Alphonse Daudet
Rosa und Ninette
Alphonse Daudet

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Schon seit einigen Tagen kündigten die Theaterzettel des Vaudeville das in kurzem zur Aufführung gelangende neue Stück Fagans an. In den Theatern, den Klubs, an den Empfangstagen der Damen, in den Bureaus der Ministerien, den Boulevardcafés, überall sprach man davon, und schon regnete es auf den Tisch des beliebten Verfassers so zahllose Bitten um Plätze zu seiner Premiere, daß das Haus wohl dreimal dadurch hätte gefüllt werden können.

Eines Sonntagmorgens, als seine Töchter eben gekommen waren und er ihnen lachend den Haufen eingegangener Briefe mit Bitten um Billets zeigte, sagte Nina lebhaft:

»Ach, weißt Du, Papa, Mama möchte sehr gern eine Loge zur Generalprobe haben.«

»Gut,« versetzte Fagan, ein wenig verstimmt, wie immer, wenn sie von ihrer Mutter sprachen, »aber unter einer Bedingung, nämlich, daß ihr an dem Abend mit mir und nicht mit ihr geht.«

»Nichts einfacher,« begann Rosa, die eine fügsame Tochter war; aber auf einen Blick ihrer Schwester brach sie ab. Und zugleich fiel Ninette mit emporgehobenem Näschen ein:

»Aber, lieber Vater, Du bedenkst nicht, daß Du bei der Generalprobe Deines Stückes jeden Augenblick auf die Bühne, hinter die Kulissen gerufen werden wirst, und daß wir dann ganz allein bleiben . . .«

»Ich habe wohl daran gedacht,« entgegnete Fagan, »wir werden Frau Hulin mitnehmen.«

»Frau Hulin? – Auf keinen Fall!«

Mit diesen fast tonlos gesprochenen Worten und bestürzten Mienen war Rosa, die sanfte, hübsche Rosa aufgesprungen. Nein, das nicht! Davon könnte keine Rede sein! Um keinen Preis der Welt würde sie sich mit dieser Person öffentlich zeigen.

Der Vater wurde nicht böse, er verbiß sogar ein Lächeln, denn er erkannte sein Blut, seine Rasse, seine Heimatinsel in dieser Heftigkeit.

»Diese Person, mein liebes Kind, wie Du sie nennst, ist eine höchst achtungswerte Dame, und ich weiß nicht, durch wen und zu welchem Zweck Du gegen sie so eingenommen worden bist. Wie kannst Du übrigens glauben, Du meine große geliebte Rosa, daß Euer Vater Euch, ob öffentlich oder nicht, eine Dame zur Begleitung geben wird, welche nicht die Achtbarkeit selbst ist?«

Rosa gab sich nicht überwunden. »Alles, was Du willst; aber ich sowohl wie meine Schwester werden lieber auf die Generalprobe verzichten, als derselben beiwohnen in Begleitung von . . .«

Er ließ sie nicht ausreden. »Gut, meine Kinder. Die Generalprobe wird ohne Euch vor sich gehen. Aber da ich durchaus keine Veranlassung habe, der zukünftigen Frau La Posterolle gefällig zu sein, so bitte ich Euch, dieser zu sagen, daß sie nicht auf die Loge rechnen möchte.«

Es war besonders die Mutter, der er zürnte, denn er zweifelte nicht, daß Rosas Eifersucht durch sie beständig Nahrung fand.

Und in der Tat wußte Frau Ravaut, die durch Nina von den Fortschritten der Vertrautheit zwischen Fagan und seiner Nachbarin aufs genaueste unterrichtet wurde, den kleinsten Umstand zu verwerten. So auch den, daß der kleine Moriz so vollkommen regungslos verhalten und, ausgestreckt liegend, im Wagen herumgefahren werden mußte.

Diesen Wagen nun zog Fagan häufig von dem Kieswege vor dem Hause nach dem Platz unter den schattigen hohen Bäumen, oder er trug, was er allein konnte, den armen kleinen, durch die Krankheit größer gewordenen Krüppel in seinem Jerseyanzug mit weißem Kragen, nachdem er ihn vorsichtig aufgehoben hatte, auf seinen Armen umher, während das Kind sein hellblondes bleiches Köpfchen an die Schulter des älteren Freundes lehnte. Wenn Ninette einen dieser vertraulichen Vorgänge beschrieb, wandte sich die Mutter, welche die schwache Seite ihrer Töchter kannte, an das Fräulein, ihre beständige Vertraute, und sagte laut genug, um von jenen verstanden zu werden:

»Sie werden sehen, daß er das Kind adoptieren und meinen armen Mädchen nur das hinterlassen wird, was ihnen gesetzlich zukommt,«

Seitdem verabscheute Fräulein Ninette, die trotz ihrer Jugend schon sehr auf ihren Nutzen bedacht war, den kleinen Moriz, und zwar in so auffallender Weise, daß das Kind nicht mehr die Bitte, mit ihm zu spielen, an sie zu richten, selbst nicht mehr nach dem Fenster, an dem es sie früher erspäht hatte, hinaufzuschauen wagte. In Rosa, welche die Interessenfragen weniger berührten, vollzog sich ein anderer Prozeß.

Unter ihrer äußeren Schlaffheit sehr leidenschaftlich und namentlich außerordentlich eifersüchtig, empörte sie der Gedanke, daß eine Fremde in dem Herzen ihres Vaters ebensoviel Raum als sie einnahm. Eins jedoch gefiel ihr an Frau Hulin, nämlich deren Frömmigkeit, die sie trotz ihrer unglücklichen Ehe verhinderte, sich scheiden zu lassen. Das junge Mädchen, das von seinem Aufenthalt im Kloster Assomption sich streng religiöse Anschauungen bewahrt hatte, fand dies sehr schön und sprach es in Gegenwart ihrer Mutter aus.

»Geh mir doch,« spöttelte Frau Ravaut, und das Fräulein, eine englische Protestantin, spöttelte mit ihr: »Man kennt diese Frommen. Ihre Religion verhindert sie, sich scheiden zu lassen, aber das ist auch alles, woran sie sie hindert.«

Fräulein Rosa verstand trotz ihrer zur Schau getragenen Unwissenheit einer modernen jungen Pariserin nur zu wohl den Sinn dieser Worte und war überzeugt, daß Pauline Hulin die Geliebte ihres Vaters sei. Daher ihre Entrüstung darüber, mit jener die Loge teilen zu sollen.

Das war wieder ein verdorbener Sonntag, einer von den sonst so hübschen Sonntagen, an denen der Vater aus allen Ecken von Paris Leckereien herbeischleppte, sich auf die Speisekarten seiner Soupers besann, um seine Töchter gut zu bewirten, und den Tisch mit auserlesenen Blumenbuketts schmückte, wobei es ihn zugleich köstlich amüsierte, seine Töchter, die er kennen zu lernen so wenig Gelegenheit hatte, durch geistreiche Einfälle und Wortspiele zu unterhalten.

Heute jedoch zürnte er ihnen, und sein ungewöhnlicher Groll schien die Verleumdungen Frau Ravauts zu bestätigen. Durfte man diese Nachbarin so viel Macht über den Vater gewinnen lassen, der gewöhnlich so leicht und schnell zu erobern war? Er selbst erinnerte sich, indem er die reizenden Toiletten der kleinen, schmollenden Mädchen betrachtete, aller Opfer, die er gebracht, namentlich des letzten, der gewährten Erhöhung des Monatsgeldes, ohne zu rechnen. Und in demselben Augenblick ließ sich das Knirschen des kleinen Wagens auf dem Kies des Gartens hören, zugleich mit der Stimme der sanften, liebenswürdigen Pauline Hulin, deren Schmerzen und Kummer er kannte und gegen die seine Kinder so grausam waren.

Zum erstenmal seit der Einrichtung der vierzehntägigen Sonntage wußten Fagan und seine Töchter nicht, wie sie den Tag mitsammen zu Ende bringen sollten, so daß Anthyme Rosa und Ninette vor der verabredeten Stunde zu Wagen nach Hause brachte.

»Darf ich heute bei Ihnen essen?« fragte der arme Vater Pauline Hulin, und als er den Grund seiner Entzweiung mit seinen Kindern erzählte, wurden ihm statt des Dankes nur Vorwürfe zuteil.

»Wie können Sie Ihren Töchtern deshalb zürnen, daß sie auf Ihre Freundschaft für mich und Moriz eifersüchtig sind. Es ist nichts natürlicher, mein Freund. Uebrigens werde ich nicht zu Ihrer Generalprobe gehen. Wie könnte ich meinen kleinen Kranken verlassen? So sorgsam Annette auch ist, würde ich ihn ihr doch nicht einen ganzen Abend über anvertrauen. Ach, und mir ist das Herz so schwer, wieviel Kummer steht mir bevor! Denken Sie doch, daß ich fast wünschen muß, daß mein Kind ein Krüppel bleibe. – Es ist furchtbar! Aber wenn er gesund wird, nimmt ihn mir sein Vater. – Und Sie wollen, daß ich ins Theater gehe, um mich zu zerstreuen? – O nein – behalten Sie Ihre Töchter bei sich in Ihrer Loge, und sagen Sie mir nur, wann Sie heimkommen, ob Sie befriedigt sind, ob Ihr Stück Erfolg gehabt hat. Ich werde Sie erwarten, ich verspreche es Ihnen.«

Da alles, was sie sagte, aus dem Innern ihrer aufrichtigen Seele kam, mit der ruhigen, unwiderstehlichen Macht einer aus der Tiefe emporsteigenden Woge, so glaubte und gehorchte ihr Freund ihr in allen Stücken.

Als am Abend der Generalprobe Frau Ravaut, von ihrem Verlobten La Posterolle und einem Freunde begleitet, sich mit der Sicherheit einer an derartige Feierlichkeiten gewöhnten Frau eine Proszeniumsloge im ersten Rang öffnen ließ, führte der Verfasser des Stückes seine beiden Töchter unter dem Schutz ihrer Engländerin, die einer bemalten Holzpuppe glich, in eine Parkettloge. Das Haus bot einen geisterhaften Anblick bei den nur zur Hälfte angezündeten Gasflammen dar, die hier und da in den verschiedenen Logenreihen schattenhafte flüsternde Frauengruppen, Kritiker, Freunde des Autors und des Theaters, Putzmacherinnen, Nähterinnen, Ankleiderinnen erkennen ließen, und von Zeit zu Zeit sah man in dem Rahmen einer halb geöffneten Tür die roten Bänder einer Logenschließerin in dem hellen Licht der Korridore flattern.

»Nun, es geht, wie mir scheint,« murmelte Fagan, indem er zwischen seine strahlenden Töchtern den Kopf vorstreckte, der dem eines zum Tode Verurteilten glich, mit Augen ohne Blick und blassen Lippen, als wenn er der Aufführung seines ersten Stückes beiwohnte.

»Ob es geht – höre doch nur,« antwortete Ninette, ohne ihr Beifallklatschen im zweiten Akt zu unterbrechen, dessen Schluß sämtliche in dem Saal zerstreute Gruppen zu einer wahren Ovation vereinigte. Rosa hatte Tränen in den Augen, und oben beugte sich im hellen Lampenlicht Frau Ravaut weit aus ihrer Loge, ohne durch ihre falsche Lage im mindesten sich beengt zu fühlen, und rief als Kennerin unter dem Klappern ihres Fächers: »Ah, sehr gut, das ist hübsch,« und dabei lächelte sie den Schauspielern auf der Szene verständnisvoll und beifällig zu, so daß man sie noch für die Frau des Dichters hätte halten können.

Die Frau des Autors an einem erfolgreichen Abend! Das kannte wohl eine weibliche Eitelkeit erhitzen. Gewiß würde La Posterolle nie eine solche Genugtuung weder ihr noch ihren Töchtern verschaffen – so dachte Regis von Fagan, und nichts hätte seinem Triumph gefehlt, wenn er das zustimmende Lächeln und die ruhige Anmut Pauline Hulis in ihrer dunklen Parketloge gewußt hätte.

Nach dem dritten Akt wuchs noch der Beifall des Stückes, welches im ganzen vier Aufzüge zählte. Fagan, der trunken von jener Freude war, deren die Männer nie müde werden, wollte seine Töchter daran teilnehmen lassen, indem er ihrer Eitelkeit einen unvergeßlichen Genuß bereitete. Er öffnete daher die Tür seiner Loge und empfing vor ihnen die Freunde, Direktoren aus der Provinz und Impresarien, auswärtige Korrespondenten, die das neue Stück des bejubelten Verfassers übersetzen und auf fremde Bühnen verpflanzen wollten. Dazwischen langten Näschereien und Blumen für seine Töchter an. Hände streckten sich ihm entgegen, Glückwünsche wurden ihm aus den Gängen zugerufen und Rosa und Ninette, die von dem väterlichen Erfolg ganz betäubt waren, hatten ihren Anteil an diesen Huldigungen. Beide waren so reizend, wenn auch von verschiedener Anmut, die Kleine mit lachenden Augen und dem Teint eines Heckenröschens, die Große indolent und lässig, mit dem matten Teint einer Kreolin.

Alle jene eleganten Nichtstuer, Journalisten und Börsenspieler sagten sich voll Neid, indem sie sich vor diesen beiden kleinen Pariserinnen in wunderbaren Roben und Hüten verneigten:

»Mit solchen Fetischen ist es kein Wunder, daß er Glück hat.«

Plötzlich öffnete sich die begeisterte Gruppe um den triumphierenden Dichter vor einer blendenden Toilette, und Frau Ravaut stürzte mit ausgestreckten Händen herzu und schüttelte diejenigen Regis wie ein männlicher Kamerad: »Gut das, lieber Fagan, sehr gut.«

Und mit einem strahlenden Lächeln gegen ihre Töchter entfernte sie sich, die Zurückbleibenden durch ihre plötzliche und unvorhergesehene Handlungsweise, die in den Gängen sehr verschieden beurteilt wurde, in eine gewisse Betroffenheit versetzend. Einige sahen darin den plötzlichen Impuls einer überschäumenden Begeisterung, eine die gesellschaftlichen Formen vergessende Kunstliebe, andere, und unter ihnen befand sich Regis, die Reklamesucht der Weltdame, die um jeden Preis »dabei« sein will und sich in jedem Stück, in dem sie nicht mitspielt, eine Rolle schafft.

»Gut das, lieber Fagan,« lachte er bei sich selbst, nachdem er seinen Töchtern und ihrer Gouvernante in den Wagen geholfen hatte, und kehrte zu Fuß nach seiner entfernten Wohnung zurück, um seine erregten Nerven durch den Winterfrost einer sternhellen Nacht zu beruhigen.

Im Gegensatz hierzu erinnerte er sich der Heimkehr mit seiner Gattin an Abenden, wann sein Stück nicht gefallen hatte.

Wie ärgerlich sie dann war, mit welch bösem Lachen sie das Werk und den Dichter herabsetzte! Und wie verächtlich sie die Schultern zu der Hoffnung zuckte, die er noch hegte! Wenn dann am Morgen die Zeitungen kamen, wurde es noch schlimmer, und mit einem wahrhaft teuflischen Vergnügen machte sie ihn in diesem Haufen nörgelnder, klatschender und perfider Blätter auf die schneidendsten und verletzendsten Stellen aufmerksam.

Ah, über den schlechten Lebensgefährten! Heute hatte sie gut sich bemeistern und ihrem lieben Fagan Beifall klatschen! Fagan freute sich, ganz allein im Sternenlicht nach Hause zu gehen, wobei er sich vorstellte, daß sie ohne Zweifel rasend war über den unbestrittenen und fruchtreichen Erfolg, wie er einen solchen zu ihrer Zeit nie erlebt hatte.

Einige Wochen nach der Vorstellung, als sein Name noch auf allen Theaterzetteln stand und sein Bild an den Schaufenstern zu sehen war, verkündeten die Zeitungen die pomphafte Vermählung des Herrn La Posterolle, Berichterstatters über die Petitionen im Staatsrat, mit Frau Ravaut auf der Mairie in der Straße Drouot. Zwei Minister waren die Zeugen des Bräutigams, die der Braut zwei Akademiker, von denen der eine ihr schon bei ihrer ersten Vermählung vor achtzehn Jahren als Zeuge gedient hatte. Natürlich fehlte es nicht an schönen Toiletten und reizenden Frauen. Nach der Zeremonie Empfang des Ehepaares in dessen Wohnung in der Straße Lafitte.

»Aufrichtig,« fragte Frau Hulin ihren Mieter, der an dem Abend sie besuchte, »hat Ihnen heute nicht ein wenig das Herz geklopft?«

Er schwur »Nein!«, worauf er mit zärtlichen Blicken hinzusetzte:

»Ach, ich wünschte, daß auch Sie frei wären. Zwar bin ich noch meiner Töchter beraubt; aber Sie werden sehen, daß Frau La Posterolle sich weniger streng als Frau Ravaut an das Urteil des Tribunals binden wird, und daß meine Kinder mich öfter besuchen werden. Scheidung! Sie sehen, daß es keine andere Lösung gibt.«

Sie aber schüttelte den Kopf mit dem traurigen Lächeln unerschütterlicher Ueberzeugung.

Die Tatsachen schienen indessen Regis recht zu geben. Rosa und Ninette kamen öfter nach dem Boulevard Beauséjour und banden sich nicht an die vierzehntägigen Sonntage. Bald kam die große Schwester, bald die kleine auf einem Gang mit dem Fräulein unvorhergesehen zu Fagan und blieb ein bis zwei Stunden bei ihm. Rosa fuhr fort, mit den Nachbarn zu schmollen, während Ninette jetzt sich von selbst erbot, in den Garten zu gehen, um mit dem kleinen Moriz, welcher der Krücken nicht mehr bedurfte, umherzulaufen.

»Es ist komisch,« sagte der einfältige Anthyme zu der alten Dienerin unten, »aber ich lasse es mir nicht ausreden, daß die frühere Frau des Herrn ihn durch ihre Tochter in bezug auf Ihre Herrin ausspionieren läßt.«

Um dessen gewahr zu werden, bedurfte es keiner großen Schlauheit.

Aber Regis von Fagan, dieser feine Beobachter und Maler des menschlichen Charakters, verwandte, wie viele seiner Genossen, alles was er an Scharfblick und geistiger Feinheit besaß, auf seine Dichtungen und behielt nur genau so viel übrig, als das gewöhnliche Leben erforderte.

Er bemerkte daher die Ueberwachung nicht, unter der er und Pauline Hulin und ihr Verhältnis zu einander standen. Der Zweck, zu welchem es geschah, sollte ihm jedoch bald klar werden.

Eines Morgens, als Fagan früh bei der Arbeit saß, kam Ninette.

Sie hatte den Schleier fest über ihre schlauen Augen gezogen, und ihre kleine Nase war von der scharfen Luft gerötet. Eine Hand hatte sie in die Tasche ihres Jacketts gesteckt, in der anderen schwang sie ihren Schirm. In ihrer ganzen Erscheinung drückte sich etwas Entschlossenes und zugleich Listiges aus, das sie älter aussehen und ihre Aehnlichkeit mit der Mutter scharf hervortreten ließ. Nachdem sie durch einen Blick rings in dem Zimmer sich versichert hatte, daß sie allein wären, begann sie:

»Es ist uns eine große Unannehmlichkeit zugestoßen, lieber Vater. Denke Dir, daß der Cousin – sie sprachen den Namen La Posterolle nie aus – zum Präfekten in Korsika ernannt ist.«

»Und er nimmt an?« rief Fagan, welcher mit einem heftigen Stoß seiner langen Beine seinen Lehnstuhl vom Schreibtisch fortschleuderte. Der kleine Federhut nickte bejahend.

»Und Eure Mutter ist damit einverstanden? Sie denkt nicht mehr an unsere Bedingungen?«

»Die Mutter hat sich der Zukunft ihres Gatten opfern müssen,« antwortete Ninette mit bewunderungswürdiger Würde und Ernsthaftigkeit. »Ajaccio ist als Präfektur nur ein Platz zweiter Klasse, steht aber in erster um des Cousins willen. Bei seinem Alter ist es eine prächtige Stellung.«

Sie war zum Malen, wie sie auf dem Rand ihres niedrigen Lehnstuhles saß, mit der Spitze ihres Schirmes das Muster des Teppichs nachzeichnete und von Zeit zu Zeit spähend die Lider hob, um die Wirkung ihrer Worte besser zu beobachten. Er begriff, daß man sie ihm an Stelle ihrer älteren Schwester schickte, die zu einfach und natürlich war, um etwas Wichtiges von ihm zu erlangen.

Plötzlich stieg ihm dieser verschlagenen kleinen Person gegenüber der Zorn zu Kopf, als ob sie seine ehemalige Frau gewesen wäre.

»Mag Frau La Posterolle ihrem Mann bis ans Ende der Welt folgen, das kümmert mich wenig. Aber es ist mir versprochen und zugeschworen, daß meine Töchter Paris nie verlassen würden. Das wird niemand von mir erlangen, niemals.«

Er bekräftigte seine Willensäußerung mit einem gewaltigen Faustschlag auf seinen Schreibtisch, eine Demonstration, die nur zu häufig die Schwäche und Unfähigkeit des Widerstandes verrät. Fräulein Ninette bemerkte ihm sehr ruhig, daß ihre Mutter nicht daran dächte, sie mit sich zu nehmen, sondern im Gegenteil, sie und ihre Schwester darauf vorbereitet hätte, daß sie bei den Damen des Assomptionklosters bleiben würden, mit der Erlaubnis, jeden zweiten Sonntag ausgehen zu dürfen.

»Nur wirst Du einsehen, lieber Papa,« hier blinzelte sie ihn von unten auf an, »daß der Gedanke, Mama zu verlassen, uns beiden viel Kummer macht, und wir möchten Dich daher bitten, ihr eine von uns zu lassen, entweder Rosa oder mich, ganz wie Du willst, zumal der Aufenthalt des Cousins in Ajaccio nur von kurzer Dauer ist und der Minister ihm versprochen hat . . .«

Die kleine Stimme stieg wie ein Lerchengesang immer höher und höher hinauf, und Regis, der die Augen geschlossen, hätte sich um zehn Jahre zurückversetzt wähnen können, mit Frau von Fagan streitend und schon im voraus durch ihren Wortschwall und unermüdlichen Eigensinn besiegt.

»Ich werde sehen, ich werde darüber nachdenken,« sagte er, indem er sich erhob.

Aber die Zeit drängte. Die Ernennung des Cousins sollte in drei Tagen im Amtsblatt erscheinen.

»Nun gut, mein Kind, morgen früh sollst Du und Deine Schwester Antwort haben.«


 << zurück weiter >>