Felix Dahn
Meine welschen Ahnen
Felix Dahn

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V.

Da der ältere Bruder kinderlos starb, ward dieser Secundus der Stammhalter der Familie. Sein Sohn Magnus geriet in die stürmischen Zeiten, die zu Anfang des V. Jahrhunderts gerade Südgallien besonders heimsuchten: auch über das Stadthaus der Gaudiosi zu Arles und die kleine Villa vor den Toren brausten sie wild dahin.

Wiederholt erhoben sich Anmaßer, empörte Feldherren, gegen Kaiser Honorius und bekämpften sich untereinander, wie den Imperator: Arles ward von den Kaiserlichen verloren und von hunnischen Söldnern des Anmaßers Jovinus erobert.

Da wirkte es wie eine Wohltat, als in diesen Landen die gefürchteten »Barbaren«, die Westgoten, erschienen, welche ihr jugendlicher und schöner König Ataulf aus Italien nach Gallien geführt hatte, dort endlich die lang gesuchte ruhige Heimat – eine ›quieta patria‹ – zu finden. Der König war damals – nicht gar lange sollte es währen! – Verbündeter des Imperators und suchte die Stadt für diesen wieder zu erobern. Schwer litten unter den Belagerungsarbeiten die Villen und Güter vor den Mauern, auch die Villa Gaudiosa, wohin Magnus, treu kaiserlich gesinnt, mit den Seinen aus dem Stadthause gewichen war.

Er war noch nicht vermählt: nur mit jüngeren Geschwistern hauste er als ihr Vormund zusammen. Das Herz tat ihm weh, wie er Tag um Tag mit ansehn mußte, wie die Goten und die »Honorianer« seine Oliven- und Kastanien-Bäume fällten, ihre Belagerungsmaschinen daraus zu bauen und dann diese auf breiten Rädern über seine Felder hin wider die Mauern wälzten, gegen die sie doch wenig ausrichteten. Nachdem er wochenlang ratlos unter solcher Verwüstung gelitten, faßte er sich eines Tages ein Herz und suchte den Goten-König auf, der in der viel glänzenderen Nachbarvilla des Ausonius – sie stand leer, war verlassen – Quartier genommen hatte, neigte sich und sprach:

»Herr König, mit Vergunst, so geht das nicht fort. Ihr verliert Zeit und Krieger und wir verlieren alles und die Stadt fällt nicht. Ich will Euch aber die Stadt in die Hände liefern: denn ich bin dem rechtmäßigen Kaiser getreu und ich hasse die hunnischen Söldner hinter jenen Mauern, hab' ich doch unter dem Magister militum Stilicho gekämpft bei Florentia gegen Rhadagais, das Ungetüm. Und diese Panzer-Ehrenscheibe hier aus der Hand des Feldherrn selbst erhalten.«

Da sprach kopfnickend, daß die blonden Königslocken wallten, Herr Ataulf: »Eine Ehrung durch Stilicho? Keine bessere Empfehlung gibt's! Öffnest du mir die trotzige Stadt, will ich dir allen Schaden reichlich ersetzen, den dein Gut – wohl hab' ich es gesehen! – erfahren hat in diesen Wochen.«

»Ich aber,« sprach da Frau Königin Placidia, hinter dem Vorhang des Atriums hervortretend, – sie war das schönste Weib des Abend- und des Morgen-Reichs – Magnus hatte sie noch nie gesehen: er sank wie vor einer Göttin auf die Knie –: »ich gebe dir noch viel köstlicheren Lohn, nicht Geld. Denn ich habe dein Herz durchschaut in diesen Wochen«, lächelte sie anmutig und hoheitvoll.

Der junge Römer errötete über und über: »Sie hat mich ja noch nie gesehen,« dachte er, aber er schwieg.

Und der König versprach nun, in allen Stücken zu tun, wie ihm Magnus raten werde. Am selben Tage noch hoben die Goten die Belagerung auf, brachen ihre Zelte ab und zogen gegen Westen, gegen die Pyrenäen zu: denn sie hatten, so hieß es, vom Kaiser statt Galliens Spanien erhalten: bald waren ihre letzten Reiter in dem nahen Pinienwald verschwunden.

Die Hunnen in der Stadt freuten sich gar sehr, denn Hunger und Durst hatten sich längst bei ihnen eingestellt: aber vorsichtig unterließen sie es, die fest geschlossenen Tore zu öffnen und etwa den Weichenden zu folgen, deren Übermacht sie im offenen Felde nicht gewachsen waren: auch um zu plündern wagten sie sich nicht aus den Toren: sie befahlen nur durch ein paar Herolde den Villenbesitzern, Bauern und Winzern vor den Toren, vor allem Wein, dann aber auch andre Lebensmittel in Menge auf Wagen in die Stadt zu schaffen unter Bedrohung mit grausamen Todesstrafen. Seufzend, aber gehorsam übernahm Magnus die Lieferung für alle Villen und Güter auf der Westseite der Stadt und so fuhren denn am folgenden Morgen an zwanzig Wagen an, jeder mit vielen Rindern bespannt und schwer mit Wein-Schläuchen und Mehlsäcken beladen, zum Schutz gegen den Regen mit Lederhäuten überspannt. Vor dem Westtor angelangt machten die Fuhrleute Halt und riefen unter Peitschenknallen die Hunnen herbei. Gierig, zungenschnalzend begrüßten die Ausgehungerten und Durstenden den Anblick, eilfertig liefen sie an das Tor, öffneten und ließen die vordersten Wagen ein: Magnus blieb im Tore stehen und zählte: vier Gefährte waren herein: da blieb das fünfte – schwerste, so schien es – im Tore stecken: vergeblich suchte Magnus, es vor- oder rückwärts schieben zu lassen: weit sperrte es die beiden Torflügel auseinander: »Da muß man abpacken!« rief Magnus und schlug zweimal in die Hände: sieh, da sprangen auf den Wagen unter den Decken hervor waffenklirrende Männer, dann herab von den Wagen und schwerterschwingend unter die überraschten Mongolen: die flohen nach kurzem Widerstand: denn immer mehr gotische Helme entpuppten sich aus den Schläuchen und Säcken: die Erschrockenen flohen zum Osttor hinaus, während von dem Pinienwalde her der König die Hauptmacht zurück und in die Stadt führte.

Er nahm für die Nacht mit Placidia Quartier in dem Stadthaus der Gaudiosi.

Am andern Morgen, als Magnus vor dem Paare stand, sprach die Königin: »Übel haben sie gehaust, die Barbaren, hier in diesem Speisesaal und da hinten im Cubiculum. Der Herr König wird dir das Geld geben zur Herstellung. Aber ein leeres Haus gedeiht nicht: es will in Ordnung gehalten sein: es bedarf der Hausfrau und diese schenkt dir Placidia.«

Und griff hinter den Vorhang und führte hervor ein gar holdes blondes Mädchen: das errötete über und über – aber Magnus kaum weniger. »Ihr habt mich nicht vermerkt,« lächelte Placidia, »all diese Wochen, wann ihr hinter der dichten Myrtenhecke plaudertet: – plaudertet! Meine Adalgotho! mehr hab' ich ja nicht gesagt! – ich aber sah hinter dem Vorhang der Loggia hervor auf euch herab. Möge die Ehe des Römers mit der Gotin so gut ausfallen wie die des Gotenkönigs mit der Römerin!«

Und so geschah's, daß auch gotisch Blut überging in das Mischgeschlecht der Gaudiosi.



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