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Sechzehnter Brief

Tänze. – Engländerinnen. – Bälle. – Geschlossene Gesellschaft. – Amerikanische Schmeichler. – Spitzfindige Unterscheidung. – Sir James Scarlett. – Lächerlicher Irrthum. – Besuch bei einem Kaufmann. – Honourables und Right-Honourables. – Englische Tänze. Ein junges amerikanisches Mädchen. – Besuch bei einem Patricier. Englische Mädchen. – Unweibliches Benehmen. – Englische Damen und Herren.

 

An Mrs. Comstock in Comstock, in Michigan.

Wenn auch Paris einen größern Ruf durch überlegenen Kunstsinn behauptet, so verstehen die Engländer wenigstens das Tanzen, ungeachtet man jenseits des atlantischen Meeres bei Ihnen das Gegentheil behauptet. Ich erinnere mich, wie viel Aufhebens man einmal in New-York davon machte, daß die Gattin eines englischen Officiers von einigem Rang nicht wußte, wie man in einer Quadrille oder vielmehr in einem Cotillon abfalle und wieder eintanze, und zwar im Jahr 1815 war dies vorgekommen. Diese Dame, beiläufig gesagt, eine entfernte Verwandte von Ihnen, war wohl zwanzig Jahre lang wegen des Kriegs nicht aus England gekommen; und entweder aus strenger Vaterlandsliebe, oder weil Paris und London damals so weit auseinander lagen, war sie im Dienst der Terpsichore nicht weiter als bis zur Menuet und zum Countrydance Country dance, eigentlich: landesüblicher Tanz, also Nationaltanz der Engländer. Die daraus entstandene Wortentstellung in »Contredance« ist nur eine Verunstaltung desselben durch französische Tanzmeister. eingedrungen, wiewohl sie, wie die meisten Engländerinnen, die damals in unsere Gegend kamen, selbst vornehmer Abkunft und ihr Gatte der Sohn eines Lord war. Als diese Dame zuerst auf einem Ball in New-York erschien oder auftrat, um mich nämlich eines hier ziemlich gebräuchlichen Ausdrucks zu bedienen, der zugleich nach dem Gesetz der Wiedervergeltung bei uns ebenfalls gebraucht werden könnte, sah sie sich auch gleich »gefangen,« wenigstens in Ansehung des Tanzes.

Die Zeit hat Vieles geändert, und wenn ich mir die Verantwortlichkeit nicht aufladen will, gradezu zu behaupten, die Engländerinnen bewegten sich mit derselben Anmuth und Leichtigkeit durch einen Ballsaal, wie unsere Landsmänninnen; so läßt sich doch nicht läugnen, daß sie durch ihre lieblichen Gesichtchen die Quadrillen recht anziehend machen. Seit das »Pêle-Mêle« unserer größeren Gesellschaften die öffentlichen Belustigungen in unseren größeren Städten aufhören machte, so leiden wir jetzt an der Unbequemlichkeit unserer engen Zimmer desto mehr, weil sie uns keinen hinreichenden Raum gewähren, um sich darin anmuthig im Tanze bewegen zu können; ein Uebel, das uns bald dahin bringen wird, unseren Tanzruhm einzubüßen, weil wir in den beengten Gemächern leicht schleppende und nachlässige Bewegungen annehmen können. Sie müssen ernstlich auf Abhülfe bedacht sein, sonst werden Ihnen die Engländerinnen bald gleich kommen.

Zu diesen tiefsinnigen Untersuchungen veranlaßte mich mein eignes Erscheinen bei etwa acht oder zehn Bällen in London, zwar nicht als Mittänzer, sondern nur in dem bescheidenen Charakter eines Zuschauers. Es ist daher natürlich, daß ich Ihre Einsamkeit im fernen Westen durch Mittheilen meiner Beobachtungen zu erheitern suche. Mein erstes Auftreten in einer vorbereiteten Abendgesellschaft war zufällig nicht auf einem Ball, sondern in einer großen Abendgesellschaft, welche ein junger Mann gab, vermöge seines großen Reichthums, hohen Ranges, geräumigen Hauses, und was man auch dagegen einwenden könnte, vermöge seiner persönlichen Eigenschaften, wie ich glaube, dafür gilt, daß er die ausgezeichnetste Gesellschaft von London um sich versammle. Weil nun unter unsern Bekannten gar sonderbare Gerüchte umlaufen in Beziehung auf meine Einführung bei diesem jungen Manne, oder vielmehr in sein Haus – denn ich habe noch kein Wörtchen mit ihm selbst gesprochen – so bitte ich um Entschuldigung, wenn ich mich in persönliche Kleinigkeiten einlasse, um Ihnen als Einleitung das Wahre an der Sache mitzutheilen.

Ich bitte Sie, vorher zu erwägen, daß nach dem englischen System des Ausschließens und nach den albernen Meinungen der Menschen (um mancher weiblicher Eigenschaften nicht besonders zu erwähnen), oftmals Himmel und Erde in Bewegung gesetzt wird, um in manchen Häusern Eintritt zu erlangen. Da es zunächst darauf ankommt, daß man sich über gewisse Ausdrucke gehörig verständige, so erlauben Sie mir wohl, Ihnen zu sagen, was ich unter Ausschließung verstehe. Die englische Ausschließung ist ein Rad im Rade – eine launenhafte und willkührliche Auswahl der Personen, die man seines Umgangs werth hält, welche nicht sowohl von Rang, Vermögen, Geburt, persönlicher Eigenschaften, ausgezeichnete Bildung oder sonstigen Vorzügen, als vielmehr einzig und allein von der Mode abhängt. Es ist in ihr sein wichtigerer Beweggrund nachzuweisen, als wie bei jenem Hunde, der weder selbst Heu zu fressen im Stande, noch einen Grund anzugeben vermögend war, weßhalb er dem Ochsen es mißgönnte. Es ist eine natürliche und unvermeidliche Folge der Verkehrtheiten, die aus dem übertriebenen Luxus und dem äußerst gekünstelten Zustande der Dinge hervorgehen.

Wir pflegen in Amerika einen großen Mißgriff in dieser Beziehung zu begehen, indem wir die Auswahl solcher Personen zu unsern Gesellschaften, die vermöge ihrer Erziehung, ihrer Gewohnheiten, ihrer Lebensweise einander gleichstehen. Deren Meinung, Geschmack, geselliger Ton die meiste Uebereinstimmung zeigt – indem wir, sage ich, diese Art Auswahl unserer Gesellschafter, welche das wesentlich Gleichartige zu verbinden strebt, mit jener verwechseln, die keinen andern Grund für sich hat, als die eben erwähnte Laune der Mode. Das erstere führt zu einer natürlichen, letzteres zu einer gezwungenen Ausschließung. Die eine erscheint nothwendig zum geordneten Gang des geselligen Lebens, zur Erhaltung eingeführter Sitten und Gewohnheiten; die andere Art von Ausschließung führt zu einem Ersatz des Nützlichen durch das Launenhafte; das Eine ist unverkennbar nothwendig in dem Sinne, als es die besondere Stellung erfordert, in der man sich zu den übrigen Menschen befindet, und der einzige Weg, die Annehmlichkeiten des Lebens zu fördern und den gebildeten Umgangston zu erhöhen; während das andere in sich selbst verwerflich und unverkennbar gemein ist.

Wo irgend Civilisation besteht, wird die menschliche Gesellschaft sich in Casten theilen; denn es ist weder wünschenswerth, überall Gleichheit des Benehmens, der Gewohnheiten, der Bildung überhaupt erzwingen zu wollen, noch ist es irgend möglich, ohne sich zum Theil alles Dessen zu entäußern, was in Wahrheit geeignet ist, Achtung einzuflößen und solcher würdig zu werden. Unsere freie Verfassung sichert uns Nichts weiter, als völlige Gleichheit der Rechte, keine Gleichheit der Bildung; selbst die Gleichheit der Rechte würde nicht bestehen können, wenn der gebildete und anständige Theil der Bevölkerung gezwungen würde, seine Ansichten und Empfindungen im Verkehr mit den Ungebildeten und Gemeinen aufzuopfern. Der gesunde Menschenverstand gestattet daher überall die Entfernung der ungleichartig Gebildeten von einander, wie das nähere Anschließen der gleichartig gebildeten Menschen aneinander, als eine Sache, die sich stillschweigend von selbst versteht; diejenigen, welche am lautesten dagegen eifern, sind grade solche, die sich am wenigsten mit Leuten, die unter ihnen stehen, vertragen und nur höher stehende als ihres Gleichen betrachten wollen. Sie sehen die Ursachen, weßhalb sie von den höhern Gesellschaften ausgeschlossen werden, nicht ein; weil sie die Erfordernisse gebildetern Tons, den sie nicht erlernt haben, nicht begreifen, eben so wenig, als sie Gewohnheiten, die sie nie ausgeübt, Reden, die sie nie gesprochen, Gefühle, die sie nie empfunden haben, verstehen können. Glücklicher Weise sind die hieraus entspringenden Ausschließungen unvermeidlich; aber die völlig grundlose Ausschließung der Engländer ist ein krankhafter Auswuchs des socialen Lebens – eine Art wuchernden Unkrauts, das in moralischer Entwickelung störend um sich greift, wo die natürlichen Beweggründe der Absonderung des nicht zu einander Passenden und der Annäherung des zu einander Gehörigen verkannt und mißbraucht werden, um mit Hülfe erkünstelter und falschberechneter Nebenumstände unnatürliche Trennungen des Befreundeten und Verbindungen des Unverträglichen aufs Gradewohl zu erzielen.

Ich weiß nicht, aus welchem Grunde das Haus des Herzogs von – – als der eigentliche Mittelpunkt der ausgesuchtesten Gesellschaft in London betrachtet wird, und zwar in dem Sinne, in welchem ich oben die grundlose modische Ausschließung bezeichnet habe; ich weiß blos, daß es so ist. Eben so ist, wenn man auch einige Vorliebe für diese oder jene Farbe, Art des Zeugs, geschmackvolle Arbeit u. s. w. zugeben will, doch schwer zu entscheiden, warum die Damen z. B. derjenigen Form von Hüten den Vorzug geben, die man in der letzten Ausstellung von Longs Champs sah. Der Herzog von – – ist weder der älteste, der reichste, der schönste, der jüngste noch der bedeutendste Mann in London, unter so vielen anderen; und doch in allen Stücken, die sich hier einigermaßen nur auf hohen Ton beziehen, gilt er vielleicht am meisten. Er ist eben der »fashionableste« von Allen, bis wieder einmal ein Anderer in die Mode kommt. Alles dieses mußte ich Ihnen vorher erzählen, ehe ich zur eigentlichen Geschichte komme.

Mr. – – sagte zu mir im Verlauf eines Gesprächs daß der Besitzer des genannten beneideten glanzvollen Hauses den Wunsch ausgedrückt hätte, unter andern Gästen auch mich zu einer seiner nächsten Abendunterhaltungen einzuladen. »Er wollte Ihnen deßhalb vorher eine Besuchkarte schicken,« setzte mein Freund hinzu, »aber ich sagte zu ihm, Sie würden nicht auf die Ceremonie bestehen.« Es ist öfter weit besser, sich nach den Bräuchen zu richten, welche Sitte und Höflichkeit vorschreiben, und vorzüglich wenn die Umstände der Art sind, daß man nicht weiß, wie man mit den Menschen eigentlich daran ist; daher meinte ich, es wäre besser gewesen, daß mein Freund jene Aeußerung nicht gethan hätte. Eine Visitenkarte hätte alle Bedenklichkeiten beseitigt, und da ich mit der Zwischenperson in vertrauten Verhältnissen stand, so glaube ich, äußerte ich wirklich scherzender Weise Etwas der Art. Das ganze Gespräch dauerte höchstens drei Minuten; er trug die Einladung vor mit der von mir berührten Erläuterung, und ich gab meine scherzende Antwort, und das war Alles.

Den Tag darauf speiste ich mit zwei Amerikanern; beide waren lange in London gewesen; die Rede kam zufällig auf die Gebräuche bei Besuchen; ich fragte also, ob im Fall, wo es einen Peer gelte, eine Ausnahme von der Regel des ersten Besuchs in England stattfinde, kurz, ob dabei unsere oder die festländische Sitte üblich sei. Endlich erwähnte ich die ungewöhnliche Einladung in das Haus des Herzogs von – –. Beide versicherten mich, mir sei nicht die erforderliche Höflichkeit erzeigt worden, und ich daher nicht verbunden, die Einladung anzunehmen, oder überhaupt weiter zu gehen, als ich schon gegangen sei, indem ich die Höflichkeit des Beauftragten höflich erwiedert hätte. Denn auf eine solche Einladung könne man kommen oder auch nicht kommen. In Paris hätte in diesem Falle die Höflichkeit gefordert, daß ich bei ihm eine Karte abgegeben, und sobald diese Höflichkeit erwidert worden wäre, würde ich ganz schicklich haben hingehen können. Wie aber die Sachen hier standen, nahm ich mir vor, der Sache ihren Lauf zu lassen; oder, im Fall Mr. – – nochmals von der Sache spräche, auf seine Verantwortung hinzugehen, und wenn er nichts weiter erwähnte, auf meine Verantwortung wegzubleiben. Als aber der fragliche Abend kam, sandte mir Sir James Mac Intosh ein artiges Billet, um mir wissen zu lassen, er wolle mich begleiten; da hatte ich nun keine andere Wahl, als ihm in artiger Erwiederung meinen Dank und meine Bereitwilligkeit erkennen zu geben, in seiner Gesellschaft hinzugehen; denn so wenig mir an dem Hause des Herzogs von – – gelegen war, so viel lag mir daran, einen solchen Beweis von Artigkeit, von Sir James Mac Intosh zu empfangen.

Ich habe über diese dumme Geschichte weit mehr Worte gemacht, als sie werth ist, doch, da ich einmal diese Begebenheit erzählt habe, so darf auch die Nutzanwendung nicht fehlen. So groß ist die dem hohen Rang in London bewiesene Verehrung, und so eifrig sind die Bemühungen, um von den höher Betitelten bemerkt zu werden, und so wenig hält man uns Amerikaner würdig, mit dabei zu sein, daß ich mich nicht wundern würde, wenn selbst der wahre Hergang der Sache bei den Engländern zu mancherlei Bemerkungen Anlaß gibt. Aber was sollen wir von unserm männlich-selbstbewußten, von unserm »vielgeliebten Lande« sagen, welches, anstatt einen seiner Bürger zu vertheidigen, in der Behauptung dessen, was nicht blos ihm, sondern dem Vaterlande gebührt, vielmehr die Leute in der Meinung von dessen unziemlicher Haltung noch bestärken hilft, indem sie ein Benehmen verlästern, was nichts Anders gewesen wäre, als ein jedem Ehrenmanne geziemendes und seiner würdiges Betragen, wenn es wirklich nicht anders geschehen wäre, – und die eben deswegen, weil es nicht stattgefunden hat, sich demungeachtet zum Werkzeug der Verbreitung von lügenhaften Klatschereien hergeben, welche die bösartige Stimmung einer Klasse Menschen, denen schon der Namen Amerika's gehässigt ist, boshafter Weise in Umlauf zu bringen für gutfanden!

Wenn dagegen ein Amerikaner in dieses England kommt und seine Selbstachtung so hintansetzt, seinen Nationalstolz so ganz verläugnet, selbst die Sitten des Landes durchaus vergißt, um ein Schmeichler der englischen Großen zu werden; dann stellt man ihn vorzugsweise als einen Ehrenmann, als einen Mann von besserem Gefühl, von zarten Rücksichten dar! Die Brodrinden, die man hier den Schmeichlern hinwirft, um sie zu verlocken und lächerlich zu machen, ja, das Volk lächerlich zu machen, dem sie angeboren, diese trägt man bei uns zur Schau mit den hochtönenden Uebertreibungen empfangener Gunstbezeugungen! Diese hoffärtig hingeworfenen Brocken gereichen den ihre Nation ganz entwürdigenden Schmeichlern bei uns zur Ehre; während man diejenigen, welche an der Ueberzeugung festhalten, daß ein amerikanischer Ehrenmann auf gleiche Behandlung wie jeder andere Ehrenmann Anspruch habe, mit denselben übertreibenden Worten verlästern hilft. Im Ganzen waltet hier unglücklicherweise dasselbe verkehrte Benehmen, das unsre Begegnung mit Engländern von Anfang an bezeichnet hat. Wenn ein Amerikaner in England für etwas Besseres angesehen wird, so wird er gewiß auch in seinem Lande vorgezogen werden; mißfällt er aber den Engländern, so kann er darauf rechnen, daß man auch im Vaterlande ihn mißfällig betrachtet. Ich zweifle sehr, ob die Geschichte der Vereinigten Staaten im Stande ist, ein Beispiel vom Gegentheile aufzuweisen, außer in Dingen, die mit der Partei-Politik des Tages zusammenhängen, und vielfältig auch darin nicht einmal.

Die Leute bei uns können unmöglich sich eine deutliche Vorstellung davon machen, wie weit sich die Bosheit oder die eigentliche Beschaffenheit der falschen Nachreden erstreckt, die man hier auf Unkosten unseres Landes und seiner Bewohner absichtlich in Umlauf zu bringen bemüht ist. Allein, anstatt sich mit Leichtgläubigkeit dem Allen hinzugeben, was an Klatschereien von hier aus bis zu unserer Seite des Atlantischen Meers hinüberdringt, müßte vielmehr unser hoch berühmtes, scharf unterscheidendes Urtheil alle solche Verläumdungen mit Vorsicht anhören; selbst unsre eigene Sicherstellung macht dies nothwendig. Denn, wenn derselbe und ebenso unterwürfige Geist, der sich in den sogenannten vorzüglichen Klassen des socialen Lebens in England so stark regt, ebenfalls die Massen unseres Volks bethören sollte; dann wäre, meiner Meinung nach, unser Staatenbund, unsere politische Unabhängigkeit auf keinem Fall werth gewesen, durch zehnjährig währende Anstrengung theuer erkauft zu werden.

Ich begab mich in das Haus von Sir James Mac Intosh in den Changes Street, wo wir beide uns keck in eine Miethkutsche setzten und wie im Triumphaufzug zum Hause des Herzogs von – – hinfuhren. In dieser kühnen Unternehmung verhielt ich mich durchaus leidend und ich wälzte alle Verantwortlichkeit auf die Schultern meines erfahrenen Begleiters. Wir fanden den Eingang wimmelnd von Bedienten, und fortwährend langten immer mehr Kutschen an.

Das Haus des Herzogs von – – hat einen von den unbequemen Eingängen mittelst einer äußern Eingangstreppe, deren sich Frauen bei übelm Wetter kaum bedienen können und dessen sich Frauen eigentlich nie bedienen sollten. Um diese Unannehmlichkeit zu vermeiden, wurden wir durch einen Nebeneingang empfangen, der durch das Erdgeschoß führte. Hier trafen wir in einer Art von halb unterirdischem Vorzimmer die Damen mitten unter etwa fünfzig Bedienten mit Ablegen ihrer Mäntel beschäftigt. Der Saal war indessen noch über der Erde, doch erinnerte mich das Ansehen desselben auffallend an das Zimmer unter der Runde des Capitols, welches den Namen »Caucus« führt. Ein Bedienter bat sich unsere Namen aus, und dann wurden wir durch eine Reihe von Bedienten angemeldet, die sich an den Gängen und Treppen zerstreut fanden. Ich glaube unsere Namen wurden wenigstens viermal und dazu mit ziemlich vernehmlichen Stimmen wiederholt.

Da der aufwartende Kammerdiener (groom of the chambres), der am Eingang des ersten Empfangsaals steht, nicht eher die einzelnen Gäste meldet, als bis sie eintreten, so hat dieser Gebrauch wenigstens den Vortheil, daß er sie vernehmen läßt, wie man sie anmeldet, und ihnen dadurch Gelegenheit gibt, etwanige Mißverständnisse zu verbessern. Sobald wir uns dem letztern genähert hatten, ging er mit uns durch das Zimmer voran bis zur Thüre des zweiten Empfangssaals, wo er uns nach der gewohnten Weise anmeldete. Es scheint etwas mehr hoher Ton darin zu liegen, wenn die Gäste auf diese Weise wiederholt angemeldet werden; sonst sehe ich aber nicht ein, welchen Nutzen dieser Gebrauch haben kann, wenn es nicht aus dem erwähnten Grunde geschieht, etwanigen Mißverständnissen vorzubeugen; vorzüglich wenn ein bequemes Vorzimmer zum Ablegen der Mäntel vorhanden ist. Das Vorzimmer sowohl, wie der Nebeneingang dessen sich die Gäste an diesem Abend in – – House bedienen mußten, waren indessen der übrigen Pracht durchaus unwürdig. Die Treppe des Nebeneingangs zumal war fast ebenso eng und garstig, wie eine Treppe in New-York.

Lord N – –, ein Herr von vorzüglichem Ton und im modischen Wesen Londons tief eingeweiht, sagte zu mir, als die Rede auf das schöne Geschlecht kam, er glaube einen merklichen Unterschied zwischen den Damen, die man in und um Grosvenorsquare antrifft, und denen zu bemerken, welche – – House besuchen. Den letztern gab er entschiedenen Vorzug. Bedenkt man, daß einige der vornehmsten Adlichen des Königreichs am Grosvenorsquare wohnen und daß dies eins der vornehmsten Stadttheile ist, so können Sie daraus abnehmen, wie äußerst scharf abgemessen hier der modische Takt unterscheidet, oder vielmehr, wie sehr die Einbildung von der Mode überwältigt wird.

Wir fanden bei dieser Gelegenheit an zwei bis drei hundert Personen von der ausgesuchtesten Gesellschaft beisammen. Der Herr des Hauses war nicht anwesend, und wir wurden von seiner Lady Schwester sister lady) empfangen, welche seine Abwesenheit mit einer Unpäßlichkeit entschuldigte. Nach dieser Förmlichkeit stand es uns frei, nach eigenem Gefallen durch die Säle zu spazieren und uns nach Lust und Laune umzuschauen. Ich wurde etwa ein Dutzend Leuten vorgestellt, unter andern Mr. Palmella, dem portugiesischen Ambassadeur, und auch Sir James Scarlett. Der erste war ein kurzer dickgebauter Mann wie die meisten seiner Landsleute; während der andere, den ich mir wegen der widerwärtigen Perücken in der Westminsterhalle nicht anders als wie einen alten aufgedunsenen Mann, mit fettglänzendem Antlitz und rother Nase vorgestellt hatte, hier als ein schöner, artiger, wohlgebildeter und elegant gekleideter Herr nach der neusten Mode auftrat. Als ich meine Verwunderung über sein angenehmes Aeußere gegen – – äußerte, bemerkte er ziemlich munter und rasch: »Ja wohl, das ist er, das gebe ich zu; aber im Parlament ist er ein unverschämter Hund; die meisten Rechtsgelehrten sind solche unverschämte Hunde im Parliament.« Es ist nämlich eine Unverschämtheit, wie Sie nicht vergessen dürfen, wenn irgend ein neueintretendes Parliamentsmitglied den Leuten merken läßt, daß er weit mehr wisse, als ein erbliches vornehmes Haupt.

Ich kann nicht sagen, daß ich von den besondern Vorzügen der anwesenden Damen vor allen übrigen ihres Geschlechts so ausnehmend gerührt worden wäre, wie dies mit Lord N – – der Fall war. Viele hübsche und selbst manche schöne Frauen befanden sich unter den Anwesenden, aber keine ausgezeichnete Schönheiten. Die Fürstin von Lieven, ein Muster feinen Welttons, war ebenfalls anwesend. Sie war einem amerikanischen Frauenzimmer weit ähnlicher, als alle Uebrigen.

Zwei oder drei gaben mir unterhaltenden Stoff zu stillen Bemerkungen; ich kannte sie und gewahrte, wie sie auf mein Betragen Acht gaben, indem sie sich vorstellten, ich müsse ein kleinstädtisches Erstaunen über den Glanz und die Schönheiten zeigen, die mich hier von allen Seiten umgaben. Ihre Erwartung, ich würde mich linkisch benehmen, war zu auffallend, als daß sie mir hätte entgehen können. Was aber die mich umgebende Pracht betrifft, so war diese ungleich größer, als alle bei uns übliche Pracht, aber auch ungleich geringer, als die, an welche ich auf dem Festlande gewohnt worden war. Als ein Amerikaner hätte ich den staunenden Bewunderer agiren können, als vielgereister Mann sah ich aber keinen Grund, dieses zu thun.

Das Haus war geräumig, wiewohl nicht in hohem Grade; die Zimmerverzierungen und das Mobiliar war, mit Ausnahme des unschicklichen Eingangs, ganz seinen Zweck entsprechend, stattlich und prachtvoll. Was die Gesellschaft betrifft, so konnte ich nichts entdecken, was ein ungewöhnliches Ansehen verrathen hätte. Wohl mochten hier manche übliche Zeichen und Formen, um den gewöhnlichen Gang der Unterhaltung nach der eigenthümlichen Sitte des Hauses zu leiten bestehen, welche den Gästen besonders zusagten, und die Annehmlichkeiten ihre geselligen Zusammentreffens hier auf eigenthümliche Weise vermehrten, sobald sie einmal in das Geheimniß eingeweiht waren; doch wenn ich diese Abendunterhaltung nur nach den Hauptregeln des feinen und gebildeten Umgangs betrachte, dann könnte ich wohl sagen, sie habe einigermaßen im ächten, guten Ton hinter dem zurückstehen müssen, den ich in einigen Pariser Salons antraf, in welchen ich ebenfalls eingeführt war. Im Ganzen bemerkte ich weder unzartes noch lärmendes, sondern vielmehr recht anmuthig gewandtes und vernünftig anständiges Benehmen: nur fiel mir ein nicht ganz verhehlter Zug, daß man erfreut scheine, hier erscheinen zu dürfen und sich dies hier zu besonderer Ehre anrechnete, bei mehren Anwesenden auf, und einige ließen sich nur zu merklich darüber aus, daß sie sich in – – House befänden.

Mich verdroß einigermaßen die aufmerksame Neugier darnach, welchen Eindruck eine solche Abendunterhaltung auf einen Amerikaner machen werde, und ich glaube fast, daß ich diese Stimmung auch Manchen zuschrieb, die solche nicht theilten; doch möchte ich einigermaßen behaupten, daß während hier möglicher Weise weniger persönliche Eitelkeit und individuelle Motive sich bemerklich machten, als bei einer gleichen Anzahl Franzosen hohen Ranges sich gezeigt haben würde; so trat hier weit mehr die Selbstzufriedenheit hervor, zu einem so vorzüglich ausgezeichneten geselligen Kreis zu gehören.

Unter den Anwesenden befand sich ein junger Herzog von – – mit seiner Frau am Arm, die ein hinreichend ältliches Ansehen hatte, um seine Mutter zu sein; sie war eine dunkelhaarige Dame spanischen Ansehens, gut conservirt, mit den unverkennbaren Spuren ehemaliger Schönheit. Mir kamen die Gesichter der Damen hier weniger englisch vor, woran vermutlich die Kopfzeuge Schuld hatten, die fast durchaus französisch waren. Die Anzüge waren kostbar und geschmackvoll, wie sich solches nicht anders erwarten ließ; doch es ist in allem Ernst faktisch, daß die Frauen von London sich so schön nicht kleiden, wie ihre schönen Mitbewerberinnen an der andern Seite des Kanals; und die Ursache liegt größtentheils darin, daß die englischen Kammermädchen weit weniger Takt und guten Geschmack haben, als die französischen; denn man bemerkt selbst in Paris diesen Unterschied zwischen den englischen und französischen Frauen, wo sie doch bei denselben Modekünstlerinnen einkaufen.

Früh und allein begab ich mich weg; und daß ich allein wegging, veranlaßte ein fast nicht weniger lächerliches Mißverständnis, als der Ihnen bekannte Vorfall in Philadelphia. Hier befindet sich eine Dame von Stande, die Gräfin von – –, deren Gemahl denselben Titel oder Namen führt, der dem unsrigen ähnlich lautet, aber nicht ebenso geschrieben wird. Denn mit der Schreibart ist bisweilen eine ähnliche Veränderung vorgegangen, als die, welche Saint Maur in Seymour, und, wie Sir William behauptet, sogar Pipin endlich in Draper umgebildet hat. Ich nannte mich dem aufwartenden Kammerdiener, als ich die Gesellschaft verließ, und auf meine Bitte rief er nach Mr. – –s Diener; denn ich hatte meinem kleinen Smith befohlen, mit einem Mantel auf mich zu warten, weil ich zu Fuß nach Hause gehen wollte, da der Weg gar nicht weit war. Der erste Diener an der Treppe, des Titels meiner schönen Namensverwandtin weit mehr gewohnt und wohl wissend, daß sie ebenfalls in der Gesellschaft war, rief mit lauter Stimme nach »Lady – – s Leuten.« Dieser Ruf ging mir voran, und als ich den Caucus erreichte, fand ich zwei bepuderte Lakeien in Livree bereit stehen, um mich mit Shawls und Mänteln einzuhüllen. Ich lehnte ihr aufmerksames Entgegenkommen ab, und bat den einen, Mr. – – 's Bedienten zu rufen. Der kleine Mann erschien mitten unter den Neckereien und dem Gelächter seiner langgewachsenen Kameraden, welche auf seine gepuderte Glatze und auf seine zwerghafte Gestalt, wie stolze Hähne auf niederes Federvieh herabblickten.

Vor einigen Abenden begab ich mich nach einander auf drei Bälle; ich habe diese Weise, um zu vergleichenden Urtheilen über größere Gesellschaften zu gelangen, immer bewährt gefunden. Da eine kurze Uebersicht dessen, was ich an diesem Abend bemerkenswert fand, für Sie nicht blos unterhaltend sein dürfte, sondern Ihnen auch eine deutliche Vorstellung davon geben kann, wie es mit dergleichen Dinge hier gehalten wird, so will ich eine nähere Schilderung derselben versuchen.

Der erste Besuch galt einem reichen Kaufmann, der in der Welt durch seinen Unternehmungsgeist emporgekommen und endlich zu der Höhe gelangt war, um, was man so nennt, ein erträglich gutes Haus auszumachen. Die Bauart war so ziemlich dieselbe, wie sie vor etwa dreißig Jahren in New-York bei anständigen Häusern üblich war, doch mit der Ausnahme, daß keine Außentreppe vorhanden war. Die Gesellschaftszimmer waren sämmtlich eine Treppe hoch, und der vordere Saal nahm die ganze Breite des Hauses ein. Dieser Bruch ist, mit Ausnahme ganz großer Gebäude, hier fast ebenso gewöhnlich, als die zwei Zimmer mit Flügelthüren bei uns zu Hause.

Die Hausfrau war etwas ängstlich erregt, sie schien unruhig und besorgt, es möchte vielleicht nicht Alles durchaus so zierlich und hübsch sein, als sie es wünschte. Ich war noch nicht fünf Minuten im Saale, als sie mir ihre große Betrübniß darüber leise zu erkennen gab, daß die »honourable« Mrs. Diese oder Jene wegen eines unerwarteten unangenehmen Vorfalls abgehalten worden sei, zu erscheinen; es war wirklich das erste Mal, daß ich diese »honourable« Person nennen hörte. Hier gibt es eine Klasse von Leuten, die dies Wort fast ebenso oft im Munde führen, als wie die Zeitungsschreiber von Neuengland. Die Gesellschaft war im Ganzen das, was sie sein konnte und wollte, wie Sie daraus schließen können, daß die Gegenwart oder Abwesenheit einer honourablen Mrs. Dieser oder Jener einen so wichtigen Einfluß ausüben konnte.

Aus diesem Hause begab ich mich in ein anderes in der Nachbarschaft, – denn die Kaufleute, welche den großen Ton mitmachen, pflegen in der Nähe des West-End zu wohnen. Ich fand ein Haus, dem vorigen ziemlich ähnlich, aber eine von der vorigen ganz verschiedenen Gesellschaft. Die Frau des Hauses war eine Amerikanerin, an einen vermögenden Engländer verheirathet, der ebenfalls ein gutes Haus ausmachte. Hier waren »Honourables« und »Right Honourables« genug vorhanden; aber Niemand schien sich sonderlich um sie zu bekümmern. Diese Titulaturen sind nicht wohl zu übersetzen. Die Honourables sind beinah unsere Hochwohlgebornen, die Right-Honourables unsere Hochgebornen. Ich würde durchaus Nichts über diesen Ball anzumerken haben, der in keinem Dinge von andern Bällen in anständigen Häusern verschieden war; wenn ich nicht mich verbunden fühlte, hinzuzusetzen, daß mir ganz besonders die Schönheit der jungen Mädchen auffiel, so wie ihr netter Anzug und ihre taktfesten und anständigen Bewegungen beim Tanze. Diese Quadrillen kamen freilich denen im Hôtel des russischen Ambassadeurs in Paris nicht gleich, wovon ich schon einmal erzählt habe; denn hier gebrach es sowohl an der gleichen Zahl wie an dem gleichen Raum, vielleicht auch an der verhältnißmäßigen Vorschule, um eine solche festliche Darstellung ganz mit demselben Zauber des Erfolgs zu beleben, wie dies nur in Paris möglich wird; aber doch nahmen sich die Tänze wie die Tanzenden hier recht anmuthig aus, und was Ihnen als eine Ketzerei von meiner Seite erscheinen möchte, genau denen gleich in Schönheit, wie wir solche in New-York oder in Washington bewundern.

Während ich den Tanzenden zusah, bemerkte ein mir bekannter Engländer, er habe neulich eine junge Amerikanerin auf einem Ball gesehen, und »er habe wirklich nicht bemerken können, daß sie nicht eben so gut tanze, wie die englischen Mädchen um ihr her.« Den Eindruck, den diese Aeußerung auf mich machte, werden Sie sich leicht vorstellen können, wenn ich Ihnen sage, daß diese Worte in dem Augenblick gesprochen wurden, als ich selbst in meinen stillen Betrachtungen eben zu dem Schluß gekommen war, die englischen Mädchen hätten wirklich in der Tanzkunst beinah, wo nicht ganz gleiche Fortschritte gemacht, wie die unsrigen!

Hieraus können Sie abnehmen, wie genau die einzelnen Nationen ihre Eigenthümlichkeiten zu schätzen wissen. So lange ich in Europa bin, habe ich zufällig das Glück gehabt, Zeuge des Triumphs einer Amerikanerin zu sein, und zwar auf einem Schauplatz, der Alles überbietet, was man der Art in London gewöhnlich sieht. Den Ort will ich lieber nicht nennen, auch nicht das Land, wo es geschah; aber es war auf einem Ball, den eine Dame königlicher Abkunft gab. Der Palast war prächtig und die Gesellschaft gehörte zu den ausgesuchtesten von ganz Europa. Unter den Anwesenden befanden sich fünfzehn oder zwanzig Personen königlichen Ranges oder mit königlichen Häuptern verwandt; fast die Hälfte der Anwesenden stand im Range von fürstlichen Geschlechtern oder ihnen gleich. Ich erinnere mich, daß unter Andern auch der Erbe eines englischen Herzogs zugegen war, der aber natürlich nicht mehr beachtet wurde, als jeder andere artige Mann in seinen Jahren.

Ein junges amerikanisches Mädchen war unter denen, welchen man eine besondere Ehre erweisen wollte, und ebenfalls zu diesem Feste eingeladen worden. Ihr gelassenes, einfaches, ächt weibliches, anmuthiges Benehmen im Tanze, dazu der unerkünstelte Liebreiz ihrer einnehmenden Gesichtszüge, in denen der Kampf der natürlich-mädchenhaften Scheu mit der achtungeinflößenden sittigen Haltung der wohlerzogenen Jungfrau deutlich zu lesen war, machte sie selbst unter solchen glänzenden Umgebungen unverweilt zum Gegenstand öffentlicher Bewunderung. Da ich, den übrigen unbekannt, im Gedränge der Zuschauer Alles mit ansah, so merkte ich auch auf die Bemerkungen, die man von allen Seiten her über die Tänzerin machte. »Wer ist sie?« war die erste Frage; und als Jemand ihren Namen und ihr Vaterland nannte, hörte ich durchaus keine Ausrufungen von Verwunderung, daß eine Amerikanerin als Dame auftreten oder gar tanzen könne! Endlich im Verlauf des Abends freilich sagten mir wohl zwanzig Personen, die mich kannten, allerlei Artigkeiten über die Liebenswürdigkeit und Anmuth meiner Landsmänninnen; denn man glaubte, wie es schien, sie seien sämmtlich nicht anders!

Aus dem Hause von Mrs. – –, (welche selbst weit mehr unsere Achtung verdient, als manche in der periodischen Literatur gefeierte Muster des schönen Geschlechts, die ihren Landsmänninnen zeigt, worin eigentlich das wahre Wesen weiblicher Tugenden bestehe, eine musterhafte Gattin und Mutter und dabei geistvolle und gemüthliche Gesellschafterin), wandte ich mich nach dem Hause des Lord C – –. Obgleich ich mich jetzt unter patricischem Dache befand, sah ich doch wenig Unterschied in der Bauart und Einrichtung; der Kaufmann also wohnte eben so angenehm, als der Peer des Königreichs, und diese drei Häuser zeigten genau dieselbe ermüdende Einförmigkeit wie die unsrigen. Wenn man sich an das Geschmackvolle und an die Mannigfaltigkeit der Wohnungen auf dem europäischen Festlande gewöhnt hat, dann muß, wie Sie leicht denken können, der Eindruck lästig und ermüdend sein, wenn man an einem Morgen in zwanzig Häusern genau dieselbe innere Einrichtung immer wieder antrifft. Dann scheinen die Häuser gleich den Särgen gebaut zu sein, die man in unsern Straßen, für irgend einen Markt bestimmt, ausgestellt sieht, verschieden an Größe, nicht den Personen, sondern den Geldbeuteln angemessen, und die man in einander packt und seinen Kunden zur Auswahl zuschickt.

Die Gesellschaft im Hause des Lords C – –, fand ich fast ebenso, wie bei Mrs. – –, gute gesellige Unterhaltungsgabe und vorzüglicher feiner Ton war hier wie dort zu Hause, und in dem Tanzsaal, wo ich die Quadrillen im Gange fand, sah ich auch keinen andern Unterschied, als den, daß es nicht dieselben Personen waren. Dieselben hübschen Gesichtchen, dieselben zarten wohlgerundeten Formen und dieselbe einnehmende und anmuthsvolle Haltung, – verlassen Sie sich darauf, die Engländerinnen tanzen später oder früher eben so schön, als Ihre Landsmänninnen. Es geht doch nichts über Handelsfreiheit und ehrenvolle Mitbewerbung um den höchsten Preis!

Vermutlich möchten Sie wissen, wie ich überhaupt solche Bälle, wie die beiden letzterwähnten mit den unsrigen vergleichen könne. Davon also das Nähere. In London sind die Tanzsäle etwas größer, die Musik ist dieselbe, die Frauen sind etwas mehr modisch, aber nur kaum eben so geschmackvoll gekleidet, auch die Männer sind, meine ich, etwas weniges besser angezogen, die Aufwartung ist weit anstandsmäßiger, und nur die Erfrischungen nicht so gut, als bei uns. Was die Hauptpunkte des Benehmens betrifft, so ist die Verschiedenheit auffallender, als man es wünschen möchte, vorzüglich das Benehmen der Männer und der noch ganz jungen Frauenzimmer.

Die weibliche Jugend spielt in Europa eine ganz verschiedene Rolle, als die, welche ihr ihn Amerika zugestanden wird. Wenn auch auf dem europäischen Festlande jetzt den jungen Mädchen hohen Standes erlaubt ist, ehe sie sich verheirathen, etwas mehr als ehemals mit der Welt in Berührung zu kommen, so wird doch dieser Verkehr mit der großen Welt sehr eingeschränkt und nur mit steter Beobachtung äußerster Zurückhaltung gestattet. Die vornehmen Engländer lassen ihren jungen Töchtern etwas mehr Freiheit; aber unendlich weniger, als wir unsern Mädchen erlauben würden. In England spielen sie in Gesellschaften nur eine untergeordnete Rolle und selbst diese mit großer Einschränkung. Ich möchte fast sagen, daß hier der gesellige Ton, die Erwägung der Verhältnisse und oftmals selbst eine durch äußere Umstände gebotene Notwendigkeit ein zurückhaltenderes Betragen der jungen Mädchen fordert, als dies bei uns der Fall zu sein pflegt. Doch pflegen Mädchen aus achtbaren Familien, zumal die Töchter guter Mütter, auch bei uns zu Hause im Benehmen den englischen Mädchen ziemlich gleichzustehen. Die gemischte Gesellschaft in Städten, deren Bevölkerung sich binnen fünfzehn Jahren zu verdoppeln pflegt, ist es eben, welche das Eigenthümliche der Sitten der einzelnen Stände allmählig zerstörte. In dem allgemeinen Durcheinander bleibt kein geselliger Stand hinreichend lange in einflußreicher Stellung, um ein sociales Muster des Benehmens aufzustellen; dieses Mißverhältniß hat das immerwährende Anwachsen unserer Bevölkerung zu verantworten, so wie es noch an vielen andern Dingen Schuld hat, die man fälschlich auf Rechnung des Einflusses unserer demokratischen Institutionen zu setzen pflegt.

Also, mit wenigen Worten, es ging auf diesen Bällen weit anständiger her, als bei uns gewöhnlich, ich sage: gewöhnlich statt findet, weil ich Ausnahmen hiervon in Amerika genug kenne, – indessen haben wir es ja jetzt mit der Regel zu thun. Es war hier Alles weit weniger geräuschvoll, weit weniger Geplauder; es war ein höherer Anstand in allen Dingen vorherrschend, welcher eine natürliche Folge einer mehr zur Aufmerksamkeit auf sich selbst und zur Achtsamkeit gegen Andere abzweckenden Bildung, die Folge einer Erziehung, die den Menschen weniger Nachgiebigkeit gegen die Laune des Augenblicks gestattet, weniger den willkürlichen Formen gehorchen lehrt. Sagen Sie Niemanden von Ihren Bekannten, was ich Ihnen hier vertraue, damit sie mir nicht etwa gar nach dem Leben trachten.

Wenn ich übrigens Vergleichungen dieser Art anstelle, so bitte ich Sie, mich nicht falsch zu verstehen. Ich könnte Ihnen manches Gesellschaftszimmer, selbst in New-York, diesem Sitten-Babel, mit Frauen und Mädchen füllen, welche jedem Lande Ehre machen würden. Das Aussuchen der Trefflichen würde mir ein Leichtes sein, desto schwerer aber würde mir das Ausschließen der Wenigertrefflichen werden.

Ich habe zwar auch manche Beispiele vorlauten und unzarten Benehmens unter den Engländerinnen gefunden, aber unter den höhern Ständen niemals. Einige Stufen tiefer ist ein solches Benehmen nichts Ungewöhnliches, und es gibt eine Art von Gesellschaften, in denen es im eigentlichen Sinne Mode zu sein scheint. Diese Mode will ich Ihnen jetzt durch ein dem Charakter der Nation entlehntes Beispiel erläutern, damit Sie aus meiner Beschreibung erkennen, was, nicht aber, wen ich meine.

Denken Sie sich ein hübsches Frauenzimmer, das sich mitten im Zimmer allein hinstellt und zwei oder drei Männer unterhalten will! Sie spricht laut, lacht viel und benimmt sich mit einschüchterndem Selbstvertrauen; sie sieht ihrem Gesellschafter grade ins Auge, mit einer entschlossenen Unbefangenheit, die ihn wie einen armen Schelm erscheinen läßt, der sich erröthend hinter einem Fächer verbergen möchte. Dies ist eine entschiedene Garnisonsaufführung, die in London wenig oder gar kein Glück macht. Etwas Weniges davon hätte ich in dem zuerst an diesem Abend besuchten Hause finden können; aber in den beiden Andern durchaus nicht.

Ich hätte auch sagen sollen, daß die jungen Leute beider Geschlechter gegen das frühere Benehmen jetzt außerordentlich viel in England gewonnen haben. Die Dandy's, von denen Sie in Romanen gelesen haben, finden Sie jetzt hier nicht mehr, und wenn dergleichen Geschöpfe wirklich noch existiren, so darf man sie wenigstens nicht unter Leuten von Bildung suchen wollen. Ich habe viel geziertes manierirtes Benehmen in den untergeordneten Ständen, oft bis zu widerwärtigem und lächerlichem Grade gesteigert, angetroffen; aber nirgends sah ich etwas von jener Zierbengelei und Stutzerhaftigkeit, wie sie uns häufig in erdichteten Schilderungen dargestellt werden. Die Männer sind im Ganzen einfach, im Benehmen und Gesinnung männlich, dazu hochgebildet, so weit die äußere elegante Bildung sich erstreckt. An praktischen Kenntnissen fehlt es ihnen; doch in einigen Sphären des geselligen Verkehrs zeigt sich auch mehr praktischer Sinn, und in Dingen, die in ihren besonderen Wirkungskreis gehören, zeigen sie sich hinlänglich bewandert. Fast durchgehend sind sie auf Reisen gewesen, und die meisten verstehen vier bis fünf Sprachen, obschon Wenige irgend eine Sprache außer ihrer eigenen richtig sprechen können. Dasselbe läßt sich auch von den Frauenzimmern sagen. Selten hörte ich sie über die Verdienste einer Novelle miteinander streiten, und von der Empfindsamkeit, die man noch bisweilen auf dem Festlande antrifft, scheinen sie gar keine Vorstellung zu haben. Doch es ist vielmehr auf den ersten Blick einleuchtend, daß sie bessere Dinge verstehen, und daß auch ihre geistige Bildung gar nicht vernachlässigt ist. Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, daß ich, außer in besonderen Fällen, immer das, was Regel ist, vorzüglich berühre, ohne von den Ausnahmen zu reden.

Den Engländerinnen kann es leicht begegnen, daß sie den Amerikanerinnen, bei flüchtiger Bekanntschaft, weniger weiblich vorkommen, als ihre Landsmänninen. Die kräftigere Ausbildung ihres Körpers kann eine solche Meinung nur zu leicht aufkommen lassen; auch sind sie nach meiner Ansicht in mancher Beziehung etwas zu entschieden in ihrem Betragen; und da sie weit genauer alle Regeln des Anstandes beobachten, so sind sie auch weit weniger durch einnehmende, anmuthige Unterhaltungsgabe ausgezeichnet. Sie benehmen sich weniger natürlich, aber mit mehr äußerer Sicherheit. Ihr Betragen ist durchaus genau geregelt; gibt Ihnen eine Engländerin freundschaftlich die Hand, so fühlen Sie sich nicht so heimisch, wie, wenn Ihnen dies von einer Amerikanerin begegnet, die nicht einmal aufzustehen pflegt, wenn Sie eintreten, um Sie zu empfangen, und die die Enden ihrer Finger ängstlich bewacht, als ob sie nicht die hübschesten wären, die man in der Welt sehen kann. Während ein englisches Frauenzimmer Ihnen am meisten Ehrerbietung einflößt, nimmt eine Amerikanerin weit mehr Ihr Inneres in einer ganz allgemeinen Unterhaltung ein. Ich glaube, daß man unter beiden die besten Gattinnen und Mütter finden kann, mehr als sonst irgendwo in der Welt; aber die Engländerinnen kommen der Natur in allen Stücken zu Hülfe, während die Amerikanerinnen sie bisweilen entstellen. Nirgends schaden sich die Frauen selbst so sehr, als bei uns; ihr vorzüglich zartes weibliches Aeußere erfordert Sanftmuth und Milde in Stimme und Ausdruck – und dies ihnen natürliche Benehmen dürfen sie durch unbedachtes nachlässiges Betragen nie in lärmendes matrosenförmiges Reden und schrillendes wärterinnenmäßiges Gekicher ausarten lassen. Ich habe manche junge Amerikanerin gesehen, die mir nicht anders vorkam, als wie eine brüllende Nachtigall. Es ist wirklich zu beklagen, daß unsere Mädchen sich nicht lieber nach den bessern Gesellschaften in ihrem eignen Vaterlande zu bilden suchen, anstatt die gemeinen Gesellschaften Europas zum Muster zu nehmen.


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