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Zehntes Kapitel.

»Man sieht der Teufel mehr, denn Höllenräume fassen;
Das heißt, der Wahnsinn: –«
Sommernachtstraum.          

Als Philipp den Hügel verlassen, ließ er seine Wampanoags sich versammeln, und unterstützt von dem ergebenen, gehorsamen aber kriegerischen Annawon, einem Wilden, der, unter besseren Vorgängen und Beispielen, einen würdigen Adjutanten Cäsars abgegeben hätte, verließ er die Felder von Wish-Ton-Wish. Gewöhnt, wie sie waren, diese plötzlichen Ausbrüche von Zorn und Feindschaft bei ihren Anführern zu sehen, und gleichgültig zu betrachten, schauten Conanchet's Gefährten, die ihren Anstrich von Ruhe und Fassung unter weit mißlicheren Umständen, in weit wichtigeren Fällen beibehalten und behauptet haben würden, auf den Abzug des Andern hin, ohne auch nur eine Frage zu thun, ohne sich der geringsten Unruhe und Besorgniß hinzugeben. Aber als ihr eigener Sachem auf dem Wahlfelde erschien, das noch blutgeröthet war von den gefallenen Streitern, und seine Absicht, seinen Entschluß kund gab, eine Eroberung aufzugeben und zu verlassen, die mehr als zur Hälfte gelungen 209 und beendet war, da hörte man ihn nicht ganz ohne unwilliges Murren an. Die Herrschergewalt eines Indianerhäuptlinges ist nichts weniger als unumschränkt; und obwohl man Grund zu der Ansicht hat, daß dessen Macht und Einfluß oft erhöht und unterstützt, wenn nicht geradezu hervorgebracht und erzeugt wird durch die bloß zufälligen Ursachen von Geburt und Abstammung, so erhalten sie doch offenbar ihre Hauptstütze, ihren vornehmsten Haltpunkt durch die persönlichen Eigenschaften dessen, der regiert. Zum Glück für den Häuptling der Narragansetts hatte selbst sein berühmter, so sehr verherrlichter Vater, der unglückliche Miantonimoh, durch seine Weisheit, seinen wagenden Muth und seine Kriegsthaten keinen höheren Namen sich erkauft, als der gewesen, den so ruhmvoll sein noch jugendlicher Sohn erworben. Die Unlust der Wilden, ihre üble Laune, das sie wurmende Verlangen nach Rache, wie es sich in den kühnsten seiner Untergebenen fand, ward bald von den drohenden Blitzen eines Auges zur Ruhe gebracht, das selten Strafe und Unheil verhieß, ohne beides alsbald zu verhängen, auch fand sich nicht ein Einziger unter ihnen Allen, der, wenn aufgefordert, dem Zorn seines Häuptlings zu trotzen, oder seiner Beredsamkeit sich zu widersetzen, nicht alsbald vor einem Streit zurückbebte, der, wie gewohnte Ehrfurcht sie zu glauben gelehrt hatte, viel zu ungleich sein mußte, um ihnen auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg zu lassen. In weniger als einer Stunde, nachdem Ruth ihr Kind an ihr Herz gedrückt hatte, waren die Eingedrungenen sämmtlich verschwunden. Zuvor jedoch trugen sie, ihrer Sitte gemäß, Sorgfalt, ihre Todten vom Schlachtfelde zu entfernen und zu verbergen, damit ja keine Schädelhaut von einem Krieger in 210 den Händen seiner Feinde zurückbleiben und ihnen zum Siegeszeichen dienen möchte.

Es war bei den Indianern nicht gewöhnlich, sich mit Erfolgen eines ersten Streichs zufrieden zu geben, und dann wieder zurückzuziehen. So viel von ihrem Kriegsglück, ihrem Gelingen in den Schlachten hing von der Ueberraschung des ersten Ueberfalls ab, daß es viel häufiger sich zutrug, daß der Rückzug nach dem Mißlingen begann, als daß sie sich durch Beharrlichkeit den Sieg zu verschaffen suchten.

So lange die Schlacht wüthete, war der Muth der Ansiedler allen Gefahren des Kampfes gewachsen und stand fest und ungebrochen, aber bei einem Volke, das so große Wichtigkeit auf List und Täuschung legte, und die kluge Anwendung derselben sich so sehr zum Verdienst anrechnete, ist es ganz und gar nicht zu verwundern, und nichts weniger als erstaunenswürdig, daß es selten mehr dem Zufall überläßt, selten sich mehr der Gefahr aussetzt, als durch die strengste Umsicht und genaueste Ueberlegung gerechtfertigt wird und ihnen rathsam erscheint. Als man daher erfuhr, der Feind sei in den Wald verschwunden, habe sich von dem offenen Felde gänzlich zurückgezogen, waren die Bewohner des Dorfes weit mehr zu dem Glauben geneigt, diese Bewegung sei das Ergebniß ihres eigenen männlichen, kräftigen Widerstandes, als daß sie nach Beweggründen gesucht, die vielleicht lange nicht so schmeichelhaft und angenehm für ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstschätzung gewesen. Im Gegentheil, den Rückzug hielt man für ganz in der Ordnung, und sah darin nichts, was zum Staunen hätte Veranlassung geben können, und obgleich die Klugheit ihnen alles Nachsetzen, alle Verfolgung verbot, wurden doch geschickte, kräftige 211 wohlberathene Kundschafter, von behenden Gliedern ihnen auf ihrer Spur nachgesandt, eben so sehr, um einer Erneuerung des Ueberfalls zuvorzukommen, als um die Streitkräfte der Colonie in den Stand zu setzen, den Stamm ihrer Feinde zu erkennen, und die Richtung aufzufinden, die sie genommen hatten.

Alsdann erfolgte ein Auftritt feierlicher Ceremonien und tiefer Trauer und Betrübniß. Obgleich die von Dudley und dem Lieutenant angeführten Haufen so glücklich gewesen waren, mit einigen wenigen unbedeutenden Wunden aus der Schlacht zu entkommen, waren doch alle von Contentius befehligte Soldaten, mit Ausnahme der schon genannten, bis auf den letzten gefallen. Der Tod hatte mit einem Schlage zwanzig der kräftigsten Männer aus jener abgesonderten, einsamen Gemeinde hinweggerafft. Unter Umständen, worin der Sieg so unfruchtbar war und so theuer erkauft worden, war Trauer und Klage ein Gefühl, das weit lauter und stärker sich vernehmen ließ, als Jauchzen und Freude. Die Lust an dem Sieg nahm den Anschein der Demüthigung an, und während die Leute sich ihres Wohlverhaltens, ihres Verdienstes bewußt waren, wurde ihnen ihre Abhängigkeit von einer Macht, die sie nicht zu begreifen, noch Einfluß auf sie auszuüben vermochten, außerordentlich eindringlich und fühlbar. Die charakteristischen Ansichten der Religionsverwandten wurden noch mehr exaltirt und schwärmerischer, und der Schluß, das Ende des Tages war eben so merkwürdig durch eine Darlegung der ganz besonders erhöhten, phantastischen religiösen Eindrücke von Seiten der Colonisten, als sein Beginn, sein erster Blick furchtbar und 212 schreckhaft gewesen war durch Gewaltthätigteit, Mord und Blut.

Als einer der thätigeren, behenderen Kundschafter mit der Nachricht zurückkehrte, die Indianer hätten sich durch den Wald auf einer breiten Spur zurückgezogen, welches ein sicheres Zeichen war, daß sie kein Auflauern in der Nähe des Thales mehr im Schild führten, und als man weiter erfuhr, sie seien schon auf viele Meilen weit auf ihrem Rückzug von den Spähern verfolgt, und ihr Weg erkannt worden, da kehrten die Dorfbewohner zu ihren gewohnten Aufenthaltsorten zurück. Die Todten wurden dann unter die vertheilt, welche das nächste Recht auf ihre Beerdigung in Anspruch nahmen, welche sich am meisten verpflichtet hielten, ihnen die letzten Dienste der Liebe und Zuneigung zu erweisen, und so hätte man ganz buchstäblich und mit vollem Rechte behaupten können, Trauer und Klage hätten ihr Zelt aufgeschlagen fast in jeder Wohnung. Die Bande des Bluts verknüpften alle in dieser so beschränkten, isolirten Staatsgesellschaft so enge und vielfach miteinander, und wo diese etwa mangelten, waren die gegenseitige Liebe, die Verbindungen des geselligen Lebens so fest, so innig, so natürlich, daß nicht ein Einziger von ihnen Allen der Betrübniß, dem Gefühle entging, er sei durch die Ereignisse an jenem Tag für immer eines Mitbürgers beraubt worden, auf den er sich ganz besonders verlassen mochte, wenn sein Herz nach Trost suchte, oder sonst zu seinem Glücke ihm etwas gebrach.

Als der Tag sich seinem Ende zuneigte, berief nochmals die kleine Glocke die Gemeinde in die Kirche. Bei dieser feierlichen Gelegenheit waren nur Wenige von denen, die noch lebten, das Glockengetön zu vernehmen, abwesend. Ergreifend 213 und allgemein war die Rührung, als Meek sich zum Gebet erhob. Die Sitze, die vor kurzer Zeit noch von denen eingenommen worden, welche in dem Kampfe gefallen waren, fanden sich jetzt leer und unbesetzt, und glichen eben so vielen beredten, unbeschriebenen Seiten in der Beschreibung dessen, was vorgefallen, sagten aber mehr, und sprachen deutlicher zu den Gefühlen Aller, als irgend eine Sprache auszudrücken vermögend gewesen wäre. Das Gebet des Geistlichen trug das Gepräge seiner überspannten Religiösität, seltsam mischte sich das mystische Erkennenwollen der verborgnen Absichten der Vorsehung mit der mehr verständlichen, mehr in die Sinne fallenden Darlegung menschlicher Bedürfnisse und Empfindungen. Während er dem Himmel die Ehre des Sieges gab, sprach er mit hochtrabender, stolzer anmaßender Bescheidenheit und Demuth von den Werkzeugen, die seine Macht sich ausersehen, und wenn auch willens und geneigt anzuerkennen, daß seine Pfarrkinder vollkommen den schweren Streich verdient hätten, der sie getroffen, zeigte er doch offenbar und deutlich in seinen Reden eine Ungeduld, einen Haß und Grimm über die Mittel, deren Gott sich bedient, über die Werkzeuge, die bei dem Verhängen dieser Strafe und Noth thätig und wirksam gewesen.

Die Grundsätze und Beweisschlüsse des Sectirers wurden so seltsam durch die Gefühle und Ansichten, wie sie sich bei einem Grenzbewohner finden, modificirt, diese hatten so großen Einfluß auf jene, daß es einem scharfsichtigen Unbefangenen gar nicht schwer gefallen sein würde, das Falsche in den Beweisgründen und Schlüssen dieses Eiferers zu entdecken; indeß da ein so großer Theil seiner Rede durch metaphysische Nebel und grübelnde Spitzfindigkeit verdunkelt wurde, da so 214 vieles den Allgemeinheiten und Gemeinplätzen der Lehrmeinungen überlassen blieb, wußten seine Zuhörer, ohne auch nur einen einzigen auszunehmen, Alles, was er aussprach, auf eine solche Weise anzuwenden, solchen Nutzen und Unterricht daraus zu ziehen, daß augenscheinlich dadurch jedes Gemüth befriedigt und erbaut wurde. Aus dem Stegreif, wie das Gebet, war auch die Predigt, wenn anders nur überhaupt etwas von einem Geiste extemporirt werden konnte, der in seine Ansichten und Religionsmeinungen so sehr eingeübt und gleichsam einexercirt worden war. Sie enthielt größten Theils dasselbe, dieses aber wurde um ein geringes weniger in der Form einer Apostrophe vorgetragen. Der zerschlagenen, niedergebeugten Gemeinde wurde, während man sie durch den Glauben erhob und ermuthigte, sie seien Gefäße, die ausgesondert und aufbehalten worden, damit durch sie irgend ein großer, glorreicher Endzweck und Rathschluß der Vorsehung erreicht und erfüllt würde, geradezu gesagt, daß sie weit schwerere Züchtigung verdient hätte, als die gewesen, welche jetzt über sie gekommen, und sie ward erinnert und ermahnt, wie es ihre Pflicht sei, selbst ihre Verwerfung und Verdammniß zu erflehen, nur damit dadurch der, welcher Himmel und Erde gebildet, gepriesen und verherrlicht werde. Dann hörten sie tröstliche Schlüsse, woraus sie billig hätten lernen können, daß, wenn auch streng genommen und im eigentlichsten Sinne, der Lehre gemäß, dies die Verpflichtungen und Anforderungen an den wahren eigentlichen Christen wären, jedennoch triftiger Grund vorhanden sei, um zu erwarten und sich überzeugt zu halten, daß Aller, welche auf so reine Lehren hörten und sich ihnen 215 ganz hingäben, einstens mit ganz besonderer Gnade und Vergünstigung gedacht werden würde.

Ein so eifriger, so vielen Nutzen stiftender Diener des Tempels, wie dies Meek Wolfe war, vergaß gewiß nicht die praktische Tendenz seines Textes und die Vermahnung und Nutzanwendung, die daraus wie von selbst hervorging. Zwar wurde kein sichtbares Crucifix vorgewiesen, um die Zuhörer aufzuregen, auch wurden sie nicht angefeuert, Bluthunde auf die Spur ihrer Feinde loszulassen, aber das erstere ward durch beständige Anspielungen auf seine Verdienste und wunderbare Kräfte dem Auge ihres Geistes hinlänglich nahe gerückt, und auf die Indianer wurde als auf Werkzeuge hingewiesen, wodurch der Erzfeind, der Urvater der Lüge und alles Bösen immer noch hoffte, die Wildniß zu verhindern, daß sie aufblühe gleich der Rose und von sich gäbe die süßen Gerüche der Gottseligkeit. Philipp und Conanchet wurden geradezu angeführt und mit Namen genannt. wobei einige dunkele Andeutungen und Hinweisungen vorkamen, aus denen hätte hervorgehen mögen, daß die Person des erstern wohl nicht viel weiteres sei, denn die Lieblingsbehausung von Moloch, während es der eigenen Maßnahme der Zuhörer überlassen blieb, sich irgend einen andern Geist zu erdenken, sich irgend einen andern passenden Inwohner ausfindig zu machen, der sich zur Beherrschung der physischen Kräfte des andern, des Conanchet, geeignet hätte; unter allen den etwas böseren Kräften und wirksamen Geistern der Finsterniß, wie sie in der Bibel genannt werden, hatten sie hierbei freie Wahl. Alle Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Kampfes, die etwa zarte Gewissen hätte beunruhigen und befallen mögen, wurden mit kühner, entschlossener Hand weggekehrt und aus dem 216 Wege geräumt. Es ward indeß nicht der geringste Versuch einer Rechtfertigung gemacht, denn alle Schwierigkeiten dieser Art wurden leicht durch die gebieterischen Nöthigungen der Pflicht aufgelöst. Einige wenige scharfsinnige Hinweisungen auf die Art, wie die Israeliten die Besitzer Judäa's aus ihren Wohnstätten vertrieben, waren für diesen besonderen Theil seiner Rede von ganz außerordentlicher Wichtigkeit und thaten gute Dienste in der Darlegung seines Gegenstandes; da es gar nicht schwierig war, Leute, die so mächtig den Antrieb religiöser Erregung fühlten, zu überzeugen, daß sie für eine gerechte Sache angefeuert und ermuntert worden waren. Durch diesen Vortheil ermuthigt, fuhr nun der Redner in seiner Beweisführung fort und zeigte gar kein Verlangen weiter, die Hauptfrage zu vermeiden und aus dem Gesichte zu verlieren. Er behauptete vielmehr ohne Weiteres, daß, wenn die Herrschaft des wahren Glaubens durch gar keine anderen Mittel begründet und befestigt werden könnte, ein Fall, der, wie er annahm, nach der Meinung aller Verständigen gewiß jetzt eingetreten, denn Jedem müsse es einleuchten, daß diese Begründung auf keinem andern Wege vor sich gehen könne, – in einem solchen Falle stellte er es für Jung und Alt, für die Starken und Schwachen als Pflicht hin, sich fest mit einander zu vereinen und einander beizustehen, indem sie die früheren Besitzer des Landes mit allem dem heimsuchten, was er den Zorn und Grimm einer beleidigten Gottheit nannte. Er sprach von der furchtbaren Niedermetzlung in dem vorigen Winter, wobei weder Alter noch Geschlecht verschont worden, und stellte diesen Vorfall als einen Triumph der gerechten Sache dar, als eine Ermuthigung auf dem eingeschlagenen Weg zu beharren und 217 fortzuschreiten. Dann kehrte Meek vermittelst eines Uebergangs, der in einem Zeitalter nicht außerordentlich und auffallend war, welches sich so sehr durch seine religiösen Spitzfindigkeiten auszeichnete, zu den milderen und näher liegenden Wahrheiten zurück, welche die Lehre Dessen charakterisiren und durchdringen, dessen Kirche aufrecht zu erhalten und zu schützen er vorgab. Seine Zuhörer wurden ermahnt, einen Lebenswandel zu führen voll Demuth und christlicher Liebe, und mit dem Schlußsegen in ihre Wohnungen entlassen.

Die Versammlung verließ das Gebäude mit Gefühlen, wie sie Leute erfüllen, die sich durch ein besonderes, ungewöhnliches Einverständniß mit dem Urheber aller Wahrheit begünstigt und ausgezeichnet glauben; aber kaum Mohamed's Heer selbst wurde mehr von Schwärmerei getrieben und besessen, als diese verblendeten Eiferer und Sectirer. Es lag etwas für die menschliche Schwachheit so außerordentlich Schmeichelhaftes und Angenehmes in der Weise, wie sie ihren Haß und ihre zeitlichen Vortheile und Interessen mit ihren religiösen Pflichten und Verbindlichkeiten vereinten und in Einklang setzen, daß es nur wenig Staunen und Verwunderung erregen mag, wenn wir noch hinzufügen, daß der größte Theil von ihnen nicht nur erwartete, sondern auch vollkommen bereit und gerüstet war, einst Werkzeuge und Diener der Rache in den Händen irgend eines kühnen Anführers zu werden, und reichlich zu vergelten, was sie soeben Grausames und Hartes von den Heiden erduldet. Während die Einwohner des Dorfes auf diese Weise zwischen so gerade entgegengesetzten, sich so sehr widersprechenden Gefühlen und Leidenschaften hin und her schwankten und sich gleichsam zwischen ihnen nur mit Mühe durchdrangen, fielen 218 die Schatten des Abends allmälig und leise über ihre Ansiedelung hin, und dann kam die Dunkelheit mit jenen reißenden plötzlichen Schritten, womit sie auf den Untergang der Sonne in jenen unteren Breitegraden zu folgen pflegt.

Einige Zeit vorher, ehe noch die Schatten der Bäume jene grotesken, riesenhaften, unverhältnißmäßig verlängerten Gestalten annahmen, welche den letzten Sonnenstrahlen vorangehen, und während die andächtige Gemeinde noch auf ihren Seelenhirten lauschte und an seinem Munde hing, stand eine einzelne, verlorene Person auf einer kleinen, dicht verwachsenen Anhöhe, von wo aus sie leicht alle Bewegungen und Schritte derer, welche in dem Weiler wohnten, bemerken und auskundschaften konnte, ohne deßwegen selbst Gegenstand der Beobachtung und Aufmerksamkeit zu werden. Eine kurze, unbeträchtliche Bergfirste ragte in das Thal hervor, und zwar gerade an der der Wohnung der Heathcote's am nächsten kommenden Seite. Ein kleiner Bach, den das Schmelzen des Schnees und die gelegentlichen schweren Regengüsse, wie sie in jenem Clima häufig sind, auf kurze Zeit zu einem reißenden Bergstrom anschwellten und erhoben, hatte sich in eine tiefe Schlucht zum Bette in dem felsigen Schooße des Abhangs eingeschnitten und gebildet. Die Zeit und das beständige Wirken und Schaffen des Wassers, von den treibenden, schnell hereinbrechenden Gewitterstürmen während des Winters und Herbstes unterstützt, waren thätig gewesen, viele der verschiedenen Aussichten, den größten Theil der Oberfläche dieses schluchtenvollen Gebigesstriches in wildblickende Landschaften und schauerliche Wohnplätze für Menschen umzuwandeln. Indeß fand sich doch ganz besonders eine Stelle, 219 in deren Nähe eine genauere Untersuchung und Nachforschung als die war, welche man von der Entfernung aus, in welcher die Häuser der Ansiedelung von jener Stelle abstanden, angestellt werden konnte, weit deutlichere und mehr in die Augen fallende Zeichen und Beweise von der Thätigkeit und Wirksamkeit der Menschenhände hätte entdeckt werden mögen, als dies sonst durch die nur eingebildeten, blos gedachten Aehnlichkeiten mit phantastischen Winkeln und durch andere zufällige Formationen des Bodens hätte geschehen können.

Gerade an jenem Punkte, wo eine Abdachung des Gebirgs die beste Aussicht über das ganze Thal darbot, nahmen die Felsen den allerwildesten, wirrsten und folglich zur Errichtung einer Wohnung passendsten Anblick an, wenn man bei ihrer Erbauung vorzüglich darauf Rücksicht nahm, besonders das bezweckte und zu erreichen wünschte, daß sie den neugierigen Blicken der Ansiedler entgehen und entzogen werden möchte, während sie aber dennoch zu gleicher Zeit den Vortheil hätte, daß von ihr aus man das ganze Treiben der übrigen Einwohner übersähe und im Auge behielte. Ein Eremit würde den Ort als eine Stelle sich ausersehen und in Besitz genommen haben, welche am besten geeignet wäre zu abgesonderter, stiller Beschauung der Welt ganz aus der Ferne her, während sie doch in jeder Hinsicht dem einsamen Nachdenken, der Andacht und ascetischen Uebungen ganz angemessen erschien. Alle, welche durch die engen, vom Wasser zerrissenen Weinberge und Wiesen gereist sind, die von der Rhone bespült werden, ehe dieser Fluß seinen Tribut dem Genfer See zuführt, haben einige solcher Landbildungen gesehen, wie sie besetzt und bewohnt sind von Leuten, die ihr Leben der Abgeschiedenheit und dem Altar geweiht haben, 220 Bergabhänge, wie man sie über das Dorf St. Maurice in dem Kanton Wallis herüberragen sieht. Aber es findet sich in der Schweizer Einsiedelei ein Anstrich von Aufdringlichkeit in ihrem Aeußern, welche den Ort, den wir beschreiben, gar nicht trafen, da jene Eremitagen auf den höchsten, engsten Berggipfeln aufgehängt sind, gleichsam um der Welt zu zeigen, bis zu welchen gefährlichen, abgeschiedenen Schranken Gott noch verehrt werden kann, während diese, die amerikanische Einsiedelei, gänzliche Einsamkeit fast vermied, während sie nach Verborgenheit mit der eifersüchtigsten Sorgfalt und Vorsicht trachtete und strebte. Eine kleine, enge Hütte war gegen die Seite des Felsen hin auf eine Weise errichtet worden, daß sie einen stumpfen Winkel bildete. Man hatte Sorge getragen, sie mit solchen Gegenständen der Natur zu umgeben, daß dadurch wenig Grund übrig blieb, zu fürchten, ihr wahrer Charakter, die eigentliche Bestimmung der Hütte könne von irgend Jemand erkannt und bemerkt werden, der nicht geradezu selbst zu der schwer zu erklimmenden Firste heraufsteige, worauf die Behausung stand. Das Licht drang zu dieser, so zu sagen, uranfänglichen, niedrigen Wohnung durch ein Fenster herein, das nach der Schlucht zuging, und eine enge, schmale Thür führte auf die Seite zunächst dem Thal. Der Bau bestand theilweise aus Stein und theilweise aus Balken, nebst einem Dache aus Baumrinde und einem Schornstein aus Lehm und Reiserwerk.

Ein Mensch, dessen gefurchte finstere Stirn ihn als passenden Besitzer einer so abgeschiedenen, verlorenen Wohnung bezeichnete, saß um die genannte Stunde auf einem Stein an dem am meisten hervorspringenden Winkel des Gebirgs, und auf einer Stelle, wo das Auge die weiteste und am 221 wenigsten beschränkte, verdeckte Aussicht auf die Wohnungen der Menschen in der Ferne beherrschte und genoß. Steine waren auf eine Weise zusammengerollt worden, daß sie in der Fronte der Hütte ein kleines Brustwerk bildeten, und dadurch bewirkten, daß, wenn irgend ein herumschweifender, neugieriger Blick über die Fläche des Gebirgs hingestrichen, es noch nichts weniger als wahrscheinlich geworden wäre, daß er die Gegenwart, das Dasein eines Mannes entdeckt hätte, dessen ganze Gestalt, mit Ausnahme seiner obern Theile, so vollständig und wirksam versteckt und verborgen war.

Es wäre schwierig gewesen, bestimmt zu entscheiden und genau zu sagen, ob dieses abgeschiedene, abgeschlossene Wesen so sich dahin gestellt hatte, um sich irgend einem gewohnten, und nur durch die Gedanken möglichen Verkehr mit der kleinen Welt unten im Thal hinzugeben, oder ob er auf seinem Posten gleichsam als Wächter und Kundschafter so dastand. Es lag ein Anschein von jeder dieser beiden Eigenschaften in seinem Antlitz und ganzen Aeußern; denn zu Zeiten waren seine Mienen und sein Auge melancholisch und traurig, und so gesänftigt, als wenn sein Geist Lust und Vergnügen daran fände, wenn er die dem Menschengeschlecht eigenthümliche und angeborne wechselseitige Liebe und Eintracht bemerkte, und zu andern Zeiten wieder waren seine Brauen ernst und streng zusammengezogen, während seine Lippen mehr als gewöhnlich zusammengepreßt und geschlossen schienen, ganz so, wie man dies an einem Manne bemerkt, der sich seiner eigenen, ihm innewohnenden Entschlossenheit vertraut, und von ihr nur Schutz und Beistand erwartet.

Die Stelle und Einsamkeit des Ortes, der Anschein allgemeiner, alles durchdringenden Ruhe, die überall herrschte, 222 der schrankenlose laubichte Teppich, über welchen das Auge von diesem hohen Punkte aus hinschaute, und der tiefe Frieden, der im Schooß der Wälder ruhte, alles dies vereinte sich, diesem Schauplatz den Charakter hoher, feierlicher Größe zu geben. Die Gestalt des Bewohners der Schlucht war nicht weniger unbeweglich, als jeder andere Gegenstand, den die weite Aussicht einschloß und begriff. Sie schien in Allem, nur Farbe und Ausdruck ausgenommen, von Stein. Ein Ellenbogen lehnte und ruhte auf der kleinen Vormauer vor ihm, und das Haupt ward von einer Hand gehalten und unterstützt. In der Entfernung eines Bogenschusses etwa hätte das Auge die ganze Erscheinung leicht für nichts weiteres halten mögen, als für noch eine von den andern zufälligen Nachahmungen und wie durch Kunst ausgeführte Abbildungen, welche sonst noch überall durch die Veränderung, wie sie Jahrhunderte mit sich bringen, in den Felsen eingegraben und gleichsam ausgehauen worden. Eine Stunde ging vorüber, und kaum ein Glied hatte seine Stellung verändert, oder eine Muskel sich gerührt und erleichtert. Entweder Beschauung oder das geduldige Erwarten irgend eines lang ersehnten und erharrten Vorfalles schien die gewöhnlichen Lebensverrichtungen zu unterbrechen und aufzuschieben. Endlich fiel ein Aufhören dieser seltsamen, außerordentlichen Unthätigkeit und Regungslosigkeit vor.

Ein Knistern, nicht lauter, als das, welches durch den Sprung eines Eichhörnchens in dem Laubwerk hevorgebracht worden wäre, hörte man zuerst in den Büschen oben, ihm folgte ein Krachen in den Aesten, und dann kam ein Bruchstück von einem Felsen hüpfend und springend den Abhang herunter, bis es über das Haupt des immer noch regungslosen 223 Einsiedlers hinschoß und mit einem Geräusch, das eine Reihe von immer wiederkehrendem Widerhall in den Berghöhlen des Ortes weckte, in die Schlucht unten herabfiel.

Ungeachtet des Plötzlichen und Unerwarteten dieser Unterbrechung und des ungewöhnlichen außerordentlichen Getöses, von dem sie begleitet ward, zeigte doch der, den man als den bei diesem Vorfall am meisten Betroffenen und Interessirten hätte ansehen mögen, auch nicht das Geringste von jenen gewöhnlichen Zeichen der Furcht oder des Erstaunens. Er lauschte aufmerksam und scharf, bis der letzte Ton verscholl, aber es geschah dies mehr mit den Mienen der Erwartung und Neugier, als mit denen der Angst und des Entsetzens. Er erhob sich langsam und bedächtig, und sah sich aufmerksam und vorsichtig um, und schritt dann schnellen Tritts längs des Felsenrandes hin, der zu seiner Hütte führte, worauf er durch deren Thüre verschwand.

Im nächsten Augenblicke jedoch ward er an seiner früheren Stelle wieder erblickt, und ein kurzer Carabiner, so wie er damals bei den berittenen Soldaten im Gebrauch war, lag über sein Knie hin. Wenn Zweifel oder Verlegenheit bei einem so handgreiflichen, offenbaren Zeichen, daß die Einsamkeit und Abgeschiedenheit, die er suchte und gefunden zu haben glaubte, in Gefahr sei, jetzt unterbrochen zu werden, das Gemüth dieses Mannes erfüllte und besessen hielt, so waren sie doch immer nicht von hinlänglich starker, ergreifender Art, um den Gleichmuth seines äußeren Anstrichs zu stören. Zum zweiten Male rauschte es in den Aesten; aber die Töne drangen aus einem unteren Theile des Abhangs zu ihm heran, gleichsam als wenn der Fuß, der die Störung verursachte und die Steine in Bewegung setzte, im Begriff wäre, 224 herabzukommen. Obgleich Niemand sichtbar ward, konnte doch die Ursache und Art des Geräusches länger nicht mißverstanden werden, und ferner keinem Zweifel mehr unterliegen. Es war offenbar der Schritt und Fußtritt eines Menschen, denn kein Thier von hinlänglicher Größe und gehörigem Gewichte, um solch einen bemerkbaren Eindruck zu machen und solche Steine in Bewegung zu setzen, würde sich je gewagt haben, über eine Stelle hinzuschweifen, wo die Hülfe und Unterstützung der Hände ganz eben so nöthig, als die der andern Gliedmaßen waren, um darüber hinzukommen.

»Komm heran,« sagte der, welcher in allem Andern, nur nicht in seiner Kleidung und seinen feindlichen Vorkehrungen mit so vollem Rechte für einen Einsiedler hätte gelten können; »komm heran, ich bin schon hier!«

Diese Worte waren nicht in die Luft gesprochen, denn plötzlich erschien Jemand an dem Rande des Felsens, an der Seite, die der Ansiedelung am nächsten war, und nur etwa zwanzig Schritte von dem Sprechenden entfernt. Als ein Blick dem andern begegnete, war das Erstaunen, welches offenbar den Eingedrungenen eben so sehr, als den, der ein größeres Recht sich an diesem Orte zu befinden, wo sie einander trafen, in Anspruch zu nehmen schien, ergriff und erfüllte, gleich groß, und schien gegenseitig. Der Carabiner des Letzteren und eine Muskete, die der Andere führte, fielen in demselben Momente in die gefahrbringende Linie des Zielens, und in einem Augenblick später setzten die Beiden wieder ab, und warfen die Gewehre aufwärts zurück, gleich als ob ein gemeinsamer Einfluß sie beherrschte und lenkte. Der Inhaber der Stelle winkte dem Andern sich zu nähern, und dann verschwand jeder 225 Anstrich von Feindseligkeit in jener Art von Freundschaft und Vertrautheit, welche Vertrauen allein gebührt.

»Wie kommt es,« sagte der Erstere zu seinem Gaste, nachdem sie sich Beide ruhig hinter den kleinen Wall von Steinen niedergelassen hatten; »wie kommt es, daß Du in diesen abgeschiedenen, versteckten Ort gerathen? Der Fuß des Fremden hatte nicht oft diese Felsen betreten, und Niemand vor Dir ist jemals den Abhang heruntergestiegen.«

»Ein indianischer Mokasin tritt sicher auf,« entgegnete der Andere mit indianischer Kürze und Wortkargheit, »Mein Vater hat ein gutes Auge. Er kann sehr weit von der Thüre seiner Wohnung aus sehen.«

»Du weißt, daß die Leute von meiner Farbe oft zu ihrem guten Geiste sprechen; und sie lieben nicht, ihn auf Landstraßen und auf offenen Wegen um seine Gnade und seinen Beistand zu flehen. Dieser Ort ist seinem heiligen Namen geweiht!«

Der Herangekommene war der junge Sachem der Narragansetts, und der, welcher trotz dieses scheinbar triftigen, eben angegebenen Grundes doch offenbar eher ein Versteck und Verborgenheit als Einsamkeit suchte, war der Mann, den wir so oft in diesen Blättern unter dem Schleier des Geheimnisses und der Verborgenheit bei dem Leser eingeführt haben. Das plötzliche Wiedererkennen und das gegenseitige Vertrauen bedürfen eben keiner Erläuterung und Erklärung, da schon genug im Verlauf der Erzählung eingemischt und entwickelt worden ist, um dem Leser zu verstehen zu geben, daß sie sich einander nicht fremd waren.

Indeß war doch die Zusammenkunft nicht ohne eine gewisse Unruhe von der einen Seite und großem, obgleich wunderbar gut verhehltem und verschleiertem Staunen von 226 der andern vor sich gegangen. Wie dies seiner hohen Stellung und kühnem, stolzen Charakter zukam, verrieth Conanchet's edle Haltung nichts von dem Kleinlichen einer gemeinen Neugierde und Ausfragerei. Er empfing seine alte Bekanntschaft mit der ruhigen Würde seines Ranges, und es würde dem allerforschendsten, schärfsten Auge schwer gefallen sein, einen einzigen, herumstreichenden Blick, ein auskundschaftendes Hinstarren oder sonst irgend ein anderes Zeichen zu entdecken, woraus hervorgegangen wäre, daß er diese Stelle nur überhaupt für außerordentlich und ungewöhnlich zu einer solchen Zusammenkunft gehalten. Er hörte auch die kurze, leicht hingeworfene Erklärung des Andern mit ernster Höflichkeit an, und ließ einige Zeit verfließen, ehe er etwas darauf antwortete.

»Der Manittu der blassen Leute,« sagte er dann, »muß wohl mit meinem Vater zufrieden sein, und sich über ihn freuen. Seine Worte sind oft in den Ohren seines großen Geistes! Die Bäume und Felsen kennen sie.«

»Ganz so, wie dies alle thun, von unserm sündhaften, gefallenen Geschlecht,« entgegnete der Unbekannte mit der strengen Miene und dem ernsten Aeußern des Alters; »mir thun meine Bitten und Gebete sehr Noth. Aber warum meinst Du, daß meine Stimme oft gehört werde, in diesem einsamen, abgeschiedenen Orte?«

Conanchet's Finger deutete auf den ausgetretenen Felsen zu seinen Füßen, und sein Blick fuhr verstohlen über den begangenen Pfad hin, welcher zwischen der Stelle und dem Eingang seiner Wohnung hinlief.

»Ein Yengihs hat eine harte Fußsohle; aber dennoch ist 227 sie weicher als Stein. Der Huf des Rehes hätte lange zu gehn, ehe er eine solche Spur ließe.«

»Du bist schnell und scharf von Auge, Narragansett, und doch könntest Du Dich täuschen. Meine Zunge ist nicht die einzige, die zu dem Gott meines Volkes spricht.«

Der Sachem beugte leicht sein Haupt, ihm seine Beistimmung bezeichnend, und schien gleichsam nicht willens, den Gegenstand ihres Gesprächs noch weiter zu verhandeln und zu verfolgen. Aber sein Gefährte befriedigte sich nicht so leicht hin, denn er fühlte in sich das Bewußtsein, wie sehr fruchtlos der Versuch gewesen, ihn zu überlisten, indem er seine Zuflucht zu einigen Hülfsmitteln genommen, die er für brauchbar und passend gehalten, um den Verdacht des Indianers zu beruhigen und einzuschläfern.

»Daß ich jetzt hier allein bin, kann Sache des Geschmacks oder Zufalls sein,« fuhr er fort; »Du weißt, daß dies ein geschäftiger, unruhiger, blutiger Tag für die blassen Leute gewesen, und daß Todte und Sterbende in ihren Wohnungen sich befinden. Einer, der nicht selbst einen eigenen Wigwam für sich hat, der kann wohl Zeit finden, für sich zu beten.«

»Die Seele ist sehr kunstreich,« entgegnete Conanchet; »sie kann hören, wenn das Ohr taub ist, sie kann sehen, wenn das Auge sich schließt. Mein Vater hat zu dem guten Geist mit den übrigen seines Stammes gesprochen und sich mit ihm unterredet!«

Als der Häuptling schloß, deutete er sehr bezeichnend und mit Ausdruck auf die ferne Kirche hin, aus der die erbaute, aufgeregte Versammlung, welche wir beschrieben, gerade in diesem Augenblick herausströmte und sich in die grüne, wenig befahrene Grasstraße des Weilers ergoß. Der Andere schien 228 den Sinn seiner Worte verstanden zu haben, und in demselben Momente die Thorheit eben so wohl, als die Erfolglosigkeit zu fühlen, wenn er sich noch länger bemühen und anstrengen wollte, einen Mann irre zu leiten und zu bethören, der schon so viel von seiner früheren Lebensweise kannte und mitangesehen hatte.

»Indianer, Du hast Recht,« fuhr er finster und düster blickend fort: »die Seele sieht weit, und siehet oft, wenn sie mit bitterem Gram erfüllt. Mein Geist vereinte sich mit den Geistern Derer, die Du dort siehst, als ich zuerst Deinen Schritt vernahm; Deinen ausgenommen, ist nie der Fuß eines Menschen zu dieser Stelle heraufgestiegen, es müßten denn die Tritte derer gewesen sein, welche gekommen sind, meinen körperlichen Bedürfnissen abzuhelfen und sie zu befriedigen. Du sagst mit Recht, das innere Auge ist scharf und geht weit; und fern über jene äußersten Hügel hin, auf denen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne jetzt erglänzen und so glorreich hinuntersinken, fern über sie hin, führen die Gedanken meiner Seele mich oft im Geiste. Du warst einst mein Mitwohner, Jüngling, und hohe Lust fühlte ich, wenn ich mich bestrebte, Deinen jugendlichen Sinn den Wahrheiten der Religion unseres Volkes zu öffnen, und Dich lehrte mit der Zunge eines Christen zu reden; aber Jahre sind vorübergegangen, – horch! da kommt Jemand den Pfad herauf! Hast Du Furcht vor einem Yengihs?«

Die ruhige Miene, mit der Conanchet zugehört, veränderte sich zu einem kalten Lächeln. Seine Hand hatte nach dem Schlosse seiner Muskete gefühlt, schon einige Zeit vorher, ehe sein Gefährte auch nur das geringste Bewußtsein verrathen, 229 daß er nahende Schritte vernehme; indeß bis jetzt, wo ihm diese Frage vorgelegt wurde, war keine Veränderung in seinen Zügen bemerkbar gewesen.

»Fürchtet mein Vater für seinen Freund?« fragte er, indem er nach der Richtung hindeutete, in der die Tritte sich nahten. »Ist es ein bewaffneter Krieger?«

»Nein, man kommt mit den Mitteln zum Unterhalt, man bringt mir Lebensmittel, um die Last zu ertragen, unter der man aushalten muß, bis es Dem gefällt, der da weiß, was allen seinen Geschöpfen gut und heilsam ist, mich davon zu befreien. Es könnte vielleicht der Vater jener sein, die Du heute ihren Freunden zurückgegeben, oder vielleicht auch der Bruder; denn zu Zeiten verdanke ich diese freundliche, liebevolle Sorgfalt verschiedenen Gliedern jener würdigen Familie.«

Ein Blick des Verständnisses schoß über die dunkeln, schwärzlichen Züge des Häuptlings. Sein Entschluß schien gefaßt. Er stand auf, ließ seine Waffe zu den Füßen seines Gefährten, und bewegte sich schnell um den Abhang hin, als wenn er dem Herankommenden entgegengehen wollte. Im nächsten Augenblick jedoch war er wieder zurück, und brachte ein kleines Bündel, eng eingewickelt in reich mit Muscheln verzierten Streifen aus Schlangenhäuten. Dies Bündel legte er sanft hin neben den Alten – denn die Zeit hatte die Farbe von des Einsiedlers Haupthaar in Grau verwandelt, und sagte mit leiser, schneller Stimme, während er zugleich mit Ausdruck und Bedeutung auf das hinwies, was er gethan hatte:

»Der Bote will nicht mit leerer Hand zurückgehen. Mein Vater ist weise; er wird sagen, was gut ist.«

230 Es war keine Zeit zu ferneren Erklärungen mehr übrig. Die Thüre der Hütte hatte sich kaum hinter Conanchet geschlossen, als schon der junge Marcus Heathcote an der Stelle erschien, wo der Pfad sich um die Ecke der steilen Felswand bog.

»Du weißt, was geschehen ist, und wirst mich nach wenigen Worten wieder entlassen,« sagte der junge Mann, indem er Nahrungsmittel vor den niedersetzte, den aufzusuchen er gekommen war. »Ha! was hast Du hier? Gewannst Du dieses in dem Streit an dem heutigen Morgen?«

»Es ist Beute, die ich freigebig Dir überlasse; nimm sie mit in das Haus Deines Vaters. Sie ist mir zu diesem Zwecke überlassen worden. Nun erzähle mir von der Weise, wie der Tod mit unserm Volke verfahren; denn Du weißt, daß Nothwendigkeit mich von Euch weggetrieben, sobald als uns die Freiheit wiedergegeben ward.«

Marcus schien nicht geneigt des Andern Wunsch zu willfahren, er starrte auf das von Conanchet gebrachte Bündel hin, als wenn sein Auge nie vorher auf einen ähnlichen Gegenstand gerichtet worden wäre; und wild kämpfende Leidenschaften und Gefühle spielten auf seiner Stirne und in seinen Zügen, so wie denn überhaupt diese selten ruhig waren, nie so beherrscht wurden, wie es den selbst verleugnenden Sitten und Gewohnheiten der damaligen Zeit und des Landes angemessen und gemäß war.

»Es soll geschehen, Narragansett,« sagte er zähneknirschend, »es soll geschehen,« dann wandte er sich auf dem Absatze um, und schritt längst des abschüssigen Pfades mit einer Schnelligkeit und Eile hin, welche den Andern in außerordentliche Furcht und bange Erwartung für seine Sicherheit und sein 231 Leben setzte; bis endlich seine lebhafte Gestalt gänzlich verschwunden war. Der Einsiedler erhob sich und suchte den in seiner niedrigen Hütte versteckten Indianer wieder auf.

»Komm heraus,« sagte er, und öffnete die enge Thür zum Durchgang des Häuptlings. »Der junge Mann ist fort und hat das Bündel mitgenommen; Du bist jetzt wieder allein mit einem alten Gefährten.«

Conanchet erschien wieder bei seinem Aufruf; aber es geschah mit einem weniger glühenden Auge, mit einer weniger ernsten, strengen Stirn, als damals, wo er in die enge Hütte eingetreten. Während er sich langsam nach dem Stein zu bewegte, den er vorher eingenommen, ward sein Schritt für einen Augenblick an der Stelle aufgehalten, wo er eben erst das Bündel hingelegt hatte, und ein Blick tiefer, finsterer Trauer schien auf den Ort hinzufallen. Er beherrschte indeß seine Gefühle, und zwang sie zu der gewohnten Unterwerfung zurück, in welcher sie Leute von seinem Stamme zu halten pflegten. Er nahm seinen Sitz ganz mit der Miene eines Mannes wieder ein, der von Natur aus ernst und streng schien, während man doch gar nicht bemerkte, daß er irgend Anstrengungen machte, um den wunderbaren Gleichmuth seiner Züge zu behaupten und zu bewahren. Ein langes, gedankenvolles, beredtes Schweigen erfolgte, und dann sprach der Einsiedler:

»Wir haben an dem Narragansett-Häuptling einen Freund gewonnen,« sagte er, »und sein Bund mit Philipp ist aufgelöst?«

»Yengihs,« entgegnete der Andere, »das Blut der Sachem fließt voll und reich in meinen Adern.«

»Warum sollten die Indianer und die Weißen sich 232 Gewaltthätigkeit zufügen! die Erde ist groß und breit und Raum auf ihrer Oberfläche für Leute von allen Farben und allen Völkern.«

»Mein Vater hat davon nur einen kleinen Theil gefunden,« sagte der Andere, und warf solch einen vorsichtigen Blick auf das enge Gebiet und den beschränkten Wohnsitz seines Wirthes, daß er dadurch zu gleicher Zeit den sarkastischen Inhalt seiner Worte verrieth, während er nebenbei auch die Höflichkeit und Umsicht seines Geistes kund gab.

»Ein leichtsinniger, eitler Fürst sitzt auf dem Thron einer einst von Gott begünstigten, glücklichen Nation, Häuptling,« sagte der Eremit; »und Finsterniß ist nochmals über ein Land gekommen, welches vor so kurzer Zeit noch erglänzte in hellem, weithin scheinendem Lichte. Die Gerechten sehen sich genöthigt, aus den Wohnungen ihrer Kindheit zu entfliehen, und die Tempel der Erwählten sind verlassen und dahingegeben dem Gräuel des Götzendienstes. O England! England! wann wird der Becher der Bitterkeit für Dich voll sein; – wann wird dies Gericht an Dir vorüberziehen, – mein Geist seufzt über Deinen Fall, ja meine innerste Seele ist betrübt von dem Anblick Deines Jammers und Elends!«

Conanchet hatte zu großes Zartgefühl, um das gleichsam verglasete Auge und die erhitzte Stirn des Sprechenden anzuschauen, aber er lauschte auf seine Worte voll Staunen und Verwunderung und in Unkunde über ihren Sinn. Solche Ausdrücke hatte oft vorher sein Ohr vernommen, und obwohl sein zartes Alter vielleicht verhinderte, daß sie große Wirkung auf ihn hervorbrachten, so gaben sie doch auch jetzt in seinem männlichen Alter, wo er sie wieder hörte, seinem Verstande 233 keine deutlichen, bestimmten Begriffe. Indem er plötzlich einen Finger an das Knie seines Gefährten legte, sagte er:

»Der Arm meines Vaters hat sich heut zu Gunsten und zum Schutz der Yengihs erhoben, er hat auf ihrer Seite gestanden, und doch geben sie ihm keinen Sitz bei ihrem Berathungsfeuer!«

»Der sündenvolle Mann, welcher auf der Insel herrscht, woher mein Volk kam, hat einen Arm, der so lang ist, als sein Sinn eitel und nichtig. Obgleich jetzt ausgeschlossen von den Rathsversammlungen dieses Thales, Häuptling, ist doch einst eine Zeit gewesen, wo meine Stimme in Berathungen sich vernehmen ließ, die seine Familie schwer heimsuchten, und sie sehr demüthigte. Diese Augen haben's mit angesehen, als Gerechtigkeit an dem geübt ward, der dem doppelzüngigen Werkzeug Belial's sein Dasein gab, welches jetzt ein ruhmvolles, glänzendes Reich lenkt und beherrscht!«

»Mein Vater hat von einem großen Häuptling die Schädelhaut gewonnen?«

»Mein Gehirn war behilflich, daß er um seinen Kopf kam!« entgegnete der Abgeschiedene, während ein Strahl bittern Frohlockens und Entzückens über den gewohnten strengen Ernst seiner Stirn hinfuhr.

»So komm. Der Adler fliegt über die Wolken hinaus, damit er seine Schwingen frei entfalten und bewegen könne. Der Panther springt am weitesten unter den Thieren der breiten Ebene; der größte Fisch schwimmt in dem tiefsten Wasser. Mein Vater kann sich nicht beschränken auf diese engen Felsen. Er ist zu groß, niederzuliegen in einem kleinen Wigwam. Die Wälder sind weit; er wechsle die Farbe seiner Haut, und dann erscheine ein graues Haupt vor dem 234 Berathungsfeuer meines Volkes! Die Krieger werden lauschen, was er sagt, denn seine Hand hat Großes vollbracht!«

»Das kann nicht geschehen, – kann nicht geschehen, Narragansett. Das, was in dem Geiste geboren ist, muß darin verharren, und es wäre leichter für den Mohren, weiß zu werden, oder für den Leoparden seine Flecken zu wechseln, als für Einen, der die Macht des Herrn gefühlt, die Gaben desselben zur Seite zu stoßen. Aber ich nehme Dein Anerbieten der Freundschaft mit dem Geiste der Liebe und Vergebung auf. Mein Herz ist immer bei meinem Volke; doch ist noch Raum darin für die Liebe und Freundschaft für Andere. Brich denn diesen Bund mit dem bösgesinnten, unruhigen Philipp, und laß die Streitaxt für immer vergraben werden auf dem Pfade zwischen Deinem Dorf und den Wohnörtern der Yengihs.«

»Wo ist mein Dorf? Nahe bei den Inseln, an den Küsten des großen See's, ist ein schwarzer Ort, aber ich sehe keine Wohnungen!«

»Wir wollen Deine Weiler wieder aufbauen und auf's Neue sie bevölkern und bewohnbar machen. Laß Friede sein zwischen uns.«

»Mein Herz ist immer bei meinem Volke,« entgegnete der Indianer und wiederholte des Andern Worte mit einem Nachdruck und einer Würde, die nicht mißverstanden, nicht mißdeutet werden konnte.

Eine lange, trauervolle Pause erfolgte, und als die Unterredung wieder erneuert ward, hatte sie nur noch Bezug auf jene verschiedenen Vorfälle und Ereignisse, wie sie das Geschick jedes der beiden verändert und umgewandelt hatten, seit der Zeit, wo sie beide Bewohner des Blockhauses gewesen, welches 235 mitten in dem ehemaligen Wohnplatze der Heathcote's gestanden hatte und mit ihm abgebrannt war. Jeder schien zu gut den Charakter des andern zu kennen und zu begreifen, um ferner noch Versuche zu machen, eine Veränderung in des Andern Vorsatz und Entschluß hervorzubringen, und schon hatte sich Dunkelheit um die Stelle hingesammelt, wo sie saßen, als sie beide sich erhoben, um in die Hütte des Einsiedlers einzutreten. 236

 


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