun weiter zu der zweiten Frage und der dritten. – Du, Herr Sommer, nimm nun die Ähren und das Brot. Und du, Herbst, zeige ihnen diese Reben, die noch blühn, daneben auch den goldenen Wein, der schon im Becher funkelt. Die Rebe und die Ähre brauchen die fleißige Hand, die willig ist zur Arbeit und Geduld. Brot und Wein sind leicht zu nehmen, auch von müßigen Händen. – Ihr versteht?

Schneemann: Und wieder sage ich: Seid gut mit ihnen. Und wählen sie dann Brot und Wein, wer kann's ihnen wohl verübeln, laßt sie es nicht zu schwer entgelten.

Winter: Und wählen sie nicht nach dem tieferen Sinn, so ist ihr Spiel verloren. – Dort steht der schwarze Mann, der kann sie dann nach Hause bringen ohn' Erbarmen.

Frühling: Nein, wahrlich, das wäre doch nicht wohl getan.

Winter: Daß ich den Kleinen wohl will, trotz meiner Strenge, erkennt daran, daß einen Helfer ich ihnen zugeselle. ( Nach der zurückkehrenden tanzenden Schar gewendet.) Komm her, du Hans im Glück, he du!

( Hans im Glück löst sich aus dem Reigen, kommt gelaufen; er ist wild und ungeschlacht.)

Sommer: Hans, der tolle Hans, wie kann der Helfer sein?

Winter: Die Kinder kennen sein Geschick und sollen sich erinnern, daß das, was leicht ist, nicht immer auch das Beste ist.

Hans im Glück ( halb traurig, halb lustig): Ja, ja, faul war ich immer, alles war mir zu schwer, und so hatte ich zuletzt gar nichts mehr. – Hei, dideldei – ich warne jeden, es zu machen wie ich! ( Dreht sich lustig auf seinem Absatz herum.)

( Es schlägt ½1 Uhr.)

Nikolaus: Horcht, es schlägt, es ist höchste Zeit.

Winter: Ruft die Kinder herbei.

Frühling: Oh, daß sie glücklich wählen möchten!

Sommer: Ihr Schutzgeist wird die Kleinen segnen.

( Die Kinder kommen, vom Schneemann und Hans im Glück geführt, näher.)

Schneemann: Kommt nur heran, der Augenblick ist da, wo euer Herz geprüft soll werden.

Frühling ( in der einen Hand die Blumen, in der andern den Samen): Seht her! Die Blumen blühn zu unsrer Freude – der Samen aber fordert Fleiß, bis er uns seine Frucht gibt. Was werdet ihr wohl wählen?

Hans im Glück ( lustig die Kinder umtanzend): Gebt acht – ihr kennt mich doch – ich bin der faule Hans, der faule Hans!

Schneemann: Gebt acht auf eures Herzens Stimme, der folgt!

Winter: Nun wählt und nehmt!

Liese: Die Blumen bitten wir – nicht wahr, du Heinz?

Heinz: Die Blumen, ja die Blumen.

Chor des Frühlings: Da seht die Kleinen, so wie wir's vorausgesagt, so tun sie.

Chor des Winters: O weh, sie wählten falsch, nach unserm Sinne falsch.

Frühling ( zum Schneemann): Hilf du den armen Kleinen!

Schneemann: Fast möcht ich mit euch klagen, doch glaube ich, daß ihr Herz schon weiß, warum sie so getan.

Winter: Nun weiter!

Sommer ( mit Ähren und Brot in den Händen): Schaut her, dies Brot, gar goldig braun ist es, schmeckt gut und lieblich – doch viel der Arbeit brauchen diese Ähren, eh' sie zu Brot und Nahrung werden. Was denkt ihr nun, was wollt ihr wählen?

Hans im Glück: Laßt euch sagen, laßt euch sagen, denket nach, bevor ihr wählt!

Heinz und Liese ( fast gleichzeitig): Das Brot, gebt uns das Brot!

Die Gestalten ( wenden sich traurig ab): O weh, o weh!

Schneemann: Zum Christkind heb' ich meine Hände jetzt und flehe für der Kinder Glück.

( Heinz greift nach dem Brot und will davon essen. Liese nimmt es ihm fort: sie flüstern zusammen.)

Winter: Und nun noch einmal dürft ihr wählen. Komm, Herbst, heran mit deinen Gaben!

Herbst ( mit Reben und einem Becher Wein in den Händen): Seht her ihr Kinder, hier die blühenden Reben, viel Arbeit und viel Mühe braucht es, bis der goldene Wein wie hier im Becher glänzt, der eine Labsal ist für kranke, schwache Leute, was nehmt ihr wohl von diesen beiden Gaben?

( Die Kinder sind ganz verschüchtert.)

Heinz: Ich fürchte mich.

Liese: O Christkind, komm und steh uns bei.

Einige der Märchengestalten: Wie ratlos stehen sie und sind voll Zweifel.

Schneemann:

O ewige Liebesnacht,
Heut' in der Weihenacht,
Habt doch mit diesen Armen
Ein gut Erbarmen!

Herbst: Das letztemal, laßt sehn, wie ihr besteht!

Winter: Gebt acht und wählt.

( Man hört von ferne das Spiel des Leiermanns anklingen: »Und in der Hütte wohnt das Glück«.)

Heinz ( zu Liese): Horch, das Lied der Mutter!

Liese: Des Spielmanns Lied.

Winter: Die Zeit verrinnt, sprecht euren Spruch!

Hans im Glück:

Was schwer ist, soll man tragen,
Was schwer ist, soll man tun.
Bös hat man's zu beklagen,
will man zu frühe ruhn.

Liese: Den Wein, ( schüchtern) den Wein.

Heinz ( auch schüchtern): Den Wein, gib uns den Wein!

Chor des Herbstes: O weh, o weh! Sie haben sich um das Glück gebracht.

Winter: Ihr habt vertan, so müßt ihr denn nun wieder heimwärts wandern, mit leeren Händen kehrt ihr nun zurück. ( Zu seinen Gesellen gewendet.) Führt sie hinweg!

Schneemann: Halt ein! ( Tiefe Stille, es schlägt ¾1 Uhr.) Ihr tatet eure Pflicht, und scheinbar haben die Kleinen nun das Unrechte getan. Doch schautet ihr noch nicht in ihre Herzen, dazu bedarf es eines tieferen Blickes. Das Christkind kann allein hier noch das letzte Wörtchen sprechen. – Christkind, ich rufe dich!

Frühling, Sommer und Herbst: Christkind, wir rufen dich!

( Im Hintergrund erscheint, wie aus dem Himmel steigend, das Christ-Kind. Alle neigen sich tief vor ihm. Der Schneemann führt die Kinder zu ihm hin, es ist von Engeln, Tieren und Blumen begleitet, von leiser Musik umtönt.)

Schneemann: Frag' du sie nun, du Geist der Liebe, damit sie ihre Herzen offenbaren! – Der Richter sagt, sie wählten schlecht, und all das Glück, das sie so sehnlich hofften, soll ihnen doch nun nimmermehr gehören.

Christkind ( sich gütig zu den Kindern neigend): Zeigt her, ihr Kleinen, was wählt ihr von den gebotenen Gaben?

( Die Kinder zeigen ihm die Sachen.)

Christkind: Die Blumen – das Brot – und auch den Wein, ei, ei! So habt ihr's euch gar leicht gemacht? – Doch aber sagt mir nun, was fühltet ihr dabei, als ihr all diese guten Gaben nahmt, die gar so leicht zu wählen waren?

Heinz: Ich dachte an unser Mütterlein, das gar so krank ist.

Liese ( einfallend): Und so arm. Da freuten wir uns, ihr Brot und Wein zu bringen zur Nahrung und zur Stärkung.

Heinz: Und die Blumen mag sie gar so gern, und jetzt im Winter gibt es bei uns keine.

Christkind ( die Kinder liebevoll in seine Arme nehmend): Nun sagt mir noch eins: Ihr sollt so ganz von Herzen für euch selbst nun etwas wünschen dürfen. Denkt einmal nach, was sollte das wohl sein.

( Liese und Heinz besinnen sich.)

Christkind: Nun sagt es offen mir heraus, was ihr euch wünscht. – Was es auch sei, ich will's euch geben.

( Hier können allerlei den Kindern verlockende Dinge erscheinen.)

Liese: Ach, liebes Christkind, unser Mütterchen mach uns gesund.

Heinz: Ja, unser Mütterchen mach' uns gesund, dann ist ja alles gut und froh.

Christkind ( küßt die Kinder, richtet sich auf und sieht im Kreise umher): Habt ihr nun die Stimme dieser Kinderherzen gehört? Nur an ihr Mütterlein denkt stets ihr gutes frommes Herz. Konnt' da wohl etwas Schlimmes sein bei ihrem Tun und Wählen?

Viele rufen: Nein, nein, sie wählten wohl.

Christkind ( zum Winter): Was sagst du nun, bist du zufrieden?

Winter: Wohl, wohl, was du auch tust, ist wohlgetan.

Christkind ( zu den Kindern): So segne ich euch denn die Gaben, die ihr aus Liebe wähltet. Tragt sie nun zu eurer Heimat Tür und legt sie eurem Mütterlein in ihre guten Hände.

Chöre ( singen):

Heil, heil, die Liebe siegt,
Die Liebe ist das größte hier aus Erden.
Nur der zu lieben weiß,
Rann glücklich werden.

( Die Kinder neigen sich vor dem Christkinde. Der Schneemann kommt herbei, nimmt sie an die Hand und führt sie weg.)

Der Vorhang fällt langsam.

3. Akt.

Szene wie am Schluß des 1. Aktes. Von der Hütte ist noch die Wand fort.

1. Szene.

Man hört von ferne den Chor der Engel wie am Schlusse des 2. Aktes.

Spielmann und Mutter ( erwachen und singen leise mit):

Und in der Hütte wohnt das Glück,
wenn dort die Liebe wohnet!

( Der Gesang verklingt in weiter Ferne.)

Spielmann: Lau und warm ist der Wind, als wär' es schon Mai, und doch liegt allerwegen der Schnee! Wohl einen schönen Traum hatte ich: ich war daheim bei Weib und Kind.

Mutter: O mir ist so eigen zu Mut, als ob alles Weh von mir genommen wäre, als könne ich nun wieder stark, gesund werden. Auch träumte ich gar so wundervoll von ihm, meinem Liebsten, dem Vater meiner Kinder.

Spielmann: Wie ist mir denn? Wohin doch ist die Wand entschwunden, die dort das Stüblein den Blicken verbarg? – Dort liegt das kranke Weib und sieht mich ganz erschreckt an, als ob sie einen Geist erblickt.

Mutter: Bin ich denn noch im Traum? Gar wunderlich dünkt mich alles umher.

Spielmann: Mit aller Gewalt zieht mich's hin zu ihr, als wär' es mein Weib, doch ist mir seltsam wie im Rausch und kann sie nicht erkennen. ( Er nähert sich ihr.) Arme Frau, Ihr seid recht krank! Eure Kinder haben mir's erzählt.

Mutter: Meine Kinder? Mein Gott, wo sind sie? Ihr Lager ist leer und draußen ist's Nacht!

2. Szene.

Die Kinder kommen mit dem Schneemann.

Liese: Hier sind wir, Mutter!

Heinz: O wie schön war's beim Christkind!

Mutter: Kinder! Mein Gott, der Schneemann! Er läuft und lebt – was sind das doch für Wunder heute Nacht!

Spielmann: Ist's ein Traum, oder ist das Märchen wahr geworden?

Schneemann: Was staunt ihr so? Ihr kennt ja doch alle die alte Sage, daß in der Christnacht alles lebendig wird umher. Du, Spielmann, hast's ja selbst den Kindern heut' erzählt! – Da, nimm deine armen Groschen wieder, guter Mann, die du mir in die Hand gelegt für diese Armen.

Spielmann: Für diese armen Kleinen und das kranke Weib hab' ich sie dir doch gegeben.

Schneemann: Nimm sie nur wieder und sei nicht bös' darob. Warte nur, was du jetzt noch alles hören und schauen wirst, Auch du sollst nicht umsonst und unbelohnt mitleidig gewesen sein mit diesen da!

Mutter: Nun, Kinder, erzählt, wo wart ihr denn? Ich bin sehr erschrocken, als ich eure Betten leer fand beim Erwachen.

Liese: O Mutter, war das schön!

Heinz: O Mutter, war das herrlich!

Mutter: Wo und was war denn so schön. Erzählt – erzählt!

Liese: Beim Christkind im Wald waren wir – im Christnachtwald.

Heinz: Alle Märchen waren dort und der Frühling und der Sommer und der Herbst und auch der strenge Winter.

Liese: Sie stellten uns Fragen und gaben uns Dinge, von denen wir wählen sollten.

Heinz: Ach, beinahe hätten wir falsch geraten.

Liese: Aber wir dachten nur an dich, und da war doch zuletzt alles gut.

Heinz: Der Winter war gar streng.

Liese: Doch unser Schneemann rettete uns vor ihm und rief das Christkind, und es kam gar lieb zu uns und segnete unsre Gaben, die wir dir bringen.

Mutter ( wird blaß und schauert zusammen): Mich friert – mir ist so schwach.

Heinz, Liese: O Mütterlein! Du bist gewiß ganz hungrig! Werd' wieder gesund! Da nimm dies Brot!

( Mutter ißt.)

Mutter: O wie ist mir plötzlich wohl! ( steht langsam auf.) O Kinder, das Christkind hat euer Beten erhört. ( Sie geht umher und wird zusehends kräftig und wohl.)

Kinder: Schneemann, Schneemann, sieh nur, die Mutter ist ganz gesund!

Mutter: Ja gesund – ihr guten Kinder habt's mir erbetet – habt Dank, habt Dank.

Schneemann ( nimmt die Mutter am Arm): Kommt, liebe Frau, noch mehr der Freude gibt's in der Christnacht da seht her! ( führt sie zum Tisch.)

Liese: Das Brot gab uns der Sommer.

Heinz: Bist du noch hungrig, Mütterlein?

Mutter: Oh, ihr doch auch, ihr armen Kinder, Ach, daß ich nur wieder gesund bin – Tag und Nacht will ich für euch schaffen, daß ihr nie mehr zu hungern braucht!

Schneemann: Und dieses Brot ist von ganz eigner Art! Es kommt vom Christkind!

Mutter: Komm, Spielmann, komm her zu uns! Was sitzt Ihr so traurig dort allein! Ihr habt teilgenommen an unserm Leid, nehmt doppelt teil an unsrer Freude. Ihr habt doch auch wohl Hunger? Kommt, eßt mit uns!

Spielmann: O Weihnacht – selige Weihnachtszeit. ( Tritt zu ihnen.)

Mutter: Glückliche Weihnacht! Auch für Euch! Ihr habt wohl schon seligere Feste gefeiert?

Spielmann: Einst ja, mit Weib und Kind, ( wendet sich ab und weint.)

Mutter: Und alles habt Ihr verloren? O weh! Auch wir verloren unsern Vater. Er zog fort in die Fremde, um uns Brot zu schaffen – aber er kam nicht wieder.

Schneemann: Trauert nicht! Eßt von dem gesegneten Brot! Trinkt von dem Wein.

( Sie essen alle und trinken Wein.)

Mutter ( plötzlich): Wie ist mir nur? Mir ist, als erwachte ich aus einem langen Schlaf!

Spielmann: Was soll das bedeuten?

( Der Schneemann hat den Leierkasten ergriffen und spielt die Melodie:

Und in der Hütte wohnt das Glück,
wenn dort die Liebe wohnet
Und in der kalten, armen Kripp
wie auf güldnem Stuhle thronet.)

Kinder: Horcht, das Lied der Mutter!

( Mutter und Spielmann haben sich während des Liedes unverwandt angeschaut, wie mechanisch hat die Mutter das Brot gebrochen und dem Spielmann gereicht, auch den Wein.)

Spielmann: Auch mir wird seltsam ( sieht sich um) – bin wie verzaubert – wie bekannt ist mir doch plötzlich alles – du – du bist ja die lang Gesuchte – du bist mein Weib – Maria –

Mutter: Ja, ja, ich bin's! – Kinder seht her – da ist der Vater, den wir so lange, so sehnlich hergewünscht haben.

Kinder: Unser Vater?

Heinz: Ist er denn nicht tot gewesen?

Schneemann: Geht, geht und schmückt den Heimgekehrten und die Mutter mit den Blumen, die euch das Christkind gab!

Spielmann: Liese, mein liebes Liesel!

Mutter: Und hier, schau da den Heinz! Du warst schon fort, da hat der Himmel uns noch das liebe Kind geschenkt.

Spielmann: Liebes Buberl, du mein Kind! Komm her, laß dich umarmen!

Liese: Komm Mutter, sieh, mit diesem Kranz will ich dich schmücken.

Schneemann: Wie glücklich seid ihr nun – ja, Leid wird den Menschen, aber auch große Freude wird ihnen zuteil.

Spielmann: Hab' keinen Reichtum mitgebracht aus der Ferne, schwer ist's mir ergangen. Traurig bin ich, daß ich mit leeren Händen zu euch komme.

Mutter: Ach, nun ist alles gut, da wir wieder zusammen sind.

Spielmann: Sieh her! Nur die armen roten Heller hab' ich noch für euch!

Mutter: Rote Heller – ei sieh, Gold ist's – Gold!

Spielmann: Bei Gott, Goldstücke! Welch Wunder bringt uns doch die heilige Nacht! Und schau – dein Kranz – wie leuchtet er – aus Edelsteinen ist er gewunden. Und all' die Blumen sind plötzlich Gold geworden, und ihre Blätter Edelgestein!

Mutter: O Kinder, Kinder! Welch ein Glück bringt ihr in unsre Hütte! Erzählt uns wieder, wie alles kam.

Liese: Ja, weißt du, Mutter, der Schneemann, der gute Schneemann nahm uns in Schutz vor dem strengen Winter und –

Alle: Der Schneemann, wo ist er nur? War eben doch noch da –

( Es schlägt viermal Viertel, dann 2 Uhr.)

( Der Schneemann ist zurückgegangen an seinen Platz, der Hund kommt über die Bühne gesprungen und läuft in seine Hütte. Die vordere Wand des Häuschens erscheint wieder und entrückt Mutter, Spielmann und die Kinder den Augen der Zuschauer.)

Kinder ( aus dem Fenster rufend): Schneemann, Schneemann!

Schneemann: Ach, ihr da drinnen dürft weiterleben, ihr Glücklichen – für mich war's nur eine kurze Stunde des Glücks. Horcht, der Hahn kräht! ( Zu den Kindern am Fenster.) Vorbei, vorbei – lebt wohl – bleibt brav und gut.

Kinder: Wir danken dir, du guter Schneemann!

( Der Schneemann wird plötzlich starr und steif wie im 1. Akte anfangs. Von ferne hört man den Nachtwächter 2 Uhr blasen) :

Ihr Leute, laßt euch sagen,
Die Glocke, die hat Zwei geschlagen.

Der Nachtwächter geht über die Bühne und schaut nach alten Seiten, dann geht er nach der andern Seite ab, noch zweimal hört man seinen immer mehr sich entfernenden Ruf. Der Hund bellt aus der Hütte in die blaue Winternacht, des Nachtwächters Ruf verhallt in der Ferne, ein Hahn kräht.

Vorhang fällt.


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