Alphonse Daudet
Port Tarascon - Letzte Abenteuer des berühmten Tartarin
Alphonse Daudet

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Neuntes Kapitel

Die Stiergefechte in Port Tarascon. – Abenteuer und Gefechte. – Ankunft des Königs Négonko und seiner Tochter Liki-Riki, – Tartarin reibt seine Nase an der Nase des Königs. – Ein großer Diplomat.

In der »Chronik von Port Tarascon«, die wir vor uns haben, ziehen sich Tag um Tag, Seite um Seite die Erinnerungen dahin wie die ewig grauen Regenstriche, wie der Regen, der in trüber, trostloser Einförmigkeit mit der Reede in eins zu verschwimmen scheint; allein wir fürchten, den Leser zu ermüden, und fassen deshalb das Tagebuch Freund Pascalons kurz zusammen.

Da die Beziehungen zwischen der Stadt und der Regierung immer gespannter wurden, beschloß Tartarin, um seine verlorene Popularität wieder zurückzugewinnen, endlich die Stiergefechte abzuhalten, wohlverstanden, nicht mit dem »Römer«, der sich immer noch im Dickicht herumtrieb, aber mit den drei noch übrigen Kühen.

Recht mager und abgezehrt waren sie, diese drei unglücklichen, an Luft und Licht gewöhnten und nun seit ihrer Ankunft in Port Tarascon in einen feuchten, finstern Stall gesperrten Camarguerinnen! Einerlei! Es war doch besser als nichts!

Schon im voraus hatte man auf einem sandigen Terrain am Ufer des Meeres, wo die Bürgerwehr gewöhnlich exerzierte, eine Estrade errichtet; der Zirkus selbst wurde vermittelst einer Anzahl Pfähle und gespannter Seile hergestellt.

Man benützte einen flüchtigen Sonnenblick, und der »Status quo«, wie Tartarin jetzt allgemein hieß, nahm, wie ein Festochse herausgeputzt, von seinen Würdenträgern in großer Gala umgeben, auf der Estrade Platz, während die Kolonisten, die Bürgerwehrmänner mit ihren Frauen, Töchtern und Dienstboten sich um die Seile zusammendrängten, und die Kleinen innerhalb des Kreises hin und her rannten und riefen: »Da! . . . Da! . . . Die Ochsen! . . .«

Vergessen waren für einen Augenblick die Mühsale und Sorgen der langen Regentage, vergessen die Klagen über den Belgier, den schuftigen Belgier. »Da! . . . Da! . . . Die Ochsen! . . .« Schon dieser Ruf allein machte sie trunken vor Freude.

Plötzlich ertönt ein Trommelwirbel.

Das war das Signal. Im Handumdrehen leerte sich der Zirkus und eines der Tiere schritt, von frenetischem Hurrarufen empfangen, in die Schranken.

Es hatte nichts Fürchterliches an sich. Eine arme, ausgemergelte, bestürzte Kuh, die sich mit ihren großen, des Lichts entwöhnten Augen umsah, pflanzte sich in der Mitte des Zirkus auf und rührte sich nicht mehr. Ein langes, klägliches Gebrüll ausstoßend, blieb sie mit ihrem Büschel Bänder zwischen den Hörnern unbeweglich stehen, bis die empörte Menge sie mit Heugabeln aus der Arena jagte.

Mit der zweiten Kuh ging es ganz anders. Nichts konnte sie bestimmen, ihren Stall zu verlassen. Vergebens stieß man sie, zog sie am Schwanz und an den Hörnern, umsonst stach man sie mit der Spitze einer Mistgabel ins Maul, es war ein Ding der Unmöglichkeit, sie zur Thüre hinaus zu bringen.

Nun zur dritten. Man sagte, diese sei sehr böse und sehr gereizt. In der That sprang sie auch im Galopp in die Arena, grub ihre gespaltenen Hufe fest in den Sand, peitschte ihre Flanken mit dem Schwanz und stieß mit dem Kopf nach rechts und nach links. . . . Nun war endlich ein schöner Kampf in Sicht. – Ja, Prost Mahlzeit! Das Tier nimmt einen Anlauf, setzt über das Seil, bricht sich mit seinen gesenkten Hörnern Bahn durch die Menge, läuft geradeswegs auf das Meer zu und stürzt sich hinein.

Im Wasser bis an die Kniee, dann bis an den Widerrist, schritt sie weiter, immer weiter. Bald sah man nur noch ihre Nasenlöcher und ihre beiden halbmondförmigen Hörner über dem Meer. Schweigend, unheilverkündend verharrte sie dort bis zum Abend, und die ganze, am Ufer versammelte Kolonie überschüttete sie mit Steinwürfen und Schimpfreden und zischte und pfiff sie aus, und der arme, von seiner Estrade herniedergestiegene »Status quo« konnte von dem Schimpfen und Pfeifen auch ein gut Teil auf sich beziehen.

Da die Stiergefechte mißglückt waren, mußte die allgemeine schlechte Stimmung abgeleitet werden, wozu sich als das beste der Krieg erwies – der Krieg in Form einer Expedition gegen den König Négonko. Der Schurke hatte sich nach dem Tode Bravidas, Cambalalettes, des Bruders Vézole und so vieler anderer wackerer Tarasconer mit seinen Papuanern aus dem Staub gemacht und seither nichts mehr von sich hören lassen. Er hauste, wie man sagte, auf einer benachbarten, zwei oder drei Meilen entfernten Insel, deren verschwommene Umrisse man an hellen Tagen entdecken konnte, die sich aber die meiste Zeit hinter dem regenumschleierten Horizont versteckt hielt. Tartarin, ein Mann des Friedens, hatte lange vor einer solchen Expedition zurückgebebt, aber diesmal ließ er sich von der Politik bestimmen.

Nachdem die Schaluppe flott gemacht, ausgebessert, verproviantiert, im Bug mit der Feldschlange geschmückt worden war, die von Bruder Bataillet und seinem Meßner Galoffre bedient wurde, schifften sich unter dem Befehl Excourbaniès' und des Marquis von Espazettes zwanzig wohlbewaffnete Bürgerwehrsoldaten ein, und eines schönen Morgens stach man in See.

Ihre Abwesenheit währte drei Tage, die der Kolonie sehr lang wurden. Gegen Ende des dritten Tages rief ein Schuß der Feldschlange von der See her alles ans Ufer, und man sah die Schaluppe mit vollen Segeln, den Bug stolz aufgerichtet, in raschem Lauf dahereilen, als ob sie von einem Siegeswind getrieben würde.

Noch ehe das Schiff die Küste erreicht hatte, verkündete das fröhliche Geschrei der Bemannung und das »fen dé brut« Excourbaniès' schon von weitem den großen Erfolg der Expedition.

Man hatte an den Kannibalen eine glänzende Rache genommen, eine Menge Dörfer verbrannt und nach der allgemeinen Aussage Tausende von Kriegern getötet. Die Zahl lautete verschieden, war aber immer ungeheuer; auch die Erzählungen stimmten nicht ganz überein; gewiß ist nur, daß man fünf oder sechs hervorragende Gefangene, worunter den König Négonko selbst und seine Tochter Liti-Riki, mit sich führte und unter den, den Siegern erwiesenen Ehrenbezeigungen in das Regierungsgebäude verbrachte.

Die Bürgerwehrsoldaten marschierten im Parademarsch vorbei, wobei sie, wie die Soldaten des Christoph Kolumbus nach ihrer Rückkehr aus der Neuen Welt, alle Arten sonderbarer Gegenstände trugen, wie leuchtende Federn, Tierhäute, Waffen und sonstigen Plunder der Wilden. Die Menge drängte sich hauptsächlich um die Gefangenen, die von den guten Tarasconern mit gehässiger Neugierde betrachtet wurden. Der Bruder Bataillet hatte über ihre schwarzbraune Nacktheit einige Decken werfen lassen, die sie zur Hälfte verhüllten. Wenn man sie so herausstaffiert sah und sich sagte, daß sie den Bruder Vézole, den Notar Cambalalette und so viel andre gefressen hatten, so fühlte man denselben schaudernden Widerwillen, wie in den Menagerieen beim Anblick der Riesenschlangen, die unter den Falten ihrer wollenen Decken verdauen.

Der König Négonko, ein alter, langer Schwarzer mit dem Dickbauche eines Säuglings und mit so dichtem, krausem weißen Haar, daß es seinen Kopf wie eine Kappe bedeckte, schritt voran; eine rote Marseiller Thonpfeife hing an einem Bindfaden von seinem linken Arm herunter. Neben ihm ging die kleine Liki-Riki, ein Teufelchen mit feurigen Augen, den Hals mit Korallenschnüren, die Handgelenke mit Armbändern aus rosigen Muscheln geschmückt. Dann kamen große schwarze, langarmige Affen, die mit abscheulichem Grinsen ihre spitzen Zähne fletschten.

Zuerst erlaubte man sich einige Scherze, man sagte: »Das gibt Arbeit für Fräulein Tournatoire«, und das gute, alte Fräulein, aufs neue von seiner fixen Idee befallen, dachte im Ernste daran, all diese Wilden zu bekleiden; aber bei der Erinnerung an die von den Kannibalen gefressenen Landsleute verwandelte sich die Neugierde gar bald in Wut. Rufe: »Nieder mit ihnen! . . . Nieder mit ihnen!« ließen sich hören. Excourbaniès hatte, um sich ein militärisches Ansehen zu geben, die Redensart Scrapouchinats angenommen und schrie, man solle sie niederschießen wie grüne Affen.

Tartarin wandte sich zu ihm und hielt mit einer Handbewegung den Wütenden zurück: »Spiridion,« sagte er, »wir müssen die Kriegsgesetze achten! Lassen Sie sich nicht allzu sehr hinreißen!« Hinter diesen schönen Worten verbarg sich eine politische Maßregel.

Obgleich er den Herzog von Mons hartnäckig verteidigte, hegte Tartarin im Grunde seines Herzens doch einen Zweifel. Wie wenn er es dennoch mit einem Schurken zu thun gehabt hätte! Dann wäre der Vertrag, den von Mons, wie er sagte, mit dem König Négonko geschlossen hatte, so falsch wie alles andre, das Territorium gehörte ihnen gar nicht, und die Bons auf die Hektare wären nur wertloses Papier.

Deshalb bereitete der Gouverneur, weit davon entfernt, seine Gefangenen wie grüne Affen erschießen lassen zu wollen, dem König der Papuaner einen festlichen Empfang.

Er wußte, wie das anzufangen war, hatte er doch alle Reisebeschreibungen der Seefahrer gelesen und wußte Cook, Bougainville und von Entrecasteaux auswendig.

Tartarin näherte sich Négonko und rieb seine Nase an der des Königs. Der Wilde schien sehr überrascht, denn dieser Gebrauch existierte bei diesen Völkerschaften schon längst nicht mehr. Immerhin ließ es der König geschehen, denn er hielt es ohne Zweifel für eine alte tarasconische Sitte; und als die andern Gefangenen dies sahen, wollten sie alle, selbst die kleine Liki-Riki, die nur ein Katzennäschen, ja beinahe gar keine Nase hatte, durchaus die gleiche Zeremonie mit Tartarin vornehmen.

Nachdem man sich genugsam die Nasen gerieben hatte, handelte es sich darum, sich auch vermittelst der Rede mit diesen Bestien in Verbindung zu setzen. Zuerst sprach der Bruder Bataillet mit ihnen in seinem »dortigen« Papuanisch; da es aber nicht das »hiesige« war, verstanden sie natürlich nicht das mindeste davon. Cicero Franquebalme, der beinahe Englisch konnte, versuchte sich in dieser Sprache, während Excourbaniès einige spanische Brocken stammelte, natürlich beide mit gleich wenig Erfolg.

»Immerhin können wir ihnen was zu essen geben,« bemerkte Tartarin.

Man öffnete einige Büchsen mit Thunfisch. Dies verstanden die Wilden und warfen sich über die Konserven, die sie laut schmatzend verschlangen, um dann die geleerten Büchsen mit ihren öltriefenden Fingern gründlich auszuwischen. Nachdem sie in großen, tiefen Zügen Branntwein getrunken hatten, der ihnen ganz besonders zuzusagen schien, stimmte der König zu Tartarins und der übrigen größter Verwunderung mit rauher Stimme an:

»Aus freiem Willen
Oder gezwungen
Müssen sie wagen
Ohne zu klagen
Den Sprung vom Balkon
Zu Tarascon
Hinab in die Rhon'!«

Von diesem Wilden mit seinen wulstigen Lippen und seinen mit Betel schwarz gefärbten Zähnen hervorgestoßen, nahm dies tarasconische Lied ein ganz phantastisches, wildes Gepräge an. Aber wie hatte Négonko tarasconisch gelernt?

Nachdem sich die erste Verblüfftheit gelegt hatte, folgte die Erklärung.

Während der paar Monate, die sie in der Nachbarschaft der unglücklichen Fahrgäste der »Farandole« und des »Lucifer« verlebt, hatten die Papuaner die an den Ufern der Rhone heimische Sprache erlernt. Wohl entstellten sie dieselbe ein wenig, allein mit Zuhilfenahme von Gebärden und Zeichen vermochte man sich doch zu verständigen.

Und man verstand sich.

Ueber den Herzog von Mons befragt, erklärte der König Négonko, daß er diesen oder einen ihm irgend ähnlichen Weißen in seinem Leben nicht gesehen und auch nie von ihm habe sprechen hören.

Gleichermaßen sei auch die Insel niemals verkauft worden; gleichermaßen sei auch niemals ein Vertrag abgeschlossen worden.

Niemals ein Vertrag! . . . Ohne sich irgendwie zu ereifern, ließ Tartarin sofort einen solchen entwerfen. Vor allem war der hochgelehrte Franquebalme bei der scharfen, genauen Abfassung des Schriftstückes beteiligt. Er legte seine ganze Gesetzeskunde hinein, fand zahlreiche »in Erwägung, daß . . .« und auf diese Weise gelang's ihm, einen festgefügten Vertrag zusammenzukitten.

Der König Négonko trat die Insel Port Tarascon um ein Fäßchen Rum, zehn Pfund Tabak, zwei baumwollene Regenschirme und ein Dutzend Hundehalsbänder ab.

Eine dem Vertrag angehängte Klausel berechtigte Négonko, seine Tochter und seine Gefährten sich auf der westlichen Küste der Insel niederzulassen, in demjenigen Teil des Eilandes, den man aus Angst vor dem »Römer«, dem wunderbaren, zum Bison gewordenen Stier, dem einzigen gefährlichen Tier in der Kolonie, niemals betrat.

All dies wurde in geheimer Sitzung beschlossen und in einigen Stunden erledigt.

Dank der diplomatischen Geschicklichkeit Tartarins wurden also die Bons auf die Hektare gültig und repräsentierten wirklich etwas, was bisher noch nicht der Fall gewesen war.


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