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Vierzehntes Kapitel.

Natur, um recht sie zu vermählen,
Schuf zur Ergänzung ihre Seelen;
Und wie grad was sich widerspricht,
Sich leicht zusammenfindet,
So ihre Herzen, verschieden ganz,
Magnet'scher Zauber bindet.

Pinckney.

 

Diese ganze Zeit über sah ich Ursula Malbone täglich und zu allen Zeiten und Stunden des Tages. Als Bewohner desselben Hauses standen wir in beständigem Verkehr, und vielfache Begegnungen und Unterredungen fanden zwischen uns Statt. Wäre Dus die abgefeimteste Kokette auf der Welt gewesen, ihr geübter, erfinderischer Scharfsinn hätte keine glücklicheren Mittel ersinnen können, mein Interesse zu erregen, als diejenigen waren, welche dies eigenthümliche Mädchen wirklich in Anwendung brachte, ohne die leiseste Absicht, irgend ein solches Resultat zu erzielen. In der That war es die Natürlichkeit, die gänzliche Abwesenheit aller Kunst und Verstellung, was einen der herrlichsten Reize ihres Charakters ausmachte, und ihrem Verstand und ihrer Schönheit eine so bezaubernde Würze verlieh. Zu jener Zeit erschienen Frauen, so lange sie sich mit ihren Haushaltungssachen beschäftigten, im »Kittel und Unterrock,« wie man es nannte, eine Art von Anzug, die man am Morgen selbst bei Ladies oft sah. Die Toilette hatte im Jahr 1784 einen viel weiteren Umfang als jetzt: der Unterschied zwischen dem Anzug am Morgen und am Abend war viel bedeutender und auffallender als gegenwärtig. Sobald Ursula Malbone wirklich an die Spitze von ihres Bruders Hauswesen gestellt war, befaßte sie sich mit den Pflichten ihrer neuen Stellung ruhig und ohne den mindesten Lärm und Unruhe, aber thätig und mit Interesse. Sie schien mir in hohem Grade das eigentümliche, rühmliche Talent zu besitzen, die einzelnen Geschäfte und Obliegenheiten ihrer Stellung ganz still ohne alles Aufsehen zu besorgen, während Alles sehr pünktlich und emsig und zum völligsten Behagen derjenigen gethan und verrichtet wurde, für welche sie zu sorgen übernommen hatte. Ich gehöre nicht zu den häuslichen engherzigen Pedanten, welche glauben, eine Frau, um eine gute Hausfrau und Gattin zu seyn, müsse nothwendig sich vom Morgen bis zum Abend abarbeiten und die Kenntnisse einer Köchin oder einer Wäscherin besitzen; aber gewiß ist es von großer Wichtigkeit, daß sie im Stande sey, die Aufsicht über ihr Haus mit Einsicht zu führen, und daß sie die Umsicht habe, den Aufwand in das richtige Verhältniß mit ihren Mitteln zu stellen. Das Allerwichtigste ist, daß sie zu regieren wisse, ohne gesehen oder gehört zu werden.

Die Gattin eines gebildeten Mannes sollte auch eine gebildete Frau seyn: geeignet, in Allem seine Lebensgenossin zu seyn, im Stande, mit seinen Neigungen und seinem Geschmack gleichen Schritt zu halten, Ideen mit ihm auszutauschen, überhaupt ihm ebenbürtig in intellektueller Hinsicht. Das sind die höhern Erfordernisse, und ein Gentleman nimmt die untergeordneteren Eigenschaften als eben so viele Vortheile bin, wenn sie in ihren gehörigen Grenzen sich halten, betrachtet sie aber als wirkliche Nachtheile, wenn sie dem Benehmen, der Gemüthsart und Stimmung der geistigen Bildung derjenigen Abbruch oder irgend Eintrag thun, die er zu seiner Gattin und nicht zu seiner Dienerin und Haushälterin gewählt hat. Manche Opfer mögen nothwendig seyn in solchen Fällen, wo Geistesbildung vorhanden ist ohne genügende äußere Mittel; aber selbst dann kommt es nur selten vor, daß nicht eine Frau von den gehörigen Eigenschaften vor dem Schicksal bewahrt werden könnte, zu einer bloßen Magd herabzusinken. Was das elende Gewäsche der Zeitungen betrifft über diese Gegenstände, so rührt es in der Regel von Solchen her, die ihr Heimwesen nur als den Ort betrachten, wo sie Kost und Unterkunft haben.

Die Gewandtheit und das Geschick, womit Dus alle Obliegenheiten ihrer neuen Stellung erfüllte, während sie solche Dinge vermied, welche ungeziemend und unnöthig waren, bezauberte mich beinah eben so sehr wie ihr Geist, ihr Charakter und ihre Schönheit. Die Neger machten es gänzlich überflüssig, daß sie sich zur eigentlichen anstrengenden Arbeit herabließ; und mit welch zierlicher, ächt weiblicher Behendigkeit verrichtete sie die Pflichten, die ihrer Stellung eigentlich und schicklich zukamen! Immer heiter, häufig singend, aber nicht laut und geräuschig, wie etwa ein Milchmädchen, außer in Augenblicken, wo sie sich ganz unbelauscht glauben mochte, und dann süße, klagende Lieder ausströmend, welche die Scenen früherer Tage zurückzurufen schienen. Aber immer heiter ist doch Etwas zu viel gesagt. Denn zu Zeiten war Dus auch traurig. Ich fand sie drei- oder viermal in Thränen, wagte aber nicht, mich nach der Ursache zu erkundigen. In der That hätte ich auch kaum Zeit dazu gehabt; denn im Augenblick, wo ich mich zeigte, trocknete sie sich die Augen und empfing mich mit Lächeln.

Ich brauche kaum zu sagen, daß mir die Zeit sehr angenehm und wunderbar schnell verfloß. Der Kettenträger blieb auf dem Nest auf meinen Befehl, denn meinen Bitten wollte er sich nicht fügen; und ich entsinne mich keines genußreicheren Monats, als jener für mich war. Ich machte eine ziemlich umfassende Bekanntschaft mit meinen Pächtern und fand an vielen von ihnen so geradsinnige, ehrliche, hartarbeitende Yeomen, als man sich nur wünschen mochte zu sehen. Mein College Major insbesondere war ein grundehrlicher, biederer, alter Kerl, und kam oft mich zu besuchen, da er auf dem Pachtgute zunächst meinem eigenen hauste. Er brummte ein Bißchen über die Sekte, welche von dem neuen Versammlungshaus Besitz ergriffen hatte, aber in einer Weise, welche zeigte, daß in seiner Gemüthsart wenig Galle war.

»Ich verstehe diese Majoritätsgeschichten nicht recht,« sagte der alte Kamerade, als wir eines Tages die Sache wieder besprachen, »aber das weiß ich recht gut, daß Newcome es immer so einzufädeln weiß, daß er eine bekommt, mögen auch die Leute denken, was sie wollen. Ich habe es erlebt, daß der Squire eine Majorität zurechtschneidet aus etwa einem Viertheil aller Anwesenden, und er thut es auf eine Art, die verzweifelt sinnreich ist, obwohl ich fürchte, weder nach dem Gesetz, noch nach dem Evangelium.«

»Allerdings wußte er in der Angelegenheit mit der Benennung und Zueignung der Kirche es so einzurichten, daß eine Pluralität von einer Stimme am Ende als eine ganz stattliche Majorität der Gesammtheit erschien.«

»Ja, es gibt Schliche und Wendungen in diesen Dingen, die über meine Gelehrsamkeit hinausgehen, obwohl ich glaube, es wird Alles recht seyn. Es trägt am Ende doch nicht viel aus, wo ein Mann anbetet, vorausgesetzt, er betet nur Gott an, noch auch, Wer predigt, wenn er nur zuhört.«

Ich glaube, diese liberale Ansicht in religiösen Dingen – wenn dies das richtige Wort ist, – nimmt bei uns rasch überhand; obgleich liberale Ansicht vielleicht nur ein andrer Ausdruck ist für Gleichgültigkeit. Was uns Episkopale betrifft, so muß ich mich wundern, daß es nur noch welche im Lande gibt, – und doch nehmen wir an Zahl bedeutend zu. Ein Jahrhundert blieben wir, einer Kirche angehörig, welche auf bischöfliche Verrichtungen und Handreichungen, auf die bischöfliche Einsegnung insbesondere, so sehr dringt, – ohne einen Bischof, und außer Stand, kirchlichen Gebräuchen und Vorschriften zu genügen, die, wie man behauptete, wesentlich seyen, und dies einzig darum, weil es der Politik des Mutterlandes nicht zusagte, uns eigene Prälaten zu verwilligen, oder uns auch nur gelegentlich den Einen oder den Andern von den seinigen zu schicken! Wie erbärmlich erscheinen oft die Erfindungen und Auskunftsmittel menschlicher Klugheit, gemessen am Prüfstein des gesunden Menschensinnes! Eine Kirche Gottes, auf gewisse wesentliche geistliche Erfordernisse dringend, die sie einem Theil ihrer Angehörigen verweigert, um weltlichen Interessen Rechnung zu tragen! Aber nicht die Kirche von England allein, nicht die englische Regierung allein ist mit Recht einer solchen Anklage blosgestellt; denn etwas ebenso Schlimmes und ebenso Widersprechendes knüpft sich an den kirchlichen Einfluß jedes andern Systems in der Christenheit, bei welchem der Staat an die Religion mittelst menschlicher Einrichtungen und Vorkehrungen gebunden ist. Der Irrthum und Mißgriff liegt darin, die Dinge dieser Welt mit den Dingen zu vermengen, die Gottes sind.

Ach, ach! wenn man dies verderbliche Band auflöst, ist dann in der Sache viel gewonnen und gebessert? Wie ist es jetzt bei uns? Schießen nicht Sekten und Schattirungen von Sekten unter uns an allen Enden und Orten auf, bis der Kampf zwischen den Pfarrern am Ende nicht mehr dahin geht, wem es gelinge, am meisten Christen zu machen und zu ziehen, sondern wer am meisten Sektirer in seinen Pferch sammle? Was das Volk selbst betrifft; statt die Kirchen im Auge zu haben, nachdem sie sie selbst gegründet, und zwar auch dies gar sehr nach ihrem eigenen Gutdünken, berücksichtigen sie zuerst ihre Stimmungen und ihren Geschmack, ihre Feindschaften und Vorneigungen, weit mehr in Bezug auf den Priester als auf den Altar, und thun sich als eine Art religiöser Körperschaft und Partei auf, welche unmittelbar in dem Regiment der Nachfolger Christi auf Erden vertreten seyn will. Die Hälfte eines Kirchspiels ist im Stande, in einer Aufwallung von Leidenschaft zu einer andern Sekte und Kirchengemeinschaft hinüberzufliehen, wenn sie etwa einmal in der Minorität bleiben. In Wahrheit, ein bedeutender Theil unseres Volkes benimmt sich nachgerade in dieser Angelegenheit wie, wenn sie glaubten, der Gottheit ihre Stimme und Unterstützung zu leihen, und sich derselben in diesem Tempel oder in einem andern annehmen zu müssen, je nachdem es der Stimmung oder dem Interesse des Augenblicks gemäß seyn mag. Wenn Mr. Littlepage so schrieb vor dreißig oder vierzig Jahren, wie würde er erst heute schreiben müssen, wo wir in den öffentlichen Journalen laute Versicherungen ausposaunen hören, die Politik dieser oder jener Sekte sey am meisten im Einklang mit einer republikanischen Regierungsform! Was diese Behauptung ebenso abgeschmackt macht, als sie anmaßend ist, das ist der wohlbekannte Umstand, daß sie von denen ausgeht, die immer am lautesten gewesen sind mit ihren Deklamationen von der engen Verbindung und Einheit zwischen Kirche und Staat!

Aber ich schreibe keine Predigten, und will jetzt zu dem Nest und meinen Freunden zurückkehren. Ein paar Tage, nachdem Mr. Newcome seinen neuen Pachtbrief in Empfang genommen, befanden wir, der Kettenträger, Frank, Dus und ich, uns in der kleinen Laube, welche die Aussicht auf die Wiesen hatte, als wir Sureflint, im indianischen Schnellschritt, einen Pfad daher kommen sahen, welcher aus dem Walde herausführte, und der, wie wir wußten, nach Mooseridge hinüberging. Der Onondago hatte, wie gewöhnlich, seine Büchse bei sich, und trug auf dem Rücken ein großes Bündel, wovon wir dem Aussehen nach vermutheten, es werde Jagdbeute seyn, obgleich wir bei der großen Entfernung es noch nicht genau unterscheiden konnten. Nach einer halben Minute verschwand er, gegen das Gebäude dahertrabend, hinter einem Felsenvorsprung.

»Mein Freund, der Trackleß (der Spurlose) ist diesmal ungewöhnlich lange Zeit von uns weggewesen,« bemerkte Ursula, indem sie das Gesicht wieder von dem Indianer wegwandte, dessen Bewegungen ihr Auge gefolgt war, so lange man ihn gesehen hatte; »aber er erscheint jetzt wieder beladen mit Etwas, das uns zu Gute kommt.«

»Er hat, glaube ich, neuestens seine meiste Zeit bei Eurem Oheim zugebracht,« erwiederte ich, Dus' schönen Augen mit den meinigen folgend, – die angenehmste Beschäftigung, die sich mir in diesem abgelegenen Theile der Welt darbot. »Ich habe das meinem Vater geschrieben, der sich freuen wird, von seinem alten Freund Nachrichten zu erhalten.«

»Er ist viel bei meinem Oheim, wie Ihr sagt, und ihm sehr zugethan. Ha! da kommt er, mit einer Last auf den Schultern, wie sie ein Indianer nicht gerne trägt, obwohl selbst ein Häuptling sich herabläßt, Jagdbeute zu tragen.«

Wie Dus eben ausgesprochen hatte, warf Sureflint ein großes Bündel Tauben, zwei oder drei Dutzend Vögel, zu ihren Füßen hin, und wandte sich dann in aller Stille weg, wie Einer, der seinen Antheil an einer Aufgabe verrichtet hat, und das Uebrige den Händen der Squaws überläßt.

»Dank Euch, Trackleß,« sagte die schöne Haushälterin, »recht freundlichen Dank Euch! Das sind schöne Vögel, und so fett wie Butter. Wir werden sie putzen und auf jede mögliche Art zubereiten lassen.«

»Alles flügge – eben reif zum Fliegen – alle gefangen im Neste,« versetzte der Indianer.

»Es muß eine Menge Nester geben, und ich möchte sie gern auch aufsuchen,« rief ich, denn ich erinnerte mich, wunderbare Geschichten gehört zu haben von der Menge von Tauben, die man oft in ihren »Roosts« gefunden, wie die Lager- und Brutstätten, die sie in den Wäldern haben, im Sprachgebrauch des Landes hießen. »Können wir nicht hingehen, und diesen Roost besuchen?«

»Das kann wohl geschehen,« versetzte der Kettenträger; »das könnte wohl geschehen, und es ist Zeit, daß wir uns auch nach jener Richtung hinwenden, wenn noch mehr Land vermessen werden soll, und diese Vögel vom Berge herkommen, wie ich vermuthe, daß es der Fall ist. Mooseridge versprach für dieses Jahr eine Menge Tauben.«

»Ganz wahr,« versetzte Sureflint. »Million, tausend, hundert – mehr! Nie mehr gesehen, nie so viele gesehen. Große Geist nie vergessen armen Indianer; manchmal ihm geben Wildpret – manchmal Salmen – manchmal Tauben – genug für Jedermann; denken so.«

»Ja, Sureflint; denkt nur so; in der That, es ist genug da für uns Alle und bleibt uns noch übrig. Gott ist gütig gegen uns, aber wir wissen oft nicht den rechten Gebrauch von seiner Güte zu machen,« erwiderte der Kettenträger, welcher die Vögel untersucht hatte. »Schönere junge Vögel findet man nicht oft, und ich selbst würde erstaunlich gern noch einmal einen Roost sehen, ehe ich selbst zur Rüste gehe.«

»Was den Besuch ihres Roosts betrifft,« rief ich, »so wollen wir den für morgen festgesetzt haben. Aber ein Mann, der eben erst von einem Kriege, wie der letzte, in friedliche Zeiten herübertritt, hat keinen Grund, von seinem Ende zu reden, Kettenträger. Ihr seyd alt an Jahren, aber jung dem Geiste wie dem Körper nach.«

»Beide sind beinahe erschöpft – beide beinahe erschöpft! Man mag wohl einem alten Thoren das Gegentheil sagen, aber ich weiß es besser. Siebzig Jahre sind die Zeit eines Menschen, und ich habe die Zahl meiner Tage erfüllt. Gott weiß am besten, wann es ihm gefallen wird, mich abzurufen; aber es geschehe, wann es wolle, ich werde jetzt freudig und glücklich sterben, verglichen mit der Gemüthsverfassung, in welcher ich vor einem Monat noch gewesen wäre.«

»Ihr überrascht mich, mein theurer Freund! Was ist denn geschehen, das eine solche Verankerung Eurer Gefühle bewirkt hätte? Ihr habt Euch doch in keinem wesentlichen Punkte verwandelt?«

»Die Veränderung in den Aussichten von Dus! Jetzt, da Frank einen guten Platz hat, wird das Mädel nicht verlassen seyn.«

»Verlassen! – Dus – Ursula – Miß Malbone verlassen! Das könnte nie der Fall seyn, Andries, möchte es einen Frank geben oder nicht.«

»Ich hoffe nicht – ich hoffe nicht, Junge – aber das Mädel fängt an zu weinen, und wir wollen nicht weiter davon sprechen. Hört Ihr, Susquesus, mein alter Freund, könnt Ihr uns zu jenem Roost führen?«

»Warum das nicht thun, he? – Pfad breit – offen ganzen Weg. Eben wie Fluß.«

»Nun gut, so wollen wir uns am Morgen aufmachen, um hin zu gehen. Mein neuer Gehülfe ist in der Nähe, und es ist hohe Zeit, daß Frank und ich wieder in die Wälder gehen.«

Ich hörte diese Verabredung treffen, obgleich mein Auge Dus gefolgt war, welche von ihrem Sitz aufgesprungen und in das Haus geeilt war, und Gemüthsbewegungen zu verhehlen suchte, die sich nicht wollten stillen lassen. Eine Minute darauf sah ich sie am Fenster ihres eigenen Zimmers, lächelnd, obgleich die Wolke noch nicht ganz zerstreut war.

Am nächsten Morgen früh brach unsere ganze Gesellschaft von dem Nest aus nach der Hütte zu Mooseridge und den Taubennestern. Dus und die schwarze Sklavin reisten zu Pferde, denn es war kein Mangel an Thieren auf dem Nest, wo mein Großvater, wie ich jetzt erfuhr, vor einem Vierteljahrhundert unter verschiedenen andern Artikeln auch einige Frauensättel zurückgelassen hatte. Wir Uebrigen gingen zu Fuß, doch hatten wir nicht weniger als drei Saumthiere bei uns, welche unsre Lebensmittel, Geräthe, Kleider u. s. w. trugen. Wir waren Alle bewaffnet, wie sich damals eigentlich von selbst verstand; doch führte ich statt der Büchse nur eine doppelläufige Vogelflinte. Susquesus diente uns als Führer.

Erst nach einer vollen Stunde erreichten wir die Grenzen der Ansiedlungen und der angebauten Ländereien auf meinem Gute, und dann kamen wir in den Urwald. In Folge des letzten Krieges, der alle Ansiedlungen des Landes hatte gänzlich stocken machen, hatte damals ein neuer Distrikt nichts von jenen verzettelten, vorstadtähnlichen Lichtungen, welche man jetzt um die ältern Theile eines Landstrichs herum findet, der im Uebergangszustand begriffen ist. Im Gegentheil, so bald wir an dem letzten, wohlumzäunten und ziemlich gut angebauten Hofe vorbei waren, kamen wir sogleich in den endlosen Wald hinein und nahmen Abschied von beinahe allen Spuren des civilisirten Lebens, – ungefähr wie man in lauter Felder kommt, sobald man in Frankreich eine Stadt verläßt. Zwar war ein Pfad da, der Linie der bezeichneten und angebrannten Bäume folgend; aber er war kaum betreten, und beinahe so unleserlich als eine schlechte Handschrift. Doch wurde es einem mit dem Walde vertrauten Mann nicht schwer ihm zu folgen; und Susquesus würde ohne Mühe auch ohne allen Weg sich zurechtgefunden haben. Auch der Kettenträger schritt mit der äußersten Genauigkeit und Zuversicht vorwärts, denn die Gewohnheit, zwischen den Bäumen hindurch gerade Linien zu ziehen, hatte seinem Auge eine Sicherheit gegeben, welche beinahe jenem Instinkt gleich kam, welcher in dieser Beziehung dem Trackleß selbst innezuwohnen schien.

Es war dies eine angenehme kleine Reise, und die tiefen Wälder machten die Hitze der Jahreszeit so erträglich und angenehm als nur möglich. Wir brauchten vier Stunden, bis wir den Fuß des kleinen Berges erreichten, auf welchem die Vögel ihre Nester gebaut hatten; und hier machten wir Halt, um einige Erfrischungen zu uns zu nehmen.

Bei Mahlzeiten in den Wäldern pflegt man wenig Zeit zu verlieren, und bald waren wir bereit, den Berg hinan zu steigen. Die Pferde ließen wir bei den Schwarzen zurück, und Dus begleitete uns zu Fuß. Als wir die Quelle verließen, wo wir Halt gemacht hatten, bot ich ihr den Arm, um ihr beim Hinaufsteigen behülflich zu seyn, aber sie lehnte ihn ab, wie es schien, sehr belustigt dadurch, daß ich ihr ihn angeboten.

»Was, ich, eine Kettenträgerin!« rief sie lachend; »ich, die ich Frank förmlich vor mir habe ermüden sehen, und selbst meinen Oheim insoweit überwunden habe, daß er sich müde fühlte, obgleich er es nie gestehen wollte – ich den Arm eines Andern annehmen, um auf einen Hügel hinaufzukommen! Ihr vergeßt, Major Littlepage, daß ich die ersten zehn Jahre meines Lebens im Forste zubrachte, und daß die Uebung eines Jahres wieder alle meine alten Gewöhnungen aufgefrischt, und mich wieder zu einem ganzen Waldmädchen gemacht hat!«

»Ich weiß gar nicht, was ich aus Euch machen soll, denn Ihr scheint so ganz für jede Lage und Stellung zu passen, in welche Euch der Zufall versetzen mag,« antwortete ich, den Umstand mir zu Nutze machend, daß wir außer der Gehörweite aller unserer Begleiter uns befanden, welche voran waren, um Mehr gegen sie zu äußern, als ich sonst wohl gewagt haben würde – »das eine Mal könnte ich mir einbilden, Ihr seyet die Tochter eines meiner Pächter, ein ander Mal die Erbin eines alten Patroon.«

Dus lachte wieder; dann erröthete sie, und während des übrigen kurzen Weges die Höhe hinauf blieb sie schweigsam. Nur kurz war der Weg, und bald befanden wir uns auf der Höhe des Berges. So wenig war Dus meines Beistandes bedürftig, daß sie mich in der That hinter sich ließ, indem sie sich dergestalt anstrengte, daß sie sich bald an der Seite des Trackleß befand, der unsern Zug anführte. Ob sie dies that, um zu zeigen, wie ganz sie ein Waldmädchen sey, oder ob meine Worte Gefühle in ihr erregt hatten, welche ein Mädchen leicht unruhig und hastig machen – das ist Mehr, als ich selbst jetzt zu beantworten vermag; ich vermuthete aber damals schon, Empfindungen der letzten Art haben bei Entwicklung dieser ungewöhnlichen Rüstigkeit und Behendigkeit wohl ebenso mitgewirkt, als die erstgenannten Beweggründe. Ich blieb jedoch nicht weit zurück, und als unsere Gesellschaft den eigentlichen Roost erreichte, waren Trackleß, Dus und ich, Alle beisammen.

Ich weiß kaum, wie ich diese merkwürdige Scene beschreiben soll. Als wir dem Gipfel des Berges näher kamen, sah man schon Tauben durch die Zweige über unseren Köpfen flattern, wie man einzelnen Personen auf den Straßen begegnet, welche in die Vorstädte einer großen Stadt führen. Wir hatten gewiß schon tausend Vögel zwischen den Bäumen sich herum treiben sehen, ehe wir den Roost selbst zu Gesicht bekamen. Die Zahl mehrte sich, je näher wir kamen, und bald war der ganze Wald von ihnen belebt und wimmelnd. Das Geflatter dauerte unaufhörlich fort und war oft ganz betäubend, wie wir voranschritten, denn unser Anmarsch brachte unter dem wimmelnden Vögelschwarm eine Bewegung hervor, welche wahrhaft sinnverwirrend wurde. Jeder Baum war im buchstäblichen Sinne mit Nestern bedeckt, mancher hatte wenigstens tausend dieser zerbrechlichen Behausungen, von den Blättern beschattet, auf seinen Zweigen. Sie berührten oft einander, aber eine wunderbare Ordnung herrschte unter den hier versammelten Hunderttausenden von Familien. Es war an dem Ort ganz der Geruch eines Geflügelhauses, und junge Tauben, eben so weit flügge geworden, um sich in kurzen Flügen zu versuchen, umkreisten uns in allen Richtungen zu Zehntausenden. Dazu kam dann, daß die Eltern des jungen Geschlechts sich bemühten sie zu schützen, und sie so zu leiten und zu führen, daß ihnen kein Leid geschehe. Obgleich bei unsrer Annäherung die Vögel aufflogen, und die Wälder rings herum von Tauben im eigentlichsten Sinne wimmelten, verursachte doch unser Erscheinen keinen allgemeinen Aufruhr, keine Flucht; Jeder von dem gefiederten Heere schien mit seinen eigenen Angelegenheiten so sehr beschäftigt, daß er wenig Kunde nahm von dem Besuch einer Gesellschaft von Fremden, obwohl sie einer Gattung angehörte, die der ihrigen gewöhnlich so furchtbar ist. Die Massen bewegten sich vor uns, gerade wie ein Menschenschwarm einem Druck oder einer Gefahr auf einem einzelnen Punkt ausweicht; die im Augenblick gebrochene Lücke schließt sich dahinter wieder, wie das Wasser des Oceans über den Spuren des Kiels wieder zusammenströmt.

Der Eindruck auf die meisten von uns war ein sinnenverwirrender, und ich kann die Empfindung des außerordentlichen Tumults auf mich nur mit derjenigen vergleichen, die Einer hat, wenn er sich plötzlich mitten in ein wildes Gewoge und Gewühle menschlicher Wesen versetzt sieht. Die unnatürliche Gleichgültigkeit gegen unsre Erscheinung, welche die Vögel an den Tag legten, erhöhte diesen Eindruck noch um ein Bedeutendes, und erweckte in mir ein Gefühl, wie wenn ein überirdischer Einfluß an dieser Stelle waltete. Es war in der That etwas ganz seltsames, sich mitten unter einem solchen gefiederten Pöbelschwarm zu befinden, der kaum ein Bewußtseyn zu haben schien, daß Fremde sich eingedrängt hatten. Es war als bildeten die Tauben eine Welt für sich, und seyen zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, als daß sie sich um Dinge kümmern könnten, die jenseits derselben lägen.

Einige Minuten lang sprach Keines von unserer Gesellschaft ein Wort. Staunen schien uns Allen die Zunge zu binden, und wir schritten langsam voran in dem flatternden Gewühle, schweigend in uns versunken und voll Bewunderung der Werke des Schöpfers. Wir hörten, wenn wir sprachen, nicht gut Eines des Andern Stimme, so sehr erfüllte das beständige Schwirren die Luft. Auch sonst waren die Vögel nicht stumm. Die Waldtaube ist eigentlich kein lautes, lärmendes Geschöpf, aber ihrer eine Million, versammelt auf der Höhe eines Berges, auf einem Platz, keine (englische) Quadratmeile groß, beraubten den Wald des Charakters der ihm sonst, eigenthümlichen, hehren Stille. Im Weiterschreiten bot ich wieder, beinahe unbewußt, Dus meinen Arm, und sie nahm ihn diesmal an, mit eben der zerstreuten Unbewußtheit, womit ich ihr ihn geboten hatte. So aneinander geschlossen, folgten wir dem ernst dreinschauenden Onondago, wie er immer tiefer in das flatternde und schwirrende Gewühle uns hinein führte.

Zu diesem Augenblick trat eine Unterbrechung ein, die, wie ich gerne gestehen will, mir das Blut gewaltsam gegen das Herz strömen machte. Dus drängte sich an mich, wie ein Weib sich an einen Mann hält und drängt, wenn er ihr Vertrauen besitzt und sie fühlt, daß sie sich nicht ohne fremden Beistand aufrecht halten kann. Ihre beiden Hände ruhten auf meinem Arm, und ich fühlte, daß sie, unbewußt, sich enger an mich schmiegte, in einer Art, wie sie in einem Augenblick der vollkommenen Selbstbeherrschung zu thun sorgfältig vermieden haben würde. Und doch kann ich nicht sagen, daß Dus sich fürchtete. Ihre Farbe hatte sich erhöht, ihre entzückenden Augen waren voll Verwunderung nicht ohne eine Beimischung von Neugier, aber ihre ganze Haltung war muthig, trotz einer Scene, welche die Nerven des kühnsten Mannes hätte auf die Probe setzen mögen. Sureflint und der Kettenträger allein blieben ganz unbewegt, denn sie waren früher schon in Taubenlagern gewesen, und wußten, was sie zu erwarten hatten. Für sie hatten die Wunder der Wälder nichts Neues und Ueberraschendes. Beide standen sie da, auf ihre Büchsen gelehnt, lächelnd über unser augenfälliges Staunen. Doch ich irre mich; der Indianer lächelte nicht einmal, denn das wäre bei ihm etwas ganz Ungewohntes gewesen, daß er durch ein solches äußeres Zeichen seine Empfindung kund gegeben hätte, aber er verrieth doch wirklich eine Art von heimlichem Bewußtseyn, daß die Scene für uns überraschend, ja betäubend seyn müsse. Doch ich will versuchen zu erklären, was es war, das den ersten Eindruck unseres Besuches noch so gewaltig steigerte.

Während wir da standen, das außerordentliche Schauspiel vor uns anstaunend, hörten wir ein Geräusch sich erheben, lauter als das des beständigen Flatterns und Schwirrens, das ich nur mit dem Daherstampfen von Tausenden von Pferden auf einer harten Straße vergleichen kann. Dies Geräusch tönte zuerst fern, nahm aber schnell an Stärke zu und schien ebenso rasch näher zu kommen, bis es über uns zwischen den Baumwipfeln hereinbrach wie das Krachen des Donners. Die Luft war plötzlich verfinstert, und an der Stelle wo wir standen wurde es dunkel, wie bei dämmerndem Zwielicht. In demselben Augenblick schienen alle Tauben in unsrer Nähe, welche in ihren Nestern gewesen waren, aus denselben herauszustürzen und der Raum unmittelbar über unsren Köpfen erfüllte sich auf einmal mit Vögeln. Das Chaos selbst konnte kaum eine größere Verwirrung, einen gewaltigern Aufruhr darstellen. Die Vögel schienen jetzt unsre Anwesenheit gänzlich nicht zu beachten, vielleicht konnten sie uns wegen ihrer Menge nicht einmal mehr sehen, denn sie flatterten zwischen mir und Dus herein, uns mit den Flügeln schlagend, und zu Zeiten schien es, als wenn wir von Lawinen von Tauben begraben werden sollten. Wir Alle bekamen wenigstens eine mit den Händen zu fassen, während der Kettenträger und der Indianer ihrer ziemlich viele griffen, und immer wieder einen Gefangenen losließen, wie sie einen neuen haschten. Mit einem Wort, wir befanden uns so zu sagen in einer Welt von Tauben. Diese Scene mag eine Minute gedauert haben, dann lichtete sich plötzlich der Raum um uns her, die Vögel schwangen sich hinauf zwischen die Zweige der Bäume und verschwanden unter dem Laub. Dies Alles war die Folge der Zurückkunft der weiblichen Vögel, welche auf eine Entfernung von wenigstens zwanzig Meilen fortgeflogen gewesen waren, um sich mit Bucheckern zu nähren, und die nun die Stellen der männlichen Tauben in den Nestern einnahmen; und jetzt flogen die letztern ihrerseits aus, um sich zu ätzen.

Eine Art Neugier hat mich seither veranlaßt, einigermaßen die Zahl der Vögel zu schätzen, welche in dieser für uns so merkwürdigen Minute in den Roost hereingeflogen seyn mögen. Eine solche Berechnung muß natürlich sehr schwankend und unbestimmt seyn, obwohl man gewisse Anhaltspunkte gewinnen mag dadurch, daß man den Umfang eines Schwarms nach der bekannten Geschwindigkeit des Fluges schätzt, und durch andere ähnliche Mittel, und ich erinnere mich, daß Frank Malbone und ich der Ansicht waren, eine Million Vögel müssen bei dieser Rückkehr herein, und ebenso viele dann wieder weggeflogen seyn! Da die wilde Taube ein sehr gefräßiger Vogel ist, kann sich Einem wohl die Frage aufdrängen, wo sich für so viele Schnäbel das Futter finde; aber wenn man sich an die ungeheure Ausdehnung der amerikanischen Wälder erinnert, ist diese Schwierigkeit sogleich gehoben. Angenommen, daß die von uns besuchte Colonie viele Millionen Vögel enthielt, – und daß dem wirklich so war, wenn man alte und junge miteinrechnet, bezweifle ich nicht, – war doch vermuthlich ein fruchttragender Baum für jeden in einer Entfernung, welche mittelst eines einstündigen Fluges zu erreichen war!

In solchem Maaßstabe schafft und wirkt die Natur in der Wildniß! Ich habe zu bestimmten Jahreszeiten und an bestimmten Orten Insekten in der Luft fliegen sehen, so viele, daß sie kleine Wolken bildeten, und Jeder hat schon häufig dies Schauspiel gesehen; und wie diese Insekten, in verkleinertem Maaßstabe, so erschienen uns die wilden Tauben in dem Roost von Mooseridge. Wir brachten eine Stunde in dieser Vogelstadt zu, und so wie wir an unsern Aufenthaltsort uns gewöhnten, fanden wir auch unsre Sprache und unsre andern Sinnes- und Geisteskräfte wieder. Nach kurzer Zeit wurde selbst Dus so ruhig und gefaßt, als dies überhaupt der Fall seyn konnte bei der unvermeidlichen Aufregung, welche das Verweilen an einem solchen Platze begleitete, und wir studierten die Art und Weise der hübschen Thierchen mit einem Eifer, der, wie ich spürte, bei mir dadurch noch um Vieles gesteigert wurde, daß ich sie in ihrer Gesellschaft studieren durfte. Nach einer Stunde verließen wir den Berg wieder, und unser Weggehen verursachte so wenig Aufsehen und Unruhe unter diesem zahllosen Volke von Tauben, als unser Kommen.

»Es ist dies ein Beweis, daß die Zahl unsre Natur ändern kann,« sagte Dus, als wir den kleinen Berg hinab stiegen. »Hier sind wir beinahe in eigentlicher Berührung mit Tauben gewesen, welche uns nicht auf hundert Fuß hätten an sich herankommen lassen, wären sie in gewöhnlichen Schwärmen oder einzeln gewesen. Ist es ihre große Zahl, die ihnen Muth gibt?«

»Eher Zuversicht. Gerade so ist es auch bei den Menschen, welche in großen Haufen eine Unbekümmertheit zeigen, die sie einzeln selten an den Tag legen. Ein Anblick, eine Störung, eine Gefahr sogar, die all unser Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn wir zu Wenigen sind, scheinen uns oft gleichgültig im Tumult und Gewühl von vielen Mitgeschöpfen.«

»Aber was bedeutet dann ein panischer Schrecken bei einem Heer?«

»Er erklärt sich aus demselben Gesetze, daß nämlich der Mensch ergriffen wird von den Gefühlen und Trieben seiner Umgebung. Geht dieser Trieb vorwärts, so folgen wir ihm vorwärts; im entgegengesetzten Falle laufen wir davon wie Schaafe. Wenn wir mit uns als mit einer Gesammtheit beschäftigt sind, beachten wir kleine Störungen nicht, so wenig als so eben diese Tauben unsre Anwesenheit. Große Schaaren von Thieren und von Menschen scheinen gewissen allgemeinen Gesetzen folgen zu müssen, wonach die Macht und der Einfluß der Gesammtheit auf die Handlungen und Empfindungen jedes Einzelnen oder einiger Weniger sich immer mehr steigert.«

»Nach dieser Regel müßte unsere neue republikanische Regierungsform eine sehr starke seyn; und doch habe ich von Vielen schon die Besorgniß aussprechen hören, es werde gar keine Regierung seyn.«

»Wenn nicht ein Wunder zu unsern Gunsten geschieht, so wird es in gewissen Hinsichten zwar die stärkste Regierung auf der Welt seyn, in anderen dagegen die schwächste. Sie stellt ein Princip der Selbsterhaltung auf, dessen andere Systeme sich nicht zu rühmen haben, weil das Volk sich gegen sich selbst auflehnen müßte, um es umzustoßen; aber auf der andern Seite wird es des energischen, lebendigen Princips stetiger, konsequenter Gerechtigkeit bedürfen, weil keine unabhängige Gewalt da seyn wird, deren Pflicht und deren Interesse es wäre, für Uebung und Verwaltung derselben Sorge zu tragen. Der weiseste Mann, den ich in meinem Leben kennen gelernt, hat mir prophezeit, dies sey der Punkt, an welchem unser System zusammenbrechen werde, denn es werde dadurch der Ruf, die Person und das Vermögen der Bürger unsicher und bedroht, und in Folge hievon die Institutionen denen verhaßt, die sie früher hochgehalten hätten.«

»Ich hoffe, damit hat es keine Gefahr!« sagte Dus rasch.

»Gefahr liegt in Allem, was der Mensch in Händen hat und lenkt. Wir haben Leute unter uns, welche die mögliche Vollkommenheit der Menschheit predigen, und dabei dem groben Irrthum huldigen, die Menschen seyen so, wie sie der Erfahrung nach sind, blos deßwegen, weil sie schlecht regiert werden, und eine gefährlichere Theorie kann, nach meinem geringen Dafürhalten, gar nicht aufgestellt und verbreitet werden.«

»Also haltet Ihr diese Theorie für falsch?«

»Ohne alle Frage! – Regierungen werden öfter durch die Menschen verderbt, als die Menschen durch die Regierungen, obwohl letztere gewiß einen auffallenden Einfluß auf den Charakter ausüben. Die beste Regierung, von der wir Etwas wissen, ist die des Weltalls, und sie ist dies einfach deshalb, weil sie von einem einzigen Willen ausgeht, und dieser Willen ohne Mangel und Tadel ist.«

»Die despotischen Regierungen gelten aber für die allerschlechtesten auf der Welt.«

»Sie sind gut oder schlecht, je nachdem die Handhabung und Verwaltung ist. Die Notwendigkeit, solche Regierungen durch Gewalt aufrecht zu erhalten, macht sie oft drückend; aber die Regierung von Vielen kann sogar noch despotischer werden, als die eines Individuums, da das Volk immer geneigt seyn wird, die Unterdrückten zu unterstützen gegenüber dem Despoten, aber selten oder nie gegen sie selbst. Ihr habt gesehen, wie diese Tauben, hingerissen von der Bewegung der Masse, ihren natürlichen Instinkt verloren. Gott wolle mich immerdar bewahren vor der Tyrannei der Massen!«

»Aber Jedermann sagt, unser System sey bewundernswerth und das beste von der Welt; und auch die Regierung eines Despoten bleibt eben die Regierung eines Menschen.«

»Es ist eine Folge des Regiments der Massen, daß die Menschen sich scheuen, die Wahrheit zu sagen, wenn sie sehen, daß ihnen große Majoritäten gegenüber stehen. Was die Selbstregierung betrifft, so waren die Kolonien immer freier als das Mutterland; und wir folgen bis jetzt noch immer nur unserem alten Herkommen, indem wir Gehorsam gegen den Bund an die Stelle des Gehorsams und der Unterthanschaft unter den König setzen. Der Unterschied ist nicht so wesentlich, daß er so bald schon Aenderungen herbeiführen müßte. Wir müssen abwarten, bis das, was unser jetziges System von neuen Principien enthält, Zeit gehabt hat, radikale Veränderungen zu bewirken, wo wir dann erst mit Sicherheit erkennen werden, um wie viel wir in der That besser sind, als andere Menschen und Völker.« Zu der Zeit, wo Mr. Mordaunt Littlepage so sprach, war es weit weniger Mode, unsere Institutionen zu rühmen und zu erheben, als heutzutage. Die Menschen schrieben und sprachen offen dagegen, während in der Gegenwart Wenige den Muth haben, auf Fehler hinzuweisen, von welchen jeder Verständige weiß und fühlt, daß es Gebrechen sind. Vor wenigen Jahren, als Jackson als Präsident in das Weiße Haus einzog, war es in Europa ganz gewöhnlich, zu behaupten: wir hätten einen Soldaten zur Gewalt erhoben, und die Herrschaft der Bajonette stehe bevor. Jeder intelligente Amerikaner wußte, daß dies baarer Unsinn war. Das Herannahen der Herrschaft der Bajonette bei uns, falls sie je eintreten sollte, müßte erkannt werden an dem Ueberhandnehmen demokratischer Mißbräuche, gegen welche Gewalt das einzige Mittel wäre. Jeder, der es gut meint mit der Freiheit, deren sich dies Land bisher erfreut hat, sollte jetzt die demokratischen Tendenzen mit Mißtrauen betrachten, da, wenn je die Freiheit untergehen sollte, dies nur die unmittelbare Folge derselben seyn könnte; denn es ist eine der verdorbenen menschlichen Natur wesentlich anhaftende Eigenschaft, alle Vorrechte und Güter zu mißbrauchen, sogar diejenigen, welche mit der Religion selbst im Zusammenhang stehen. Wenn irgend etwas, so beweist die Geschichte diese Wahrheit. D. H.

Dus und ich besprachen uns noch weiter über diesen Gegenstand, bis sie wieder ihr Pferd bestieg. Ich war entzückt über ihren gesunden Verstand und ihre Einsicht, welche sich mehr in der Angemessenheit ihrer Fragen kund gaben, als in positiven Kenntnissen, die sie etwa von derlei Gegenständen besessen hätte, welche für junge Frauen in der Regel wenig Anziehendes haben. Aber doch besaß Dus eine Beweglichkeit des Geistes und eine rasche, glückliche Auffassung, welche manche Mängel der Bildung in diesem Punkte ersetzten; und ich erinnere mich nicht, je eine politische Erörterung geführt zu haben, die mir so viel Vergnügen und Befriedigung gewährt hätte. Ich muß jedoch gestehen, es ist möglich, daß das goldene Haar, ein Angesicht umwallend, das gerade so rosig war, als sich mit der Zartheit ihres Geschlechtes wohl vertrug, der schwellende Mund, die glänzenden Zähne und die lebhaften und dabei doch sanften und zärtlichen blauen Augen dazu beigetragen haben mögen, den Eindruck einer Weisheit zu erhöhen, die ich so außerordentlich fand.

 


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