Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

Freundschaft – welch seltner Tausch!
    Tugend – wie schwach!
Bald folgt der Liebe Rausch
    Verzweiflung nach!
's Herz wohl erheben sie –
Flüchtig entschweben sie –
Wir überleben sie.
Shelley.

Auf Guert Ten Eyck hatte, was er bei dem Besuch im Hause der Wahrsagerin gehört hatte, einen tiefen Eindruck gemacht. Es übte Einfluß auf seine Stimmung, und, wie man sehen wird, auf seine ganze nachmalige Handlungsweise. Was mich betrifft, so will ich nicht behaupten, daß ich das Vorgefallene ganz unbeachtet gelassen; aber die Wirkung davon war bei mir weit geringer als bei meinem Freunde. Der Hochwürdige Mr. Worden jedoch behandelte die Sache ganz verächtlich. Er erklärte, er sey in seinem Leben nie früher so beschimpft worden. Die alte Hexe habe uns Alle früher schon gesehen und ihn wieder erkannt. Eine Kenntniß dieser Art sich zu Nutze machend – die an einem Ort von dem Umfang von Albany sehr leicht zu erlangen war, – habe sie die Gelegenheit ergriffen, aus einem elenden Geklatsche, das man auf seine Kosten in Umlauf gesetzt, Vortheil zu ziehen. »Der springende Dominie, wahrhaftig!« fuhr er fort, »als ob nicht jeder Mensch laufen würde, um sein Leben zu retten! Ihr habt gesehen, wie es mit dem Fluß war, als er einmal anfing aufzugehen, und wißt, daß mein Entkommen ein halbes Wunder war. Ich verdiene so viel Ruhm und Lob wegen dieses Rückzugs, Knabe, als Xenophon wegen seines Rückzugs mit den Zehntausenden. Es ist wahr, ich hatte keinen Rückzug von vierunddreißigtausend sechshundert und fünfzig Stadien auszuführen; aber man muß die Thaten mehr nach der Qualität als nach der Quantität schätzen. Die besten Sachen geschehen meist so zu sagen aus dem Stegreif; und in der Regel auf einem beschränkteren Feld und in kleinerem Maßstab. Dann was All das betrifft, was Ihr mir von Guert erzählt, – ha, das Mensch kannte ihn, – mußte ihn kennen in einer Stadt wie Albany, wo der Bursche in einem Rufe steht, daß alle Arten von Possen und Schelmenstreichen auf seinen Namen kommen. Und dann gar Jack und Moses! Meint Ihr, selbst die Eingebung eines bösen Geistes oder von vierzigtausend Teufeln würde eine Wahrsagerin auf den Gedanken bringen, ein Pferd Moses zu nennen? Jack möchte vielleicht noch angehen; aber Moses würde nie selbst einem Kobold in Kopf kommen! Bedenkt, Junge, Moses war der große Gesetzgeber der Juden; und eine solche Kreatur könnte sich ebenso leicht einfallen lassen, ein Pferd heiße Confucius, als daß sie auf den Gedanken kommen könnte, es heiße Moses!«

»Ich meine, die Eingebung oder Inspiration, wie Ihr es nennt, Sir, würde eine geschickte Wahrsagerin befähigen, die Dinge so zu geben und zu nennen, wie sie sind und wie sie heißen; und die Pferde mit ihren wirklichen Namen zu nennen, welcher Art immer diese seyn mögen.«

»Ja, eine solche Inspiration, wie sie dieser erbärmlichen, alten, runzligen, unverschämten Teufelin zu Theil wird! Sprecht mir nicht weiter davon, Corny; es gibt Nichts dergleichen, wie Wahrsagerkunst; wenigstens Nichts, auf das man sich in allen Fällen verlassen kann, – und diese hier ist eben der helle, baare Betrug. ›Der springende Dominie!‹ ei wahrhaftig!«

Dieß waren des Hochwürdigen Mr. Worden's Ansichten und Empfindungen über die Offenbarungen der Mutter Doortje. Er verlangte von uns Allen eine feierliche Zusage, Nichts von der Sache kund werden zu lassen, auch waren wir von selbst schon nicht eben geneigt, Etwas auszuplaudern. Was jedoch Guert, Dirck, Jason und mich betraf, so trugen wir kein Bedenken, unter uns über die nähern Umstände unserer Besuche uns zu besprechen, und wir sahen insgesammt die Sache in einem etwas andern Lichte an als unser Mentor. Ich gewann die Ueberzeugung, daß Jason vergnügt war über das, was ihm geweissagt worden; denn ihm war Reichthum, nach seinen Begriffen und seinem Maßstab, als sein Loos geweissagt worden, und mit dem Glück, sey es nur ein in Aussicht stehendes oder in Wirklichkeit, ist der Mensch selten unzufrieden. Dirck, obwohl erst zwanzig Jahre alt, begann von dieser Zeit an davon zu sprechen, daß er ledig bleiben werde; und kein Auslachen von meiner Seite konnte den armen Jungen dahin bringen, seine Ansichten zu ändern oder bessere Hoffnungen zu fassen. Auf Guert hatte der Vorfall, wie gesagt, tiefen Eindruck gemacht; und da er in dieser Sache, was ihn selbst betraf, sich keinen Zwang glaubte auferlegen zu müssen, ergriff er die Gelegenheit, von seinem Besuche bei dem Weibe zu sprechen an einem Morgen, als Herman Mordaunt, die beiden Ladies, Bulstrode und ich bei einander saßen, und in der Ungezwungenheit eines jetzt ganz vertraulichen und täglichen Verkehrs zusammen plauderten.

»Sind derlei Dinge wie Wahrsagereien in England auch bekannt; Mr. Bulstrode?« fragte Guert auf einmal, und heftete zugleich, wie er diese Frage that, sein Auge auf Mary Wallace, denn mit ihr waren zu der Zeit seine Gedanken beschäftigt.

»Alle Arten von einfältigen Dingen finden sich in Alt-England, Mr. Ten Eyck, ebenso wie auch manches Kluge und Vernünftige. Ich glaube London hat eine oder ein paar Wahrsagerinnen; und ich meine von älteren Leuten gehört zu haben, die Mode sich bei ihnen Raths zu erholen habe etwas zugenommen, seit der Hof so deutsch geworden ist.«

»Ja,« versetzte Guert unschuldig, »ich finde das auch leicht glaublich; denn es ist eine allgemeine Annahme unter unserem Volke, daß die deutschen und niederländischen Wahrsagerinnen die bekanntesten seyen. Man hat in Neu-England Hexen gehabt oder zu haben behauptet; aber Niemand hier herum glaubt diesem Vorgeben. Es ist wie all das Aufschneiden dieser prahlerischen Yankees!«

Ich bemerkte, daß der Mary Wallace Antlitz dunkelroth wurde, und daß sie, einen Faden abbeißend, die Gelegenheit benützte, ihr Angesicht so wegzuwenden, daß Bulstrode namentlich es nicht sehen konnte.

»Der Sinn von all dem ist,« versetzte Major Bulstrode, »daß unser Freund Guert der Mutter Doortje einen Besuch abgestattet hat, einer Frau von einiger Bedeutung, welche auf dem Berg wohnt, und unter diesen guten Albaniern in der genannten Beziehung einiges Ansehen genießt. Einige von unserer Regimentstischgesellschaft haben das alte Weib auch aufgesucht.«

»So ist es, Mr. Bulstrode,« versetzte Guert in seiner männlichen Art, und mit einem Ernst, welcher zeigte, wie hoch er die Sache nahm. »Ich habe Mutter Doortje besucht, zum ersten Mal in meinem Leben, und Corny Littlepage hier begleitete mich. So lang ich auch schon das Weib dem Namen nach kenne, habe ich doch nie ein neugieriges Verlangen empfunden, ihr einen Besuch zu machen, bis dieses Frühjahr. Wir sind nun dort gewesen; und ich muß sagen, ich bin höchlich erstaunt über den Umfang der Kenntnisse und des Wissens dieser ganz ausserordentlichen Person.«

»Hat sie Euch gesagt, Ihr sollet in dem Topf für das Eingemachte den verlornen Löffel suchen, Mr. Ten Eyck?« erkundigte sich Anneke mit einer boshaften Schalkhaftigkeit im Auge und Stimme, welche mir selbst das Blut vor Verwirrung ins Gesicht trieb. »Man sagt, die Wahrsagerinnen schicken alle vorsichtigen aber vergeßlichen Hausfrauen an den Topf für das Eingemachte, um dort die verlornen Löffel zu suchen! Viele, höre ich, sind schon gefunden worden in Folge dieser wunderbaren Hellsicht.«

»Nun, Miß Anneke, ich sehe Ihr habt keinen Glauben,« versetzte Guert, unruhig auf seinem Stuhle herumrückend, »und Leute die keinen Glauben haben, sind nicht zu überzeugen. Trotzdem setze ich so viel Vertrauen in das, was Doortje mir gesagt hat, daß ich im Sinn habe, ihrem Rathe zu folgen, mag dabei herauskommen, was da will.«

Hier hob Mary Wallace ihre ernsten, vollen, blauen Augen empor gegen das Angesicht des jungen Mannes, und sie drückte eine lebhafte Theilnahme mehr als nur oberflächliche Neugier aus, welche zu verbergen sie bei all ihrem weiblichen Takt und ihrem weiblichen Zartgefühl nicht stark genug war. Dennoch sprach Mary Wallace Nichts, sondern überließ den andern Anwesenden die Weiterführung des Gesprächs.

»Natürlich werdet Ihr uns doch Alles gerne erzählen, Ten Eyck,« rief der Major; »nichts macht leicht so großes Glück bei einer Zuhörerschaft wie eine gute Geschichte von Hexen oder irgend etwas so Wunderbarem, daß wir, ehe wir ihm Glauben schenken, unserem gesunden Verstande Gewalt anthun müssen.«

»Entschuldigt mich, Mr. Bulstrode, das sind Dinge, die ich nicht wohl berühren kann, obwohl Corny Littlepage mir bezeugen wird, daß Alles sehr wunderbar ist. Jedenfalls werde ich dieß Frühjahr ins Buschland gehen, und da Littlepage und Follock vortreffliche Genossen sind, gedenke ich mich ihnen anzuschließen. Es wird spät werden, bis die Armee zum Aufbruch bereit ist, und bis dahin gedenken wir Alle drei uns an Euch anzuschließen vor Ticonderoga, wenn Ihr anders wirklich so weit kommt.«

»Sagt vielmehr vor Montreal; denn ich hoffe, dieser neue Oberbefehlshaber wird Mehr für uns zu thun finden als der vorige. Soll ich eine Schildwache vor Doortje's Haus stellen während Eurer Abwesenheit, Guert?«

Das Lächeln, welches auf diese Frage folgte, war allgemein, denn auch Guert selbst entzog sich bei seiner unbegränzten Gutmüthigkeit demselben nicht. Wenn ich jedoch sagte, das Lächeln sey allgemein gewesen, so hätte ich Mary Wallace ausnehmen sollen, welche an diesem Morgen wenig lächelte. »So werden wir also Nachbarn werden,« bemerkte Herman Mordaunt ruhig; »das heißt, wenn Ihr damit, daß Ihr Corny und Dirck in das Buschland zu begleiten gedenkt, soviel sagen wollt, als Ihr beabsichtigt, sie nach dem vor Kurzem von den Messrs. Littlepage und Van Valkenburgh erworbnen Patentland zu begleiten. Ich habe ein Besitzthum in jener Gegend, das jetzt zehn Jahre alt ist; und diese Ladies haben sich dazu verstanden, mit mir dorthin zu reisen, sobald die Witterung etwas beständiger ist, und ich versichert seyn kann, daß unsre Armee stark genug seyn werde, uns gegen die Franzosen und Indianer zu schützen.«

Ich brauche nicht erst zu sagen, mit welchem Entzücken Guert und ich diese Erklärung vernahmen. Auf Bulstrode jedoch machte sie einen gerade entgegengesetzten Eindruck. Er schien mir nicht überrascht über eine Ankündigung, die uns so neu war, aber einige Ausdrücke entfielen ihm, welche zeigten, daß er keine Ahnung davon hatte, daß die beiden Besitzungen, die Herman Mordaunt's und die uns gehörende so nahe bei einander lagen. Wirklich erfuhr ich erst mittelst seiner Fragen die nähern Umstände des Falles. Es schien hiernach, Herman Mordaunt's Geschäft in Albany bestand darin, einige Vorkehrungen zu treffen hinsichtlich dieses Besitzthums, auf welchem er vor zwei oder drei Jahren Mühlen bauen und einige andere Verbesserungen, wie sie bei neuen Ansiedlungen üblich sind, hatte vornehmen lassen, und welches durch die Fortschritte und Ereignisse des Krieges in größere Nähe von dem Feinde zu kommen schien, als wünschenswerth war. Selbst bei der jetzigen Stellung der Franzosen in Ticonderoga schon konnten seine Mühlen namentlich einigermaßen gefährdet erscheinen, obgleich vierzig oder mehr Meilen davon entfernt, denn Abtheilungen von Wilden, angeführt von Weißen, marschirten oft so weit durch die Wälder, um eine Ansiedlung zu zerstören und einen Beutezug zu machen. Aber der Feind war im vorigen Sommer über den George-See gegangen, und hatte sogar das Fort William Henry, an dessen südlichem Ende, durch Belagerung genommen. Es ist wahr, dieß war die Grenze ihres Einfalles gewesen und man wußte jetzt, daß sie diese kecke Eroberung wieder aufgegeben und sich auf Ty und Crown-Point, zwei der stärksten militärischen Positionen in den britischen Colonien, zurückgezogen hatten. Dennoch war Ravensnest, so hieß Herman Mordaunt's Besitzthum, noch keineswegs ausser dem Bereich von feindlichen Einfällen; und er hatte seinen Aufenthalt in Albany nur deßhalb genommen, um den Gang der Ereignisse in jener Gegend zu beobachten, und dem Schauplatz derselben nahe zu seyn. Wenn er daneben einen Staatsauftrag hatte, so blieb dieser ein tiefes Geheimniß. Eine neue Quelle von Verlegenheiten jedoch hatte sich hervorgethan, und diese war es, die den Besitzer bestimmte, seine Güter persönlich zu besuchen. Die fünfzehn oder zwanzig Familien, welche auf seinem Besitzthum anzusiedeln, ihm mit vieler Mühe und großen Kosten gelungen war, waren ängstlich geworden bei der Aussicht eines in ihrer Nähe stattfindenden Feldzuges, und hatten ihre Absicht kund gegeben, ihre Hütten und Lichtungen zu verlassen, als die den Zeitverhältnissen gemäßeste Handlungsweise. Zwei oder drei waren schon auf und davon gegangen nach den Hampshire Grants, woher sie ursprünglich gekommen, den letzten Schnee benützend; und es stand zu fürchten, daß Andere das Beispiel dieser Vorsicht nachahmen würden.

Herman Mordaunt konnte sich nicht von der Nothwendigkeit überzeugen, die mit so viel Mühe und Kosten errungenen Vortheile über die Wildniß aufzugeben. Die Mühe und Arbeit eines Wegzugs und einer Rückkehr reichte an sich schon hin, den Bewegungen und dem Zuge seiner Ansiedler eine veränderte Richtung zu geben; und da ihre Uebersiedlung in das Land durch seine Thätigkeit bewirkt und durch seine Mittel gefördert und unterstützt worden war, wünschte er natürlich die Leute, welche er mit so großen Schwierigkeiten und Kostenaufwand für sein Gut gewonnen hatte, an ihrem Aufenthaltsorte so lang wenigstens zurückzuhalten, als er es mit der Vorsicht vereinbar hielt. Unter diesen Umständen hatte er daher beschlossen, Ravensnest in Person zu besuchen, und wo nicht den ganzen Sommer, doch einen Theil desselben unter seinen Leuten zuzubringen. Dieß, hoffte er, würde ihnen Vertrauen einflößen, und ihn in Stand setzen, ihre Thätigkeit neu zu beleben. Anneke und Mary Wallace hatten, so schien es, sich geweigert, Mr. Mordaunt allein dahin reisen zu lassen, und im Glauben, es sey keine Gefahr bei seinem Vorhaben, so wie er es beabsichtigte, hatte der Vater und Vormund – denn Mary Wallace war Herman Mordaunt's Mündel, – den dringenden Bitten und Bestürmungen der beiden Mädchen nachgegeben; und es war förmlich festgesetzt worden, daß sie Alle mit einander dahin reisen wollten, sobald die Jahreszeit etwas weiter vorgerückt wäre. Von diesem Vorhaben hatte man die Ansiedler im Voraus benachrichtigt, und die Folge davon war, daß ihre Angst beschwichtigt wurde und sie sich bewogen fanden, auf ihrem Posten zu bleiben.

Ich kann hier wohl auch hinzusetzen, was ich erst später im Verlauf der Ereignisse erfuhr. Bulstrode war mit Herman Mordaunt's Plänen bekannt gemacht worden, da sie geschworene Freunde waren, und der Letztere die Bewerbung des Ersteren lebhaft begünstigte; und er hatte sich diese Nachricht wohl zu Nutze zu machen gewußt. Es war jetzt Zeit, die Truppen in Bewegung zu setzen, und verschiedne Abtheilungen waren schon nach dem Norden marschirt und hatten an verschiednen Punkten Posto gefaßt, welche vor dem Beginn des Feldzugs zu besetzen wünschenswerth schien. Unter andern Corps, welche Aufträge dieser Art zu erfüllen hatten, befand sich auch das von Bulstrode befehligte; und er besaß Einfluß genug beim Hauptquartier, um durchzusetzen, daß es nach dem Ravensnest zunächst gelegenen Punkte gesandt wurde, wodurch er den doppelten Vortheil erlangte, es in seiner Gewalt zu haben, die Ladies bei Gelegenheit zu besuchen, während er ihnen zugleich gewissermaßen im Lichte eines Beschützers erscheinen mußte. Meine und Dirck's Absicht, einen Besuch im Norden zu machen, war kein Geheimniß; und man wußte allgemein, daß wir nach Mooseridge gehen wollten, aber wir selbst wußten nicht, daß Herman Mordaunt so ganz in der Nähe von uns eine Besitzung hatte. Und diese Kunde war, wie gesagt, Bulstrode ebenso neu wie mir selbst, wovon ich mich jetzt überzeugte.

Die Kenntniß mancher kleinen Umstände, deren ich so eben erwähnte, erlangte ich erst später zu verschiedenen Zeiten durch Beobachtung und Gespräche. Dennoch wurden die Hauptpunkte schon festgesetzt an dem Morgen, wo Guert von seinem Besuche bei der Wahrsagerin sprach, und zwar auf die genannte Weise. Die Unterredung dauerte eine Stunde und hörte nicht eher auf, als bis alle Anwesenden im Allgemeinen einen Begriff von dem hatten, was die verschiednen Partien während des folgenden Sommers zu unternehmen beabsichtigten.

Es traf sich an diesem Morgen zufällig, daß Bulstrode, Dirck und Guert mit einander weggingen, weil die zwei Letztern ein Pferd ansehen wollten, welches der Erstere eben gekauft hatte, und mich bei den jungen Ladies allein ließen. Sobald die Thüre sich hinter den weggehenden Gliedern unsrer Gesellschaft geschlossen hatte, sah ich ein Lächeln um den schönen Mund Anneke'ns kämpfen, während Mary Wallace fortwährend nachdenklich und ernst, wo nicht traurig blieb.

»Und Ihr waret auch von der Gesellschaft bei der Wahrsagerin, wie es scheint, Mr. Littlepage,« bemerkte Anneke, nachdem sie, wie mich däuchte, mit sich selbst zu Rathe gegangen, ob es schicklich sey, noch weiter auf den Gegenstand einzugehen. »Ich wußte, daß es eine solche Person in Albany gebe, und daß sparsame Haushälterinnen sie manchmal befragten; aber es war mir unbekannt, daß Männer, Männer von Bildung, ihr diese Ehre erwiesen.«

»Ich glaube, Geschlecht und Gelehrsamkeit begründet keine Ausnahme hinsichtlich ihres Ansehens und Einflusses. Man sagt mir, daß die meisten jüngern Offiziere sie während ihres Aufenthalts hier besuchen.«

»Ich möchte sehr gern wissen, ob Mr. Bulstrode auch einer davon ist? Er ist noch jung genug an Jahren, obwohl er schon einen so hohen Rang hat. Ein Major kann so neugierig seyn als ein Fähnrich, oder, möchte man eigentlich sagen, liebe Mary, als eine Frau, welche ihrer Großmutter Lieblingsdessertlöffel verloren hat.«

Mary Wallace stieß einen leisen Seufzer aus und erhob sogar ihr Auge von ihrer Arbeit; aber sie gab noch immer keine Antwort.

»Ihr seyd streng gegen uns, Anneke,« – denn seit dem Vorfall auf dem Fluß behandelte mich die ganze Familie mit einer Vertraulichkeit, als wäre ich ein Sohn oder ein Bruder – »Ich bilde mir ein, wir haben nicht mehr gethan, als was Mr. Mordaunt in seinen jungen Jahren auch gethan hat.«

»Das mag ganz wahr seyn, Corny, ohne daß deßwegen die Befragung des Weibes etwas sonderlich Kluges und Weises würde. Ich hoffe jedoch, Ihr macht aus Eurem Schicksal kein Geheimniß, sondern laßt Eure Freunde an den Euch gemachten Offenbarungen Theil nehmen.«

»Gegen mich war das Weib keineswegs sehr mittheilsam, aber Guert Ten Eyck behandelte sie besser. In Wahrheit sagte sie ihm viele außerordentliche Dinge, sogar von der Vergangenheit, wenn sie nicht anders schon wußte, Wer er sey.«

»Ist es wahrscheinlich, Mr. Littlepage,« sagte Mary Wallace, »daß irgend eine Person in Albany Guert Ten Eyck, und einen guten Theil seiner frühern Geschichte nicht kennen sollte? Der arme Guert macht sich überall bekannt, wo er ist!«

»Ja, und das oft sehr zu seinem Vortheil!« setzte ich hinzu; eine Bemerkung, die mich Nichts kostete, die aber Mary's Antlitz aufleuchten machte und selbst ihren Lippen ein schwaches Lächeln abgewann. »Das Alles ist wahr; aber doch hatte das Weib etwas Wildes und Unnatürliches in ihrem Wesen, wie sie diese Dinge aussprach!«

»Die Ihr alle für Euch zu behalten gesonnen scheint?« bemerkte Anneke im Ton einer Frage.

»Es ginge kaum an, die Geheimnisse eines Freundes zu verrathen. Laßt Guert selbst für sich antworten; er ist so offen wie der helle Tag, und wird kein Bedenken tragen, Euch Alles wissen zu lassen.«

»Ich wünschte, Corny Littlepage wäre nur so offen wie die Dämmerung.«

»Ich habe Nichts zu verhehlen – und am wenigsten vor Euch, Anneke. Die Wahrsagerin sagte mir, die Königin meines Herzens sey die Königin von nur zu vielen Herzen; der Fluß habe mir nicht geschadet; und ich müsse mich hauptsächlich vor den ›Knights-Barrownights‹, wie sie sich ausdrückte, hüten.«

Ich betrachtete Anneke scharf, während ich ihr diese Warnung von Mutter Doortje berichtete, konnte aber den Ausdruck ihres holden und nachdenklichen Angesichts nicht deuten. Sie lächelte weder, noch runzelte sie die Stirne; wohl aber erröthete sie. Natürlich sah sie mich nicht an, – denn dadurch hätte sie mich zur Beobachtung herausgefordert. Mary Wallace dagegen lächelte, und sie sah mich an.

»Ihr glaubt Alles, was die Hexe Euch gesagt hat, Corny?« sagte Anneke nach einer kurzen Pause. »Ich glaubte, daß die Königin meines Herzens die Königin vieler Herzen sey; daß der Fluß mir nicht geschadet habe – obgleich ich nicht behaupten, noch sehen konnte, daß er mir viel genützt hätte und daß ich viel zu fürchten habe von Knights-Barrownights. Ich glaubte jedoch das Alles, ehe ich überhaupt die Wahrsagerin gesehen hatte.«

Die nächste Bemerkung, welche gemacht wurde, rührte von Anneke her, und betraf – das Wetter. Die gute Jahrszeit kam rasch und erwünscht heran; und es konnte nicht mehr lange anstehen, bis die großen kriegerischen Bewegungen dieses Jahres beginnen mußten. Einige Regimenter waren in den Colonien angekommen; und verschiedne Offiziere von Auszeichnung und Rang hatten sie begleitet. Unter Andern, welche so zum ersten Mal über das atlantische Meer herüber kamen, befand sich mein Lord Howe, ein junger Soldat, von welchem das Gerücht sehr günstig sprach, und von welchem man in dem zu erwartenden Feldzuge des Jahres Großes erwartete. Während wir über diese Dinge schwatzten, trat Herman Mordaunt nach kurzer Abwesenheit wieder ins Zimmer und nahm mich mit sich, um seine Vorkehrungen zum Transport der Ladies nach Ravensnest zu besichtigen. Unterwegs ward das Gespräch fortgesetzt, und ich erfuhr von meinem ältern und einsichtsvollen Begleiter viele Dinge, die mir neu waren.

»Neue Herrn, neue Gesetze, sagt man, Corny,« fuhr Herman Mordaunt fort; »und dieser Mr. Pitt, der große Gemeine, wie ihn manche Leute nennen, ist darauf bedacht, das britische Reich die Wahrheit dieses Grundsatzes fühlen zu lassen. Alles ist in rüstiger Bewegung in den Colonien, und die schläferige Periode von Lord London's Kommando ist vorbei. General Abercrombie, ein Offizier, von welchem man sich Viel verspricht, steht jetzt an der Spitze der Truppen des Königs, und es ist alle Aussicht zu einem lebhaften und höchst wichtigen Feldzug vorhanden. Die schmählichen Unfälle der letzten paar Jahre müssen ausgelöscht und der englische Name auf diesem Continent wieder zu Ehre gebracht und gefürchtet werden. Der Lord Howe, von welchem Anneke sprach, soll ein junger Mann von Verdienst seyn, und das Blut unsrer hannöverschen Monarchen in seinen Adern haben, indem seine Mutter eine natürliche Halbschwester seiner jetzt regierenden Majestät seyn soll.«

Herman Mordaunt sprach jetzt ausführlicher von seinen eignen Plänen für den Sommer, – sprach seine Freude aus, zu vernehmen, daß Dirck und ich seine Nachbarn, wie er sich ausdrückte, werden sollten, – obgleich bei genauerer Berechnung ermittelt wurde, daß die nächsten Grenzen der beiden Patentlande Ravensnest und Mooseridge volle vierzehn Meilen, mit einem dichten, ungelichteten Wald dazwischen, von einander entfernt lagen. Dennoch wurden wir dadurch in einem gewissen Sinne Nachbarn; wie denn Gentlemen immer Leute von ihrer Classe Nachbarn nennen, wenn sie in einer Entfernung wohnen, bei der man sich besuchen oder doch ein oder zwei Mal im Jahre sehen kann. Und solche Menschen sind Nachbarn in dem wesentlichsten und wichtigsten Sinne des Wortes; sie kennen einander besser, verstehen einander besser, sympathisiren besser miteinander und leben zwanzigfach inniger in dem Verkehr miteinander, welcher Einen über Beweggründe, Grundsätze und Charakter richtig urtheilen läßt, als derjenige, der zunächst an der Pforte des Hauses wohnt, aber den Eigenthümer von Haus und Gütern nur in seinen täglichen Geschäften ein- und ausgehen sieht. Es gibt und kann keine größere Abgeschmacktheit geben, als sich einzubilden, die bloße einfache Nachbarschaft, das nahe bei einander Stehen der Wohnungen und Häuser mache die Menschen mit einander bekannt. Das war eine von Jason Newcome's konnektikut'schen Vorstellungen. Weil er in einer Gesellschaft aufgewachsen war, wo Alle auf einem gewissen Fuße von Vertraulichkeit mit einander verkehrten, und wo die Hälfte der Mißstände, welche eintraten, der Kirche angezeigt wurden, bildete er sich immer ein, er kenne die ganze Gentry von Westchester, weil er ein paar Jahre in der Grafschaft gelebt hatte, während er in der That nicht mit Einem unter Zwölfen ein Wort gesprochen hatte. Ich konnte ihm jedoch diese Vorstellung nie aus dem Kopf treiben; denn er blieb dabei, daß, einen Mann oft ansehen oder gelegentlich auf der Straße eine Verbeugung mit ihm tauschen, ihn kennen heiße, oder wie er zu sagen pflegte: »wohl bekannt seyn,« – ein Lieblingsausdruck des Mannes von Danbury; obgleich die beiderseitigen Sympathien, Gewohnheiten, Ansichten und Gefühle eine so ungeheure Kluft zwischen beiden Theilen bildeten, daß sie kaum Einer des Andern Ausdrücke und gewöhnliche Sprache verstanden, wenn sie anfingen mit einander sich zu unterhalten, wie dieß manchmal geschah. Trotz alledem blieb Jason standhaft dabei, er kenne jeden Gentleman in der Grafschaft, von welchem er im Gespräch oft hatte reden gehört, wenn er ihn nur ein oder zwei Mal, auch nur etwa in der Kirche, gesehen hatte. Aber Jason hatte überhaupt sehr schmeichelhafte Vorstellungen von seiner Wichtigkeit und Tüchtigkeit, seinen Kenntnissen und Befähigungen in jeder Hinsicht.

Herman Mordaunt hatte umsichtige Vorkehrungen getroffen für die beabsichtigte Reise; er hatte ein bedecktes Fuhrwerk bauen lassen, welches nicht nur ihn und die Ladies, sondern auch vieles Hausgeräthe und Meubles, deren sie während ihres Aufenthaltes im Waldlande benöthigt seyn würden, transportiren konnte. Ein zweites Fuhrwerk, stark, geräumig und bedeckt, wurde auch für die Schwarzen und weitern Effekten gefertigt. Er zeigte mir alle diese Vorbereitungen mit großer Genugthuung und verweilte bei der Zärtlichkeit und dem Muth der Mädchen mit einem Vergnügen, welches er nicht zu verbergen sich bemühte. Was mich betrifft, so bin ich immer der Meinung gewesen, Anneke sey bei Fassung ihres kecken Entschlusses einzig und allein durch ihre reine, natürliche kindliche Liebe geleitet worden; während ihr Vater von der geheimen Hoffnung beherrscht war, die Reise würde Gelegenheit geben, während des größten Theils des Sommers Besuche und Mittheilungen von Bulstrode zu empfangen. Ich lobte die getroffenen Vorkehrungen, machte selbst auch ein paar Vorschläge in Betreff Anneke'ns und Mary's, und dann begaben wir uns Jeder nach Hause.

Ein paar Tage nach diesem Besuch in den Werkstätten und nach dem berichteten Gespräche trat das –te Regiment seinen Marsch nach dem Norden an. Die Truppen defilirten durch die engen Straßen in der Nähe der Lagerbaracken eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, und ein langer Zug von Bagagewagen ging voraus und folgte ihnen. Sie marschirten jedoch ohne Zelte, da Jedermann wußte, daß sie in eine Gegend zogen, wo das Beil jederzeit Tausenden von Männern ein Obdach schaffen konnte in ungefähr derselben Zeit, in welcher ein Lager ausgesteckt und die Leinwandzelte ausgespannt werden konnten. Hütten zimmern war die gewöhnliche Art und Weise, ein Heer in einem Wald unter Dach zu bringen, und mit etwa zwölf Märschen konnte das Bataillon den Punkt erreichen, wo es stehen bleiben sollte, zur Unterstützung von zwei oder drei andern noch weiter vorgerückten Corps, und um die Verbindungslinien offen zu erhalten.

Bulstrode jedoch verließ Albany nicht zugleich mit seinem Regiment. Ich war mit Guert und Dirck eingeladen worden, an diesem Morgen bei Herman Mordaunt zu frühstücken; und als wir uns der Thüre näherten, sah ich den Reitknecht des Majors sein eigenes und seines Gebieters Pferd in der Straße nahebei auf und ab führen. Dieß war ein Zeichen, daß wir beim Frühstück das Vergnügen von Bulstrode's Gesellschaft haben würden. Wirklich trafen wir ihn auch, als wir in das Zimmer traten, in der Uniform eines Offiziers seines Ranges, im Begriff einen Marsch in die Wälder von Amerika anzutreten. Er schien mir schwermüthig, als stimmte ihn der Abschied traurig; aber meine eifersüchtigste Beobachtung vermochte kein Anzeichen eines ähnlichen Gefühls auf Seiten Anneke'ns zu entdecken. Sie war nicht ganz so munter wie gewöhnlich, aber sie war weit entfernt von Traurigkeit.

»Ich verlasse Euch Ladies mit dem tiefsten Bedauern,« sagte Bulstrode am Frühstücktisch, »denn Ihr habt mir dieß Land zu mehr als einer Heimath –Ihr habt es mir lieb und theuer gemacht.«

Er sagte dieß mit Gefühl; mit mehr Gefühl als ich je früher Bulstrode hatte an den Tag legen sehen, und mehr als ich ihm überhaupt zugetraut hätte. Anneke erröthete ein wenig, aber kein Zittern war an der kleinen Hand bemerkbar, welche gerade in diesem Augenblick einen zierlich gearbeiteten kleinen Theekrug über eine Tasse eingießend hielt.<7p>

»Wir werden uns bald wieder treffen, Harry,« bemerkte Herman Mordaunt im Tone warmer Freundschaft und Neigung; »denn unsere Gesellschaft wird Euch in weniger als acht Tagen folgen. Vergeßt nicht, wir werden gute Nachbarn, nicht bloß Nachbarn, seyn; und wenn der Berg nicht zu Mahomed kommen will, so muß Mahomed zum Berge gehen.«

»Das heißt, Mr. Bulstrode,« sagte Mary Wallace mit dem ihr eigenen süßen Lächeln, so offen und natürlich wie die Kindheit selbst, »daß Ihr Mahomed seyd, und wir der Berg. Ladies können in einer Wildniß nie mit Behaglichkeit reisen, noch auch schicklicherweise ein Lager besuchen, wenn sie auch wollten.«

»Man sagt mir, ich werde gar nicht in ein Zeltlager kommen,« antwortete der Soldat, »sondern in gute, bequeme, hölzerne Baracken, welche für uns gebaut worden sind von dem Bataillon, das wir ablösen. Ich bin nicht ohne Hoffnung, sie seyen so, daß selbst Damen im vorkommenden Fall nicht verschmähen dürften, sich ihrer zu bedienen. Es sollte kein Mahomed seyn und kein Berg zwischen so alten und vertrauten Freunden.«

Die Unterhaltung ging jetzt über auf die Pläne und Erwartungen der verschiedenen Partien, und die gewöhnlichen Versprechungen wurden gemacht, fleißigen Umgang und gute Nachbarschaft zu halten, gemäß den erhaltenen Einladungen und Aufforderungen. Herman Mordaunt's Wunsch, Bulstrode als zu seiner Familie gehörig zu betrachten, war unverkennbar, – und diese Gesinnung mochte sich vor der Welt auf die zwischen ihnen bestehende Blutsverwandtschaft berufen; für mich aber war es leicht einzusehen, daß sie ihren Grund in etwas ganz Anderem hatte. Als Bulstrode aufstand, um Abschied zu nehmen, wünschte ich mich weg, um nicht Zeuge der bekümmerten Theilnahme seyn zu müssen, die ihn begleitete; während der Wunsch, den Eindruck des Abschieds auf Anneke zu beobachten, mich gleichsam im Boden hätte wurzeln machen, wenn es auch schicklich gewesen wäre, daß ich mich entfernt hätte. Bulstrode war gerührter, als ich mir möglich gedacht hätte. Er nahm eine Hand Herman Mordaunt's in die seinige und preßte sie mit Wärme einige Zeit, ehe er überhaupt sprechen konnte.

»Nur Gott weiß, was dieser Sommer bringen wird, und ob wir uns je wiedersehen werden oder nicht,« sagte er dann; »aber komme, was da will, die Vergangenheit, die glückliche Vergangenheit ist und bleibt denn doch der schaalen Alltäglichkeit abgewonnen. Wenn Ihr nichts mehr von mir hört, mein lieber Verwandter, so werden meine Briefe nach England Euch einen bessern Beweis meiner Dankbarkeit an die Hand geben, als irgend Etwas, das ich mit Worten aussprechen könnte. Sie sind geschrieben worden, so wie mir Eure Güte und Freundlichkeit zu Theil wurde; und sie schildern treu die Gefühle, welche Eure Gastlichkeit und Freundschaft in mir erweckte. Für einen möglichen und denkbaren Fall habe ich gebeten, daß sie alle nach Amerika geschickt werden, um von Euch insbesondere gelesen zu werden –«

»Nein, mein lieber Harry, das heißt das Allerschlimmste vermuthen,« unterbrach ihn Herman Mordaunt, eine Thräne aus dem Auge blinzelnd, »und es heißt dieß, eine sehr kurze Trennung als ernsthaftere Sache nehmen, als billig –«

»Nein, Sir, ein Soldat, der im Begriff steht einen Posten einzunehmen, wo es leicht zum Kampf mit dem Feinde kommen mag, kann nie mit Zuversicht von Trennungen sprechen, die nur kurz seyn werden. Dieser Feldzug wird für mich entscheidend seyn,« – hier warf er einen Blick auf Anneke – »ich muß als Sieger in Einem Sinne zurückkommen, oder ich wünsche mir gar nicht zurück zu kehren. Aber Gott segne Euch, Herman Mordaunt, wie Eure eignen Landsleute Euch nennen; tausend Jahre könnten nicht aus meinem Herzen die Erinnerung an alle Eure Güte auslöschen.«

Dieß war gut ausgedrückt, und die Art, wie es vorgetragen wurde, war ebenso gut als die Sprache. Bulstrode zögerte einen Augenblick – sah die beiden Mädchen zweifelhaft an, – und näherte sich zuerst Mary Wallace.

»Adieu, meine vortreffliche Mary Wallace,« sagte er, ihre dargebotene Hand ergreifend, und sie küssend, aber ohne tiefere Gemüthsbewegung, so daß man wohl sah, daß nur Freundschaft und Achtung ihn dabei leiteten. »Ich glaube Ihr seyd eine strenge Kritikerin über Cato's und Scrub's; aber ich verzeihe Euch alle Eure kleinen Ausstellungen und Verlästerungen in Betracht Eurer Milde und Rechtschaffenheit im Ganzen. Ihr könnt tausend bloßen Bekannten begegnen, ehe Ihr wieder Einen findet, der dieselbe tiefe Verehrung für Eure viele Tugenden hegt, wie ich.«

Auch dieß war gut gesagt; und es hatte zur Folge, daß Mary Wallace ihr Taschentuch vom Auge wegnahm und ihm mit einiger Bewegung ein herzliches Lebewohl sagte. Die Fremden sagen, unsre Frauen seyen ohne Gefühl, ohne Leidenschaft; oder wenn sie auch beides besitzen, so sey es verschleiert durch eine Maske von Kälte, welche alle Liebenswürdigkeit und Wärme wegnehme; sie seyen kindisch und vertraulich, wo sie lieber zurückhaltend seyn sollten; und fremd und gezwungen, wo Gefühl und Natur ihr Recht behaupten sollten. Daß sie weniger Benehmen und Manier haben in jeder Hinsicht, in der Selbstbeherrschung und vielleicht auch in der Selbstachtung, in ihrem gewöhnlichen Umgang und Verkehr, und bei ihrem Repräsentiren und Rollenspielen, wo es einmal nöthig scheinen mag, das ist, glaube ich, wahr; aber Wer einem amerikanischen Mädchen das Herz abspricht, der kennt sie eben ganz und gar nicht. Sie ist ganz Herz, und die anscheinende Kälte ist öfter die Folge davon, daß sie ihren Gefühlen mißtraut, sie nicht zu äußern wagt, und von ihrer Abneigung gegen alles Gemachte und Erkünstelte überhaupt, als von einem Mangel an zarter und tiefer Empfindung. Zwei Mädchen jedoch von einer Bildung, wie sie Anneke und Mary Wallace genossen, mußten sich natürlich bei einer solchen Scene besser benehmen, als solche, welche weniger an die Bräuche des verfeinerten Lebens, die immer mehr oder weniger konventionell sind, gewohnt gewesen wären.

Im gegenwärtigen Fall war Mary Wallace lebhaft ergriffen; es wäre bei einem so weichen und warmfühlenden Wesen wie sie nicht anders denkbar gewesen, wenn ein angenehmer Gesellschafter, ein Mann, mit dem sie seit etwa zwei Jahren genau bekannt war, von ihr Abschied nahm, um einen Zug anzutreten, der wie er selbst glaubte, oder wenigstens zu glauben so glücklich die Miene annahm, den traurigsten Ausgang haben konnte. Sie schüttelte mit Bulstrode aufs wärmste die Hände, wünschte ihm gutes Glück und alles mögliche Gute und Angenehme; dankte ihm für seine gute Meinung, und sprach ihre Hoffnung und ihren festen Glauben aus, sie würden Alle wieder zusammenkommen vor Ablauf des Sommers, und wieder Eins in des Andern Gesellschaft vergnügt seyn. –

Nun kam die Reihe an Anneke. Sie hatte ihr Taschentuch vor den Augen, und als sie es wegnahm, war das Angesicht blaß und die Wangen mit Thränen bedeckt. Das Lächeln, welches folgte, war die Holdseligkeit selbst; und ich will es gestehen, es verursachte mir arge Herzstiche. Zu meinem Erstaunen sagte Bulstrode Nichts. Er ergriff Anneke'ns Hand, drückte sie an sein Herz, küßte sie, ließ ein Billet darin zurück, verbeugte sich und trat weg. Ich schämte mich, das Gesicht der Miß Mordaunt unter solchen Umständen zu beobachten, und wandte mich beiseite, damit nicht lauernde Blicke die Verlegenheit und Beklemmung noch steigerten, welche sie sichtlich empfand. Dennoch sah ich genug, um mich ungewisser und zweifelhafter als je zu machen hinsichtlich des Erfolgs meiner eigenen Bewerbung. Anneke hatte die Farbe mehr als einmal gewechselt, als Bulstrode neben ihr stand und seine stumme Rolle des Abschiednehmens durchspielte, und mir schien sie noch weit bewegter, als Mary Wallace gewesen war; dennoch waren ihre Gefühle immer lebhafter und schärfer als die ihrer Freundin; und was meine eifersüchtige Aengstlichkeit, die Rührung der zärtlichen Neigung nahm, konnte auch wohl Nichts weiter seyn, als gewöhnliches weibliches Gefühl und Freundschaft. Zudem war Bulstrode wirklich ihr Verwandter.

Wir Männer begleiteten Alle Bulstrode hinaus, wo er sein Pferd bestieg. Er schüttelte uns herzlich die Hand; und nachdem er im Sattel saß, sagte er: »Dieser Sommer wird heißer werden als gewöhnlich, selbst in Eurem gemäßigten Klima. Meine Briefe von Haus geben mir Grund zu glauben, daß endlich ein Mann von Talenten an der Spitze der Geschäfte steht und daß das britische Reich bis an seine äußersten Enden den von ihm ausgehenden belebenden Anstoß ohne Zweifel fühlen wird. Ich erwarte, daß Ihr drei jungen Männer als Freiwillige Euch dem –ten Regiment anschließen werdet, sobald Ihr von unserm weitern Vorrücken hört. Ich wünschte, ich hätte tausend Solche wie Ihr seyd; denn die Geschichte auf dem Fluß zeigt, wo für den Fall der Noth Männer zu finden sind. Gott segne Euch, Corny!« und dabei lehnte er sich im Sattel vor, um mir noch einmal die Hand zu schütteln; »wir müssen Freunde bleiben, coûte que coûte

Dieser Offenherzigkeit und solcher Gutmüthigkeit ließ sich nicht widerstehen. Wir schüttelten uns aufs herzlichste die Hände, Bulstrode lüftete seinen Hut und verbeugte sich, und dann ritt er fort, wie mir schien in sehr langsamem Schritt, nachdenklich und mit innerm Widerstreben. Trotz seiner Freundlichkeit und Herzlichkeit beim Abschied hatte ich doch mehr Grund als je, zu beklagen, daß Bulstrode unter uns erschienen war; und die Scenen dieses Morgens bestärkten mich nur in einem schon früher gefaßten Entschlusse, Anneke'n zu keiner Entscheidung meines Schicksals in einem Augenblicke zu drängen, wo, meinem Gefühl nach, die Gefahr so groß war, sie möchte ungünstig ausfallen.


 << zurück weiter >>