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Dreiundzwanzigstes Capitel.

Im alten Preußenlande, hinter dem kurischen Haff, im Osten, und dem frischen Haff und der Danziger Bucht, im Westen, »wandert« die Düne: heute noch wie vor sechs Jahrhunderten, ja vor Jahrtausenden.

Der uralte Sand der See bildet die Grundlage des Festlandes viele, viele Meilen weit nach innen. Wohl ist diese thurmhohe Sandschicht vielfach überkrustet von einer dünnen Heide-Narbe. Aber auch diese reißt gar oft die rasende, bohrende Gewalt des Sturmes auf und sie wühlt dann tiefe Furchen in den Sand, so daß man hier von Sand-Schluchten, wie in den Alpen von Felsen-Schluchten, sprechen mag.

Andere Striche sind Sumpf, sumpfige Wiesen, mit einzelnen Eichenbeständen, während aus dem Heidesand die magere Föhre, die verkrüppelte Kiefer zäh empor ringt: freudlos, traurig, in schwerem, hoffnungsarmem Kampfe mit den erbarmungslosen Stürmen. Bei Elbing stehen die letzten Buchen; nur Menschenhand kann sie bewegen, weiter östlich sich zu wagen.

Mag es Sand-Heide sein oder Moor-Erde, – »Unland« bleibt es immer: so nennt treffend es der Ackersmann, welcher der einförmigen, unfruchtbaren Öde nichts abzuringen vermag.

Das Gras ist so sauer, daß selbst die Ziegen es verschmähen. Das dürre Heidekraut dient nur zum Verbrennen. In dem Wachholder-Gestrüpp, dem »Kaddig«, singt die Drossel nicht. Alles ist hier todtenstill, unbelebt. Nur nach dem Wasser hin streicht mit trägem Flügelschlag eine Schar der immer hungrigen Kormorane – oder die heiser krächzende Nebelkrähe mit grauem Leib, schwarzen Flügeln und schwarzem Kopf. Die schmalen Rinnsale gelbbrauner Quellen gelangen selten in die See: sie versickern in den versumpfenden Teichen, voll gelben, giftiggrauen Schlammes und schwarzgrüner Binsen; oder sie verschwinden, aufgesogen in dem vertorften Moor.

Nun fehlt es ja heutzutage – nachdem deutscher Arbeitsfleiß seit sechs Jahrhunderten daran geschafft – nicht an fruchtbarstem, herrlichsten Lande, das reichlich Getreide trägt. Aber sehr vieler Boden ist doch auch heute noch: »Unland«.

So niedrig liegt meist das Land, daß das Haff oder die See, stiegen sie nur um wenige Fuß, die ganze Ebne überfluthen würden.

Und über all' dies eintönige, zum Sterben traurige Ödland hin »wandert« weit, weit in das Innere hinein die Düne.

Alles überfluthet, Alles begräbt sie, vom Winde fortgetragen, in ihrem grobkörnigen Sande. Das raschelnde, trockne Dünengras vermag sie nicht zu binden. Sie steigt über Mauern, über Kirchen und Kirchthürme: leise, langsam, kaum merklich, aber unablässig, unaufhaltbar, Alles unter sich bergend, ganze Dörfer, ja sogar Wälder. Auf der frischen Nehrung standen die Dörfer Narmel und Narmedien: wo sind sie hingeschwunden?

Auf der kurischen Nehrung verschüttet bei Sturm in einer Stunde der Triebsand, der Flugsand Reiter, Roß und Wagen. Thurmhoch steigen die Dünen auf, achtzig Fuß hoch, weiß oder gelbweiß im blendenden Sonnenschein, dunkelveilchenblau, drohend, im Schatten der Wolken: – streift dann ein Mövenschwarm darüber hin und geräth er in den Bereich des Lichtes, so glitzert die Luft wie blitzender Schnee.

Die meisten Dünen haben keinen Namen, – denn sie wechseln und wandern.

Am zähesten leisten noch die Wälder Widerstand: aber der glasharte Quarzsand zerfrißt die Rinde, den Splint: – Alles vertrocknet, auch die Zweige, auch die Wipfel, welche noch nicht verschüttet sind.

Nach Jahrhunderten weicht die Düne weiter: dann ragen die todten Bäume aus dem Boden: Fuß tief im Innern voll von Moder.

Dann stehen auch, nach Jahrhunderten, die begraben gelegenen Dörfer und Einzelhöfe wieder auf, – der Dünenwall ist weiter und weiter gezogen.

Der Wind spielt nun mit den Trümmern, mit dem Wenigen, was die Menschen bei ihrem flüchtenden Davonziehen vor dem Alles bewältigenden Sande zurückgelassen hatten in den niedern, stets nur einstöckigen Hütten.

Aber der Wind, der nun freien Zugang hat, deckt jetzt auch auf dem Kirchhof die Gräber auf. Er wühlt die deckende Sandschicht hinweg und rollt die Schädel, die verstreuten Knochen der Todten vor sich her, bis sie der Regen, der Schnee, das Eis, der Wind selber zerfressen, verschneit, verblasen hat.

Nur schwere Grabsteine schützen die ihnen anvertrauten Todten vor solchem Geschick.

Inschriften auf solchem Gestein werden vortrefflich erhalten unter dem Schutze des trockenen Sandes, der Wasser und Luft und jeden Ansatz verwitternden Anwuchses viele, viele Fuß hoch fern von ihnen hält.

Was im Großen von den ungeheuren Dünen-Wällen gilt, die Kirchthürme und hohe Föhren übersanden, das zeigt sich auch sonst in diesem Küstenlande manchmal im Kleinen, wenn mäßige Sandhügel, flacheren Dünen vergleichbar, niedrige Bauten der Vorzeit lange vergraben halten und allmählig wieder freigeben.

So ist vor Kurzem westlich von Elbing eine wenig beträchtliche Sanddecke verschwunden.

In jener Gegend lag, nach allen Berichten der Vorzeit, nie eine Siedelung der Menschen. Vielmehr wird dorthin durch die Sage verlegt die Stätte einer alten, viel umstrittnen, kaum mannsbreiten Furt, welche in der Zeit der deutschen Herren allein hier durch all' umgebende, Roß und Mann verschlingende Sümpfe führte.

Da fand man, nachdem Menschenhand den Rest der Sandwelle völlig hinweg geschaufelt, ein seltsam Bauwerk.

Eine kleine, niedrige Betkapelle schien es, deren altargleichen Mittelpunkt eine mächtige Steinplatte über einer Gruft bildete. Im Osten der Elbe kommen solche Bauten sonst fast nirgends vor. Im Süden Deutschlands, soweit der Strom italienischer Kultur drang, begegnen sie häufiger: denn die Heimat dieser Todten-Kapellen, Todten-Oratorien ist Italien.

Das Dach fehlte: der Sturm mochte es fortgerissen, die mannshohen Schneelasten des endlosen preußischen Winters mochten es eingedrückt oder benachbarte Bauern die Steine und Balken davongetragen haben, schon lange bevor der Sand es begrub. Ebenso war das Gemäuer der Vorderseite, welche die einzige schmale Eingangspforte enthalten hatte, verschwunden. Aufrecht stand die Hinterwand: nur war sie an beiden Ecken, wo die Seitenwände in rechtem Winkel anstießen, zertrümmert.

Gut erhalten aber war der mächtige, Manneswuchs weit überragende Grabstein, welcher fast die ganze Länge der nur vier Schritte in der Tiefe, zwei Schritte in der Breite messenden Grab-Kapelle bedeckte.

Wer hatte diesen Stein hierher bringen lassen?

So weit her!

Denn rother Porphyr war es: wie er in den Alpen, am schönsten in dem Etschthal, vorkommt. Nur wenig war der harte und edle Stein an den Kanten verwittert, abgebröckelt. So an dem obern Ende das Wappenschild: es waren wohl drei Sterne gewesen.

Die lange lateinische Inschrift aber, die ihm eingegraben, war zum größten Theil noch lesbar: die Reste besagten – in deutscher Übertragung – etwa Folgendes:

»... nach des Herrn Geburt im Jahre eintausendzweihundertsiebenunddreißig, nachdem die junge Burg Elbing von den Heiden überfallen und verbrannt ... den Rückzug des hart bedrängten Ordensheeres, zumal das heilige Sacrament, zu retten vor der grimmen Heiden Überzahl, erbot sich freiwillig, allein hier auszuhalten, die schmale Furt des Moors vertheidigend, der ehrenreiche und edle Comthur der Werderburg von Sanct Marien, Ritter Friedimuth ... ihm danken das Leben der Landmeister selbst, mehr als zwanzig Ritter und zweihundert Knappen ... sogar die Heiden ehrten den Todten durch Bestattung seiner Leiche, in seinem Panzer und seinem Mantel, den fünf Pfeile durchbohrt, an diesem Orte seines Heldentodes ... Jahre später haben zu seinem Andenken hier dies Bethaus erbaut drei Männer und zwei fromme Frauen: der Hochmeister Herr Hermann von ..., der dankbare Landmeister Herr Hermann Balka, Herr Waltharius ..., die Äbtissin Irene und deren Freundin, die Priorin Submissa, beide des Klosters ... Diese beiden Frauen haben den Stein, aus des Ritters Heimat an der Athesis, gestiftet. Die Äbtissin hat ihn selbst hieher gebracht. Erkrankt von der Mühsal der weiten Reise, starb Frau Irene, einsam im Gebet an diesem Steine knieend. –

Herr Friedimuth war Allen im Orden sehr theuer gewesen: nun lohnt der reiche Gott im Himmel ihm ewig seine Treue.«


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