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Dreizehntes Kapitel.

Ihr Herrn, es ist bewiesen schon, daß Ihr
Viel mehr nicht seyd als lügenhafte Schelme,
Und binnen Kurzem wird man's nah' zu glauben.
Dagberry.

Die plötzliche Erscheinung des Stadt-Constable's, eines Beamten, dessen Person den Meisten von der Gesellschaft nicht unbekannt war, brachte alle am Tisch Anwesenden auf die Beine, den Hochwürdigen Mr. Worden, Dirck und mich miteingeschlossen. Ich für meinen Theil sah keinen sonderlichen Anlaß zur Besorgniß, obwohl mir sogleich einfiel, dieser Besuch dürfte wohl Bezug haben auf das erbeutete Nachtessen, da das Gesetz nicht in allen Fällen Einem erlaubt, sogar sein Eigenthum durch Täuschung und Gewalt wieder an sich zu bringen. Was den Constable selbst betrifft, einen kleinen, gedrungenen, stumpfnasigen, ächt holländisch gebauten Mann, der das Englische sprach, wie wenn es ihm in der Natur zuwider wäre, so war er der Kaltblütigste von der ganzen Gesellschaft.

»Nun, Mr. Guert,« sagte er mit einer Art von gutmüthig gebieterischem Brummen, »da muß ich schon wieder kommen! Mr. Mayor würde sich glücklich schätzen, Euch zu sehen, und den Dominie, der in Eurer Gesellschaft ist, und den Gentleman, der die Rolle des Küsters spielte, als er der alten Doortje, Mr. Mayors Köchin, die Ermahnung ertheilte.«

Mr. Mayors Köchin! da kam also das Geheimniß heraus, wie es mit der Rache und Vergeltung stand! Guert hatte nicht sein eigenes geraubtes Nachtessen wieder in Besitz genommen, das, einmal in die Hände der Philister gefallen, hoffnungslos dahin war; sondern er hatte in der That gestohlen und verzehrt das Nachtessen, welches zubereitet war für den Mayor von Albany, Peter Cuyler, einen Mann von Ansehen und Geltung in jeder Beziehung; einen Beamten, welcher seit unvordenklicher Zeit diesen Posten bekleidete; – die Lampe war das Symbol der Autorität, und nicht das Zeichen einer Schenke oder eines Speisehauses; – das Nachtessen war überdieß nicht für Einen Mann, oder Eine Familie zubereitet, sondern ganz gewiß zur anständigen Bewirthung einer trefflichen Gesellschaft bestimmt gewesen; fünfzehn kräftige Männer hatten zuerst ihren Hunger daran gestillt, und die Ueberbleibsel wurden in diesem Augenblick bearbeitet von einem Halbdutzend großmäuliger, glänzender Negergesichter in der Küche! Unter solchen Umständen sah ich den Hochwürdigen Mr. Worden forschend an – und ebenso bedenklich sah der Hochwürdige Mr. Worden mich an. Dem Anschein nach gab es jedoch hier keine Abhülfe; aber nach einer kurzen Berathung mit Guert nahmen wir, die Vorgeladenen, unsere Hüte, und folgten Dogberry nach der Residenz des Mr. Mayors.

»Ihr dürft Euch keine Sorge machen, Gentlemen, wegen dieser kleinen Unterbrechung unserer Lustbarkeit,« sagte Guert, zwischen Mr. Worden und mich sich eindrängend, während wir unseres Weges gingen, »denn dergleichen Dinge kommen bei uns sehr häufig vor. Ihr seyd, wißt Ihr, unter allen Umständen unschuldig, da Ihr glaubtet, das Nachtessen sey unser eigenes – durch unmittelbare Selbsthülfe wieder erobert, statt zu der schäbigen Saumseligkeit des Gesetzes unsere Zuflucht zu nehmen.«

»Und Wessen Nachtessen, Sir, mag denn das gewesen seyn, das wir so eben verzehrt haben?« fragte Mr. Worden.

»Nun, es kann jetzt Nichts schaden, wenn ich die Wahrheit sage, Dominie; und ich will daher bekennen, es gehörte rechtlicher Weise dem Mr. Mayor Cuyler. Es hat jedoch keine große Gefahr damit, wie Ihr sehen werdet, wenn ich Euch die Sache erkläre. Ihr müßt wissen, daß des Mayors Frau eine Schuyler war und daß meine Mutter etwas von diesem Blut in ihren Adern hat, und daß wir in Albany die Vettern zählen so weit man sehen kann. Es heißt daher nur, auf eine von dem Gewöhnlichen etwas abweichende Art mit seinen Verwandten zu Nacht essen, wie Ihr einsehen werdet, Gentlemen!«

»Habt Ihr in dieser Sache redlich gegen mich und Mr. Littlepage gehandelt, Sir?« fragte Mr. Worden etwas finster. »Ich konnte ganz schicklicher Weise einer Köchin eine Ermahnung halten über das achte Gebot, wenn diese Köchin zu einer Gesellschaft gehörte, welche Euch Euer Nachtessen geraubt hatte; aber wie soll ich Sr. Ehren, dem Mr. Mayor antworten auf die Anschuldigung, welche jetzt gegen mich wird erhoben werden? Nicht sowohl wegen meiner selbst, Mr. Guert, bin ich so sehr angefochten und in Sorgen, als um den Ruf und Leumund meines heiligen Amtes, und das dazu noch unter Schülern von den Leydener Schulen!«

»Ueberlaßt Alles mir, überlaßt Alles mir,« antwortete Guert, immer bereit, lieber sich aufzuopfern, als einen Freund in Verlegenheit kommen zu lassen. »Ich bin an solche kleine Vorfälle gewöhnt und will schon für Euch sorgen.«

»Dafür will ich stehen,« bemerkte hiezu der Constable, über seine Schulter einen Blick werfend. »Kein junger Springinsfeld in Albany ist in diesen Dingen besser bewandert als Mr. Guert hier. Wenn irgend Einer seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann, so ist es Mr. Guert. Ja, ja, er versteht sich gewiß vortrefflich auf diese kleinen Sachen.«

Das war in Wahrheit sehr ermuthigend! Unser Genosse war so bekannt wegen seiner tollen und lustigen Streiche, daß selbst der Constable, der ihn gefaßt hatte, ganz zuversichtlich auf seine Gewandtheit zählte, sich aus Verlegenheiten hinauszuhelfen! Ich befürchtete nicht, daß irgend Einer von uns geradezu wegen förmlicher Räuberei würde prozessirt und verurtheilt werden; denn ich wußte, wie weit die Holländer ihre Spässe in dieser Gattung trieben, und wie nachsichtig die Aeltern gegen die Jüngern waren, besonders aber, wie sehr geneigt alle Menschen sind, ein Unternehmen von der Art, wie das, in welches wir verwickelt waren, gelind zu beurtheilen, wenn es mit Gewandtheit und auf eine Lachen erregende Weise durchgeführt worden ist. Dennoch war es kein Spaß, einem Mayor sein Nachtessen zu rauben, da diese Beamten gewöhnlich zu ihrer Würde durch den Probegrad eines Alderman emporsteigen. Guert war nicht frei von unbehaglicher Besorgniß, wie dieß aus einer Frage erhellte, die er auf den Treppen von Mr. Cuyler's Hause und gerade unter dem Licht der amtlichen Lampe an den Constable richtete.

»Wie ist der alte Gentleman diesen Abend, Hans?« fragte der Erstere, mit einiger Unruhe in seinem Wesen. »Ich hoffe, er und seine Gesellschaft haben zu Nacht gegessen?«

»Ha, das ist mehr gefragt, als ich Euch sagen kann, Mr. Guert. Er sah fast so aus, wie damals, als er die Roßdiebe von New-York in seine Hände bekommen, und wie ich ihn sonst nicht leicht gesehen. Es war aber auch gar zu arg, Mr. Guert, mit des Mr. Mayors eignem Nachtessen davon zu laufen! Ich hätte Euch sagen können, Wer Eure Enten und Euer Wildpret hatte.«

»Ich wünsche von ganzem Herzen, Ihr hättet das gethan, Hans! aber wir waren hart im Gedränge und sollten einen fremden Dominie traktiren. Ihr wißt, eine Gesellschaft muß für Gäste gut sorgen.«

»Ja, ja, das begreife ich, und ich kann mir denken, in welchem Gedränge Ihr müßt gewesen seyn, um so Etwas zu thun; aber es war doch gar zu arg. Nun, wir sind Alle jung, ehe wir alt werden – das weiß ja Jedermann.«

Mittlerweile war die Thüre geöffnet worden und wir traten ein. Der Mr. Mayor hatte Befehle ertheilt, wir sollten Alle in das Gesellschaftszimmer geführt werden, wo er, wie ich aus dem, was später erfolgte, schloß, die Absicht hatte, Guert etwas mehr als gewöhnlich zu züchtigen, indem er ihn vor den Augen einer gewissen Person blos stellte. Jeden Falls kann der Leser sich mein Entsetzen vorstellen, als ich fand, daß die Gesellschaft, deren Nachtessen ich so eben hatte verzehren helfen, außer drei oder vier Söhnen und Töchtern des Hauses, aus Herman Mordaunt, Mary Wallace und Anneke bestand! Natürlich wußten Alle, was verübt worden war; aber bis zu unserm Eintritt in das Zimmer wußten nur der Mayor, Wer es gethan hatte. Von Mr. Worden und von mir wußte er selbst auch noch nicht mehr, als was er aus Doortje's Erzählung vom Hergang der Sache erfahren; und die Köchin hatte uns, wie ganz natürlich, als Spitzbuben geschildert, welche sich fälschlich für Geistliche ausgegeben.

Guert war ein durchaus mannhafter Bursche, und er war großmüthig und gerecht genug gegen uns, zuerst in das Gesellschaftszimmer hinein zu treten. Der arme Kerl! ich kann mich selbst jetzt noch nach so langer Zeit ganz in seine Gefühle hinein denken, als sein Auge zuerst auf der Mary Wallace blasses und verstörtes Angesicht fiel. Sie konnten nicht viel weniger peinlich seyn, als die meinigen, wie ich zuerst Anneke'ns flammendes Antlitz erblickte, und den Ausdruck von beleidigtem Schicklichkeitsgefühl, welchen ich im Leuchten ihres befremdeten Auges zu entdecken glaubte!

Mr. Mayor betrachtete sichtlich den Mr. Worden mit Ueberraschung und ebenso auch mich; denn statt Fremder erwartete er vermuthlich zwei jener Missethäter zu finden, deren Gesichter ihm durch verschiedentliche ähnliche spaßhafte Räubereien, im Bereich seiner Jurisdiktion verübt, bekannt waren. Und dann konnte der Umstand, daß Mr. Worden ein wirklicher Dominie war, nicht bezweifelt werden von denjenigen, die ihn so Angesicht gegen Angesicht vor sich stehen sahen, mit allen Zeichen seines heiligen Berufes in Tracht und Wesen.

»Ich glaube, hier muß ein Irrthum obwalten, Constable!« rief Mr. Mayor. »Warum habt Ihr diese zwei fremden Gentlemen zugleich mit Guert Ten Eyck hieher gebracht?«

»Mein Auftrag, Mr. Mayor, lautete: Doortje'ns spitzbübischen Dominie und seinen spitzbübischen Freund hieher zu bringen; und das ist der Eine und dieß ist der Andere.«

»Dieser Gentlemen hat das Aussehen eines wirklichen Geistlichen, und zwar überdieß eines Geistlichen von der Kirche von England.«

»Ja, Mr. Mayor, das ist ganz richtig so. Er wird Euch fünfzehn Minuten fortpredigen, ohne aufzuhören, wenn Ihr ihm einen schwarzen Kirchenrock gebt, und eine Stunde lang beten in einem weißen Hemde.«

»Wollt Ihr mir die Gunst erweisen, Guert Ten Eyck, und mich die Namen der Fremden wissen lassen, welche ich zu empfangen das Vergnügen habe,« sagte der Mayor in etwas gebieterischem Tone.

»Gewiß, Mr. Mayor, gewiß, und mit dem größten Vergnügen. Ich würde das sogleich gethan haben, wären wir von einem Andern, als von dem Stadt-Constable in Euer Haus eingeführt worden. So oft ich diesen Herrn irgendwohin begleite, warte ich immer, um erst meiner Bewillkommnung gewiß zu seyn.«

Guert lachte ziemlich herzhaft bei dieser Anspielung auf seine bekannten Missethaten, während Mr. Cuyler nur lächelte. Ich bemerkte aber, trotz der strengen Maßregeln, zu welchen der Letztere in diesem besondern Falle gegriffen hatte, daß er gegen den Andern nicht unfreundlich gesinnt, und daß unser Freund Guert nicht im buchstäblichen Sinne zu den Räubern gerechnet war, wenn er auch mit uns hieher geführt worden war.

»Dieser hochwürdige Dominie,« fuhr Guert fort, nachdem er ausgelacht, und einen raschen, forschenden Blick auf Mary Wallace zu werfen gewagt hatte, »ist ein Gentleman aus England, welcher übermorgen in der St. Peterskirche predigen soll, Mr. Mayor, auf besondere Einladung des Kaplans; wo wir Alle, wie ich nicht zweifle, sehr erbaut seyn werden; Miß Mary Wallace unter den Uebrigen auch, falls sie ihm die Ehre erweist, dem Gottesdienst anzuwohnen – gut, engelhaft und verzeihend, wie sie, das weiß ich, von Natur ist.«

Diese Rede machte, daß Aller Augen sich auf die junge Lady richteten, deren Antlitz scharlachroth wurde, obwohl sie Nichts darauf erwiederte. Ich war jetzt ganz überzeugt, daß Guert's männliche, offene, zugestandene und aufrichtige Bewunderung das Herz der Mary Wallace gerührt hatte, während ihre Vernunft verdammte, was ihr natürliches Gefühl und ihr Herz ermuthigte, und der Kampf in ihrer Seele war damals und noch lange nachher für mich ein Gegenstand des ernstlichen Studiums und Nachdenkens. Was Anneke betrifft, so schien mir, sie mißbillige dieß etwas unvorsichtige, um nicht zu sagen, unzarte, obwohl indirekte Geständniß seiner Gefühle für seine Geliebte, und sie sehe Guert sogar noch mit größerer Kälte an, als zuvor. Keine von den beiden Ladies jedoch sprach ein Wort. Während dieses Schweigens hatte Mr. Cuyler Muße, sich von seinem Erstaunen zu erholen, über die Entdeckung, daß der Eine seiner Gefangenen wirklich ein Geistlicher war, und zu fragen, Wer denn der Andere sey.

»Dieser Gentleman ist also wirklich ein Geistlicher!« versetzte er. »Ihr habt vergessen, mir den Andern zu nennen, Guert.«

»Das ist Mr. Corny Littlepage, Mr. Mayor – der einzige Sohn des Major Littlepage, von Satanstoe, in West-Chester.«

Der Mayor schien ein wenig verblüfft und war, glaube ich, in einiger Verlegenheit, in welcher Weise er weiter verfahren solle. Der Einfall Guert's in sein Haus übertraf an Keckheit weit Alles der Art, was je früher in Albany vorgekommen war. Es war bei jungen Männern seines Schlages etwas ganz Gewöhnliches, Hühner, Ferkel u. dgl. wegzuschleppen und die Beute zu verzehren; und es waren Fälle vorgekommen, wie ich später erfuhr, wo rivalisirende Parteien dieser Freibeuter von einander zehrten, – so daß man Fälle wußte, wo dieselben Bestandtheile eines Nachtessens zwei oder dreimal den Herrn gewechselt hatten, ehe sie wirklich verspeist wurden, – aber kein Mensch hatte sich, vor diesem Abend, beigehen lassen, einen Einbruch auch nur in dem Hühnerstall des Mayors zu machen, vielweniger die Domänen seiner Köchin anzugreifen. In der ersten Aufwallung seines Zornes hatte Mr. Cuyler den Constable rufen lassen; und da Guert's Club und dessen Zusammenkunftsort wohl bekannt war, weil dieser Beamte schon oft Gelegenheit gehabt hatte, ihn zu besuchen, so begab er sich auch jetzt sogleich dahin. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß einige Ueberlegung den Mayor auf die Ansicht führte, ein lustiger Streich dürfe doch nicht wie eine Missethat behandelt werden; und in den Adern Guert's fließe Etwas vom Blute seiner eignen Gattin. Als er fand, daß zwei respektable Fremde auch in die Sache verwickelt waren, wovon Einer ein wirklicher Geistlicher, ward dieß menschenfreundliche Gefühl in ihm bestärkt, und er änderte jetzt die Art und Weise seines Verfahrens.

»Ihr könnt jetzt wieder nach Hause gehen, Hans,« sagte Mr. Mayor, merklich milder geworden in seinem Ton und Benehmen. »Sollte die Gelegenheit Eure weitern Dienste erheischen, so will ich Euch holen lassen. Jetzt, Gentleman,« fuhr er fort, sobald sich die Thüre hinter dem Constable geschlossen hatte, »will ich Euch überzeugen, daß der alte Peter Cuyler einen Tisch besetzen und seine Freunde sättigen kann, selbst wenn er Guert Ten Eyck zu seinem so nahen Nachbar hat. Miß Wallace, wollt Ihr mir die Ehre gönnen, Euch von mir zu Tische führen zu lassen? Mr. Worden wird Mrs. Cuyler wohlbehalten ebendahin begleiten.«

Auf diesen Wink trat der Missionär mit rascher Lebhaftigkeit vor und führte mit der äußersten Höflichkeit die Mrs. Mayoreß, hinter Mary Wallace, zu Tische. Guert that dasselbe mit einer der jungen Ladies des Hauses; Anneke ward von einem der jungen Männer geführt, und ich nahm die noch übrige junge Lady, die, wie ich vermuthete, auch zur Familie gehörte. Es war ganz offenbar, daß wir eine Gnadenfrist, wo nicht gänzliche Begnadigung erlangt hatten; und wir Alle hielten für das Klügste, so unbefangen als möglich zu scheinen, um nicht die gute Laune des ersten Magistrats der alten Stadt Albany zu stören. Um dem Mr. Mayor Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die verlorene Zeit war von Doortje so gut benützt worden, daß, wie ich einen Blick auf den Tisch warf, mich bedünkte, das Nachtessen, zu welchem ich auf so sonderbare Weise eingeladen worden, sey das bessere von den beiden, welche ich an diesem Abend zu Gesichte bekam. Zum Glück gab es Wildpret in Menge; und mittelst Wachteln, Rebhühnern, Austern, Wildpretpasteten und andern Gerichten der Art hatte die Köchin es möglich gemacht, um zehn Uhr ein ebenso gutes Nachtessen heraufzuschicken, als ursprünglich eines auf neun Uhr in Bereitschaft gehalten worden war.

Ich will nicht behaupten, daß ich mich ganz behaglich gefühlt, als ich, zum zweiten Mal diesen Abend, meinen Sitz am Tische einnahm. Alle jüngern Mitglieder der Gesellschaft machten ausnehmend ernste Gesichter, wie wenn sie unsere Anwesenheit recht gerne entbehren würden; nur die Alten schienen mit einiger Laune auf die seltsame Scene einzugehen. Anneke sah mich nicht einmal an, nach dem ersten staunenden Blick, welchen sie mir bei meinem Eintreten zugeworfen; auch erhob Mary Wallace nicht Einmal ihre Augen gegen Guert, nachdem wir im Speisezimmer angekommen. Aber Mr. Mayor hatte nun einmal beschlossen, die Geschichte wegzulachen; und er und Mr. Worden wurden bald die dicksten Freunde und begannen frei und ungezwungen sich mit einander zu unterhalten.

»Kommt, Vetter Guert,« rief Mr. Mayor, nachdem zwei oder drei Gläser Madeira sein Herz noch mehr erwärmt hatten, »schenkt Euch ein und thut mir Bescheid – wenn Ihr uns nicht lieber eine Dame nennt. Im letzteren Falle werden Alle von Herzen gern auf ihre Gesundheit trinken. Ihr eßt Nichts und müßt desto mehr trinken.«

»Ach, Mr. Mayor, ich habe heute Abend schon eine Dame toastet, und kann keine Andre toasten.«

»Auch nicht, wenn die anwesende Gesellschaft ausgenommen seyn soll, mein Junge?« »Nein, Sir, auch nicht einmal mit dieser Vergünstigung. Ich thue Euch von ganzem Herzen Bescheid, und danke Euch von ganzem Herzen für diese großmüthige Bewirthung, nach meinem eignen tollen Streich; – aber Ihr wißt, Mr. Mayor, wie es bei uns jungen Leuten in Albany ist; wenn unser Stolz betheiligt ist und ein Nachtessen durchaus angeschafft werden muß –«

»Nein, Guert, ich weiß gar Nichts von der Sache, aber ich würde sehr gern Alles erfahren. Erstlich, wie kämet Ihr zu einem solchen Gelüsten, nach dem Nachtessen meiner Köchin? Bildet Ihr Euch ein, es sey besser, als Van Brunt's Köchin es Euch geben könnte?«

»Das Nachtessen von Arent Van Brunt's Köchin war verschwunden – den Berg hinauf gewandert, bilde ich mir ein, unter die Rothröcke; und die Wahrheit zu gestehen, wir mußten Eures haben oder keines. Ich hatte diese Gentlemen eingeladen, den Abend mit uns zuzubringen. Einer unsrer Schwarzen erwähnte zufällig, was hier vorgehe, und die Gastlichkeit verleitete uns zu einem solchen Fehltritt. Weiter war es Nichts, das kann ich Euch versichern, Mr. Mayor.«

»Und so waren Eure gastfreundlichen Gesinnungen Schuld daran, daß Ihr Eure Gäste um ihr Nachtessen arbeiten ließet und sie hinschicket, um der alten Doortje zu predigen, während Ihr meine Enten und mein Wildpret anrichtetet?«

»Verzeihung, Mr. Mayor; Doortje hatte schon angerichtet, ehe sie zu der Predigt ging. Eure Köchin ist zu gut geschult, um ihre Pflicht zu vernachlässigen, gälte es selbst eine Rede des Hochwürdigen Mr. Worden zu hören. Aber diese Gentlemen wurden selbst nicht minder betrogen als das alte Weib; denn sie standen im Wahne, wir jagten unserm eignen verlorenen Gute nach, und wußten nicht, daß Ihr hier wohnet, und sie ließen sich ebenso von mir hinter's Licht führen, wie die alte Doortje selbst. Die Wahrheit verpflichtet mich dieß zu ihrer Rechtfertigung zu bekennen.« Bei diesem offenherzigen Geständniß klärten sich alle Gesichter am Tische auf; und ich bemerkte, daß Anneke selbst ihre Blicke forschend und fragend auf den Redenden richtete, und daß ein Lächeln den ausnehmenden Ernst ihrer holden Züge milderte. Von diesem Augenblick an trat eine sehr merkliche Veränderung in den Gefühlen und in dem Benehmen des jüngern Theils der Gesellschaft ein und die Unterhaltung wurde natürlicher und freier. Gewiß kam es uns sehr zu Statten, daß bekannt wurde, daß wir nicht absichtlich und in knabenhaftem Leichtsinn Antheil genommen hatten an einem frechen, muthwilligen Unternehmen, gerade diese ganz harmlose Familie zu berauben und zu verhöhnen, sondern daß Mr. Worden und ich der Meinung waren, wir seyen nur behülflich, die Sachen wieder zu erlangen, welche von Rechtswegen unsern Wirthen gehörten, und das auf eine Art und Weise, worüber die Gesellschaft, gegen welche wir zu manöuvriren wähnten, sich durchaus nicht zu beklagen das Recht hatte, sofern sie selbst mit ihrem Beispiel vorangegangen. Guert ward ermuthigt, mit weiteren Erläuterungen herauszurücken, was er in der ihm eignen aufrichtigen und ehrlichen Weise that, und in der That dadurch uns von jeder Schuld freisprach, außer von der, daß wir etwas zu sehr aufgelegt zu schalkhaften Streichen waren, für einen Diener der Kirche, und seinen Zögling, der eben seine Reisen angetreten hatte.

Anneke'ns Antlitz erheiterte sich mehr und mehr im Verlaufe der gegebenen Erklärungen; und bald nachdem sie zu Ende waren, wandte sie sich zu mir mit höchst huldvollem und freundlichem Wesen und erkundigte sich nach meiner Mutter. Da ich ihr gerade gegenüber saß, und der Tisch schmal war, konnten wir mit einander sprechen, ohne sonderliche Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen; denn Mr. Mayor und seine andern Gäste weiter unten am Tisch machten fortwährend anständig laute und geräuschvolle Scherze über die Vorfälle des Abends.

»Ihr findet manche Bräuche in Albany, Mr. Littlepage, die uns in New-York nicht bekannt sind,« bemerkte Anneke, nachdem einige einleitende Worte den Weg zu weiterem Gespräche gebahnt hatten.

»Ich weiß nicht recht, Miß Anneke, ob Ihr auf das anspielt, was diesen Abend, oder auf das, was heute Nachmittag vorgefallen ist?« versetzte ich.

»Auf beides, glaube ich,« antwortete Anneke lächelnd, obwohl sie erröthete, wie mir schien, in einer Art von weiblicher Verlegenheit; »denn sicherlich ist das Eine bei uns so wenig der Brauch als das Andere.«

»Ich bin höchst unglücklich gewesen, Miß Mordaunt, in der Art mich zu produziren binnen der wenigen Stunden, welche ich an diesem mir fremden Ort zugebracht habe. Ich fürchte, Ihr seht in mir etwas wenig Besseres als einen großaufgeschossenen Knaben, dem seine Eltern erlaubt haben, die Heimath früher zu verlassen, als er hätte sollen.«

»Das ist Eure Deutung der Sache, nicht die meinige, Mr. Littlepage. Ich vermuthe, Ihr wißt – aber davon wollen wir im andern Zimmer oder zu einer andern Zeit sprechen.«

Ich verstand den Wink und sprach über Tisch nicht mehr von der Sache. Mr. Mayor, vermuthlich in Betracht, daß wir schon den Anforderungen einer andern Mahlzeit an diesem Abend genügt hatten, gestattete uns das Speisezimmer viel früher zu verlassen, als gewöhnlich, und da es schon eine späte Stunde war, brach die ganze Gesellschaft alsbald auf. Ehe wir uns trennten jedoch, näherte sich mir Herman Mordaunt in freundschaftlicher, offener Art, lud mich ein, am andern Tag um acht Uhr zum Frühstück zu ihm in sein Haus zu kommen, und bat sich zugleich das Vergnügen der Begleitung Dirck's aus; die Einladung an Letztern sollte ich überbringen. Ich brauchte kaum zu sagen, mit welcher Freude ich zusagte, und welchen Trost es mir gewährte, auf diese Weise ein Abenteuer ausgehen zu sehen, welches mich eine Weile mit arger Schmach bedroht hatte. Hätte dem Mr. Mayor beliebt, den Handel mit der Entwendung seines ersten Nachtessens in ernster Weise zu verfolgen, so hätten die Folgen davon, obwohl die gesetzliche Ahndung mich schwerlich sehr hart hätte treffen können, doch leicht sehr beschämend für mich werden können; und ich zweifle nicht, sie würden meinem Besuch im Norden ein sehr rasches Ende gemacht haben. So nun fühlte ich mich in meinem Gemüth unsäglich erleichtert, und ich glaube derselbe Fall war es auch mit dem Hochwürdigen Mr. Worden.

»Corny,« sagte dieser Gentleman, nachdem wir Guert gute Nacht gewünscht hatten, und uns unterwegs nach unserm Gasthause befanden, »dieß zweite Nachtessen hat erstaunlich dazu geholfen, das erste zu verdauen. Ich zweifle, ob unser neuer Bekannter hier uns wirklich sehr nützlich werden dürfte.«

»Und doch, Sir, scheint Ihr ausnehmend Geschmack an ihm zu finden, und ich glaubte, Ihr seyet die besten Freunde.«

»Der Bursch gefällt mir auch ganz gut; denn er ist herzlich, offen und gutmüthig; aber es war auch einige Politik dabei im Spiele, daß ich mich auf guten Fuß mit ihm zu stellen suchte. Ich fürchte, Corny, ich habe heute Morgen auf dem Eis die Würde meines heiligen Amtes nicht ganz gewahrt; es ist ausnehmend unpassend für einen Geistlichen, daß man ihn an einem öffentlichen Orte laufen und rennen sieht, wie einen Schulbuben, oder wie einen jungen Laffen in einem Wettlauf. Ich meinte überdieß einen dieser jungen Holländer mich den »Springenden Dominie« nennen zu hören; und so, Alles zusammengenommen, dachte ich, es werde das Klügste seyn, mich mit diesem Guert Ten Eyck auf einen guten Fuß zu stellen.«

»Ich verstehe Eure Politik, Sir, und es kommt mir nicht zu, sie zu bestreiten. Was mich betrifft, so gestehe ich, daß ich ungemeines Wohlgefallen an Guert finde und ihn nicht leicht aufgeben werde, obgleich er mich in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft schon in zwei ernste Verlegenheiten verwickelt hat. Es ist ein herzhafter, gutmüthiger, unbesonnener junger Gesell, der, wie ein ächter Holländer, wenn er einen Anlauf nimmt, das Leben zu genießen, es auch mit ganzem Herzen thut.«

Dann erzählte ich dem Mr. Worden die Geschichte mit dem Handschlitten, und er gab mir jene Art von Trost, dessen man so viel einnimmt, wenn man sich mit dem Ellbogen den Weg bahnt durch diese geschäftige, selbstsüchtige Welt.

»Nun, Corny,« sagte mein alter Lehrer, »ich weiß wahrlich nicht, ob Ihr nicht noch närrischer Euch ausnahmet, wie Ihr von jenem Schlitten herabfloget, als ich, wie ich vor unsern Freunden im Schlitten davonsprang!«

Wir Beide lachten, als wir in das Gasthaus traten; ich um den Aerger zu verhehlen, den ich wirklich empfand, und Mr. Worden, wie ich vermuthe, weil er sich mit der Annahme schmeichelte, ich müsse mich in ebenso lächerlichem Lichte dargestellt haben, wie er.

Am nächsten Morgen begab ich mich zu der frühesten Stunde, welche die Regeln der Gesellschaft gestatteten, nach Herman Mordaunt's Wohnung. Ich fand die Familie im Besitz eines jener holländischen Gebäude, aus welchen Albany zum größten Theile besteht, und welche etwas von der Straße zurückstanden, mit einem winzigen Hofe vorn, dem offenen Sitzplatz am schrägen Dach und den Giebel dem Hofe zugekehrt. Die Hauptmauern dieses Hauses verjüngten sich gegen die hohe Spitze eines sehr steilen Daches zu durch Stufen, wie wir Alle so gewohnt sind, sie zu sehen, und über dem Ganzen schwebte ein eiserner Wetterhahn, der sich auf einer ziemlich hohen eisernen Stange wiegte. Es war immer für die Holländer etwas sehr Wichtiges, zu wissen, woher der Wind wehte; auch vertrug es sich nicht mit ihrer ängstlichen Pünktlichkeit und Genauigkeit, sich auf die gewöhnlichen Anzeichen zu verlassen, die unmittelbare Empfindung an der Haut, die Biegung der Aeste an den Bäumen, die Richtung der Wolken und das Aufsteigen des Rauches; sondern sie mußten und wollten die sichere Gewährleistung einer Maschine haben, welche ausdrücklich zu dem Zweck eingerichtet war, ihnen dieß anzuzeigen. Der Rauch konnte irren, aber ein Wetterhahn nicht!

Niemand war in dem kleinen Gesellschaftszimmer, in welches ich von dem Diener gewiesen wurde, der mir das Haus öffnete, und in welchem ich Herman Mordaunt's ersten Diener, von seinem Gesinde in New-York, erkannte. Wie reizend erschien mir dieß kleine Zimmer in den paar Minuten, welche ich allein darin blieb! Da lag eben der Shawl, welchen Anneke an dem Tage angehabt, wo ich sie auf dem Pinksterfelde traf; und ein Paar Handschuhe, welche zu tragen keine andern Hände als die ihrigen mir klein genug schienen, waren auf den Shawl nachlässig hingeworfen, wie man Dinge der Art in der Eile von sich wirft. Eine Anzahl anderer Artikel lagen da und dort herum, welche die Lebensgewohnheiten und die Gegenwart feingebildeter Frauen verriethen. Aber die Handschuhe zogen am meisten meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich mußte durchaus aufstehen, und sie genauer besichtigen. Es ist wahr, diese Handschuhe konnten auch der Mary Wallace gehören, denn auch sie hatte eine gar hübsche kleine Hand; aber ich bildete mir nun einmal ein, sie gehörten Anneken. In dieser Ueberzeugung hob ich sie auf und führte sie an meinen Mund, und war eben im Begriff, mit überschwänglichem romantischem Gefühle meine Lippen darauf zu pressen, als leichte Schritte im Zimmer mir sagten, daß ich nicht allein war. Ich ließ die Handschuhe fallen, wandte mich um, und erblickte Anneke'n selbst. Sie sah mich mit einem Ausdruck in ihrem Antlitz an, welchen ich mir damals nicht zu deuten wußte, und welchen ich noch jetzt kaum zu beschreiben weiß. Erstlich war ihr holdseliges Gesicht von Erröthen übergossen, während ihr Auge erfüllt war vom Ausdruck sanft gedämpfter Theilnahme, der mein Herz so gewaltig schlagen machte, daß ich nicht anders vermuthete, als es werde durch die Kehle herauf sich drängen. Wie nahe war ich daran, in diesem Augenblick alle meine Gefühle kund zu geben, mich dem lieben, theuern Geschöpf zu Füßen zu werfen, zu gestehen, wie sehr und wie überwältigend sie während des letzten Jahres meine Gedanken im Schlafen wie im Wachen erfüllt und beschäftigt hatte, und sie anzuflehen, meine übrigen Tage dadurch zu segnen, daß sie meine Gattin würde! Nichts verhinderte diese Kühnheit, als die Bemerkung, welche Anneke machte, sobald sie sich in Erwiederung meines verlegenen und linkischen Bücklings verneigt hatte, und welche so lautete:

»Was findet Ihr denn so sehr zu bewundern an der Miß Wallace Handschuhen?« fragte das schalkhafte Mädchen, wie mir schien, sich in die Lippe beißend, um ein Lächeln zu unterdrücken, obgleich ihre Wangen noch immer mit Purpur übergossen waren, und ihr Auge noch immer jenen unbeschreiblichen Ausdruck bezaubernder Sanftheit hatte. »Es ist ein Paar, das mein Vater ihr schenkte, und sie trug sie gestern Abend ihm zu Ehren.«

»Ich bitte um Verzeihung, Miß Mordaunt – Miß Anneke – das heißt – ich bitte um Verzeihung. Haben diese Handschuhe nicht einen ganz köstlichen Geruch an sich – das heißt, ich meinte so, und suchte mich durch Riechen zu vergewissern, was es wohl seyn könnte.«

»Es muß der Lavendel seyn, womit wir jungen Ladies koketter Weise unsere Handschuhe und Taschentücher würzen – oder auch Moschus. Mary ist eine große Freundin von Moschus, während ich Lavendel vorziehe. Aber was wir gestern für einen Abend gehabt haben, Mr. Littlepage! und was für eine Einführung Ihr gehabt habt in Albany! und hauptsächlich, welch einen Ceremonienmeister!«

»Mißfällt Euch denn Guert Ten Eyck als Bekannter, Miß Anneke?«

»Keineswegs. Es ist ganz unmöglich, daß Einem Guert mißfalle; er ist so männlich, so bereit seine Schwächen zu gestehen; so aufrichtig in Allem, was er sagt und thut; so gutmüthig! kurz, er hat so viele Eigenschaften, wie man sie sich, als seine Schwester, nur wünschen möchte, und doch auch so viele, die eine Schwester an ihm bedauern müßte.«

»Ich glaubte gestern Abend zu bemerken, daß alle Ladies Interesse für ihn empfanden, trotz der zahllosen Ausgelassenheiten und Unbesonnenheiten, die er begeht. Ist er nicht in hohen Gunsten bei Miß Wallace?«

Der rasche, ein etwas verletztes Gefühl verrathende Blick, welchen Anneke mir zuwarf, sagte deutlich genug, daß meine Frage unbescheiden war, und sie war nicht sobald über meinen Mund, als ich sie auch schon bereute. Ein Schatten flog über das holdselige Antlitz meiner Gesellschafterin, und es folgte ein Augenblick tiefen, und wie mich bedünken wollte, schmerzlichen Nachsinnens. Dann verbreitete sich aber ein Licht über Alles, ein Lächeln erhellte ihre Züge, worauf ein leichtmüthiges, mädchenhaftes Lachen zeigte, wie lebhaft die in ihrem Innern sich bewegenden Kräfte waren, und wie stark ihre natürliche Hinneigung zu guter Laune und Zufriedenheit.

»Am Ende, Corny Littlepage,« sagte Anneke, ihr Angesicht gegen mich wendend, mit einem unbeschreiblichen Ausdruck, in welchem Schalkhaftigkeit und Gefühl so vermischt waren, daß ich ganz verdutzt darüber war, »müßt Ihr doch zugeben, daß Euer Abenteuer mit dem Handschlitten lächerlich genug war, um einem jungen Manne einige Zeit nachgetragen zu werden.«

»Ich gebe Alles zu, Anneke, und werde mich wohl hüten, an einem fremden Ort mich wieder wie ein Knabe zu benehmen. Es freut mich jedoch zu finden, daß Ihr die närrische Geschichte mit dem Schlitten ernster nehmt, als die mit dem Nachtessen, von welcher ich befürchtete, sie möchte mich in ernste, beschämende Folgen verwickeln.«

»Keine von beiden ist sonderlich ernsthaft, Mr. Littlepage, obwohl die letztere hätte recht verdrießlich werden können, wenn nicht der Mayor die Art und Weise der jungen Männer in der Stadt kennte. Man versichert jedoch, es sey nichts so Keckes in dieser Art je früher in Albany gewagt worden, so groß auch die Freiheiten sind, welche man sich häufig mit des Nachbars Hühnerställen nimmt.«

Und sie lachte, und zwar dießmal ganz natürlich, ohne den mindesten Zwang.

»Ich hoffe, Ihr werdet es nicht schimpflich an mir finden, wenn ich alle Schuld auf den Wildfang und Tollkopf Guert Ten Eyck schieben zu wollen scheine. Er zog mich in die beiden Geschichten hinein, und zwar in die Letztere auf eine Art, daß ich ganz unschuldig und unwissend war.«

»So wurde es angesehen und so mußte es angesehen werden, sobald man erfuhr, daß Guert Ten Eyck in einer Beziehung zu der Sache überhaupt stand.«

»So darf ich denn auf Verzeihung hoffen, Anneke?« sagte ich, eine Hand ihr hinbietend, sie auffordernd sie anzunehmen, als Pfand der Verzeihung.

Anneke war nicht so spröde, daß sie sich geweigert hätte, ihre kleine Hand in die meinige zu legen, obwohl ich nur die äußersten Spitzen von zwei oder drei schlanken, feinen Fingern zu fassen bekam; und ihr Erröthen stieg noch, als sie mir diese Huld gewährte.

»Ihr müßt um Verzeihung bitten, Corny,« versetzte sie, – ich glaube, sie bediente sich jetzt dieses vertraulichen Namens nur um zu zeigen, wie gänzlich sie den kleinen Verdruß vergessen, den sie ganz gewiß über meine ungeschickte Heldenthat auf der Straße empfunden hatte, – »Ihr müßt um Verzeihung bitten bei Denjenigen, die das Recht haben sie zu gewähren. Wenn Corny Littlepage Lust hat, auf einem Schlitten den Berg herunter zu rutschen, welches Recht hat Anneke Mordaunt, es ihm zu wehren?«

»Das beste Recht von der Welt – das Recht der Freundschaft – das Recht eines überlegenen Geistes, einer überlegenen Bildung, das Recht, das meine –«

»Still! das ist der Schritt Mr. Bulstrode's auf dem Gange, und er wird diese Erörterung über meine mannigfachen Rechte nicht verstehen. Es kostet ihm jedoch einige Zeit seine Oberröcke und Pelze und seinen Degen abzulegen, und ich will Euch nur noch sagen, daß Guert Ten Eyck ein gefährlicher Ceremonienmeister für Corny Littlepage ist.«

»Und doch hat er Verstand genug, Gefühl genug, Herz genug, Mary Wallace zu bewundern und zu lieben.«

»Hat er Euch das gesagt, so bald schon? Aber ich brauche das nicht zu fragen, da er ja von seiner Liebe Jedem vorschwatzt, der ihm zuhören mag.«

»Und der Miß Wallace selbst, unter Andern, glaubte ich gewiß. Der Mann, der liebt, und wahrhaft und innig liebt, sollte den Gegenstand seiner Liebe nicht lang irgend in Ungewißheit lassen über seine Gefühle und Absichten. Es ist mir immer, Miß Mordaunt, als eine ganz niedrige und gemeine Gesinnung von einem Mann erschienen, zu wünschen, der Erwiederung seiner Liebe von Seiten einer Frau gewiß zu seyn, ehe er den mannhaften Muth gehabt hat, seiner Angebeteten seine eignen Wünsche zu entdecken. Wie soll ein zartfühlendes, weibliches Geschöpf wissen, wann sie zuversichtlich ihren Gefühlen sich hingeben darf, ohne daß ihr Anbeter zu dieser Offenherzigkeit sich entschlossen hat? Ich will dafür stehen, daß Guert Ten Eyck sich so offen und ehrlich gegen Mary Wallace benommen hat.«

»Das ist ein Verdienst, das ihm nicht bestritten werden kann,« antwortete Anneke in leisem, nachdenklich ernstem Tone. »Mary hat das zu wiederholten Malen aus seinem eignen Munde vernommen. Selbst meine Gegenwart ist kein Hinderniß für seine Erklärungen gewesen, denn dreimal habe ich ihn Mary bitten gehört, ihn als einen Bewerber um ihre Hand zu betrachten, und sie beschwören, über seinen Antrag sich nicht zu entscheiden, bis er längere Zeit Gelegenheit gehabt, sich ihre Achtung zu erwerben.«

»Und, das, Miß Mordaunt, werdet Ihr zugestehen, gereicht ihm zur Ehre, ist männlich und sieht ihm ganz gleich?«

»Allerdings ist es offen und ehrenhaft gehandelt, Mr. Littlepage, weil es die Miß Wallace in Stand setzt, den Zweck und die Absicht seiner Aufmerksamkeiten zu verstehen, und keinen Zweifel, keine Ungewißheit in dieser Hinsicht übrig läßt.«

»Es freut mich, daß Ihr ein solches ehrliches und offenes Benehmen billigt; – obgleich nur noch ein Augenblick mir übrig bleibt, um zu sagen, was ich wünsche, wird es doch genügen, wenn ich hinzusetze, daß die Handlungsweise, welche Guert Ten Eyck gegenüber von Mary Wallace befolgt, Cornelius Littlepage wünschte, gegenüber von Anneke Mordaunt zu befolgen.«

Anneke schrack zusammen, wurde blaß; dann wurden ihre Wangen von Purpur übergossen, und sie sah mich mit scheuer Ueberraschung an. Sie gab keine Antwort; aber der ernste, innige dabei jedoch schüchterne Blick blieb lange Zeit, ja ich darf sagen, er ist mir noch jetzt meiner Erinnerung lebhaft eingeprägt. Er schien Erstaunen, die Betroffenheit eines empfindlichen Gemüths, weibliche Verschämtheit und mädchenhafte Scheue auszudrücken; aber mich bedünkte nicht, daß er Mißfallen zu erkennen gebe. Es war jedoch keine Zeit, um Erklärung zu bitten, denn man hörte jetzt die Stimmen Herman Mordaunt's und Bulstrode's unmittelbar vor der Thüre, und im nächsten Augenblick traten Beide in das Zimmer.


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