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Achtes Kapitel.

Der große Coup.

Die Thür schlägt zu, jäh, mit selbstherrlichem Rucke. Sie jagt einen Windstoß vom einen Ende der Agentur zum anderen hin, der die blauen Schleier, die Mackintosch-Mäntel aufbläst, die Rechnungen in den Fingern der Kommis schüttelt und die Federchen auf den Baretts der im Laden befindlichen Damen erzittern macht. Es streckten sich Hände aus, neigten sich Stirnen: J. Tom Lewis hatte eben seinen Eintritt bewirkt. Ein Lächeln rings durch den Raum; zwei, drei sehr kurze, schneidige Weisungen an die Buchhalterei; soviel Zeit noch, um mit außerordentlich frohlockender Stimme die Frage zu stellen: »ob die Sendung an Seine Königliche Hoheit den Herrn Prinzen von Wales schon effektuiert sei,« – und schon war er drinnen in seinem Kabinett, und die Kommis gaben sich durch Zwinkern mit den Augen untereinander Kenntnis von der Bemerkung, die sie gemacht hatten, daß ihr Herr Chef heute bei erstaunlich vergnügter Laune sei. Ganz sicher war etwas neues vorgegangen. Die gesetzte, friedsame Sephora sogar begriff das hinter dem Gitterwerke ihres Schreibtisches und befragte sich, als sie Tom hereintreten sah, mit leiser Stimme:

»Was giebt es denn?«

»Allerhand!« sagte der andere; und ein breites, stilles Lächeln trat ihm auf den Mund, während seine Augen die bei großen Anlässen an ihnen bekannte Drehung um die eigene Achse machten.

Er winkte seiner Frau.

»Komm!«

Und beide stiegen die fünfzehn engen und schmalen, mit Kupfer belegten Stufen hinunter, welche zu einem Schmollzimmerchen unter der Erde führten, das sehr kokett tapeziert und mit Gardinen und Vorhängen ausgeputzt, mit einem Divan und einer ›Prinzessin-Toilette‹ möbliert und fast ununterbrochen mit Gas beleuchtet war, da das kleine Guckfenster, durch welches der Raum nach der Rue Royale hin Licht erhielt, durch ein mattpoliertes Glas, dick wie ein Stück Horn, geschlossen blieb. Von hier aus hatte man Zugang zu den Kellern und dem Hofe: ein Umstand, welcher Tom gestattete, ein- und auszugehen, ohne gesehen zu werden, und unangenehmen Persönlichkeiten, wie auch Gläubigern aus dem Wege zu gehen. Bei so verwickelten Geschäften, wie es die Geschäfte der Agentur waren, sind dergleichen Comanchen-Schliche unerläßlich. Ohne sie würde das Leben sich in Streitigkeiten und Zänkereien aufreiben.

Die ältesten Kommis von Tom, Leute, die also fünf und sechs Monate in seinen Diensten standen, waren niemals in diesen geheimnisvollen Raum unter der Erde gestiegen, wohin allein Sephora zu dringen das Recht hatte. Es war der intime Winkel des Agenten, sein Innerstes, sein Gewissen; es war der Cocon, die Puppe, woraus er jedesmal in neuer Wandlung hervorging, etwas wie eine Komödianten-Loge, mit welcher übrigens das Boudoir in diesem Augenblicke sehr starke Ähnlichkeit hatte infolge des hellen Lichts, das auf die Marmorplatte und Falbel-Gardinen der Toilette und die absonderliche Pantomimik geworfen wurde, welcher sich Herr J. Tom Lewis, Fremden-Geschäftsführer, hingab. Mit einer einzigen Handschwenkung knöpfte er seinen langen englischen Rock auf, warf ihn weit von sich, ließ ihm erst eine, dann eine zweite Weste, die buntscheckigen Westen des Cirkusmenschen, folgen, wickelte sich die zehn Meter weißen Musselin vom Halse, die seine weiße Halsbinde bildeten, wickelte sich die um seinen Leib übereinandergelegten Flanellbinden ab – und aus dieser majestätischen, schlagflüssigen Korpulenz, die in dem ersten, dem einzigen zu damaliger Zeit bekannten Cab durch Paris spazieren gefahren wurde, stieg plötzlich mit einem »Uff!« der Genugtuung und Befriedigung ein kleiner, dürrer, nervöser Mensch heraus, nicht dicker als eine abgewickelte Garnspule, ein greulicher Gassenstrick aus Paris in den Fünfzigern, den man aus dem Feuer geholt, aus dem Kalkofen gezogen hatte mit den verheerenden Runzeln, Narben, Spuren der Verbrennung, und trotz allem ein Mensch mit einem halb jugendlichen, rangenhaften Wesen, der echte alte Mobilgardist von '48, der wirkliche Tom Lewis, nämlich Narciß Poitou, der Sohn eines Tischlers aus der Rue d'Orillon.

Aufgewachsen in den Spänen der väterlichen Werkstatt bis zu seinem zehnten Lebensjahre; vom zehnten bis zum fünfzehnten erzogen durch die Arbeiterschule, die der Verein zur Besserung der Menschenrechte ins Leben gerufen, und durch die Straße, jene unvergleichliche Schulmeisterin unter freiem Himmel, hatte Narziß frühzeitig den Abscheu vor dem gemeinen Volk und vor auf Fingerthätigkeit angewiesenen Lebensberufen, gleichzeitig hiermit auch eine verzehrende Einbildungskraft in seinem Innern erwachen fühlen, daß die Pariser Gosse, mit all den fremdartig zusammengewürfelten Bestandteilen, die sie führt, eine bessere Nahrung böte als irgend welche andere Laufbahn von langer Dauer. Noch als er Kind war, schmiedete er schon Pläne, machte er schon Geschäfte. Später hinderte ihn diese Beweglichkeit der Sinnesthätigkeit daran, seine Kräfte zu festigen, sie produktiv zu machen. Er ging auf Reisen, unternahm tausenderlei Sachen, war in tausenderlei Berufen thätig. In Australien Goldgräber, in Amerika Squatter, in Batavia Komödiant, in Brüssel Spitzel, ließ er sich, nachdem er Schulden in beiden Erdteilen gemacht, nachdem er in allen vier Ecken des Weltalls Leute so an der Nase geführt und geprellt hatte, daß sie platt am Boden lagen, als Geschäftsvermittler, als Kommissionär in London nieder. In London lebte er ziemlich lange; und wäre nicht seine schreckliche, unersättliche Phantasie gewesen, eine Phantasie, die, immer hungrig nach Genüssen, ununterbrochen ihn von Vergnügen zu Vergnügen jagte, so hätte er dort sein Glück machen können; statt dessen aber stürzte ihn diese Phantasie in das schwarze Elend Britanniens. Dieses mal sank er tief, sehr tief – wurde eines Nachts im Hyde-Park, wo er den Schwänen im Bassin nachstellte, aufgegriffen und für diese Wilddieberei vornehmster Art zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt. Diese mehrmonatliche Haft setzte seinem Ekel an dem freien Großbritannien die Krone auf, und er kehrte wieder schiffbrüchig, arm und bloß auf das Pariser Pflaster zurück, von wo er ausgegangen war. Eine wunderliche Laune, die mit seinem Hanswurst- und Komödianten-Instinkte zusammenhing, war noch die, sich mitten im Kern von Paris als Engländer naturalisieren zu lassen. Es war dies für ihn infolge seiner Kenntnis der Sitten und Sprache Englands und des ihm eigenen mimischen Talents für Nachäffung anglosächsischen Wesens eine leichte Sache. Der Gedanke kam ihm instinktiv, plötzlich, bei seinem ersten Geschäft, bei seinem ersten »großen Coup«, den er als Zwischenhändler machte.

»Wen soll ich anmelden?« fragte ihn unverschämt ein langer Wicht in Livree.

Poitou sah sich so schäbig und von so trauriger Gestalt in dem großen weiten Vorgemache stehen, daß er schier zitterte davor, hinausgewiesen zu werden, ehe er sich hätte Gehör schaffen können. Er fühlte den Drang, dies alles durch irgend etwas, das vom gewöhnlichen Schlendrian abwich, durch etwas Fremdes, Absonderliches, zu beseitigen.

›› Aoh! . . . melden Sie Sir Tom Lewis an!«

Und vom selben Augenblicke an fühlte er sich gehoben, gestählt unter diesem in der Minute geschaffenen Namen, in dieser angeborgten Nationalität, fand er Unterhaltung, Zerstreuung darin, die Besonderheiten, die Bräuche und Narrheiten, die zu einer solchen Rolle gehören, auszubilden, zu vervollkommnen – ungerechnet die Aufmerksamkeit, mit der er seine Ansprache, seine Körperhaltung zu überwachen hatte – legte er sehr geschwind seinen Übereifer ab, dämpfte er das in ihm überkochende Feuer und gönnte sich, während er sich das Ansehen gab, als suche er nach fehlenden Ausdrücken und Worten, die Muße, auf Kniffe und Ausflüchte zu sinnen.

Seltsame Sache! Von den unzähligen Kombinationen dieses von Hilfsmitteln und Ideen übervollen Gehirns schlug ihm dieses, das von allen am mindestgesuchte, am besten ein. Ihm verdankte er die Bekanntschaft mit Sephora, welche damals auf den Champs-Elysées eine Art von Familien-Hotel führte. Es war ein niedliches Logierhaus von drei Etagen, mit rosa Gardinen verhängt; nach der Avenue d'Autin zu eine kleine Freitreppe zwischen großen, mit frischem Grün und mit Blumen geschmückten Asphalt-Bahnen. Die Hausherrin, immer auf dem Posten, setzte an einem Fenster im Erdgeschoß ihr ruhiges, göttliches Angesicht zur Schau, das sich gebeugt hielt über irgend eine Handarbeit oder ihr Kassabuch. Drinnen im Hause eine wunderliche Gesellschaft von fremdländischem Anstrich, Clowns, ›Buchmacher‹, Bereiter, Roßkämme, die angloamerikanische Bohême, die schlimmste von allen, der Abschaum der Schichten, der Auswurf der Spielhöhlen. Das weibliche Personal rekrutierte sich aus den Quadrillen von Mabille, deren Gefiedel an Sommerabenden aus nächster Nähe zu hören war, das sich mit der lärmenden Unterhaltung im ›Familien-Hotel‹, mit dem Klappern der Spielmarken und dem Klimpern der Louisd'ors vermischte; denn nach dem Diner wurde sehr hoch gespielt. Mietete sich manchmal, irre geführt durch die auf der Front des Hauses stehende Lüge, eine anständige Ausländer-Familie ein, so wurde sie schnell, am ersten Tage schon, kaum daß sie die Koffer aufgeschnallt hatte, durch das seltsame Aussehen, das die hier verkehrenden Gäste aufwiesen, durch den befindlichen Ton, der in ihren Reden herrschte, wieder verjagt.

In diesem Rahmen von Abenteuern und »Machern« eroberte Meister Poitou oder vielmehr Tom Lewis, dieser kleine, unterm Dache einquartierte »Logisherr«, sehr geschwind durch seine Lustigkeit, Schmiegsamkeit, seine Geschäftspraxis in allem, womit sich ein Geschäft machen ließ, eine Stellung. Er legte das Geld der Dienerschaft an und gewann durch sie das Vertrauen ihrer Herrin. Wie hätte ihm dieses Vertrauen auch nicht zu teil werden sollen bei diesem gutmütigen, offenen und ewig lächelnden Angesicht, das er sein eigen nannte? bei diesem unverwüstlichen Humor, der ihn zum köstlichsten Mitgliede der Tafelrunde machte? der den Gast animierte, dem Tisch seine Würze lieh, der bei Wetten und Trinkgelagen den Ton angab? So kalt und verschlossen die schöne Wirtin des Familien-Hotels gegen jedermann auch war, für Herrn Tom, aber auch nur für ihn, war sie zugänglich. Häufig des Nachmittags, wenn er kam oder ging, verweilte er in dem kleinen Geschäftszimmer des Hotels, das ein Muster von Sauberkeit und gutem Geschmack war und worin es an Spiegeln und weichen Matten reichen Überfluß hatte. Sephora erzählte ihm von ihren Geschäften, zeigte ihm ihre Juwelen und ihre Bücher, zog ihn zu Rate über das Menu des Tages oder über die Art, wie man die große tütenblumige Aronswurz pflegt, die neben ihr in einem Faïence-Napfe von Minton schwamm. Sie lachten zusammen über die Liebesbriefe, über die Anträge von allerhand Art, die sie empfing; denn Sephora war eine Schönheit, die durch Empfindung keinen Wandel litt. Temperamentslos, wahrte sie ihre Kaltblütigkeit überall und jederzeit, behandelte die Leidenschaft als eine Sache des Geschäfts. Man sagt gemeinhin, daß bei der Frau nur der erste Liebste zähle; derjenige, der bei Sephora als solcher galt, der sechzigjährige Greis, den Papa Leemans ihr auserwählt hatte, der hatte ihr das Blut zu Eis erstarrt für ewig und alle Liebe in ihr vernichtet. Sie hatte für nichts anderes Auge und Sinn als für das Geld – in zweiter Linie für Ränke und Schliche, für Hinterlist, Betrug und Geschäft. Dieses wunderbare Wesen war aber im Trödel geboren und für nichts anderes als für den Trödel geboren. Nach und nach knüpfte sich zwischen ihr und Tom ein Band, eine Freundschaft, wie sie der Oheim für das Mündel, das Mündel für den Oheim empfindet. Er war ihr Berater, ihr Führer und legte hierin jederzeit eine Geschicklichkeit an den Tag, gebot über eine Fruchtbarkeit der Phantasie, die diese gesetzte und methodische Natur, in welcher sich der Fatalismus des Juden mit dem schwerfälligen Temperamente des flandrischen Volkes verquickte, in Erstaunen und Entzücken versetzte. Niemals erfand oder ersann sie etwas gleich in der Minute – und Tom's Gehirn, dieses in einem fort im Brande befindliche Feuerwerk, mußte sie blenden. Und was ihm in ihren Augen die Krone aufsetzte, das war die Rede, die sie eines Abends von ihrem Kostgänger vernahm, nachdem er während des Diners auf die possierlichste Weise geradebrecht hatte – die Rede, die er ihr ins Ohr flüsterte, als sie sich nach ihrem Kontor begab:

»Und Sie merken doch: von Engländer keine Bohne!«

Von diesem Tage an begeisterte sie sich für ihn, oder vielmehr – denn die Empfindungen werten nur nach dem Etikett – vernarrte sich in ihn, wie eine Dame der Gesellschaft sich in den Schauspieler vernarrt, den sie allein kennt so, wie er aussieht fern von den Lampen, ohne Schminke, ohne Kostüm, den sie allein kennt so, wie er ist, und nicht so wie er den anderen scheint; die Liebe wird eben immer Privilegien begehren! Nun stiegen sie beide heraus aus der nämlichen Pariser Gosse. Sie hatte den Saum von Sephora's Röcken besudelt, und Narciß hatte sich in ihr gewälzt; aber den Schmutz und die Vorliebe für Schlamm und Unrat bewahrten sie sich beide aus dieser Zeit. Das Vorstadt-Gepräge, die gemeine, grobe Falte, die der Hanswurst-Physiognomie des Bummlers als Bindfaden dient, mit dem sie in Bewegung gesetzt wird, und die zuweilen einen Zipfel von der Larve des Engländers lüftete; diese Merkmale ließ Sephora blitzesgleich in den biblischen Linien ihres Gesichtes sehen, fand sie wieder in der Ironie, in dem bodenlos gemeinen Lächeln ihres Salome-Mundes.

Diese seltsame Liebe zwischen der schönen Frau und diesem Ungetüm von Mann wurde nicht schwächer, sondern wuchs in dem Verhältnis, wie Sephora's Einblick in das Leben des losen Gesellen sich festigte, wie ihre Kenntnis seiner Ränke, seiner Grimassen und Streiche sich mehrte, von der Erfindung des Cabs an bis hinauf zu der andren Erfindung der vielfachen Westen, mit deren Hilfe J. Tom Lewis, da er sich nicht größer machen konnte, versuchte, doch wenigstens majestätisch zu erscheinen; je mehr sie sich mit dieser so unvermuteten, im ewigen Wirbel von Plänen, Träumen, großen und kleinen Coups kreisenden Existenz verquickte.

Und dieser Affe von Mensch gebot über solche Kraft, daß er sie nach einer zehnjährigen, legitimen und philisterhaft geführten Ehe noch immer unterhielt und vergnügte, ihr noch immer ein lieber Mann war, wie in der ersten Zeit ihres Beisammenlebens. Um sich hiervon zu überzeugen, wäre nichts weiter notwendig gewesen, als sie heute zu sehen, wie sie, rücklings auf dem Divan des kleinen Boudoirs liegend, sich vor Lachen wand und kugelte und mit begeisterter, verzückter Miene rief. »Ist das dumm! ist das albern!« – während Tom im prallsitzenden, fleischfarbigen Trikot, reduziert auf seinen nüchternsten, kahlsten, eckigsten, knochigsten Ausdruck, sich vor ihr in einem rasenden Zappeltanze mit groben Gebärden und wütendem Gestampf drehte und wirbelte.

Als sie beide müde geworden waren, sie vom Lachen und er von seinem Zappeltanze, warf er sich neben ihr auf den Divan hin, näherte seine Affenfratze diesem Engelsköpfchen und hauchte ihr seine Freude in das Gesicht.

»Mit den Sprichts sind wir fertig! Die sind in Grund und Boden hinein vernichtet! Spricht und seine ganze Bagage! Ich habe meinen Coup nun aufgestöbert! den großen Coup, den gewaltigen Coup!«

»Ganz gewiß? Ei! wer ist's denn, dem er gilt?«

Der Name, den er nannte, führte auf Sephora's Lippen ein allerliebstes Schmolllippchen von Verachtung und Geringschätzung:

»Wie! dieser große Gimpel? . . . Aber er besitzt ja keinen Sou mehr . . . Wir haben ihn geschoren, rasiert, ihn und seinen illyrischen Löwen . . . Es bleibt ihm ja nicht mehr soviel Flaum auf dem Rücken!«

»Schilt mir den Leu von Illyrien nicht, mein Töchterchen! Das bloße Fell ist seine zweihundert Millionen wert,« sagte Tom, indem er in sein Phlegma zurückfiel.

Die Augen der Frau blitzten. Jede Silbe mit scharfem Drucke betonend, wiederholte er:

»Zweihundert Millionen!«

Dann setzte er ihr kalt und klar den ›Coup‹ auseinander. Es handelte sich darum, Christian den Zweiten dazu zu bewegen, daß er auf die vom Laibacher Landtage gemachten Vorschläge einginge und seine Rechte für die schöne Summe, die man ihm böte, abträte. Um was handelte es sich denn alles in allem? Eine Unterschrift sollte er machen – nichts weiter! Christian allein würde sich schon längst hierzu entschlossen haben. Die Umgebung, vornehmlich die Königin, wäre es einzig und allein, die ihn zurückhielte, die ihn verhinderte, diese Verzicht-Urkunde zu unterzeichnen. Heut oder morgen würde es schließlich doch dazu kommen müssen. Es wäre kein Kreuzer mehr im Hause. Man wäre schon in ganz Saint-Mandé Geld schuldig, beim Schlächter, beim Getreidehändler – denn trotzdem die Herren so im Pech säßen, würden im Stalle doch noch Pferde gehalten. Und dabei die Haushaltung immer noch auf großem Fuße, die Tafel tagtäglich fein gedeckt, nach außen hin der Schein von Luxus, während unter der Hand Entbehrungen ganz unheimlicher Art ertragen würden. Das königliche, mit der Krone gezeichnete Linnenzeug zerrisse in den Schränken und würde nicht ersetzt. Die Ställe wären leer, die größten Silberstücke wären zum Pfandleiher gewandert, und das kaum auf ausreichendem Fuße vorhandene Dienstpersonal bliebe häufig monatelang ohne Besoldung. Alle diese Einzelheiten wüßte Tom aus dem Munde des Lakeien Lebeau, der ihm auch die Geschichte von den zweihundert Millionen, die vom Laibacher Landtage als Abfindungssumme ausgesetzt worden seien, und von dem Auftritte mitgeteilt hätte, zu welchem dieser Vorschlag im Hause des Königs Veranlassung gegeben hätte.

Seitdem der König Kenntnis davon besäße, daß ihm zweihundert Millionen in so dichter Nähe, gleichsam auf dem Präsentierteller, dalägen und für eine Federspitze voll Tinte erhältlich seien, wäre er nicht mehr derselbe, lachte er nicht mehr, redete er nicht mehr, brütete er immer über dieser Idee, die sich, wie ein neuralgischer Fleck auf ein und derselben Stirnseite, in seinem Hirn festgesetzt hätte. Er bekäme Anfälle von Verbissenheit und schlimmster Laune, seufzte im Stillen tief und schwer. In seinem persönlichen Dienste wäre indes keine Veränderung eingetreten; er hätte seinen Sekretär nach wie vor. Auch herrschte der gleiche verschwenderische Luxus im Mobiliar und in der Garderobe. Diese in ihrem Stolz verbissene Friederike, die allen ihre Notlage durch ihre Hoheit zu verbergen meinte, würde niemals geduldet haben, daß der König unter irgendwelcher Entbehrung zu leiden hätte. Wenn er einmal zufällig in der Rue Herbillon speiste, dann wäre der Tisch verschwenderisch gedeckt. Was hingegen fehlte, was sie nicht beschaffen könnte, das wäre das Taschengeld, dessen der König für den Klub, für das Spiel, für die Damen benötigte. Augenscheinlich würde der König hierdurch unterliegen. Es würde ein Morgen kommen, nachdem er einmal lange in der Nacht beim Baccarat oder beim Bouillotte-Spiel gesessen, an welchem er nicht bezahlen konnte – und wenn er nicht schuldig bleiben wollte – man denke sich doch nur Christian als Schuldner im ›Grand Club‹ ausgehängt! – dann würde er eben nach seiner schönen Feder greifen und sein Demission als Herrscher mit einem einzigen Federzuge unterschreiben! – Es würde so weit sogar schon gekommen sein ohne den alten Rosen, der insgeheim, dem Verbote der Königin zum Trotz, für Seine Majestät wieder zu bezahlen anfinge. Es wäre übrigens auch der Plan im Gange, ihn dahin zu bringen, daß er über das Niveau der kleinen laufenden Schulden hinausginge, daß er zu wirklichen Geld- Ausgaben im großen Stile verleitet, in Verpflichtungen nach allen Seiten hin gestürzt werden solle, welchen die Hilfsquellen des alten Herzogs nicht gewachsen seien. Das erforderte freilich eine sehr beträchtliche Geldsumme als Vorschuß, als Anlage-Kapital.

»Aber,« sagte Tom Lewis, »das Geschäft liegt so prächtig, daß es uns an Geldmitteln hierzu nicht fehlen wird. Das beste würde sein, mit dem Vater Leemans über die Sache zu reden und die diesbezüglichen Operationen auf den Familienkreis zu beschränken. Was mir einzig und allein noch Kopfschmerzen macht, das ist die große Triebfeder, die Frau.«

»Welche Frau?« fragte Sephora, indem sie die harmlos blickenden Augen weit aufriß.

»Diejenige Frau, die es auf sich nehmen wird, dem illyrischen König den Strick um den Hals zu legen . . Wir müssen ein Frauenzimmer haben von der gierigsten Art, ein Frauenzimmer, das einen kräftigen Magen hat, die sich sogleich an die derben Happen macht.«

»Amy Férat vielleicht?«

»Ach, was! . . . Abgebraucht, überabgebraucht! . . . Und dann nicht ernst genug bei der Sache! Das soupiert und singt und flötet, spielt Hochzeit wie in der schönsten Jugendzeit . . . Die ist kein Frauenzimmer, die ihr Milliönchen im Monat in Ruhe und Frieden herauslocken könnte ohne allerhand Versuche, sich im eigenen Nutzen daran zu vergreifen, für sich das möglichste herauszuschlagen dadurch, daß sie recht lange zappeln läßt, sich ›en detail‹ quadratcentimeterweise verschachert . . . ein Frauenzimmer, das auf diese Weise teurer zu stehen kommen würde als eine Baufläche in der Rue de la Paix.«

»O! ich fühle schon, wie man die Sache drehen müßte,« sagte Sephora, träumerisch . . . »Aber die Person!«

»Ach ja! das ist's ja! . . . Die Person! wer? wer?«

Und das stumme Lachen, das sie austauschten, war soviel wert wie ein geschlossener Pakt.

»Aber geh doch! keine Mätzchen, Du! Da Du nun doch schon einmal A gesagt hast . . .«

»Wie! so weißt Du also?

»Sehe ich denn sein Getändel nicht, wenn er Dich ansieht? sehe ich denn nicht, wie er sich ans Gitter postiert, sobald er meint, ich sei ausgegangen? . . . Übrigens macht er ja gar kein Geheimnis daraus und erzählt jedem, der ihm zuhören will, von seiner Liebe . . . Er hat's ja sogar eigenhändig ins Klub-Buch eingeschrieben und unterschrieben!«

Als sie die Geschichte von der Wette hörte, geriet die ruhige Sephora in Erregung.

»Ach! wirklich! . . . Zweitausend Louis für meine Gunst? . . . Na, Schockschwerenot! das ist denn doch zu stark!«

Sie stand auf, machte ein paar Schritte, um ihren Zorn abzuschütteln; dann wendete sie sich zu ihrem Manne.

»Du weißt doch, Tom, daß es nun länger als ein Vierteljahr her ist, daß ich diesen langen Damian an meinen Schößen hängen lasse . . . Ei, da soll doch! . . . Nun, sieh! nicht 'mal soviel hab' ihm vergönnt!«

Man hörte, wie eine kleine Kralle gegen einen Zahn anschlug, der nach nichts anderem als zu beißen begehrte.

Sie sprach keine Lüge. Seit der Zeit, da er sie aufs Korn genommen hatte, war er noch immer nicht weiter gekommen, als ihre Fingerspitzen zu berühren, hinter ihr her an ihren Federhaltern zu knabbern, sich an dem Knistern, dem Rauschen ihres Rockes zu berauschen. Noch nie in seinem Leben war diesem ›scharmanten Prinzen‹ etwas dergleichen widerfahren, der von den Frauen gehätschelt, mit begehrlichem Lächeln und duftigen Brieflein bestürmt wurde. Sein hübscher friesirter Kopf, auf dem der Eindruck einer Krone weilte, die von der Königin mit Weisheit unterhaltene Legende von der heroischen Verteidigung Ragusa's, und vor allem der duftige Verführungshauch, welcher die geliebten Wesen einhüllt, waren für ihn im Faubourg gleichbedeutend gewesen mit wirklichen Erfolgen. Mehr als eine junge Frau hätte ein Seidenäffchen, gebettet auf einem vornehmen Boudoir-Teppich, aus dem königlichen Käfig zeigen können; und in der Kulissenwelt, die im großen und ganzen monarchisch gesinnt ist und wohlwollender Denkungsart sich befleißigt, gab der Umstand, das Portrait Christians des Zweiten in ihrem ›Souvenir‹ zu haben, einer Dame sogleich ein richtiges Ansehen.

Dieser Mann, der daran gewöhnt war, die Augen, die Lippen, die Herzen ihm entgegeneilen zu fühlen, niemals seinen Blick auszuwerfen, ohne daß etwas an der Spitze desselben zappeln blieb, vertrödelte seine Zeit, verbitterte sich das Leben seit Monaten angesichts der friedsamsten, kältesten Natur, die es auf Erden wohl geben konnte. Sie spielte an der Kasse Modell, zählte, rechnete, wendete die schweren Kontoblätter um, ohne dem Seufzerbold mehr als die samtene Rundung ihres Profils im Verein mit dem Zittern eines Lächelns zu zeigen, das in dem Augenwinkel, am Rande der Wimpern sein Ende fand. Die Grille des Slaven fand im ersten Augenblicke Vergnügen an diesem Kampfe; auch mischte sich die Selbstliebe dazwischen, da er alle Augen des ›Grand-Club‹ scharf auf sich gerichtet wußte. So wurde die Sache schließlich zur wirklichen Leidenschaft, die durch die Hohlheit und Leere dieses Daseins ohne Beschäftigung, ohne Arbeit, in welchem die Flamme kerzengerade, ohne Hindernis emporstieg, Nahrung und Speisung fand. Er kam Tag für Tag gegen fünf Uhr, in dem schönen Momente des Pariser Tagewerks, zur Stunde der Visiten, in welcher über die abendlichen Vergnügungen Entscheidung getroffen wird; und einer nach dem andern der sämtlichen jungen Herren aus dem Club, die in der Agentur ihren »Lunch« einnahmen und Sephora umschwirrten, räumte ihm respektvoll das Feld. Diese Fahnenflucht, welche die Ziffer der laufenden Geschäfte kleineren Umfangs verringerte, vermehrte die Kälte der Dame; und als der Leu von Illyrien nichts mehr einbrachte, fing sie bereits an Christian fühlen zu lassen, daß er sie störte, ihr lästig würde, daß er sich des halboffenstehenden Winkels ihres Drahtgitters mit allzu viel königlicher Freiheit bemächtigte – als sich dies alles mit einem male, von heute auf morgen, veränderte, von dem Tage nämlich an, an welchem sie jene Unterredung mit Tom gehabt hatte.

»Majestät sind gestern Abend in den ›Fantaisies‹ gesehen worden . .«

Bei dieser im Frageton geäußerten Bemerkung, die von einem ängstlichen und traurigen Blicke begleitet wurde, fühlte sich Christian der Zweite von einer Verwirrung übermannt, die seinem Herzen köstlich wohlthat.

»Ja! Wirklich . . . ich bin dort gewesen . . .«

»Nicht – allein?«

»Aber . . .«

»Ach! . . . Giebt's doch glückliche Frauen!«

Um das Herausfordernde, das in ihrer Rede lag, abzuschwächen, setzte sie auf der Stelle hinzu, daß sie seit langer Zeit schon fürs Leben gern einmal in dieses kleine Theater gegangen wäre, »um mir, Sie wissen schon, diese schwedische Tänzerin anzusehen« . . . Aber ihr Mann führte sie ja nirgends wohin!

Er trug ihr sein Geleit an.

»O! Sie sind zu sehr bekannt . . .«

»Wenn wir uns in den Schatten einer Loge setzen . . .«

Kurz, es wurde für den andern Tag ein Rendezvous verabredet; denn das war gerade Tom's Ausgeh-Abend. Welch eine köstliche Sache doch war dies! Auf dem Rückplatz der Loge saß sie in wohlberechneter und taktvoller Toilette, von einer Kindesfreude erfüllt, daß es ihr vergönnt war, diese Ausländerin zu sehen, die damals im Zenith ihrer Pariser Berühmtheit stand, eine Schwedin mit unbedeutendem Gesicht und eckigen Bewegungen, mit Augen unter dem blonden Haardiadem, leuchtend und schwarz, in denen alle Farben des Regenbogens schillerten, richtige Nagetier-Augen – dazu ganz in Schwarz gekleidet und in ihren schweigsamen Sätzen und Sprüngen blinde Bestürzung, gleich einer großen Fledermaus, zum Ausdrucke bringend.

»O! wie nett! . . . o wie nett!« rief Sephora.

Und der König-Lebemann saß hinter ihr, mit einer Schachtel Pralinees auf den Knieen, und besann sich nicht, ein süßeres Behagen empfunden zu haben, als ihm die Berührung dieses von loser Spitze leicht bekleideten Arms, dieses frischen Atems, der sich nach ihm hinlenkte, bereitete. Er wollte ihr das Geleit bis nach dem Bahnhofe von Saint-Lazare geben, da sie wieder aufs Land hinausfuhr – und im Bahnwagen, da fühlte er sich von seinen Empfindungen plötzlich so übermannt, daß er sie mit den Armen umschlang und an sein Herz preßte.

»O!« sagte sie mit traurigem Tone – »Sie werden mich um mein ganzes Vergnügen bringen!«

Der ungeheure Wartesaal erster Klasse war leer und schlecht erleuchtet. Sie hatten sich auf eine Bank gesetzt, und Sephora suchte, zitternd vor Frösteln, Schutz in Christians weitem Pelze. Hier hatte sie keine Furcht mehr, gab ihren Empfindungen Raum, flüsterte dem Könige leise ins Ohr. Von Zeit zu Zeit ging ein Bahnbeamter vorbei und schwenkte seine Laterne, oder irgend eine Komödianten-Gesellschaft, die auf dem Weichbilde wohnte und nach Schluß des Theaters nach Hause fuhr. Zwischen ihnen das Mysterium eines abseits wandelnden umschlungenen Paars.

»Wie sie doch glücklich sind!« flüsterte sie. »Weder Fesseln noch Pflichten! . . Dem Zuge seines Herzens folgen . . . Alles andre ist hohler Kram!«

Sie, ach! sie wußte davon zu reden. Und plötzlich, wie fortgerissen, erzählte sie ihm ihr trauriges Leben mit einer Schlichtheit und Offenheit, die ihn rührte – erzählte ihm von den Fallen und Schlichen, die in Paris einem jungen Mädchen gelegt werden, das durch den Geiz ihres Vaters in Armut gehalten wird – erzählte ihm von dem unheimlichen Schacher, dessen Opfer sie in ihrem sechszehnten Jahre wurde, von den vier traurigen, bei diesem Greise verlebten Jahren, dem sie nie mehr als Krankenpflegerin gewesen wäre; wie sie dann nicht wieder hätte zurücksinken mögen in die Trödlerbude ihres Vaters Leemans und, da sie eines Führers, einer Stütze im Leben notwendigerweise bedurfte, diesem Tom Lewis, einem Kapitalisten, die Hand gereicht hätte. Sie hätte sich ihm gewidmet, mehr seinem Geschäfte als ihm, unter Verzicht auf jegliches Vergnügen, lebendig begraben draußen auf dem Lande; hätte sich schließlich auch jener Arbeit im Kontor ihres Mannes unterzogen – und dies alles, alles ohne einen Dank, ohne eine Gunst von seiten dieses, einzig und allein in seiner geschäftlichen Thätigkeit Befriedigung für seinen Ehrgeiz suchenden Mannes, der bei der geringsten Willensäußerung, die sie sich erlaubte, bei dem leisesten Wunsche nach einem Lebensgenusse immer jene Vergangenheit ihr vor Augen rückte, für welche sie doch gar keine Verantwortung traf . . .

»Diese Vergangenheit!« sagte sie und stand auf, »die mir den unauslöschlichen Schimpf eingetragen hat, den Sie im Wettenbuche des ›Grand-Club‹ mit Ihrem Namen eingezeichnet haben!«

Die Glocke, die das Zeichen zur Abfahrt gab, fiel just in dem Augenblicke ein, wo es not that, um diesem kleinen Theater-Coup die richtige Wirkung zu leihen. Sie entfernte sich mit ihrem gleitenden Schritte, dem die losen schwarzen Wellen ihres Kleides folgten, winkte Christian einen Gruß mit den Augen, mit der Hand und ließ ihn verblüfft, außer stande ein Glied zu rühren, betäubt von dem, was er eben vernommen, stehen . . . Also wußte sie! . : . Wie? . . . Woher? . . . O! wie er sich zürnte ob seiner Feigheit, ob seiner Windbeutelei . . . Er verbrachte die Nacht mit Schreiben, erbat ihre Verzeihung in einem Französisch, das übersäet war mit allen Blumen seiner nationalen Poesie, welche die Herzliebste mit girrenden Täubchen, mit der rosigen Frucht der Azerole vergleicht.

Es war ein unvergleichlicher Einfall von Sephora, dieser Vorwurf mit der Wette! Das gab ihr volle Macht über den Könige und auf lange Zeit hinaus! Das erklärte auch die Kälte, mit der sie ihn so lange behandelt, die fast feindselige Art, wie sie seine Besuche aufgenommen, und das kluge Schachern und Feilschen, das sie mit ihrer ganzen Person trieb. Muß ein Mann denn nicht alles ertragen von Derjenigen, welcher er einen solchen Schimpf angethan! Christian wurde der ängstliche, gefügige Diener, der sich in alle Launen und Grillen schmiegte, der Cicisbeo de facto vor den Augen und Ohren von ganz Paris; und wenn ihm die Schönheit der Dame vor den Augen der Welt auch als Entschuldigung dienen konnte, so hatten die Freundschaft und die Vertraulichkeit des Mannes für ihn doch nichts Erbauliches. »Mein Freund Christian der Zweite!« sagte J. Tom Lewis, während er seine kleine Figur in die Höhe reckte. Es kam ihm einmal der Einfall, ihn nach Courbevoie einzuladen, um die Sprichts wieder einmal mit jener eifersüchtigen Wut zu erfüllen, welche dem berühmten Schneider immer ans Leben ging. Der König lief durch das ganze Haus und durch den ganzen Park, bestieg die Yacht und geruhte, sich auf der Freitreppe in der Mitte der Schloßbewohner photographieren zu lassen, welche die Erinnerung an diesen unvergeßlichen Tag verewigen wollten. Und am Abend, während man zu Ehren Seiner Majestät ein Feuerwerk abbrannte, dessen Raketen in ihrem Falle von der Seine zurückgespiegelt wurden, flüsterte Sephora, auf Christians Arm gestützt, während sie an der Weißbuchenhecke entlang schritten, über und über in Weiß gehüllt durch den Abglanz einer bengalischen Flamme:

»O! wie ich Sie lieb haben möchte, wenn Sie nicht König wären!«

Es war ein erstes Geständnis und ein sehr geschickt geäußertes Geständnis. Alle Maitressen, die er bis dahin gehabt hatte, beteten in ihm den Souverän an, den berühmten Titel, die lange Ahnenreihe. Dieses Weib hier liebte ihn um seiner selbst willen. »Wenn Sie nicht König wären!« Er war's doch so wenig! er hätte ihr doch so gern den Fetzen dynastischen Purpurs zum Opfer gebracht, der ihm kaum noch auf den Schultern hing!

Ein anderes mal sprach sie sich noch klarer und deutlicher aus. Als er sich in Unruhe setzte darüber, daß er sie in Thränen gebadet und leichenblaß sah, da gab sie ihm zur Antwort: »Ich habe rechte Furcht, daß wir uns bald nicht mehr sehen möchten!«

»Und warum das?«

»Er hat mir eben die Eröffnung gemacht, daß die Geschäfte zu schlecht gingen, um sie in Frankreich weiter zu führen, daß er die Agentur würde schließen und sich anderswo niederlassen müssen.«

»Er nimmt Sie mit?«

»O! ich bin seinem Ehrgeiz nur ein Hindernis. ›Komm mit, wenn's Dir recht ist!‹ hat er gesagt. Aber ich muß ihm folgen . . . Was sollte denn hier mit mir allein werden?«

»Ei, Sie Böse! Bin denn ich nicht da?«

Sie sah ihn starr an. Dann sagte sie: »Ja doch! es ist wohl wahr, daß Sie mich lieben! Und ich, ich liebe Sie auch! Ich würde Ihnen angehören können, ohne daß ich mich zu schämen brauchte . . . Aber nein! das geht nicht an . . ist ganz unmöglich!«

»Unmöglich?« fragte er, ganz außer sich vor Freude über das Paradies, das seinen Augen sich aufthat. »Unmöglich?«

»Majestät! Sie sind zu hoch gestellt für Sephora Lewis!«

Und er, er sagte mit wunderbarer Albernheit:

»Aber ich werde Sie zu mir hinanfziehen . . Werde Sie zu mir erheben! Ich werde Sie zur Gräfin, zur Herzogin ernennen. Das ist eins von den Rechten, die mir verbleiben, und wir werden bald in Paris ein Nest für Verliebte finden, wo ich Sie auf eine Ihres Ranges würdige Weise einrichten werde . . Wo wir ganz allein leben werden . . . nur uns . . .«

»O! das würde zu schön sein!«

Sie träumte, die offen blickenden, von Thränen schimmernden Mädchen-Augen zu ihm aufschlagend. Dann fuhr sie lebhaft fort:

»Aber nicht doch! nicht doch! Sie sind König . . . und eines Tages, wenn das Glück sein Füllhorn über Sie ausschüttet, werden Sie mir den Rücken kehren . . .«

»Niemals!«

»Und wenn man Sie zurückruft . . .«

»Wohin denn? . . . Nach Illyrien? . . . Aber das ist ja vorbei, abgethan für ewig . . . Ich habe im vergangenen Jahre eine von jenen Gelegenheiten versäumt, die nicht zum zweitenmal wiederkehren!«

»Ganz wahrhaftig?« sagte sie mit einer Freude, die nicht geheuchelt war. »O! wenn ich hierüber Gewißheit hätte!«..

Es stand ihm ein Wort auf den Lippen, sie zu überzeugen; ein Wort, das er nicht aussprach, das sie aber recht gut hörte – und abends erklärte J. Tom Lewis, den Sephora auf dem Laufenden hielt, feierlichst, daß »die Sache im Gange wäre . . daß man nun den Vater benachrichtigen müßte . . .«

Verlockt wie seine Tochter durch die Phantasie und die ansteckende Begeisterung, durch den so erfinderischen Kopf des Pseudo-Engländers, hatte Leemans zu mehreren malen Geld zu den Unternehmungen der Agentur eingeschossen. Nachdem er gewonnen hatte, hatte er Verluste erlitten, wie das eben die Zufälle des Spiels so mit sich bringen; nachdem er sich aber, wie er sich äußerte, zwei-, dreimal »aufs Eis hatte führen lassen,« war der gute Mann vorsichtig geworden. Er machte keine Vorwürfe, regte sich nicht auf, wurde auch nicht heftig, denn er kannte dazu die Geschäfte zu gut und war kein Freund von überflüssigem Gerede. Wenn aber sein Schwiegersohn ihm wieder von Geldzuschüssen zu einem von jenen erstaunlichen Luftschlössern redete, die seine Beredsamkeit bis zum Himmel erhob, da lächelte der Trödler still vor sich hin, und das bedeutete sehr klar und scharf: »a, u, s! aus! damit ist's aus!« und dann schlug er die Augenlider nieder, eine weitere Gebärde, die Tom's Extravaganzen zum Verstande, auf das Niveau der ausführbaren Ideen zurückzuleiten schien. Der andere wußte das; und da er weise daran festhielt, daß das Geschäft mit Illyrien nicht aus der Familie ginge, schickte er Sephora zu dem Trödler, der mit dem nahenden Alter für sein einziges Kind, in welchem er sich übrigens wieder aufleben sah, eine Art von wahrer Liebe zu fassen anfing.

Seitdem ihm seine Frau gestorben war, hatte Leemans seinen Raritätenladen in der Rue de la Paix verkauft und sich an der Trödelbude genügen lassen. Dort war es, wo Sephora ihn eines Morgens aufsuchte; um sicher zu gehen, daß sie ihn auch treffe, zu früher Stunde; denn er pflegte wenig zu Hause zu bleiben, der alte Mann. Unermeßlich reich und, wenigstens dem Anschein nach, dem Handel nun fern stehend, durchstöberte er nach wie vor Paris vom frühen Morgen bis zum späten Abend, lief bei den Kauf- und Handelsleuten herum, besuchte Auktionen, Verkäufe, immer auf der Witterung nach Geschäften, immer in Reibung mit Geschäften, und vor allem ein erstaunlich scharfes Auge auf die Unzahl der Kleintrödler, der ›Detaillisten‹, der Bilder-, Nipp- und Schmucksachen-Händler haltend, denen er Vorschüsse machte, mit denen er zusammen Geschäfte machte, ohne es einzubekennen, aus Furcht, daß man Argwohn hinsichtlich seines Vermögens schöpfen möchte. Sephora folgte dem Einfluß einer Laune, einer Rückerinnerung an ihre Jugendzeit, und kam zu Fuße aus der Rue Royale nach der Rue Eginhard, ungefähr dieselbe Straße einschlagend, die sie ehemals nach dem Kaufladen hin führte. Es war noch nicht acht Uhr. Die Luft war frisch, an Wagen standen erst nur wenige da; und nach der Bastille zu lagerte vom Sonnenaufgange her eine orangegelbe Wolkenschicht, in welcher der vergoldete Genius oben auf der Säule seine Fittiche zu nässen schien. Von dieser Seite her kam aus allen hierher mündenden Straßen ein niedliches Volk vorstädtischer Dirnen geströmt, das auf dem Wege zur Arbeit war. Wenn sich der Prinz d'Axel beizeiten aus den Federn erhoben hätte, um diese Herniederflut von weiblichen Wesen zu belauern, so würde er an diesem Morgen seine Befriedigung gefunden haben. Zu zweien, zu dreien, plaudernd, behend, hurtigen Schrittes, strebten sie den Ameisenhaufen der Werkstätten in den Straßen Saint-Martin, Saint-Denis, Vieille-du-Temple zu, und einige unter ihnen, aber nur wenige, von vornehmerer Tracht und Führung, nach den Kaufhallen der Boulevards hin, die in größerer Entfernung befindlich sind, aber später geöffnet werden.

Es war nicht die abendliche Lebendigkeit, wenn man sich nach vollendetem Tagewerk, den Kopf wüst von einem Pariser Wochentage, nach seiner Schlafstätte zurückbegiebt mit Lärm und Lachen, oft mit dem Gefühl des Bedauerns, des Wehs über eine Pracht, die man gesehen, unter deren Eindruck die Mansarde höher, die Treppe düsterer erscheint als sonst. Aber wenn auch in diesen jugendlichen Köpfen noch Schlaf zurückblieb, so hatte die Ruhe sie doch mit einer Art von Frische, von Neuheit geschmückt, die durch das sorgsam gekämmte Haar, durch die in die Flechten geknüpften, unter das Kinn gebundenen Band-Enden und durch den Bürstenstrich, der den schwarzen Kleidern vor Tage gegönnt worden war, vervollständigt wurde. Hie und da an einem von der Kälte rosig gefärbten Ohrläppchen ein unechter Edelstein, ein gelbrötlich schimmernder Kamm, das Rauschgold einer Schnalle am Leibchen, die weiße Linie eines in die Tasche eines Regenmantels geschobenen Zeitungsblattes. Und welch eine Hast! welch ein Mut! In leichten Mäntelchen und dünnen Jäckchen, unsicheren Ganges auf zu hohen Hacken, die von den zahlreichen Wegen, die sie machen müssen, schief gelaufen sind; bei allen der Wunsch, das Begehr, der Drang nach kokettem Gethue – eine Art, mit gehobener Stirn, gerade ausschauenden Augen einherzugehen, erfüllt von der Neugierde dessen, was dieser angebrochene Tag bringen wird; Naturen, von A bis Z für den Zufall bereit, wie ihr Pariser Typus, der gar kein Typus ist, bereit ist für alle Wandlungen, für alle Umgestaltungen.

Sephora war nicht sentimental und hatte niemals einen Blick für etwas, das außerhalb der gerade vorliegenden Sache und der gegenwärtigen Stunde lag. Indessen machte ihr dieses verworrene Gestampfe, dieses frühzeitige Gebraus um sie her Spaß und Vergnügen. Auf allen diesen Lärvchen fand sie die eigene Jugend wieder, in diesem Morgenhimmel, in diesem alten, so seltsamen Stadtviertel, in welchem jede Straße an ihrer Ecke, auf viereckigem Zettel, den Namen der vornehmen Repräsentanten der Handelswelt trägt, der seit fünfzehn Jahren keine Änderung erfahren hatte. Als sie unter das schwarze Gewölbe trat, das der Rue Eginhard von der Seite der Rue Saint-Paul her als Eingangspforte dient, streifte sie das lange Gewand des Rabbiners, der sich nach der benachbarten Synagoge begab; zwei Schritte weiter begegnete sie dem Rattentöter mit seiner Gerte aus Birkenreis und seinem Brettchen, an welchem die zottigen Kadaver hängen – ein Typus des alten Paris, den man nur in diesem Wirrsal von moderigen, feuchten Häusern noch findet, wo sämtliche Ratten der Stadt ihr Generalquartier haben.

Noch weiter kommt ihr ein Mietswagen-Kutscher entgegen, den sie einen Morgen wie alle Morgen ihres Nähmamsellen-Lebens in der gleichen Weise hatte entlang gehen sehen, schwerfälligen Schrittes in seinen großen, des Laufens wenig gewohnten Stiefeln, in der Hand mit ziemlicher Fürsorglichkeit – kerzengerade, wie der Abendmahlsgänger seine Weihkerze hält – die Peitsche tragend – jenes Werkzeug, das dem Kutscher der Degen ist, ihm als das Wahrzeichen seines Standes gilt, und das er niemals von sich läßt. An der Thüre der zwei, drei Butiken, welche die ganze Gasse bildeten und von deren Fenstern man eben die Läden abhob, sah sie die nämlichen, haufenweise aufgehängten Lumpen, hörte sie das nämliche hebräische und elsässische Kauderwelsch – und als sie nach Durchschreitung der niedrigen Pforte, die zu dem väterlichen Hause führte, des kleinen Hofes, der zu den vier Stufen nach dem Trödelladen hinunter führte, den Strick zog, der die geborstene Klingel in Bewegung setzte, da war es ihr ganz so zu Mute, als ob ihr um fünfzehn Jahre weniger auf den Schultern lägen – ein Anderthalb-Jahrzehnt übrigens, das sie mit keiner sonderlich großen Schwere bedrückte.

Wie zur damaligen Zeit, kam »die Darnet« zur Thüre hin, um sie zu öffnen. Es war eine stämmige Frauensperson aus der Auvergne, »die Darnet«, auf deren glänzendem und gerötetem Gesicht mit düsteren Unterpartieen, wie auf dem eng geknüpften Halstuch und auf der schwarzen, mit weißem Vorstoß versehenen Haube, die Trauer eines Kohlenkellers zu liegen schien. Die Rolle, die sie im Hause spielte, war deutlich sichtbar in ihrer Art, wie sie Sephora die Thüre öffnete, deutlich sichtbar in dem Lächeln bei aufeinander gekniffenen Lippen, mit welchem die beiden Frauen einander wechselseitig ins Auge faßten.

»Mein Vater zu Hause?«

»Jawohl, meine Dame . . . In der Werkstatt . . . ich werde ihn rufen.«

»Nicht nötig . . ich weiß ja, wo es ist.«

Sie ging durch das Vorzimmer und durch den Salon, war mit drei Schritten durch den Garten – der wie ein schwarzer Schacht lag zwischen zwei großen Mauern, mit ein paar Bäumen darin – dessen enge Wege gepfropft voll waren von zahllosem altem Trödelkram, altem Eisen, altem Blei, von durchbrochenen Geländern, starken Ketten, deren oxydiertes und geschwärztes Metall sich zu den traurigen Epheu-Gewächsen, zu dem grünlichen Tone des alten Springbrunnens im Garten trefflich schickte. Auf der einen Seite drüben stand ein Schuppen, welcher von Gerümpel, zerbrochenen Möbelgerippen aus allen Zeiten strotzte, in dessen Ecken und Winkeln gerollte Tapeten in Haufen herumstanden. Auf der anderen Seite drüben eine Werkstatt, deren Wände ganz aus mattpolierten Scheiben zusammengesetzt waren, mattpoliert deshalb, um indiskreten Blicken aus den nahe gelegenen Stockwerken den Weg abzuschneiden. Dort türmte sich bis zur Decke hinauf, in einem scheinbaren Wirrwarr, ein Wust von Reichtümern, die ihrem richtigen Werte nach allein von dem alten Trödler gekannt waren: Laternen, Kronleuchter, Kandelaber, Rüstungen, Weihrauch-Pfannen, altertümliche oder ausländische Bronze-Sachen. Im Hintergrunde ein paar Schmiedeöfen, Hobelbänke, Schlosserladen. Dort arbeitete der Trödler altes zu neuem, kopierte und verjüngte die alten Modelle mit einer erstaunlichen und wunderbaren Geschicklichkeit, mit der Geduld und Ausdauer eines Benediktinermönches. Vormals herrschte hier von morgens bis abends ein gewaltiger Lärm; fünf oder sechs Arbeiter waren um den Meister her beschäftigt. Jetzt aber hörte man nur das Klingklang eines einzigen Hammers auf dem feinen Metalle, das Gerassel einer einzigen Feile, und abends gab eine einzige Lampe bloß Zeugnis davon, daß die Trödlerwerkstatt nicht völlig erstorben war.

Als seine Tochter eintrat, stand der alte Leemans mit langem Lederschurze um die Hüften und mit aufgestreiften Hemdsärmeln am Werktische und war damit beschäftigt, auf dem Schraubstock einen Leuchter aus dem Zeitalter Ludwigs des Dreizehnten, zu welchem ihm das Modell vor Augen stand, zu schmieden. Die nackten Arme waren haarig und blond – von einem Blond, als hätten sie vom Schraubstocke Kupferteilchen aufgenommen. Bei dem Geräusch, welches die Thüre machte, hob er seinen roten, in einem Haar- und Bartwuchs von rötlichem Weiß versteckten Kopf von der Arbeit auf und runzelte die dichten Augenbrauen von ungleicher Länge. hinter denen sein Blick, wie zwischen den herabhängenden Bartfedern eines Lämmergeiers, lauerte und sich klärte.

»'Tag, Pa'!« sagte Sephora, die so that, als wenn sie die verlegene Miene des Biedermanns nicht gewahr würde, mit welcher er den Leuchter, den er in der Hand hielt, zu verstecken strebte; denn er liebte es nicht, bei seiner Arbeit gestört oder beobachtet zu werden.

»Du bist's, Kleine?«

Er rieb sich den alten Schnabel auf den beiden zarten Wangen.

»Was geht denn mit Dir vor?« fragte er, indem er sie in den Garten schob –»weshalb bist Du denn so frühzeitig angestanden?«

»Ich habe Dir etwas sehr Wichtiges zu sagen!«

»So komm!« Er führte sie nach dem Hause.

»O! aber, weißt Du, ich will nicht, daß die Darnet dabei sei . . .«

»Gut, gut!« sagte der Alte und lächelte in seinen Haarbusch hinein. Als er in die Stube trat, wo die Magd über der Politur eines venetianischen Spiegels beschäftigt war, in einem fort wischend, putzend, reibend, rief er ihr zu:

»Darnet! Du wirst so lange, wie ich hier bin, in den Garten hinausgehen!«

Und der Ton, in welchem diese Worte gesprochen wurden, bewies, daß der alte Pascha seine Rechte noch nicht in die Hände der Lieblings-Sklavin niedergelegt hatte. Sie blieben, Vater und Tochter, beide in der sauber gehaltenen bürgerlichen Wohnstube, deren mit weißen Decken überzogenes Mobiliar, wie die vor den Stühlen liegenden Wollteppiche, im wunderlichen Gegensatze standen zu dem Tohuwabohu der staubbedeckten Reichtümer im Schuppen und in der Werkstatt. Gleich jenen feinen Köchen, die nur die einfachsten Gerichte lieben, besaß der Vater Leemans, der in Kunstsachen so erfahren und klug und so erpicht auf sie war, bei sich zu Hause nicht das winzigste Krümchen davon und zeigte sich hierin so recht als Handelsmann, der er war, als der wägende, schätzende, schachernde, tauschende Handelsmann, der weder eine Passion hat, noch ein Bedauern kennt, der nicht ist nach der Art jener Kleinkramkünstler, die, ehe sie eine Rarität abtreten, sich über die Art und Weise den Kopf warm machen, wie der Dilettant sie einkleiden, sie zu Gelde machen könnte. Bloß sein großes Bild in ganzer Figur, mit der Marke ›gemalt von Wattelet‹, das ihn am Schmiedefeuer, zwischen seinem Alteisen-Kram, darstellt, hängt an der Wand. Das ist er in seiner ganzen Echtheit, um ein klein weniges minder weiß, aber sonst nicht verändert, ganz der alte, magere, krumme Mann, nach wie vor mit seinem Hundsmenschen-Kopfe mit dem rötlich-gelben und glatt anliegenden Bart, den langen Haaren in wirrem Busche, der vom Gesicht nichts weiter als eine von kontinuierlicher Entzündung gerötete Nase sehen läßt, die diesem mehr als nüchternen Thee-Trinker eine Art von Trunkenbold-Gesicht giebt. Das Bild war das einzige charakteristische Merkmal, das der Saal aufwies; dazu noch ein mit dem Schnitte der Quere auf den Kamin gelegtes Gebetbuch. Leemans verdankte diesem Buche ein paar gute Geschäfte. Er unterschied sich in dieser Beziehung vorteilhaft von seinen Wettbewerbern. Jenem alten Heiden von Schwalbach, der Mutter Esau und all dem andern Gelichter, die ihre Ahnen in irgendeinem Juden-Ghetto zu suchen haben – während er der christliche Mann war, der aus Liebe sich eine Jüdin geheiratet hatte, aber wie gesagt Christ, und noch dazu katholischer Christ war. Das war ihm sehr förderlich bei seiner Kundschaft. Er hörte im Betsal jener Damen, die bei der Gräfin Malet, bei der Frau Sismondo verkehrten, die Messe. Er zeigte sich des Sonntags in ›Sankt-Thomas-von-Aquino,‹ in ›Santa Clotilda,‹ wohin sich seine besten Kunden ebenfalls verfügten – während er sich durch seine Frau die Häuser der großen jüdischen Gefällpächter warm hielt. Als er alt wurde, war ihm diese religiöse Farce zur Gewohnheit, zur zweiten Natur geworden, und oft trat er des Morgens, wenn er sich auf seine Geschäftsgänge begab, in ›Sankt-Paulus‹ ein, um – wie er sich im vollen Ernste ausdrückte, – ›ein Endchen Messe mitzunehmen,‹ weil er nämlich die Wahrnehmung gemacht hatte, daß er an solchen Tagen immer mehr Glück und ›eine bessere Hand‹ hätte als an anderen . . . .

»Und nun!« sagte er, indem er seine Tochter mit duckmäuserischem Blicke maß.

»Ein großes Geschäft, Pa'!«

Sie zog aus ihrer Tasche ein Bündel von Scheinen und Wechseln, die sämtlich Christians Unterschrift trugen.

»Die Dinger müßten diskontiert werden. Willst Du?«

Beim ersten Blicke auf die Querschrift schnitt der Alte eine Grimasse, die sein ganzes Gesicht in Runzeln legte, es fast ganz und gar in seinem Vließ verschwinden ließ, mit einer Bewegung aber, wie sie ein Igel macht, der sich zur Wehr rüstet.

»Illyrisch Papier! Danke schönstens, das kenne ich! . . Da muß Dein Mann schon ganz verrückt sein, wenn er Dich mit einem solchen Auftrag hierher schickt . . . Wirklich, Kind! Laß hören! Hast Du hierbei die Hand im Spiele?«

Ohne sich über diesen Empfang aufzuregen, auf welchen sie gefaßt gewesen war, fuhr sie fort.

»Du, höre!« sagte sie, und nun erzählte sie ihm mit der ganzen Ruhe und Gesetztheit ihres Wesens, wie der »große Coup« geführt werden sollte, in allen Einzelheiten, zuzüglich der Beweise für das Gelingen, die sie vornehmlich aus einer Nummer des »Quernaro« schöpfte, in welcher sich der Bericht über die Landtagssitzung befand, ferner aus Briefen von dem Kammerdiener Lebeau, welcher sie und ihren Mann über die Situation der königlichen Familie auf dem Laufenden hielt. Der König, der verliebt sei bis über die Ohren, hätte nichts weiter im Sinne als die Sorge um die Verwirklichung seines Glückstraumes. Ein prächtiges Palais in der Avenue von Messina, auf vornehmem Fuße eingerichtete Haushaltung, Equipagen und Karossen, dies alles begehrte, ersehnte er für die Dame seines Herzens und war bereit, soviel Wechsel wie hierzu nötig, querzuschreiben, und zwar zu jedem begehrten Zinsfuße.

Leemans riß nun beide Ohren weit auf, erhob Einwendungen, fragte nach diesem und jenem und nach allerhand, durchstöberte diese so geschickt eingefädelte Angelegenheit in allen Ecken und Winkeln.

»Wie lauge laufen die Wechsel?«

»Drei Monate.«

»Und nach drei Monaten?«

»Wieder drei Monate.«

Sie machte die Gebärde, wie wenn man eine Schlinge zuzieht, während ihr Mund eine Falte zog und ihre ruhige Lippe verschmälerte.

»Und der Zinsfuß?«

»So hoch, wie es Dir belieben wird. Je schwerer die Wechsel lauten, desto besser wird sich die Sache für uns gestalten. Es darf ihm kein andres Mittel verbleiben, als die Unterzeichnung seiner Entsagungsurkunde.«

»Und wenn sie unterzeichnet ist?«

»So ist das weitere dann Sache der Frau. Sie hat einen Herrn in Behandlung zu nehmen, der zweihundert Millionen besitzt.«

»Und wenn sie alles für sich behält?«

»Davor sind wir sicher.«

»Wer ist's?«

»Du kennst sie nicht,« sagte Sephora, ohne eine Miene zu verziehen, und schob die Papiere wieder in ihre Sachwalterinnen-Tasche zurück.

»Laß das doch,« sagte der Alte lebhaft, »das ist ein gehöriger Batzen Geld, weißt Du! Eine ganz beträchtliche Kapitalsanlage! Ich will mit Pichery reden.«

»Nimm Dich in Acht dabei, Papa'chen! Zuviel Leute sollten wir nicht hineinverwickeln! Wir haben schon Lebeau zu bedenken, dann bist Du da . . . Wenn Du nun noch andere suchen willst!« . . .

»Bloß Pichery! Bedenke doch, ich allein würde das gar nicht im stande sein! Es ist ein tüchtiger Batzen, ein gar tüchtiger Batzen . . .«

Sie antwortete mit Kälte:

»O! es wird noch mehr nötig werden!«

Ein Stillschweigen. Der Alte überlegte, indem er seine Gedanken unter seinem Haarbusch verbarg.

»Schließlich – nun ja!« sagte er. »Ich mache die Sache; aber unter einer Bedingung. Dieses Haus in der Avenue de Messine . . . es wird prima möbliert werden müssen . . . Nun! ich werde den Kram dazu liefern.«

In die Abmachungen, welche der Wucherer machte, reckte der Trödler seine Klaue hinein.

»O! Dein altes Fressen . . . Dein altes Fressen!« sagte sie, sich eines Wortes bedienend, das sie plötzlich in der Luft der Trödelbude wieder fand und das von ihrer Vornehmheit in Toilette und Haltung grell abstach. »Reden wir doch nicht weiter! Das ist selbstverständlich, Pa'! Du lieferst den ganzen Plunder . . . aber Das muß gelten! nichts von der ›Mama-Kollektion‹!«

Unter dieser heuchlerischer Bezeichnung: »Kollektion von Madame Leemans« hatte der Trödler einen Wust von ramponierten, unverkäuflichen Sachen zusammengestellt, den er, dank dieser sentimentalen Farce, auf großartige Weise losschlug, indem er von dem köstlichen Teile, von der Hinterlassenschaft seiner teuren Dahingeschiedenen nur abtrat, was man mit Goldgewicht bezahlte.

»Du verstehst mich, Alterchen! Keine Zicken! keinen Plunderkram! Die Dame versteht sich aufs Geschäft!«

»Hm! Du meinst . . . sie kennt sich aus?« redete der alte Hund in seinen Bart hinein.

»Wie Du, und wie ich! sage ich Dir.«

»Aber schließlich . . .«

Er rückte seinen Schnabel zu der niedlichen Fratze heran, und auf beiden Gesichtern, auf dem alten Pergament des einen und auf dem Rosenblatt-Flaum des anderen, stand der Trödel verzeichnet.

»Aber schließlich . . . was ist denn das für eine Sache mit der Frau? . . . Mir kannst Du's doch sagen, jetzt da ich doch Ja gesagt habe.«

»Es ist . . . .«

Sie hielt einen Augenblick inne . . . dann knüpfte sie die Bänder ihres Hutes unter dem feingeschnittenen Oval des Gesichtes, warf einen Blick in den Spiegel, aus welchem das Gefühl der Befriedigung leuchtete, das sie als schöne Frau über ihr Aussehen empfand und das gehoben wurde durch einen Stolz neuer Art.

»Es ist die Gräfin Spalato,« sagte sie ernst und mit Würde.


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