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Viertes Kapitel.

Der König ›leistet sich 'was.‹

Drei Uhr morgens an der Kirche der Sankt-Ludwigs-Insel!

Eingehüllt vom Schweigen und vom Schatten, schlummert der Palast Rosen mit der ganzen Wucht seines alten, schweren, von der Zeit zusammengehäuften Gesteins, mit seinen massiven und bogigen Thoren, an denen noch der altertümliche Klopfer zu sehen – und hinter den dicht verschlossenen Fensterläden, den erblindeten Glasscheiben spiegelt sich nur der Schlaf der Jahrhunderte wieder, ein Schlaf, dem die leichten Deckenmalereien Träume zu sein scheinen – hallt nur das Plätschern des nahen Flusses wieder, das sich anhört wie der ungleiche, flüchtige Atemzug des träumenden Schläfers. Wer aber des besten Schlafes sich im ganzen Palast erfreut, das ist der Prinz Herbert, der vor kaum einer Viertelstunde aus dem Klub heimgekehrt ist, erschöpft, zerschlagen an allen Gliedern, lästernd über sein aufreibendes Schlemmer-Dasein, das ihm aufgezwungen wird, das ihn dessen beraubt, was er am meisten liebt auf der Welt: der Pferde und seiner Frau; das ihn der Pferde beraubt, weil der König an dem frischen thätigen Leben im Freien, wie der Sportsman es führt, kein Gefallen findet; das ihn der Gattin beraubt, weil der König und die Königin sehr abgeschlossen voneinander leben und sich bloß bei den Mahlzelten sehen, infolge dessen auch der königliche Adjutant und die königliche Ehrendame sich dieses in halber Scheidung lebenden Ehestandes beflissen zeigen und getrennt von einander leben, wie ein Komödien-Ehepaar. Die Prinzessin fährt nach Saint-Mandé viel früher als ihr Mann aufwacht; nachts wenn er nach Hause kommt, schläft sie schon hinter zweimal verschlossener Thüre. Und wenn er Klage führt, antwortet Colette ihm hoheitsvoll, während aus jedem Winkel ihrer zahlreichen Grübchen ein leises Lächeln spricht: »Wir müssen doch unsren Fürsten dies Opfer bringen!« Eine schöne Abfertigung für den liebedurstigen Herbert, der in seinem großen Zimmer des ersten Stockwerks haust, mutterseelenallein, die Decke vier Meter hoch zu seinen Häupten, Boucher'sche Kabinettsbilder vor den Augen, und hohe in die Wand hineingerahmte Spiegelscheiben um sich und neben sich, die ihm sein eigen Bild in endlosen Perspektiven zurückgeben.

Zuweilen indessen, wenn er so ganz zerrüttet und zerschlagen ist wie heute Abend, fühlt der Gemahl der kleinen Colette ein gewisses selbstsüchtiges Wohlbehagen, daß er sich ohne alle eheliche Zwiesprache in seinem Bette strecken und dehnen, seine molligen Junggesellen-Bräuche wieder hervorsuchen kann, daß er sich den Kopf wieder mit einem seidenen Taschentuch von mäßigem Umfange einwickeln kann, worin er sich vor den spöttischen Augen seines Pariser Frauchens zu zeigen niemals wagen möchte! Kaum mit einem Fuße im Bette, so öffnet sich in dem gestickten, wappenverzierten Pfühl eine Fallthüre, durch die der nachtwandelnde, leiblich und geistig geschundene Königsadjutant in die tiefsten Tiefen des Vergessens und der Ruhe hinabsinkt; aber plötzlich wird er durch die schmerzhafte Empfindung eines Lichtes aus diesen Tiefen herausgerissen – dieses Licht gleitet vor seinen Augen hin und her und her und hin – und ein scharfes, bohrende Stimmchen schallte ihm jetzt ins Ohr mit dem Rufe:

»Herbert! Herbert!«

»Ha! was ist denn? . . Wer ist denn da?«

»Aber so sei doch nur still, mein Gott! . . . Ich bin es ja! Colette!«

Es ist wirklich Colette, die in ihrem, am Halse offenen, an den Ärmeln geschlitzten Spitzen-Hauskleide vor seinem Bette steht; das Haar trägt sie hochgekämmt in einem einfachen Knoten, ihr Nacken ist ein Nestchen von blondem Kraushaar – und dies alles erscheint in dem milchichten Lichte einer kleinen Diebs-Laterne, deren Schein die Gestalt scharf heraushebt, vergrößert – vergrößert durch einen Ausdruck von Feierlichkeit und dem Auge Herberts jäh aufgeheitert – Herberts, des verschüchterten, dummen und einfältigen Herbert, der aufgerichtet im Bette sitzt mit seinem, in zwei bedrohlichen Spitzen nach Hörner-Art zur Decke hinaus sich reckenden Taschentuch um den Kopf, der mit den nach links und rechts hin sich sträubenden Schnurrbart-Enden aus seinem, im Schnitt einer Erzengel-Gewandung gehaltenen Nachhemdes herausguckt, wie der Kopf eines, über schlimmen Träumen erschreckten Spießbürgers. Die Lustigkeit der Prinzessin ist aber nicht von Dauer. Ernst und feierlich hat sie ihre Nachtlampe auf einen Tisch gestellt, mit der entschiedenen Miene einer Frau, die eine Scene zu machen gedenkt – und ohne sich darum zu kümmern, daß der Prinz vielleicht noch einen Ausdruck von Verschlafenheit. unklarem Bewußtsein in seinen Mienen zeigt, stellt sie sich mit übereinandergekreuzten Armen, so daß die beiden Händchen die Grübchen in ihren Ellenbogen bedecken, vor ihm auf und beginnt also:

»Und Du glaubst, daß das ein Leben sei so, wie Du es führst? . . . Tag für Tag um vier Uhr morgens heimkehren? . . . Ist das schicklich? . . . für einen verheirateten Mann?«

»Aber, meine liebe Frau« – (hier unterbricht er sich plötzlich, um sein seidenes Tuch vom Kopfe zu reißen und in die erste beste Ecke zu werfen) . . . »das ist doch nicht meine Schuld . . . mir wäre ja gar nichts lieber, als recht viel früher zu meiner lieben Colette, meiner lieben süßen Frau, heimzukehren die sich . . .«

Er versucht, während er das sagt, diesen schneeigen Morgenrock, dessen Weiße ihn anlockt, ein bischen zu sich heranzuziehen; aber er wird mit dürrer, trockener Gebärde zurückgestoßen.

»Es handelt sich wohl gerade um Dich! wahrhaftig! . . He? doch ganz ohne Zweifel! Man kennt Dich doch, Dich . . .! man weiß doch, daß Du ein großer Tugendbold bist, der ganz unfähig ist der allergeringsten . . . . . . Ich möchte freilich auch sehen, wenn es sich anders verhielte! Aber vom König rede ich! Er, bei der Stellung, die er in der Welt einnimmt! . . . Denke doch nur an den Skandal, den eine solche Führung hervorrufen muß! . . . . Ja, wenn er sein freier Herr, wenn er noch Junggeselle wäre! . . . Junggesellen müssen doch einmal ihr Amüsement haben! . . wenn auch hier der hohe Rang, die Würde des Exils . . .« (O! über die kleine Colette, die sich auf den hohen Hacken ihrer Pantöffelchen in die Höhe reckt, um von der Würde des Exils zu sprechen!) »Aber kurz und gut, schließlich ist er doch nun einmal verheiratet! Und ich begreife nicht, daß die Königin . . . Sie hat also wohl gar kein Blut in den Adern – dieses Frauenzimmer!«

»Colette . . .«

»Ja doch, ja doch! ich weiß ja . . . Du bist wie Dein Vater . . . Alles was die Königin thut! und so weiter . . . Ei, wohlan! in meinen Augen hat sie ganz eben so viel Schuld wie er . . . Sie! sie allein hat ihn durch ihre Kälte, durch ihre Gleichgiltigkeit bis auf diesen Punkt gebracht . . . .

»Die Königin ist nicht kalt . . . sie ist stolz!«

»Ach, rede doch nicht! ist man etwa stolz, wenn man liebt? . . . Wenn sie ihn liebte, dann wäre die erste Nacht, die er außer dem Hause verlebt hat, die letzte gewesen. Man redet, droht, zeigt sich, wie man ist . . . besitzt aber nicht diese Feigheit, den Mund zu halten angesichts der Fehler, die einem der Tod sind! . . . So verlebt der König jetzt eine Nacht wie alle Nächte auf dem Boulevard, im Klub, beim Prinzen von Axel, Gott weiß in was für einer Gesellschaft! . . .

»Colette . . . Colette . . .«

Aber halte doch einer Colette's Redelauf zurück, wenn sie erst einmal im Zuge ist zu sprechen . . . . fließen ihr doch die Worte so leicht aus dem Munde! ihr wie jedem, in Paris aufgewachsenen Bürgerskinde, in diesem aufregenden Paris, wo sogar die Puppen schwatzen!

»Dieses Weib liebt nichts, soviel sage ich Dir! nicht einmal ihren Sohn! . . . Würde sie ihn denn sonst diesem Barbar, diesem Wilden anvertraut haben?« . . . sie bringen ihn ja mit Arbeit um, den armen kleinen Kerl! . . . Er scheint nachts, im Schlafe, Latein herzusagen – einen ganzen Wust von Dingen . . . die Marquise hat es mir gesagt . . . Die Königin versäumt nicht eine einzige Stunde . . . Zu zweien sind sie über dies arme Kind hergefallen . . . Damit er dereinst die königliche Herrschaft übe! . . . aber umgebracht werden sie ihn vorher haben . . . O! behaltet ihn doch, euren Méraut . . . ich . . . ich verabscheue ihn! . .«

»Er ist aber doch ein guter Kamerad . . . er hätte mir mit der Geschichte von jenem Buche höchst unangenehm werden können . . hat aber kein Sterbenswort darüber verlauten lassen . . .«

»Wirklich? . . . Nun! so laß Dir eins sagen, nämlich: wenn man Dich angesichts der Königin zu Deinem Werke beglückwünscht, dann zeigt sie immer ein recht merkwürdiges Lächeln und sieht Dich an wie . . . Aber Du bist ja so einfältig, mein armer Herbert!«

Als sie die beleidigte Miene ihres Ehemanns sieht, der plötzlich über und über rot wird und den Mund verzerrt zu einem Schmolllippchen, wie man es bei Kindern sieht – da fürchtet die Prinzessin, daß sie zu weit gegangen sei und sich das verscherzt habe, was sie durch ihre Hierherkunft ausfindig zu machen vorhatte. Wie aber diesem niedlichen Weibe gegenüber, das am Bettrande sitzt, das Köpfchen mit einer Bewegung voll anmutiger Koketterie halb abgewendet, die der jugendlichen, unter den Spitzen von allem Zwange freien Büste, der schlanken Rundung des Halses, dem herausfordernden, schelmischen Blicke zwischen den schönen Wimpern zur vollen Geltung verhilft – wie diesem lieblichen Weibe gegenüber den sittenstrengen Cato spielen! Das gutmütige Gesicht des Prinzen nimmt rasch wieder seinen leutseligen, liebenswürdigen Ausdruck an, fängt sogar an, sich auf ganz ungewöhnliche Art über der wohligen Empfindung, die ihm der Druck auf dies warme Händchen bereitet, das man ihm läßt, über dem feinen, so gern gerochenen Dufte, welcher der Haut des geliebten Weibes entströmt, zu beleben, zu erregen – Ei nun! ei nun! was begehrt sie denn zu wissen, die kleine Colette? . . . O, gar nicht viel! nur ein kleines, ein ganz kleines Bischen, eine ganz einfache Antwort auf eine ganz einfache Frage . . . Hat der König Maitressen? ja, oder nein? . . . Fesselt ihn der Hang zum Spiel oder bloß die Lust an der Freude, an Zerstreuungen gewaltsamer Natur? . . . Der Adjutant zögert mit der Antwort . . . als Kamerad auf allen Schlachtfeldern fürchtet er, daß er, wenn er erzählt was er weiß, das Berufs-, das Standesgeheimnis verletzen möchte . . . Aber, aber . . . dieses kleine Händchen! es ist so schmeichlerisch, übt einen solchen lieblichen Druck, ist so neugierig, so wißbegierig, daß der Adjutant Christian des Zweiten nicht länger mehr Widerstand leistet:

»Nun ja doch! freilich! Der König hat in diesem Augenblicke eine Maitresse!«

Colette's Händchen in seiner Hand wird feucht und kalt.

»Und wer ist denn diese Maitresse?« fragt die junge Frau keuchend, mit abgerissener Stimme.

»Eine Schauspielerin aus dem Bouffes-Theater . . . Amy Férat . . .«

Colette kennt diese Amy Férat recht gut . . . sie findet sie sogar entsetzlich häßlich . . .

»O!« sagt Herbert (gleichsam als Entschuldigung . .) – »Seine Majestät behält sie nicht mehr lange . . .«

Und Colette fragt mit augenscheinlicher Befriedigung:

»Wirklich?«

Daraufhin erdreistet sich Herbert, entzückt von dem Erfolge, den er hat, an einem Atlasknoten zu spielen, der an dem Ausschnitt des Morgenrockes auf- und niedertanzt, und fährt im lockern, leichten Tone fort:

»Ja, ja! ich fürchte recht, daß die arme Amy Férat heut oder morgen ihr Seidenäffchen bekommen wird . .«

»Ein Seidenäffchen? . . . Wie denn das?«

»Nun ja doch! alle, die den König aus der Nähe beobachten können, wissen, wie ich es weiß, daß er, P. P. C. pour prendre congé (zum Abschiede). eins von seinen Seidenäffchen zuschickt, sobald ein Verhältnis ihn zu ermüden anfängt . . . Eine besondere Eigenheit von ihm, jemandem eine Nase zu drehen, den er nicht mehr mag . . .«

»O! das wäre!« ruft die Prinzessin empört.

»Die reine Wahrheit! . . . Im großen Klub sagt man nicht mehr: einer Maitresse den Laufpaß geben, sondern ihr sein Seidenäffchen zuschicken . . .«

Er hält verdutzt, ganz aus dem Häuschen, in seiner Rede inne, als er gewahr wird, daß die Prinzessin urplötzlich in die Höhe springt, nach ihrer Laterne greift und sich in kerzengrader Haltung aus dem Alkoven entfernt . . .

»Nun, nun! Aber . . . Colette! . . . Colette!«

Sie dreht sich um, voller Verachtung, fast erstickt vor Zorn:

»O! ich habe Deine häßlichen Geschichten satt bis zum Überdruß . . . das wird mir schließlich doch zum Ekel!«

Und den Thürvorhang aufhebend, läßt sie den unglücklichen König der ›Gomme‹ dumm und blöde, mit ausgestreckten Armen und entbrannten Herzens, in Unwissenheit über das Warum dieses Besuches zu so ungewohnter Stunde und dieses Hinwegganges im Sturme. Fliegenden Schrittes, einer Schauspielerin ähnlich, die von der Bühne eilt, erreicht Colette ihr am äußersten Ende des Palastes gelegenes Zimmer. Die wallende Schleppe ihres Morgenkleides ruht, zusammengerafft und zerknüllt, auf ihrem Arme. Auf der Chaiselongue, in einem Polster mit orientalischer Stickerei, schläft das niedlichste kleine Tierchen der Welt, grau von Farbe, seidig im Griff, mit Haaren so weich wie Gefieder, mit langem Schweife sich umhüllend und zudeckend, um den Hals an rosafarbigem Bande ein silbern' Glöckchen tragend. Es ist ein köstliches Seidenäffchen, das ihr der König vor einigen Tagen in einem Körbchen italienischen Strohgeflechts gesandt und das sie, mit freundlichem Danke für die ihr dargebrachte Huldigung, entgegengenommen hat. Ha! wenn sie die Bedeutung gekannt hätte, die in dem Geschenke lag! Rasend vor Wut packt sie das Tierchen, dieses lebendige, griffige Bündelchen Seide, aus welchem, jäh aus dem Schlummer gescheucht, ein menschliches Augenpaar leuchtet, reißt das nach dem Kai hinaussehende Fenster auf und schreit mit wilder, grimmiger Gebärde:

»Warte . . . scheußliches Vieh!«

Das Äffchen rollt über den Kairand hinunter in die Flut – und nicht bloß das Tierchen ist's, das in der Nacht verschwindet und verendet, sondern auch der Traum, der gebrechliche neckische Traum verschwindet und endigt gleich ihm – der Traum des armen Geschöpfes, das sich auf sein Bett wirft, das seinen Kopf in dem Pfühle versteckt und schluchzt.

Ihr Liebesverhältnis mit ihm hatte fast ein Jahr gedauert – und dieses Jahr, es war die Ewigkeit gewesen für dieses vom Schmetterlingsweh betroffene Kind! Er hatte nur zu winken brauchen. Geblendet, gebannt, war Colette von Rosen ihm in die Arme gesunken – sie, die bis dahin sich als ehrsame Ehefrau bewährt und bewahrt hatte, nicht aus Liebe zu ihrem Mann oder um der Tugend willen, sondern weil in ihrem Vögelchen-Gehirn eine Sorge steckte, sich das Gefieder fein säuberlich zu erhalten – weil diese Fürsorge sie davor geschützt hatte, sich durch Fallen zu beschmutzen – schließlich auch, weil sie Französin war, echte Französin, jenem Schlage Frauen angehörte, denen Molière, lange vor den modernen Physiologen, Temperament abgesprochen und bloß Einbildungskraft und Eitelkeit zuerkannt hat.

Nicht Christian hatte die kleine Sauvadon sich in Liebe ergeben, sondern dem Könige – dem Könige von Illyrien! Sie brachte sich nicht zum Opfer jenem idealen Diademe, das sie durch die Brille von Sagen und Märchen, von tagtäglichem und romanhaftem Lesestoff, einer Strahlenkrone gleich, über dem eigensüchtigen und leidenschaftlichen Typus ihres Liebhabers erblickte. Sie gefiel ihm, gefiel ihm so lange, wie er in ihr nur ein nagelneues und recht hübsch bunt bemaltes Spielzeug sah, ein Pariser Spielzeug, das ihm als Anfang für lustigere, lebhaftere Freuden dienen sollte. Aber sie hatte den üblen Geschmack, ihre Stellung als Königs-Maitresse ernst zu nehmen. Alle jene halbgeschichtlichen Frauengestalten, all jenes unechte Krongeschmeide, das helleren Glanz wirft als die wirklichen Juwelen, funkelte in der Welt ihrer ehrgeizigen Träume. Es befriedigte sie nicht, die Dubarry, sondern es verlangte sie, die Châteauroux jenes fünfzehnten Ludwigs am Ende seiner Bahn zu sein. Und Illyrien wieder zu erobern, Verschwörungen, die sie mit der Spitze ihres Fächers gelenkt und geleitet hätte, Handstreiche, Überrumpelungen, heroische Landungen – das waren die Dinge, um welche sich alle ihre Gespräche mit dem Könige in der Hauptsache drehten. Sie sah sich im Geiste, wie sie das Land erhob, wie sie sich in den Erntefeldern und Pachthöfen versteckte, gleich einer von jenen berühmten Banditenweibern der Vendee, deren abenteuerliche Geschichten sie schon im Kloster zum Heiligen Herzen gelesen hatte. Sie hatte sich sogar schon ein Pagen-Kostüm ausgedacht – denn das Kostüm spielte in ihren Erfindungen immer die erste Rolle – ein allerliebstes kurzhosiges Pagen-Kostüm aus der Mode der Renaissance-Zeit, das ihr die Zusammenkünfte mit dem König zu aller Zeit erleichtern, die Möglichkeit, ununterbrochen um den König zu sein, schaffen und sichern sollte. Christian war kein sonderlicher Freund von solchen überspannten Träumen; sein Verstand zeigte ihm rasch die falsche und richtige Seite derselben. Er nahm sich ja doch auch nicht eine Maitresse, um mit ihr über Politik zu schwatzen! und wenn er nun, im losen Gethue der Liebe, im Vergessen und über der Hingabe seines Ich, seine kleine Colette mit dem weichen Pätschchen, mit dem rosigen Mündchen, auf dem Schoße hielt, dann warfen ihm die Beziehungen auf die jüngsten Entschlüsse des Laibacher Parlaments oder die Erörterungen über den Erfolg des letzten königstreuen Mauer-Anschlags jenen Schauer ins Herz, den ein plötzlicher Temperaturwechsel verursacht, den der Aprilfrost über die Blüte eines Obstgartens senkt.

Von da an überkamen ihn die Gewissensbedenken und Gewissensbisse – in der verzwickten und naiven Weise, wie sie im Gemüt eines Slaven und Katholiken wohnen. Sobald seine Laune gesättigt war, fing er an das Häßliche zu empfinden, das einer solchen Liaison in unmittelbarer Nähe, fast unter den Augen der Königin anklebte – fing er an, die Gefahr zu fürchten, die über diesen verstohlenen hurtigen Stelldicheins in Gasthöfen, wo ihr Inkognito so leicht verraten werden konnte, schwebte – fing er an, die Grausamkeit zu verabscheuen, die darin lag, ein so gutmütiges Haus, wie es doch dieser arme lange Irrwisch von Herbert war, zu hintergehen, der von seiner Frau in einem fort schwatzte mit einer Zärtlichkeit ohne Ende und Überdruß, der nicht den leisesten Verdacht bezüglich ihrer ehelichen Treue in seinem Herzen hegte, wenn der König sich im Klub zu ihm gesellte, leuchtenden Auges, entflammten Teints, mit jenem wonnigen Duft eines glückseligen Augenblicks an sich, den er aus Colette's weichen Armen mit hinweg genommen hatte. Aber was ihm noch am allermeisten peinlich war, das war der Herzog von Rosen, der ein sehr starkes Mißtrauen gegen die Grundsätze dieser Schwiegertochter in seinem Herzen nährte, die nicht aus seiner Kaste war – der sich um seines Sohnes willen beunruhigte, an dessen Haupte er die unheimlichen Hörner zu sehen vermeinte – er redete das Wort, das auf solchen Mann paßte, schlankweg heraus – und der sich für alles das verantwortlich fühlte deshalb, weil sein Geiz diese »Bauernhochzeit« zu stande gebracht hatte. Er wachte über Colette, hielt sie scharf »an der Kandare«, führte sie morgens nach der königlichen Behausung und nahm sie abends mit sich nach Hause, wäre ihr überallhin gefolgt, wenn ihm das geschmeidige Geschöpfchen nicht in einem fort durch die groben Pandurenfinger geschlüpft wäre. Es bestand zwischen ihnen ein Kampf, der ganz im Stillen, aber sehr erbittert geführt wurde. Vom Fenster der Intendantur aus sah der Herzog, wenn er an seinem Schreibtische saß, nicht ohne Ärger, wie seine Schwiegertochter sich in den kostbaren Toiletten, die sie mit ihrem Prima-Schneider ersann und zusammensetzte, im Fond der Equipage streckte, an die schwitzenden Scheiben, wenn es kalt war, ihr rosiges Gesichtchen lehnte oder an schönen Tagen, unter dem Schutzdach ihres mit Fransen besetzten Sonnenschirmes hervorlugte.

»Du fährst aus?«

»Dienst bei der Königin!« antwortete mit siegesbewußter Miene die kleine Sauvadon hinter ihrem Schleier hervor – und das war auch wahr! Friederike begab sich nur sehr selten einmal in das Getöse von Paris hinein und überließ gerne die Besorgung aller ihrer geschäftlichen Angelegenheiten ihrer Ehrendame, da sie niemals Verständnis für die Eitelkeit zu gewinnen vermochte, ihren Namen und Rang als Königin in einem der großen Geschäfte vom Tage mitten in das Bedienungspersonal hinein zu werfen und sich an der inquisitorischen Neugierde der anwesenden Frauenwelt zu weiden. Sie ermangelte darum auch der irdischen Volkstümlichkeit. Man erörterte nirgends in einem Salon die Färbung ihres Haars oder ihrer Augen, die etwas überstrenge Majestät ihrer Büste und ihre ungezwungene Art und Weise, die Pariser Moden zu tragen.

Eines Tages in der Frühe hatte der Herzog, als er Colette wieder einmal aus Saint-Mandé ausfahren sah, einen so geflissentlich ernsten Ausdruck auf ihrem Gesichte zu sehen vermeint, in Verbindung mit einer sehr scharf markierten Steigerung ihres Grisetten-Typus, daß er instinktiv, ohne es zu wissen – die richtigen »Nimrode vorm Herrn« haben dergleichen jähe Eingebungen – sich auf die Beine gemacht hatte, hinter ihr her, eine geraume, sehr geraume Zeit lang, bis ihn die Hatz schließlich nach einem vielgenannten, starkbeliebten Restaurant am Kai d'Orsay geführt hatte. Mit Hilfe ihrer Erfindungsgabe und Geschicklichkeit war es der Prinzessin gelungen, sich von dem ceremoniösen Diner an der Tafel der Königin zu dispensieren, und sie kam nun, mit ihrem Liebhaber im separaten Kabinett den Morgenimbiß einzunehmen.

Sie saßen vorm Fenster, ganz zu ebener Erde, fast in gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel, und speisten. Die Aussicht, die sich vor ihnen aufthat, war herrlich – die Seine, vergoldet von den lieblichen Strahlen der Sonne, dahinter die Tuilerieen in einem gehäuften Gewirr von Gestein und von Bäumen, und in nächster Nähe, zwischen grünem Laub, die gekreuzten Masten des Schul-Fregattschiffs, Schatten werfend auf jene Kai-Gelände, welche die Optiker mit Stückchen blauen Glases sternähnlich besetzen. Das Wetter war das richtige Rendezvous-Wetter, die laue Wärme eines schönen, von prickelnden Westwinden gefächelten Tages. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so recht aus vollstem Halse gelacht wie heute; es klang der Triumph ob ihrer Grazie, ob ihres Liebreizes heraus aus diesem Lachen, und Christian, der sie vergötterte, sobald sie eben bloß das Weib der Lust und Freude sein wollte und blieb, als welches er sie liebte, Christian genoß das prächtige Frühmahl in Gesellschaft von seiner Maitresse in vollen Zügen.

Plötzlich erblickte sie aus dem Trottoir dem Fenster gegenüber ihren Schwiegervater, der gemessenen Schrittes, entschlossen zu warten und wenn es noch so lange dauerte, auf- und niederschritt: eine Schildwache in aller Form, die an der Thür aufgezogen war, an jener Thür, welche der alte Herr recht gut als den einzigen Ausgang kannte, der aus dem Restaurant ins Freie hinausführte, und vor welcher er nun auf den Heranmarsch der schönen Offiziere lauerte, die, prall in ihrer Uniform und in strammer Haltung, aus der benachbarten Kavallerie-Kaserne hervortauchten; denn in seiner Eigenschaft als alter Panduren-General hielt er diese Waffengattung für unwiderstehlich und zweifelte nicht im geringsten, daß sein Schwiegertöchterlein irgendwelche Intrigue mit Sporen und Säbeltasche eingefädelt hätte.

Die Unruhe, die Colette und den König erfüllte, war groß und erinnerte an die Verlegenheit jenes Weisen, der auf einem Palmbaum hockte, an dessen Fuß ein Krokodil gähnt. Der Verschwiegenheit und Unbestechlichkeit des Dienerpersonals sicher, wußten sie wenigstens, daß das Krokodil nicht heraufkriechen würde. Aber wie aus dem Hause hinaus gelangen? Mit dem König ging es noch immer an. Er hatte ja Zeit genug zu warten, bis dem Geschöpfe dort unten die Geduld ausging. Aber Colette! Die Königin würde ihrer warten, würde vielleicht ihren Argwohn demjenigen des alten Rosen zugesellen!

Der Wirt des Restaurants, den Christian hinaufrief und über die Situation unterrichtete, besann sich hin und her, kam aber auf kein andres Auskunftsmittel, als die Mauer des Nachbarhauses, wie zu Revolutionszeiten, zu durchbrechen – dann aber kam ihm doch der Gedanke zu einem weit einfacheren Wege. Die Prinzessin sollte sich als Küchenjunge ankleiden, ihr Kleid und ihre Röcke in den Korb legen, den sie auf dem Kopfe tragen würde. und sich bei der Kassiererin, die in einer benachbarten Straße wohnte, wieder umkleiden. Anfänglich wollte Colette von diesem Vorschlage nichts hören – sich vor dem König als › Suppenmatscher‹ zeigen! Und doch mußte es sein, um ernsteren Katastrophen vorzubeugen; und der neue, hurtig zurechtgestutzte Anzug eines Buben von vierzehn Jahren machte aus der Prinzessin von Rosen, gebornen Sauvadon, den niedlichsten, kokettesten aller Küchenjungen, die zu den Leckerstunden in Paris herumlaufen. Da es aber von dieser weißen Leinwandmütze, von diesen Kinderhosen, in denen ihr Füßchen einhertanzte, von dieser langschößigen Jacke, in deren Taschen es von Trinkgeld-Pfennigen klimperte, eine gar stattliche Strecke war bis zu dem heroischen Pagen-Kostüm mit dem Dolch an der Seite in elfenbeingriffiger Scheide und in hohen Stulpstiefeln – welcher Ehrgeiz und Eifer beseelte sie, ihrem ›Lara‹ zu folgen! . . .

Der alte Herzog von Rosen sah die beiden Küchenjungen mit ihrem Korb, ohne jedes Mißtrauen, an sich vorbeigehen – der angenehme Duft nach warmem Kuchen, der sie umhüllte, ließ ihn das erste nagende Gefühl des Hungers grausam empfinden; denn er war noch nüchtern, der arme Mensch!

Oben saß der König als Gefangener, fühlte sich aber befreit von einer schweren Sorge, las und trank seinen Röderer und guckte von Zeit zu Zeit durch eine Ecke im Vorhang auf die Straße hinunter, ob das Krokodil noch immer da wäre.

Abends wurde der alte Rosen, als er wieder nach Saint-Mandé zurückkam, mit dem harmlosesten Lächeln der Frau Prinzessin empfangen. Er begriff auf der Stelle, daß er genasführt worden war, und ließ von dem Abenteuer keinen Mucks verlauten. Es fand aber doch den Weg zu den Ohren der Leute. Wer weiß, durch welche Ritze und Spalten im Salon oder im Vorzimmer, durch welche verdeckte Scheibe eines Coupés, durch welches von den tauben Mauern an die stummen Thüren zurücksandte Echo sich ein Skandalgerücht verbreitet, bis es zum hellen Tageslicht gelangt, das heißt auf die erste Seite eines weltlichen Blattes den Weg findet, von dort aus zur Menge redet, zu tausenden von Ohren dringt, zur öffentlichen Schande wird, nachdem es die unterhaltsame Anekdote eines Klubs gewesen! Acht Tage lang vergnügte sich ganz Paris mit dem Geschichtchen von dem kleinen Küchenjungen. Die Namen, die so leise gezischelt wurden, wie's bei so hohen Namen nur irgend möglich ist, drangen nicht durch Herberts dicke Haut. Die Königin schöpfte aber einigen Argwohn betreffs des Abenteuers, denn trotzdem sie seit einer schrecklichen Auseinandersetzung, die sie in Laibach gehabt hatten, dem König niemals Vorwürfe über seine Aufführung machte, nahm sie ihn doch nach Verlauf von einiger Zeit eines Tages, als sie vom Tische aufstanden, beiseite.

»Man redet viel,« sagte sie ernst, ohne ihn anzusehen, »von einer Skandalgeschichte, in die sich Dein Name hineinverwoben findet . . . O! sage nichts zu Deiner Verteidigung! Ich mag nichts weiter hören . . . sei bloß dessen eingedenk, was Du zu wahren und zu hüten hast!« (Sie zeigte ihm die Krone, die in ihrer kristallenen Schachtel lag, über deren Strahlenglanz sich Schleier gesenkt hatten.) »Sieh zu, daß weder die Schande noch die Lächerlichkeit bis zu ihr den Weg finden! . . . Dein Sohn muß sie einst tragen können!«

Kannte sie das Abenteuer bis auf den Grund? setzte sie auf dieses, durch die Lästerzungen halb entschleierte Frauengesicht den wahren Namen? Friederike war so starken Geistes, hatte sich so fest in der Gewalt, daß niemand aus ihrem Kreise hierauf mit Ja oder Nein zu antworten gewußt hätte. Aber Christian schrieb sich's hinter die Ohren; und seine Furcht vor Auftritten, vor Gardinenpredigten, sowie die Notwendigkeit für diese schwächliche Natur, Quellen um sich her zu finden, die es dem ewigen Lächeln seines sorglosen Gemüts an Stoff nicht fehlen ließen, bestimmten ihn, aus dem Seidenäffchen-Käfige das hübscheste, herzigste Tierchen herauszunehmen und der Prinzessin Colette zu senden. Sie schrieb; er antwortete nicht, wollte kein Verständnis haben weder für ihre Seufzer, noch für ihre schmachtenden Stellungen, sprach nach wie vor mit ihr in dem Ton jener leichtfertigen Artigkeit, die den Frauen an ihm gefiel; und befreit von der Last dieses Gewissensbisses, die er um so schwerer empfand, je schwächer seine Laune wurde, los und ledig dieser Neigung, die ihn ganz anders tyrannisiert hatte als diejenige seiner Frau, stürzte er sich mit verhängtem Zügel hinein in den Strudel der Freude, dachte an nichts andres mehr als, um sich in der abscheulichen, schlappen und flachen Redeweise der »Löwen vom Tage« auszudrücken, daran »sich zu amüsieren«, »sich 'was zu leisten.« Das war für diese Sache in diesem Jahre der Mode-Ausdruck in den Klubs. Es giebt jetzt zweifellos ein anderes Wort dafür. Die Worte wechseln; was aber unwandelbar und eintönig sich immer gleich bleibt, das sind die bekannten Restaurants, in denen die Sache sich vollzieht, die Gold- und Blumensäle, in denen die Damen der vornehmen Halbwelt sich Rendezvous geben und Besuche annehmen – es ist die entnervende Tagtäglichkeit der Freude, die, ohne sich neue Gestalt, neue Art geben zu können, heruntersinkt bis zur Orgie. Was keinem Wandel unterliegt, das ist die klassische Dummheit dieses Schwarms von Stutzern und Flittchen, die stereotypen Reden ihres Rotwelschs und Arten ihres Lachens, ohne daß sich auch nur ein Krümchen von Phantasie in diese Gesellschaft hineinschliche, die unter ihrem äußeren Anschein von toller Lust ganz ebenso philiströs, ganz ebenso konventionell ist, wie die andere; das ist die zur Regel erhobene Lüderlichkeit, der Frohsinn aus dem Programm und die gähnende. geschundene Langweiligkeit in der Wirklichkeit.

Der König wenigstens, der König »amüsierte sich,« »leistete sich 'was« mit all der Raserei eines zwanzigjährigen Bengels. Es wohnte ihm noch ganz dieselbe Gier nach Freudenleben inne, die ihn am Abend seiner Ankunft in Paris nach Mabille gezogen hatte. In diesem Leben suchte er Befriedigung und Sättigung seiner Begierden, die von weitem seit langer Zeit schon geschärft und überreizt waren durch die Lektüre gewisser Pariser Zeitungsblätter, die Tag für Tag das lüsterne Menu des galanten Lebens bringen, durch Theaterstücke und Romane, die es erzählen, idealisieren, für die Provinz sowohl wie für das Ausland. Seine Liaison mit Frau von Rosen hielt ihn einige Zeit an jenem Abhange der Flatterfreude fest, welcher Ähnlichkeit hat mit den kleinen Treppen der Nachtkneipen, die oben taghell erleuchtet und fein mit Teppichen belegt sind, die von dem beginnenden Rausche Stufe um Stufe abwärts gestiegen werden, die immer rascher in die Tiefe hinunter, in die frische Zugluft offen stehender Thüren hinein und geradeswegs zum Rinnsteine, zu der unsteten Stunde der Gassenkehrer und Einbrecher führen. Christian schwebte jetzt mitten über diesem Abhange – er ließ sich hinuntergleiten – er stürzte fast hinunter, und was ihn anspornte, was ihn berauschte, mehr als die schweren Dessertweine die er trank, das war der kleine Hofstaat, der Anhang, mit dem er sich umgab, der aus Edelleuten bestand, die keinen Pfennig Vermögen mehr besaßen und auf dem Anstande lagen nach königlichen Hohlköpfen; aus lebemännischem Journalisten-Volk, dessen bezahlte Schreibereien ihm Spaß machten, und das, stolz auf den intimen Umgang mit diesem erlauchten Mann des Exils, ihn hinter die Kulissen der Theater führten, wo die Weiber keine Augen hatten, als nur für ihn, ihn erregt und herausfordernd, die mit Email belegten Wangen von errötender Schminke gehoben, umbuhlten. Die Boulevard-Sprache hatte er sich mit erstaunlicher Raschheit zu eigen gemacht; verstand alle ihre Pfiffe und Kniffe, alle die Übertreibungen, die sie liebte, alle ihre Keckheiten und Lüsternheiten im Ausdruck. Wie ein vollendetes Mitglied der ›Gomme‹ sprach er sein: »Schneidig! pyramidal!« sein: »Das ist ja gräßlich, abscheulich!« sein »man quält sich wie die Made im Speck« – aber er sprach es weniger gewöhnlich, weniger gemein, dank seinem fremdländischen Accent, der dem Rotwelsch der ›Gomme‹ einen Teil seiner Schärfe nahm und eine zigeunerhafte Färbung lieh. Es gab ein Wort damals, das er besonders in sein Herz geschlossen hatte: »sumpfig.« Er brauchte es bei jeder Gelegenheit, als Wertschätzung für jegliche Lage. Theaterstücke, Romane, Ereignisse im öffentlichen oder privaten Leben, alles war »sumpfig« oder »nicht sumpfig.« Dies Wort überhob Monseigneur jeglichen Ausdrucks. Eines Nachts, am Ausgang eines Soupers, rief ihm Amy Férat, im Rausche und über das Wort ergrimmt, zu:

»Ha! nun rede Du, Sumpfhuhn!«

Diese Vertraulichkeit gefiel ihm. Dies Frauenzimmer behandelte ihn doch wenigstens nicht als König. Er erhob sie zu seiner Maitresse, und lange noch, nachdem seine Liaison mit der Mode-Schauspielerin ihr Ende gefunden, verblieb ihm noch der Beiname »Sumpfhuhn,« gerade so wie dem Prinzen von Axel, ohne daß man jemals erfahren hätte warum, der Name: »Hühnersterz« noch heute anhängt.

Sumpfhuhn und Hühnersterz wurden Freunde, wichen nicht von einander, jagten selbander das Wild und verquickten ihre Schicksale von fast völliger Ähnlichkeit bis in die Boudoirs hinein. Da die Ungnade, in welche der Erbprinz gefallen war, einem wirklichen Exile gleichkam, suchte er sich nach besten Kräften mit diesem Umstande abzufinden und »leistete sich 'was« seit zehn Jahren »auf Tod und Leben« in allen Kneipen und Schenken des Boulevards. Der König von Illyrien hatte seine eigene Wohnung im Axel'schen Palast auf den Champs-Elysées. Er nächtigte dort in der Anfangszeit nur dann und wann, bald aber ebenso häufig, wie in Saint-Mandé. Dieses, um den Schein zu wahren, durch allerhand Auseinandersetzungen und Motivierungen scheinbar gerechtfertigte Ausbleiben von Zuhause brachte die Königin nicht aus ihrer Ruhe, stürzte aber die Prinzessin in einen unheimlich düsteren Kummer. Zweifellos verblieb ihrem gekränkten Stolze die Hoffnung, dieses bewegliche Herz wieder zu erhaschen. Sie verwendete hierauf tausende von koketten Gedanken und Erfindungen, tausenderlei neue Arten von Schmuck und Putz und Frisuren, allerhand Zusammenstellungen von Schnitt und Schattierungen, wie sie sich zu dem Schillerglanze ihrer Schönheit schickten. Und die Enttäuchung dann, wenn der Abend kam und es sieben Uhr schlug, und der König nicht sichtbar wurde, und Friederike in ihrer unerschütterlichen Gemütsruhe die Worte sprach: »Seine Majestät dinieren heut nicht zu Hause« und den hohen Sessel des kleinen Zara auf den Ehrenplatz der Tafeln rücken ließ! Der nervösen Colette, die gezwungen war zu schweigen und ihren Groll in sich hinein zu schlucken, wäre es lieber gewesen, die Königin hätte losgewettert und sich und sie gerächt – aber Friederike, kaum um einen Strich blässer als sonst, bewahrte ihren majestätischen Gleichmut selbst dann, als die Prinzessin mit grausamer weiblicher List durch allerhand Andeutungen zwischen den Zeilen ihrer Rede ihr diese und jene Enthüllungen gab über die Pariser Klubs, über den groben Ton, der die Unterhaltung unter Männern dort beherrschte, über die noch gröberen Zerstreuungen, welche diese Herren an dieses regellose Leben, an diese Unhäuslichkeit fesselten, über die tollen Streiche, über all die großen Vermögen, die auf den Spieltischen in Kartenschlössern verflössen, über die sinnlosen Wetten, die in einem besonderen Buche verzeichnet würden, worin es sich gar seltsam blättere, im goldenen Buche der Verirrung des menschlichen Geistes. All ihr Thun half ihr aber nicht das mindeste; denn die Königin wurde von diesem Gestichel der Prinzessin nicht erreicht, sie verstand die Reden der Prinzessin nicht oder wollte sie nicht verstehen.

Ein einziges mal, an einem Morgen während des Spazierritts im Wäldchen von Saint-Mandé, verriet sie sich.

Es herrschte eine leichte scharfe Märzkälte, welche die Wasserfläche des Sees aufkräuselte und gegen die noch starren und ihres Blumenschmucks entbehrenden Gestade trieb. Ein paar Knospen trieben schon an dem entlaubten Gesträuch, das noch rote Winterbeeren trug; und die Seite an Seite laufenden Pferde zertraten die abgestorbenen Zweige, mit welchen der Pfad, auf dem sie entlang ritten, bedeckt war, mit ihren Hufen, daß es knackte und krachte; dazwischen knisterte das neue Lederzeug am Geschirr und klapperten die Kinnketten, wenn sie geschüttelt wurden, inmitten des öden Schweigens, das über dem Walde lagerte. Die beiden Damen, die gleich gute Reiterinnen waren, ritten langsam, versunken in jene Ruhe einer Zwischen-Jahreszeit, in welcher sich die Verjüngung des Alls in dem regenbeladenen Himmel und in der vom letzten Schneefall noch schwarzen Erde vorbereitet. Colette kam, wie jedesmal, wenn sie sich allein mit der Königin befand, alsbald auf ihr Lieblingsthema zu sprechen. Sie wagte es nicht, den König direkt anzugreifen, kühlte ihr Mütchen aber an der Umgebung, an den Edelleuten des ›Grand-Klub‹, die sie sämtlich durch Herbert und durch die Pariser Lästerchronik kannte, und die sie, vor allen anderen den Prinzen von Axel, mit geschickter Hand ›kostümierte‹. In Wahrheit begriff sie nicht, wie man sich der Gesellschaft eines solchen Menschen anschließen könnte, der sein Leben in Spiel und Schlemmerei verbrächte, der sich nur in schlimmer Kameradschaft gefiele, der abends auf dem Boulevard bei allerhand weiblichem Gelichter säße, sich mit dem erstbesten wie ein Kutscher zu Biere setzte und die Nacht durchkneipte und mit dem Komödiantenvolk der niedrigsten Gattung auf Du und Du stände. Und das wollte ein Erbprinz sein! das und ein Erbprinz! . . . Er fand also Vergnügen und Freude daran, in seiner Person das Königtum herabzusetzen, zu besudeln!

Sie redete weiter, weiter mit einem Feuer, einem Zorn, die keinen Zügel litten, während die Königin mit absichtlicher Zerstreutheit, mit irre schweifendem Blick den Hals ihres Tieres streichelte, dessen Gang sie, als treibe es sie, den Reden ihrer Ehrendame zu entrinnen, zu beschleunigen suchte. Colette aber hielt sich im gleichen Tempo mit ihr.

»Übrigens kann er sich ja an berühmte Muster halten, dieser Prinz von Axel! Die Aufführung seines Oheims hält der seinigen die Wage. Ein König, der mit seinen Maitressen mit solcher Frechheit vor seinem Hofe, seiner Frau paradiert! . . . Man frägt sich, welch sklavisches Opferlamm eine Königin sein muß, deren Temperament einen solchen Schimpf über sich ergehen zu lassen dulden kann! . . .«

Diesesmal hatte der Hieb gesessen. Friederike erbebte am ganzen Körper, ein Schleier senkte sich auf ihre Augen, und in ihren hohlen Zügen zeigte sich auf eine Sekunde ein so schmerzhafter, ein so ergreifender Ausdruck, daß Colette sich tief erschüttert fühlte, als sie diese stolze Souveränin, zu deren Herz sie niemals heranzureichen vermocht hatte, auf das Niveau weiblicher Seelenpein heruntersteigen sah. Aber außerordentlich rasch gewann sie all ihren Stolz, all ihre Hoheit wieder:

»Diejenige, von welcher Sie sprachen, ist eine Königin,« sagte sie lebhaft, »und es würde eine große Ungerechtigkeit sein, sie nach denselben Gesichtspunkten zu beurteilen, wie man die andren Frauen beurteilt. Die andren Frauen können mit Offenheit glücklich sein oder unglücklich, können, so lange Thränen den Weg über ihre Augen finden, weinen und klagen, wenn der Schmerz zu stark wird, wenn das Herzeleid sie übermannt . . . Aber die Königinnen! . . . ihr Weh als Gattinnen, ihren Schmerz als Mutter, allen Schmerz müssen sie verbergen, müssen sie in sich hinein schlingen . . . Kann eine Königin fliehen, wenn sie beschimpft wird? Kann sie auf Scheidung klagen, den Feinden des Throns diese Freude bereiten? . . . Nein! auf die Gefahr hin, grausam, blind, gleichgültig zu erscheinen, muß sie die Stirn immer gerade halten, um ihre Krone dort zu behaupten . . . Und nicht der Stolz, sondern die Empfindung unserer Größe ist es, die uns aufrecht erhält. Sie ist es, die uns den Mut leiht, im offenen Wagen, zwischen dem Kinde und dem Gemahle, auszufahren, ohne der Drohung zu achten, die in der Luft liegt, der Drohung mit Flintenläufen von Verschwörern – sie ist's, die uns die Schwere des Exils und seines von Unrat verdüsterten Himmels verringert – sie endlich ist's, die uns mit Kraft ausstattet, gewisse grausame, schimpfliche Kränkungen zu ertragen, von welchen Sie, Prinzessin von Rosen, zu allerletzt zu mir sprechen sollten!«

Sie geriet über ihrer Rede in Feuer, beschleunigte den Fluß derselben, je mehr sie sich dem Ende näherte, setzte dann mit einem kräftigen »Hep!« ihrem Pferde die Sporen ein, daß es im Wirbelsturme durch den Wald dahinschoß – ein Ritt, toll und betäubend, über dem der Amazone blauer Schleier ihr gegen das Gesicht, die Falten ihres Tuchgewandes ihr gegen die Beine geweht wurden.

Von diesem Augenblicke an ließ Colette der Königin Ruhe; da ihren Nerven aber eine Erschlaffung, eine Erleichterung not that, wendete sie ihren Zorn, ihre Stichelpfeile gegen Elysée und schlug sich endgültig zur Partei der Marquise, denn das königliche Hoflager war in zwei Parteien geschieden. Elysée hatte kaum eine andere Person als den Pater Alpheus für sich, dessen rauhe Rede und allzeit bereite Fürsprache im gegebenen Falle ihm wohl gar kräftigen Beistand liehen – indes machte der Mönch im Auftrage und mit Botschaften des Mutter-Klosters in der Rue des Fourneaux nach Illyrien häufige Reisen zu den Franziskaner-Klöstern in Zara und Ragusa. Zum mindesten war dies der Vorwand für seine in das tiefste Geheimnis gehüllten Reisen, von denen er immer, mit jedesmal stärkerem Eifer erfüllt, zurückkam, um mit wilden, weiten Schritten die Treppe zu erklettern, den Rosenkranz zwischen den Fingern rollend und ein Gebet zwischen den Zähnen, das er wie eine Kugel kaute. Er schloß sich stundenlang mit der Königin ein und begab sich dann wieder auf die Reise, worauf die ganze Sippe der Marquise wieder freie Hand in ihrem Bunde gegen den Lehrer hatte. Vom alten Herzoge an, welchen die nachlässige Haltung und das buschige Haar Mérauts in seinen Gewohnheiten militärischer und gesellschaftlicher Disziplin verletzten, bis herunter zu Lebeau, dem Kammerdiener, der aus Instinkt einer jeden Unabhängigkeit feindselig gesinnt war, bis zu dem niedrigsten Stallknecht oder Küchenjungen herab, die in allem ihrem Thun sich Herrn Lebeau zum Vorbild nahmen und ja nichts gegen ihn unternommen haben würden, bis hinüber zu dem meinungslosen Boscowich, der sich durch Feigheit, durch Rücksicht auf die Zahl bestimmen ließ, der stärkeren Partei nicht in die Quere zu kommen, war alles um den neuen Lehrer und Erzieher eine richtige Verschwörung. Es kam das weniger durch Handlungen, als durch Worte, Blicke, Stellungen in jenen kleinen nervösen Scharmützeln zum Ausdruck, welche das Alltagsleben zwischen Leuten, die sich verabscheuen, herbeiführt. O! was die Stellungen, das Mienenspiel anbetrifft, so waren dies Spezialitäten der Frau von Silvis. Geringschätzig, hochmütig, ironisch, bitter, spielte sie in Gegenwart von Elysée das ganze Register von gehässigen Charaktermasken herunter – vornehmlich verstand sie sich darauf ganz ausgezeichnet, jedesmal, sobald sie mit dem Prinzen allein war, eine Art von respektvollem Mitleid zu mimen, erstickte Seufzer hören zu lassen, leere Blicke nach der Zimmerdecke hinauf zu werfen, worauf dann die Frage schmachtend den Weg über ihre Lippen nahm: »Sie fühlen sich doch nicht leidend, Königliche Hoheit?« und dabei befühlte sie ihn mit ihren langen mageren Fingern, ermüdete ihn mit Liebkosungen, die sie mit zagender Hand an ihm verschwendete.

»Aber so lassen Sie doch nur sein, Marquise; Sie möchten wohl Zara noch glauben machen, daß er krank sei?«

»Ich finde, daß ihm die Hände heiß sind, und die Stirn auch.«

»Er kommt ja von draußen . . . das ist die Wirkung der frischen Luft,« erwiderte die Königin Mutter.

Und sie führte das Kind fort. Diese fortwährend in ihrer Umgebung lautwerdenden Bemerkungen beunruhigten sie doch ein wenig. Es hatte sich förmlich zur Haus-Legende herausgebildet, daß man Seine königliche Hoheit den Prinzen zuviel mit Arbeit anstrengte. Diese Legende wurde von der Pariser Lakeienschaft nachgesprochen, ohne daß von ihr daran geglaubt wurde; sie wurde aber sehr ernst genommen durch das aus Illyrien mit nach Paris genommene Dienstpersonal, und die lange Petscha, wie auch der alte Groeb warfen Méraut Blicke zu von unheimlichem Düster, Blicke, die nichts Gutes verhießen, und peinigten und drangsalierten ihn bei jeder Dienstleistung mit jenem nörgelndem Widerwillen, dessen Betätigung gegen jemand, der selbst in Abhängigkeit steht und an Zerstreuung leidet, so leicht ist . . . Er fand die Verfolgungen, die kleinlichen Dinge, die Eifersüchteleien wieder, die im Palaste von X . . . geherrscht hatten – dasselbe Grollen und Murren von Geistern, die an Thronen kriechen und von denen Throne, wie es scheint, durch Exil und Sturz sogar nicht befreit werden. Seine Natur war zu edel und großmütig, zu liebevoll, als daß sie durch diese ununterbrochene Widerhaarigkeit nicht hätte tief gekränkt werden sollen; sie verursachte ihm eine Empfindung von Beklommenheit, legte ihm einen häßlichen Zwang auf, da seine schlichten und hausbackenen Manieren, seine Gewohnheiten eines zigeunerhaften Künstlerlebens ihm hier, in dem beengenden Ceremoniell, das dem Hause auferlegt wurde, zur Unmöglichkeit wurden – ihm während dieser von hohen Kandelabern erleuchteten Mahlzeiten zur Unmöglichkeit wurden, bei denen die Herren immer im Frack, die Damen in ausgeschnittenen Kleidern um die durch Gäste, die man nicht sah, vermehrte Tafel herumsaßen und erst dann das Wort ergriffen und zu den Speisen zulangten, nachdem der König und die Königin gegessen und gesprochen hatten – das Königspaar selbst stand unter der Herrschaft der unerbittlichen Etikette, deren Innehaltung der Chef des Civil- und Militär-Kabinetts mit um so schärferer Strenge überwachte, als das Exil sich nun so sehr schon in die Länge zog. Und doch ereignete es sich, daß der alte Bruder Studio aus der Rue Monsieur-le-Prince sich mit bunter Kravatte zu Tische setzte, das Wort nahm, ohne Erlaubnis dazu zu haben, sich mit verhängten Zügeln in eine jener beredten Abhandlungen aus dem Stegreife stürzte, von denen die Mauern und Wände des Café Voltaire noch heute widerklangen. Da verursachten ihm dann die niederschmetternden Blicke, die er auf sich lenkte, die wichtige Bedeutung, zu welcher der geringste Verstoß gegen die an dem kleinen Hofe herrschende Etikette aufgebauscht wurde, ein starkes Verlangen, alles im Stiche zu lassen, und so rasch ihn die Füße trügen, nach dem Latein-Viertel zurück zu eilen, wie er es schon einmal gethan hatte.

Allein – die Königin war da!

Dadurch daß er immer im engeren Verkehr mit Friederiken, mit dem Kinde zwischen ihr und ihm, lebte, hatte sich seiner eine fanatische Hingebung, die sich aus Hochachtung, Bewunderung, abergläubischer Zuversicht zusammensetzte, an ihre Person bemächtigt. Sie faßte in seinen Augen die ganze Gläubigkeit, das ganze Ideal des Königtums in sich zusammen, war das verkörperte Symbol dieser Begriffe und Tugenden, ganz so, wie die Madonna für einen Bauersmann von Trastevere die Verkörperung der gesamten Religion ist. Um der Königin willen blieb er, durch sie fand er den Mut, seine rauhe und schwierige Aufgabe zu Ende zu führen. O! ja, sehr rauh und schwer war sie, diese Aufgabe! und gar viel, gar viel Geduld erheischte sie! Wieviel Mühe machte es ihm, auch nur der geringfügigsten Sache Eingang zu diesem schwachen Köpfchen des königlichen Kindes zu schaffen! Er war allerliebst, dieser arme Zara, sanftmütig und gut. Es fehlte ihm nicht an dem Willen. Die ernste Seele, den geraden Sinn seiner Mutter erriet man wohl in ihm, gemischt indes mit einem Leichtsinn, einer Flüchtigkeit, einer Kindlichkeit, die außer Verhältnis zu seinem Alter als Kind stand. Der Verstand war sichtlich im Rückstande in diesem greisen, verkümmerten Körperchen, das von keinem Drange zu kindlichem Spiele in Versuchung gesetzt wurde, auf dem ein Hang zum Träumen lastete, der zeitweilig bis zum Stumpfsinn ausartete. Während der ersten Lebensjahre, die für ihn bloß eine lange Genesungszeit waren, von den phantastischen Schnurren seiner Erzieherin und Lehrerin, der Marquise, in Schlaf gewiegt, bot ihm das Leben, in das er jetzt einen Blick zu thun anfing, bloß analoge Fälle mit seinen Kindermärchen, in welchen die Feen und guten Geister sich zu den Königen und Königinnen gesellten, sie aus verwunschenen Türmen und Verließen befreiten, aus Drangsalen und Schlingen erlösten mit einem einzigen Schlage ihres goldenen Zauberstabes, der die Spiegelwände und Dornenwälle auseinanderteilte, die feuerspeienden Drachen und alten Hexen, die den Menschen in ein Tier verwandeln, überwältigte. Beim Unterricht rief er dann mitten in eine Erklärung hinein, die man ihm über irgend einen schwierigen Begriff zu geben sich mühte: »Ach! das ist ja ganz so wie in der Geschichte vom kleinen Schneiderlein« – oder wenn er die Schilderung von einer großen Schlacht las: »Der Riese Robistor hat ihrer noch viel mehr erschlagen.« Diese in ihm so stark entwickelte Empfindung des Übersinnlichen war es, was ihm einen Ausdruck von Zerstreutheit lieh, was ihn stundenlang in die Kissen eines Sophas bannte, in der Tiefe seiner Augen das wechselnde, schwebende Feen- und Zauberbild festhielt, jene Blendung mit Truglicht ausübte, das einem Kinde die Augen füllen muß, das aus »Rothomago« ins Leben tritt mit der Fabel in der Erinnerung von dem in wunderbare prismatische Bilder zerlegten Stücke. Und dieser Umstand machte es schwierig, ihm auf vernünftige Weise den Gang der Dinge klar zu legen, machte ihm das ernste Studium schwierig, das man von ihm verlangte.

Die Königin wohnte allen Unterrichtsstunden bei, immer jene Stickerei unter den Fingern, die keinen Fortgang nahm, immer jene dem Lehrer so köstliche Aufmerksamkeit in ihrem schönen Blicke, die von ihm so tief empfunden wurde, die sich erschauernd an alle seine Ideen hing, selbst an diejenigen, denen er keinen Ausdruck gab. Durch sie besonders, durch diese unausgesprochenen Ideen, durch die Träume und Hirngespinste, durch das was über den Überzeugungen schwebt und ihnen Verbreitung schafft, hielten sie aneinander. Sie hatte ihn zu ihrem Berater, zu ihrem Vertrauten erhoben, wobei sie aber immer so that, als spreche sie mit ihm im Namen des Königs.

»Herr Méraut! Seine Majestät möchten wissen, was Ihre Meinung über das ist – wie Sie über jenes denken.«

Und Elysée's Verwunderung darüber war groß, daß er den König niemals selbst das Wort an ihn richten hörte über solche Fragen, die für ihn doch so kräftiges Interesse hatten. Christian der Zweite beobachtete im Verkehr mit ihm gewisse Rücksichten, redete mit ihm im kameradschaftlichen Tone eines Bekannten, der ihm Auszeichnung sein sollte, aber doch recht viel Oberflächlichkeit in sich barg. Hie und da einmal, wenn ihn der Weg durch das Studierzimmer führte, blieb er wohl stehen, um dem Unterrichte sein Ohr zu leihen. Dann legte er die Hand auf die Schulter des Kronprinzen und sagte mit halblauter Stimme, die sich anhörte wie ein Echo aus dem subalternen Gerede, das im Hause herrschte:

»Strengen Sie ihn nur nicht allzu sehr an . . . Einen Gelehrten wollen Sie doch nicht aus ihm machen . . .«

»Einen König will ich aus ihm machen!« antwortete dann Friederike mit erhabenem Stolz.

Und auf eine mutlose Bewegung, die ihr Gemahl mit der Hand hierzu machte, sagte sie weiter:

»Soll er denn nicht eines Tages herrschen?«

Und er . . . er darauf . . .

»Nun ja doch . . . Ja doch . . .«

Und nach einer tiefen Verbeugung schloß er, um jede weitere Aussprache kurzweg abzuschneiden, die Thür ab; und dann hörte man ihn draußen nach einer damals gerade in der Mode befindlichen Opern-Melodie trällern: »Herrschen wird er . . . herrschen wird er . . ., denn er ist ein Spanier!« Alles in allem genommen, wußte Elysée nicht so recht, woran er sich in betreff dieses freundlichen, oberflächlichen, duftigen, gefallsüchtigen, launischen Fürsten zu halten hätte, der sich manchmal, von Überanstrengungen entnervt, auf die Polster des Divans streckte – in welchem er den Heros von Ragusa zu erblicken vermeint hatte, den König der starken Willenskraft und kühnen Tapferkeit, als welchen die »Denkschrift« ihn schilderte. Aller Geschicklichkeit Friederikens indes zum Trotz, die Hohlheit und Leere dieser gekrönten Stirn zu maskieren, und ob sie sich auch fortwährend hinter ihm verkroch und versteckte, so zeigte sich doch immer dieser oder jener unvorhergesehene Umstand, bei welchem ihre wahren Temperamente zum Durchbruch gelangten.

Eines Morgens nach dem Frühstück, als man sich eben in den Salon verfügt hatte, und Friederike die Zeitungen aufschlug, um, wie es immer ihre Gewohnheit war, zuerst im »Courier von Illyrien« zu lesen, da stieß sie plötzlich einen so kräftigen und schmerzlichen Ruf aus, daß der König, der eben im Begriff war, aus dem Zimmer zu schreiten, stehen blieb, und sämtliche Anwesende sich im Nu um die Königin gruppiert hatten. Die Königin reichte Boscowich das Zeitungsblatt:

»Da, lesen Sie!«

Es war der Bericht über eine Sitzung des Laibacher Landtags, in welcher der Beschluß gefaßt worden war, den des Landes verwiesenen Souveränen als Ersatz für die sämtlichen Besitztümer der Krone einen Betrag von über zweihundert Millionen Mark in baar auszuzahlen unter der ausdrücklichen Bedingung . . . . . .

»Bravo!« ließ sich die näselnde Stimme Christians vernehmen . . . »Das kommt mir wie gerufen . . .«

»Lesen Sie weiter!« sagte strengen Tons die Königin.

»Unter der ausdrücklichen Bedingung, daß Christian der Zweite für sich und seine Nachfolger allen Ansprüchen auf den Thron von Illyrien entsagt.«

Das gab im Saale einen sturmähnlichen Ausbruch der Entrüstung, des Unwillens. Der alte Rosen drohte zu ersticken; die Wangen des Paters Alpheus wurden weiß wie Leinewand, so daß sein Bart und seine Augen noch schwärzer erschienen als sonst.

»Darauf müssen wir Antwort erteilen . . . unter einem solchen Schlag dürfen wir nicht ruhig verharren!« rief die Königin, und ihre Erregung, ihr Unwille suchte Méraut, der seit einem Augenblicke an einer Tischecke mit fieberhaftem Blei Notizen zu Papier brachte.

»Was ich schreiben würde, wäre das . . .« sagte er, um einen Schritt vortretend, und las, gekleidet in die Form eines Briefschreibens an einen königstreuen Abgeordneten, eine stolze schwungvolle Proklamation an das illyrische Volk, in welcher der König zunächst das schimpfliche Ansinnen von sich wies, das ihm gestellt worden war, dann seine Anhänger und Freunde in dem erschütterten Tone eines von seinen Kindern hinweg gerissenen Familienhauptes beruhigte und ermutigte.

Die schwärmerisch begeisterte Königin klatschte in die Hände, griff nach dem Papiere und reichte es Boscowich.

»Geschwind! geschwind! übersetzen und absenden . . . Ist das nicht Deine Meinung auch?« setzte sie hinzu, als sie sich erinnerte, daß Christian zugegen wäre, und daß man sie im Auge hielte.

»Ohne Zweifel . . . ohne Zweifel!« sagte der König tief betroffen und kaute sich wütend an den Nägeln . . . »das ist ja alles sehr schön . . sehr schön! Bloß kommt es darauf an . . zu wissen, ob wir uns werden halten können.«

Friederike drehte sich um, jäh und leichenblaß, als sei sie von einem schweren Schlag zwischen die Schultern getroffen worden.

»Halten! . . ob wir uns werden halten können? . . Ist es der König, welcher spricht!«

Er versetzte mit sehr großer Ruhe:

»Als es in Ragusa an Brot gemangelt hat, da haben wir uns, dem besten Willen zum Trotz, den es auf Erden wohl geben mag, schließlich doch ergeben müssen.«

»Wohlan denn! Diesmal, wenn's uns an Brot gebricht, werden wir den Quersack über die Schulter werfen und an den Thüren betteln gehen . . Das Königtum aber wird sich nicht ergeben!«

Welch ein Auftritt hier in diesem engen Saale auf dem Weichbilde von Paris, dieses Ringen zwischen einem entthronten Fürstenpaar: dessen einem Teile man die Ermüdung des Kampfes anmerkte, während infolge seines Mangels an Glauben und Zuversicht der Boden ihm unter den Füßen wich – dessen anderer Teil hingegen von der Glut der Begeisterung und Gläubigkeit gen höhere Sphären getragen ward! und wie sich ihre beiderseitigen Naturen nicht anders so, als wenn man sie zusammen vor Augen hatte, enthüllten und offenbarten! Der König schmiegsam und feingliederig, mit entblößtem Halse, in weiter Kleidung, dem aus der verweichlichten Haltung der schlotternden, fahlen Hände, aus den schwach gefeuchteten Löckchen über der weißen Stirn, die ganze schwächliche Charakterveranlagung deutlich heraussah. Sie dagegen schlank und erhaben im prallen Reitkleide mit breiten Aufschlägen, kurzem, geradem Kragen, schlichten Manschetten, die bloß die düstre Trauer ihres Anzugs umsäumten, aus welcher das lebhafte Blut, der Blitz ihrer Augen, die goldigen Haarwellen jäh hervorbrachen. Elysée hatte zum ersten male das rasche und klare Bild der Vorgänge vor Augen, die sich in diesem königlichen Ehestande abspielten.

Plötzlich drehte sich Christian nach dem Herzoge herum, der mit gesenktem Haupte am Kamine lehnte.

»Rosen!«

»Majestät?«

»Du allein bist imstande, uns hierauf Auskunft zu geben . . . Wo stehen wir jetzt? . . Können wir uns noch hinhalten?«

Der Haushofmeister zeigte eine stolze Miene:

»Gewiß!«

»Wie lange? . . Weißt Du's? . . . Annähernd . . .«

»Fünf Jahre; ich habe das Facit gezogen.«

»Ohne daß irgendwer Entbehrungen sich aufzuerlegen braucht? ohne daß irgendwer von denen, die wir lieben, zu leiden oder gekränkt zu werden brauchte?«

»Ganz in diesem Sinne gab ich meine Antwort, Majestät!«

»Bist Du Deiner Sache sicher?«

»Vollkommen sicher,« bestätigte der Greis, sich zu seiner mächtigen Höhe aufrichtend.

»Dann ist's gut! . . Méraut, geben Sie mir Ihr Schreiben . . ich will es unterschreiben, bevor ich ausgehe.« Dann setzte er, während er die Feder ergriff, mit halblauter Stimme hinzu:

»Sehen Sie doch nur Frau von Silvis an! . . Ist's nicht gerade, als ob sie ansetzen wollte, das Lied vom finstern, finstern Walde zu singen?«

In der That witterte die Marquise, die jetzt mit dem kleinen Prinzen aus dem Garten hereintrat, in dem Salon eine Dramenluft, und geschmückt mit ihrem Barett mit grüner Feder, stand sie in ihrem Sammet-Spenzer, die Hand auf das Herz gelegt, ganz in der überwältigten und romantischen Pose einer Opernsängerin, die eine Cavatine anzustimmen im Begriffe steht.

Vorm vollen Landtage verlesen, durch alle Zeitungen verdeutlicht, wurde der Protest des Königs auf Elysée's Rat hin noch in tausenden von Exemplaren autographiert und in den Provinzen und Landschaften der illyrischen Krone verteilt. Der Pater Alpheus schaffte sie ballenweise ins Land hinein, die er unter der Marke »Liebesgaben« zusammen mit Rosenkränzen aus Ölbaumholz und Jericho-Rosen über die Grenze schmuggelte. Die königstreue Gesinnung erhielt hierdurch einen mächtigen Sporn. Dalmatien besonders, wohin der republikanische Gedanke nur sehr schwachen Eingang gefunden hatte, geriet durch die beredte Sprache seines Königs in Bewegung. Sie wurde in vielen Dörfern von der Kanzel herunter verkündet, von den Bettelmönchen des Franziskaner-Ordens ausgestreut und verteilt; an den Thoren der Bauernhöfe lösten sie ihren Quersack und bezahlten die Eier und die Butter, die ihnen gereicht wurden, mit einem Päckchen Flugschriften. Bald bedeckten sich Adressen mit Flugschriften und mit jenen Kreuzchen, die in ihrem wissensarmen guten Willen so ergreifend und rührend sind – bald wurden Pilgerfahrten nach Paris und Saint-Mandé in Scene gesetzt.

Ja! das kleine Haus in Saint-Mandé wurde jetzt das Wallfahrts-Ziel von Fischer- und Lastträger-Volk aus Ragusa, das über der reichen muselmännischen Tracht einen schwarzen Mantel trug zum Zeichen der Trauer; von morlakischem Bauernvolke, das zu drei Vierteilen noch Barbarenvolk war. Alle trugen sie die mit Strohseilen über dem Fuß befestigte Opanké aus Schafsfell.

Scharenweise stiegen sie aus der Straßenbahn, auf welcher die Zipfel ihrer scharlachroten Dalmatika, ihrer mit Fransen besetzten Schärpen, ihrer Jacken mit den großen Metallknöpfen laut und lärmend zwischen die graue Gleichförmigkeit der französischen Kleidung hinein gerieten. Scharenweise schritten sie, festen sicheren Trittes, über den Hof, blieben dann in der Vorhalle stehen, berieten sich mit leiser Stimme, tief ergriffen und eingeschüchtert. Méraut, welcher allen diesen Vorstellungen beiwohnte, fühlte sich im tiefsten Innern seines Wesens erschüttert; die Legende von seiner Kindheit lebte in dieser, aus so weiter Ferne herbeigeströmten Begeisterung wieder auf, und die Wanderfahrt der Städtler aus dem Königshag nach Frohsdorf, die Entbehrungen, die sich die wackern Leute ihrethalben auferlegt, die Vorbereitungen, die sie für die Abreise getroffen hatten, die Enttäuschungen, mit denen sie, wenn sie ihnen auch nicht Worte liehen, in die Heimat zurückgekehrt waren: dies alles trat ihm wieder in Erinnerung, während er andrerseits die bittersten Qualen litt über Christians gleichgültiges Verhalten, über die verdrießliche Langweile, mit welcher von ihm die erbetenen Audienzen erteilt wurden, über die Seufzer, mit denen er seinem Herzen am Schlusse jeder solchen Audienz Erleichterung schuf. Im Grunde war der König ergrimmt über diese Heimsuchungen, die ihn in seinen Vergnügungen störten, aus seinen Gewohnheiten rissen, ihn dazu verdammten, den ganzen langen Nachmittag in Saint-Mandé zuzubringen. Um der Königin willen nahm er indessen die von Thränen erstickten Loyalitätsversicherungen dieses armen Volks entgegen und antwortete auf sie mit irgendwelchen landläufigen Redensarten. Nachher aber rächte sich sein zur Spottsucht, zur Bosheit geneigter Geist für die erlittene Langweile mit einem schlechten Witze oder einer Karrikatur, die er mit seinem Bleistifte auf die erste beste Tischecke hinwarf. So hatte er auch eines Tages den Obermeister der Fischerinnung von Branizza karikiert, ein breites italienisches Gesicht mit Hängebacken und runden Mopsaugen, das infolge der Erschütterung und Freude über die königliche Audienz gar blöde dreingeschaut hatte, während die Thränen ihm bis auf das Kinn hinunter gerollt waren. Das Meisterwerkchen machte am andern Morgen die Runde bei Tafel, wurde von der Tischgesellschaft belacht und mit beifälligen Ausrufungen überschüttet. Sogar der Herzog hatte eben in seiner Verachtung alles Volkstümlichen seinen greisen Schnabel zu einem Ausbruch gewaltiger Lustigkeit weit geöffnet, und die Zeichnung gelangte eben unter Begleitung von sehr geräuschvollen Schmeichelreden aus Boscowich's Händen in diejenigen Elysée's. Er betrachtete sie lange, gab sie dann aber, ohne irgend ein Wort zu äußern, seinem Nachbarn zurück – und als der König ihm mit seiner impertinenten Stimme durch die Nase vom Ende der Tafel aus zurief: »Sie lachen ja nicht, Méraut . . Und doch ist er ganz nett, mein Herr Innungs-Obermeister!« da antwortete Méraut mit Trauer: »Nein, Königliche Hoheit! ich kann nicht lachen . . es ist das Portrait von meinem Vater.«

Einige Zeit nachher traf es sich, daß Elysée der unfreiwillige Zeuge eines Auftrittes war, der ihm über den Charakter Christians und seine Beziehungen zur Königin völlige Klarheit brachte. Es war an einem Sonntage, nach der Messe. Das kleine Hotel, das ein an ihm ungewohntes festliches Aussehen zeigte, hatte beide Flügel seines Thores nach der Rue Herbillon hin weit geöffnet. Die gesamte Dienerschaft war auf den Beinen und bildete Spalier in der Vorhalle der Freitreppe, die wie ein Gewächshaus grünte und blühte. Der Empfang, der für diesen Tag bevorstand, war von hoher Bedeutung. Es wurde eine königstreue Abordnung von Landtagsmitgliedern erwartet, die Elite und Blume der Partei, die nach Paris kam, dem Könige in Treue und Liebe zu huldigen und sich mit ihm über die Maßnahmen zu beraten, die für eine in Bälde zu erwartende Wiederherstellung der königlichen Macht zu treffen seien. Ein wirkliches Ereignis – ein Ereignis, erhofft und verkündigt, dessen feierlicher Charakter durch eine herrliche Wintersonne gehoben und erheitert wurde – durch eine Sonne, welche die weite Einsamkeit des Empfangssaals, den zum Throne hergerichteten großen Lehnsessel des Königs mit ihrem Goldhauch bekleidete und mit wohliger Wärme erfüllte – eine Sonne, welche die Rubine, Saphire, Topase der Königskrone dahinter im Schatten zu blitzendem Gefunkel erweckte.

Während das Haus in allen Stockwerken von ununterbrochenem Kommen und Gehen, von dem Knistern und Rauschen seidener Schleppkleider wiederhallte; während der kleine Prinz sich mit seinen langen roten Strümpfen, seinem Samt-Anzug, seinem Kragen aus venetianischer Guipüre ausputzen ließ und die Rede wieder und immer wieder hersagte, die man ihm seit acht Tagen schon beizubringen versuchte – während Rosen sich in großer Uniform, übersäet mit Orden und Auszeichnungen, kerzengerader als je in seinem Leben, in die Höhe richtete, um die Deputierten zum Könige zu führen, saß Elysée in freiwilliger Abwesenheit von all diesem Gewirr allein in dem Studierzimmer, sann über die Folgen der bevorstehenden Zusammenkunft nach und traf unter dem Eindruck einer, seinem südländischen Hirn häufig sich zeigenden Fata Morgana schon Vorkehrungen zu dem sieghaften Wiedereinzug seiner Fürsten in Laibach, der unter Geschützsalven und Glockengeläut, durch die mit Blumen übersäeten, im Freudentaumel wogenden Straßen seinen Weg nahm. Er sah den König und die Königin, die seinen vielgeliebten Zögling, den kleinen Zara, vor sich hielten, gleichsam als eine Verheißung an das Volk, eine Zukunft, die ihnen höheren Adel noch lieh, die sie erhob zu dem Range von jugendlichen Ahnen; und Zara sah verständig aus und ernst, sah sich um mit jenem Ernste von Kindern, die eine für sie zu große Erschütterung zu bestehen hatten. Und der helle Glanz dieses schönen Sonntags, der heitre Klang der zu dieser Stunde vibrierenden Glocken, mitten im Mittagssonnenschein, verdoppelten sich für ihn in der Hoffnung auf ein Fest, in welchem Friederikens mütterlicher Stolz sich vielleicht bis zu ihm hin über den Kopf des Kindes hinweg mit stolzem, befriedigtem Lächeln verirren würde.

Inzwischen wurde auf dem Sande, in dem Ehrenhofe, wo die Schläge der Hammerglocken die Ankunft der Gäste verkündeten, das dumpfe Rollen der Galakutschen, welche nach den Hotels gefahren waren, die Abgeordneten dort abzuholen, vernehmlich. Die Flügelthüren schlugen geräuschvoll auseinander, Schritte hallten gedämpft über die Teppiche der Vorhalle und des Salons, und respektvolle Reden wurden leise geflüstert. Dann trat eine lange Stille ein, über welche Méraut sich lebhaft wunderte; denn er harrte der Ansprache des Königs, der Anstrengung seiner näselnden Stimme. Was ging denn vor? welche Zögerung trat denn in der vorgesehenen Ordnung der Feierlichkeit ein?

In diesem Augenblicke trat ihm, dicht an den Mauern, dicht an den schwarzen Spalieren des frostigen und hellen Gartens entlang streifend, derjenige vor die Augen, den er in dem benachbarten Zimmer wähnte – von dem er meinte, er präsidiere dem offiziellen Empfange. Mit steifen, gelähmten Schritten kam er einher. Er mußte durch die Thür hereingetreten sein, die hinter den Epheu-Gewächsen der Avenue Daumesnil versteckt lag, und näherte sich langsam und mühsam. Elysée's erster Gedanke war zuerst an ein Duell, an irgend einen Unglücksfall, und bald darauf wurde das Geräusch eines Sturzes in dem obern Stockwerk vernehmlich, eines Sturzes, der sich anhörte, als wenn er durch das Mobiliar, durch die Gardinen und Vorhänge des Zimmers aufgehalten worden sei, so lange währte er; und so dumpf und schwer war sein Geräusch, zu welchem sich ein Krachen gesellte, als wenn Dinge auf dem Boden zerbrächen, zerschellten. Er stieg rasch hinauf zu dem Könige. Christians Zimmer, das im Hauptflügel des Schlosses gelegen und in Halbkreisform gebaut war, war warm und weich gepolstert wie ein Nest, mit purpurnen Vorhängen ausgestattet und an den Wänden mit Trophäen altertümlicher Waffen, mit Divans, niedrigen Sitzmöbeln, mit Bären- und Löwenfellen geschmückt, und barg zwischen diesem weichlichen, fast orientalischen Luxus das seltsame Ding eines kleinen Feldbettes, auf welchem der König in Gemäßheit einer Familien-Tradition und unter dem Einflusse jener Neigung zu spartanischer Einfachheit, die gern von den Millionären und von den Souveränen zur Schau getragen wird, zu schlafen pflegte.

Die Thüre stand weit offen.

Christian stand aufrecht an die Wand gelehnt, den Hut nach hinten gestülpt auf seinem zerrütteten und fahlen Schädel, den langen Pelzrock halb aufgeknöpft, so daß der umgekippte Rock, die weiße lose Halsbinde, das zerknüllte und beschmutzte große Bruststück seines Hemdes zu sehen waren im Verein mit jener ganzen Verlotterung der Leibwäsche, welche ein deutliches Zeichen für die Ermattung infolge einer durchschwärmten Nacht und für die Verheerung abgiebt, die Betrunkenheit hervorruft. Ihm gegenüber stand die Königin in kerzengerader Haltung, mit strengem Blicke, zitternd am ganzen Leibe infolge der Anstrengung, die sie machte, um die Herrschaft über sich nicht zu verlieren, und rief mit grollender, dumpfer Stimme:

»Es muß sein . . . muß sein . . . komm!«

Er aber sagte sehr leise und mit betretener Miene:

»Ich kann nicht . . . Du siehst doch, daß ich nicht kann . . Später . . verspreche ich Dir . . .«

Dann lallte er Entschuldigungen mit blödem Lachen, mit einer Kindesstimme . . . Davon, daß er etwa getrunken hätte, davon rührte sein Zustand nicht her! o, bewahre! ganz und gar nicht! bloß von der Kälte, durch die frische Luft sei es gekommen, als er vom Souper aufgestanden und ins Freie hinaus getreten sei . .

»Ja doch . . Ja doch . . ich weiß ja . . . Das thut ja nichts zur Sache! . . . Wir müssen hinunter gehen . . damit sie Dich sehen, Dich bloß sehen! . . . ich, ich werde mit ihnen reden . . . ich weiß ja, was gesagt werden muß . . .«

Und als er sich noch immer nicht rührte, als sich ein Schlummer über sein schrecklich erschlafftes Gesicht zu breiten anfing und ihm die Zunge lähmte, da geriet Friederikens Zorn zum heftigen Ausbruch.

»Aber begreife doch, daß unser Schicksal auf dem Spiele steht . . . . Christian, Deine Krone ist's, die Krone Deines Sohnes, mit der Du in diesem Augenblicke spielst . . . Höre doch, höre und komm! Ich bitte Dich, flehe Dich an darum – ich will's!«

Herrlich stand sie da, getragen von einem starken Willen, dessen Ströme in ihren meergrünen Augen den König zusehends magnetisierten. Sie packte ihn mit ihrem Blicke, versuchte ihm Halt zu geben, ihn wieder aufzurichten, half ihm, sich seines Hutes, seines Pelzrockes zu entledigen, die voll waren der häßlichen Dünste des Rausches, des benebelnden Cigarren-Rauches. Er rückte sich einen Augenblick lang auf seinen schlappen Beinen, that taumelnd ein paar Schritte, stützte die sengenden Hände auf den Marmor der Hände der Königin. Aber plötzlich fühlte sie, daß ihm aller Halt und alle Kraft verloren ging; sie wich nun selbst zurück bei dieser fieberheißen Berührung, und plötzlich – da stieß sie ihn zurück mit Gewalt, mit Abscheu und ließ ihn in seiner vollen Länge auf einen Divan hinschlagen; dann verließ sie das Zimmer, ohne dieser verlotterten faulen Maske, die schon laut schnarchte, noch einen Blick zu schenken, ging an Elysée vorbei, ohne ihn zu sehen, kerzengerade, mit halbgeschlossenen Augen, mit einer Stimme, die einer verstörten Nachtwandlerin zu gehören schien, die übervoll war des Schmerzes:

»Alla fina sono stanca de fare gesti de questo monarcaccio!« Ich bin es endlich müde, für dieses klägliche Monarchlein die Fäden hinter den Kulissen zu ziehen.


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