Felix Dahn
Meine welschen Ahnen
Felix Dahn

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VII.

Etwa hundert Jahre später war Clemens, ein Nachkomme des Knaben Secundus, zu voller Mannesreife gediehen und hatte sich aus den schönen Arleserinnen, die an Antlitz und Gestalt ihre Herkunft von der Zeustochter Helena heute noch bekunden, eine der allerschönsten zum Weib erkoren: Hermione hieß sie und wie Musik umflutete hoheitvolle Anmut all' ihr Wesen: »Die Frau Königin« nannten sie sogar – die Nachbarinnen.

Clemens überließ die Bewirtschaftung der Villa Gaudiosa dem älteren Bruder Paulus und folgte seiner Neigung zum Lernen, bald zum Lehren. In der Rhetorenschule zu Arles, dann in der höher gewerteten zu Bordeaux lernte er zuerst und lehrte dann Grammatik und Dialektik. Am mächtigsten zogen ihn philosophische Fragen an: doch wenig Befriedigung gewährten ihm die Antworten seiner Lehrer: über das schulmäßig Hergebrachte ging deren Weisheit nicht hinaus: fragte der »übereifrige« Schüler und bald Amtsgenosse und Mitwerber nach ihrer Ansicht vom Willen und der Allwissenheit Gottes und deren Verhältnis zu dem freien Entschluß des Menschen, nach der Rechtfertigung der Leiden des guten, des Triumphes des bösen Menschen, so verwiesen sie ihn an die Theologen: – und diese verwiesen auf die Unerforschlichkeit der Wege Gottes und auf den Ausgleich im Jenseit.

Clemens fand darin wenig Befriedigung. Sein Glück war seine edle schöne Frau und deren Liebe: sie mußte ihn überallhin begleiten, wohin er reiste, zu lernen und zu lehren: Kinder hatten sie nicht: so ging beider Leben ungeteilt ineinander auf: ihre Harmonie war vollkommen. Da erhielt Clemens in Tours, wo er Grammatik lehrte, – der gute Bischof Gregor, der sich einer Nachhilfe hierin ziemlich bedürftig fühlte, hatte ihn dorthin eingeladen – ein Schreiben des Königs Chilperich aus Paris, der ihn dorthin entbot als Mitarbeiter, wie er sagte: denn er habe ein paar neue Buchstaben für das lateinische Alphabet erfunden und wolle sich mit dem »berühmten Grammatiker von Arles« über deren Berechtigung, ja Notwendigkeit besprechen.

Frau Hermione pflegte nicht bei solchen Entscheidungen mit zu reden: aber sie konnte diesmal die Freude des Gatten nicht teilen: »Paris?« meinte sie beklommen. »Der Hof des roten Chilperich und seiner . . . Nun, man nennt sie nicht gern! Frage doch den trefflichen Herrn Bischof. Sein Latein, klagst du, ist noch immer schlecht . . .«

»Gestern 64 Fehler in einem Predigt-Aufsatz!«

»Aber sein Herz ist gut . . .«

»Ja, das – nicht sein Latein! – gehört noch der ›goldenen Zeit‹ an. Ich werd' ihn fragen.«

Befragt lehnte Herr Gregor den gutmütigen Kopf auf beide Hände: die Arme hatte er auf den Tisch gestützt und das Schreiben des Herrn Chilperichs dazwischen gelegt: »Hm,« meinte er, »lieber Sohn, das ist so eine Sache. Ich für meinen Teil bin immer froh, wenn ich nicht zu Hofe muß – wenigstens nicht an den Hof der . . . nun, der Frau, die man nicht gern nennt. Anderseits, die Weigerung, – das ist auch so 'ne Sache. Schon um geringerer Weigerung willen ist Herr Chilperich oft gar böse geworden. Oder noch böser als er immer ist! Aber schließlich: – in Staatsgeschäfte wirst du dich nicht mischen?«

»Schwerlich,« lächelte der Grammatikus.

»Und überall stehen wir in Gottes Hand. Geh' denn mit Gott, mein Sohn.«

Und Clemens reiste mit Hermione nach Paris, als Gäste des Königs gar bequem, ja vornehm befördert und begleitet. Sie wurden untergebracht in dem Palatium, das einst Julian bewohnt: jetzt heißt es dort Musée de Cluny. Aber der König wohnte in dem neuen Palatium an der Seinebrücke.

Dorthin ward der Grammatikus abgeholt zu den Unterredungen mit dem königlichen Schüler.

Am vierten Tage kam der mit brennrotem Kopf zu dem Mittagmahl, das er stets mit seiner Gattin allein einnahm.

»Was hast du, Lieber?« fragte diese, den seelendurchbohrenden Blick der grauen Augen auf ihn geheftet.

»Was ich habe? Ärger hab' ich. Aber zugleich Freude. Ärger über mich und Freude an einem andern. Ärger über mich: denn mit meinen neu erfundenen vier Buchstaben – du weißt? dem langen ó, omega, dem the, dem ae und vi . . .«

»Ich weiß! Du sprichst Nachts im Schlaf davon!«

»Nichts ist's damit! ›Überflüssig sind sie, verwirrend und schädlich.‹ Höre nur: überflüssig, verwirrend und schädlich!«

»Wer hat das zu sagen gewagt? – Dir!«

»Ja, gelt, du staunst? Ich staunte auch. Ein Kerlchen, nicht länger als ich selbst. Ein Schulmeister aus Arles. Denke nur! Und als ich ihn anfuhr, lächelte er und sprach: ›Der König steht nicht über der Grammatik wie nicht über dem Gesetz, sondern unter beiden.‹«

»Der Rebell!«

»Ja, aber der Mut des Professorleins hat mir gefallen. Und dann – dann hat mir noch was gefallen.« Er beugte das Gesicht auf den Teller und schien eifrig bemüht, aus dem Seelachs Gräten zu ziehen, die gar nicht darin waren.

Sie aber hielt inne, das silberne Messer in der Hand, und vorgebeugt fragte sie lächelnd: »Nun, wer hat dir gefallen?«

Er lachte hell auf: »Gut getroffen! Ja, es war kein ›was‹. Ihn abzuholen – nach der dem König erteilten ›Lektion‹ – war seine Frau gekommen: sie ging vor dem Palasttor auf und nieder: da ich nun ausritt, sah ich sie beim Aufsteigen. Das Weib – es ist aus Arles! – ist einfach ein Wunder! Ein Wunder, sag' ich dir, Gundelchen!« Und er tat einen tiefen Trunk des dunkeln, schweren Rhoneweins und schnalzte leise mit den Lippen. »Ein Wunder.«

So? – –«

»Weißt du, etwas Königliches, wie von Königen – nicht aus armem Plebs – entstammt.«

»So?«

»Für den Purpur – man meint, im Purpur geboren.«

»So?«

»Wie soll ich sie schildern? Sie hat was von Frau Brunichildis, der gebornen Königstochter.«

»So?«

»Weißt du, – ich könnte sie malen! – ihre Gestalt . . . – aber bei Sankt Martin! – ich brauche sie nicht zu malen. Schau, da zum Bogenfenster hinaus – dort am Seine-Ufer, wo die Barken liegen, da geht sie, Hand in Hand mit ihrem Schulmeister. Gott, wie kommt der Pedant zu diesem Götterweib! Siehst du sie?«

»Ich sah sie,« sprach die Königin ruhig.

Sie war wie eine schnellende Schlange an das Bogenfenster gefahren und ließ sich nun wieder, das rote Haar aus den Schläfen streichend, neben dem Gatten nieder: »Ein wenig zu groß. Aber schön.«

Als am andern Mittag Clemens endgültig entlassen und reich beschenkt von der Lehrstunde in seine Wohnung zurückkehrte, verließen den Vorgarten zwei wüstblickende Männer, Stricke in den Händen.

»Das ist der Ehemann,« flüsterte der eine.

»Schad' um sie,« meinte der andre. »Hätte sie nur noch einmal die Augen aufgeschlagen, – hätt' ich den Strick nicht zuziehen können.«

Hermione lag auf dem Estrich: erwürgt – Clemens stürzte ohnmächtig neben ihr nieder.

Er erwachte, als er weit unterhalb Paris von den zwei Männern, die gerudert hatten, aus einem Seineboot gerissen und an das Ufer geworfen ward.

»Kehrst du zurück, bist du des Todes!« riefen sie, sprangen in den Kahn und ruderten zu Berg.

Er kehrte nicht nach Paris zurück, aber auch nicht nach Tours oder Arles. Er verkroch sich in eine Höhle bei Rouen. Die Bauern der Nachbarschaft sagten: »Er ist ein frommer Einsiedler, man muß ihn speisen.« »Nein,« sagten die andern, »er hat einen Dämon: denn er redet wirr: er kann nur eines sagen: ›Hermione erdrosselt. Es ist kein Gott.‹ Man muß ihn totschlagen.« »Nein, man muß den Bischof rufen, den Dämon auszutreiben.«

Aber bevor der kam, war Clemens tot.



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