Alphonse Daudet
Port Tarascon - Letzte Abenteuer des berühmten Tartarin
Alphonse Daudet

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Zweites Kapitel.

Die Apotheke auf der Placette. – Erscheinung eines Mannes aus dem Norden. – »Es ist der Wille Gottes, Herr Herzog!« – Ein Paradies jenseits des Oceans.

Einige Zeit nach der Schließung des Klosters schöpfte der Apotheker Bézuquet eines Abends in Gesellschaft seines Lehrlings Pascalon und des hochwürdigen Vaters Bataillet frische Luft vor seiner Thür.

Wir dürfen nämlich nicht verschweigen, daß die vertriebenen Mönche von den tarasconischen Familien freudig aufgenommen worden waren. Eine jede wollte ihren Weißen Bruder haben. Die Gutgestellten, die Kaufleute und Bürger, besaßen ein jeder seinen eignen Weißen Bruder, während die Handwerkerfamilien sich zu mehreren zusammenthaten, um einen dieser heiligen Männer gemeinschaftlich zu unterhalten.

In jedem Laden sah man eine weiße Kutte. Bei dem Waffenschmied Costecalde inmitten der Gewehre, Karabiner und Jagdmesser, im Geschäftslokal des Kurzwarenhändlers Beaumevieille hinter den reihenweise geordneten Seidenrollen – überall erschien der nämliche große weiße Vogel, wie eine Art Hauspelikan. Und die Anwesenheit der Brüder war für jeden Haushalt ein wahrer Segen. Gebildet, sanft, heiter, bescheiden, wie sie waren, behinderten sie niemand und machten sich nicht breit im Hauswesen. Eine ungewohnte Güte und Zurückhaltung ging von ihnen auf ihre Umgebung aus.

Es war, als hätte man den lieben Gott bei sich zu Gaste: die Männer beschränkten sich im Fluchen und Schimpfen aufs notwendigste; die Frauen logen nicht mehr, oder wenigstens kaum mehr; die Kleinen blieben artig und aufrecht auf ihren hohen Stühlen sitzen.

Des Morgens und des Abends beim Gebet, beim Benedicite und Gratias breiteten sich die großen weißen Aermel wie schützende Fittige über die ganze versammelte Familie aus, und mit diesem beständigen Segen über ihrem Haupt konnten die Tarasconer gar nicht umhin, einen tugendhaften, gottseligen Lebenswandel zu führen.

Ein jeder war stolz auf seinen Hochwürdigen, und rühmte ihn und suchte ihn zur Geltung zu bringen, am meisten aber der Apotheker Bézuquet, dem das Glück zu teil geworden war, den Bruder Bataillet zu bekommen.

Ganz Feuer, ganz Nerv war dieser hochwürdige Vater Bataillet mit einer wirklich volkstümlichen Beredsamkeit begabt und besonders berühmt wegen seiner Art, Parabeln und Legenden zu erzählen. Es war ein prächtiger, gut gebauter Bursche mit gebräunter Hautfarbe, glühenden Augen und dem Kopf eines karlistischen Parteiführers. Unter den schweren Falten seines groben, wollenen Gewandes sah er wirklich schön und stattlich aus, obgleich eine seiner Schultern etwas höher war als die andre und er beim Gehen beide Füße nach derselben Seite setzte.

Allein diesen kleinen Fehler bemerkte man nicht mehr, wenn er nach der Predigt von der Kanzel herunterstieg und, seine große Nase hoch in der Luft, noch ganz erregt und von seiner eignen Beredsamkeit erschüttert durch die Menge schritt, der Sakristei zustrebte. Die Frauen schnitten ihm, während er vorüberging, aus lauter Begeisterung mit ihren Scheren Stücke aus seiner weißen Kutte, weshalb man ihn auch den »ausgezackten Bruder« nannte; seine Kleider waren immer so zerstückelt und so schnell unbrauchbar gemacht, daß das Kloster schwer that, ihn immer wieder mit neuen auszustatten.

Bézuquet befand sich also mit Pascalon vor der Apotheke, und ihnen gegenüber saß Bruder Bataillet rittlings auf seinem Stuhl. In der glücklichen Sicherheit der Ruhe atmeten sie mit Wonne auf, denn um diese Tagesstunde gab es für Bézuquet keine Kundschaft mehr. Es war wie in der Nacht: die Kranken konnten sich krümmen und winden; der brave Apotheker hätte sich um nichts in der Welt mehr stören lassen – die Zeit zum Kranksein war vorbei.

Er lauschte, wie auch Pascalon, einer der schönsten Geschichten, wie sie der Hochwürdige zu erzählen verstand, während man aus der Ferne zwischen das einen schönen Sonnenuntergang begleitende Zwitschern und Trillern hinein die Klänge des Zapfenstreichs vernahm.

Plötzlich erhob sich der Lehrling errötend und ergriffen und stotterte, mit dem Finger nach dem entgegengesetzten Ende der Placette deutend: »Da ist Herr Tar . . . tar . . . tarin!«

Man weiß, welche ganz besondere, persönliche Bewunderung Pascalon für den großen Mann hegte, dessen lebhaft gestikulierende Silhouette sich da drüben in Begleitung einer andern, grau behandschuhten, sorgfältig gekleideten Persönlichkeit, die still und steif zuzuhören schien, von dem leuchtenden Abendhimmel abhob.

Einer aus dem Norden, das sah man sofort.

Im Süden erkennt man den Mann aus dem Norden ebenso sicher an seiner ruhigen Haltung und seiner gedrängten Redeweise, als sich der Mann aus dem Süden im Norden durch sein Uebermaß an Lebhaftigkeit in Bewegung und Rede verrät.

Die Tarasconer waren es längst gewöhnt, Tartarin in Gesellschaft von Fremden zu sehen, denn niemand reist durch ihre Stadt, ohne den berühmten Löwentöter, den allbekannten Alpinisten, den modernen Vauban,Französischer Marschall und Ingenieur 1683 – 1707, Erbauer der meisten französischen Festungen. Anm. d. Uebers. dem die Belagerung von Pampérigouste neuen Ruhm verliehen hat, als Sehenswürdigkeit zu besuchen. Aus diesem Fremdenzufluß folgte eine bisher nie dagewesene Aera des Gedeihens.

Die Wirte wurden vermöglich: die Buchhändler verkauften Lebensbeschreibungen des großen Mannes: an allen Schaufenstern sah man seine Photographie als Türke, als Bergsteiger, als Seefahrer, – kurz in allen Gestalten, in allen Lagen seines heldenhaften Daseins war er zu haben.

Allein diesmal war es kein gewöhnlicher Besuch, kein zufällig Durchreisender, der Tartarin begleitete.

Als der Held die Placette quer durchschritten hatte, deutete er mit salbungsvoller Bewegung auf seinen Gefährten: »Mein lieber Bézuquet, hochwürdiger Vater, ich stelle Ihnen hiermit den Herrn Herzog von Mons vor. . . .«

Ein Herzog! . . . Au!

Es war noch nie ein solcher in Tarascon gewesen. Man hatte dort wohl schon ein Kamel, einen Affenbrotbaum, eine Löwenhaut, eine Sammlung vergifteter Pfeile und Ehrenalpenstöcke gesehen . . . aber einen Herzog . . . nie!

Bézuquet hatte sich erhoben und verbeugte sich schüchtern, denn er war etwas verlegen, sich ganz unvorbereitet in Gegenwart einer so hohen Persönlichkeit zu sehen. Er stammelte: »Herr Herzog . . . Herr Herzog . . .« Tartarin unterbrach ihn.

»Wir wollen hineingehen, meine Herren, wir haben wichtige Angelegenheiten zu besprechen.«

Er warf sich in die Brust und trat mit geheimnisvoller Miene voran in das kleine Empfangszimmer der Apotheke, in dessen einzigem auf den Platz gehenden Fenster die großen bauchigen Glasflaschen mit Embryonen, die langen gestrickten BandwürmerIn den Schaufenstern der Apotheken in der Provinz werden häufig gestrickte Würmer ausgestellt zum Zeichen, daß hier Wurmmittel verkauft werden. Anm. d. Uebers. und Pakete von Kampfercigaretten ausgestellt waren.

Die Thür schloß sich hinter ihnen wie hinter einer Schar von Verschwörern. Pascalon blieb im Laden zurück mit dem strengen Befehl Bézuquets, den Kunden Auskunft zu erteilen und niemand, wer es auch immer sei, in die Nähe der Zimmerthür kommen zu lassen.

Der sehr neugierig gewordene Lehrling begann nun die Schachteln mit Süßholzsaft, die Flaschen mit Sirupus gummi und andere Apothekerwaren auf den Regalen zu ordnen.

Ab und zu drang das Geräusch der Stimmen bis zu ihm; hauptsächlich vernahm er Tartarins Baß, der sonderbare Worte verlauten ließ: »Polynesien . . . Irdisches Paradies . . . Zuckerrohr, Destillation . . . Freie Kolonie! . . .« Dann die laute Stimme Bruder Bataillets: »Bravo, ich bin dabei!«

Der Mann aus dem Norden sprach so leise, daß man nichts davon hörte, Pascalon mochte sein Ohr noch so sehr ans Schlüsselloch drücken.

Plötzlich öffnete sich die Thür mit Geräusch, sie wurde von der energischen Faust des frommen Bruders manu militari aufgestoßen und der Lehrling flog in die entgegengesetzte Ecke der Apotheke, allein in der allgemeinen Aufregung wurde dies von niemand beachtet.

Auf der Schwelle stehend, die Hand gegen die Mohnköpfe erhebend, die an der Decke der Apotheke zum Trocknen aufgehängt waren, rief Tartarin mit der Miene des Erzengels, der das feurige Schwert schwingt: »Es ist der Wille Gottes, Herr Herzog! Unser Werk wird ein großes Werk sein!«

Darauf ein Durcheinander ausgestreckter Hände, die sich suchten, vereinten, drückten und sich so energisch schüttelten, als sollten sie für alle Zeiten gültige, unumstößliche Verabredungen besiegeln. Noch ganz erhitzt von diesem letzten Herzenserguß verließ Tartarin hochaufgerichtet, wie gewachsen, die Apotheke, um mit dem Herzog von Mons seinen Gang durch die Stadt fortzusetzen.

Zwei Tage nachher waren das »Forum« und der »Galoubet« voll Artikeln und Lobeserhebungen über ein großes Unternehmen. Die gesperrt gedruckte Überschrift lautete:

»Freie Kolonie Port Tarascon.« Und dann verblüffende Bekanntmachungen: »Zu verkaufen, Ländereien zu fünf Franken den Hektar, der einen jährlichen Ertrag von mehreren Tausenden abwirft. . . . Schnelle, sichere Erwerbung eines Vermögens. . . . Kolonisten gesucht.«

Dann folgte die Geschichte der Insel, auf der die geplante Kolonie gegründet werden sollte. Der Herzog hatte die Insel, die noch von andern Ländergebieten umgeben war, auf denen man sich später ausbreiten konnte, auf einer seiner Reisen dem König Négonko abgekauft.

Ein paradiesisches Klima, trotz der Nähe des Aequators, sehr gemäßigte, oceanische Temperatur, zwischen fünfundzwanzig und achtundzwanzig Grad; sehr fruchtbares Land, mit fabelhaftem Waldbestand und wunderbar bewässert; die Insel steigt ziemlich steil aus dem Meer empor, was jedermann gestattet, sich die seiner Neigung entsprechende Höhenlage auszuwählen. Lebensmittel waren im Ueberfluß vorhanden, köstliche Früchte auf allen Bäumen, Wildbret aller Art in Wald und Feld, Fische ohne Zahl in allen Gewässern. Auch für Schiffahrt und Handel war gesorgt: eine herrliche Reede, groß genug für eine ganze Flotte, ein durch Dämme gebildeter Sicherheitshafen mit Binnenhafen, ein Trockendock, Quais, Ausladeplätze, Leuchtturm, Küstentelegraph, Dampfkrahnen – nichts fehlte.

Chinesische und kanakische Arbeiter hatten unter der Leitung und nach den Plänen der geschicktesten Ingenieure und der ausgezeichnetsten Architekten schon mit den Arbeiten begonnen. Die Kolonisten würden bei ihrer Ankunft behagliche Wohnungen finden, ja, um fünfzig Franken mehr würden die Häuser sogar den Bedürfnissen des Einzelnen entsprechend eingerichtet werden.

Es läßt sich leicht denken, wie die Einbildungskraft der Tarasconer beim Lesen dieser Wunder zu arbeiten anfing. In allen Familien wurden Pläne gemacht. Der eine träumte von grünen Jalousieen, der andre von einer hübschen Freitreppe; dieser wollte Back-, jener Bruchsteine haben.

Man zeichnete, man malte, man fügte eine Einzelheit an die andre: ein Taubenschlag wäre reizend, eine Wetterfahne würde sich auch nicht übel machen.

»O, Papa, eine Veranda!«

»Ihr sollt eine Veranda haben, Kinder!«

Die Kosten waren ja nicht der Rede wert! . . .

Während die biederen Bewohner von Tarascon sich so alle ihre Wünsche in betreff idealer Wohnungen befriedigten, wurden die Artikel des »Forum« und des »Galoubet« von allen Zeitungen des Südens abgedruckt, die Städte und das Land wurden mit Prospekten überschwemmt, deren Vignetten Palmbäume, Kokospalmen, Bananen, Latanen, kurz die ganze exotische Flora entfalteten; eine ungezügelte Propaganda verbreitete sich über die ganze Provence.

In raschem Trab eilte das Kabriolett Tartarins über die staubigen Landstraßen des Tarasconischen Stadtgebietes dahin. Tartarin fuhr selbst und der Bruder Bataillet saß neben ihm; sie drückten sich fest aneinander, die beiden, um mit ihren Leibern ein Bollwerk für den Herzog zu bilden, der, in einen grünen Schleier eingewickelt, hinter ihnen saß und von den Moskitos fast aufgefressen wurde; gereizt durch das Blut des Mannes aus dem Norden, bestürmten ihn die summenden Schwärme wütend von allen Seiten und schienen ganz darauf versessen, ihn mit schwellenden Stichen zu bedecken.

Ein echter Nordländer, dieser Mann! Keine Gebärden, wenig Worte und eine Kaltblütigkeit! . . . Der ließ sich nicht hinreißen, sicher nicht, der sah die Dinge wie sie sind. Man konnte ruhig sein.

Und auf den von Platanen beschatteten Plätzchen der alten Marktflecken, in kleinen, von Fliegen beinahe aufgefressenen Schenken, in Tanzsälen, kurz überall gab es Ansprachen, Predigten, Beratungen.

In klaren, bündigen Worten, mit der Schlichtheit der nackten Wahrheit schilderte der Herzog von Mons die Herrlichkeit von Port Tarascon und die Vorteile des Unternehmens: in feuriger Rede predigte der Mönch die Auswanderung nach der Art Peters von Amiens. Tartarin, mit dem Staub der Landstraße so bedeckt, als ob er von einer Prügelei käme, schleuderte mit seiner tiefen Stimme einige dröhnende, von einer energischen Bewegung begleitete Worte über die Köpfe der Anwesenden hin: »Sieg, Eroberung, neues Vaterland.«

Ein andermal wurden Versammlungen zur Widerlegung von Einsprüchen gehalten, bei denen alles durch Frage und Antwort abgemacht wurde.

»Gibt es giftige Tiere?«

»Nicht eins. Keine Schlange. Nicht einmal Moskitos. Von reißenden Tieren keine Spur.«

»Aber man sagt, es gebe da drüben in Australien Menschenfresser?«

»Nimmermehr! Lauter Vegetarianer. . . .«

»Ist es wahr, daß die Wilden ganz nackt herumlaufen?«

»Da ist vielleicht ein bißchen was Wahres daran, aber es ist auch nicht so schlimm. Uebrigens werden wir sie bekleiden.«

Zeitungsartikel, Besprechungen, alles hatte einen rasenden Erfolg. Die Anteilscheine gingen nach Hunderten und Tausenden ab, die Auswanderer drängten sich in Scharen herzu, und nicht nur aus Tarascon, sondern aus dem ganzen Süden. Selbst aus Beaucaire kamen welche, was aber die Tarasconer sehr kühn fanden.

Seit Jahrhunderten besteht nämlich zwischen den beiden nur durch die Rhone voneinander getrennten Nachbarstädten ein dumpfer, unauslöschlicher Haß.

Forscht man den Gründen dieses Hasses nach, so erhält man von beiden Seiten Antworten, die nichts erklären.

»Wir kennen sie, die Tarasconer,« sagen die Bewohner von Beaucaire in geheimnisvollem Ton.

Und die Bewohner Tarascons erwidern mit schlauem Augenblinzeln: »Man weiß, was sie taugen, die Herren Beaucairesen.«

In Wahrheit ist die Verbindung zwischen den beiden Städten gleich null und die Brücke, die man zwischen ihnen errichtet hat, bleibt gänzlich unbenutzt. Niemals hat sie jemand überschritten – anfangs aus Feindseligkeit und später, weil die Heftigkeit des Mistral und die Breite der Rhone an dieser Stelle den Uebergang sehr gefährlich machen.

Allein wenn man auch die Kolonisten aus Beaucaire nicht wünschte, so wurde doch jedermanns Geld bereitwilligst angenommen. Die famosen Hektare zu fünf Franken (Erträgnis mehrere tausend Franken jährlich) gingen massenweise ab. Auch wurden allenthalben die Gaben in Naturalien angenommen, mit denen die eifrigsten Anhänger des Unternehmens die Bedürfnisse der Kolonie zu decken suchten. Das »Forum« veröffentlichte die Listen, und unter den eingelaufenen Gaben befanden sich die merkwürdigsten Dinge:

Ungenannt: Eine Schachtel kleiner weißer Perlen. – Eine Anzahl Nummern des »Forum«.

Herr Bécoulet: Fünfundvierzig Chenille- und Perlennetze für die indianischen Frauen.

Frau Dourladoure: Sechs Taschentücher und sechs Messer für das Pfarrhaus.

Ungenannt: Ein gesticktes Banner für die Liedertafel.

Andusa von Magelone: Ein ausgestopfter Flamingo.

Familie Margue: Sechs Dutzend Hundehalsbänder.

Ungenannt: Ein mit Litzen ausgenähter, kurzer Rock.

Eine fromme Dame aus Marseille: Ein Meßgewand, eine Goldverbrämung für das Gewand des Rauchfaßträgers, eine Decke für die Monstranz.

Dieselbe: Eine Käfersammlung unter Glas und Rahmen.

Und regelmäßig war in jeder Liste eine Gabe von Fräulein Tournatoire erwähnt: Ein ganzer Anzug zur Bekleidung eines Wilden. Das war die ständige Sorge dieser guten alten Jungfer.

Diese sonderbaren, phantastischen Gaben, bei denen die südliche Einbildungskraft all den lächerlichen Unsinn entfaltete, dessen sie fähig ist, wurden kistenweise nach den Docks geschickt, in die großen Magazine der Freien Kolonie, die in Marseille eingerichtet worden waren. Dort hatte auch der Herzog sein Hauptquartier aufgeschlagen.

In seinen üppig eingerichteten Bureaux betrieb er die Geschäfte im großen und gründete Gesellschaften zur Destillation von Zuckerrohr oder zum Betrieb des Trepangfanges, einer Art Molluske, die von den Chinesen als Leckerbissen sehr geschätzt und, wie der Prospekt sagte, teuer bezahlt wird. Jeder Tag sah irgend einen neuen Gedanken aufkeimen, irgend eine neue Gründung des unermüdlichen Herzogs entstehen, die des Abends schon im besten Zuge war.

Zwischenhinein organisierte er ein Komitee der Marseiller Aktionäre unter dem Vorsitz des griechischen Bankiers Kagaraspaki; die Kapitalien wurden an das ottomanische Bankhaus Pamen-yaï-ben-Kaga bezahlt, ein durchaus sicheres Haus.

Tartarin führte jetzt ein fieberhaft unruhiges Leben, das er auf dem Weg von Tarascon nach Marseille und von Marseille nach Tarascon verbrachte. Er schürte die Begeisterung seiner Mitbürger, setzte die lokale Propaganda fort und war dann plötzlich wieder einmal mit dem Expreßzug verschwunden, um irgend einer Beratung oder einer Versammlung von Aktionären anzuwohnen. Seine Bewunderung für den Herzog wuchs mit jedem Tag.

Allen rühmte er die Kaltblütigkeit und den bedächtigen Verstand des Herzogs von Mons.

»Keine Gefahr, daß der übertreibt; mit ihm sind jene Schwabenstreiche unmöglich, die uns Daudet so sehr vorgeworfen hat.«

Dagegen zeigte sich der Herzog wenig und sprach, beständig unter seinem Moskitoschleier verborgen, noch weniger. Der Mann des Nordens trat vor dem Mann des Südens zurück; er schob ihn beständig vor und überließ ihm und seiner unerschöpflichen Redseligkeit die Sorge für alle Erklärungen, Versprechungen und Verbindlichkeiten. Er begnügte sich damit, zu sagen: »Herr Tartarin allein kennt alle meine Gedanken.«

Ob Tartarin stolz war! . . .


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