Anna Croissant-Rust
Unkebunk
Anna Croissant-Rust

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Resa-Rosa lag in ihrem Zimmer auf dem kleinen, harten Diwan mit einer kalten Kompresse auf der Stirne, die sie von Zeit zu Zeit aus der neben dem Boden stehenden Schüssel erneuerte. Sie empfand stechende Kopfschmerzen, ein Gefühl grenzenloser Unlust und Leere und zugleich eine Erleichterung, daß es so gekommen war. Nur die Zukunft! Wieder eine Hoffnung ärmer, wie die Mama sagte, die händeringend durch die Räume irrte und in ihrem Schmerz um Kofler ganz vergessen hatte, die Papilotten aus den Haaren zu wickeln, um Kofler, den als Schwiegersohn zu betrachten sie längst gewohnt war. Eines tröstete ja: Holischka war heute gekommen und hatte in klaren Worten um Amélie angehalten; Holischka war der einzige Anker in der Brandung ihrer seelischen Bedrängnis.

Holischka, ein famoser Schwiegersohn mit Geld, mit ziemlich viel Geld sogar. Aber keiner, mit dem man Staat machen konnte; für Amélie allerdings ein Glücksfall allerersten Ranges! Dagegen Kofler! Mama Horler blieb, ihrem Händeringen Einhalt gebietend, vor Resa-Rosa stehen.

»Kind, ich begreife dich nicht, daß du nicht halb wahnsinnig vor Schmerz bist! Ein schöner Mann, ein eleganter, ein vornehmer, ein gewandter, ein reicher Mann, einer, der Karriere gemacht hätte! Sogar Papa sagt's, der sonst jeden niederbrummt, und der Kofler nicht leiden konnte, weil er aus Grundsatz nichts trank . . . also ein idealer, i–de–aler Mann. Kind, was ist mit dir? Du hast ihn doch geliebt? Du liegst und starrst die Wand an . . . ist das versteinerter Schmerz? Armes! Liebes!« Mamas Tränen rannen. »Ein gemeiner Rohling hat dir den Geliebten, den zukünftigen Gatten gemordet!«

Ganz überraschend für Mama Horler sprang Resa-Rosa vom Diwan auf, riß sich das Tuch von der Stirne und schleuderte es an die Mauer, rannte fast ihre Mutter um und fegte durchs Zimmer, verfolgt von ihrer Gebärerin. Sie eilte ihr 316 weinend nach, durch Gang und Salon, durchs Eßzimmer, den Vorraum ins Schlafzimmer, wo es Resa-Rosa gerade noch gelang, vor der Mutter wieder ihr eigenes Zimmer zu erreichen und knapp vor ihr zu verschließen. Die Quälerei auch noch! Jetzt hatte sie endlich Ruhe und warf sich, mit ihrem Taschentuch ein Schluchzen der Empörung erstickend, auf ihren gelben Diwan. (»Er steht dir so gut,« sagte die Mama!) Endlich wußte sie's. Nicht die Enttäuschung, nicht die Ereignisse waren es, die sie erschütterten und verstört gemacht: sie liebte Röder, und sie hatte ihn immer geliebt. An ihn mußte sie denken, zu ihm zog sie's mit allen Sinnen. Er war der Stärkere, er war der Sieger! Kofler war ein Schemen, das zerflossen, das nie hatte Gestalt annehmen wollen. Und sie lag und sehnte sich, biß in ihr Taschentuch, weil sie hätte schreien, heulen, betteln können, weil nichts in ihr war als Sehnsucht und nichts als das Bild des Eroberers. So lag sie lange, . . . bis sie ein fortwährendes Klopfen aufschreckte. Sie gab keine Antwort. Das Klopfen dauerte aber an und zwar ganz gleichmäßig und hartnäckig, bis auf einmal das Tempo wechselte und in ein ungeduldiges Trommeln überging. Zuletzt quietschte Nellys Stimme sehr ungnädig, sehr laut und fratzenhaft: »Zum Donnerwetter, jetzt schlag mal laut! Ich hab's genug, ich seh doch die ganze Zeit durchs Schlüsselloch, daß du wach bist! Was ist denn das für eine Art? Leutnant Hertwig ist da, er hat dir Wichtiges mitzuteilen, sagt er . . . was? Du bist nicht frisiert? Was schadet denn das bei dem? Lachhaft, der sieht's doch nicht! So mach doch auf!« Und wütend rüttelte sie an der Klinke. »Wahrscheinlich bringt er dir eine Million von Kofler, in einem Kuwert,« spottete sie, »denn er hat wirklich ein Kuwert in der Hand; er steht wie auf Stecknadeln gespießt im Salon und hütet es. Hierher soll er kommen? Auch recht, ich hab nichts dagegen, ich habe nämlich keine Vorurteile,« und wie der Wind war sie fort.

317 Resa-Rosa hatte kaum Zeit, ihre Haare zurecht zu streichen und das Waschbecken mit einem Fußtritt unter den Diwan zu befördern, als Hertwig auch schon eintrat, wirklich mit einem Kuwert in der Hand, sehr ernsthaft, wie Nelly gesagt hatte, »auf Stecknadeln gespießt« . . .

»Hier ist ja der Schauplatz unserer freundschaftlichen Enthüllungen von ehedem; nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich Sie heute wieder hier empfange. Ich vermute, Sie haben mir allein und auch als Freund etwas zu sagen. Wir haben uns ja seit dem . . . dem traurigen Ereignis nicht gesprochen, nicht gesehen« . . .

Resa-Rosa fand den Ton nicht: »Als Dame benehmen, als Dame«, summte es ihr mit Koflers Stimme in den Ohren. Hertwigs außerordentlicher und düsterer Ernst drückte auf sie. So wußte sie nun nichts weiter zu tun, als ihm mit stummer Handbewegung einen Stuhl anzuweisen und sich ihm unruhig und gemacht elegisch gegenüberzusetzen. War das derselbe Mensch, den sie sich einmal zum Vertrauten erkoren? Dessen selten feine und scheue Jugendlichkeit sie sogar einmal kurze Zeit angezogen, bei ihr Wünsche erregt hatte? Unbegreiflich! Nichts sprach mehr für ihn, alles heute gegen ihn, er war ihr lästig, nur: »Röder, Röder!« schrie es in ihr, und sie konnte nur mit Überwindung und mit der größten Selbstbeherrschung anhören, was er ihr zu sagen hatte. Ein letztes Wort von Kofler . . . ah! . . . sie scheute sich fast, den Brief entgegenzunehmen. Sie hätte die Sache so gern vergessen, aus der Welt geschafft . . . er war doch begraben!

»Wozu das?« sagte sie. »Ach, lieber Freund, es wühlt wieder alles auf, muß ich diesen Brief lesen? Ich ringe damit, vergessen zu können . . . später, später, erlassen Sie es mir jetzt.«

Hertwig schlug die Hacken zusammen und verneigte sich. Er fand kein Wort, das er ihr hätte sagen können, er fühlte nur 318 langsam ein Widerstreben gegen ihre unwahre Art in sich aufsteigen, es war alles gemacht, alles Komödie . . . sie tastete danach, eine wahr scheinende Pose zu finden . . . endlich brach sie los:

»So ein Duell, Hertwig, gräulich, nicht? Mittelalter! Überlebt! Was? Blindlings darauf losschießen!« . . .

»Blindlings? Zielt nicht ein jeder? aber . . .« fuhr es Hertwig heraus.

»Gibt es solche?« Resa-Rosa richtete sich von dem Diwan auf, stützte sich auf den Arm, der zitterte und sah Hertwig mit aufgerissenen Augen an. Doch nahm sie sich noch einmal zusammen: »Es ist und bleibt eine Farce,« sagte sie geringschätzig und blieb eine Zeitlang nachdenklich.

»Wenn einer zielt . . . dann . . . dann . . . dann,« kam's stockend. Ein Funkeln war in ihren Augen, sie schaute ins Leere, immer an Hertwig vorbei . . .

»Hat . . .Röder . . . hat Röder,« . . . der Atem versagte ihr.

Hertwig schwieg hartnäckig. Da sank sie wieder langsam in sich zusammen.

»Sie sind also auch für die Farce?« tat sie verächtlich.

»Nein,« sagte Hertwig, »wenn einer von zweien gehen muß, dann gibt es nur einen Weg, dies Zufallsspiel ist nicht für mich, es mag für andere notwendig sein« . . .

Sie schüttelte melancholisch den Kopf und schien auf einmal ganz verwandelt.

»Rechten Sie nicht mit mir, Hertwig, ich bin heute unzurechnungsfähig, ich rede Dinge, die ich nicht verantworten kann. Ich bin starr vor Schmerz, doch es löst sich . . . und dann werde ich rasen und wissen, was ich verlor. Bleiben Sie mein Freund!« Sie reichte ihm im Überschwang beide Hände.

Hertwig blieb kühl, verabschiedete sich förmlich und sagte nur: »Verfügen Sie über mich, wenn Sie mich brauchen. Ich bin bereit, Ihnen beizustehen, wenn es notwendig ist, um Koflers willen.«

319 Resa-Rosa biß sich in die Lippen, doch drückte sie noch einmal Hertwigs Hand, begleitete ihn über den Korridor zur Ausgangstür, winkte noch einmal müde und traurig mit der Hand nach, dann lief sie atemlos in ihr Zimmer zurück, riß den Brief auf, las mit gierigen Augen, sank auf den Diwan, warf den Kopf wie eine Mänade zurück, bohrte sich in die Kissen ein und schrie endlich laut und gellend: »Mama, Mama!« und wieder: »Mama, Mama!« bis diese mit zitternden Papilotten herbeigeeilt kam.

»Mama, nun mach mir keine Vorwürfe mehr: er hat mich zur Erbin eingesetzt . . . nicht vom Ganzen, aber immerhin . . . Mama setz dich, daß dir der freudige Schrecken nichts schadet! Hunderttausend! . . . Du glaubst es nicht? Da! Da! Der Brief! Hertwig hat ihn gebracht . . . Das spricht sich so leicht aus . . . Das Testament ist bereits deponiert. Ja! Ja! Ja! Er war doch ein feiner Kerl, nicht, sag mal? Und was bin ich nun? . . . Reich! eine reiche Erbin und dabei frei, frei . . . frei. Ach, Mama! Gar nicht auszudenken ist's! Frei sein! Keinem zu gehören und noch dazu keinem so anstrengenden, ehrenhaft freidenkenden Mann . . . Er war doch ein Gentleman, so an mich zu denken! Wie er mich geliebt haben muß?!«

Mama Horler sank neben Resa-Rosa auf den Diwan und streichelte fortwährend, wie in nervöser Ekstase, Resa-Rosas offenes Haar . . .

»Ach Gott, ach Gott! Es ist zu unglaublich! Kindchen, es kommt zu überraschend! Ist die Türe auch zu? . . . So was zu tun! Und für nichts! Nicht? Ihr wart doch gar nicht einmal heimlich verlobt? Oder? Hast du abgeschlossen . . . Ist nicht jemand an der Tür?« . . . Rasch stand sie auf . . . »Nelly! Du Balg! Was hast du zu horchen? Willst du wohl machen, daß du fort kommst! . . . Du brauchst von dem, was wir hier sprechen, nichts zu wissen . . . Kindchen? Sie soll's wissen? Also« . . .

320 »Ach, das braucht Ihr mir doch nicht zu sagen!« trillerte sie. »Resa-Rosa erbt, die ›reiche Erbin an dem Rhein‹, kriegt hunderttausend und überläßt mir das ›Tanzen‹! Dieser . . . hm, von Kofler . . . seht Ihr, daß ich's weiß?« Und trillernd tanzte sie ab.

Mama Horler aber hielt Resa-Rosa umschlungen. »Sei froh, sei froh,« flüsterte sie . . . »ach, was war er für ein unbequemer Idealist! Du hättest mit ihm Schwierigkeiten gehabt. Und höre, keine Bedingungen dabei? Mein Liebling? Geht es ganz glatt?«

»Bedingungen? Nein, nur ein Wunsch. Er wünscht, daß ich meine hervorragenden Anlagen ausbilde . . . er wünscht nur . . . Du brauchst es ja gar nicht zu wissen, wozu? Ich sprach mit dir nie darüber, es war eine fixe Idee von dem Assessor.«

»Anlagen? Was denn? Was hast du denn für hervorragende Anlagen? Du spielst ganz gut Theater, aber davon wußte er doch nichts!«

»Ich bitte dich, rege mich jetzt nicht auf, es ist so wie so zu viel für mich gewesen! Es kann dir doch egal sein . . . ich bin ja nicht gezwungen, Wünsche zu erfüllen. Die Hauptsache bleibt doch: ich erbe, so oder so; laß dir das genug sein und sieh zu, daß du deine Papilotten aus den Haaren kriegst. Holischka wird bald kommen, und er ist genau so peinlich . . . nun, so peinlich darin, wie etwa Kofler gewesen wäre.«

Resa-Rosa saß aufrecht auf ihrem harten, gelben Diwan. Keine Spur von der Öde und Enttäuschung der letzten Tage und Stunden war in ihr; ihre Wangen brannten und ihre Augen strahlten. Mama Horler kannte und fürchtete das an ihr: Erbteil des Vaters . . . so saß sie, ganz die Erbin schon, die Herrscherin . . . Mama Horler entfernte sich mit einem trotz allen Glücks etwas bedrückten Gefühl: nun wird es anders. Ihr war nahe gelegt, befohlen worden . . . sie war die Hinausgeworfene.

321 In Zukunft – wie würde sich überhaupt diese Zukunft gestalten! – war Resa-Rosa der Mittelpunkt des Hauses, das fühlte man, sie hatte zu befehlen, zu verdammen und zu verbieten. Man brauchte nicht das zweite Gesicht zu haben, um das vorauszusehen. Mama Horlers Rolle war ausgespielt, sie konnte nur noch auf das hoffen, was ihr die Huld ihrer Töchter gestattete . . . und plötzlich erinnerte sie sich, daß Amélie ein gutes, liebes Kind und auch ihr Kind sei und einen guten, liebenswürdigen Bräutigam von vornehmer Gesinnung hatte. Und sie fühlte sich sehr zu Amélie hingezogen und wurde warm in dem Gedanken an sie . . . Resa-Rosa . . . ach, sie wollte nicht daran denken, und Nelly . . . nein! nun hielt sie sich beide sehr große Ohren zu, denn da zeterte diese schon am Vorplatz mit ihrer schrillen, harten Kinderstimme: »Ho–lisch–ka! . . . Ho–lisch–ka! . . . Und der kleine Leutnant stand mit rotem Gesicht vor der Range, die ihn anulkte.

Mama Horler verschwand geschickt um die Ecke und begann schon unter dem Gehen in Eile die Papilotten abzuwickeln. Eile war nötig, war sie denn nicht noch in ihrem berühmten, geblumten Schlafrock? Und mußte doch gleich in Toilette vor dem Bräutigam erscheinen. Resa-Rosa hatte ganz recht: Holischka war darin peinlich und außerdem: Nelly allein mit dem Brautpaar! Was wird sie wieder anstellen? Ach, diese Nelly! Ein schwerer Seufzer hob Mama Horlers noch durch kein Korsett gestützten, umfangreichen Busen . . . »So viel Gottesgabe und Talente!« Kopfschüttelnd begann sie den beschienten Panzer anzulegen, der ihre Figur stattlich und repräsentativ machte, wie es sich für die Frau des Bezirksamtsmannes und für eine Brautmutter geziemte. 322

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