Anna Croissant-Rust
Unkebunk
Anna Croissant-Rust

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Im Gouvernement war alles zum Empfang der Gäste bereit, alle Lichter brannten. Den Salon, das Musikzimmer und das Boudoir liebte Exzellenz Mary nur durch eine Reihe Wachskerzen zu erleuchten. Die Tafel war mit Chrysanthemen geschmückt, die auch in großen Sträußen sowohl wie in einzelnen Riesenexemplaren in den andern Zimmern verteilt waren, so daß der bittere, anregende, etwas stumpfe Geruch alle Räume erfüllte, deren Flügeltüren weit geöffnet waren. Da die Gesellschaftsräume sämtlich nach vorn, nach dem großen Platz zu gingen, war es eine ganze Flucht von Zimmern, die der in den Salon Eintretende vor sich sah, und die Wirkung der sehr großen Räume hatte Exzellenz Mary noch durch geschickt angebrachte Spiegel verstärkt. Die einfache, etwas kühle Eleganz des Salons, der in taubengrau mit wenig Schwarz gehalten war, das sehr helle, weißgelbe Musikzimmer, das stark blaue Speisezimmer mit den hellen Möbeln, das gelbe Boudoir und das grüne, warme Herrenzimmer sahen in ihrer Aufeinanderfolge reizvoll aus; den Abschluß bildete die etwas kleine und etwas nüchterne Bibliothek, das Stiefkind im Hause, da der Gouverneur seine Bücher in seinem Zimmer, seine Gattin ihre Lieblingsschriftsteller aber im Boudoir hatte, also für die Bibliothek wenig blieb. Nach rückwärts gegen den großen Garten lagen die Schlafzimmer, die Gastzimmer und die Wirtschaftsräume.

Johanna war längst angekleidet und saß, die Füße gekreuzt, in einem weichen Lehnstuhl in ihrem Zimmer. Sie schaute durch das große, sehr tiefe Fenster hinaus auf die Baumkronen des Parkes, die mit ihren dunklen, unbeweglichen Ästen in den grauen Abendhimmel langten. Es war eigentlich ihre erste Gesellschaft; wie wäre sie auch in ihrem einfachen Lebenskreise und den kargen Verhältnissen dazu gekommen, Gesellschaften mitzumachen? Sie fühlte sich beengt und kämpfte mit einem kleinen, 259 trotzigen Widerstreben gegen diese Art der geselligen Zusammenkünfte, die ihr unwahr erschienen und gemacht. Ihre Natur neigte mehr dazu, sich mit nur wenigen Menschen, aber gründlich, freundschaftlich und erschöpfend zu beschäftigen. Auch störten sie viele Menschen, denn sie war noch zu sehr von ihrem Werden erfüllt, und wie das bei Werdenden ist, die mit Hemmungen kämpfen, legte sie ihrer Entwicklung zuviel Gewicht bei und unterschätzte deshalb die holden Dinge des Lebens, die Schönheit, Reichtum, Kultur und Genuß heißen. Nur hätte sie kein Weib sein müssen, hätte sie sich nicht gefreut, sich unter Männern bewegen zu dürfen, schön gekleidet, vielleicht bewundert, in gehobener Stimmung, in eleganten Räumen. Sie widerstrebte auch, weil sie nicht enttäuscht sein wollte; im Grunde freute sie sich aber doch, wenn sie's auch nicht eingestand, wenn auch der Gedanke, daß sie Hertwig unter so vielen Menschen wiedersehen sollte, etwas Beklemmendes für sie hatte. Wie würde er sein? Sie hatte nichts mehr von ihm gehört.

Sie war schon zweimal aufgestanden, hatte die Lampe über sich gehalten und sich betrachtet, hatte die Lampe immer wieder zurückgestellt, weil sich ihre Gedanken immer zwischen sie und ihr Spiegelbild stellten. Was würde heute Hertwig sagen . . . nach dem Abend im Garten? Zürnte er ihr ernstlich? So saß sie und schaute in den immer dunkler werdenden Park, aus dem die starren, schwarzen Äste sich weit über ihr Fenster aufreckten.

Wie sehe ich aus? Da hatte sie schon wieder die Lampe ergriffen. Sie gefiel und gefiel sich nicht, sie war sich fremd und doch wieder vertraut. Das einfache Kleid aus stark grüner, leichter Seide, hob die Weiße ihrer Haut und ihre glänzenden, schwarzen Haare. Der faltig ansetzende Rock hob ihre schlanke und sehr hohe Figur. Sie trug als Schmuck nur eine alte Silberkette und im Haar ein breites, grünes Band.

260 Was Exzellenz wohl sagen würde, die befohlen hatte, möglichst elegant zu erscheinen, und die selbst ein pompöses, weißes Seidenkleid mit wundervollen Spitzen gewählt hatte?

»Nur nicht Aschenbrödel spielen, die Leute sollen diesen Eindruck nicht haben! Das hasse ich, Selbstbewußtsein zeigen! Stellen Sie sich neben mich, aber nicht hinter mich.«

War da nicht noch ein unausgesprochener Satz: »Stellen Sie sich neben mich – ich fürchte Sie nicht, oder: ich habe Sie nicht zu fürchten?«

Es war noch immer, wie am ersten Tage . . . sie haßte, liebte, bewunderte, verabscheute diese Frau und kam nicht von ihr los. Sie kam ihr auch nicht näher, das heißt, Johanna konnte ihr gegenüber nicht aus sich herausgehen; es mochte sein, daß die ältere Frau das durchfühlte und dadurch gereizt wurde. Johanna mußte natürlich stets die Undankbare, die Verschlossene, die Kühle und Zurückweisende, die Gefühllose sein, das war sie stets gewesen, bei allen Freundinnen – was sich eben so nannte – bei allen lieben Verwandten und Bekannten, nur nicht bei ihrer Tante Therese. Und plötzlich überfiel sie ein Heimweh nach dem stillen, altmodischen Zimmer mit seinem Fenstertritt und der alten Empireuhr, nach den Bratäpfeln, die im Rohre zischten, nach der lieben, leisen Stimme, nach Wärme, Teilnahme. Wenn sie mit ihr über Hertwig sprechen könnte! . . . Johanna schlug die Hände vors Gesicht und wäre beinahe in Schluchzen ausgebrochen. Doch sie biß die Zähne übereinander, sie mußte lernen, härter zu werden, sie mußte lernen, allein mit sich fertig zu werden, sie mußte.

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