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Fünfundzwanzigster Brief

London's Durchgänge. – Nationaltheater. – Kapitain Hall. – Amerikanische Gesellschaft und Aussprache. – Des Königs Geburtsfest. – Die Garde zu Pferd. – Amerikanische Großsprecherei. – Prachtvolles Schauspiel. – Zug von Kutschen. – Weibliche Schönheit. – Kutscher. – Königliche Prinzessin. – Zeitungsberichte.

 

An Herrn J. E. de Kay in New-York.

Mr. Rogers kam vor einigen Abenden, mir einen freundschaftlichen Besuch zu machen, und ich ging mit ihm aus, ohne noch recht zu wissen, wo wir eigentlich uns hinwenden sollten. Wir trabten miteinander durch die Straßen, wobei er hauptsächlich den Führer machte, denn er ist ein tüchtiger und entschlossener Fußgänger; ich ging hinter ihm her, und das mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen in einer Stunde.

London hat gewisse besondere Wege, »Durchgänge« (passages) genannt, auf denen man, wie ich glaube, den Kutschen aus dem Wege kommt, viele Straßen vermeidet und in der kürzesten Zeit zu seinem Ziel gelangt. Wir nahmen unsern Weg durch mehrere solcher Durchgänge und kamen auf Leicester-Square heraus. Wir gingen über den Platz und verfolgten unsern Weg bis zu den Schauspielhäusern und begaben uns in das Coventgarden-Theater. Da ich nichts anders zu thun hatte, als meinem Leitsmann zu folgen, der durch gewisse Zeichen sich verständigte, um überall hin zu kommen, wo es ihm behagte, so befand ich mich bald in einer Privatloge, ganz nahe an der Scene, fast in gleicher Höhe mit dem Parterre. Ein ruhiger ältlicher Mann war bereits im Besitz der Loge; doch schien er mit meinem Begleiter bekannt zu sein, der ihm ein Paar Worte zuflüsterte und mich ihm darauf vorstellte, nämlich dem Vice-Kanzler Sir John Leach.

Das Stück stellte einige Schnurren und Späße aus der sogenannten guten alten Londoner Zeit vor, aber die Scenerie war das Beste. Da ich leicht voraussetzen konnte, daß man die besten Gewährsmänner befragt haben würde, so machte es mir ein recht großes Vergnügen, die zierlichen Schilderungen zu betrachten, die man uns hier nach und nach beschauen ließ; aus einigen derselben ging genugsam hervor, daß unsere englischen Vorfahren ziemlich in dem rohen Styl baueten, welchen man noch jetzt in den Städten der Picardie und Normandie antrifft, und daß, was auch London jetzt sein mag, es doch nicht immer ein Wunder der Welt zu heißen verdiente.

Das Schauspielhaus war weit größer als irgend eins der amerikanischen Schauspielhäuser; es war besser beleuchtet und hatte ein reinlicheres und frischeres Ansehen, trotz London und Kohlenstaub. Die Zuhörer bestanden ganz augenscheinlich aus einer Klasse, die tief unter der höchsten steht, doch hatten sie ein anständiges und gefälliges Ansehen, und wenn ihr guter Geschmack auch wohl hier und da hätte können bezweifelt werden, so war doch nichts an ihrem manierlichen Aeußern auszusetzen. Kurz, ich erblickte hier so ziemlich dasselbe, was man auch in unsern bessern Theatern zu sehen gewohnt war, ehe die Gothen uns überschwemmten. Das Spiel unterschied sich kaum von dem, was wir ebenfalls in Amerika gewöhnlich zu sehen bekommen, wiewohl ein mehr englischer Ton hier hervortrat. Unter den Schauspielern befand sich Mr. Charles Kemble. Der Umstand, daß die untere Logenreihe für Leute in Abendgesellschaftsanzügen ausschließlich bestimmt schien, und daß die Männer mit unbedecktem Haupte dasaßen, gab dem Schauplatz ein Ansehen von Anständigkeit und Comfort, um eines englischen Ausdrucks mich zu bedienen, den man jetzt selten mehr an unfern öffentlichen Erholungsorten antrifft.

Es ist ein unendlicher Vortheil, ein Nationaltheater zu besitzen. Unsere Moralisten haben darin einen Hauptmißgriff begangen, daß sie das Schauspiel mit sauern Gesichtern ansahen; denn während sie ihr Unvermögen, es gänzlich in Verruf zu bringen, bekundeten, so haben sie es nunmehr gänzlich den Händen derjenigen überlassen, welche blos die pekuniären Vortheile dabei berücksichtigen. Das Schauspiel sollte vom Staat in Schutz genommen und unterhalten werden; das wäre das beste Mittel, ihm eine zweckmäßige Richtung zu geben und den Mißbräuchen desselben Einhalt zu thun, oder vielmehr solche gänzlich abzuschaffen. Die gewöhnliche Ansicht, daß Theater Belustigungsorte für leichtsinnige, müßige, zerstreuungssüchtige Leute seien, ja, für lasterhafte Männer und leichtfertige Frauenzimmer, ist auf engherzige Rücksichten und geringe Weltkenntniß gegründet. In manchen Ländern müssen die Kirchen der Ausführung von Intriguen die Hand bieten, und doch möchte dieses schwerlich ein Beweggrund sein können, um keine Kirchen zu besuchen.

Die englische Regierung hat sich die Oberaufsicht über die Schaubühne vorbehalten, ein Umstand, der von guten Folgen sein kann, wenn sie gehörig den beabsichtigten guten Zweck im Auge behält. Aber in allen Ländern, wo die Staatseinrichtungen nicht den Bedürfnissen der Masse des Volks von Grund aus entsprechen, da geht die Tendenz der bestehenden Censur einzig dahin, das eingeführte Regierungssystem zu stützen, und um dies, ohne das geringste gehässige Aufsehen zu erregen, durchführen zu können, so bekümmert sich die Censur weit weniger um Dinge, die wesentlich mit dem rein moralischen Bedürfniß der Nation zusammenhängen. So werden oftmals Stücke, welche lasterhaften Neigungen schmeicheln, als Beschwichtigungsmittelchen, dem Publikum gar nicht vorenthalten, damit sie es ruhig ertragen, wenn die Censur bisweilen Stücke unterdrückt, welche dem Despotismus bedenklich scheinen.

Wir sind noch zu jung und zu provinziell, um ein Nationaltheater zu haben. Nichts ist leichter gethan, als zu reden oder zu schreiben zum Lobe Amerikas und dessen, was in ihm ist, vorzüglich was Dinge oder Sachen betrifft; aber noch wenige Männer haben hinreichenden Muth, den Leuten bittere Wahrheiten zu sagen. Wir haben eine einseitige Rede- und Preßfreiheit, welche Jeden recht tapfer sein läßt in Lobeserhebungen, aber selbst auf der Kanzel nimmt man sich bei uns in Acht, die geheiligte Pflicht zu üben wider manche der am meisten ansteckenden, am leichtesten zu erkennenden und am häufigsten vorkommenden Gebrechen. Es gilt schon als eine kühne Sprache, wenn ganz im Allgemeinen manche Fehler gerügt werden, und selbst manche persönliche Winke läßt man sich noch gefallen; wo aber sieht man Jemanden offen heraustreten und auf das hindeuten, worin am meisten gefehlt wird? In einiger Zeit könnte das Schauspiel ein sehr wirksames Besserungsmittel für Amerika werden; aber in dem wahren Geist dörfischer Empfindlichkeit und provinzieller Eigenliebe würde ein dramatischer Dichter oder auch ein Schauspieler jetzt kaum wagen dürfen, irgend ein Gebrechen naturgetreu zu schildern, ohne daß man besorgen müßte, daß die ganze Zuhörerschaft auf einmal ausriefe: »Wen meinen Sie, Herr? vielleicht gar mich?«

Eben jetzt wird hier tüchtig über uns gelacht wegen der Art und Weise, wie unsere öffentlichen Blätter gegen das letzte Buch von Kapitain Hall auftreten. Keine Station pflegt sich ruhig zu verhalten, wenn sie verhöhnt wird; und gewiß sind die Engländer außerordentlich dünnhäutig, ungeachtet sie ein so stolzes Volk sind und so viele gerechte Ansprüche auf Größe haben. Es ist richtig, daß beide Völker sich auf ihren Nationalcharakter oft gar viel einbilden, daß sie sich gar manche ausschließliche Vorzüge zutrauen, auf welche sie ausschließliche Ansprüche hätten; und vermöge dieser Selbstüberschätzung, in welcher die Pressen eine vorzügliche Thätigkeit entwickelten, haben sie es endlich so weit gebracht, daß sie jeden Menschen, der ihnen diese übertriebenen Lobsprüche verweigert, wie eine Art Räuber betrachten. Vielleicht gibt es kein Volk, das sich so öffentlich, so beleidigend, so vorsätzlich, so angelegentlich selbst lobpreiset, als das englische und amerikanische, und ich zweifle keineswegs, daß die Zeitungsblätter bei ihnen wie bei uns die Hauptursachen sind, daß dieses Gebrechen auf eine so gemeine Weise öffentlich hervortritt; denn darin, daß eine solche Selbstüberschätzung wirklich besteht, darin, meine ich, ist der Unterschied zwischen beiden Völkern so wenig, als zwischen Personen erheblich genug, um über das Mehr oder Weniger zu streiten.

Dabei hat es mich sehr gewundert, bemerken zu müssen, daß, während man in ganz Amerika feindlich gegen Kapitain Hall auftritt, weil er sich über unsere Manieren lustig macht, man dagegen nirgends sich bestrebt hat, gegen ihn aufzutreten, wo er unsere Verfassung angreift! Ich kenne keinen Schriftsteller, dem man so leicht in den Thatsachen, die er anführt, Unrichtigkeiten nachweisen kann, dem man so leicht seine politischen Behauptungen widerlegen kann, als diesem Kapitain Hall. Demungeachtet wird so viel Tinte unnütz verspritzt, um ein anständiges und gebildetes Benehmen zu vertheidigen, das zu bessern und auszubilden uns weit mehr geziemen würde, als deßhalb mit ihm zu rechten, und man betrachtet dagegen die glorreichen Fakta unserer politischen Zustände mit einer Rücksichtlosigkeit, als ob sie gar keine Beachtung verdienten. Rührt dies vielleicht von dem Bewußtsein her, daß letztere an sich selbst über alle Angriffe erhaben sind, während wir in ersterer Hinsicht ein geheimes Mißtrauen gegen uns selbst nicht verläugnen können? Wäre dies wirklich der Fall, dann würde der menschlichen Natur keine Gewalt geschehen.

Das, was ich an dem Buche des Kapitain Hall am meisten zu tadeln finde, ist, daß es weit mehr Beschuldigungen blos andeutet, als es beweist, oder auch nur wirklich selbst behauptet. Das ist die schlechteste Art, einen Menschen oder ein Volk zu verläumden; denn da läßt sich weder Widerlegung noch bloßer Widerspruch geltend machen. Doch ich vermag ihnen kaum den Ekel auszudrücken, welchen ich als fernstehender Zuschauer empfand, wenn ich in Zeitschriften die kleingeisterisch vorgreifenden Bemerkungen las, was Mr. Hall für uns werden könne, indem er den Charakter der Nation hervorheben werde; und dann wieder die niedrigen persönlichen Beleidigungen, welche hinterher folgten, so wie man bemerkte, daß die vorgreiflich gehegten Erwartungen unerfüllt blieben. Um offen zu reden, das erstere machte dem Ton, den Ansichten, den Behauptungen, der Handelsweise unserer Nation so wenig Ehre, als das letztere.

Für einen Engländer ist es fast unmöglich, daß er nach einer blos kurzen Bekanntschaft sich mit dem geselligen Zustande von Amerika befreunden könne. Ich habe noch keinen Engländer gekannt, der es gethan hat, und ich glaube nicht, daß es irgend einem Europäer behagen könne, von welchem Theil von Europa er auch zu uns komme. Längere Gewöhnung muß nothwendig vorher manche Rauhigkeiten abschleifen, bis dies geschehen kann; auch kann ich nicht wohl glauben, daß es viele Amerikaner gibt, die sich mit Englands socialem Zustande befreunden könnten, sobald sie von der glatten Oberfläche etwas tiefer in's Innere eindringen, wiewohl auch hier die Zeit manche Dinge ausgeglichen hat. Ich bin daher weit entfernt mit einem Fremden mich darüber zu zanken, der frei heraus sagt: Euer geselliger Verkehr gefällt mir nicht; ich vermisse darin Ordnung, Haltung, Bildung, Einfachheit und Männlichkeit; statt dessen habt ihr dünkelhaftes, lärmendes, kindisches, gereiztes Benehmen und mengt durch einander, was nicht zusammen paßt. Diese Gebrechen unseres Zusammenlebens sind so offenbar, daß man den Erklärungen, wie vielmehr das Gegentheil statt finde, die man bisweilen hört, nicht anders als mißtrauen kann. Ungeachtet ich dies Alles einräume, so zweifle ich doch keinesweges, daß die meisten Bücher, welche von englischen Reisenden über Amerika verfaßt worden sind, und in welchen man Amerika lächerlich zu machen versucht hat, nur den Vorurtheilen der Engländer zu Gefallen geschrieben worden sind, und daß man grade diesen Weg aus keinem andern Grund wählt, als weil man auf solche Weise bei den Lesern mehr Interesse zu erregen hofft, als auf irgend eine andere. Wenige Verfasser solcher Beschreibungen zeigen redliche Absichten, welche man dennoch entdecken kann, selbst wenn ein Schriftsteller aus Unkunde mit dem wirklichen Verhalten viele Irrthümer ausspricht; doch zufälliger Weise hat grade das Werk des Kapitän Hall diese Entschuldigung für sich, daß der Verfasser mehr aus Unkunde, als aus böser Absicht gefehlt hat. Kapitän Hall sagt unter anderm, er habe sich gewundert, daß unsere Häuser nur halb möblirt seien. Dagegen sagt der Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, der auf seiner Reise von England aus in Boston landete, in Amerika habe er die Häuser weit besser möblirt gefunden als in England, was er so eben verlassen hatte. Von diesem Zeugniß nimmt die Quarterly Review Gelegenheit zu bemerken, man werde wohl schwerlich zugeben können, daß ein Marinekapitän Sr. Englischen Majestät besser über dergleichen Dinge urtheilen könne, als ein deutscher Herzog! Das auserlesen Kindische solcher Entgegnungen macht sich von selbst lächerlich, und grade hier hat Kapitän Hall in der Hauptsache doch Recht. So weit wir in unserm Ameublement unser Ziel gesteckt haben, sind unsere Möbeln im Allgemeinen schöner, als in England, und vermuthlich hat der Herzog sein Urtheil nach einzelnen Häusern bestimmt; aber nichts ist mehr wahr, als daß in Ansehung des spärlicheren Ameublements die Häuser in Amerika, wenn man eben aus England oder Frankreich kommt, ein fast nacktes Ansehen haben.

Die Aussprache auf dem Theater von Coventgarden ist dieselbe, wie man sie bei uns hört. Die Sprache des Umgangs weicht hier nicht wesentlich ab von der bessern Sprechweise in den mittlern Staaten bei uns, obschon man sich hier auch wohl besser ausdrückt als in den jetzt sogenannten guten Gesellschaften bei uns. Als Nation sprechen wir im Ganzen richtigeres Englisch als die Engländer selbst; aber es wäre ungereimt, behaupten zu wollen, die allgemeine Sprechweise der höher gebildeten Klassen in Amerika sei ebenso fehlerfrei, als bei denselben Klassen in England. Ich rede hier natürlich nicht von den Wörtern unserer Sprache, welche überhaupt verschieden ausgesprochen werden, sondern blos von solchen, deren Provincialismus nicht bezweifelt werden kann. Die Frauen haben in England eine deutliche, ruhige, geregelte Weise sich auszudrücken, welche den Amerikanerinnen fast ganz fremd ist. Ihre Stimmen ähneln mehr einer Art Contra-Alt Wenn dies kein Scherz des Verfassers ist, um den Contrast der gedämpften Stimme der Engländerinnen mit der lauten Stimme der Amerikanerinnen desto auffallender zu bezeichnen, so hat er wohl einen Schriftfehler übersehen; denn wenn auch die Engländerinnen größthenteils länger und robuster gewachsen sind, als man dies im Allgemeinen von den Nordamerikanerinnen sagen kann, so möchte doch eine Contra-Altstimme nicht leicht bei ihnen zu finden sein. Uebrigens ist das Affektiren einer tiefern Stimme wohl ebenso wenig reizend, als unbedachtes Fistuliren., als die Stimmen unserer Frauen, die etwas eigenthümlich Schrillendes haben, und die Engländerinnen haben ihre Stimmen auch mehr in ihrer Gewalt; wir sind wirklich in allen diesen Dingen noch ziemlich Naturkinder. Auch sind die Manieren bei uns jetzt unstreitig weit weniger gebildet, als vor etwa dreißig Jahren, welches eine Folge der Vermengung der verschiedenen Stände ist, vermöge der schnellen Zunahme der Bevölkerung und der raschen Vermehrung des Wohlstandes in allen Klassen des geselligen Verkehrs.

Da ich eben von theatralischen Vorstellungen rede, so darf ich wohl zu einer andern Art öffentlicher Vorstellungen abschweifen, die selbst für England etwas vom Alltäglichen Abweichendes hat. Vor kurzem gab es hier einen königlichen Geburtstag zu feiern, und da Georg der Vierte selten im Publikum erscheint, so waren die Festlichkeiten bei dieser Gelegenheit weit glänzender als gewöhnlich. Einer der hiesigen Gebräuche fordert, daß junge Damen dadurch zuerst in der Welt eingeführt werden, daß man sie bei solchen Gelegenheiten bei Hofe vorstellt; und so streng wird die Etiquette in manchen englischen vornehmen Familien beobachtet, daß, wie man mich versichert, mehre junge Damen, die das übliche Alter erreicht hatten, schon zwei oder drei Jahre auf eine solche Feierlichkeit warteten, um endlich in die große Welt eingeführt zu werden. Ueberhaupt schien Jedermann bemüht, diese Feierlichkeit so gut als möglich zu benutzen, und so gab es eine weit größere Schau von Pracht und weit gewühligeres Gedränge von Hofleuten, als man gewöhnlich auch in diesem Lande bemerkt, wo dem König fast eben sehr geschmeichelt als er beschränkt wird.

Da unsere Wohnung dem Palast so nahe liegt, so konnte ich desto leichter Alles sehen was vorging, ohne mich der geringsten Unbequemlichkeit auszusetzen. Eins der ersten Schaustücke war der Zug der königlichen Garden zu Pferde von ihren Kasernen nach dem Palast.

Diese Mannschaft hatte einen weitverbreiteten Ruf wegen ihrer Größe und Pracht. Es sind wirklich großgewachsene Männer, aber im Felde mögen sie fast ganz untauglich ein. Sie sind auch blos zum Staat da. Im Staate mögen sie vielleicht gute Dienste leisten, um in einer Stadt wie London einen Volksaufstand im ersten Keime zu ersticken; denn ihr Aeußeres ist wohl hinreichend geeignet, einen unbewaffneten Volkshaufen in Schrecken zu jagen. In der Größe überragen sie bedeutend die französischen Gardes du Corps; aber die letztern sind sehr zahlreich, während erstere kaum fünfhundert Mann betragen mögen. Sie sind nicht sämmtlich eingeborne Engländer, denn als ich neulich hinter zweien von ihnen herging, hörte ich an ihrer Sprache, daß sie Ausländer waren. Vielleicht greift man diese Leute auf, wo sie vorkommen, wie die großen Gardisten Friedrich's des Zweiten. Es ist nicht unmöglich, daß sich unter ihnen auch mancher herumstreichende Yankee befindet, da es deren manche in der französischen Armee gibt.

Dem Zug dieser imposanten Schaar ging ein Trupp trefflicher Musikanten zu Pferde vorher, und die Musik gab der Volksmenge das Zeichen schaulustig herbeizuströmen. Auf zwei Wegen konnte man in den Palast gelangen, der eine war für das größere Publikum, der andere, für die Bevorrechteten, war ein Privateingang: Die Prinzen, die auswärtigen Minister in Begleitung derer, welche sie bei dieser Gelegenheit bei Hofe vorstellen wollten, die hohen Beamten des Königreichs und des Hofes und mehre Privilegirte benutzten den besondern Eingang, während die gemeine Heerde der Höflinge sich durch den großen öffentlichen Eingang – hineindrängte. Die ersteren stiegen in einem Hof in der Nähe des sogenannten Marstallplatzes (Stable-Yard), die anderen am Ende der Saint-Jamesstreet aus ihren Wagen.

Es ist ein einfacher Schicklichkeitssinn, wo nicht wirklich ein besserer Geschmack, worin sich die Engländer von ihren ehrsüchtigen Verwandten, unsern werthen Landsleuten unterscheiden, ich meine die Art, den Dingen Namen zu geben. Zum Beweise dient dieser »Stableyard,« der gewiß bei uns das »Stadium« oder »Gymnasium« heißen, wenn man nicht etwa gar ihm den Namen: »Campus Martius« beilegen würde. Die Menschen wollen gern Aufsehen erregen, und daher haschen sie nach gelehrt oder vornehm lautenden Benennungen, die ihnen neu sind; und da die Masse des Volks bei uns etwas mehr Bildung hat, als an andern Orten, ohne deßhalb hinreichend gebildet zu sein, um an gediegener Einfachheit sich gnügen zu lassen, und da eben diese halbgebildete Menge bei uns nicht geringen Einfluß hat, so schritten wir etwas mehr auf Stelzen einher, als man es in dergleichen Dingen wünschen möchte. Dieses Gebrechen zeigt sich auch in der gewöhnlichen Ausdrucksweise in unserm Lande, und früher oder später kann unsre Umgangssprache dadurch ganz verdorben werden; wenn das Verhältniß der Ungebildeten zu den Gebildeten in dem Maße zunehmen sollte, wie es seit den letzten zehn Jahren geschehen ist. Erst kürzlich befand sich der Verfasser in einem Eisenbahnwagen zu Bordenton an einer Stelle, wo die Compagnie seither ein großes Waarenhaus oder einen Schuppen errichtet hat. Einer im Wagen, der eben den Anfang zu einem Gebäude bemerkte, wollte wissen, was es geben solle. Der Verfasser saß am Fenster und wollte eben sagen: »Man hat hier den Grund zu einem geräumigen Gebäude gelegt«, aber ein anderer Reisender an einem andern Fenster kam ihm zuvor, und sagte: »Den äußern Merkmalen zufolge hat man hier die Aufführung eines Gebäudes von beträchtlicher Größe begonnen, allem Anschein nach darauf berechnet, um der Eisenbahngesellschaft die Erreichung ihrer besondern Zwecke zu erleichtern.« Die Ursache dieser Hinneigung zum Grandiosen anzugeben, wird Niemand wünschen; aber es ist schade, daß diese Erhabenheit gar zu allgemein um sich greift.

Ich stand also in dem »Marstallhof« – mag dieser Namen dem »gebildeten Ohr« auch noch so übel lauten, und sah zu, wie die Prinzen, Ambassadeurs, Herzöge nach und nach anlangten, und ergötzte mich an der Pracht ihrer Kutschen. Dergleichen hatte ich in Paris durchaus nicht gesehen, obschon der tägliche Aufwand des Königs von Frankreich wesentlich den des Königs von England übertrifft. Im Ganzen gefielen mir die prachtvollen Fuhrwerke mit den Krönlein über den Kutschenhimmeln, den Vergoldungen und Verbrämungen weit weniger, als die einfache Vortrefflichkeit der gewöhnlichen englischen Kutschen, an denen alles schön ist, weil nirgends überflüssiger Zierrath zu sehen ist. Herr von Polignac und Fürst Esterhazy waren ebenfalls gegenwärtig, der eine als französischer, der andere als österreichischer Ambassadeur. Der Herzog von Glocester, Vetter und Schwager des Königs, kam in großem Staat, wie es hier heißt; drei Lakeien in prachtvollen Livreen mit einer Art Jockeymützen standen hinten auf seinem Wagen. Er selbst war ein Mann von feinem Ansehen, mit einem stark hervortretenden Profil, vollem, zufriedenem Antlitz, und er trug Feldmarschalls-Uniform.

Doch bald wurde ich des bunten Geflimmers satt. Ich begab mich, von einem Freunde begleitet, um den Platz nach der langen Reihe von Kutschen, welche kaum so schnell ihre Insassen los werden konnten, als das immerwährende Ankommen neuer Wagen jene zum Weiterfahren drängte. Es hatten sich zwei solcher Wagenreihen gebildet, die eine in Saint James-Street die andere in Pall-Mall, und wir hatten Jemanden von der großen Länge der erstern Reihe sprechen hören; so beschlossen wir bis an's andere Ende der Straße zu gehen, weil dieser der kürzeste Weg war, unsere Neugier zu befriedigen, sie an uns vorüberkommen zu sehen, anstatt sie stehend zu erwarten.

Ich schätze die Länge dieser einen Reihe auf etwas über zwei Meilen. In der ganzen Linie befand sich keine einzige Miethkutsche, denn London gleicht hierin Paris so wenig als irgend möglich. Den größten Theil des Weges fuhren die Kutschen ganz nahe an den Trottoirs, um die Mitte der Straße für die Privilegirten frei zu lassen, auch wohl, um dem Menschengedränge freien Durchgang hin und her zu gestatten. Da also die Räder von der einen Seite fast in den Rinnsteinen umliefen, und weil die Kutschenkasten in England viel tiefer hängen, so befanden sich unsere Köpfe fast in gleicher Höhe mit denen, die in den Kutschen saßen. So spazierten wir also langsam vorwärts, längs dem ganzen Zug von Wagen, und betrachteten nach Bequemlichkeit sämmtliche Hofleute bei hellem Tage und weit mehr in der Nähe, als wir uns ihnen im Palast selbst hätten nähern können. Das Menschengedränge ließ sich das Ganze recht wohl behagen und schien den Zug wie ein Schauspiel zu betrachten, das nichts kostete.

Manche recht gut gekleidete und im Ganzen anständig aussehende Leute standen nahe an den Kutschenfenstern und blickten ganz dreist hinein, als ob sie die Eigenthümer derselben wären, und mit ihren Frauen und Töchtern plauderten. Hier und da versuchte ein Lakai diesen Unhöflichkeiten Einhalt zu thun, indessen die Frauen in den Wagen sich ruhig in ihr Schicksal ergaben. Fielen dergleichen Frechheiten bei uns vor, so würden sie als eine natürliche entsittlichende Folge unserer demokratischen Einrichtungen betrachtet werden! Aus der schon erwähnten Ursache befand sich eine ungewöhnlich große Anzahl von jungen Damen in dieser Folge von Kutschen, um bei Hofe vorgestellt zu werden, und es ist eine große Frage, ob in der Welt eine Parallele zu solcher Schönheit und Jugendblüthe aufgefunden werden könnte, wie sie hier in langer Reihe an uns vorüberzog. Ich habe irgendwo gesagt, daß die englischen Frauenzimmer vor den unsrigen im völligen Putz einen großen Vorzug haben, und bei dieser feierlichen Gelegenheit erschienen sie in dieser ihrer Ueberlegenheit vorzüglich reizend. Ich glaube kaum, daß wir eben so viele Schönheiten ganz in demselben Typus hätten aufweisen können. Doch wenn man auf den Unterschied zwischen einer zerstreueten und gedrängten Bevölkerung Rücksicht nimmt, so geziemt es, in einem so zarten Punkt mit etwas mehr Vorsicht zu urtheilen.

Die alte Hoftracht hat, vorzüglich bei den Damen, wie ich glaube, in der letzten Zeit manche Veränderungen erlitten. Man sagt mir, die Reifröcke seien völlig abgekommen; selbst konnte ich mich nicht davon überzeugen, da ich die Damen blos im Sitzen beobachtete. Die Coiffüren waren nicht übel, und die Toilette, wie man sich leicht vorstellen kann, ganz prächtig. Diamanten funkelten um Augen, die fast nicht minder leuchteten. In Frankreich bedient man sich der Diamanten weit seltener, außer bei Hoffesten; hier schmücken sich vermutlich die Damen weit öfter damit, da der Hof fast ganz eingezogen lebt, in andern größern Gesellschaften. Bei dieser Gelegenheit sah man Diamantenschmuck in Menge die schönsten Stirnen zierend in der ganzen Christenheit.

Die Männer erschienen, außer denjenigen, welche wir in ihren vorschriftsmäßigen Staatsuniformen erblickten, sonst sämmtlich in den wohlbekannten rothweinfarbigen Röcken mit stählernen Knöpfen, Ringen, Schwertern und gestickten Westen. Da Viele von ihnen, welche allein gekommen waren, lieber aus ihren Wagen stiegen und zu denselben zu Fuß hingehen, als stundenlang auf ihre Annäherung warten wollten, so trafen wir eine bedeutende Anzahl der englischen hohen Herrschaften auf der Straße, so daß dadurch das Gewühl das Ansehen eines Carneval-Aufzugs bekam. Doch ist im Ganzen der Anzug der Männer in England recht einfach und geschmackvoll; und selbst bei dieser Gelegenheit war das Bunte und Geschnörkelte mehr auf die Dienerschaft beschränkt.

Doch, abgesehen von dem lieblichen Anblick der jungen und schönen Damen, trug den Preis des großen Tags die Kutscherinnung davon. Jeder Kutscher hatte eine neue Perücke auf und manche zierten überdies ihren flächsernen Hauptschmuck mit den ausgesuchtesten Formen von Castorhüten, die irgend in den Läden aufzutreiben waren. Es wäre durchaus keine richtige Schilderung, wenn man diese Hüte dreieckige Stutzhüte hätte nennen wollen, denn diese eckigen Rosselenker nahmen sich viel zu stutzerhaft aus, als daß dieser Name der Hüte hier hätte passend sein können. Stellen Sie sich nur selbst die stattliche Haltung und die kecke Würde eines Fünfzigers vor, angethan mit einem himmelblauen Rock an allen Säumen bordirt! Dazu rothe Plüschhosen, weiße seidene Strümpfe, fürchterlich große Schuhschnallen, eine schmucke Perücke, einen schaufelförmig aufgestutzten Hut mit breitem goldenen Tressenrand, und darüber eine kurze aufgestülpte Nase, die ihm selbst gehört, ganz kirschbraun, und so werden Sie einigermaßen eine Idee von diesen Leuten bekommen.

Als wir, nachdem die lange Reihe Kutschen unsre Aufmerksamkeit hinreichend in Anspruch genommen hatte, wieder umkehrten, begegnete ich einer der Prinzessinnen in einer Sänfte auf dem Rückwege in ihre Wohnung. Sie wurde von sechs oder acht Lakaien mit Jokeymützen in scharlachrother Livree begleitet. Ihr Gesicht war bleich und runzlich, und da sie nicht mehr jung war, so machte ihre Erscheinung den unheimlichen und abstoßenden Eindruck, der immer das Mißverhältniß zwischen Jahren und Putz andeutet. Zu den »unconfortablesten« Dingen, sie sehen, wie sehr ich hier geengländert werde, also, zu den uncomfortablesten Dingen in Europa rechne die Frauen »vergilbend herbstlichen Anblicks«, die sich herausputzen zu Bällen und Hoffesten, und sich schminken und salben und überladen mit Juwelenpracht. Diese Narrheit wenigstens ist noch nicht bis zu uns gedrungen; denn, wenn wir auch in unsern Gesellschaften Leutchen zulassen, denen es weit eher ziemen würde, lustig umher zu springen oder den Fußball auf grünem Rasen zu schleudern, so denken wir doch nicht daran, die trüben Gedanken an das Grab durch solche glitzernde und abstechende Eitelkeiten zu verscheuchen.

Die Scene schloß mit einem Zug von Briefpostkutschen, die zwar recht nett und niedlich sich ausnahmen, aber uns doch zu spießbürgerlich aussahen, als daß wir dadurch uns von unserm Mittagsessen hätten abhalten lassen.

Wenn die Engländer einfach und geschmackvoll sind in vielen Dingen, die zur Pracht gehören, und dabei mitunter eine gediegene Plumpheit in ihren Kostbarkeiten blicken lassen, so gehört es noch zu ihren bezeichnenden Eigenheiten, daß sie mit großem Eifer und Wortschwall von ihren Festlichkeiten zu reden wissen, wenn Alles vorbei ist. Die Zeitungen machen sich eine Freude daraus, von den großen Diners zu erzählen und von den fashionablen Bällen. Man hat mich sogar in vollem Ernst versichert, daß hier Leute in größern Gesellschaften erscheinen, welche kleingeisterisch genug sind dafür zu bezahlen, daß ihre Namen in dem Verzeichniß der bei solchen Festen anwesenden Gäste mit aufgeführt werden, wenn Berichte dieser Art in den Zeitungen eingerückt werden. Ist nun gar von einem Hoffeste die Rede, so verdienen die Berichterstatter dabei etwas Erkleckliches. Für eine Guinee wird der Name genannt, für fünf Guineen wird der prächtige und geschmackvolle Anzug gelobt, und für zehn Guineen wird auch die Kutsche nicht vergessen. Auf diese Weise kann man hier ein berühmter Mann werden, wie Sie sehen, oder auch eine berühmte Frau, und zwar auf eine Weise, die bei uns noch unbekannt ist; doch bei uns machen wir deren in unsern Manufakturen eine ziemliche Menge und schwören nachher darauf, sie wären mit keiner andern Waare zu vergleichen.


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