Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

    Gelehrte Leckerbissen, Sir, hat er nie gekostet, die in einem Buche ausgeheckt worden, er hat nicht, so zu sagen, Papier gegessen, noch aus Tinte seinen Trank gemacht: sein Verstand ist dahin; er ist nur ein Thier, mit Sinnen nur für gröb're Dinge.
Der Liebe Mühen verloren.    

»Da kommt Fidel mit Nachrichten aus dem Dorfe,« sagte der Gatte des nach unsern geringen Kräften so eben geschilderten Weibes, während er seinen Sitz auf dem freien Platze, zu einer Morgenstunde und in einer Gruppe einnahm, wie wir sie schon beschrieben. »Der Fähnrich ist während der ganzen Nacht mit einem erwählten Haufen unserer Leute draußen auf den Hügeln gewesen, und vielleicht ist sie mit der Hauptsache aller der von ihnen eingezogenen Nachrichten über die unbekannte Spur im Walde hierher geschickt worden.«

»Der schwerfüßige Dudley hat kaum die scheidende Bergfirste erstiegen, wo, wie das Gerücht geht, die Fußstapfen des Mokasins bemerkt wurden,« sagte ein junger Mann, der an seinem Aeußern alle Zeichen eines thätigen, gesunden männlichen Charakters trug. »Von welchem Nutzen mag ein 62 Streifzug sein, der wegen der Müdigkeit und Verdrossenheit seines Anführers alles Erfolgs ermangelt?«

»Wenn Du glaubst, Bursche, daß Dein junger Fuß es mit der Sehnenkraft Eben Dudley's aufzunehmen vermag, so kann sich Gelegenheit finden, die Größe Deines Irrthums an den Tag zu bringen, noch ehe die Gefahr dieses indianischen Einbruchs gänzlich vorüber sein wird. Du bist noch viel zu eigensinnig, Marcus, als daß man Dir schon die Leitung von Streithaufen anvertrauen könnte, auf denen vielleicht die Sicherheit aller Bewohner von Wish-Ton-Wish beruht.«

Der junge Mann schien mißvergnügt, aber befürchtend, sein Vater möge seine üble Laune bemerken und mißdeuten, und sie für Unehrerbietigkeit gegen seine eigene Person auslegen, wandte er sich weg und ließ sein zürnendes Auge für einen Moment auf dem furchtsamen, verstohlenen Blick eines Mädchens ruhen, dessen Wange gleich dem östlichen Himmel erglühte, während sie sich mit den Vorkehrungen zum Frühstück beschäftigte.

»Was für gute Neuigkeiten bringst Du uns aus dem Wirthshause zum Whip-Poor-Will?« fragte Contentius die Frau, die jetzt in das kleine Thor seines Hofes getreten. »Hast Du den Fähnrich gesehen, seit der Haufe den Weg nach dem Hügel einschlug; oder hat Dich irgend ein Wanderer mit Nachrichten für uns hierher geschickt?«

»Meinen Mann habe ich, seit er den Amtssäbel anlegte, mit keinem Auge gesehen,« entgegnete Fidel, in die Vorhalle tretend, und alle Gegenwärtigen mit freundlichem Nicken begrüßend, »und was Fremde anlangt, so wird es, wenn die Glocke Mittag schlägt, gerade ein Monat seit dem Tage sein, wo der letzte von ihnen innerhalb meiner Thüren weilte. 63 Aber ich beklage mich eben nicht über den Mangel an Kundschaft, da der Fähnrich nie von der Schenke und den fremden Schwätzern wegzubringen ist, um in die Bergfelder zu gehen, so lange noch Jemand da wäre, der seine Ohren mit den Wundern der alten Welt erfüllen, oder auch nur von den innern Uneinigkeiten und Unruhen in den Colonieen selbst mit ihm schwatzen wollte.«

»Du sprichst leichtfertig, Fidel, von einem Manne, der Deine Achtung und Deine Unterwürfigkeit verdient.«

Das Auge der jungen Frau erforschte das sanfte Antlitz Jener, von der dieser Verweis kam, mit einer Innigkeit und Trauer, welche verriethen, daß ihre Gedanken wo ganz anders waren und dann, als würde sie plötzlich zu dem, was vorgefallen, von ihrer Zerstreuung zurückgerufen, begann sie wieder:

»In der That, Madame Heathcote, was diese Pflichten gegen einen Mann als Gatten und jene Achtung für ihn als einen Beamten der Colonie betrifft, so sind dies Anforderungen, denen nicht so leicht zu genügen ist. Wenn des Königs Bevollmächtigter die Fahne meinem Bruder Ruben gegeben; und dem Dudley die Hellebarde in der Hand gelassen hätte, so würde die Beförderung noch groß genug für einen von seinen Fähigkeiten und vielmehr zum Vortheil dieser Ansiedelung gewesen sein.«

»Der Statthalter vertheilte seine Gunstbezeugungen nach dem Rath und der Anweisung von Männern, welche fähig waren, die Verdienste zu würdigen und auszuzeichnen,« sagte Contentius. »Eben Dudley war voran in dem blutigen Gefecht unter den Bewohnern der Plantagen, und sein mannhafter Muth war ein gutes Beispiel für die ganze Compagnie. Wenn er in seiner Treue und Tapferkeit so fortfährt, dann 64 könntest Du es noch erleben, Dich selbst als die Frau eines Capitains zu sehen.«

»Indeß doch gewiß nicht durch den Ruhm, den er auf dem Zug dieser Nacht erlangt; denn dort kommt der Mann mit einem gesunden Körper, und wahrscheinlich mit dem Hunger eines Cäsars, ja, ich stehe dafür, mit dem Hunger eines ganzen Regiments! Es ist keine Kleinigkeit, ihn satt zu füttern, wenn er von dergleichen Streifzügen heim – – – ach, gebe der Himmel, daß der Bursche nicht verletzt ist – in der That, unser Nachbar Ergot, der Arzt, ist in seinem Geleite!«

»Auch noch ein Dritter,« bemerkte Contentius; »hinter Beiden schreitet Einer, dessen Gang und Aeußeres mir unbekannt ist; – er hat die Spur gefunden, Dudley bringt dort einen Gefangenen! In der That ein Wilder, seinem bemalten Gesicht und dem umhangenden Fell nach zu urtheilen.«

Bei der letzten Bemerkung sprangen Alle auf, denn die Erregung, die ein befürchteter Einfall hervorbrachte, war noch sehr stark in den Gemüthern jenes abgeschiedenen Volkes. Nicht eine Silbe weiter wurde ausgesprochen, bis der Kundschafter und sein Begleiter vor ihnen standen.

Das schnelle Auge der Fidel hatte die Gestalt ihres Mannes erforscht und durch die Gewißheit wieder ermuthigt, daß er unbeschädigt geblieben, war sie die Erste, die ihn mit Worten begrüßte.

»Wie ist das, Fähnrich Dudley,« sagte die Schlaue, höchst wahrscheinlich ein wenig ärgerlich, daß sie unbewachter Weise größeren Antheil an seinem Wohlsein genommen, als sie nur immer für klug erachten mochte. »Wie ist das, Fähnrich, 65 wurde der Feldzug mit keinem besseren Siegeszeichen als diesem geschlossen?«

»Der Bursche ist kein Häuptling, auch nach seinem Schritt und dummem Blick zu urtheilen, selbst kein Krieger; aber dessen ungeachtet hat man ihn nahe an den Ansiedelungen herumstreichen sehen, und es für rathsam erachtet, ihn einzubringen,« entgegnete der Gatte, zu Contentius gewandt, während er den Gruß seines Weibes mit einem ziemlich kurzen Nicken erwiderte. »Mein eigener Streifzug hat nichts an den Tag gebracht; aber mein Schwager Ring ist Dem, der hier zugegen ist, auf die Spur gekommen, und wir sind nicht wenig verlegen, um herauszubringen, was, wie der gute Doktor Ergot sich ausdrückt, eigentlich der Plan seines Herumstreichens ist.«

»Von welchem Stamm mag der Wilde sein?«

»Ueber dieses ist Streit zwischen uns gewesen,« entgegnete Dudley mit einem Seitenblick auf den Naturforscher. »Einige haben gesagt, er sei ein Narragansett, während Andere meinen, er komme von einem Geschlecht noch weiter östlich.«

»Indem ich diese Ansicht aussprach, redete ich bloß von seinen secundären oder angelernten Eigenschaften,« fiel Ergot dem Fähnrich in's Wort, »denn betrachtet man seinen Urstand, seine Abkunft, so ist der Mann sicher ein Weißer!«

»Ein Weißer!« wiederholten Alle um ihn.

»Unläugbar, wie man aus verschiedenen einzelnen Eigenthümlichkeiten in seiner äußeren Bildung schließen kann, nämlich an der Form des Hauptes, den Muskeln der Arme und Beine, dem Aeußeren und Gang, und außerdem an noch tausend anderen Zeichen, die Leuten bekannt sind, welche aus 66 den physischen Eigenthümlichkeiten der beiden Raçen ihr Studium gemacht haben.«

»Eins von diesen ist folgendes!« fiel Dudley ein und setzte gleichsam des Andern Rede fort, während er das Gewand des Gefangenen wegnahm und seinen Gefährten die augenscheinlichen Beweise darlegte, welche so genugsam und vollständig alle seine eigenen Zweifel entfernt hatten. »Wenn auch die Farbe der Haut kein schlagender Beweis sein mag, wie die von unserm Nachbar Ergot erwähnten, so ist es doch immer Etwas, und kann einem Mann von wenig Gelehrsamkeit helfen, sich eine Meinung in einer solchen Sache zu bilden.«

»Madame!« rief Fidel so plötzlich, daß die Angeredete zusammenschrak, »laßt um's Himmels willen schnell Eure Mägde Wasser und Seife bringen, damit wir das Antlitz dieses Mannes von seiner Bemalung reinigen.«

»Welche Tollheit hat sich Deines Hauptes bemächtigt,« entgegnete der Fähnrich, der seit kurzer Zeit sich Etwas von jener höheren Würde und jenem Ansehen angemaßt, welches, wie man annehmen konnte, seiner amtlichen Stellung zukam. »Wir sind jetzt nicht unter unserm Wirthshausschild, nicht im Whip-Poor-Will, mein Weib, sondern in der Gegenwart jener, die Deiner Angaben nicht bedürfen, um einer amtlichen Untersuchung ihre gehörige Form und Gestalt zu geben.«

Fidel achtete auf keinen Verweis. Statt auf Andere zu warten, die das, was sie wünschte, hätten thun sollen, machte sie sich selbst an die Arbeit, und zwar mit einer Behendigkeit, einem Geschick, die durch lange Uebung erlangt worden, und mit einem Eifer, der durch eine ungewöhnliche Bewegung erregt schien. In einem Augenblicke waren die Farben von den Gesichtszügen des Gefangenen verschwunden, und obgleich 67 tief geschwärzt durch sein ausgesetztes Leben, unter einer amerikanischen Sonne und den stürmischen Winden, war doch sein Antlitz offenbar das eines Mannes, der sein Dasein europäischen Vorfahren verdankte. Die Bewegungen der geschäftigen, eifrigen Frau wurden von allen Gegenwärtigen mit neugierigem Antheil bewacht, und als die kurze Arbeit beendet war, brach ein Ausruf des Erstaunens zu gleicher Zeit von allen Lippen.

»Diese Maske ist nicht ohne Absicht angelegt,« bemerkte Contentius, der lange und aufmerksam das stumpfe, wenig einnehmende Gesicht betrachtet hatte, das durch diese Operation seinen Blicken dargestellt worden. »Ich habe von Christen erzählen hören, die sich dem schnöden Gewinnste verkauften, und Religion und die Liebe zu ihrem Volk vergessend, als Leute erfunden worden sind, die sich mit den Wilden vereinigt und verbündet hatten, um Räubereien in den Ansiedelungen zu verüben. Dieser Wicht hat die Schlauheit eines von den Franzosen in den Canada's in seinem Auge!«

»Hinweg! hinweg!« rief Fidel, und drängte sich hervor, so daß sie dem Sprechenden gegenüber zu stehen kam, legte beide Hände auf das geschorene Haupt des Gefangenen und warf so über sein Gesicht eine Art von Schatten, wodurch die Züge deutlicher hervortraten. »Hinweg mit all der Thorheit von den Franzosen und ihren verruchten Verbrüderungen! Dies ist kein aufrührerischer Schurke, sondern ein vom Geschick geschlagener Unschuldiger, ein unglücklicher Blödsinniger! Whittal, mein Bruder Whittal, kennst Du mich?«

Thränen floßen der eigenwilligen Frau die Wange hinab, als sie in das Antlitz ihres blödsinnigen Bruders schaute. Im Auge des Letztern zeigte sich, wie das von Zeit zu Zeit geschah, ein Schimmer von Verstand, dann überließ er sich 68 einem leisen, nichtssagenden Lachen und antwortete endlich auf ihre ängstliche Frage:

»Einige sprechen wie die Menschen jenseits der See, und Andere sprechen gleich Männern der Wälder. Findet sich so etwas wie Bärenfleisch oder ein Mundvoll Honig in Euerm Wigwam?«

Hätte die Stimme eines, im Grabe Gewußten sich plötzlich den Ohren der Familie vernehmbar gemacht, so würde sie kaum eine tiefere Erregung hervorgebracht, oder das Blut schneller ihnen durch die Adern getrieben haben, als diese unversehene, und gänzlich unerwartete Entdeckung des wahren Charakters ihres Gefangenen. Verwunderung und Staunen machte sie für einige Zeit stumm; und dann trat Ruth vor den Wiedergefundenen hin, die Hände in bittender Stellung gefaltet, ihr Auge halb geschlossen und flehend, und ihre ganze Gestalt die bange Erwartung und Bewegung ausdrückend, die ihre so lang verborgenen, schlafenden Gefühle bis zum äußersten Seelenkampfe gesteigert hatten.

»Sag' mir,« begann sie mit bebender Stimme, die selbst den Verstand eines noch weit Stumpfsinnigeren, als sogar der Angeredete war, hätte aufregen und wecken mögen; »wenn Mitleid in Deinem Herzen wohnt, o sag' mir, ob mein Kind noch lebt!«

»Es ist ein gutes Kind,« entgegnete der Andere; und dann nochmals auf seine ihm eigenthümliche ausdruckslose, nichtssagende Weise lachend, wendete er seine Augen mit einer Art dummer Verwunderung auf Fidel, in deren Antlitz weit weniger Veränderung und Wandelbarkeit der Züge und Mienen sich vorfand, als in dem sprechenden, zerstörten Angesicht Derjenigen die unmittelbar vor ihm stand.

69 »Erlaubt mir, theuerste Frau,« fiel die Schwester ein, »ich kenne die Natur des Knaben und konnte immer mehr bei ihm ausrichten, als irgend Jemand anders.«

Aber diese Bitte war durchaus unnöthig. Die Mutter unterlag der schrecklichen, inneren Aufregung, und sank ohnmächtig in die Arme ihres sie beobachtenden Gatten, der sie wegtrug. Für einige Augenblicke ließ die ängstliche Theilnahme der Mägde Niemand als nur die Männer in der Vorhalle zurück.

»Whittal! mein alter Spielgefährte, Whittal Ring,« sagte der Sohn des Contentius, und näherte sich mit nassem Auge, die Hand des Gefangenen zu ergreifen. »Mensch, hast Du den Gefährten Deiner früheren Tage vergessen? Der junge Marcus Heathcote spricht mit Dir.«

Der Andere sah mit einem wiederauflebenden Erinnern für einen Augenblick in sein Antlitz hinauf; dann aber schüttelte er den Kopf, trat mit augenscheinlichem Unwillen zurück und murmelte laut genug, um verstanden zu werden:

»Welch ein falscher Lügner ist doch ein Blaßgesicht! Da steht einer von den schlanken, großen Schlingeln und will für einen springenden, fröhlichen indianischen Knaben gelten!«

Mehr konnten die Umstehenden nicht verstehen, denn nun ging er in den Dialect eines der indianischen Völkerstämme über.

»Der Verstand des unglücklichen Jünglings ist durch Vernachlässigung und die Gebräuche eines Wildenlebens noch mehr verwirrt worden, als von der Natur selbst,« sagte Contentius, der nebst vielen Andern durch den Antheil, den er an dem Verhör nahm, auf den Schauplatz zurückgeführt 70 worden, den er für einen Augenblick verlassen hatte. »Laßt die Schwester sanft mit dem Knaben reden, und wenn es dem Himmel gefällt, werden wir schon die Wahrheit erfahren!«

Das tiefe Gefühl, das den Vater erfüllte, kleidete seine Worte mit Ansehen und Würde. Die neugierige Gruppe machte Platz, und etwas von der Feierlichkeit eines amtlichen Verhörs folgte auf die ungeregelten, übereilten Fragen, die anfangs auf den stumpfsinnigen Verstand des Wiedergefundenen betäubend hereingebrochen waren.

Die Untergebenen nahmen ihre Stellungen in einem Halbzirkel um den Stuhl des Puritaners ein, an dessen Seite sich Contentius hielt, während Fidel ihren Bruder herbeibrachte und ihn auf die Stufen der Vorhalle auf eine Weise niedersitzen ließ, daß er von Allen gehört werden konnte. Die Aufmerksamkeit ihres Bruders aber, der jetzt der Gegenstand der Beobachtung Aller geworden, zog sie jetzt dadurch ab, so daß er die Förmlichkeiten der Anordnungen nicht bemerken konnte, indem sie ihm zu essen in die Hände steckte.

»Und nun, Whittal, wünsche ich zu wissen,« begann die gewandte, scharfsinnige Frau, als ein tiefes Schweigen die Aufmerksamkeit der Zuhörer andeutete; »ich möchte wissen, ob Du Dich noch des Tages erinnerst, wo ich Dich in die Gewänder von dem Tuch kleidete, das ich weit von über der See her gekauft, wo Du so froh warst, als Du Dich mit einem Mal in so bunten Farben unter Deiner Heerde sahst!«

Der junge Mann sah zu ihr auf, betrachtete ihr Antlitz, als wenn die Töne ihrer Stimme ihm Freude machten, aber statt Antwort zu geben, zog er vor, das Brod zu kauen, 71 womit sie sich bemüht hatte, ihn wieder zurück in ihr altes Vertrauen heranzulocken.

»Knabe, Du kannst unmöglich so bald meine Gabe vergessen haben, das Geld dazu hatte ich mir durch Spinnen bei Nacht sauer verdienen müssen, Du weißt es ja. Der Schwanz des Pfau's dort ist nicht glänzender und bunter, als Du damals warst. – Aber ich will Dir wieder ein solches schönes Gewand machen, dann nehmen Dich die Exerziermeister jede Woche nach der Musterung mit.«

Der Junge ließ das Fell, welches seinen Oberkörper bedeckte, fallen, machte eine schnelle Geberde vorwärts und sagte mit der Würde eines Indianers:

»Whittal ist ein Krieger auf seinem Kriegspfad; er hat nicht Zeit zu dem Plaudern mit Weibern.«

»Jetzt aber, Bruder, vergißt Du die freundliche Weise, mit der ich Deinen Hunger zu stillen pflegte, wie ich für Dich sorgte, wenn der Frost an den kalten Morgen Dich plagte, zur Zeit, wo Deine Heerden Deine Sorgfalt nöthig machten; das vergißt Du jetzt alles, sonst würdest Du nicht von dem Plaudern mit Weibern reden.«

»Bist du je einem Pequod auf der Spur gewesen? Weißt du das Kriegsgeschrei unter den indianischen Männern anzustimmen?«

»Was ist indianisches Schlachtgeschrei gegen das Blöcken Deiner Schafe, oder das Rindergebrülle im Gebüsche! Denkst Du nicht mehr an den harmonischen Ton des Glockengeläutes Deiner Kühe, wenn sie am Abend unter dem neuaufschießenden Walde hervortönten?«

Der frühere Hirt wandte das Haupt und schien zu lauschen, wie etwa ein Hund auf nahende Tritte horcht. Aber 72 dieser Schatten von Rückerinnerung verlor sich bald; im nächsten Augenblick überließ er sich wieder gänzlich den bestimmteren und wohl auch drängenderen Anforderungen seiner Eßgier.

»Dann hast Du alles Gehör verloren, sonst würdest Du nicht sagen, daß Du den Ton der Kuhglocken nicht kennst.«

»Hörtest Du je einen Wolf heulen?« rief der Andere. »Das ist ein Laut für einen Jäger! Ich sah den Häuptling den gestreiften Panther erschlagen, während der kühnste Krieger des Stamms, wie ein hungriges Blaßgesicht, bei den Sprüngen des Thieres blaß ward.«

»Sprich nicht mit mir von Euren reißenden Thieren und großen Häuptlingen, sondern laß uns vielmehr der Tage gedenken, wo wir jung waren und Du Gefallen hattest an den Spielen und Scherzen der christlichen Jugend. Hast Du vergessen, Whittal, wie unsere Mutter uns erlaubte, die müßige Zeit in Spielen auf dem Schnee zuzubringen?«

»Nipset hat eine Mutter im Wigwam, aber er fragt sie nicht erst um Erlaubniß, wenn er auf die Jagd gehen will. Er ist ein Mann; mit dem nächsten Schnee wird er ein Krieger sein!«

»Thörichter Junge; das ist eine Verrätherei von Seiten der Wilden, wodurch sie Deine Schwachheit mit den Fesseln ihrer List gebunden haben. Deine Mutter, Whittal, war eine Frau von christlichem Glauben, und von dem weißen Geschlecht; und eine gütige, trauernde Mutter war sie Deiner Blödsinnigkeit. Erinnerst Du Dich denn gar nicht mehr, Undankbarer, wie sie Dich in Deiner Kindheit bei Krankheiten pflegte, und für alle Deine körperlichen Bedürfnisse sorgte. Wer war es, der Dich sättigte, wenn Dich hungerte, der 73 Mitleid hatte mit Deinem Eigensinn und Geduld mit Deinen Unarten, während Du Anderen durch Deinen Blödsinn zum Ueberdrusse wurdest?«

Der Halbwilde sah das erhitzte Gesicht seiner Schwester einen Augenblick an, und man konnte wahrnehmen, daß ein Aufglimmen einiger schwach ihm noch im Gedächtniß gebliebener Auftritte über die Erscheinungen in seinem Innern sich hinzog, doch der thierische Theil behielt die Oberhand und er fuhr fort, seinen Hunger zu stillen.

»Das überschreitet alle menschliche Geduld!« rief die gereizte Schwester. »Sieh in dies Auge, Schwächling, und sage mir, ob Du die erkennst, die die Stelle jener Mutter vertrat, der Du Dich nicht wieder erinnern willst; sie, die für Dein Wohlsein so sehr sich angestrengt hat, die sich nie weigerte, auf alle Deine Klagen zu hören und alle Deine Leiden zu lindern. Sieh' in dies Auge, rede, kennst Du mich?«

»Freilich,« entgegnete der Blödsinnige, und lachte mit einem halbverständigen Ausdruck von Wiedererkennen; »Du bist ein Weib von den Blaßgesichtern, und ich schwöre darauf, eine Frau, die sich nie zufrieden geben wird, bevor sie nicht alle Pelze von ganz Amerika auf ihrem Rücken und alles Wild in den Wäldern in ihrer Küche hat. Hörtest Du je die Sage, wie dieses verruchte Geschlecht in die Jagdgründe eindrang und die Krieger des Landes beraubte?«

Die getäuschte Erwartung hatte Fidel zu ungeduldig gemacht, um dem Narren ein ruhiges Ohr zu leihen; aber in jenem Augenblick erschien eine Gestalt an ihrer Seite, und bedeutete sie durch eine ruhige gebietende Bewegung, sich 74 gutwillig in die Laune des Unglücklichen zu fügen, und sie zu ertragen.

Es war Ruth, in deren blassen Wangen und ängstlichen Augen alle Macht der Liebe und des Bangens einer Mutter in dem rührendsten Bilde zu erkennen war. Obwohl eben noch so hülflos und ihren Gefühlen gänzlich erliegend, schien sie doch jetzt von den heiligen Regungen, die ihr Kraft gaben, bei'm Mangel aller anderer Hülfe aufrecht erhalten zu werden, und als sie hinter dem lauschenden Kreise hinglitt, hielt es selbst Contentius nicht für nöthig, ihr beizustehen, oder sie zu warnen. Ihre Ruhe, ihr ausdrucksvoller Blick schien der Schwester zu sagen: Fahre fort, doch habe Nachsicht mit der Gemüthsschwäche des jungen Mannes.

An Verehrung und Folgsamkeit gegen die Gebieterin gewöhnt, gehorchte Fidel, unterdrückte ihren Mißmuth und lenkte, ehe Whittal's träger Ideengang eine andere Richtung nehmen konnte, folgendermaßen ein.

»Es wird von den Greisen in den Dörfern erzählt, und was sie sagen ist heilige Wahrheit. Ihr seht überall um Euch das Land in Hügel und Thäler sich ausdehnen, die einst Bäume erzeugten, ohne die Axt zu fürchten, und auf welchem Wild ausgebreitet war mit freigebiger Hand. Es finden sich in unserm Stamme gute Fußgänger und Jäger, die gerade vorgeschritten sind nach dem Untergang der Sonne zu, bis ihre Füße ermattet waren, so daß ihre Augen die Wolken nicht sehen konnten, die über dem Salzsee hängen; aber doch sagten sie, es sei überall so schön, wie dort auf dem grünen Hügel. Schlanke Bäume und schattige Wälder, Flüsse und fischreiche Seen, und Wild und Biber reichlich, wie Sand am Meeresstrande. All dieses Land und Wasser 75 gab der große Geist den Leuten von rother Haut, denn sie liebte er, weil sie die Wahrheit sprachen in ihren Stämmen, treu waren gegen ihre Freunde und ihre Feinde haßten, und ihnen die Schädelhaut abzulösen verstanden. Nun sind tausende von Wintern gekommen und Schneegestöber hereingebrochen und geschmolzen,« fuhr Whittal in feierlichem Tone fort, der mit der Miene eines Mannes sprach, welcher mit der Erzählung einer wichtigen Ueberlieferung beauftragt worden, obwohl er eigentlich vielleicht nichts weiter wiedergab, was seinem schläfrigen, stumpfsinnigen Geiste durch Wiederholungen geläufig geworden war; »tausende von Wintern waren gekommen und gegangen und doch sah man Niemand als Rothhäute das Moosthier jagen, oder den Kriegspfad betreten. Da plötzlich erzürnte der große Geist, er verbarg sein Antlitz vor seinen Kindern, weil sie Kampf und Streit hatten unter sich selbst. Große Canots kamen von der aufgehenden Sonne her, und brachten ein hungriges, verworfenes Volk in's Land. Erst sprachen die Fremdlinge sanft und kläglich wie Weiber; sie baten um Raum für wenige Wigwam, und sagten, wenn die Krieger ihnen Grund geben wollten zum Anbau, wollten sie ihren Gott anflehen, daß er gnädig herabsähe auf die rothen Menschen. Aber als sie stark geworden, vergaßen sie ihre Reden und machten sich zu Lügnern. O, sie sind schändliche Schelme! Ein Blaßgesicht ist ein Panther. Wenn er hungrig ist, könnt Ihr ihn hören, wie er winselt in den Gebüschen, gleich dem verirrten Kinde; aber nähert ihr Euch, kommt Ihr in seine Sprungweite, dann hütet Euch vor Zahn und Tatze!«

»Dieses bösgesinnte Geschlecht also beraubte die rothen Krieger ihres Landes?«

76 »Gewiß! Sie sprachen gleich kranken Weibern, bis sie stark geworden, und dann übertrafen sie an Bosheit selbst noch die Teufel, die Pequod's, sie nährten, berauschten die Krieger mit ihrer brennenden Milch und erschlugen sie durch ihre feuersprühenden Werkzeuge, die sie angefüllt hatten mit ihren tödtlichen, aus dem gelben Mehl bereiteten Stoffen!«

»Und die Pequod's! war ihr großer Krieger gestorben, ehe noch die Leute von über der See her ankamen?«

»Du bist ein Weib, das nie eine Ueberlieferung gehört, sonst würdest Du es besser wissen! Ein Pequod ist ein schwacher, kriechender junger Bär.«

»Aber Du – Du bist wohl ein Narragansett?«

»Sehe ich etwa nicht wie ein Mann aus? Daß Du noch frägst?«

»Ich hatte Dich irrig für einen unserer näheren Nachbaren, der Mohegan Pequod gehalten.«

»Die Mohikaner sind Korbmacher der Yengihs, der Narragansett aber springt durch die Wälder, gleich einem Wolf, der dem Wild auf der Spur ist!«

»Alles das ist ganz vernünftig; und nun, da Du auf die Gerechtigkeit Deines Stammes hinweist, werde ich wohl bald selbst sie sehen. Aber wir möchten gern etwas mehr von dem großen Stamme wissen. Hast Du je von einem Deines Volkes, Whittal, der sich Miantonimoh nannte, etwas gehört; es ist ein Krieger von einigem Ruf.«

Der blödsinnige Junge hatte immer in den Zwischenräumen fortgegessen, aber als er diese Frage vernahm, schien er plötzlich seines Hungers nicht mehr zu gedenken. Einen 77 Augenblick schaute er zur Erde, und dann antwortete er langsam und nicht ohne Feierlichkeit:

»Ein Mann kann nicht ewig leben.«

»Was!« rief Fidel und winkte ihren tief bei der Unterredung interessirten Zuhörern, ihre Ungeduld zurückzuhalten: »hat er sein Volk verlassen? Und Du lebtest mit ihm, Whittal, ehe er das Ende seines Lebens erreichte?«

»Er sah nie Nipset und Nipset ihn.«

»Ich weiß nichts von diesem Nipset; sprich mir von dem großen Miantonimoh!«

»Brauchst Du es zweimal zu hören! Der Sachem ist in das ferne Land gereiset, und Nipset wird ein Krieger sein, wenn der nächste Schnee kommt.«

Dieses Abspringen täuschte die gespannte Erwartung Aller und zog eine Wolke über jegliches Antlitz hin, der Strahl von Hoffnung, der noch in Ruth's Auge geleuchtet, änderte sich zu dem früheren peinlichen Ausdruck tiefen inneren Leidens um. Aber Fidel wußte sämmtliche Umstehenden vom Sprechen zurückzuhalten, während sie selbst nach einer kurzen Unterbrechung, die ihr eigener Aerger unvermeidlich machte, das Verhör fortsetzte.

»Ich glaubte, Miantonimoh sei noch ein Krieger in seinem Stamm,« sagte sie; »in welcher Schlacht fiel er?«

»Mohican Uncas beging diese verruchte That. Die Bleichgesichter gaben ihm große Reichthümer als Lohn, daß er den Sachem ermorde.«

»Ach so, Du sprichst von dem Vater; es gab aber noch einen Miantonimoh; ich meine den, welcher als Knabe unter Blaßgesichtern weilte.«

Whittal horchte aufmerksam; und nachdem er seine 78 Gedanken zu sammeln geschienen, schüttelte er mit dem Kopf und sagte, ehe er nochmals zu essen anfing:

»Es hat niemals mehr als Einen dieses Namens gegeben, und wird auch nie einen zweiten geben. Zwei Adler horsten nicht auf einem und demselben Baume.«

»Du hast Recht,« fuhr Fidel fort, da sie wohl wußte, daß ihres Bruders Reden zu bestreiten so viel heiße, als ihm vollkommen den Mund schließen. »Nun erzähle mir etwas von Conanchet, dem gegenwärtigen Narragansett-Häuptling; er, der sich mit Metacom vereinigt und kürzlich aus seinem Wohnorte an der See vertrieben worden; lebt er noch?«

Zum zweiten Male gewahrte man eine Veränderung in des Halbwilden Zügen. An die Stelle der kindischen Wichtigkeit, mir der er bis jetzt die Fragen seiner Schwester beantwortet, trat ein Blick überwältigender List, der sich um sein trübes Auge sammelte. Langsam, umsichtig ließ er den Blick umherschleichen, als erwartete er, den Verdacht, den er offenbar zu schöpfen begann, durch irgend ein sichtbares Zeichen in seiner Umgebung bestätigt zu finden. Statt zu antworten, fuhr er mit seinem Essen fort, obwohl er dies weniger auf eine Weise that, als wenn er der Nahrung bedürfe, sondern vielmehr dadurch zu verhindern schien, daß er Mittheilungen machte, die ihm gefährlich werden könnten. Diese Veränderung entging weder Fidel, noch sonst einem von denen, die so aufmerksam auf die Mittel Acht hatten, wodurch sie die verwirrten Ideen eines Blödsinnigen zu entwickeln sich bemühte, der so stumpfsinnig sich zeigte, und doch, wenn es die Noth erforderte, so geübt erschien in der List der wilden Völker. Sie änderte klüglich ihre Befragungsweise und 79 versuchte seine Gedanken auf andere Gegenstände zu bringen.

»Ich wette darauf,« fuhr die Schwester fort, »daß Du Dich jetzt jener Zeiten zu entsinnen beginnst, wo Du die Heerden in das Dickicht führtest, und Du Fidel zu rufen pflegtest, um Dir zu essen zu geben, wenn Du durch das Herumstreichen im Wald und Suchen nach dem Vieh müde geworden. Bist Du jemals selbst von den Narragansett überfallen worden, Whittal, während Du in dem Hause eines Blaßgesichts weiltest?«

Der Bruder hörte auf zu essen. Nochmals schien er so aufmerksam, als dies für einen von seinen beschränkten Geisteskräften nur möglich war, zu brüten und zu sinnen. Aber dann das Haupt verneinend schüttelnd, nahm er schweigend das behagliche Geschäft des Kauens wieder vor.

»Wie, Du hast es so weit gebracht, ein Krieger zu werden, und hast nie eine Hirnhaut skalpiren, nie an einen Wigwam Feuer anlegen sehen?«

Whittal legte das Brod bei Seite und wandte sich zu seiner Schwester. Immer wilder und grimmiger ward der Ausdruck seines Gesichts, bis er sich einem brüllenden Hohn- und Triumphgelächter überließ. Als diese Darlegung seiner Zufriedenheit vorüber war, hielt er es für gut, zu antworten.

»Freilich,« sagte er. »Wir zogen den Kriegspfad in der Nacht gegen die lügenhaften Yengihs, und kein Waldbrand hat je die Erde so ausgedorrt, wie wir ihre Felder schwärzten und verheerten! Alle ihre stolzen Häuser wurden in Kohlenhaufen verwandelt.«

80 »Wo und wann habt ihr diese That tapferer Rache ausgeführt?«

»Sie nannten den Ort nach dem Vogel der Nacht, gleich als wenn ein indianischer Name sie schützen könnte von indianischer Metzelei.«

»Aha! Du sprichst jetzt von dem Vogel Wish-Ton-Wish. Aber bei dem entsetzlichen Brande gehörtest Du ja zu der Partei der Besiegten, nicht der Sieger.«

»Du lügst gleich einem verruchten Weibe der Blaßgesichter, was Du auch bist. Nipset war nur ein Knabe bei jenem Kriegszuge, aber er kam mit seinem Volke. Ich sage Dir, wir versengten selbst die Erde mit unsern Bränden, und nicht ein Haupt von ihnen Allen erhob sich je wieder über die Aschenhaufen.«

Trotz ihrer großen Selbstbeherrschung und des Gegenstandes, der ihr beständig vor Sinnen war, schauderte doch Fidel vor der Lust zurück, mit welcher ihr wilder Bruder von der Ausdehnung der Rache sprach, die er nach seinem phantastischen Charakter an seinen Feinden ausgeübt zu haben glaubte. Indeß vorsichtig und besorgt, eine Täuschung nicht zu zerstören, die sie bei ihren so lang mißglückten und so ängstlich gewünschten Entdeckungen unterstützen mochte, unterdrückte die Frau ihr Entsetzen und fuhr fort:

»Freilich, indeß Einige wurden gerettet, – sicher, die Krieger führten Gefangene mit sich fort nach ihrem Dorfe zu. – Du erschlugst nicht Alle?«

»Alle.«

»Ja, Du sprichst jetzt von den Unglücklichen, die in den Brand des sprühenden Blockhauses eingehüllt worden; aber, – aber einige außen konnten vielleicht in Deine Hände gefallen 81 sein, ehe die Angegriffenen ihre Zuflucht in dem Thurme suchten. Sicher, – sicher tödtetest Du nicht Alle?«

Das tiefe Aufathmen Ruth's drang zu Whittal's Ohr, und für einen Augenblick wandte er sich um, ihr Antlitz in stumpfsinniger Verwunderung zu betrachten. Aber nochmals mit dem Kopf schüttelnd, antwortete er in einem dumpfen, bestimmten Tone:

»Alle; – ja bis zu den jammernden Weibern und schreienden Kindern.«

»Sicher befindet sich ein Kind, – ich wollte sagen, eine Frau in Deinem Stamme, die eine hellere Haut und eine andere Gestalt hat, als die meisten Frauen Deiner Landsleute. Wurde nicht solch eine Gefangene von dem Brande in Wish-Ton-Wish weggeführt?«

»Meinst Du, das Reh werde mit dem Wolf zusammenleben, oder hast Du je die schüchterne, muthlose Taube im Neste des Habichts gefunden?«

»Bist Du doch selbst von einer andern Farbe Whittal, und warum solltest denn Du der Einzige sein?«

Der Jüngling sah seine Schwester einen Augenblick mit offenbarem Unwillen an, hierauf drehte er sich plötzlich nach seinem Brod um und murmelte vor sich hin.

»Da findet sich eben so gut Feuer im Schnee als Wahrheit in einem lügenden Yengihs.«

»Dies Verhör müssen wir beschließen,« sagte Contentius mit einem tiefen Seufzer, »zu einer andern Zeit können wir vielleicht eher hoffen, die Sache zu einem glücklicheren Ausgang zu bringen; aber jetzt kommt dort ein Mann, der mit einem ganz besonderen Auftrag von den Uferstädten hierher geschickt worden ist, wie man aus dem Umstand schließen 82 darf, daß er die Heiligkeit des Tages nicht achtete, und auf so beeilte, ernste Weise seinen Weg macht.«

Da der vom Dorfe her Kommende Allen sichtbar ward, so bewirkte sein plötzliches Erscheinen eine allgemeine Unterbrechung in der Theilnahme, die durch einen Gegenstand so mächtig erregt worden war, welchen jeder Bewohner in dem Thale genau kannte.

Die frühe Stunde, die Eile, mit welcher der Fremde sein Pferd antrieb, und der Umstand, daß er an der offenen und zum Einkehren einladenden Thüre des Wirthshauses von Whip-Poor-Will vorüberritt, Alles verrieth einen Boten, der vielleicht irgend eine Mittheilung von Wichtigkeit von der Regierung der Colonie dem jüngern Heathcote brachte, welcher die höchste obrigkeitliche Stelle in jener fernen, abgelegenen Ansiedelung einnahm. Bemerkungen dieser Art waren von Mund zu Mund gegangen, und die Neugierde war schon sehr aufgeregt, als der Reiter in den Hof ritt. Hier stieg er ab, und noch bedeckt von dem Staub der Reise, stellte er sich mit dem Aeußern eines Mannes, der die ganze Nacht im Sattel zugebracht hatte, vor den, welchen er suchte.

»Ich habe Befehle für Capitain Contentius Heathcote,« sagte der Bote und grüßte Alle um ihn mit der gewöhnlichen, ernsten aber abgemessenen Höflichkeit der Leute, zu denen er gehörte.

»Der steht hier bereit, Befehle zu empfangen und ihnen zu gehorchen,« war die Antwort.

Der Reisende hatte etwas von jener Heimlichkeit an sich, die gewissen Seelen so angenehm und nothwendig ist, die, aus Unvermögen auf irgend andere Weise Achtung und 83 Ehrerbietung einzuflößen, gar gerne Geheimnisse aus Sachen machen, die sie eben so gut öffentlich hätten verhandeln können. Dies Gefühl mochte es denn auch sein, das ihn den Wunsch aussprechen ließ, seine Mittheilung unter vier Augen zu machen. Contentius bedeutete ihn ruhig, ihm zu folgen, und ging voran in ein inneres Gemach des Hauses. Da durch diese Unterbrechung den Gedanken der Anwesenden bei dem vorhergehenden Auftritte eine neue Richtung gegeben wurde, so wollen wir die Gelegenheit benutzen, um eine Abschweifung zu machen, und den Leser mit einigen, zum Verständniß des Folgenden nöthigen, allgemeinen Erörterungen unterhalten. 84

 


 << zurück weiter >>