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Fünfzehntes Kapitel.

»Wohlan, entblöße Deine Brust.«
Der Kaufmann von Venedig.          

Wild und trübe war die Nacht. Der Mond war beinahe voll; aber seine Stelle am Himmel war nur zu bemerken, wenn die Wolken und Nebelmassen, welche durch die Luft zogen, gelegentlich sich öffnend, kurze Blicke von kaum hinlänglichem Licht auf die Scene unten durchfallen ließen. Ein Südwestwind seufzte durch den Wald, und es gab Augenblicke, wo seine Frische sich zu solcher Macht und Stärke erhob, daß jedes Blatt eine Zunge und jede niedrige Staude mit der Gabe der Rede versehen schien. Mit Ausnahme dieser Ehrfurcht einflößenden und nicht ungefälligen Naturlaune herrschte in und um dem Dorfe von Wish-Ton-Wish eine feierliche Ruhe und Stille. Eine Stunde vor dem Augenblick, wo wir die Handlung unserer Erzählung wieder aufnahmen, war die Sonne in den benachbarten Wald niedergesunken, und die meisten seiner einfachen, arbeitsamen Bewohner hatten sich schon zur Ruhe begeben.

Indeß glänzte noch Licht durch viele der Fenster des Heathcotehauses, wie in der Sprache des Landes die Wohnung 312 des Puritaners genannt ward. In den Außengebäuden und dem Hofe verrichteten die Arbeiter und Mägde die ländlichen Abendgeschäfte, und nur in dem obern Theil der Wohnung herrschte die gewöhnliche Ruhe. Einsam ging in der Vorhalle ein junger Mann hastig auf und ab, als wenn ihm etwas Unangenehmes begegnet wäre. Es war der junge Marcus Heathcote, der den langen, engen Weg durchschritt, als ertrüge er mit der größten Ungeduld eine Verzögerung seiner Wünsche.

Die Unruhe des jungen Mannes war nur von kurzer Dauer; denn ehe er noch viele Minuten auf seinem Posten gestanden, öffnete sich eine Thür, und zwei leichte, furchtsame Gestalten schlüpften aus dem Hause heraus.

»Du bist nicht allein gekommen, Martha,« sagte der Jüngling halb mißmüthig; »ich sagte Dir, die Sache, die ich Dir mitzutheilen hätte, gehörte nur für Dein Ohr allein.«

»Es ist unsere Ruth; Du weißt, Marcus, daß sie nicht allein gelassen werden darf; wir fürchten ihre Rückkehr in den Wald. Sie ist gleich einem schlecht gezähmten Rehe, das geneigt sein möchte, bei den ersten wohlbekannten Tönen aus den Wäldern davon zu springen. Selbst jetzt noch fürcht' ich sind wir zu weit von einander.«

»Fürchte nichts; meine Schwester hängt zu sehr an ihrem Kinde, und denkt nicht an Flucht; Du siehst auch, daß ich hier stehe, sie aufzuhalten, wäre dies ihre Absicht. Nun sprich aufrichtig, Martha, und sage mir, ob Du in Wahrheit meinst die Besuche des Bewerbers aus Hartford seien weniger nach Deinem Geschmack, als die meisten Deiner Freunde dachten.«

»Was ich gesagt, mag ich nicht widerrufen!«

»Doch könntest Du es bereuen.«

313 »Ich zähle den Widerwillen, das Mißfallen gegen den jungen Mann nicht zu meinen Gebrechen und Fehlern. Ich bin zu glücklich hier in dieser Familie, um zu wünschen, sie zu verlassen. Und nun, da meine Schwester, – da spricht Jemand in diesem Augenblick mit ihr, Marcus!«

»Es ist nur der Blödsinnige,« entgegnete der junge Mann, und warf sein Auge nach dem andern Ende der Vorhalle. »Sie sprechen oft miteinander. Whittal ist gerade jetzt aus den Wäldern wieder hereingekommen, wo er gern eine oder zwei Stunden jeden Abend zubringt; Du sagtest eben, daß jetzt, da wir unsere Schwester haben – –«

»Ich noch weniger Verlangen fühle, meinen Aufenthalt zu ändern.«

»Dann, warum nicht für immer bei uns bleiben, Martha?«

»Pst,« – fiel die Andere ein, welche, obwohl voraussehend, was sie hören sollte, doch mit der Laune, die in der weiblichen Natur liegt, gerade vor der Erklärung sich entsetzte und zurückschrak, die sie am meisten zu hören wünschte. »Pst! – ich höre sich etwas bewegen. Ach, unsere Ruth und Whittal sind entflohen!«

»Sie suchen irgend ein Spielwerk für den Knaben, – dort sind sie in der Nähe der Außengebäude. – Dann, warum nicht eine Berechtigung annehmen, um für immer zu bleiben.«

»Nein, nein Marcus,« rief das Mädchen, und rang ihre Hand aus der seinigen los; »so ist's nicht, sie sind entflohen.«

Marcus ließ sie mit Widerstreben los und folgte ihr zur Stelle, wo seine Schwester eben noch gesessen. Sie war in der That weg, denn mehrere Augenblicke waren vorübergegangen, ehe selbst Martha im Ernst glaubte, daß sie ohne 314 die Absicht zurückzukehren verschwunden sei. Die Bewegung der Beiden bewirkte, daß das Nachsuchen schlecht angestellt und betrieben wurde, ja es lag selbst vielleicht ein gewisses Wohlgefallen insgeheim in der Verlängerung dieses ihres Zusammenseins, selbst in dieser beunruhigten, getrennten Weise, was sie für einige Zeit nicht dazu kommen ließ, Lärm zu machen und Nachricht davon zu geben. Als dieser Augenblick gekommen, war's schon zu spät. Die Felder wurden untersucht, die Obstgärten und Außengebäude vollständig durchforscht, ohne irgend eine Spur von den Flüchtlingen aufzufinden. Es würde vergebens gewesen sein, den Wald bei dieser Dunkelheit zu betreten, und Alles, was vernünftiger Weise geschehen konnte, war, während der Nacht eine Wache auszustellen, um eine thätigere und verständigere Verfolgung am nächsten Morgen zu veranstalten.

Aber lange, ehe die Sonne aufging, schritten die trauervollen Flüchtlinge durch die Wälder, in einer Entfernung von dem Thal, die den Plan der Familie schon gänzlich fruchtlos und vergeblich machte. Conanchet war über tausend Waldhügel hinaus vorangegangen, über Wasser und durch dunkle Schluchten; und ihm folgte seine schweigende Gattin mit einem Eifer und einer Anstrengung, die selbst die Bemühungen derer zu Schanden gemacht hätte, vor welchen sie floh. Whittal Ring, der das Kind auf seinem Rücken trug, mühte sich hinter ihnen ab mit unermüdlichem Schritt. Stunden waren auf diese Weise vorübergegangen, und nicht eine Silbe war von einem von den drei ausgesprochen worden. Ein- oder zweimal waren sie bei einer Stelle stehen geblieben, wo krystallhelles Wasser aus den Felsen hervorschoß; tranken aus der 315 Höhlung ihrer Hand und setzten dann ihren Weg wieder fort, mit derselben sprachlosen Eile und Schnelligkeit wie vorher.

Endlich blieb Conanchet stehen. Ernst schaute er nach der Stellung der Sonne, und dann lange und angelegentlich nach dem Merkzeichen im Walde, und sich zu überzeugen, daß er sich in seiner Beobachtung nicht täusche. Einem ungeübten Auge hätten die Bogengänge unter den Bäumen, die laubbedeckte Erde und die faulenden Stämme überall dieselben geschienen. Aber es war nicht leicht, einen in den Wäldern erzogenen und mit ihnen so vertrauten Mann zu täuschen. Eben so sehr zufrieden mit dem Weg, den er zurückgelegt, als mit der Tageszeit, bedeutete der Häuptling seine beiden Gefährten, sich zu seiner Seite zu begeben, und einen Sitz auf einem niedern Gesims von einem Felsen einzunehmen, der sein nacktes Haupt aus der Seite eines Hügels emporstreckte.

Viele Augenblicke, nachdem schon Alle saßen, brach Niemand das Schweigen. Narra-Mattah's Auge suchte das Antlitz ihres Gatten, sowie die Frau etwa Belehrung in dem Ausdruck der Züge zu lesen sich bemüht, die sie immer zu verehren gelehrt worden; aber noch sprach sie nicht. Der Blödsinnige legte den geduldigen Knaben zu den Füßen der Mutter nieder, und ahmte ihre Rückhaltung und Stille nach.

»Ist die Luft der Wälder der Biene lieblich und angenehm, nachdem sie in dem Wigwam ihres Volkes gelebt hat?« fragte Conanchet und brach das lange Schweigen. »Kann eine Blume, die in der Sonne blühte, den Schatten lieben?«

»Ein Weib der Narragansetts ist am glücklichsten in der Hütte des Gatten.«

316 Das Auge des Häuptlings begegnete ihrem vertrauenden Blick mit Liebe, und dann fiel es mild und voller Vatergüte auf die Züge des Kindes, das zu seinen Füßen lag. Es trat ein Augenblick ein, während dessen ein Ausdruck bitterer Trauer sich auf seiner Stirn sammelte.

»Der Geist, der die Erde bildete,« fuhr er dann fort, »ist sehr weise und klug. Er hat gewußt, wo er den Schirling hinsetzen, und wo die Eiche wachsen sollte. Er hat das Moosthier und das Wild dem indianischen Jäger gelassen, und das Pferd und den Ochsen dem Blaßgesicht gegeben. Jeder Stamm hat seinen Jagdgrund und sein Wild. Die Narragansetts kennen den Geschmack des Klammfisches, während die Mohawk die Beeren der Berge essen. Du hast den glänzenden Bogen gesehen, Narra-Mattah, der am Himmel scheint, und weißt, wie eine Farbe mit der andern verschmilzt, gleich der Bemalung mit dem Antlitz eines Kriegers. Das Blatt des Schirlings ist gleich dem des Sumachs, die Esche gleich dem Wallnußbaum, der Wallnußbaum gleich der Linde, und die Linde gleich dem breitblättrigen Baume, welcher die rothen Früchte trägt in den Waldungen der Yengih's; aber der Baum mit der rothen Frucht gleicht doch wenig dem Schirlingbaum! Conanchet ist ein schlanker, gerader Schirling, und der Vater der Narra-Mattah ist ein Baum des Anbaus, der die rothen Früchte trägt. Der große Geist zürnte, als sie zusammen und bei einander wuchsen.«

Das sinnige Weib verstand nur zu gut den Gedankengang des Häuptlings. Sie unterdrückte jedoch die Pein, die sie fühlte, und antwortete mit der Schnelligkeit eines Weibes, deren Verstand durch ihre Liebe und Anhänglichkeit aufgeregt und belebt worden.

317 »Was Conanchet gesagt, ist wahr. Aber die Yengih's haben auch den Apfel ihres eignen Landes auf den Dornbusch unserer Wälder gepfropft, und siehe! die Frucht ist gut.«

»Sie ist gleich diesem Knaben,« sagte der Häuptling und deutete auf seinen Sohn; »weder roth noch blaß. Nein, Narra-Mattah, was der große Geist geboten, muß selbst ein Sachem thun!«

»Und sagt Conanchet, diese Frucht sei nicht gut?« fragte sein Weib indem sie mit der Freude einer Mutter ihm den lächelnden Knaben entgegenhob.

Das Herz des Kriegers wurde gerührt. Er beugte sein Haupt, und küßte seinen Knaben mit all der Freude, welche weniger ernste Väter zu äußern pflegen. Für einen Augenblick schien er Lust im Hinstarren auf den vielversprechenden Knaben zu fühlen. Aber als er sein Haupt wieder erhob, traf ein Blick der aufgehenden Sonne in sein Auge, und der ganze Ausdruck seines Antlitzes veränderte sich. Indem er seinem Weibe zuwinkte, den Knaben wieder auf den Boden zu legen, wandte er sich mit Feierlichkeit zu ihr hin und fuhr fort:

»Es möge Narra-Mattah's Zunge ohne Furcht sprechen. Sie ist in der Wohnung ihres Vaters gewesen, und hat von seinem Ueberfluß darin gekostet. Ist ihr Herz froh?«

Das junge Weib schwieg. Diese Frage brachte eine plötzliche Rückerinnerung an all jene wieder auflebenden Gefühle mit, an jene zarte Sorgfalt und jene rührende Theilnahme, die sie vor Kurzem erst daheim erfahren. Aber alle diese Empfindungen verschwanden bald, denn ohne zu wagen, ihre Augen aufzurichten und das aufmerksame, ängstliche Blicken 318 des Häuptlings zu gewahren, sagte sie fest, obgleich mit einer Stimme, die durch Mißtrauen gedämpft worden:

»Narra-Mattah ist ein Weib!«

»Dann wird sie auf die Worte ihres Mannes hören. Conanchet ist ferner kein Sachem mehr, er ist ein Gefangener der Mohikaner: Unkas wartet auf ihn in den Wäldern.«

Trotz der eben erst gegebenen Erklärung hörte die junge Frau von diesem neuen Unglück nicht mit der Ruhe eines indianischen Weibes. Zuerst schien es, als wenn ihre Sinne sich weigerten, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Verwunderung, Zweifel, Schrecken und furchtbare Gewißheit, Alles dies gewann nach der Reihe die Oberhand in ihrem Innersten, denn sie war zu gut in all die Gewohnheiten und Ansichten des Volkes, mit welchem sie lebte, eingeübt, um nicht die Gefahr zu verstehen, in welcher ihr Gatte schwebte.

»Der Sachem der Narragansetts, Gefangener des Unkas der Mohikans?« wiederholte sie in tiefem Tone, als wenn der Laut ihrer Stimme nöthig wäre, eine schreckliche Täuschung zu zerstören. »Nein, Unkas ist kein Krieger, der Conanchet tödten kann!«

»Höre auf meine Worte!« sagte der Häuptling, und berührte die Schulter seines Weibes, so, wie Jemand seinen Freund aus seinem Schlaf erweckt. »Es ist ein Blaßgesicht in diesen Wäldern hier; er ist ein sich vergrabender Fuchs. Er birgt sein Haupt vor den Yengih's. Als sein Volk uns auf der Spur war, und gleich hungrigen Wölfen bellte, vertraute sich dieser Mann einem Sagamore. Es war eine schnelle Jagd und mein Vater war sehr alt. Er bestieg einen jungen 319 Wallnußbaum, gleich einem Bären, und Conanchet lockte den lügenhaften Haufen von ihm ab. Aber er ist kein Moosthier. Seine Beine können nicht immer laufen gleich eilenden Bächen!«

»Und warum gab der große Narragansett sein Leben für einen Fremden hin?«

»Der Mann ist ein Held,« entgegnete der Sachem stolz; »er nahm die Schädelhaut eines Sagamore.«

Narra-Mattah schwieg wieder. Sie brütete in beinahe stumpfem Staunen über der furchtbaren Wahrheit.

»Der große Geist sieht, daß der Mann und sein Weib von verschiedenem Stamme sind;« wagte sie endlich zu erwidern. »Er will, daß zu einem Volke sie werden. Es möge Conanchet die Wälder verlassen, und mit der Mutter seines Sohnes in die Ansiedelungen wandern. Ihr weißer Vater wird sich freuen, und Mohikan Unkas nicht wagen ihm zu folgen.«

»Weib, ich bin ein Sachem und ein Krieger unter meinem Volk.« Es lag ein strenger, kalter Unwille in Conanchet's Stimme, so, wie sein Weib es nie vorher gehört hatte. Er sprach zu seinem Weibe mehr in der Weise eines Häuptlings, als mit jener männlichen Sanftheit, mit der er den Sprößling der Blaßgesichter anzureden pflegte. Die Worte kamen über ihr Herz gleich einem welkmachenden Froste, und Trauer und Leid hielten sie stumm. Der Häuptling selbst saß einen Augenblick länger in ernster Stille da, und dann voll Unwillen sich erhebend, deutete er auf die Sonne und winkte seinen Gefährten, sich aufzumachen. In einer Zeit, die dem klopfenden Herzen Derer, welche seinen schnellen Schritten folgte, nur ein Augenblick schien, waren sie über eine kleine Anhöhe gekommen und standen im nächsten Momente vor einem 320 Haufen, der offenbar ihre Ankunft erwartete. Diese ernste Gruppe bestand nur aus dem Unkas, zweien seiner am wildesten blickenden und athletischsten Kriegern, dem Geistlichen und Eben Dudley.

Indem er schnell zu dem Orte hinschritt, wo sein Feind stand, nahm Conanchet seine Stelle an den Fuß des verhängnißvollen Baumes ein. Er deutete auf den Schatten, welcher sich noch nicht nach Osten gewandt, verschränkte die Arme auf seiner nackten Brust, und nahm einen Anschein stolzer Unbekümmertheit an. Alle diese Bewegungen gingen mitten in der größten Stille vor sich.

Getäuschte Erwartung, unwilliges Bewundern und Mißtrauen, – Alles dies kämpfte unter der Maske gewohnter Selbstbeherrschung in dem dunkeln Antlitz des Unkas. Er betrachtete seinen langgehaßten, furchtbaren Feind mit einem auflauernden Auge, damit ihm keine zum Vorschein kommende Schwäche entginge. Es war nicht leicht, zu sagen, ob Verdruß oder Achtung das vorherrschende Gefühl in ihm war, als er den Narragansett so streng Wort halten sah. Von seinen zwei grimmigen Kriegern begleitet, untersuchte der Häuptling den Fall des Schattens mit kritischer Genauigkeit, und als länger kein Vorwand sich zeigte, die vollständige Treue ihres Gefangenen zu bezweifeln, oder vielmehr zu bezweifeln zu scheinen, drang ein tiefer Ton der Beistimmung aus jeder Brust. Gleich einem vorsichtigen Richter, dessen Gerechtigkeit durch schon vorgefallene rechtliche Händel beschränkt ist, und gleichsam erfreut, daß kein Fehler und Versehen in den Vorgängen sich fände, winkte alsdann der Mohikaner den weißen Leuten, näher zu kommen.

»Mann einer wilden, nicht versöhnten Natur!« begann 321 nun Meek Wolfe in seinen gewohnten, ermahnenden, ascetischen Tönen! »Die Stunde Deines Daseins nähert sich ihrem Ende. Das Gericht hat seinen Ausschlag gehabt; Du bist in der Wage gewogen und zu leicht erfunden worden. Aber christliche Liebe fehlt nie. Wir mögen den Beschlüssen der Vorsehung nicht widerstehen, aber wir können dem Sünder den Streich leichter machen und mäßigen. Daß Du hier bist zu sterben, ist ein in Recht und Billigkeit ergangener Beschluß; er wird durch geheimnißvolles Walten noch ehrwürdiger; aber mehr verlangt Ergebung in den göttlichen Willen nicht! Heide, Du hast eine Seele, und sie ist im Begriff, ihre irdische Wohnung zu verlassen für die unbekannte Welt – –«

Bis jetzt hatte der Gefangene mit der Höflichkeit eines Wilden, so lange er nicht gereizt ist, zugehört. Er hatte selbst auf die ruhige Schwärmerei und seltsam widersprechenden Leidenschaften, die in den tiefen Gesichtszügen des Sprechenden leuchteten, mit etwas von jener Ehrfurcht hingestarrt, wie er hätte zeigen mögen, wenn er bei einer Zurschaustellung einer der vergeblichen Offenbarungen der Priester seines Stammes zugegen gewesen. Aber als der Geistliche seine Lage nach seinem Tode berührte, da nahm sein Antlitz einen hellen Glanz an, den die vermeintlich untrügliche Wahrheit seines Glaubens ihm gab. Er legte plötzlich einen Finger auf Meek's Schulter, und unterbrach ihn mit den Worten:

»Mein Vater vergißt, daß die Haut seines Sohnes roth ist. Der Pfad zu den glücklichen Jagdgründen der gerechten Indianer liegt vor ihm!«

»Heide! in Deinen Worten hat der oberste Geist aller Täuschung und Sünde seine Gotteslästerung ausgesprochen!«

322 »Pst! Sah mein Vater, was dort den Busch bewegte?«

»Es war der unsichtbare Wind, Du abgöttisches spielerisches Kind, in der Gestalt eines erwachsenen Mannes!«

»Und doch spricht mein Vater zu ihm,« entgegnete der Indianer mit dem ernsten aber beißenden Sarkasmus seines Volkes. »Seht,« fuhr er mit Stolz und selbst mit Wildheit fort: »der Schatten ist über die Wurzel des Baums hinaus; laßt den klugen Mann der Blaßgesichter zur Seite stehen; ein Sachem ist bereit zu sterben!«

Meek seufzte hörbar und in wahrer ungeheuchelter Betrübniß; denn trotz des Schleiers, welchen überspannte Lehren und spitzfindige Satzungen über sein Urtheil gezogen, beruhte doch die christliche Liebe des Mannes auf dem festen Grund der Wahrheit. Indem er sich vor dem beugte, was er für eine geheimnißvolle Fügung des Willens hielt, zog er sich auf eine kurze Entfernung zurück, kniete auf einem Felsen nieder, und erhob dann seine Stimme während der übrigen Vorkehrungen in brünstigen Gebeten für die Seele des Verurtheilten.

Der Geistliche hatte nicht sobald die Stelle verlassen, als Unkas Dudley winkte sich zu nähern. Obgleich von Natur der Grenzmann gut und milde gesinnt war, war er doch in Ansichten und Vorurtheilen nur ein Geschöpf der Zeit. Wenn er dem Gerichte beigestimmt hatte, welches den Gefangenen dem Willen seines unversöhnlichsten Feindes überließ, so hatte er das Verdienst, daß er den Antrag gestellt, den Dulder vor jener verfeinerten Grausamkeit zu schützen, welche, wie man wußte, die Wilden nur zu üben geneigt waren. Er hatte sich selbst freiwillig angetragen, einer von den Aufsehern 323 zu sein, welche auf die genaue Haltung dieses Gebots wachen sollten, obgleich er dadurch seinen eignen natürlichen Gefühlen nicht geringe Gewalt anthat. Der Leser wird daher über sein Benehmen hier mit jener Nachsicht urtheilen, welche eine richtige Würdigung des Zustandes, des Landes und der Gebräuche der Zeit eingeben muß. Es fand sich selbst eine gewisse Rührung in dem Antlitz dieses Zeugen von dem ganzen Vorgang, die der Rettung des Gefangenen günstig war. Er sprach und wandte sich dabei zuerst gegen Unkas.

»Ein glückliches Geschick, Mohikan, in etwas durch die Kraft der weißen Leute unterstützt, hat diesen Narragansett in Deine Hände gegeben,« sagte er. »Es ist gewiß, daß die Bevollmächtigten der Colonie ihre Zustimmung dazu gegeben, daß Du Deinen Willen in Hinsicht seines Lebens hättest; aber es ist eine Stimme in der Brust jedes menschlichen Wesens, welche stärker sein sollte, als die Stimme der Rache, und dies ist die Stimme der Gnade. Es ist noch nicht zu spät darauf zu hören. Nimm das Versprechen, nimm das Wort des Narragansetts, – nimm noch mehr, nimm als Geisel dieses Kind, welches mit seiner Mutter unter den Engländern bewacht werden soll, aber laß den Gefangenen gehen.«

»Mein Bruder fordert mit weitem Munde!« sagte Unkas trocken.

»Ich weiß nicht wie oder warum es geschieht, daß ich mit diesem Ernste bitte,« begann Dudley wieder, »aber es finden sich da alte Rückerinnerungen, und frühere Freundschaft in dem Antlitz und der Weise dieses Indianers. Und hier ist außerdem Jemand, jenes Weib, das, wie ich weiß, mit einigen in unserer Ansiedelung durch ein näheres Band als 324 das bloßer gegenseitiger Liebe verbunden ist. – Mohikan, ich werde noch eine reichliche Gabe an Pulver und Musketen hinzufügen, wenn Du der Gnade Gehör geben willst, und den Narragansett auf sein Wort entlässest.«

Unkas deutete mit ironischer Kälte auf seinen Gefangenen und sagte:

»Laßt Conanchet reden.«

»Du hörst es, Narragansett. Wenn Du wirklich der Mann bist, für den ich Dich zu halten anfange, so kennst Du Einiges von den Gebräuchen der Weißen. Sprich, willst Du schwören, Friede zu halten mit den Mohikanern, und die Streitaxt auf dem Pfad zwischen Euern Dörfern zu begraben.«

»Das Feuer, welches die Hütten meines Volkes verbrannte, hat Conanchet's Herz in Stein verwandelt,« war die feste Antwort.

»Dann kann ich nichts weiter thun, als zu sehen, daß der Vertrag gehalten werde;« entgegnete Dudley, in seinen Erwartungen getäuscht. »Du hast Deinen Sinn, und er soll seinen Lauf haben. Der Herr habe Barmherzigkeit mit Dir, Indianer, und gehe so mit Dir in's Gericht, wie es Deinem wilden Charakter angemessen ist.«

Er gab dem Unkas ein Zeichen, daß er geendet und ging einige Schritte von dem Baum zurück, sein ehrliches Gesicht drückte dabei seinen ganzen Kummer aus, während sein Auge sich doch nicht weigerte, seine Pflicht zu thun, indem es genau auf jede Bewegung der beiderseitigen Theile Acht hatte. In demselben Augenblick nahmen die grimmigen Begleiter des Mohikanerhäuptlings, in Folge eines Zeichens von ihm, ihre Stellungen auf jeder Seite des Gefangenen ein. Sie 325 warteten augenscheinlich auf das letzte und verhängnißvolle Zeichen, um ihr erbarmungsloses Geschäft zu verrichten. In diesem ernsten Augenblick trat eine Pause ein, als wenn jede der vornehmsten handelnden Personen in ihrem innersten Gemüthe ernsthafte Dinge überlegte.

»Der Narragansett hat zu seinem Weibe noch nicht gesprochen,« sagte Unkas, heimlich hoffend, sein Feind werde in einem Augenblick so schwerer Prüfung noch irgend eine unmännliche Schwäche verrathen. »Sie ist in seiner Nähe.«

»Ich sagte, mein Herz sei Stein,« entgegnete kalt der Narragansett.

»Sieh, das Mädchen kauert sich dort hin, gleich einem erschreckten Geflügel in den Aesten. Wenn mein Bruder Conanchet nur sehen will, wird er seine Geliebte bemerken!«

Conanchet's Antlitz ward finster aber schwankte nicht.

»Wir wollen uns in's Gebüsch zurückziehen, wenn der Sachem etwa sich fürchtet zu seinem Weibe zu sprechen, so lange des Mohikaners Augen auf ihm ruhen. Ein Krieger ist kein neugieriges Mädchen, daß er wünschen sollte, den Gram eines Häuptlings mit anzusehen.«

Conanchet suchte krampfhaft fühlend nach einer Waffe, damit seinen Feind zu Boden zu strecken; und dann ertönte ein leises Lispeln an seiner Seite und stahl sich so sanft an sein Ohr hin, daß es plötzlich den ganzen Sturm seiner Leidenschaften zertheilte.

»Will der große Sachem nicht noch einmal auf seinen Knaben blicken!« fragte die Bittende. »Es ist der Sohn eines großen Kriegers; warum schaut das Antlitz seines Vaters so finster auf ihn?«

Narra-Mattah hatte sich ihrem Gatten nahe genug 326 gewagt, um von seiner Hand erreicht werden zu können. Mit ausgereckten Armen hielt sie das Pfand ihres früheren Glücks dem Häuptling dar, gleichsam einen letzten freundlichen Blick des Wiedererkennens und der Liebe für ihn erflehend.

»Will nicht der große Narragansett auf seinen Knaben herabsehen?« wiederholte sie mit einer Stimme, welche tönte wie die leisesten Klänge einer rührenden Melodie. »Warum ruht sein Antlitz so finster auf einem Weibe seines Stammes?«

Selbst die strengen Züge des Mohikan-Sagamore zeigten, daß er gerührt war. Indem er seinen grimmigen Begleitern zuwinkte, sich hinter den Baum zu begeben, wandte er sich selbst weg und trat zur Seite mit dem edeln Aeußern eines Wilden, wenn er von seinen besseren Gefühlen getrieben wird, Da schoß ein Lichtstrahl in Conanchet's umwölktes Antlitz; sein Auge suchte das Gesicht seiner vom Schmerz gebeugten Gattin, die weniger seiner Gefahr wegen trauerte, als sie sich seines Unwillens wegen betrübte. Er empfing den Knaben von ihren Händen, und erforschte lang und eifrig seine Züge. Dann winkte er Dudley, der allein auf den Auftritt hinstaunte, und legte das Kind in seine Arme.

»Sieh,« sagte er, indem er auf den Knaben hindeutete; »es ist eine Blüthe aus der Waldlichtung; es wird in dem Waldesschatten nicht leben.«

Dann heftete er einen Blick auf seine zitternde Frau. Eines Gatten Liebe lag in dem Strahlen seines Auges.

»Blüthe des freien, offenen Landes,« sagte er; »der Manittu Deines Geschlechts wird Dich versetzen in die Felder Deiner Väter. Die Sonne wird über Dich scheinen; die Winde von jenseits des Salzsee's werden die Wolken in die Wälder hin blasen; ein gerechter und großer Häuptling kann 327 sein Ohr dem großen Geist seines Volks nicht verschließen. Der meine ruft seinen Sohn, unter den Tapfern zu jagen, die längst den weiten Pfad betreten haben; der Deine deutet nach einem andern Weg; geh, höre seine Stimme, folge ihm! Laß Dein Herz gleich sein einer weiten Waldlichtung, laß all seine Schatten sich nach den Wäldern zu hinwerfen, laß es den Traum vergessen, den es unter den Bäumen träumte! So ist's der Wille des Manittu!«

»Conanchet fordert viel von seinem Weibe, und doch ist ihr Herz nur das Herz eines Weibes!«

»Es ist ein Weib der Blaßgesichter; jetzt möge sie sich ihren Stamm aufsuchen. Narra-Mattah! Dein Volk erzählt seltsame Ueberlieferungen. Es sagt, daß ein Gerechter starb für die Völker aller Farben. Ich versteh's nicht. Conanchet ist ein Kind unter den Weisen, aber ein Mann bei den Kriegern. Doch ist, was sie lehren, wahr, dann wird einst noch nach seinem Weibe, nach seinem Knaben er sich umschauen, dort in den glückseligsten Jagdgründen, und sie werden zu ihm kommen. Dort findet sich dann kein Jäger der Yengih's, der so viel Wild zu erlegen vermag. Daß Narra-Mattah ihren Häuptling vergesse bis zu jener Zeit; dann, wenn sie ihn beim Namen ruft, möge laut und stark sie sprechen, denn froh wird er sein, ihre Stimme nochmals zu hören. Geh! Ein Sagamore ist bereit, eine weite Reise anzutreten; er nimmt Abschied von seinem Weibe mit schwerem Herzen. Sie wird vor Augen behalten eine kleine Blüthe von zwei Farben, und glücklich sein, sie wachsen zu sehen. Nun möge sie scheiden. Ein Sagamore schickt sich an zu sterben.«

Das aufmerksame Weib sog die langsam und gemessen ausgesprochenen Worte, Silbe für Silbe, ein, ganz wie 328 Jemand, der in abergläubischen Sagen und Ueberlieferungen erzogen worden, auf die Rede des Orakels lauschen würde. Aber gewöhnt an Gehorsam, bewältigt von ihrem Gram, zögerte sie jetzt länger nicht. Narra-Mattah's Haupt sank auf ihren Busen herab, als sie ihn verließ, und ihr Antlitz vergrub sich in ihr Gewand! Der Schritt, mit dem sie an Unkas vorüberging, war so leicht, daß er ihm unvernehmbar blieb; aber als er ihre schwankende Gestalt erblickte, wandte er sich schnell und erhob einen Arm hoch in die Luft. Die beiden furchtbaren, stummen Wilden erschienen hinter dem Baume und verschwanden dann wieder. Conanchet fuhr auf und es schien, als sei er im Begriff vorwärts zu stürzen, aber er faßte sich wieder durch eine verzweiflungsvolle Anstrengung und dann sank sein Leib zurück gegen den Baum, und er fiel in der Haltung eines Häuptlings nieder, der in dem Rathe sitzt. Es spielte ein Lächeln stolzen Triumphs in seinem Antlitz, und seine Lippen bewegten sich augenscheinlich. Unkas athmete nicht, als er sich vorneigte, um zu lauschen.

»Mohikaner, ich sterbe, aber mein Herz ist Stein!« seine Worte erreichten fest aber mit dem Todesringen ausgesprochen, sein Ohr. Dann folgten zwei lange, schwere Athemzüge. Der eine war der zurückkehrende Lebenshauch des Unkas, und der andere der Todesseufzer des letzten Sachems aus dem gebrochenen, zerstreuten Stamme der Narragansett. 329

 


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