Anna Croissant-Rust
Unkebunk
Anna Croissant-Rust

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Es wurde eine stille Zeit, ein stilles Weihnachtsfest, ein stiller Karneval, nicht nur im Hause des Gouverneurs, sondern in der ganzen kleinen Garnison. Ein Unlustgefühl, eine Ermattung lag drückend über den Straßen und Häusern. Nicht die althergebrachte, die bekannte und gefürchtete Langeweile und Stumpfheit, vor der schon der kleine Holischka im Spätherbst gezittert hatte. Ihm war damals als schwacher Trost eingefallen, daß vielleicht im Winter der öde Platz seine intimen Reize haben könnte, daß ihm der Winter stünde, wie vielleicht den Damen, die in den langweiligen Häusern der langweiligen Straßen wohnten, und die dann in Pelz und Mantel angetrippelt kämen und dabei Reize entwickelten, die er bis jetzt noch nicht hatte entdecken können – vielleicht war der Winter ihre schöne Zeit! . . . Aber ach! Alles war anders! Es war ja kein Winter, es war nur ein abscheuliches, frostiges, feuchtes Nebelwetter; ein paar grelle Sonnentage, wieder Schnee und 335 Regengeschlacker, dann ein paar Tage Frost, Wind und Staub.

Den kleinen Holischka kümmerte jetzt weder der Paradeplatz, der mit den nackten Gerippen der Akazienbäume noch viel öder als im Herbst aussah, noch der falsche Winter, noch die Damen, oder gar das Gähnen, in das die Stadt verfallen war, denn er sah und dachte und fühlte nur eines: Amélie, sein süßes Betzerl! Er vergaß darüber fast den Dienst. Um so mehr empfanden alle andern die dumpfe Stimmung der Stadt, nach all den aufregenden Ereignissen der letzten Zeit, das Duell, der Tod Koflers, das verrückte Testament, das Resa-Rosa zur reichen Erbin, zur noch nicht ganz verlobten Braut »Witwe« gemacht, – es gingen die aberteuerlichsten Gerüchte deshalb – die Verlobung Holischkas, Hertwigs Abgang vom Militär, die Bestrafung Röders, der noch auf der Festung saß, hatten das nahende Ereignis im Hause Armhart übertrumpft. Aber nach all dem war eine gewisse Stumpfheit eingetreten. Für wen hätte man sich denn besonders erwärmen, für wen besonders interessieren sollen? Es gab gerade keine netten Mädchen, das heißt, keine neuen, die »danze« gingen, das Betzerl war verlobt und wie in einer Versenkung verschwunden. Resa-Rosa hatte es vorgezogen, um nicht allzu eintönig leben zu müssen, – das mußte doch nach allem, was vorgefallen, eigentlich aus Anstand sein, und die Dame in ihr wehrte sich, sich vor dem Plebs zu »prostituieren« – auf Reisen zu gehen. So viel und heftig auch von ihrer Person gesprochen worden, das Gerede über sie verstummte allmählich, als sie ihre Reise mit »einer Freundin« auf viele Wochen ausdehnte. Sie schickte ab und zu Kartengrüße an wenige ihr vertrautere Personen, in denen sie immer noch aus Takt die Trauernde spielte.

Nach Koflers Tod und Hertwigs Weggang war es im Gouvernement sehr ruhig geworden. Um den letzteren setzten sich 336 die Mäuler noch eine Zeitlang aufs heftigste in Bewegung, bis sie fanden, daß das »bißche Geld« die Erregung nicht wert sei.

Exzellenz Mary liebte weder diese Jahreszeit, die sie bisher nie in der Garnison zugebracht, noch liebte sie es, sich im Winter zu zeigen, er »stand« ihr nicht, der Winter, denn er machte ihre Haut bläulich aussehend. Sie fuhr manchmal mit Johanna aus, meist im geschlossenen Wagen, und die »Untertanen« behaupteten, sie zeige ein grämliches und verdrossenes Gesicht, niemals ein heiteres, was sie früher nie an ihr erlebt hatten.

Auch die »Freimaurerabende« waren eingestellt; es geschah höchst selten, daß Vierling oder Wasner zu einer Tasse Tee befohlen wurden – Hertwig, der meist der Ruhigste war, schien doch das Bindeglied gewesen zu sein. Dafür konnte man die Damen viel musizieren hören, auch durchliefen Gerüchte die Stadt, daß Exzellenz Mary fast nie mehr mit ihrem Mann allein sei, nicht mehr wie sonst mit ihm ihre Spaziergänge mache, daß der Gouverneur viel für sich arbeite und viel abgeschlossener in seinem Zimmer hause als früher. So wußte man es wenigstens im »Kranz«. Aber wenn dort auch eine Zeitlang die Reise Resa-Rosa auf der Tagesordnung war – ihre Karten gingen von Hand zu Hand, triumphierend brachte sie die kleine Leutnantsfrau mit den zu lang geratenen Armen, die so schüchtern gewesen und nun auf einmal in eine gewisse »Position« einrückte, so daß sie sogar von der spitznasigen Zahlmeisterin nach allen Kanten hofiert wurde – wenn auch von dem Krebsen des »joli tailleur« gewispert und getuschelt und von neuen Versuchen Evas, Vierling und Wasner wurden genannt, gemunkelt wurde . . . es war zu viel vorher geschehen, zu viel Großes, der »Kranz gähnte«.

»E lumpig Jahr,« sagte verächtlich die Bergern. »Nix will passiere, so en langweilige Kranz wees ich all mein Lebtag nit. 337 Do sitzen m'r erum un mopsen uns, un niemand weeß was zu redde. Animieren doch emol die Armharten, ich duh's natürlich nit, do gibt's e Privatvergnige! Es is ja e Skandal, daß m'r sein Lewe so vertraure muß, for was is m'r dann uff dere Welt?«

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