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Das verkaufte Lachen

Der lustige Rick war wirklich sehr arm. Aber das ganze Dorf liebte ihn, denn er hatte ein frohes, goldenes Lachen in der Kehle, und alle wurden heiter und glücklich, wenn der Rick mitten unter ihnen war. Es war, als ob jede Sorge leichter würde, wenn man in seine lachenden Augen sah, und Zank und Streit konnten nicht gedeihen in seiner Nähe.

Sein Häuschen war das kleinste im Dorf. Aber seine junge brave Frau hielt auf Ordnung und Sauberkeit darin, so daß er mit Freuden abends heimkehrte von seinem sauren Tagewerke. Dann liefen ihm seine zwei gesunden Buben entgegen und jauchzten vor Lust, ihn wieder zu sehen, sie kletterten an ihm hinauf, hängten sich an seine Arme und Beine und trieben allerlei Schabernack mit ihm, so daß für die Mutter fast nichts übrigblieb von ihm. Doch Annemie lachte und freute sich am Vater und an den Kindern, denn sie wußte, wenn sie die Kinder zur Ruhe gebracht hatte, fand sie auch ihr Teil Freude neben dem fröhlichen guten Rick.

Zufrieden und heiter saßen sie dann beim einfachen Mahle. Rick lobte die Annemie, daß sie es wieder so schön verstanden, aus wenigem so viel zu machen. Und wenn es einmal recht knapp zuging und die großen Augen der immer hungrigen Knaben traurig auf die leere Schüssel schauten, erzählte ihnen Rick schnell eine schnurrige Geschichte, daß sie vor lauter Lachen ihren noch knurrenden Magen vergaßen. Und wenn dann die Kinder in ihrem Bette lagen, nahm die immer fleißige Mutter ihre Kleider und Schuhe und flickte alles wieder zusammen, was sie am Tage bei Spiel und Vergnügen zerrissen hatten. Rick saß daneben und schnitzte allerlei Hausrat, pfiff ein fröhliches Liedchen dazu oder auch las er der Annemie aus dem Kalender eine schöne Geschichte vor, daß ihr die Arbeit leichter von der Hand ging. Und immer gingen sie dann mit Freude im Herzen unter lautem fröhlichem Lachen in die kleine enge Schlafkammer, wo die beiden Knaben schon fest schliefen.

»Sieh, wie sie noch im Schlaf lächeln,« sagte Rick, »sie haben gewiß einen schönen Traum.«

»Ja,« sagte Annemie, »sie fühlen, daß etwas Gutes und Frohes bei ihnen ist« – und da meinte sie den Rick damit.

Am Sonntag war es eine große Lust, wenn sie alle zusammen hinauszogen in Wald und Feld, wo es immer viel Schönes zu sehen und Nützliches zu tun gab. Alle Geheimnisse des dunkeln Waldes fühlten sie in ihrem Herzen, und immer kamen sie mit vollen Händen und Körben nach Hause und schmückten die kleine ärmliche Kammer mit blühenden Zweigen und duftenden Blumen. Und Körbe voll köstlicher Beeren oder nahrhafter Pilze, Tannenzapfen und Reisig für das Küchenfeuer, Futter für die einzige Ziege, die ihnen ihre tägliche Milch gab – alles das brachten sie mit heim von ihren weiten fröhlichen Spaziergängen mit Vater und Mutter, und frische rote Wangen dazu und ein fröhliches Herz, so daß sie sich reich dünkten in ihrer engen Kammer und den reichsten Bauern im Ort nicht beneideten.

Da geschah es eines Tages, daß der König des Landes schwer krank wurde. Alles wurde versucht, ihn wieder gesund zu machen, aber die Ärzte standen an seinem Lager und schüttelten die Köpfe und konnten nicht helfen.

Da schickte der König reitende Boten ins Land und ließ ausrufen, wer irgendein geheimes Mittel wisse gegen die Krankheit des Königs, der solle sich melden – reicher Lohn solle ihm zuteil werden.

Mancherlei Volk kam herzu, und viel Weisheit machte sich breit vor den Königsreitern, aber die machten sehr ernste Gesichter zu all den Kräutern und Mondgeheimnissen, die ihnen die Leute brachten und von denen sie erzählten und mit heiligen Eiden schworen, daß ihre Großmütter und Basen damit gerade diese Krankheit geheilt hätten. Sie schüttelten die Köpfe und sagten, dies alles habe der kranke König schon versucht, aber es habe ihm nicht geholfen.

So zogen sie von Ort zu Ort und kamen auch in das Dorf, wo Rick und Annemie lebten.

Und die drei Reiter des Königs ritten um die Linde am Brunnen und riefen ihren Spruch. Da kamen aus den Häusern die alten Leute, die zu Hause waren und Zeit hatten, und hörten die Kunde, und sie dachten nach, und auch ihnen fiel all das dunkle Gerede ihrer Voreltern ein und die Wunderkräuter und Gebete und Hantierungen, mit denen sie bei Unheil und Krankheit zur Hand gewesen waren.

Aber wieder schüttelten die Königsreiter den Kopf und wollten schon weiterziehen, denn sie hatten Eile; der König wurde immer kränker und finsterer jeden Tag.

Da trat ein ganz alter Mann aus der Menge und rief: »Ich will euch etwas sagen, ihr Mannen des Königs: unter uns ist einer, der hat ein so fröhliches Herz, daß er uns alle froh und glücklich macht mit seinem sonnigen goldenen Lachen, und wenn jemand krank ist hier, dann ruft er den Rick, und wenn der in die Kammer kommt, lacht der Kranke schon und fängt bald an, wieder zu essen und zu trinken, und wenn er noch was Gesundes in den Knochen hat, wird er sicherlich genesen, sobald er mit dem Rick lachen kann. Steht es aber so mit ihm, daß der bleiche Mann, der uns alle einmal aus dem Leben fortholt, schon an seinem Fußende wartet, dann geht noch ein schönes glückliches Lächeln über des Sterbenden Gesicht, wenn der Rick bei ihm ist und seine warme Hand auf sein brechendes Herz legt. – Nun habe ich gesprochen; seht, was ihr damit machen könnt.«

Die Mannen sahen sich an und überlegten. Das war wenigstens etwas ganz Neues, was sie bisher noch nicht gehört hatten. Und da sie ihren König liebten und ihm gerne helfen wollten, gedachten sie, es einmal mit dem fröhlichen Lachen zu probieren. So machten sie sich denn an die Hütte des Rick. Und da es gerade Feierabend war, fanden sie ihn zu Hause. Er machte große Augen, als die Reiter vor seinem Häuschen hielten, und noch größere, als sie ihm ihr Anliegen vorbrachten.

Er solle mit auf das Schloß kommen und den alten kranken König mit seinem Lachen gesund machen, Als der Rick das hörte, lachte er laut und herzlich, denn ihm dünkte, daß die guten Leute sich einen Spaß mit ihm machten.

Kaum aber fing er an zu lachen, so veränderten sich die finstern und traurigen Gesichter der Reiter, und sie fingen auch an laut loszulachen. So ansteckend wirkte die Fröhlichkeit, die aus dem guten Herzen des Rick kam, der nie in seinem Leben etwas Böses getan oder gedacht hatte.

Da nun die Mannen an sich selbst fühlten, wie glücklich und fröhlich dieses schöne Lachen des armen Rick sie machte, bestanden sie auf ihrem Wunsche, daß er mit ihnen auf das Schloß solle.

»Weib und Kind verlassen und meine liebe Hütte – und dann mich vom König auslachen lassen, wenn ich mit meinen roten Fäusten und dem struppigen Bart an sein Bett von Gold und Seide komme und nichts weiter bringe als mein Lachen!« sagte er verwundert.

»Ach, das wäre sein Glück, wenn er wieder einmal lachte,« erwiderten die Reiter, »komm, laß dich nicht so lange bitten! – Frau und Kinder siehst du ja bald wieder, und mit leeren Händen kommst du sicher nicht zurück.«

»Was meinst du, Annemie?« fragte Rick.

»Daß du gehen sollst. Kannst du dem König helfen, wird das ganze Land glücklich darüber sein; kannst du es nicht, so hast du ein gutes Gewissen, weil du es versucht hast.«

»Ja, dann muß ich wohl mitgehen,« sagte Rick. Und einer der Reiter nahm ihn hinten auf sein Pferd, und so trabten sie los, zum Schlosse hin. – Annemie und die Kinder sahen ihm noch lange nach und grüßten und nickten und winkten mit den Tüchern.

Als die Reiter nach langem Wege ins Königsschloß zurückkamen und nichts weiter als den ärmlich gekleideten bäurischen Rick mitbrachten und ihn geradeswegs an das Bett des Königs führten, war ein großer Zorn unter den Hofleuten. Und die berühmten Ärzte, die noch immer am Bett standen und die Köpfe schüttelten, wurden rot vor Ärger, denn der König hatte ihnen gesagt, er habe nach einem allerberühmtesten Magister der Heilkunde ausgeschickt.

Als Rick über den Hof von Marmor, über die goldenen Stufen, durch die herrlichen Gemächer des Schlosses geführt wurde, wo alles so still und ernst und feierlich war, mußte er an das laute lustige Treiben seiner Buben denken und an die fröhlichen Scherze seiner Annemie, an den duftenden Wald voll singender Vögel und freute sich jetzt schon auf die Stunde, da er dies alles wiederhaben würde, und sein Gesicht strahlte, und seine Augen lachten in der Vorfreude darauf, als er an das goldene Bett des Königs trat.

»Kommst du endlich, mich gesund zu machen?« sagte der König und streckte ihm die Hände entgegen.

Aber die Höflinge und Pagen sagten pfui, als sie den Bauern sahen, und drehten ihm den Rücken zu. Nun sahen sie aber alle von hinten so komisch aus in

ihrem Zorn und Ärger, daß Rick laut loslachen mußte – und da plötzlich lachte der gute alte König auch laut und fröhlich auf.

Da drehten sich die Hofleute schnell herum, denn den König hatte keiner noch je so lustig und laut lachen hören. Der oberste Hof- und Leibmedikus legte den gelben Zeigefinger der linken Hand an seine große Nase und den andern gelben Zeigefinger der rechten Hand an den Puls des Königs und sagte tiefsinnig: »Die Krisis ist da – ich hatte sie für heute vorausgesagt – der König ist genesen.» – Dann machte er eine tiefe Verbeugung vor dem Bett und ging steif und hochmütig hinaus.

Aber der König fühlte, daß das schöne frohe Lachen des Rick in sein Herz gefallen war wie der Sonnenschein auf eine welkende Blume, und er war ihm sehr dankbar. Er befahl, daß man ihm ein gutes Mahl gebe und ein wohliges warmes Bad in seiner eignen goldenen Badestube und schöne Kleider und alles, was er sonst selbst noch wünschen würde. Aber Rick hatte nur den einen Wunsch, so bald als möglich wieder bei seiner Annemie und seinen Buben in der lieben Hütte zu sein.

Doch der König wollte ihn nicht ziehen lassen und freute sich täglich mehr an seiner fröhlichen Art. Rick mußte stundenlang an seinem Bette sitzen und ihm von seinem Glück in seiner Armut erzählen, von seinem Dorf und dem Wald und allerlei Schnurren und Mären, bis sie beide zusammen laut auflachten, und mit jedem Lachen wurde der König stärker und gesünder, und ihm war, als ob ein Teil seiner schönen Jugend wieder zurückkam.

Als nun Rick viele, viele Tage im Schlosse gewesen war, wurde er endlich doch ein wenig traurig, denn er hatte Heimweh und große Sehnsucht nach den Seinen. Der König merkte es und sagte: »Nein, traurig darfst du mir nicht werden, sonst werde ich wieder alt und schwach. Und höre, mein Lieber, was ich dir sagen will: Sieh, diesen Säckel Gold gebe ich dir als Lohn dafür, daß du kamst, um mich froh und gesund zu machen, aber« – und der König zögerte eine Weile, weil er wohl wußte, daß er viel von dem armen Rick verlangte – »aber zehnmal so viel sollst du haben, wenn du mir dein goldenes Lachen verkaufst, daß ich meine alten Tage mit Fröhlichkeit zu Grabe trage.«

»Oh,« sagte Rick, »das da drin, das immer lacht und mich so reich und glücklich macht – das verkaufen?«

»Sag' nichts – noch nicht, überleg es dir noch drei Tage und dann sprich,« sagte voll Angst der König.

Und in diesen drei Tagen ließ der König das Allerbeste auf die Tafel bringen, dem Rick noch schönere Kleider anziehen und ihn das Reiten lehren auf einem prächtigen, goldgezäumten Rosse. Und Rick konnte sich plötzlich nicht mehr vorstellen, wie ihm das schwarze, grobe, trockene Brot zu Hause so habe schmecken können, der liebliche Bratenduft stieg ihm freundlich in die Nase, und auf dem Rücken des Pferdes gefiel es ihm nun auch besser als aus seinen groben knarrenden Bauernstiefeln. Und wenn er nun das unmenschlich viele Geld vom König bekam, konnte er all die guten Dinge auch seinen Lieben zu Hause zuteil werden lassen. – Hei, welche Augen würden die machen, seine gute Annemie und Pett und Poll, seine beiden immer hungrigen Buben. Ja, ja, er mußte es wohl tun. All der Reichtum für sein bißchen Fröhlichkeit, der Tausch war doch nicht schlecht.

Und als er dann nach drei Tagen vor den Thron des Königs geführt wurde – denn der war nun wirklich gesund geworden –, sagte er: »Nun denn, Herr König, ich will Euch mein Lachen geben, damit ich die Meinen ihr Lebtag reich und satt machen kann – aber vorher laßt mich noch einmal so ganz aus vollem Herzen herauslachen.«

»Ich danke dir, mein braver Freund,« sagte der König. »Ja, lache laut und dabei laß mich meinen Mund an dein Herz legen, daß der Strom deines Frohsinns in meines übergehe.«

Da malte sich Rick in Gedanken seine Heimkehr aus und die Freude seiner Frau und die drolligen Purzelbäume seiner Buben und all den Jubel über all das Schöne, das er ihnen mitbringen wollte, und da lachte er vor Freude so laut und herzlich, daß alle Hofleute mitlachen mußten und ganz vergaßen, pfui zu sagen, als der König nun wirklich seinen Mund auf das lachende fröhliche Herz des Bauern legte.

Das alte Gesicht des Königs wurde danach so hell und strahlend, daß alle ihn verwundert ansahen. Aber der Rick sah plötzlich so finster und alt aus, daß man ihn kaum noch erkannte.

Dem König tat sein Anblick weh. Er winkte den Dienern, daß sie ihn hinausgeleiteten, ließ ihm einen Wagen mit zwei flinken Rossen geben und das versprochene Gold.

Rick ging langsam aus dem Schlosse. Ihm war, als ob sich in ihm und um ihn her alles verändert hätte. Die Sonne kam ihm nicht mehr so hell vor, ihn fror, und er fühlte sich fremd in seiner eignen Haut. – Aber nun wollte er schnell nach Hause. Daheim bei den Seinen würde es ihm schon wieder wohl werden. Er schwang sich auf den Wagen, nahm die Zügel in die Hand und raste davon. Hinter sich hörte er noch aus dem offenen Fenster das laute fröhliche Lachen des Königs.

»Was hat der nur zu lachen?« sagte Rick grimmig und hieb finster auf die Pferde los, daß sie keuchend und schäumend über die Landstraße flogen.

Endlich hielt er mit dem Wagen vor der Tür seiner Hütte. Annemie und die Buben stürzten erstaunt heraus, denn einen Wagen vor ihrer Tür, das hatten sie noch nie erlebt. Als nun gar Rick, ihr Rick von dem schönen Wagen stieg, schrien sie vor Verwunderung und Freude laut auf, denn trotzdem er verändert aussah, hatten sie ihn gleich erkannt, weil sie ihn so liebhatten. Bald lief auch das ganze Dorf zusammen, um die Wundergeschichte vom reichgewordenen Rick zu hören. Aber sie waren sehr erstaunt, als Rick sie mit bösem Gesicht und barscher Rede von seiner Tür wies.

Und als er nun endlich ganz allein mit den Seinen war, wollte er ihnen so gern zeigen, wie froh er war, sie wieder zu haben; aber da er nicht mehr lachen konnte und so ernst und traurig aussah, verstanden sie ihn nicht mehr und sahen ihn scheu und ängstlich an.

»Bist du krank, Lieber?« fragte Annemie zärtlich. »Was fehlt dir, Vater?« fragten die Kinder und versuchten, wie früher zutraulich an ihn heranzukommen. Aber er schob sie ärgerlich beiseite, denn er schämte sich nun plötzlich, daß er sein schönes Lachen verkauft hatte und nun nie mehr fröhlich mit ihnen sein wurde.

»Seht, was ich euch mitbringe,« sagte er und zeigte ihnen das viele Gold. »Damit kaufen wir uns ein großes Haus in der Stadt und schöne Kleider, und Braten und Wein gibt es nun jeden Tag, soviel ihr wollt.«

»Juchhe – Braten und Wein!« schrien die Knaben ganz toll vor Freude.

Annemie aber war traurig. »In die Stadt,« sagte sie, »da passen wir doch nicht hin, und in ein großes Haus auch nicht.«

»Werden's schon lernen,« sagte Rick.

Aber sie lernten's nicht. Das große Haus mit den vielen Zimmern in der engen Straße der großen Stadt gefiel ihnen lange nicht so gut wie ihre kleine Hütte, wo gleich vor der Tür der weite grüne Wald war. Annemie konnte sich nicht daran gewöhnen, auf dem Sofa zu sitzen und andre Leute draußen in der Küche für sich arbeiten zu lassen. Den Buben behagte es gar nicht, sich in der Schule von den Stadtkindern auslachen zu lassen, weil sie doch nur Bauernbuben in schönen Kleidern waren und die Sprache und Gewohnheiten der Städter nicht lernen konnten.

Dem Rick selbst aber konnte es niemand mehr recht machen. Da er selbst nicht mehr lachen konnte, ärgerte es ihn, wenn die andern lachten, und um ihnen sein Geheimnis nicht zu verraten, mußte er immer über etwas zanken und böse sein, um schelten und brummen zu können. Er war meist aus dem Hause mit fremden Leuten, die nicht wußten, daß er einmal der immer lachende Rick gewesen; die hielten sich an ihn, weil sie sein Geld mit ihm vertun konnten, und so wurde der reiche Rick bald faul und kränklich, und niemand mehr freute sich an ihm.

So ging es einige Jahre.

Annemie grämte sich und ging still und betrübt im großen Hause umher. Die Kinder fürchteten sich vor dem Vater, sie liefen ihm nicht mehr entgegen, wenn er heimkehrte, und versteckten sich vor ihm. Das alles ärgerte den Rick, da er es doch nicht ändern konnte.

Zuletzt wurde er ganz wild und böse darüber, und eines Tages, als er zuviel Wein getrunken hatte, Annemies verweinte Augen und die Angst der Kinder sah, wurde er so zornig, da er nicht mehr aus noch ein wußte mit sich selbst, und da schlug er in seinem Zorn die Kinder zum erstenmal, solange er sie hatte.

Annemie schrie laut auf, und die Kinder flüchteten in ihre Arme, und alle drei weinten bitterlich.

Da schämte sich Rick und lief zum Hause hinaus. Er irrte draußen in den Straßen lange umher und grübelte und dachte, was er nur machen könne, um wieder sein früheres glückliches Leben zu haben, das so weit weg von ihm lag und nur noch wie ein herrlicher Traum in seiner Erinnerung war. Daß es seine schöne gesunde Fröhlichkeit war und sein lustiges Lachen, das ihn damals so glücklich und zufrieden gemacht hatte, wußte er gar nicht mehr. Er fühlte nur, daß er nicht mehr so gut war wie ehedem, und daß er, ohne es zu wollen, sich jetzt über alles ärgerte und keinen Frieden finden konnte in seinem Heim.

Nach langem Grübeln kam ihm endlich der gute Gedanke: ich muß einmal die Annemie fragen, warum sie gar nicht mehr gut mit mir ist und die Kinder sich vor mir fürchten, ich gebe ihnen doch alles, was sie nur wollen. Da wurde er ruhiger und ging heimwärts.

Leise ging er ins Haus und wollte sehen, ob sein Weib und die Kinder sich getröstet hätten und er auf ein gutes Wort bei Annemie rechnen durfte. Er suchte sie in allen Zimmern und fand sie nicht. Plötzlich hörte er sie in der Küche plaudern, da ging er sachte zur Tür und lauschte. Er sah Annemie in ihrem alten Bauernanzug am Herdfeuer stehen und einen Brei kochen, den die Buben früher so gern gegessen hatten. Sie sah fröhlich aus, trotzdem ihre Augen noch rot vom Weinen waren.

»Ich mag ihn aber wirklich nicht mehr leiden,« sagte Poll eben.

»Ich auch nicht, Mutter,« rief Pett, »er hat uns geschlagen.«

»Still, still, Kinder, nicht so reden,« sagte Annemie, »der Vater ist krank, seht ihr denn nicht, er kann ja gar nicht mehr lachen.«

»Ja, das ist wahr,« sagte Poll, »seit er damals mit dem Wagen voll Gold nach Hause kam, hat er nicht mehr gelacht.«

»Hört, Kinder, wir müssen unsern guten Vater wieder lachen hören, denn dann ist er wieder ganz unser wie früher. Hört zu, wenn er nun wieder heimkommt, fürchtet ihr euch gar nicht mehr vor seinem bösen Gesicht, sondern stellt euch beide tapfer vor ihn hin und singt ihm das drollige Lied von dem Dackel mit den vier krummen Beinen, worüber er früher immer so herzlich lachte, wenn er es mit euch sang.«

Der lauschende Rick erschrak, denn nun wußte er plötzlich wieder, was ihm fehlte, und so gerne er jetzt gleich zu ihnen hineingegangen wäre, konnte er es nicht tun, denn wenn sie ihm nun das Lied sangen und er nun wieder dastand, ohne mit ihnen zu lachen, wären sie ganz unglücklich gewesen, und er schämte sich noch immer, ihnen zu gestehen, daß er sein liebes Lachen für das dumme Gold verkauft hatte, das sie noch keine Stunde so froh gemacht hatte, als sie früher in ihrer Armut gewesen waren.

»Zum Teufel,« sagte er, »ich will mein Lachen wieder haben, und mag alles andre darüber zum Kuckuck gehen. Gleich will ich zum König, er muß es mir wiedergeben.« Und er ging zu seinem Stall und setzte sich auf sein schnellstes Pferd und ritt und ritt den weiten Weg zum Schlosse des Königs.

Dort erkannte ihn niemand. Und als er nach dem König fragte, sagte man ihm, er liege im Sterben. Da wurde ihm eiskalt vor Schrecken: wenn der König stürbe und nähme sein Lachen mit in das Grab, das wäre fürchterlich. Er stieß die Diener beiseite und stürmte die hohe Treppe hinauf, ließ sich von niemand halten und ging geradeswegs in des Königs Gemach und trat voll Angst und Herzklopfen über die Schwelle. – Der sterbende König lag allein in seinem seidenen Bett und hatte ein gar friedliches Lächeln auf seinem bleichen Gesicht.

»Herr König,« sagte Rick, »Herr König, Ihr dürft noch nicht sterben.«

Der König erkannte seine Stimme und schlug die Augen auf. »Ach, du bist es, guter Rick. Gut, daß du kommst, ich muß dir noch danken, dein Lachen hat meine letzten Jahre froh gemacht. Ich freue mich, daß du noch gerade zur Zeit kommst, es wieder mitzunehmen, ehe ich sterbe; denn mein Gold hat dich nicht so glücklich gemacht wie das, was du mir dafür gabst, das kann ich an deiner Stimme hören. Komm, lege deinen Mund an mein Herz, daß es mit seiner letzten Kraft dir dein Lachen wiedergibt.« Und der König lachte noch einmal ein leises glückliches Lachen, und dann schloß er die Augen und starb.

Rick hätte laut aufschreien mögen vor Freude, als er sein altes liebes Lachen wieder in seinem Herzen fühlte, und wenn nicht der gute alte König da tot und steif vor ihm gelegen hätte, würde er gleich einmal versucht haben, wie es tat, wieder einmal so recht von Herzen loszulachen. Aber er nahm sich zusammen und ging aus der Kammer, und ihm war, als trüge er diesmal einen größeren Schatz hinaus als damals, da er mit Gold beladen war. – Da er aber in der Aufregung die rechte Tür verfehlte, gelangte er in den Saal, wo alle Hofschranzen und Räte versammelt waren und auf das Ableben des Königs warteten; und der junge König saß schon ganz ungeduldig auf dem goldenen Stuhle seines Vaters.

»Der König ist tot!« sagte Rick. Da fuhren sie alle von ihren Sitzen auf und seufzten laut. – Und der alte Leibarzt des Königs legte den gelben Zeigefinger seiner Linken an seine große Nase, und mit dem gelben Zeigefinger der Rechten zeigte er auf die goldene Uhr an der Wand. »Fünf Uhr,« sagte er, »ich hatte es vorausgesagt, um fünf Uhr würde es sein.«

Da erinnerte sich Rick plötzlich der Szene am Krankenbette des Königs vor vielen Jahren, und wie sie alle ihm den Rücken gekehrt und pfui gerufen hatten, und da konnte er nicht mehr an sich halten und lachte laut los und fühlte dabei, wie er wieder ganz der alte frohe gute Rick wurde. – »Pfui!« sagten die Hofleute und kehrten ihm den Rücken zu und verbeugten sich vor ihrem neuen jungen König.

Der hielt ein Glas vor die Augen, denn er konnte nicht gut sehen, und sagte mit dünner Stimme: »Eh, das Lachen kommt mir bekannt vor – sollte das wohl jener Bauer sein, der meinem hochseligen Vater einst sein Lachen verkaufte? Er hat es sich wohl am Sterbebette wiedergeholt – nun, unsern hochseligen Herrn hat es sehr glücklich gemacht, und ich säße gewiß schon lange auf dem Throne, wenn sein Leben durch dieses Lachen nicht so lange erhalten worden wäre. Aber es ist schön, sehr lange zu leben, besonders, wenn man selbst König ist – he, guter Mann, höre einmal.«

Aber Rick hatte Todesangst, man wolle ihm sein schwerentbehrtes Lachen wieder abspenstig machen, so lief er durch die Reihen der erstaunten Hofleute, rannte die Treppe hinab und über den Schloßplatz zum Tore hinaus, wo er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte. Aber das Roß war verschwunden.

Rick lachte. »Es wird's wohl jemand gestohlen haben. Nun, auch gut; bin wieder jung und kann laufen.«

Und er lief die ganze Nacht, und früh am andern Morgen stand er in der Straße, wo all die Jahre her sein großes Haus gestanden hatte. Aber er sah kein Haus mehr, und Rick wußte im ersten Augenblick nicht, ob er träume oder wache. – Dann aber lachte er fröhlich und sagte: »Ah, so ist's gemeint: entweder Lachen und Armut, oder Trübsinn und Gold? – Na, dann tausendmal lieber so wie jetzt.« – Und plötzlich wußte er ganz sicher, daß er die Annemie und die Kinder in der alten lieben Heimat finden würde.

Und unermüdlich machte er sich gleich wieder auf die Beine, und gegen Abend, als die Glocken der Dorfkirche eben den Sonntag einläuteten, zog er wieder ein in sein liebes Dorf, wo er so lange glücklich gewesen war, weil er andre glücklich gemacht hatte.

Und es wurde ihm warm und weich ums Herz, und er schlich sich leise zum Fenster seiner Hütte und schaute hinein. Da sah er, wie die Annemie am Bette der Buben saß und hörte, wie sie mit ihnen betete: »Du lieber guter Gott, schicke uns doch unsern lieben Vater bald wieder und mache, daß er wieder so fröhlich lachen kann wie früher, wo wir alle so glücklich waren.«

Da konnte Rick sich vor Jubel und Freude nicht länger halten und lachte laut und fröhlich in die Stube hinein.

Und die drei da drinnen schrien laut auf: »Das ist der Vater, unser Vater, so kann kein andrer lachen wie er.«

Und von da an lebten sie wieder so froh und einträchtiglich beisammen wie vorher.

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