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Neuntes Kapitel.

In der Akademie.

Der klassische Palast, der unter dem Blei seines Kuppeldaches, am Ende der Pont des Arts, am Eingange des gelehrten Paris, schlummert, zeigte an diesem Morgen ein Aussehen von ungewöhnlichem Leben und schien bis zur Bauflucht der Kaimauern vorzurücken. Trotz des Regens, eines prasselnden Juni-Regens, welcher gußweise fiel, drängte die Menge sich an den Stufen der großen Pforte, rollte sich an den Gittern und Mauern in Form einer Theater-Queue auf, strömte unter dem Gewölbe der Rue de Seine hin – eine Menschenflut in Handschuhen, in gesetzter Ordnung und vornehmer Kleidung – eine Menge, die sich mit Geduld in ihr Schicksal fügte, da sie wußte, daß sie Einlaß finden würde, Einlaß zu finden im Begriff stand auf Grund der kleinen, in dem Platzregen schimmernden Kärtchen verschiedener Färbung, womit ein jeder einzelne ausgerüstet war.

Nicht minder regelmäßig nahmen auch die Wagen in Reih und Glied Stellung auf dem leeren Kai de la Monnaie – alles, was Paris an Luxusgefährten besaß – kokette oder strahlende Livreen unter dem plebejischen Schutze von Regenschirmen und Wasserstiefeln, Livreen, an denen man die alten ›Bourbonen-Perrücken‹ mit langer Locke zwischen zwei Schleifen, den Goldschmuck der Tressen und auf den in gleicher Linie liegenden Füllungen die Wappen, die großen Schilder Frankreichs und Europas, selbst königliche Devisen sah, wie die Balken eines längs der Seine entlang wallenden d'Hozier von mächtiger Größe. Wenn ein Sonnenstrahl, ein Husch von jener Pariser Sonne, die dem Liebreiz eines Lächelns auf ernstem Gesichte entspricht, dazwischen hinein glitt, hellte sich alles zu Reflexen von regenfeuchten Schimmern auf, das Geschirr und das Zaumzeug, die Helme der Gardesoldaten, die Haube des Doms, die gußeisernen Löwen am Eingange, die gewöhnlich staubig und trübe aussehen und jetzt wieder ein schönes, reingewaschenes Schwarz zeigen.

Dann und wann, an feierlichen Aufnahme-Tagen, hat das alte Institut nachmittags solche Momente eines plötzlichen und interessanten Erwachens. An diesem Morgen aber handelte es sich nicht um Aufnahme. Die Jahreszeit war viel zu weit vorgerückt, und die zur Aufnahme ausersehenen Personen, die gefallsüchtig sind wie Komödianten, würden niemals sich zu einem Debüt verstehen, nachdem der Pariser Preis schon vergeben, der »Salon« geschlossen ist, nachdem die Koffer schon für die Fahrt gepackt sind. Heute handelte es sich einzig und allein um eine Verteilung von akademischen Preisen: eine Ceremonie, mit welcher kein großer Glanz verbunden ist und die in der Regel bloß die Familien der Preisgekrönten heranlockt. Was diesen ungewöhnlichen Herbeilauf, diesen aristokratischen Andrang zu den Thoren des Instituts verursacht, das ist der Umstand, daß sich unter der Zahl der preisgekrönten Arbeiten die »Denkschrift über die Belagerung von Ragusa« vom Prinzen von Rosen befand, und daß die monarchische Coterie hieraus Kapital geschlagen hatte, um eine Manifestation gegen die am Ruder befindliche Regierung unter dem Schutze ihrer Stadt-Polizei ins Werk zu setzen. Durch einen außergewöhnlichen Zufall oder infolge von einer Wirkung jener Intrigen, die insgeheim auf Maulwurfswegen die offiziellen oder akademischen Terrains durchwühlen und höhlen, war der ständige Sekretär erkrankt, und der Bericht über die preisgekrönten Arbeiten mußte durch den sehr edlen Herzog von Fitz-Roy verlesen werden. Man wußte nun, daß dieser, der ein Legitimist war bis zum letzten Blutstropfen, die glühendsten Stellen in dem Werke Herberts herausheben und zur vollsten Geltung bringen würde – in diesem schönen historischen Pamphlet, um welches sich alle Ergebenheit, alle Glut der Partei geschart hatte. Alles in allem also einer von jenen hämischen Protesten, welche die Akademie sogar unter dem Kaiserreiche wagte, und welchen die gutmütig mädchenhafte Nachsicht der Republik Genehmigung und Vorschub lieh.

Mittag. Die an der alten Uhr läutenden zwölf Schläge verursachen einen Aufruhr, eine Bewegung in der Menge. Die Thüren stehen offen. Man schreitet langsam, planmäßig den Eingängen der Place Mazarine und der Rue Mazarine zu, während die wappengezierten Wagen, nachdem sie im Hofe gewendet, ihre Herren, Träger von bevorrechteten Karten, unter dem Portikus absetzten, wo sich inmitten von kettengeschmückten Thürstehern der leutselige silbergalonierte Vorsteher des Sekretariats lächelnd und geschäftig bewegt, wie der wackere Hausmeier im Palaste Schneewittchens an dem Tage, an welchem die Prinzessin nach einem hundertjährigen Schlummer ans ihrem Paradebette erwacht. Die Portieren bewegen sich; die Tölpel von Lakeien springen von ihren Plätzen empor, und die Begrüßungen, die Verbeugungen mit langen Schleppen, das Lächeln, das Flüstern und Zischeln einer Gesellschaft von Personen, die hier als Stammgäste gelten können, wird ausgetauscht und verliert sich unter einem Geräusch von knisternder Seide auf der mit Teppichen belegten Treppe, die zu den reservierten Tribünen hinaufführt, oder in dem schmalen und abschüssigen, unter den Tritten von Jahrhunderten gleichsam gesenkten Gange, der nach dem Innern des Palastes führt.

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Der Saal füllt sich auf der für das Publikum reservierten Seite nach Art eines Amphitheaters. Die schwarz lackierten Bänke steigen bis zu der Wölbdecke hinauf, wo die letzten Reihen stehend ihre Schattenrisse auf das runde Fensterwerk werfen. Kein leerer Platz. Ein hochgehendes Meer von Köpfen, auf das eine Kirchen- oder Museums-Helle fällt, die durch die gelben, glatten Stuckflächen und durch den Marmor der großen, sinnenden Bildsäulen eines Descartes, Bossuet und Massillon, den ganzen, zu einer unbeweglichen Geste erstarrten Ruhm des großen Jahrhunderts, noch verstärkt wird.

Gegenüber diesem über seine Ufer hinausströmenden Halbkreise befanden sich einige unbesetzte Bankreihen – ein kleiner grüner Tisch mit dem herkömmlichen Wasserglase; sie sowohl wie er harrten der Akademie und ihrer Schreiberei, die nunmehr beide alsbald durch diese hohen, von einer vergoldeten und grabsteinähnlichen Schriftzeile überragten Thüren ihren Eintritt bewerkstelligen werden. »Litteratur, Wissenschaft, Kunst« lautet diese Zeile. Dies alles ist antik, kalt und arm, und steht zu den herrlichen Mode-Toiletten, von denen der Saal im wahren Sinne des Wortes erblüht, im grellen Gegensatze.

Helle, in leicht matten Farben gehaltene Toiletten, geflaumtes Grau, Aurora-Rot – auf dem, der jüngsten Mode gemäß leicht prallgehaltenen, scharf angezogenen Schnitt der Roben Glitzern von Jet und Stahl – leichte, duftige Coiffüren im Gemische von Mimosen und Spitzen, – Schillerfarben von insularen Vögeln zwischen Samtpuffen und sonnengelben Halmen, – überdem das regelmäßige, fortwährende Bewegen von großen Fächern, deren feine Wohlgerüche das große Auge des Adlers von Meaux Der berühmte Kanzelredner Bossuet, Bischof von Meaux. in blinzelnde Bewegung setzen.

Hört! hört! ist denn der Umstand, daß man Alt-Frankreich repräsentiert, ein Grund nach Moder zu riechen und sich in Kleider zu stecken, die einen zum Popanz machen?

Alles was Paris an Chic, an Wohlgeburt, an Wohlgesinntheit in seinen Mauern birgt, hat sich hier Stelldichein gegeben, lächelt einander zu, erkennt einander an gewissen kleinen, maurerischen Zeichen: die Blume der Clubs, die Crême des Faubourg – eine Gesellschaft, die sich nicht wegwirft, sich nicht mit andren verquickt – die man niemals in den Theater-Premièren unter das Lorgnon bekommt, die man nur an gewissen Opern- und Konservatoriumstagen sieht – eine Gesellschaft, in Watte gewickelt und vornehm, diskret; die hinter dichtem Wall aus niederhängenden Vorhängen ihre Salons vor dem Lichte des Tages und dem Lärme des Tages verschlossen hält und von sich reden macht nur von Zeit zu Zeit einmal, durch einen Todesfall, einen Ehescheidungs-Prozeß oder durch das excentrische Abenteuer des einen oder andren von ihnen, der sich als Heros der ›Persil‹ und der ›Gomme‹ Bezeichnung für die extrem vornehme Luxuswelt. aufzuspielen liebt.

Unter dieser Auserlesenheit werden einige Adels-Familien Illyriens bemerkt, die ihren Herrschern in das Exil gefolgt sind – schöne Männer- und Frauen-Typen, ein wenig zu scharf accentuirt, zu sehr exotisch in diesem überverfeinerten Rahmen. Sodann bemerkt man, an gewissen, sichtbaren Punkten gruppiert, die akademischen Salons, die lange im voraus die Wahlen bereiten, die Stimmen wägen, und deren Erscheinen für einen Kandidaten mehr in die Wage fällt als sein Gewicht an Genie. Erlauchte Schiffbrüchige aus dem Zeitalter des Kaisertums schlüpfen in diese »alten Parteien« hinein, für welche sie vor Zeiten der ironischen Blicke von Parvenüs im Überflusse hatten. Und so gewählt, so vornehm, so ›feingesiebt‹ auch die Versammlung an dieser Stätte ist, so haben sich doch auch hierher einige Damen »der Premièren,« berühmte Persönlichkeiten zufolge ihres Anhangs aus der monarchischen Sphäre, gefunden in schlichten Toiletten, zusammen mit zwei, drei schauspielerischen Sternen der Gegenwart, deren Gesichtchen bekannt sind durch ganz Paris, Erscheinungen, die um so gemeinplätziger und aufdringlicher sind, als andere Frauen, und zwar aus allen Schichten der Gesellschaft, sich darin gefallen, es ihnen gleich zu thun. Und fernerhin Journalisten, Berichterstatter fremder Zeitungen, bewaffnet mit Schreibmappen und Bleistift-Ösen – die als Muster der Vollkommenheit gelten dürfen – ausgerüstet vom Kopf bis zu den Füßen, als ständen sie vor einer Reise im Herzen Afrika's.

Unten im Raume, in dem kleinen, am Fuße der Bankreihen reservierten Zirkel sieht man und zeigt man sich die Prinzessin Colette von Rosen, die Frau des preisgekrönten Schriftstellers, köstlich gekleidet in blaugrüne Toilette, indischen Kaschmir und Moirée antique – auf deren Miene der gewaltige Triumph deutlich zu lesen steht; die unter den Locken und Löckchen und Frisürchen ihres flachsreinen Haars sich fröhlich bläht.

Neben ihr sitzt ein dicker Mann mit gemeinem Gesicht, der Onkel Sauvadon, sehr stolz darauf, daß es ihm gestattet worden, seine Nichte hierher zu begleiten – der aber im unwissenden Übereifer, beseelt von dem Wunsche, der feierlichen Ceremonie Ehre zu machen, Abendtoilette angelegt hat. Das macht ihn sehr unglücklich. Seine weiße Halsbinde belästigt ihn, als wenn ihm die Garotte, das Würgeisen, um den Hals gelegt wäre – er paßt auf alle Leute auf, die in den Saal hereintreten, von der Hoffnung getragen, für seinen Frack einen Gevatter zu finden. Es giebt ihrer aber keine.

Aus diesem Schmetterlingsgewirr von bunten Farben und belebten Gesichtern steigt alsbald ein sehr kräftiges, rhythmisches, aber deutliches Gesumme von Stimmen hervor, das einen magnetischen Strom herstellt vom einen Ende des Saales bis zum andern. Das geringste flüchtige Lachen macht sich hörbar, pflanzt sich fort; das geringste Zeichen, die stumme Gebärde eines gelösten Händepaars, das sich im voraus zum Klatschen rüstet, macht sich bemerklich von der obersten bis zu der untersten Bankreihe. Es ist die gesteigerte Erregung, das neugierige Wohlwollen gegenüber einer Premiere, welcher der Erfolg gesichert sein dürfte. Und wenn von Zeit zu Zeit berühmte Persönlichkeiten ihre Plätze einnehmen, dann nimmt das Beben, das Zittern dieser ganzen Menge seinen Weg nach ihnen hin, die Flüsterlaute ihrer Neugier oder ihrer Bewunderung nur in den Augenblicken dämpfend, wenn diese Berühmtheiten gerade vorbei an ihnen gehen.

Sehen Sie doch dort oben, gerade über der Loge Sully, jene beiden Damen, die eben eingetreten sind in Begleitung eines Kindes, und die sich ganz im Hintergrunde der Loge halten! Es ist die Königin von Illyrien mit der Königin von Palermo. Die beiden Cousinen, stramm und stolz in ihrer Haltung, erscheinen in gleicher malvenfarbiger Faille-Robe mit Besatz von alter Stickerei – und auf dem blonden Scheitel der einen wie auf den braunen Flechten der andren Dame kosen die gleichen langen Federn um Hüte von vornehmem, durchaus verschieden von einander gehaltenem Charakter. Friederike ist blässer geworden; in ihrem sanften Lächeln liegt der traurige Zug einer alternden Falte; und auch auf dem Gesicht ihrer brünetten Cousine zieht die Unruhe, die Bedrängnis des Exils ihre Spuren. Zwischen ihnen schüttelt der kleine Graf von Zara sein blondes Lockenhaar auf einem kleinen Kopfe, der mit jedem Tage an Strammheit und Kräftigkeit zunimmt, dessen Blick und dessen Mund an Festigkeit und Sicherheit gewonnen haben. Echter Königssamen, der zu erblühen anfängt!

Der alte Herzog von Rosen sitzt mit einer zweiten Persönlichkeit im Hintergrunde der Loge. Es ist nicht Christian der Zweite – der sich vor einer sicher zu erwarten stehenden Ovation geflüchtet hat – sondern ein großer Mensch mit wirrer, dichter Mähne – ein Unbekannter, dessen Name während der Feier kein einziges mal genannt werden wird, und der doch verdiente, in aller Munde zu sein! Ihm zu Ehren wird diese Feier hier veranstaltet – er hat die Veranlassung gegeben zu diesem glorreichen Requiem der Monarchie, welchem die letzten Edelleute Frankreichs und die nach Paris geflüchteten Königs-Familien anwohnen; denn sie sind alle hier versammelt und gegenwärtig, die Exilierten, die Entthronten – alle sind sie gekommen, ihrem Vetter Christian Ehre zu erzeigen – und es ist keine geringe Sache gewesen, diesen Kronen nach den Gesetzen der Etikette hier ihre Plätze anzuweisen. Nirgendswo sind die Fragen über Rang und Vorrang schwieriger zu lösen, als im Exil, wo sich Eitelkeit und Dünkel verschärfen, wo sich Mutmaßungen zu richtigem Wundgifte gestalten.

Auf der Tribüne Descartes – es tragen nämlich alle Tribünen den Namen der unter ihnen stehenden Denksäule – wahrt der König von Westphalen eine erhabene und stolze Haltung, die durch den Starrblick seiner Augen – Augen, die wohl schauen, aber nicht sehen – noch wirksamer gemacht wird. Dann und wann sendet er ein Lächeln nach hierhin, verneigt sich nach dorthin. Es ist seine ständige Obsorge, seine unheilbare Blindheit verborgen zu halten; und seine Tochter leiht ihm hierin Beistand mit all ihrer Liebe und Hingabe – diese große und hagere Person, die unter der Wucht von goldenen Locken das Haupt zu beugen scheint, deren Färbung sie ihrem Vater verheimlicht hat. Der blinde König liebt nur die Brünetten. »Wärest Du blond gewesen,« spricht er manchmal, wenn er das Haar der Prinzessin streichelt, »so glaube ich, würde ich Dich weniger geliebt haben!« Bewunderungswürdiges Paar das, das seine Straße des Exils mit der Würde, der stolzen Ruhe eines Spaziergangs in den königlichen Parks wandelt! Wenn die Königin Friederike schwache Stunden über sich kommen fühlt, denkt sie an diesen gebrechlichen Greis, den diese harmlose Mädchengestalt lenkt und leitet, und labt sich und stärkt sich an dem so lauteren Zauber, der von ihnen ausgeht.

Weitab, sieh! unter einem grellseidenen Turban sitzt die Königin von Galicien, die mit den derben dicken Backen, dem gedunsenen Teint, Ähnlichkeit mit einer dickschaligen Apfelsine hat. Sie macht ein großes Wesen her, ächzt, keucht, fächelt sich Luft zu, lacht und schwatzt mit einer noch jugendlichen, eine weiße Mantille tragenden Frau, deren trauriges gutmütiges Gesicht von jener Thränenfalte gefurcht ist, die sich von leichtgeröteten Augen bis zu dem bleichen Munde herabzieht.

Es ist die Herzogin von Palma, ein vortreffliches Geschöpf, für die Erschütterungen, für die Schrecken nur wenig geschaffen, die ihm der abenteuerliche Monarch von der Heerstraße, an den es für dieses Leben gekettet ist, bereitet! Er ist auch anwesend, dieser lange Teufel! und schiebt zutraulich zwischen die beiden Damen seinen flammenden schwarzen Bart, seinen Apollo-Kopf, dessen bronzene Färbung durch die letzte Expedition, die ebenso kostspielig, ebenso unglücklich war, wie die vorhergehenden, noch vertieft worden ist. Er hat ein bischen »Rex« gespielt,« hat einen Hof gehalten, hat Feste gefeiert, hat Damen gehalten, hat Tedeum's gehalten, hat Einzüge gehalten, bei denen ihm Blumen über Blumen gestreut worden sind. Er hat sein Roß getummelt, hat Gesetze erlassen, hat auf Bällen getanzt, hat Tinte und Pulver reden lassen, hat Blut vergossen und Haß gesät. Und nachdem die Schlacht verloren war, nachdem er das Zeichen zur Flucht gegeben, da flüchtet er sich wieder zurück nach Frankreich, um neue Kräfte zu sammeln – da sucht er nach neuen Rekruten für seine Wagnisse, da sucht er neue Millionen flüssig zu machen – zeigt sich nie anders als in seinem Mitteldinge zwischen Reise- und Abenteurer-Kostüm, dem eng über die Taille sich schließenden Mantel, der mit Knöpfen und Schnüren besetzt ist und ihm das Aussehen eines Zigeuners verleiht. Eine laute, lärmende Jugend tummelt sich hier in dieser Loge und führt laute Reden, mit all der Ungeniertheit, die am Hofe einer Königin von Pomare herrscht – und die harte und rauhe Nationalsprache fliegt, nach Art von Sprengstücken, vom einen zum andern hinüber, in Begleitschaft von vertraulicher Redewendungen, von Anreden mit Du und Du, deren Geheimnis sich flüsternd im Saale weiter trägt.

Seltsame Sache! an einem Tage, an welchem die guten Plätze so rar sind, daß man auf Prinzen von Geblüt trifft, die sich ins Amphitheater verirrt haben – bleibt eine kleine Loge, die Loge Bossuet leer stehen. Jeder frägt sich, wer dorthin kommen soll, welcher große Würdenträger, welcher vorübergehend in Paris aufhältliche Souverän so lange auf sein Erscheinen warten läßt, die Sitzung ohne seine Gegenwart eröffnen läßt. Schon schlägt es an der alten Uhr Eins. Eine kurze Stimme erschallt draußen: »Präsentiert das Gewehr!« und während die Gewehre automatisch aneinander rasseln, hält durch die sperrangelweit geöffneten Thore die Litteratur im Verein mit der Kunst und der Wissenschaft ihren Einzug.

Was an diesen erlauchten Personen, die sämtlich rasch sind in Blick und That, die, möchte man sagen, aufrecht erhalten werden durch ein überliefertes Prinzip, eine überlieferte Willenskraft auffällt, das ist, daß die älteren von ihnen eine jugendliche Haltung affektieren, eine bewegliche rastlose Munterkeit – während die Jungen unter ihnen sich Zwang anthun, um so ernster und gewichtiger zu erscheinen, je weniger ergraut ihnen die Haare sind. Der Anblick im großen und ganzen ermangelt der Größe unter dem Einflusse der modernen Knappheit der Haartracht, des schwarzen Anzugs und Überrocks. Der Puder-Perrücke eines Boileau und Racan, dessen großes Windspiel die Diskurse beknabberte, mußte mehr Autorität zu eigen sein; sie mußte eine würdigere Erscheinung bilden hier unter diesem Kuppeldache. Zur Erhöhung des malerischen Eindrucks lassen sich zwei, drei mit grünen Palmen bestickte Leibröcke ganz oben vor dem Tische und vor dem Glase mit Zuckerwasser nieder – und einer von ihnen ist es, welcher die geweihte Phrase spricht: »Die Sitzung ist eröffnet.« Aber er mag noch soviel mal sagen, daß die Sitzung eröffnet sei – man glaubt ihm nicht, er glaubt sich selbst nicht. Er weiß recht gut, daß die wirkliche Sitzung nicht dieser Bericht ist über die Mouthyon-Preise, den eins der beredtesten Mitglieder der Versammlung in vornehmem Singsang jetzt darlegt und erstattet.

Ein Muster von akademischer Rede, im akademischen Stile geschrieben, mit mancherlei »ein bischen« und mancherlei »sozusagen«, – Floskeln, die den Gedanken aller Augenblicke wieder auf seine Ausgangsbahn zurücklenken; einer Büßerin gleich, die über der Beichte Sünden vergessen hat – ein Stil, mit Arabesken, Schnörkeln, mit schönen Federzügen von Meisterhand geziert, die sich zwischen die Sätze hinein verlaufen, um sie zu verdecken, ihre Hohlheit und Leere aber um so schärfer hervortreten lassen – ein Stil endlich, den man lernen muß, und in den hier jedermann gleichzeitig hinein rutscht wie in den mit grünen Palmen bestickten Frack. Unter allen andren Umständen würde das gewöhnliche Publikum dieser Stätte angesichts dieser Büßerpredigt vor Freuden außer sich geraten sein – man würde es vor Freude stampfen, wiehern gesehen haben bei den kleinen Redewindungen, deren Schlußworte es erraten haben würde. Heute aber ist man in Eile; man ist nicht um dieses literarischen Festes willen hierher gekommen. Man muß das sehen, mit welcher verächtlichen Miene von Verdruß und Langeweile diese hier anwesende aristokratische Versammlung diesem Defilee von demütigen Ergebenheitsversicherungen, von Gelübden der Treue über's Grab hinaus anwohnt; diesen Vorbeimarsch von versteckten, trippelnden, geknickten, gebeugten Existenzen über sich ergehen läßt, der sich in diesem überjährigen, »erbsenzählenden« Wort- und Phrasen-Gedrechsel vollzieht, ganz wie auf den engen, mit Fliesen belegten, der Heizung ermangelnden Provinz-Korridoren, wo diese Existenzen sich zu bewegen hatten. Plebejische Namen, fadenscheinige Sutanen, alte blaue, von Sonne und Wasser gebleichte Blusen, Winkel von fernab gelegenen Marktflecken, deren spitzer Kirchturm, deren niedrige, mit Kuhmist cementierte Mauern man auf eine Sekunde zu sehen meint – all das fühlt sich betreten, beschämt, unbehaglich darüber, daß man es so weither, mitten hinein in eine so schöne Gesellschaft, unter die kalte Beleuchtung der Akademie gezogen hat – eine Beleuchtung, die so indiskret ist wie das Glas eines Photographen. Die adlige Gesellschaft verwundert sich, daß es soviel wackere Leute in der Gemeinde giebt . . . Noch immer! . . . Noch immer? . . . sie haben nicht aufgehört zu leiden, sich zu opfern! nicht aufgehört, die Helden zu spielen! . . . Die Klubs meinen, daß dies langweilig sei zum Bersten! Colette von Rosen riecht an ihrem Fläschchen; alle diese alten Leute, alle diese armen Leute, von denen man spricht, sie »riechen,« meint sie, »nach dem Ameisenhaufen.« Die Langweiligkeit perlt auf den Schläfen, tritt in Schweißtropfen zum Mauerstuck heraus. Der Berichterstatter fängt an zu begreifen, daß es langweilig wird, und er beschleunigt das Defilee.

Ach! arme Marie Chalaye d'Ambérieux-les-Combes! Du, welche das Landvolk die Heilige nennt – Du, die Du fünfzig Jahre lang Deine alte gelähmte Tante abgewartet und achtzehn Großneffen gehegt, gepflegt hast! Und dann Du, Du würdiger Abbé Bourillon! Pfarrverweser von Saint-Maximin-le-Haut, der Du im schlimmsten Hundewetter gelaufen bist, den Käsehirten des Gebirges Hilfe und Tröstung zu bringen– Du argwöhntest nicht, daß die Akademie von Frankreich, nachdem sie Deine Bemühungen mit einer öffentlichen Belobigung und Belohnung gekrönt hat, sich Deiner schämen, Verachtung vor Dir fühlen würde! daß Eure durcheinandergepolterten, undeutlich ausgesprochenen Namen in der Unaufmerksamkeit, in dem Gesumme von ungeduldigen oder ironischen Unterhaltungen verhallen würden, kaum daß sie deutlich gesprochen wurden! Dieser Abschluß, dieses Ende des Vortrags gestaltet sich zu einer wahren Auflösung, zu einer wilden Flucht! Und wie der Flüchtling, um rascher zu laufen, Flinte und Tornister ins Korn wirft, so sind es hier Züge von Heldenhaftigkeit, von engelsgleichen Entsagungen, die der Redner im Graben liegen läßt ohne den leisesten Gewissensbiß – denn er weiß, daß die Morgenblätter seine Rede vollständig zum Abdruck bringen werden, und daß keine einzige von diesen wie Lockenwickel gedrehten hübschen Phrasen verloren gehen wird. Endlich ist er am Ende. Ein paar Bravos, ein paar »Ah!« der Erleichterung werden laut. Der Unglückliche setzt sich nieder, wischt sich den Schweiß von der Stirne, nimmt beglückwünschende Worte entgegen von zwei, drei Genossen im Amte – den letzten Vestalinnen des akademischen Stils! Dann folgt ein Zwischenakt von fünf Minuten – ein allgemeines Gesumme im Saale, der sich reckt, der Atem und Erholung schöpft.

Plötzlich eine große Stille, ein tiefes Schweigen. Ein anderer grüner Frack hat sich eben erhoben.

Es ist der edle Fitz-Roy – und ein jeglicher hat das Recht ihn zu bewundern, während er auf der Decke des kleinen Tisches seine Papiere in Ordnung legt. Mager, gekrümmt, rhachitisch, engschulterig, durch Arme von zu großer Länge, die nichts als Ellbogen zu sein scheinen, in der Gestikulation behindert – zählt er fünfzig, scheint aber siebenzig Jahre alt zu sein. Auf diesem abgebrauchten, schlecht gefügten Körper sitzt ein kleiner Kopf mit häßlichen Zügen von gesottener Blässe zwischen einem spärlichen Backenbart und einem Paar vereinzelt stehender Haarbüschel. Man erinnert sich wohl aus der ›Lucrezia Borgia‹ jenes Montrefelto, der das Gift des Papstes Alexander getrunken hat, und den man im Hintergrunde der Bühne vorbeischleichen sieht, geknickt, zerschlagen, schlotternd, des Lebens sich schämend! Der edle Fitz-Roy wäre sehr wohl imstande, diese Persönlichkeit gut zur Darstellung zu bringen. Nicht als ob er jemals dem Trunk ergeben gewesen, armer Kerl! er hat das Gift der Borgia so wenig getrunken, wie sonst etwas andres; aber er ist der Erbe einer Familie von schauerlich hohem Alter – einer Familie, die niemals eine Kreuzung in ihrer Nachkommenschaft gelitten hat – der Schößling einer Pflanze, die keinen Saft mehr hat, für die nun die Zeit vorbei ist, durch Mißheirat sich aufzufrischen! Das Grün der Palmen verstärkt noch seine fahle Blässe – hebt seine krankhafte Schimpansen-Silhouette noch schärfer heraus. Der Onkel Sauvadon findet ihn göttlich. Ein so schöner, so herrlicher Name, mein Herr! Für die Frauen ist er ganz großartig, etwas ganz Apartes. Ein Fitz-Roy!

Dies Privilegium des Namens, diese lange Ahnenreihe, zu welcher die Strohköpfe und Plattfüße sicher kein schwaches Kontingent gestellt haben, sind die beiden Umstände, denen er im stärkere Grade seinen Eintritt in die Akademie verdankt als seinen historischen Studien – die alles in allem ein dürftiges Sammelwerk darstellen, dessen erstem Bande allein ein gewisser Wert inne wohnt. Es ist ja wahr, daß ihn ein anderer für ihn geschrieben hatte; und wenn der edle Fitz-Roy dort hinauf guckte, auf die Tribüne der Königin Friederike, auf den mächtigen Donner-Schädel, aus welchem sein bestes Werk hervorgegangen ist, dann würde er vielleicht die Blätter seiner Rede nicht mit jener Miene erhabener und geringschätziger Bissigkeit zusammen raffen – würde er seine Lektüre nicht mit jenem erhabenen Blicke rings über die Versammlung, der alles beherrscht und doch nichts sieht, anfangen! Zuvörderst räumt er in geschickter und leichter Weise mit den kleineren Werken auf, welche die Akademie mit Preisen gekrönt hat; und um deutlich zu zeigen, wie tief diese Arbeit unter ihm steht, streift er nur schwach, und verstümmelt mit Wonne die Namen und Titel der Bücher.

. . . Wie sich da alles erbaut und erlustigt! . . . Endlich kommt der Preis Roblot, der dem schönsten geschichtlichen Werke zu teil geworden ist, das innerhalb der letzten fünf Jahre veröffentlicht wurde. »Dieser Preis, meine Herren! ist, Sie wissen es! dem Prinzen Herbert von Rosen für seine großartige ›Denkschrift über die Belagerung von Ragusa‹ zuerkannt worden.«

Eine fulminante Beifallssalve begrüßt diese schlichten Worte, die mit weithin schallender Stimme, mit einer Gebärde vom guten Säemann der Bibel über die Versammlung geschüttet werden.

Der edle Fitz-Roy läßt diesen ersten Begeisterungs-Taumel verrauschen. Dann beginnt er wieder, sich eines harmlosen, aber sicheren Opositionsmittels bedienend, leise und langsam, bedächtig: »Meine Herren! . . . .« Er hält inne, läßt seinen Blick über diese harrende, atemlose Menge schweifen, die an seinem Munde hängt, die er in seiner Hand hält . . . Er hat ganz das Aussehen, als wollte er sagen: »Hm! wenn ich jetzt nicht weiter sprechen wollte – wer wäre da genasführt?« Und er ist's, er selbst, welcher genasführt ist; denn als er sich fortzufahren rüstet, hört niemand ihn mehr . . .

Eine Thür ist dort oben, auf der bislang leer gebliebenen Tribüne zugeschlagen worden. Eine Dame ist eingetreten, hat sich ohne Verlegenheit aber die Aufmerksamkeit im Nu an sich fesselnd, niedergesetzt. Die ernste, von dem großen ›Garderoben-Fex‹ gefertigte Toilette mit reichem Schmuck an Pfauenaugen-Stickerei, der mit nach hinten zu abfallender Goldspitze gesäumte Hut, umschließen in köstlicher Weise die schmiegsame Taille, das in mattem Rosa gehaltene Oval dieser ihres Ahasverus sicheren Esther. Der Name wird durch die Bänke geflüstert, gezischelt. Ganz Paris kennt ihn; seit drei Monaten ist nur von ihrem Liebesverhältnis, von ihrem Luxus die Rede. Ihr Hotel in der Avenue de Messine ruft durch die Pracht seiner Einrichtung die schönste Zeit des Kaiserreiches in Erinnerung.

Die Zeitungen haben die einzelnen Umstände dieses Gesellschafts-Skandals haarklein berichtet, haben die Größe und Höhe der Marställe angegeben, haben den Preis genannt, welcher für die Gemälde im Speisesaale bezahlt worden ist, haben die Anzahl der Equipagen und Karossen genannt, haben das Verschwinden des Ehemanns erzählt, welcher, ehrenhafter als ein andrer berühmter Menelaos, von seiner Unehre nicht hat leben mögen, sondern als betrogener Ehegemahl des großen Jahrhunderts sich ins Ausland begeben hat und dort »Schmolllippchen macht«. Nur den Namen des siegreichen Eroberers haben diese Zeitungs-Chroniken leer gelassen. Im Theater sitzt die Dame immer allein in der vordersten Reihe der Prosceniums-Logen, in Geleitschaft eines Paars zierlicher Schnauzbart-Enden, die sich in dem Halbduster verstecken. Auf den Korsofahrten, im Wäldchen erscheint sie nach wie vor allein – der leere Platz neben den Kissen wird von einem gewaltigen Blumenstrauße eingenommen, und auf dem Wagenschlage hüben und drüben steht um ein geheimnisvolles Wappenschild herum der nichtssagende, nagelneue Spruch: ›mein Recht, mein König‹ – mit welchem ihr Geliebter sie ebenso auszustatten geruht hat wie mit dem Titel einer Gräfin . . .

Dies mal wird der Favoritin die Weihe erteilt. Sie an solchem Tage auf diese, den Majestäten reservierten Ehrenplatze geführt zu haben, indem man ihr Wattelet, den unmittelbaren Lehnsträger Christians, und den Prinzen d'Axel als Geleitschaft giebt, der immer bereit und zu haben ist, wenn es gilt, eine kompromittierende Narrheit auszuführen – das bedeutet ebensoviel wie ein Anerkenntnis vor aller Augen – wie die öffentliche Bekleidung mit den Wappen Illyriens.

Und doch ruft ihre Gegenwart keinerlei indignierte Empfindung wach. Für die Könige bestehen ja allerhand Vorrechte und Freiheiten. Ihre Vergnügungen sind geheiligt wie ihre Personen, vorzugsweise in jener aristokratischen Gesellschaft, in welcher sich die Tradition erhalten hat von den Maitressen eines Ludwigs des Vierzehnten oder Ludwigs des Fünfzehnten, die in den Karossen der Königin saßen oder bei den großen Jagden sich an ihren Platz drängten. Einige schnippische und hochnasige Persönchen, wie Colette von Rosen zum Beispiel, zeigen wohl verschämte Mienen, spielen sich auf als Heilige, wundern sich, daß die Akademie dergleichen Subjekten Aufnahme gewährt – aber man kann sicher sein in dieser Hinsicht, daß eine jede von diesen Damen ein niedliches Seiden-Äffchen bei sich zu Hause haben dürfte, das an der Schwindsucht dahinsiecht. In Wirklichkeit ist der Eindruck vortrefflich, ausgezeichnet. In den Clubs äußert man sich: »Höchst schneidig!« unter den Journalisten: »Pyramidal!« Man lächelt mit wohlwollenden Mienen; und die Unsterblichen selbst richten ihr Lorgnon auf das bewunderungswürdige weibliche Wesen, das sich ohne Geziertheit, ohne Auffälligkeit an der Brüstung ihrer Loge verhält, das bloß in ihren Samt-Augen jene Starrheit zeigt, die von Frauen gern in ihren Blick gelegt wird, wenn sie sich durch die Aufmerksamkeit der Lorgnetten und Operngläser in Belagerungszustand gehalten wissen.

Man dreht sich auch neugierig nach derjenigen Richtung hin, in welcher die Loge der Königin von Illyrien liegt, um zu sehen, wie diese sich zur Sache verhält, wie sie die Sache auffaßt! O! sehr gut! sehr gut! Kein Zug auf ihrem Antlitz hat gebebt, keine Feder auf ihrem Hute hat gewackelt. Friederike zeigt sich nie bei den laufenden Festlichkeiten; sie kann also diese Dame nicht kennen! sie hat sie niemals, niemals mit einem Blicke gesehen und sieht sie zuerst auch nicht anders an, als wenn eine Toilette eine andere Toilette mustert. »Wer ist das?« frägt sie die Königin von Palermo, welche sehr geschwind die Antwort giebt: »Ich weiß es nicht!« . . . Aber auf einer benachbarten Tribüne wird ein Name gesprochen, sehr laut gesprochen und mehrmals wiederholt – und dieser Name! er trifft sie ins Herz – »Spalato! Gräfin von Spalato!«

Seit einigen Monaten hetzt sie dieser Name ›von Spalato‹ wie ein böser Traum. Sie weiß, daß ihn eine neue Maitresse Christians führt, der sich dessen, daß er König war, besonnen hat, um mit einem der höchsten Titel des fernen Vaterlandes das Geschöpf seiner Freude zu vermummen. Dieser Umstand hat ihr den Verrat fühlbar gemacht aus tausend andren heraus. Aber das, was sie heute sieht, macht das Maß voll zum Überlaufen. Dort! ihr gegenüber, dem königlichen Kinde gegenüber, auf einem Platze, der einer Königin gebührt, dort sitzt diese Dirne, hingesetzt von ihm! O, welch ein Schimpf! welch eine Schmach! Und ohne daß Friederike sich darüber Rechenschaft giebt, macht ihr die ernste und vornehme Schönheit des Geschöpfes die Empfindung dieser Schmach noch fühlbarer. Der Trotz, die Herausforderung steht hell und klar in diesen schönen Augen geschrieben – diese Stirn ist frech in ihrer Reinheit – der Glanz, der über diesem Munde liegt, fordert sie heraus . . . Tausend Gedanken geraten aneinander in ihrem Kopfe . . . ihre große Bedrängnis und Not . . . die Demütigungen jeglichen Tages . . . Gestern erst dieser Wagenbauer, der unter ihren Fenstern mit lauter Stimme schrie und den Rosen bezahlt hat; denn dazu hat es ja doch wieder kommen müssen! . . Wo nimmt Christian das Geld her, welches er diesem Frauenzimmer giebt? . . Seit dem Betruge, den er mit den falschen Juwelen getrieben, weiß sie, wessen er fähig ist; und ein Etwas in ihrer Brust sagt ihr, daß diese Spalato die Schande des Königs, des ganzen königlichen Geschlechts werden wird! Einen Augenblick lang, eine Sekunde lang, tritt in diese gewaltthätige Natur die Versuchung, von ihrem Platze aufzustehen und hinauszugehen mit ihrem Kinde an der Hand – einer schimpflichen Nachbarschaft, einer entwürdigenden Nebenbuhlerschaft sich durch gröbliche, rücksichtslos Entfernung zu entschlagen . . . Aber sie gedenkt dessen, daß sie Königin ist, daß sie eines Königs Gattin, eines Königs Tochter ist, daß auch Zara einst König sein wird; und sie mag ihren Feinden nicht die Freude eines solchen Ärgernisses bereiten. Eine höhere Würde, eine Würde, die ihr höher steht als ihre Frauenwürde, und die sie sich für ihr ganzes Leben zur verzweifelten und stolzen Regel gemacht hat – hält sie auf ihrem Platze hier in der Öffentlichkeit nicht minder aufrecht, wie in dem geheimen Winkel ihres verwüsteten, verödeten Heims. O des grausamen Schicksals dieser Königinnen, die man beneidet! Die Anstrengung, die sie sich auferlegt, ist so heftig, daß ihr Thränen aus den Augen springen, gleichwie das ruhige Wasser eines Weihers aufspritzt unter dem Schlag eines Ruders. Rasch, damit man sie nicht sehe, hat sie nach ihrer Lorgnette gegriffen und blickt starr und unverwandt durch die angelaufenen Gläser auf die vergoldete, ruhig weilende Inschrift: »Litteratur, Wissenschaft, Kunst«, die sich reckt und regenbogig färbt in ihren Thränen dort oben über dem Haupte des Redners.

Der edle Fitz-Roy setzt seine Lektüre fort.

Er liest in einem Stile, grau in der Färbung wie ein Gefangenenkittel – die pompöse Lobesrede der »Denkschrift«, dieses Buches beredter und derber Geschichte, die niedergeschrieben worden von diesem jungen Prinzen Herbert von Rosen, »der sich der Feder bedient wie des Degens« – kündet vor allem in seiner Lesung das Lob des Helden, welcher die Inspiration zu ihr gegeben hat, »dieses ritterlichen Christians des Zweiten, in welchem sich die Grazie, der Adel, die Stärke, der verführerische Reiz herrlichen Frohsinns und frischer Lebenslust zusammenfinden, – Eigenschaften des Charakters und Gemüts, die man jederzeit gewiß und sicher ist, auf den Stufen des Thrones zu finden.« (Beifallsklatschen und schwache Ausrufe der Wonne.) Ein gutes Publikum ganz entschieden, empfänglich, animiert, die flüchtigsten Anspielungen im Fluge erhaschend und in sich festigend . . . Manchmal, mitten drin zwischen diesen weichlichen Perioden eine packende und wahre Bemerkung, ein Citat aus dieser »Denkschrift« selbst, zu welcher die Königin alle Dokumente geliefert hat – die Königin, die den Namen des Königs dem ihrigen unterschiebt, die sich in das Nichts hinunter stößt zum Nutzen und Vorteil Christians des Zweiten.

O du gerechter Gott! und das war die Art, wie er ihr lohnte! . . .

Die Menge begrüßt die Worte in der Rede mit hellem Beifall, die von rücksichtsloser und hoher Tapferkeit Kunde geben, bricht in Jubel aus über Heldenthaten, die in aller Schlichtheit des Geistes vollführt und von dem Autor in einer bilderreichen Prosa einschaltet worden sind, so daß sie sich aus dem Vortrage herausheben, wie epische Erzählungen aus dem Altertum. Und, meiner Treu! angesichts der enthusiastischen Aufnahme, die diesen Anführungen zu teil wird, leistet der edle Fitz-Roy, der kein Dummkopf ist, auf seine eigene literarische Abfassung Verzicht und läßt sich daran genügen, das Buch in seinen schönsten Seiten zu durchblättern.

In dem engen klassischen Baudenkmal nimmt sich ein erfrischender, reinigender Hauch auf, erzittert ein stärkender, belebender Flügelschlag – es scheint, als ob die Mauern sich dehnen und weiten, als ob durch die gelüftete Kuppel ein frischer Hauch von draußen herein dringe. Man atmet auf, die Fächer geben nicht länger mehr durch ihren rhythmischen Schlag Zeugnis von teilnahmloser Aufmerksamkeit. Nein, der ganze Saal hat sich erhoben; alle Köpfe richten sich nach der Tribüne, wo Friederike sitzt. Man klatscht Beifall, bejubelt die besiegte, aber glorreiche Monarchie in der Gattin und in dem Sohne Christians des Zweiten, des letzten Königs, des letzten Kavaliers. Der kleine Zara, den wie alle Kinder der Lärm und die Bravorufe berauschen, klatscht in seiner Harmlosigkeit mit, während seine kleinen, in Handschuhen steckenden Händchen das blonde Lockenhaar aus dem Gesichte streichen. Die Königin wirft sich ein wenig nach rückwärts – sie wird selbst erfaßt von diesem ansteckenden Enthusiasmus – labt sich an der Freude, an dem berauschenden Wahn einer Minute, den er ihr bereitet. So hat sie es doch erreicht, dieses Schattenbild von König, hinter dem sie sich versteckt, mit einer Aureole zu umgeben, diese Krone von Illyrien, die eines Tages ihr Sohn tragen soll, mit einem neuen Glanze zu bereichern – mit einem Glanze, den niemand zu verschachern imstande sein wird. Was kümmern sie nun Exil, Verrätereien, Elend und Jammer? Es giebt solche Augenblicke der Blendung, die den ganzen Schatten, der um einen her lagert, in sich aufnehmen, ertränken . . .

Plötzlich dreht sie sich um – der Gedanke kommt ihr, demjenigen zu huldigen in ihrer Freude, der ganz dicht neben ihr, das Haupt an die Mauer gelehnt, die Augen irr nach der Kuppel hinauf gewendet, diese magischen Worte mit anhört, in gänzlicher Vergessenheit dessen, daß sie von ihm selbst stammen – der diesem Triumph anwohnt ohne Klagen, ohne Bitterkeit, ohne sich auch nur ein einziges mal zu sagen, daß aller dieser Ruhm ihm gestohlen worden sei! Gleich jenen Mönchen des Mittelalters, die zu Greisen werden über dem Ausbau von Kathedralen, läßt sich der Sohn des königsgetreuen Städtlers Genüge sein daran, sein Werk zu vollenden, Genüge sein an dem Anblick, wie es sich sicher und fest im hellen Sonnenschein aufrichtet und erhebt. Und um dieser Entsagung, um dieses erhabenen, erleuchteten Lächelns willen, das sich von seinem Gesichte ablöst – um alles dessen willen, was sie an geistiger Verwandtschaft in ihm vorhanden fühlt – reicht ihm die Königin die Hand mit einem weichen: »Ich danke Ihnen . . . ich danke Ihnen!« Und Rosen, der ihr in größerer Nähe sitzt, ist des Glaubens, daß man ihm zu dem Erfolge seines Sohnes Glück wünsche. Er bemächtigt sich, als sie an ihm vorbeigleitet, dieser erkenntlichen Mimik, reibt seinen rauhen, borstigen Schnurrbart an dem königlichen Handschuh; und die beiden glücklichen Opfer des Festes bleiben darauf beschränkt, jene nicht zum Ausdruck gebrachten Gedanken, welche die Seelen mit geheimnisvollen und festen, ausdauernden Banden verknüpfen, von weitem in einem Blicke, einem einzigen Blicke, zum Austausche zu bringen.

Es ist zu Ende. Die Sitzung wird aufgehoben. Der edle Fitz-Roy, dem reicher Beifall gespendet, dem Komplimente schmeichelndster Art gesagt worden, ist verschwunden wie durch eine Fallthüre. Die Litteratur im Verein mit der Wissenschaft und der Kunst ist ihm gefolgt – die Kanzlei steht leer. Und durch alle Thüren und Thore beginnt die sich drängende Menge jenen Reden und Meinungen Ausdruck zu geben und den Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen, die den eigentlichen Schluß einer Versammlung, eines Theater-Abends bilden und morgen die Meinung von ganz Paris darstellen werden. Unter diesen biederen Leuten, die sich jetzt auf den Heimweg begeben, sind ihrer viele, die in Fortsetzung ihres rückläufige Traumes des Glaubens sind, bei ihrem Austritt vor dem Palaste der Akademie Chaisenträger anzutreffen – und was ihrer wartet, das ist der Regen, der in das Rattern der Omnibusse und in das karnevalistische Treiben der Tramways herniederrieselt. Einzig und allein die bevorrechteten Standespersonen werden in der bekannten Gangart ihrer Karossen fortfahren, sich in dem süßen monarchischen Wahne einzuwiegen.

Diese ganze aristokratische Gesellschaft unter dem großen, auf Säulchen ruhenden Portikus, während ein Diener die königlichen Karossen über den nassen, glitzernden Hof heranruft, auf den Austritt der Majestäten aus dem Hause harren zu sehen, sie mit Lebhaftigkeit und Feuer sprechen zu hören, ist ein wahrer Genuß. Was war dies für eine Sitzung! . . . Welch ein Erfolg! . . . Ob die Republik das wohl übersteht! . . . Die Prinzessin von Rosen wird sehr umringt: »Sie müssen sehr glücklich sein! – O ja! o ja! sehr glücklich.« Und niedlich, reizend, hüpfend und tänzelnd, grüßt und verneigt sie sich wie ein munteres, kleines Manège-Füllen. Der Onkel brüstet sich neben ihr, noch immer freilich durch seine weiße Halsbinde und durch sein Oberkellner-Oberhemd geniert, das er hinter seinem Hute zu verbergen beflissen ist, trotz allem aber sehr stolz auf den Erfolg seines Schwiegersohns. Gewiß weiß er besser als jedermann sonst, woran er sich in Betreff der Waschechtheit dieses Erfolges zu halten hat – und daß Prinz Herbert nicht eine einzige Zeile des preisgekrönten Werks geschrieben hat! Aber in diesem Augenblicke denkt er nicht daran. Colette auch nicht! Das nehm' ich auf meinen Eid! Eine echte Sauvadon im Punkte der Eitelkeit, ist ihr der äußere Schein hinreichend; und als sie aus einer Gruppe von ›Gigerln‹ aus der ›Gomme‹, die ihn beglückwünschend umdrängen, von ihrem Herbert die gewichsten Endspitzen seines großen Schnauzbartes herausragen sieht, da muß sie sich Gewalt anthun, daß sie ihm nicht vor allen Leuten hier um den Hals fällt, so fest ist sie überzeugt, daß die Belagerung von Ragusa sein Werk ist, daß er die ›Denkschrift‹ abgefaßt hat, daß sein schöner Schnauzbart keine Eselskinnlade verdeckt. Und wenn auch der biedere Bursche über die Ovationen, die man ihm bereitet, über die Blicke, die man ihm zuwirft – der edle Fitz-Roy hat ihm sogar eben mit Feierlichkeit erklärt: »Sofern es Ihnen nach Wunsch sein wird, mein Prinz, werden wir Sie zu unserem Mitgliede ernennen!« – entzückt und betreten ist, so ist ihm doch nichts kostbarer, als der unerwartete Empfang, der ihm von seiten seiner Colette zu teil wird – nichts von dem allen so köstlich, so lieb und wert wie die fast liebevolle Hingabe, mit welcher sie sich auf seinen Arm stützt – etwas, was ihm seit ihrem Hochzeitstage, seit der ›Braut-Cour‹, die sie unter geweihtem Orgelklang auf der Empore von Sankt-Thomas von Aquino‹ abgehalten, nicht mehr widerfahren war. Aber die Menge tritt auseinander, bildet Spalier, entblößt ehrfürchtig das Haupt. Es nahen die Logengäste – alle diese gestürzten Majestäten steigen hernieder, um nach dieser Auferstehung auf wenige Stunden wieder in die Nacht zurückzukehren. Ein richtiges Defilee von königlichen Schatten, der blinde Greis gestützt auf seine Tochter, die Galicierin mit ihrem schönen Neffen – ein Schleifen und Ziehen, ein Knistern von starren Stoffen, wie beim Vorüberzug einer peruvianischen Madonna. Endlich die Königin Friederike, ihre Cousine und ihr Sohn. Der Landauer rollt an die Auffahrt heran. Sie steigt ein, getragen von einem Beben der Bewunderung, das die den Atem anhaltende Menge durchzittert, schön und erhaben, mit stolzer Stirn, eine strahlende Erscheinung. Die Königin zur linken Hand – die Hintertreppen-Königin ist mit d'Axel und Wattelet vor Schluß der Sitzung gegangen, so daß also nichts diesen Abgang in voller Glorie stört oder beeinträchtigt . . .

Nun hat man einander nichts mehr zu erzählen – nun hat man nichts mehr zu sehen. Die langen Lakeien stürzen herbei mit ihren Regenschirmen. Eine Stunde lang dauert es nun, das Getrappel und Geratter, das Auf- und Zuklappen von Wagenschlägen zwischen dem Niederrauschen der Regengüsse; eine Stunde lang werden noch Namen gerufen und schallen zurück in jenen steinernen Echos, welche in den alten Bauwerken spuken, und die man nicht eben häufig in dem alten Institute von Frankreich aufrührt und stört.

 

 

An diesem Abend mußten die koketten Allegorieen, die eines Boucher Hand auf die Trumeaux in Herberts Schlafgemach, im Palaste Rosen, gemalt hat, Leben in ihre seit langem in Schlaf gelullten Lager und Stellungen bringen, mußten ihre ein wenig verschossenen Lebensfarben auffrischen – als sie ein Stimmchen lispeln hörten: »Ich bin's, Colette . . .« Es war Colette, in ein Nachtkleid gehüllt mit Brüsseler Spitzen – Colette, die ihrem Heros, ihrem stolzen Ritter, ihrem genialen Gemahl den Nachtgruß zu entbieten kam . . .

Fast zur nämlichen Stunde ging Elysée allein in dem Garten der Rue Herbillon spazieren, unter dem losen Laubdach, durch das ein gewaschener, aufgehellter Himmel hindurchblinkt – einer von jenen Juni-Himmeln, denen von den langen Tagen ein ekliptisches, verdunkeltes Licht verbleibt, das die Schatten auf der matthellen Biegung der Wege scharf abzeichnet und dem Haus mit seinen dichtgeschlossenen Jalousien ein weißes, totes Aussehen leiht.

Einzig und allein im obersten Stockwerk eine Lampe – im Zimmer des Königs, welcher noch wach war. Kein Geräusch als ein Tropfen von Wasser in den Röhren des Springbrunnens – als der verlorene Triller einer Nachtigall, dem andere Nachtigallen antworten. Durchdringende Düfte von Magnolien, Rosen und Melissenkraut durchirrten nach dem Regen die Luft. Und das Fieber, das seit acht Wochen, seit dem Jahrmarkts-Feste von Vincennes, nicht mehr von Elysée wich, das ihm die Stirne sengt und die Hände sengt, dies Fieber – anstatt sich in diesem Schwall von Wohlgerüchen und Gesängen zu beruhigen – schlug und hämmerte, gleichfalls zitternd und wallend, in seiner Brust und sandte ihm den Schwall seiner Fluten bis nach dem Herzen . . . .

»Hah! alter Esel! alter Esel!« rief eine Stimme neben ihm unter der Weißbuchenhecke. Er blieb verdutzt stehen. Es war so wahr, so gerecht, so gut, was er sich seit einer Stunde nun wiederholte.

»Esel! erbärmlicher Narr! . . . Ins Feuer müßte man Dich werfen! Dich und Dein Herbarium!«

»Sind Sie es, Herr Rat?«

»Nennen Sie mich nicht mehr Rat. Ich bin es nicht mehr . . Weder Ehre, noch Verstand mehr . . Ha! porco!«

Und Boscowich, der mit einer echt italienischen Wut schluchzte, schüttelte den schnurrigen, von dem Licht, das zwischen die Trauben der Linden fiel, seltsam erleuchteten Kopf. Der arme Mensch war seit einiger Zeit halb und halb aus dem Häuschen. Im einen Augenblick sehr vergnügt, sehr geschwätzig, langweilte er all und jeden mit seinem Herbarium, seinem berühmten Laibacher Herbarium, in dessen Besitz er, wie er sagte, nun bald gelangen müßte. Dann unterbrach er sich plötzlich, mitten in diesem Delirium von Worten, warf einem von unten herauf einen Blick zu – und dann konnte man kein Wort mehr aus ihm heraus bringen. Dieses mal glaubte nun Elysée, daß er vollständig von Sinnen käme, als er ihn nach diesem kindischen Redeschwall auf ihn zuspringen, ihn am Arme packen sah, und in die Nacht hinaus wie um Hilfe schreien hörte.

»Das ist nicht möglich, Méraut . . . Das muß verhindert werden!«

»Was denn verhindern, Herr Rat?« sagte der andere, indem er sich bemühte, seinen Arm aus dieser nervösen Umschlingung zu lösen.

Und Boscowich keuchte mit ganz leiser Stimme:

»Die Entsagungsurkunde liegt bereit! von mir aufgesetzt und geschrieben! . . In diesem Augenblicke unterzeichnet Seine Majestät sie . . . Niemals hätte ich das thun sollen . . . Aber – aber . . . . Er ist der König! . . . Und dann mein Laibacher Herbarium, das er versprach mir zurückgeben zu lassen . . . Prächtige Exemplare darin! prächtige Exemplare!«

Der Verrückte war aus Rand und Band; aber Elysée hörte nicht sein Geschwätz – dieser schreckliche Schlag hatte ihn betäubt. Sein erster, einziger Gedanke galt der Königin.

Das also ist der Preis für ihre Hingabe, für ihre Verleugnung, dies Ende dieses Opfertages! . . . Welch ein Nichts ist doch all dieser Ruhm, um eine Stirne geflochten, die kein Verlangen mehr hat nach einer Krone irgendwelcher Art! . . . In dem plötzlich in Finsternis gesunkenen Garten erblickt er nichts weiter mehr als dieses Licht dort hoch oben, welches das Geheimnis eines Verbrechens erleuchtet . . . Was thun? Wie es verhindern? . . . Die Königin allein vermag's . . . Aber würde er bis zu ihr gelangen können? . . . Thatsache ist, daß die Kammerfrau vom Dienst, Frau von Silvis, inmitten ihrer Träume von Geistern und Feen, die Königin selbst, kurz all und jede Person an den jähen Ausbruch eines Feuers, durch welches das im Schlafe ruhende Hotel bedroht sei, glaubte, als Elysée mit Ihrer Majestät zu sprechen verlangte. Man hörte aus den Zimmern ein Schwatzen von geschäftigen Frauen – das Summen eines vorzeitig aus dem Schlafe geweckten Vogelbauers.

Endlich wurde Friederike in dem kleinen Salon sichtbar, wo der Erzieher und Lehrer ihrer wartete. Sie war in ein langes blaues Nachtgewand gehüllt, das ein paar wunderschöner Arme und Schultern abformte.

Niemals hatte sich Elysée in solch dichter Nähe von der Frau gefühlt.

»Was geht vor?« fragte sie sehr leise, sehr rasch, mit jenem Zittern der Augenlider, das des nahenden Schlages gewärtig ist, das das Nahen des Schlages sieht.

Beim ersten Worte bäumte sie sich auf –

»Das kann nicht sein! . . . Das wird nicht sein – so lange ich lebe!«

Die Gewalt der Bewegung erschütterte die phosphoreszierenden Fluten ihres Haars – und um sie mit einem Griffe der Hand wieder zu festigen, machte sie eine tragische und freie Gebärde, die ihren Unterarm bis zum Ellbogen hinauf bloß legte.

»Wecken Sie Seine Hoheit!« rief sie mit halblauter Stimme in den wattierten Schatten des nachbarlichen Zimmers hinein.

Dann stieg sie, ohne noch ein Wort hinzuzusetzen, zum Könige hinauf.


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