Felix Dahn
Meine welschen Ahnen
Felix Dahn

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VI.

Vierzig Jahre später war's: drei Sohne waren Magnus nachgefolgt: Aulus, Cajus, Lucius: dieser letzte, noch ein Kind, blieb in der Obhut der Mutter zu Arles, während die beiden älteren von Aëtius zu dem Heer aufgeboten wurden, das neben den Westgoten dem furchtbaren Attila entgegenzog, dessen Scharen bereits den ganzen Nordosten von Gallien überflutet hatten: die rauchenden Trümmer von Metz, Reims, Châlons und Sens bezeichneten seinen Weg: im Mai langte er vor der starken Festung Orleans an: er verlangte die sofortige Übergabe, sonst werde nach dem Sturm alles Leben in der Stadt ausgetilgt.

Aber die Verteidigung leitete der ausgezeichnete Bischof Anian: er war von Arles zurück, wo er sich von Aëtius auf die Reliquien und von dem Westgotenkönig Theoderich auf das Schwert hatte eiden lassen, allerspätestens am Tage Johannis des Täufers – dem 24. Juni – würden sie mit ihren Heeren zum Entsatz von Orleans eintreffen. Mit diesem Versprechen hielt der Bischof immer wieder den Mut der hart bedrängten Verteidiger aufrecht, unter denen nach der Einschließung von sechs Wochen Hunger und Seuchen wüteten. Immer sehnsüchtiger sahen die Wächter von den Türmen über die Zelte der Hunnen hinweg nach Südwesten aus: keine Staubwolke, kein Tubaton, kein Schlachtruf verkündete das Anrücken des Entsatzheeres der Römer und Goten.

Der Tag Johannis des Täufers war herangekommen: die Senatoren der Stadt, die Geistlichen, auch die Befehlshaber der wenigen Kohorten erschienen um Mittag in dem Hause des Bischofs und erflehten auf den Knieen die Übergabe der Stadt: längerer Widerstand sei unmöglich, zwei Breschen klafften in den Mauern auf der Ostseite und die Hunnen hatten den Brückenkopf im Süden der Loire genommen.

Die Vorräte reichten kaum mehr für den nächsten Tag.

Da sprach der fromme Bischof, den Finger mit dem Fischerring erhebend: »Und wahrlich, wahrlich, ich sage euch: die fromme Stadt des heiligen Johannes, dessen Fest wir heute feiern, – wird nicht fallen in die Hände der Heiden: heute Nacht ist mir der Heilige erschienen und hat mir auf der Legionenstraße von Tours her die heranziehenden Befreier gezeigt. Geht in seine Basilika, betet inbrünstig auf den Knieen und kommt in einer Stunde wieder: ich besteige den Glockenturm der Basilika: er überschaut so hoch die Türme der Wälle als die heilige Kirche die Reiche der Welt überragt. Dort sucht mich auf nach einer Stunde.«

Und nach einer Stunde kamen sie wieder, die Vertreter der Stadt: keuchend, mit Verzagen stiegen sie zu dem Bischof empor. Der hatte – er war alt und schwach das Licht seiner Augen – von Viertelstunde zu Viertelstunde einen jungen Diakon gefragt: »Mein Sohn, siehst du nichts auf der Legionenstraße?« Und kopfschüttelnd hatte der jedesmal traurig erwidert: »Herr, ich sehe nichts.« Als nun die Verzweifelten in der Turmstube sich vor dem Bischof zu Füßen warfen, sprach der befehlend: »Schau hinaus, mein Sohn, gen West: – ich sage dir: – du siehst etwas!«

Der hielt die Hand vor die Augen – denn die schon sinkende Sonne blendete von Westen her – und spähte lange scharf: dann rief er plötzlich: »Ja, Herr! Ich sehe Staub aufwirbeln. Immer näher! Schon blitzen Waffen! Es sind ein paar Reiter.«

Der Bischof und alle Häupter der Stadt eilten hinab an das Westtor. –

Einstweilen waren die Reiter in das Lager vor der Stadt gelangt: ach, Hunnen waren's und zwei römische Gefangene! Sie wurden vor Attila geführt: da erschraken die beiden Römer bei dessen Anblick: der jüngere sank in die Knie: es war ein weicher Jüngling, nur ungern war er dem Heergebot gefolgt. Der ältere riß ihn unsanft auf: »Knien vor dem Tyrannen, dem Barbaren!«

Attila raunte erst hunnisch mit seinen Hunnen: dann sprach er zu den Gefangenen: »Ihr geht jetzt vor das Loiretor und bezeugt dem Bischof, daß das Entsatzheer geschlagen und entflohen ist auf Nimmerwiederkehr. Sagt ihr andres, – schaut dorthin! – pfählen laß ich euch wie die dreißig germanischen Verräter, die dort hängen und stecken.«

Cajus schaute hin, schrie auf vor Entsetzen und schlug die Hände vor die Augen. Die Hunnen rissen die beiden hinaus und an das Loiretor, auf dessen Zinnen der Bischof und die Senatoren standen: »Jetzt gebt das befohlene Zeugnis,« rief einer der Hunnen auf Lateinisch. Aber beide schwiegen.

Da schlug der Hunne – mit der neunsträngigen Geißel – jeder Strang lief aus in eine Eisenkugel – Cajus über das Gesicht und schrie: »Gib Zeugnis oder – sieh dort die Pfähle!«

Da erschrak der Jüngling und rief zu den Männern auf den Zinnen empor: »Ergebt euch! Das Entsatzheer ist geschlagen und entflohen.« Da ergrimmte Aulus und schrie: »Nein! Er lügt, der Feigling! Die Hunnen sind geschlagen: – wir – gleich im Anfang des Gefechts ergriffen – sind ihre einzigen Gefangenen: – Römer und Goten ziehen in Eile heran – gleich müssen sie hier sein! Harret aus.«

Es war sein letztes Wort: der Hunnenführer, vom Jähzorn fortgerissen, stieß ihm den Dolch in die Kehle, ebenso Cajus, wandte sich und eilte zu Attila ins Zelt. Der befahl den Rückzug: denn schon fluteten seine geschlagenen Reiter in Auflösung von Westen her ins Lager herein, schon hörte man in der Ferne die gotischen Hörner und den Tubaruf der verfolgenden Sieger. Schleunig zogen die Belagerer ab gen Nordosten – auf Châlons.

Bischof Anianus aber und seine Geistlichen oben auf den Zinnen stimmten psallierend einen Dank-Hymnus an: es war aus dem Psalm 27: »Wenn sich schon ein ganzes Heer wider mich leget, so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht; wenn sich Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf den Herrn!«

Und der Bischof beschloß, dem »Retter der Stadt«, Aulus Gaudiosus, ein Grabmal im Vorhof der Basilika des Heiligen zu gewähren; der jüngere Bruder ward eingescharrt, wo er gefallen war.

Aber ein paar Tage darauf ließ der fromme Bischof auch seine Gebeine in geweihter Erde kirchlich bestatten: »Mir ist in dieser Nacht,« sprach er, »die Seele des Erretters erschienen und hat zu mir gesprochen: ›Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Ich hab' ihn frei gebeten bei den Heiligen: so mögen auch die Menschen ihm vergeben: denn das Fleisch ist schwach‹.«



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