Alphonse Daudet
Rosa und Ninette
Alphonse Daudet

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Sechstes Kapitel.

La Posterolle, der sich seit drei Monaten auf Korsika befand, galt für den besten Präfekten, den die republikanische Regierung bisher nach Ajaccio gesendet hatte, und diesen vortrefflichen Ruf verdankte er weniger seinen administrativen Fähigkeiten, als dem köstlichen Trio von Pariserinnen, seiner Frau und seinen beiden Stieftöchtern, die mit ihm in die Präfektur eingezogen waren.

Das reizende Lächeln dieser Damen, welche man stets zusammen antraf, ihre auserlesenen Toiletten, die sie zu Fuß, zu Pferde, zu Wagen spazieren führten, hatten die Stadt behext. Um sie vorüberkommen zu sehen, stürzten die Zigarrenarbeiterinnen der Hauptstraße mit Ausrufen der Bewunderung an die Türen, indem ihre braunen Augen unter den hellen Kopftüchern leuchteten.

Das Volk des Südens hat ein so lebhaftes Gefühl für Schönheit und Grazie! Zudem empfing der Präfekt sehr häufig, und seine Samstagabende, denen die Anwesenheit der Marineoffiziere noch besonderen Glanz verlieh, sowie die beständigen Festlichkeiten rüttelten die sehr häusliche Gesellschaft von Ajaccio auf, zogen aus den benachbarten Städten Bonifacio, Porto Vecchio, Sartène, Gäste herbei, gaben den Hotels Leben, den Schneiderinnen und Blumenmacherinnen Arbeit und machten den dort noch neuen kontinentalen Namen La Posterolle bis an die äußersten Enden der Insel bekannt und beliebt.

An einem Samstagabend, einem jener korsischen Winterabende, die an Milde den Maiabenden Frankreichs gleichen, um die Stunde, wo der Garten der Präfektur sich durch farbige Lampen zu erhellen begann und die Musik des Admiralschiffes, welche gewöhnlich zum Tanz aufspielte, sich in den orangen- und magnolienduftenden Kiesgängen einfand, lief Fräulein Rosa, die in ihrem weißen Ballkleid lang und bleich aussah, nach Frau La Posterolle suchend, hin und her. Endlich fand sie dieselbe in dem kleinen Salon, bei den zu Diner eingeladenen Gästen, welche eben den Kaffee genommen hatten. Durch einen hastigen Wink rief sie die Mutter herbei. »Lies das,« sagte sie, indem sie ihr rasch einen offenen Brief hinhielt, bei dessen Handschrift allein ihren entblößten, wie Atlas glänzenden Hals eine Gänsehaut überlief.

Während des Lesens fragte die Mutter ganz leise: »Das ist eben angekommen?«

»In diesem Augenblick – durch einen Kellner des Hotels – er wartet draußen auf Antwort.«

Sich ruhig fächelnd las und las die Mutter, und doch enthielt der Brief nur wenige Zeilen:

»Ich erwarte, daß meine Töchter im Hotel de France auf dem Diamantplatz ihren Vater begrüßen werden. Wenn sie in einer halben Stunde nicht erscheinen, so werde ich sie in der Präfektur selbst aufsuchen.

Regis von Fagan.«

Ein ratloses: »Was machen wir?« kam von den rot geschminkten Lippen der Frau Präfektin, während Rosa: »Armer Papa« murmelte.

»Du beklagst ihn noch!« sagte die Mutter im Tone glühenden Hasses, der La Posterolle, welcher aus dem Salon kam, um dem angemeldeten Admiral entgegen zu gehen, veranlaßte, stehen zu bleiben. Er las das Billett über der Schulter seiner Frau, und die schöne Kaltblütigkeit des Verwaltungsbeamten bewahrend, so daß kaum die Spitzen seiner langen, bleichen Finger, mit denen er seinen Schnurrbart streichelte, leise zuckten, befahl er mit halber Stimme: »Laß das Fräulein sie schnell hinbegleiten, so unauffällig als möglich. Was sie zu sagen haben, weißt Du so gut wie ich. Herrn von Fagans Anwesenheit in Ajaccio bringt uns in eine unleidliche Situation.«

Kaum hatte er geendet, als auf der Freitreppe des Gartens galonierte Hüte und Goldstickereien erglänzten. La Posterolle war voll Schwung. »Ah, mein Admiral . . .« Aber die Modulationen seiner weltmännischen, den Phrasenhelden verratenden Stimme wurde von dem Musikkorps des »Redoutable«, welches die Marseillaise mit dem ganzen Aufgebot seiner Blechinstrumente intonierte, übertönt. Bald darauf begann der Ball, und während sich der Walzer aus den blendend hellen Salons in die duftigen Schatten des Gartens verlor, entschlüpften die Fräulein von Fagan, die dunkle Mäntel über ihre Ballkleider geworfen hatten, mit ihrer Engländerin heimlich dem fröhlichen Treiben und gewannen, längs den hohen, schwarzen Häusern hinschleichend, den Diamantplatz, der heute abend im hellen Lichte des Vollmonds mit dem metallisch glänzenden bewegten Meer in der Ferne, seinen Namen mit Recht verdiente.

In dieser feenhaften Beleuchtung maß eine Gestalt, die sich wie eine schwarze Silhouette vom Hintergrunde abhob, mit heftigen Schritten den Asphalt des einsamen Platzes.

Wie war Regis von Fagan zu dem Entschluß gekommen, seine beiden Töchter von sich zu lassen? Und warum beide, während man doch nur eine von ihm gefordert hatte? Es war die Folge des Rates, den Frau Hulin ihm nach Ninettes Besuch gegeben hatte.

»Nehmen Sie an,« sagte sie, »daß Sie eine Ihrer Töchter, wie man es Ihnen vorschlägt, im Kloster Assomption behielten, fern von ihrer Schwester und ihrer Mutter, mit der einzigen Zerstreuung, jeden zweiten Sonntag bei Ihnen zuzubringen. Wie bald würde sich Ihr Kind als Opfer und Sie als seinen Henker betrachten. Nein, da diese Frau trotz aller ihrer Versprechungen Paris verläßt und Ihnen Rosa oder Ninette entführt, so lassen Sie ihr alle beide. Sie werden durch die Entfernung von ihren Kindern leiden, aber sich die Vorteile der Trennung, die Verschönerung durch die Abwesenheit bewahren. Ihre Liebe für Sie wird wachsen, und Frau La Posterolle, die noch kokett und hübsch ist, wird jetzt mit ihrem neuen Haushalt und einem jüngeren Mann als Sie vielleicht die erste sein, Sie zu bitten: Nehmen Sie sie mir vom Halse, und Ihre Töchter werden hinterdrein rufen: Nimm uns schnell zurück.«

Darauf waren die Mädchen abgereist mit dem Versprechen, daß jede einmal in der Woche schreiben würde. Anfangs trafen die Briefe auch sehr pünktlich ein und waren voll Zärtlichkeit und jenen brieflichen Ergüssen, die so wenig kosten; außerdem enthielten sie Beschreibungen der Feste, die die Mädchen mitgemacht, der Ankunft des Geschwaders, eines Besuches auf dem »Redoutable«.

Es waren kleine Stilproben, die der beglückte Vater in Paris herumzeigte, in seinem Klub, in den Gängen des Theaters. Dann schrieb plötzlich Ninette allein. Rosa begleitete ihren Stiefvater auf einer Inspektionsreise. Die nächste Woche blieben die Briefe ganz und gar aus, und statt ihrer kam eine Depesche, welche mitteilte, daß Ninette sich bei dem Besuch eines Panzerschiffes den Fuß verstaucht hätte. Im folgenden Monat kam weder ein Brief noch eine Depesche, sondern nur ein kurzes Billett von dem Fräulein, welches die Nachricht enthielt, daß Ninette eine kleine Reise nach Sardinien machte und Rosa das Fieber hätte.

Endlich riß dem Vater die Geduld, und er drohte, hinzureisen, wenn man nicht sofort schriebe, und da hierauf keine Antwort erfolgte, so war er jetzt da, zitternd vor Wut, die geballten Fäuste schwenkend und wilde Rachegedanken in seinem Kopfe wälzend für den Fall, daß seine Töchter nicht Punkt zehn Uhr zur Stelle wären.

»Guten Abend, lieber Vater.«

»Ach, meine Kleinen, wie freue ich mich . . .« und der arme Mann empfing seine Kinder mit offenen Armen und preßte sie an sein Herz und an seine noch von Tränen feuchten Wangen. Seine Ninette, seine Rosa, er hatte sie, er hielt sie an seiner Brust.

Was nützte es, sich zu beklagen oder Vorwürfe zu machen?

Sie hatten so vortreffliche Entschuldigungsgründe. »Wenn Du wüßtest – Du kannst Dir nicht vorstellen – frage nur Rosa – Ninette kann Dir sagen –.« Sie haben ihn jede bei einer Hand gefaßt, und so läßt er sich zwischen ihnen aus der Stadt führen nach einem breiten, einsamen Vorsprung, der auf der einen Seite von dem leuchtenden Meer, auf der anderen von Gärten, Villen und Familiengräbern eingefaßt wird, deren weißes Mauerwerk sich über den düsteren Abhang der Hügel zerstreut. Hinter ihnen ertönt der männliche Schritt des Fräuleins, das sich in angemessener Entfernung hält, um nichts von dem zu verlieren, was der Vater mit seinen Kindern redet.

Gegenwärtig macht Ninette ihm sanfte Vorwürfe wegen seiner Unvorsichtigkeit, daß er so unerwartet gekommen ist. Was müßte es in der Stadt für einen Skandal erregen, wenn man erführe, daß der erste Gatte der Frau Präfektin da sei. »Denke nur, Väterchen, in welche Lage Du Mama versetzt hast!« Der Ton Ninettens, die noch nicht fünfzehn Jahre zählt, ist so überlegen, ihr Arm drückt so lebhaft den ihres Väterchens, daß dieser sich schuldig zu fühlen beginnt. »Und was uns betrifft, meine Schwester und mich,« fährt die Listige fort, die in dem Maße kühler wird, in dem der Vater sich schwach zeigt, »was soll man denken? Es kannte hier niemand oder fast niemand die Wahrheit, man glaubte, daß Mama Witwe und wir Waisen seien –« Fagan will protestieren; der Gedanke, als ein nicht mehr Vorhandener betrachtet zu werden, verletzt ihn und greift ihn ans Herz. Aber Ninette weiß auf alles zu antworten.

»Du begreifst, daß man in diesem Lande nichts von unseren Theaterberühmtheiten weiß; die Leute sind hier in allen Dingen so zurück. Da man auf Ehescheidungen schlecht zu sprechen ist, so wirst Du einsehen, daß dadurch die Verheiratung Rosas verhindert werden würde.«

Jetzt empört sich der Vater. »Wie, Rosa verheiratet sich, und ich weiß nichts davon?« Aber seine erwachsene Tochter beruhigt ihn schnell durch einen zärtlichen Druck auf seinen Arm. Sich verheiraten, nein, noch nicht. Ein Herr Remory, ein Amtsvertreter in Bastia, der Sohn eines Gerichtspräsidenten in Paris, man kann sich keine bessere Familie wünschen, macht ihr den Hof. Diese Verbindung ist La Posterolle deshalb sehr erwünscht, weil sie wahrscheinlich der Feindseligkeit zwischen der Magistratur und Administration von Bastia und Ajaccio ein Ende machen wird. Uebrigens sei noch nichts entschieden, und Herr Remory, der Vater, welcher in Paris lebt, würde demnächst bei Fagan offizielle Schritte tun, vorausgesetzt, daß der Skandal seiner Anwesenheit in Korsika nicht einen offenen Bruch herbeiführe.

»Aber es wird keinen Skandal geben,« erwidert der Vater bewegt, da er das Zittern seiner Rosa fühlt. »Ah, er hat also schon Dein Herz gewonnen, dieser Herr Amtsvertreter?«

Und da Rosa, anstatt zu antworten, dem Weinen nahe scheint, so beruhigt er sie sanft und zieht sie dicht neben sich auf ein Steinmäuerchen am Wege, während Nina sich auf die andere Seite setzt und das Fräulein Schritte von ihnen entfernt, steif wie eine Salzsäule, im Mondschein Posten steht.

»Hört mich an, meine Lieblinge,« sagte der Vater, indem er die Hände seiner Töchter mit den seinigen liebkoste. »Ich gestehe, daß mein Schritt unklug war, aber man kann alles wieder gut machen. Man kennt mich im Hotel de France noch nicht, man weiß meinen Namen nicht; ich kann einen anderen annehmen und fünf bis sechs Tage hier bleiben, ohne daß mich jemand sieht; jedoch unter der Bedingung, daß wir drei alle Abend unter der Obhut des Fräuleins einen geheimnisvollen Spaziergang wie diesen machen.«

»Aber was wirst Du den Tag über beginnen?« fragte Rosa, gerührt von seiner großen, ganz uneigennützigen Liebe. »Wenn ich Dir doch Gesellschaft leisten könnte!«

Ninette dagegen rief lebhaft: »Daran ist nicht zu denken, Schwester. Wie kann eine von uns in das Hotel gehen, da wir beide so bekannt sind?«

»Nein, meine Kinder, sorget nicht um meine Tage; ich werde eine Lösung finden. Vielleicht fahre ich mit den Sardinenfischern aufs Meer hinaus. Ich werde mit allem zufrieden sein, vorausgesetzt, daß ich am Abend meine Töchter wiedersehe und wir miteinander angesichts dieses magischen Himmels plaudern. Es ist so schön – es tut mir so wohl – ach, meine Lieben!«

In der Tat entschädigte ihn ein solcher Abend reichlich für Momente der Traurigkeit und der Einsamkeit. Ninette auf seinen Knien, Rosa an seine Schulter gelehnt, vor ihnen das silberne Meer, das unermeßliche Meer, das sich am Ufer mit dumpfem Brausen schäumend bricht. Draußen zur Rechten das wechselnde Licht des Leuchtturms von Sanguinaires, das bald grün, bald rot erscheint, und dazu der feuchte Atem der Nacht, die leichten, zitternden Schatten, der Orangen- und Zitronenduft aus den Garten von Barbicaglia, in denen der leise Fall reifer Früchte auf die Erde die Plauderer erschreckt! »Horch, ging da nicht jemand, dort – nein, hier –« und dann lachen alle drei, indem sie sich enger aneinander schmiegen.

Der Vater, der sich unter einem falschen Namen in dem Hotel de France eingeschrieben hatte, verbrachte den ganzen folgenden Tag in seinem Zimmer und verließ es nur, um ein Bad zu nehmen. An der Tür des Bades, das in Ajaccio wie in den meisten Städten des Südens nur wenig besucht wurde, begegnete er einem jungen Stutzer mit einem hellseidenen Sonnenschirm, welcher einen Affenpintscher von der Größe einer Ratte an der Leine führte.

»Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht Fagan ist. Wie geht es meinem kleinen Schwerenöter, meinem berühmten Alten? Daß wir uns hier begegnen, das ist wahrhaftig Kaviar.«

Fagan, dem es sehr unangenehm war, auf diese Weise angeredet zu werden, während er sich versteckt halten wollte, zog den jungen Narren mit sich fort, der zu seinem Klub der »Maikäfer« gehörte und der daselbst einmal in einem seiner Stücke eine kleine Rolle gespielt hatte. Daher die Vertraulichkeit seines Tones, der Regis unter den gegenwärtigen Umständen und so fern von den Boulevards über die Maßen lächerlich erschien.

»Ich bitte Sie, Baron« – der Vater des kleinen Rouchouze war Baron, und sein Sohn entlieh nicht nur diesen Titel, sondern auch manches andere häufig von ihm – »ich bin hier in dem größten Inkognito, und Sie würden mich verbinden –«

»Verschwiegen wie das Grab, mein alter Ast. – Aber halt, da fällt mir ein – Frau La Posterolle – die Fräulein der Präfektur, diese reizenden Pusselchen – mein Kompliment, Bester, Ihre Töchter sind, – ah, Konfekt! Und wenn die Pique-Dame mich nicht bis auf die Haut ausgeplündert hätte, so würde ich Sie um die Hand der Jüngeren bitten. Ein wenig grün noch, aber ich liebe die unreifen Nüsse.«

Man mag sich vorstellen, mit welchem Blick der Vater den untersetzten, dicklippigen Baron maß, der fünfzig Jahre alt zu sein schien, obgleich er erst dreißig zählte, mit seinem fischleberfarbenen Teint und seiner Haltung eines englischen Kutschers, dessen blutrote Krawatte von einer Nadel in Gestalt eines ungeheuren Schweinskopfes aus Karneol zusammen gehalten wurde. Der ein Gatte für Ninette! Er beherrschte sich jedoch, da er der Verschwiegenheit des Gentlemans bedurfte, und erkundigte sich, weshalb er nach Korsika gekommen sei.

»Um wieder zu grünen, mein Guter. Infolge meines Pechs beim Rennen hat mich mein Pa gezwungen, wieder in die Bäder und Wälder zurückzukehren, die ich nach dem Tode meiner Mutter geschwänzt hatte, und so bin ich denn hier auf unbestimmte Zeit, in diesem Räuberland, mit hundert Franken monatlich, die mir der Staat gibt, und demjenigen, was ich mir abends im Klub der Gestrandeten zusammenkratze, wo es übrigens nicht leicht ist, zu Moos zu gelangen. Glücklicherweise bleiben mir noch die Diamanten meiner Alten. Uebrigens habe ich Firmin, den alten Klubjäger, mitgebracht, und das ist ein wahres Genie an Auskunftsmitteln, der seinen Brotherrn niemals Hunger sterben lassen wird. – Kommen Sie einmal zum Frühstück zu uns, dort jene große Baracke« – er bezeichnete mit seinem Sonnenschirm ein hohes italienisches Haus, hoch über dem schwarzen Wasser im Hintergrund des Hafens – »fünf Zimmer im Zweiten Stock, geräumig wie der Vendômeplatz; meine Bedienung bilden der schon genannte Firmin und meine Köchin Seraphine, die reizende Frau eines Maultiertreibers von der Insel Rousse, die das größte Mundwerk von Ajaccio besitzt. Unter uns –« hier dämpfte der Baron seine Stimme und vertraute ihm mit der albernsten Stimme von der Welt, daß Seraphine bereit sei, ihm ihre Gunst zu gewähren, deren erste und kostbarste darin bestände, sich von ihrem glücklichen Herrn und Meister, der sie erwartete, ins Bad führen zu lassen.

»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ich mir diesen Narren vom Halse halten werde,« schrieb Fagan, in sein Hotel zurückgekehrt, an Frau Hulin, die er über seine Reise auf dem Laufenden hielt. Aber wie sehr täuschte er sich, der arme Mann!

Durch den Willen seiner Töchter oder vielmehr den ihrer Mutter in sein Zimmer gebannt, aus dem er sich bei Tage nicht entfernen durfte, wurde er bald von einer tödlichen Langeweile befallen, die sich ihm wie ein erstickender Nebel auf die Brust legte und ihm jeden Gedanken, selbst die Möglichkeit zu arbeiten, raubte. Er stand spät auf, beobachtete durch die Stäbchen seiner sonnenheißen Jalousien das Einlaufen eines Schiffes, eines Bootes neapolitanischer Korallenfischer, dessen schief gestelltes hohes Segel Vogelschwingen glich, nahm ein Buch vor, ohne zu lesen, bis endlich, nach drei magern, ohne Appetit eingenommenen Mahlzeiten, um neun Uhr abends der Augenblick gekommen war, der ihn mit seinen Töchtern auf dem Weg von Sanguinaires zusammenführte.

Als daher am zweitnächsten Tag nach ihrer Begegnung der Baron Rouchouze mit einem ganz neuen Spiel Karten in der Tasche bei ihm erschien und ein kleines Spielchen zu einem Louis die Partie in Vorschlag brachte, kam in Fagan der alte Kartenklopfer, der er in seiner Jugend gewesen, in der Langeweile seines Hotelzimmers wieder zum Vorschein, und das Spiel begann. – Toll genug, dreihundert Meilen zu machen, über das Meer zu kommen, diese duftige, malerische Felseninsel zu bewohnen und sich bei dicht verschlossenen Jalousien mit dem kleinen Rouchouze zu endlosen Kartenpartien hinzusetzen, wenn man Regis von Fagan und Dramaturg des Théâtre Français und des Vaudeville ist!

Gegen sechs Uhr brachte Firmin, frisch rasiert und feierlich von Kopf zu Fuß in Schwarz gekleidet, ein Glas Vichywasser für seinen Herrn, der jedesmal, wenn er das geleerte Glas wieder auf das Teebrett setzte, mit majestätischer Miene seinen Daumen gegen den Zeigefinger rieb, eine ausdrucksvolle Geberde, welche sagte: »Gib mir mal ein paar Louis«, denn den Baron verfolgte das Unglück, über das er sich jedoch mit dem Gedanken tröstete, daß er die Ehre hatte, durch einen berühmten Dichter geschlagen zu werden und indem er auf das profitablere Baccarat in seinem Klub den Gestrandeten zählte.

Am Arm seiner beiden Töchter und in der zauberhaften Umgebung, an der seine Augen sich nicht sättigen konnten, vergaß Fagan am Abend die Geistesöde seiner Tage. Er war immer der erste am Platze und hörte, auf irgend einem versteckten Felsen am Ufer des Meeres sitzend, schon aus der Ferne das Knarren der kleinen Stiefelchen auf dem Wege, die hellen, plaudernden Stimmen seiner Mädchen, die das Romantische und Geheimnisvolle ihrer Zusammenkunft belustigte.

»Ein wahres Stelldichein Liebender,« flüsterte Ninette.

Und Rosa: »Aber nur ein Liebhaber für Zwei.«

»Sogar für Drei – wenn wir das Fräulein mitzählen.«

Plötzlich stand der Vater vor ihnen, und dann gab es ein Erschrecken, ein leises, allerliebstes Aufschreien, und dann lange Küsse, ein Schwätzen und Erzählen über die Art, wie sie ihren Tag zugebracht, über die Visiten, die sie gemacht und empfangen, die Anprobe ihrer Toiletten zu dem großen Kostümball, welcher zur Fastnacht in der Präfektur stattfinden sollte. Ninette ging als Infantin nach Velasquez, in steifen Röcken aus hellfarbenem Atlas, Rosa als venetianische Edeldame mit rot gefärbten Haaren.

»Und daß ich Euch nicht werde sehen können,« grollte der arme Fagan, der sich über acht Tage gerade zu Fastnacht einschiffen wollte. »Ich habe große Lust, erst das nächste Paketboot zu nehmen.«

Er sagte das zögernd, da er seine Abreise schon einmal aufgeschoben hatte. Aber Ninette, die stets von der Mutter instruiert war, brachte ihn sanft von seiner Absicht zurück. Was würde dieser Aufschub ihm nützen, da er weder auf den Ball, noch sie in ihren Kostümen zu ihm auf sein Zimmer kommen könnten? Und um ihn vollends zur Abreise zu bestimmen, fügte sie hinzu: »Zudem würde Deine verlängerte Anwesenheit uns früher oder später wirkliche Unannehmlichkeiten bereiten. Du mußt abreisen, Väterchen, der Präsident Remory will nächstens bei Dir um die Hand Deiner Tochter anhalten, und Anthyme ist nicht –«

»Gut, gut, ich werde abreisen,« sagte der Vater, dessen mürrischer Ton weich wurde, als er zwei frische Lippen auf seiner Hand fühlte, den stummen Dank seiner großen Rosa.

O ja, diese liebte ihn wahr und aufrichtig; Ninette liebte ihn auch, aber sie war noch zu kindisch und stand unter dem Einfluß der Mutter und der unversöhnlichen Engländerin, dieser leidenschaftlichen Seelenretterin, die vom ersten Tag ihres Eintritts in Fagans Haus gegen ihn, den Pariser Kreolen, der lässig und skeptisch war und durch das Theater an dem Verderbnis der Seelen arbeitete, Verachtung gezeigt hatte. Aber die Liebe seiner Rosa hatten weder das Gift der Seelenretterin noch die Verleumdungen der Mutter beeinträchtigen können; er fühlte, daß sie für immer sein war, und gewisse Herzensangelegenheiten bewahrte er für sie allein.

Eines Abends, als Ninette und die Gouvernante hinter ihnen zurückgeblieben waren, versuchte er von Pauline Hulin mit ihr zu reden, von der aufrichtigen Freundschaft, die diese Frau für ihn hatte. »Du beurteilst sie falsch, meine Tochter, aber Du wirst sehen, Du wirst sie eines Tages besser kennen.« – Rosa antwortete nicht und schaute in die Ferne, wie versunken in das wechselnde Licht des Leuchtturmes. »Weißt Du,« fuhr Fagan fort, »daß, wenn sie Witwe gewesen wäre, wie ich anfangs glaubte, ich sie wahrscheinlich geheiratet haben würde. – Hätte Dir das Kummer bereitet?«

»O ja,« murmelte das junge Mädchen mit zurückgehaltener Heftigkeit.

»Und warum?«

»Weil eine andere Frau zwischen meinem Vater und mir, eine andere Frau als Mama –«

»Indessen, auch Deine Mutter hat sich wieder verheiratet – es ist ein anderer Mann als Dein Vater im Hause, um Euch, um sie.«

»O, das ist aber nicht dasselbe, wenigstens nicht für mich.«

Fagan lachte halb ärgerlich.

»Deine Mutter hatte also das Recht, sich zu verheiraten, und ich habe es nicht? Du verurteilst mich dazu, Witwer zu bleiben, allein zu leben, während Du Dich selbst verheiraten willst, erst Du, dann Deine Schwester – Ihr alle werdet ein Heim haben, nur ich nicht. – Eine echt weibliche Denkungsart.«

Rosa schmiegte sich an ihn.

»Was willst Du? Ich bin eifersüchtig – diese Frau Hulin war mir vom ersten Tage an zuwider. – Ja, ich haßte sie als Deine – als Deine Freundin. Denke, wenn sie nun gar Deine Frau würde?«

Er war im Begriff zu antworten; aber Ninette näherte sich, und so sprachen sie von etwas anderem.


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