Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechszehntes Kapitel.

Von Todesangst an jedem Glied
    Gezerrt, fuhr er empor;
Er hörte nur den Sturm der Nacht,
    Musik war's seinem Ohr.
Lord William.

Dahin fuhren wir! Guert's Ziel waren die Inseln, welche ihn der Heimath näher brachten und zugleich einen Zufluchtsort boten, falls die Gefahr ernstlicher werden sollte. Die ungestüme Schnelligkeit unserer jetzigen Fahrt schloß alles Gespräch und sogar beinahe die Ueberlegung aus. Das Krachen des berstenden Eises jedoch wiederholte sich immer häufiger, und ertönte zuerst von oben und dann auch von unten. Mehr als einmal schien es, als wenn die ungeheure Wucht, die sich offenbar irgendwo in der Nähe von Albany angesammelt hatte, im Begriff stände in Einer wilden Fluth gegen uns herabzustürmen, wo dann der Fluß von einer unwiderstehlichen Strömung Meilen weit von Eis rein gefegt worden wäre. Dennoch setzte Guert seinen Weg fort; erstens weil er wußte, daß es in der Nähe des Punktes, wo wir uns befanden, unmöglich seyn würde, an einem der Hauptufer ans Land zu gelangen, und zweitens weil er, der oft ähnliche Andämmungen des Wassers gesehen, sich einbildete, wir seyen noch nicht ernstlich bedroht. Damit der entfernt wohnende Leser von der Gefahr, in welcher wir schwebten, eine genauere Vorstellung bekomme, dürfte es angemessen seyn, die Oertlichkeit etwas näher zu beschreiben.

Die Ufer des Hudson sind im Allgemeinen hoch und steil und an einigen Stellen sind sie wirklich bergig. Keine der Rede werthen Ebenen erscheinen, bis man sich Albany nähert; und die südlich von dieser Stadt liegenden sind, mit der Größe des Stromes verglichen, auch nicht von großer Ausdehnung. In dieser Hinsicht ist der Mohawk ein ganz anderer Fluß, denn er hat ausgebreitete Ebenen, die, wie man mir gesagt hat, im Kleinen denen des Rheins gleichen. Was den Hudson betrifft, so gilt er allgemein in der Colonie für einen sehr reizenden Fluß; und ich erinnere mich, von sehr verständigen Leuten vom Mutterland zugeben gehört zu haben, daß selbst die majestätische Themse kaum in höherem Grade besucht zu werden verdiene, kaum mehr die Mühe und Neugier des gebildeten Reisenden belohne und befriedige. Diese Bemerkung von Mr. Cornelius Littlepage entlockt vielleicht dem Leser ein Lächeln. Aber wenige Personen von fünfzig Jahren dürften sich finden, welche sich der Zeit nicht mehr erinnern könnten, wo es eine Seltenheit war, irgend etwas Amerikanisches für so gut zu halten als Dasselbe oder etwas Aehnliches in England. Der Amerikaner, der ein Buch schreiben konnte, – ein wirkliches, lebendiges Buch, war eine Art Wunderthier. Ebenso war es mit dem, der ein Bild malen konnte, das über dem alltäglichen Portrait stand. Sogar die Früchte, das Obst, die Naturprodukte der Heimath wurden mit Mißtrauen gewürdigt. Heutzutage tritt in dieser Denkweise ein rascher, gründlicher Wechsel ein. Jetzt ist es Mode und guter Ton, alles Amerikanische zu erheben, und statt wie früher dem Gefühle der Colonial-Abhängigkeit sich beinahe bis zur Selbstwegwerfung hinzugeben, ist heutzutage das Land von der tiefsten provinzialen Selbstbewunderung erfüllt. Es ist zu hoffen, daß die nächste Wandlung uns einigermaßen das Wahre und Rechte bringen werde. Der Herausgeber.

Während in der Nähe von Albany sich Ebenen von einiger Ausdehnung an den Ufern des Hudson finden, bleibt doch die Formation der Umgegend im Ganzen dieselbe, – hoch, kühn, und an einigen Punkten, besonders gegen Norden und Westen, gebirgig. Zwischen diesen Bergen windet sich der Fluß in mäandrischen Krümmungen, sechszig bis achtzig Meilen nördlich über der Stadt hin, und nimmt, während er nach dem Meere hinbraust, tributbare Flüsse auf. Eine kurze Strecke oberhalb Albany verändert sich der Charakter des Flusses gänzlich; bis zu diesem Punkte erstreckt sich die Fluth, macht ihn schiffbar, und die ganze Strecke von der See aufwärts im Sommer leicht zu befahren. Von den tributbaren Flüssen ist der wichtigste der Mohawk, welcher eine große Strecke weit westlich fließt, – wie man mir sagt, denn ich selbst habe diese entlegenen Theile der Colonie nie besucht, – zwischen fruchtbaren Ebenen hin, welche nördlich und südlich von schroffen Hochlanden begrenzt sind. Im Frühjahr nun, wenn die ungeheuern Massen Schnee, welche häufig vier Fuß tief in den Wäldern und in den Gebirgen und Thälern des Innern liegen, plötzlich in Folge der Regen und Südwinde schmelzen, treten nothwendig Ueberschwemmungen ein, welche oft, wie man erfahren hat, großen Schaden angerichtet haben. Die Niederungen am Mohawk werden, so habe ich mir sagen lassen, jährlich unter Wasser gesetzt, und eine mäßige Überschwemmung gilt für segensreich; zuweilen aber verursacht ein Zusammenwirken der genannten Ursachen eine Art Sündfluth, welche einen gerade zu entgegengesetzten Charakter hat. Da werden denn Häuser fortgerissen, und Brücken über die kleineren Bergbäche sind schon, wie man gesehen hat, an den Werften von Albany vorbei geschwommen, ins Meer hinunter. Zu solchen Zeiten bewirkt die Fluth des Meeres keine der des Flusses entgegengesetzte Strömung; denn es ist etwas ganz Gewöhnliches in den ersten Monaten des Frühjahrs, daß der Fluß ganze Wochen lang seiner ganzen Ausdehnung nach, in beständiger Bewegung dem Meere zu ist und man das Wasser bis New-York hinab süß findet.

Dieß war im Allgemeinen die Art und Weise der Drangsal und Gefahr, mit welcher wir so unerwartet in Berührung kamen. Der Winter war streng und der Schnee ungewöhnlich tief gewesen; und während wir wüthend dahinfuhren, fiel mir ein, von meinem Großvater die Prophezeiung außerordentlicher Ueberschwemmungen im Frühjahr gehört zu haben, in Folge des Charakters des Winters, wie wir ihn auch schon vor meiner Abreise von Hause gefunden hatten. Das starke Thauwetter und die heftigen Regengüsse des neulichen Sturmes hatten die gewöhnliche Wirkung herbeigeführt, und die hiedurch sowohl auf den ferneren als auf den nähern Bergen frei gewordenen Gewässer stürzten jetzt in gesammter Macht gegen uns herab. In solchen Fällen ist das Erste, daß das Eis an den Küsten abgelöst wird; und da lokale Ursachen es zwingen, an bestimmten Punkten zu weichen, tritt ein Aufbrechen seines Spiegels ein, und Dämme werden gebildet, welche den Strom in Fluthen auf all das umliegende niedere Land zurückdrängen, dergleichen die Niederungen in der Nähe von Albany waren.

Damals wußten wir das noch nicht; aber in dem Augenblick, wo Guert seine Rappen so zu übernatürlicher Anstrengung antrieb – er jagte sie förmlich wie bei einem Wettrennen, – da war schon eine große Strecke des Hudson gegenüber der Stadt, eine kleine Strecke weit oberhalb, und in beträchtlicher Ausdehnung unterhalb derselben von feststehendem Eise ganz frei. Ungeheure Schollen zwar trieben fortwährend herunter und verstärkten den Damm, der sich unten in der Nähe von Overslaugh und daran gebildet hatte, wo ihm die Inseln als Strebepfeiler dienten und unten aufstand; aber die ganze feste Eisfläche, von wo wir am Morgen ausgefahren waren, war verschwunden! Dieß wußten wir damals noch nicht, sonst hätte sich Guert zu andern Maßregeln entschlossen; aber ich erfuhr es nachher, als ich mich in der Lage befand, mich nach den Ursachen dessen, was vorgegangen war, zu erkundigen.

Herman Mordaunt's Glocken und das Stampfen seiner Pferde ließen sich dicht hinter uns vernehmen, während unser Schlitten auf dem Fluß dahinflog mit einer Schnelligkeit, die, wie ich fest überzeugt bin, nicht viel weniger als zwanzig Meilen in der Stunde betragen konnte. Wie wir weiter nördlich kamen, nahmen die Laute vom Krachen des Eises an Stärke zu, und wiederholten sich immer häufiger. Sie wurden in der That entsetzlich! Immer noch blieben die Mädchen ganz still und behaupteten aufs bewundernswerteste ihre Fassung und Selbstbeherrschung, obwohl sie, wie ich nicht bezweifle, die wahre Beschaffenheit der schauerlichen Lage, worein wir versetzt waren, ihrem vollsten Umfange nach begriffen und fühlten. Dieß war der Stand der Dinge, als Guert's Rappen, weil ihnen nachgerade der Athem ausging, sehr merklich in ihrer Schnelligkeit nachzulassen begannen. Sie galoppirten noch immer fort, aber nicht mehr mit der Schnelligkeit des Windes; und ihr Herr sah die Thorheit ein, zu hoffen, er würde die Stadt noch vor dem Eintreten der Katastrophe erreichen. Er zog daher seinen keuchenden Rossen die Zügel an und setzte sie eben in einen mäßigeren Trab, als ein heftiges Krachen gerade vor uns sich vernehmen ließ. Im nächsten Augenblick hob sich das Eis, im buchstäblichen Sinne unter den Hufen unserer Pferde, einige Fuß hoch empor, in der Gestalt vom Dach eines Hauses. Es war zu spät, umzukehren, und Guert schwang, unter dem Rufe: »Jack!« – »Moses!« die Peitsche, und die muthigen Thiere kamen wirklich über den Eisberg hinüber, sprangen über einen drei Fuß breiten Spalt, und erreichten das ebene Eis auf der andern Seite. Das Alles geschah so zu sagen in einem Nu. Während der Schlitten über diese Erhöhung flog, konnte ich nur mit Mühe die Mädchen auf ihren Sitzen erhalten, während Guert mannhaft und aufrecht stehen blieb, wie die Fichte, die zu tief gewurzelt ist, als daß sie dem Sturm erläge. Sobald jedoch die Gefahr vorbei war, zog er den Pferden die Zügel an und machte urplötzlich Halt.

Wir hörten die Glocken von Herman Mordaunt's Schlitten auf der andern Seite der Scheidewand, konnten aber Nichts sehen. Die zerbrochnen Schollen, gedrängt von Millionen Tonnen Wucht von oben, hatten sich volle zehn Fuß hoch emporgehoben, in beinahe scheitelrechter Senkung, so daß selbst zu Fuß darüber hinüberzukommen, beinahe eine Unmöglichkeit war. Dann ertönte Herman Mordaunt's Stimme, voll väterlicher Todesangst und menschlichen Jammers, und steigerte noch das Entsetzliche dieses fürchterlichen Augenblicks.

»Ans Land! Ans Land!« schrie er mit brüllender oder vielmehr gellender Stimme. »Im Namen der gnädigen Vorsehung, Guert, ans Land!«

Die Glocken mit ihrem Klingeln entfernten sich dem westlichen Ufer zu und das Schnurren der Schlittenläufe begleitete diesen Ton. Es war ein athemloser Moment für uns Vier. Wir hörten das Krachen und Knirschen des Eises rings auf allen Seiten um uns herum; wir sahen die zerrissenen Wände von Eis hinter und vor uns; wir hörten das Geläute von Herman Mordaunt's Glocken, wie es immer mehr sich entfernte, und endlich ganz aufhörte, und es ward uns zu Muthe, als wären wir von allen übrigen Wesen unserer Gattung abgeschnitten. Ich glaube nicht, daß Eines unter uns die Besorgniß hegte, mit dem Eis einzubrechen; denn die Gewohnheit hatte uns mit dem Eisfeld des Flusses so vertraut gemacht, während die entsetzlichen Gründe zur Angst so offen zu Tage lagen, daß Keines an die von dieser Seite her drohende Gefahr dachte. Auch hatten wir in Wahrheit daher nicht Viel zu besorgen. Das Thauwetter hatte nicht lange genug angedauert, um die Dicke oder die Festigkeit des gewöhnlichen Flußeises wesentlich zu vermindern, obwohl es sich zu schwach erwies, dem ungeheuern Drucke zu widerstehen, welcher von oben her darauf einbrach. Vermuthlich hätte eine Scholle von der Größe eines Acre's nicht nur uns, sondern auch unsern Schlitten und unsere Pferde getragen und uns wie ein Floß den Fluß hinunter geführt, wäre eine solche Scholle, frei von allen Hemmungen und Anstößen, vorhanden gewesen. Selbst die Mädchen begriffen jetzt die Gefahr, welche in einer Weise über unsern Häuptern schwebte, wie die halbgelöste Schneekrone der Berge mit dem Sturz der Lavine droht. Aber es war kein Augenblick, wo Unentschlossenheit oder Unthätigkeit gestattet war.

Durch eine nicht zu überschreitende Scheidewand von Eis abgeschnitten von dem Wege, welchen Herman Mordaunt eingeschlagen, mußten wir nothwendig einen Entschluß über das von uns selbst einzuschlagende Verfahren fassen. Wir hatten die Wahl zwischen einem Versuch, nach der westlichen Küste hinüberzufahren, oberhalb der Eiswand, oder der nächsten von mehreren niedern Inseln zuzustreben, welche in der entgegengesetzten Richtung lagen. Guert entschied sich für letzteres und ließ seine Pferde im Schritt nach dieser Landspitze hin gehen, da keine Notwendigkeit der Eile vorzuliegen schien, während die Thiere des Verschnaufens sehr benöthigt waren. Während dieser Fahrt erklärte er uns, daß der Riß unten uns von dem einzigen Punkte abschnitt, wo eine Landung auf dem westlichen Ufer thunlich wäre. Zugleich bediente er sich auch eines frommen Betrugs, welcher eine vortreffliche Wirkung auf die Gefühle und das Benehmen der beiden Mädchen während der übrigen bangen und angstvollen Auftritte und Ereignisse dieser fürchterlichen Nacht hervorbrachte, besonders was Anneke betraf. Er ließ sich über das gute Glück Herman Mordaunt's, daß er auf der rechten Seite der Eiswand geblieben, welche die Schlitten trennte, in einer solchen Weise aus, daß diejenigen, welche seinen Beweggrund dabei nicht merkten, sich einbilden mußten, die übrige Gesellschaft befinde sich, in Folge dieses zufälligen Umstandes, in vollkommener Sicherheit. So glaubte Anneke ihren Vater gerettet, und dadurch ward sie einer tödtlich peinigenden Angst größtentheils enthoben.

Sobald der Schlitten der Spitze der Insel sich näherte, gab Guert mir die Zügel in die Hand, und ging voraus, um zu untersuchen, ob es möglich sey zu landen. Er blieb fünfzehn Minuten aus, und kehrte erst zu uns zurück, nachdem er den Zustand der Insel untersucht hatte. Es waren fünfzehn entsetzliche Minuten; denn das Bersten der Eismassen oben und das knirschende Sichreiben der Schollen an einander machte ein Getöse wie das Toben und Brausen des Meeres in einem Sturm. Trotz aller der unheimlichen Vorfälle und Eindrücke dieser entsetzlichen Nacht konnte ich nicht umhin, Guert's Kaltblütigkeit und sein vortreffliches Benehmen zu bewundern. Er war mehr als entschlossen; denn er war kaltblütig, gefaßt und behielt die vollkommenste Herrschaft über alle seine Geisteskräfte. So Vieles der Versuch, nach der westlichen Küste hin zu entkommen, in den Augen eines minder klaren und umsichtigen Beobachters für sich haben mochte, hatte doch Guert Recht gehabt, wenn er sich dafür entschied, nach der Insel zu sich zu wenden. Das Krachen und Knirschen des Eises in einer andern Richtung hin hatte ihn überzeugt, daß das Wasser in der Nähe des festen Landes sich den Durchbruch erzwinge, und daß beinahe keine Hoffnung sey, nach dieser Seite hin zu entkommen. Als er sich wieder bei uns einfand, rief er mich zu sich vor die Pferde, um mit mir Rath zu halten, nachdem er zuvor unsern kostbaren Begleiterinnen die feierliche Versicherung gegeben, daß keine Gründe zu unmittelbarer Besorgniß vorhanden seyen. Mary Wallace verlangte mit Aengstlichkeit, daß er ihr die Versicherung wiederhole, bei der Wahrheit, welche der Mann dem Weibe schuldig sey; er that es, und dann gestatteten sie mir ohne weitere Widerrede, mich zu ihm zu begeben.

»Corny,« sagte Guert mit leiser Stimme, »die Vorsehung hat mich gezüchtigt für meinen sündhaften Wunsch, Mary Wallace in den Tatzen eines Löwen zu sehen; denn alle wilden Bestien der alten Welt könnten uns kaum in eine verzweifeltere Lage bringen, als diejenige ist, in der wir jetzt sind. Wir müssen jedoch kaltblütig seyn und die Mädchen retten, oder sterben wie Männer.«

»Unser Schicksal ist und muß das gleiche seyn. Widmet Ihr Euch ganz Mary und überlaßt Anneke mir. Aber warum diese Sprache? Unsere Lage ist doch gewiß nicht so ganz verzweifelt.«

»Es möchte für zwei rüstige, kraftvolle junge Männer nicht so schwer seyn, ans Land zu kommen; aber ganz anders ist es mit Frauen. Das Eis ist rings um uns her in Bewegung; und die Schollen schieben und thürmen sich auf einander aufs furchtbarste empor. Wäre es hell genug, um zu sehen, so wären wir weit besser daran; so aber wie es ist, wage ich vor der Hand nicht, mit Mary Wallace weit von dieser Insel mich zu entfernen. Wir können genöthigt werden, die Nacht hier zuzubringen, und müssen demgemäß unsere Vorkehrungen treffen. Ihr hört, wie das Eis an der Küste knirscht, ein Zeichen, daß Alles stromabwärts treibt. Gott gebe, daß das Wasser bald durchbreche; obwohl es Alles mit sich fortreißen kann, wenn es kommt. Ich fürchte, Corny, daß Herman Mordaunt und seine Gesellschaft verloren sind!«

»Barmherziger Himmel!« rief ich, »sollte es so schlimm stehen? Ich hoffe vielmehr, sie haben das Land erreicht.«

»Das ist unmöglich, bei der Richtung die sie eingeschlagen. Selbst ein Mann würde betäubt und fortgerissen werden von dem Strome, welcher unter dem westlichen Ufer dahin braust. Diese Oeffnung, die das Wasser bekommen hat, ist es was uns rettet. Aber keine weitere Worte. Ihr begreift jetzt den Umfang der Gefahr, und werdet verstehen, was Ihr zu thun haben werdet. Wir müssen unsere kostbaren Schutzbefohlenen wo möglich ohne weitern Verzug auf die Insel zu schaffen suchen. Eine halbe Stunde, – ja, eine halbe Minute, kann uns den Strom auf den Hals bringen.« Guert übernahm die Anordnung von Allem. Selbst während er sprach, hatte sich das Eis von der Stelle bewegt, und wir befanden uns fünfzig Fuß weiter von der Insel entfernt als zuvor. Dadurch, daß wir die Pferde vorgehen ließen, ward dieser Unterschied bald wieder ausgeglichen; aber wir fanden es unmöglich, sie über die zerbrochenen Schollen zu führen oder zu treiben, von welchen die Küste der Insel nachgerade eingefaßt wurde. Nach ein paar lebhaften und entschlossenen Versuchen gab Guert die Sache auf, und bat mich, den Ladies aus dem Schlitten zu helfen. Nie benahmen sich Frauen besser, als diese zarten und lieblichen Mädchen, in einem so entsetzlich ängstlichen Falle. Ohne Gegenvorstellungen, Thränen, Ausrufungen oder Fragen thaten Beide, wozu sie aufgefordert wurden; und ich kann das Gefühl von Zuversicht und Sicherheit nicht beschreiben, das ich empfand, nachdem ich Beiden über den zerborstenen und knirschenden Saum von weißem Eis, das uns vom Ufer trennte, hinüber geholfen hatte. Die Nacht war keineswegs kalt, aber der Boden war jetzt hinlänglich gefroren, so daß wir keine Unannehmlichkeiten davon hatten, daß wir auf einem sonst schlammigen und kothigen angeschwemmten Grund hinschritten; denn die Insel war so nieder, daß sie oft unter Wasser stand, wenn der Fluß eine ungewöhnliche Höhe erreichte. Darin bestand auch in der That unsere Gefahr, nachdem wir sie erreicht hatten.

Als ich zu Guert zurückkehrte, fand ich ihn schon eine Strecke weit hinabgetrieben; und dießmal brachten wir den Schlitten so weit über die Landspitze hinauf, daß die Gefahr geringer war, unsere kostbaren Schutzbefohlenen wieder aus dem Auge zu verlieren. Zu meinem Erstaunen war Guert damit beschäftigt, den Pferden, das Geschirr abzustreifen; und Jack stand schon ganz los und ledig da, Moses war bald auch in demselben Zustande. Ich wartete erstaunt ab, was nun geschehen würde, als Guert den Thieren die Zäume abnahm und mit seiner Peitsche kräftig knallte. Die befreiten Pferde sprangen scheu zurück, – schnoberten, bäumten sich, und sich umkehrend jagten sie den Fluß abwärts, frei wie der Wind und beinahe auch eben so schnell; und das unaufhörliche laute Klatschen der Peitsche ihres Herrn diente keineswegs, ihre Eile zu vermindern. Ich fragte, was dieß zu bedeuten habe.

»Es wäre grausam, den armen Thieren nicht zu gestatten, von der Kraft und dem scharfsinnigen Instinkt, womit die Natur sie begabt hat, Gebrauch zu machen, um ihr Leben zu retten,« antwortete Guert, mit angestrengten Blicken Moses nachschauend, welcher weiter dahinten war, so lange seine schwarze Gestalt sich noch unterscheiden ließ, und sich vorbeugend, um auf ihre Hufschläge zu lauschen, so lange das Getöse um uns her sie noch vernehmen ließ. »Für uns würden sie nur eine hindernde Last seyn, da sie über die Risse und Schollen im Geschirr sich doch nimmermehr hinüberzwingen ließen; auch wäre es gar nicht sicher und gerathen für sie, diese Richtung einzuschlagen, wenn sie auch könnten. Der Schlitten ist leicht, und wir sind stark genug, ihn ans Land zu schieben, wenn sich dazu Gelegenheit zeigt; oder können wir ihn auch auf der Insel stehen lassen.«

Nichts hätte mich nachdrücklicher überzeugen können, in welchem Lichte Guert unsere Lage betrachtete, als daß ich ihn diese Thiere los lassen sah, von welchen ich wußte, wie hoch er sie schätzte. Ich äußerte dieß gegen ihn, und er antwortete mit schwermüthigem Ernst, welcher einen um so stärkern Eindruck auf mich machte:

»Es ist möglich, daß sie das Land erreichen, denn die Natur hat dem Pferde einen scharfen, lebhaften Instinkt gegeben. Sie können auch schwimmen, wo Ihr und ich ertrinken würden. Jedenfalls sind sie nicht vom Geschirr gehemmt und gefesselt, sondern sie haben jede Möglichkeit, sich zu retten, welche ihnen zu verschaffen in meiner Macht steht. Sollten sie ans Land kommen, so würde irgend ein Hofbesitzer sie in seinen Stall stellen, und ich würde bald hören, wo sie zu finden sind; falls ich anders morgen früh noch lebe und diese Erkundigung anstellen kann.«

»Was ist nun zunächst zu thun, Guert?« fragte ich, seine Gefühle und seine Art zu folgern und zu berechnen jetzt wohl verstehend.

»Wir müssen jetzt den Schlitten auf die Insel schieben, worauf wir uns dann werden umsehen müssen, ob es möglich ist, die Ladies auf das feste Land zu schaffen.«

Demgemäß machten wir, Guert und ich, uns an die Aufgabe und zogen ohne große Schwierigkeit den Schlitten über die Eisschollen, obgleich sie in Bewegung waren und sich an einander rieben. Wir schleppten ihn bis an den Baum, unter welchem Anneke und Mary standen; worauf die Ladies hineinstiegen, und in die Pelze gehüllt ihre Sitze einnahmen. Die Nacht war für die Jahreszeit nicht kalt und unsere Begleiterinnen waren warm angekleidet und hatten Halspelze und Muffe, und die Wolfshäute von Guert dienten, es ihnen behaglicher zu machen. Alle Besorgnisse wegen unmittelbar drohender Gefahr hörten jetzt für einige Zeit auf. und ich glaube, keine von den beiden Mädchen ließ sich einfallen, daß sie irgend eine weitere Fährlichkeit zu bestehen haben könnten, so lange sie auf terra firma blieben, außer daß sie der Nachtluft ausgesetzt seyen. Dieß war jedoch nicht der Fall, wie eine ganz einfache Erläuterung dem Leser darthun wird.

Alle Inseln in dieser Gegend des Hudson sind nieder und bestehen aus fruchtbaren Wiesen von angeschwemmtem Boden, eingefaßt von Bäumen und Gebüschen; die meisten Bäume sind Weiden, Sykomoren und Nußbäume. Die Fruchtbarkeit des Bodens hatte diese Bäume schnell wachsen gemacht, und sie waren meist von ziemlicher Größe, aber nicht Einer darunter hatte jenen gewaltigen Umfang, wodurch sich Stamm und Aeste eines ehrwürdigen Waldbaumes auszeichnen. Dieser einzige Umstand schon bewies, daß keiner von all diesen Bäumen sehr alt war; was ganz gewiß aus den Verwüstungen der jährlichen Überschwemmungen erklärt werden mußte. Ich sage den jährlichen; denn obgleich die Ueberschwemmung, welche uns jetzt bedrängte, weit ernsthafter war als gewöhnlich, brachte doch jedes Jahr Etwas der Art; und die Inseln wuchsen beständig an oder verminderten sich in Folge der Wirkung derselben. Um letzteres zu verhindern, war ein Dickicht von Bäumen oben an jeder Insel übrig gelassen, um eine Art Barrikade zu bilden gegen den Andrang des Eises im Frühjahr. So niedrig jedoch war die Fläche des Landes oder der Wiesen, daß ein Steigen des Flusses um wenige Fuß sie gänzlich unter Wasser setzen mußte. Dieß Alles wird noch augenscheinlicher werden durch unser Vornehmen, nachdem wir die Damen in den Schlitten gesetzt hatten; und besonders aus den gelegentlichen, flüchtigen Bemerkungen Guert's während seiner weitern Maßregeln und Bemühungen.

Sobald Guert Ten Eyck die Damen für den Augenblick gesichert glaubte, schlug er mir vor, den Zustand des Flusses genauer mit einander in Augenschein zu nehmen, um zu sehen, welches die thunlichsten, anwendbarsten Mittel wären, um auf das feste Uferland zu gelangen. Er sagte dieß laut und in ganz heiterem Tone, wie wenn er jetzt keine Besorgnisse mehr hegte, wie mir nicht entging, um unsere Begleiterinnen zu ermuthigen. Anneke verlangte, daß wir gehen sollten, und erklärte, da sie sich auf trockenem Land wisse, sey alle ihre Furcht verschwunden. Demgemäß gingen wir und richteten unsere Schritte zunächst nach dem obern Ende der Insel.

Ganz wenige Minuten reichten hin, um die Grenzen unseres kleinen Reiches zu erreichen; und als wir uns ihnen näherten, deutete mir Guert auf einen Damm von Eis hin, welcher sich dahinter aufthürmte, als auf ein sehr drohendes Symptom.

» Darin liegt die Gefahr für uns,« sagte er mit Nachdruck, »und wir dürfen uns auf die Bäume nicht verlassen. Diese Ueberschwemmung übersteigt jede, die ich jemals auf dem Fluß erlebt habe; und kein Frühjahr vergeht, daß wir nicht eine stärkere oder geringere haben. Seht Ihr nicht, Corny, was uns jetzt retten kann?«

»Wir sind auf einer Insel, und können, so lange wir hier bleiben, vom Fluß wohl nicht so sehr bedroht werden.«

»Dem ist nicht so, mein lieber Freund, dem ist gar nicht so. Aber kommt mit mir und nehmt Euch wohl in Acht.«

Ich folgte Guert und nahm mich wohl in Acht. Wir sprangen auf die Eisschollen, welche wohl dreißig Schuh hoch am obern Ende der Insel aufgetürmt lagen und sich rechts und links so weit erstreckten, als unsere Augen bei diesem nebligen Licht sehen konnten. Es war eben nicht schwer auf diesem massiven Eisdamm herumzugehen, da die Bewegung der Schollen jetzt langsam war und häufig unterbrochen wurde; aber die eigentliche Beschaffenheit und Größe der Gefahr konnte man sich unmöglich verhehlen. Hätte nicht die Insel und das unten anliegende Festland ihre Hindernisse in den Weg gelegt, so würde das Eis fortwährend gewaltsam den Strom hinunter getrieben haben, Scholle sich über Scholle schiebend, bis das Ganze in dem breiteren Raum unten Luft bekommen und an den Ocean hinaus sich ergossen hätte. Aber nicht nur unsere Insel war hier, sondern auch noch andere Inseln lagen in der Nähe, welche die verschiedenen Arme oder Kanäle dergestalt einengten, daß dadurch die Bildung eines Dammes von Eis herbeigeführt wurde; und von der Stärke dieses Dammes hing unsere ganze Sicherheit ab. Wurde er irgendwo in unserer Nähe durchbrochen, so mußten wir unausbleiblich Alle miteinander fortgeschwemmt werden. Guert glaubte jedoch, wie schon gesagt, die Wasser hätten schmale Abflußwege dicht am Festland hin, östlich und westlich von uns, gefunden; und wenn sich dieß als wahr erwies, so wäre Hoffnung, daß das große Unglück abgewendet werden würde. Mit andern Worten, wenn diese Schleusen genügten, so konnten wir gerettet werden; im andern Falle war die Katastrophe gewiß. »Ich kann es vor mir selbst nicht rechtfertigen, wenn ich hier bleibe, ohne einen Versuch zu machen, zu sehen, was der Stand der Dinge in der Nähe des Ufers ist,« sagte Guert, nachdem wir die rasch anwachsende Masse zertrümmerten Eises vor uns, so gut es das Licht gestattete, in Augenschein genommen, und die Möglichkeit der Rettung, so wie die Art und Größe der Gefahr besprochen hatten. »Kehrt Ihr zu den Ladies zurück, Corny, und sucht ihren Muth aufrecht zu erhalten, während ich über diesen Kanal rechts von uns auf die nächste Insel hinübergehe, und sehe, was sich in dieser Richtung zeigt.«

»Mir gefällt der Gedanke nicht, daß Ihr alle Gefahr allein bestehen sollt; zudem kann Etwas vorkommen, was die Kraft von Zweien statt von Einem in Anspruch nehmen mag, um überwunden zu werden.«

»Ihr könnt bis zur nächsten Insel mit mir gehen, wenn Ihr Lust habt, wo wir dann sogleich im Stande seyn werden zu erkennen, ob es Eis oder Wasser ist, was uns von dem östlichen Ufer scheidet. Im erstern Falle könnt Ihr so schnell als möglich zu den Ladies zurückkehren, während ich eine Stelle zum Uebersetzen suche. Mir gefällt das Aussehen dieses Dammes gar nicht, wenn ich ehrlich mit Euch sprechen soll; und ich bin in großer Besorgniß wegen derjenigen, die jetzt im Schlitten sitzen.« Wir waren eben im Begriff uns wegzubegeben, als ein lautes, krachendes Getöse, wenige Schritte von uns entfernt, uns Beide erschreckte; und nach dem Platz hinlaufend, woher es kam, sahen wir, daß eine Weide entzwei geknickt war, wie ein Pfeifenstiel, und die ganze Eiswand langsam, aber majestätisch, vorrückte über den Stumpf hin, den gestürzten Stamm und die Zweige unter ihrer Wucht zermalmend, wie das langsam gehende Rad des schwerbeladenen Wagens ein Reis knickt und zerquetscht. Guert packte mich am Arm und seine Finger drangen mir beinahe ins Fleisch, so eisern war der Griff seiner Faust. »Wir müssen diese Stelle verlassen,« sagte er mit fester Stimme, »und das sogleich. Laßt uns zu dem Schlitten zurück.«

Ich kannte Guert's Absichten nicht; aber ich sah, es war Zeit, mit Entschiedenheit zu handeln. Wir eilten schnell nach der Stelle, wo wir den Schlitten gelassen hatten; und der Leser mag sich unser Entsetzen vorstellen, als wir den Schlitten – nicht mehr dort fanden! Der ganze niedere Vorsprung der Insel, wo wir ihn gelassen, war schon mit Eisschollen bedeckt, welche in Bewegung waren, und ohne Zweifel während der wenigen Minuten unseres Wegseyns den Schlitten fortgerissen hatten! Als wir uns jedoch umschauten, sahen wir einen Gegenstand auf dem Fluß etwas weiter unten, der mir der Schlitten zu seyn schien, und ich war im Begriff, darauf loszustürzen, als eine angst- und jammervolle Stimme uns nach einer andern Richtung hin zog. Mary Wallace kam hinter einem Baume hervor, hinter welchem sie Rettung gesucht hatte, und Guert's Arm fassend, flehte sie ihn an, sie nicht mehr zu verlassen.

»Wohin hat sich Anneke gewendet?« fragte ich in unbeschreiblicher Todesangst. »Ich sehe Nichts von Anneke!«

»Sie wollte den Schlitten nicht verlassen,« antwortete Mary Wallace, beinahe nach Athem keuchend – »Ich flehte, – ich beschwor sie, mir zu folgen, sagte, Ihr müßtet bald zurückkommen; aber sie weigerte sich den Schlitten zu verlassen. Anneke ist im Schlitten, wenn der jetzt aufgefunden werden kann.«

Ich hörte Nichts mehr; sondern auf die noch immer sich bewegenden Eisschollen springend, eilte ich hüpfend von Scholle zu Scholle, bis mir mein Auge zeigte, daß der Schlitten schon ganz auf dem Flußbett sich befand, auf welchem er in langsamer Bewegung hinabglitt, hinabgedrängt und geschoben von der neuen Decke von Eis, welche rasch über dem ursprünglichen Eisspiegel sich lagerte. Anfänglich konnte ich Niemand in dem Schlitten sehen; aber als ich ihn erreichte, fand ich Anneke in den Pelzen begraben. Sie lag auf den Knieen; das köstliche Wesen flehte um Hülfe und Beistand zu Gott.

Ich fand einen halb phantastischen, aber süßen Trost darin, mich so gleichsam abgeschnitten von allen Uebrigen meines Geschlechts, inmitten dieser schauerlich einsamen Scene der Verwüstung, allein zu sehen mit Anneke Mordaunt. Im Augenblick, wo ich ihr meine Gegenwart kund thun konnte, fragte sie nach Mary Wallace, und fühlte ihr Herz sehr erleichtert, als sie erfuhr, daß sie bei Guert sey, und von ihm in dieser Nacht keinen Augenblick mehr werde verlassen werden. Wirklich erblickte ich dämmernd ihre Gestalten, als sie rasch über den Kanal schritten, welcher die beiden Inseln trennte, und in dieser Richtung unter den Büschen verschwanden, welche den Platz umsäumten, wohin sie gegangen waren.

»Laßt uns ihnen folgen,« sagte ich lebhaft. »Der Uebergang ist noch offen und leicht; und auch wir können an das Ufer entkommen.«

»Geht Ihr!« sagte Anneke, deren sich eine augenblickliche physische Starrsucht bemächtigt zu haben schien. »Geht Ihr, Corny,« sagte sie; ein Mann kann sich leicht retten; und Ihr seyd ein einziges Kind, – die einzige Hoffnung Eurer Eltern.«

»Theure, geliebte Anneke! – warum diese Gleichgültigkeit – diese Apathie in Beziehung auf Eure eigne Person? Seyd Ihr nicht auch ein einziges Kind, die einzige Hoffnung eines verwittweten Vaters? – Vergeßt Ihr ihn

»Nein, nein, nein!« rief das liebe Mädchen hastig. »Helft mir aus dem Schlitten, Corny; so, ich will mit Euch überall hin gehen – überall hin – bis ans Ende der Welt, um meinem Vater einen solchen Jammer zu ersparen!«

Von diesem Augenblick an verschwand die augenblickliche Schwäche und der Kleinmuth Anneke's, und ich fand sie die wenige Zeit hindurch, wo wir noch in Gefahr unsers Lebens schwebten, schnell im Begreifen, und bereit, alle meine Bemühungen zu unterstützen. Es war diese vorübergehende Ergebung in ein eingebildetes unabwendbares Verhängniß einerseits, und die betäubende, verwirrende Wirkung plötzlichen Schreckens andrerseits, was die beiden Mädchen getrennt hatte, und die Veranlassung zu der geschilderten Trennung der ganzen Gesellschaft gab.

Ich weiß kaum, wie ich beschreiben soll, was nun folgte. So innig und tief war meine Angst für Anneke, daß ich keck sagen darf, ich dachte nicht im Mindesten an mein eigenes Schicksal, getrennt von dem ihrigen. Das hingebende Vertrauen, womit das liebe Mädchen alle ihre Hoffnung in mich zu setzen schien, würde für sich schon diese Wirkung gehabt haben, wenn sie nicht schon mein ganzes Herz besessen hätte, wie mir dieß jetzt so ganz zum Bewußtseyn kam. Augenblicke wie diese machen Einen für alle Gefühle des Herzens erst recht empfänglich, und streifen alle Hüllen ab, welche Gewohnheit, oder die konventionelle Verstellung des Benehmens so leicht über unsre Empfindungen wirft. Ich glaube, ich sprach mit Anneke während der nächsten paar Minuten, ich benahm mich gegen sie so, wie man sich wohl an das Wesen, das Einem das Theuerste auf der Welt ist, vertrauensvoll anschließt, an es Worte der Zärtlichkeit richtet; aber ich kann mir denken, daß der Leser natürlich lieber erfahren wird, was wir unter solchen Umständen thaten, als was wir sprachen oder empfanden.

Ich wiederhole, es wird mir nicht leicht, zu beschreiben, was nun folgte. Ich weiß, wir rannten zuerst mehr als daß wir gingen über den Kanal, auf welchem ich zuletzt die dämmernden Gestalten von Guert und Mary erblickt hatte, und durchwanderten sogar die Insel nach der östlichen Seite hin, in der Hoffnung, im Stande zu seyn, in dieser Richtung das Ufer zu erreichen. Der Versuch war jedoch fruchtlos, denn wir fanden, daß das Wasser in wilden Wogen sich über das Eis herstürzte. Nichts war von unsern bisherigen Begleitern zu sehen; und mein lautes, wiederholtes Rufen nach ihnen blieb unbeantwortet. »Unsere Lage ist hoffnungslos, Cornelius,« sagte Anneke, und sie sprach dieß mit erzwungener Ruhe, als sie die Flucht in dieser Richtung unmöglich fand. »Laßt uns nach dem Schlitten zurückkehren und uns dem Willen Gottes unterwerfen.«

»Geliebte Anneke, gedenkt an Euern Vater und bietet Eure ganze Kraft auf. Das Bett des Flusses ist noch fest; wir wollen hinüber und es auf dem andern Ufer versuchen.«

So schritten wir denn hinüber, und meine zarte Begleiterin wurde ebensosehr von meinem unterstützenden Arm, als durch ihre eigne Entschlossenheit aufrecht erhalten; aber wir fanden, daß auch hier dasselbe Hemmniß unserm Entkommen sich in den Weg stellte. Die Insel oben hatte die Gewässer nach den Seiten gedrängt, bis sie an den beiden Ufern sich Oeffnung und freie Bahn verschafften und an den mit Weiden besetzten Küsten mit der Schnelligkeit des Pfeiles dahinschossen. Mittlerweile war, wie ich bemerkte, in Folge unseres hastigen Schrittes, Anneke so erschöpft worden, daß es unerläßlich nothwendig war, eine Minute stehen zu bleiben, um Athem zu schöpfen. Diese Pause war auch nöthig, um uns umzusehen und einen überlegten, bedächtigen Beschluß zu fassen über das von uns einzuschlagende Verfahren. Und so kurz diese Pause war, trug sie doch noch Vieles bei zu dem in die Augen fallenden Entsetzlichen und Grauenhaften unsrer Lage.

Das Knarren oder Knirschen des über uns Scholle an Scholle sich drängenden und reibenden Eises tönte jetzt wie das Brausen heftiger Winde oder wie das unaufhörliche Toben der Brandung am Meeresufer. Die aufgethürmten Schichten wurden vermöge ihrer Höhe und Nähe sichtbar, so wie die zerrissenen Wände von Eis langsam aber stetig sich gegen uns herabbewegten; und der ganze Fluß schien mir in einer abwärts gehenden Bewegung begriffen. In diesem schauerlichen Augenblick, wo ich anfing zu glauben, es sey der Wille der Vorsehung, daß Anneke und ich mit einander umkommen sollten, unterbrach ein fremdartiger Laut die fürchterliche Eintönigkeit dieser entsetzlichen, einsamen Scene. Ich hörte, wie ich nicht bezweifeln konnte, die Glocken eines Schlittens; zuerst nur fern und in Zwischenräumen, dann aber näher und in Einem fort, begleitet von dem Getöse der Schlittenläufe auf dem Eis. Ich nahm meine Mütze ab und preßte die Hände an den Kopf, denn ich fürchtete, meine Sinne seyen gestört. Aber es kam heran, deutlicher und immer deutlicher, bis das Stampfen der Hufschläge sich zu dem andern Getöse gesellte.

»Können noch Andere auch so unglücklich seyn, wie wir?« rief Anneke, ihre eigne Angst in großherzigem Mitgefühl vergessend. »Seht, Littlepage – seht, lieber Cornelius, dort kommt wahrhaftig noch ein Schlitten!«

Wirklich kam er, wie ein Sturm, oder wie die Windsbraut, fünfzig Fuß an uns vorübergebraust. Ich erkannte ihn auf den ersten Blick. Es war der Schlitten Herman Mordaunt's, aber leer; und die Pferde, toll vor Angst, rannten wohin ihre Furcht sie trieb. Wie der Schlitten an uns vorbeikam, ward er auf eine Seite umgeworfen; dann wurde er wieder emporgerissen, und kam uns aus dem Gesicht, während der dumpfe Ton der Schlittenläufe auf dem Eis mit dem Geklingel der Glocken und dem Stampfen der Hufe sich mischte.

In diesem Augenblick ließ sich ein lauter, ferner Schrei von einer Menschenstimme unverkennbar hören. Es schien mir, als ob Jemand meinen Namen riefe; und Anneke sagte, sie habe es auch so verstanden. Der Ruf, wenn es ein Ruf war, kam von Süden unter dem westlichen Ufer her. Im nächsten Augenblick ertönte ein schauerliches Krachen von der obern Eiswand; und einen Arm um den schlanken Leib meiner holden Begleiterin schlingend, um sie zu unterstützen, begann ich so schnell ich konnte in der Richtung dieses Rufes mit ihr fortzueilen. Während des Versuchs, das westliche Ufer zu gewinnen, hatte ich einen hohen Berg von zertrümmertem Eis bemerkt, welcher hinabschwamm, oder vielmehr, welcher auf dem glatten Spiegel des gefrorenen Stromes hinabgeschoben wurde, voraus vor den kleineren Eisschollen, welche in der Strömung hinunter trieben. Er nahm an Umfang zu durch Anlagerung dieser schwimmenden Schollen, und drohte, sobald er die gehörige Größe erreichte, in einem engern Paß unten einen neuen Damm zu bilden. Es drängte sich mir der Gedanke auf, wir würden für den Augenblick gesichert seyn, wenn wir diesen Berg erreichen könnten, denn er erhob sich so hoch, daß vom Wasser keine Gefahr drohte. Dorthin eilte ich denn, Anneke beinahe im Arme tragend; und unsere hastigen Schritte wurden beschleunigt durch die schrecklichen Laute von dem obern Damme.

Wir erreichten den Eisberg und fanden die Schollen so aufgeschichtet, daß man, obwohl nicht ohne Anstrengung, hinauf steigen konnte. Nachdem wir ein paar Schichten erstiegen hatten, wurde die zerbrochene Masse so unregelmäßig und zerrissen, daß ich nothwendig zuerst hinaufsteigen und Anneke mir nach hinaufziehen mußte. Dieß that ich, bis ich erschöpft war, und dann setzten wir uns Beide auf die Kante einer Scholle, um wieder zu Athem zu kommen. Während dem machten mich neue, vom Fluß her kommende Töne aufmerksam; und wie ich mich vorbeugte, um genauer hinzusehen, entdeckte ich, daß das Wasser sich durch den obern Damm Bahn gebrochen hatte und in wildem Strome gegen uns kam.


 << zurück weiter >>