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Dreiundzwanzigster Brief

Mr. Mac Adam. – Englische Landstraßen. – Das Kornmagazin (Rue-House). – Amerikanische Auswanderer. – Parteilichkeit. – Einfall in England. – Roydon-House. – Londons Wachsthum. – Englische Kolonien. – Macht der Vereinigten Staaten. – Canada's Unabhängigkeit. – Englands Kolonialsystem. – Auswärtige Politik. – Populäre Ansichten. – Einfluß der Stadt London.

 

An Herrn H. Floyd-Jones in Fort-Neck.

Unser Verwandter, Mac Adam, Die Nachricht von dem Tode dieses Mannes gelangte erst bei dem Abdruck dieses Werks nach Amerika. John Loudoncc Mac Adam war in Schottland geboren und war aus der geachteten Familie des Mac Gregor; vermöge seiner Abstammung wäre ihm ein kleines Gut, Waterhead genannt, zugefallen, aber seiner natürlichen Ansprüche durch die Sequesterationsakte verlustig, kam er früh nach Amerika zu einem Oheim, der in New-York sich niedergelassen, dort geheirathet und diesen seinen Neffe an Kindesstatt angenommen und zu seinem Erben eingesetzt hatte. Hier erhielt er seine Ausbildung und lebte er siebzehn Jahre oder bis zum Frieden von 1783. Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien ließ er sich in Bristol nieder, und bei dieser Stadt begann er seine Versuche im Landstraßenbau, mehr aus Liebhaberei, als in der ernsthaften Absicht, sich dieser Beschäftigung ganz zu widmen. Da er in seinen Experimenten zu unerwartet guten Erfolgen gelangte, so dehnte er seine Operationen allmählich weiter aus, bis er endlich die meisten Landstraßen der ganzen Insel in die besten Wege umwandelte, die man in der ganzen Welt finden kann. Während der letzten fünfundzwanzig Jahre seines Lebens war seine ganze Zeit und sein ganzes Studium einzig diesem Gegenstande gewidmet.
Zweimal wurde unserm Mr. Mac Adam das Ritterthum und einmal die Erhebung zum Baronet angeboten; doch diese Auszeichnungen lehnte er ab. Jedoch hat sein zweiter Sohn ganz kürzlich die erstere Auszeichnung erhalten, und ist daher jetzt Sir James Mac Adam genannt. Da dieser Herr öfter um London zu thun hat, so wird er gewöhnlich mit seinem Vater verwechselt.
Mr. Mac Adam (der Vater) war zweimal verehlicht. Seine erste Gattin war eine Tochter von William Nicoll, Besitzer des großen Gutes Islip in der Grafschaft Suffolk in Long-Island, der Abkömmling aus einer Seitenlinie von Oberst Nicoll, welcher die Kolonie den Holländern im Jahr 1663 abgenommen hatte, und der erste Gouverneur derselben gewesen war; seine zweite Gattin war die Tochter von John Peter de Lancey von Momaroneck in Westchester in Neu-York.
Mr. Mac Adam war ein Mann von eigenthümlich ruhigem und nachdenkendem Charakter, verbunden mit ungewöhnlicher praktischer Thätigkeit und Geschicklichkeit. Stille, bescheiden, einsichtsvoll und rechtschaffen, genoß er im Privatleben große Hochachtung, wie Wenige außer ihm; aber, während wenige Männer für Großbritannien mehr Nützliches gethan, so ist kaum ein Mann weniger belohnt worden. Seines Werthes sich bewußt und stolz auf seine Verdienste, fühlte er sich zu groß, Gnadenbezeugungen anzunehmen, die er seiner Würde nicht entsprechend fand, oder um solche zu betteln, die ihm von Rechtswegen gebührten.
der in Hertfordshire wohnt, hat mich so eben mit sich nach Hause genommen.

Für mich war es etwas Neues, mich auf einer Landstraße zu befinden, während ich neben dem Manne saß, der in dieser Hinsicht so viel für das Reich gethan hat. Wir reisten in einem offenen »Gig«, denn mein Gefährte mußte nach jedem schlechtgelegten Stein, nach jeder Unebenheit des Wegs sich umsehen können. Das System der Landstraßen ist hier so schlecht, als es eins geben kann, da das ganze Land in kleine Abtheilungen, oder wie man sie nennt, in »Einzelverwaltungen« (trusts) zertheilt ist, so daß die Ausführung eines großen durchgreifenden Planes durchaus gehemmt wird.

Ich darf wohl nicht vergessen, daß wir durch vier oder fünf Thore kamen, alle noch innerhalb der Stadtgrenze; Hindernisse, welche vermuthlich wegen des großen Wachsthums von London fortbestehen. Obschon Mr. Mac Adam in keiner Verbindung zu den »Trust's« der Stadt London stand, so kamen wir doch durch sie sämmtlich frei hindurch, schon seines Namens wegen.

Wir sprachen viel über den Wegbau. Als ich sagte, ich hätte manche Landstraßen hier weit besser gefunden, als andere, daß aber einige wenige in der That mir nicht besser vorgekommen sein, als sehr viele Wege bei uns; da sagte mir Mr. Mac Adam, in vielen Gegenden Englands mangele es an dem nöthigen Material, wo man also genöthigt gewesen sei, sich mit Grant (gravel) zu behelfen Die Menge des Basalts längs der ganzen Westküste von Schottland, auf den Hebriden und in Irland sollte doch wohl hinreichendes Material zum Wegbau darbieten!. »Und dies Metall,« sagte er, »auf dem Wege, den wir eben befahren, kommt aus Ostindien!« Die Erklärung war leicht genug; in die Indien-Docks waren Steine als Schiffsballast eingeführt und von dort weitergebracht worden, auf einer Strecke von mehren Meilen, um daraus den Weg zu bilden, auf welchem wir uns befanden. Grantgruben sind dagegen in England so häufig, und eben jetzt ist eine in Hydepark geöffnet worden, welche einen schlechten Abstich zu den grünen Anlagen macht.

Wir befanden uns auf dem Wege nach Hertfordshire, der großen nördlichen Landstraße, so wie dem Schauplatz von John Gilpins Wettrennen. Wir kamen an der »Glocke zu Edmonton« vorbei, wo sich jetzt ein Denkmal von John's Schnelligkeit, Sicherheit und – Perücke befindet. So haben die Kutscher, beiläufig gesagt, wenn sie flächserne Perücken tragen, doch eine weit klassischere Auctorität für sich, als ich ihnen hätte zutrauen mögen.

Waltham Cross war ein noch weit interessanterer Gegenstand. Edward der Erste ließ diese Kreuze an den verschiednen Stellen aufrichten, wo der Körper seiner Gattin geruht hatte, als derselbe seine feierliche Bestattungsreise von Milford-Haven bis nach London machte. Charing Cross in der Stadt selbst war der letzte Ruhe-Ort. Es sind kleine gothische Bauten, mit Nischen zur Aufnahme von Bildsäulen versehen, und über ihnen erhebt sich ein Kreuz, ein zierliches und Theilnahme weckendes Denkmal. Ich glaube, daß wir zwischen London und Hoddesdon an deren zwei vorbeikamen, woraus hervorgehen dürfte, daß der Leichnam der Königin nur kurze Stationen zurücklegte. Das Kreuz von Charing Cross ist ganz verschwunden.

Bei Hoddesdon befanden wir uns an der Grenze von Essex; und den Tag nach unserer Ankunft ging Mr. Mac Adam mit mir über die Brücke, welche die beiden Grafschaften trennte, um Rye-House in Augenschein zu nehmen, den Ort, welcher durch den berüchtigten Anschlag auf das Leben Carls des Zweiten merkwürdig geworden ist. Man beabsichtigte nach dem Könige zu schießen, sobald er auf seinem Rückwege von Newmarket nach London vorüberkommen würde. Das Gebäude hat wirklich zu einem solchen Zweck eine recht günstige Lage, da es weit genug nach dem Wege vorgebaut ist, der grade an dieser Stelle ganz enge ist und auf eine Weise sich wendet, daß eine Anzahl zu gleicher Zeit abgefeuerter Gewehre gewiß das ganze königliche Gefolge hätte niederstrecken können. Das Haus selbst ist ein gemeines Meierhofgebäude, von Ziegelsteinen aufgeführt, dabei zierlich anzusehen, vorzüglich um die Rauchfänge, und durchaus nicht groß. Ich vermuthe, daß es nur noch zum Theil besteht. Es diente jetzt zu einem Armenhause, und wenn es als ein Muster der englischen Armenhäuser überhaupt betrachtet werden kann, so macht es der Nation recht viel Ehre. Alles war sehr nett eingerichtet, und es waren nur wenige Bewohner darin.

Das Land um diesen Ort war niedrig und eben und ganz von allem landschaftlichen Reiz entblößt. Man erzählt mir, es sei nicht daran zu zweifeln, daß die Dänen, bei einem ihrer Einfälle in England, einst an dieser Stelle gelandet seien, obschon der Abstand vom Meer jetzt nicht weniger als zwanzig englische Meilen betragen mag! Mr. Malthus hat sonach übersehen, daß die Insel selbst zugenommen hat, als er seine vergleichenden Uebersichten über die zunehmende Bevölkerung herausgab.

Einige Knaben fischten auf der Brücke bei Rye-House; sie trugen eine Art Uniform, und mein Reisegefährte sagte mir, es seien Cadetten, welche für den Civildienst der ostindischen Compagnie, in einer nicht weit davon befindlichen Anstalt gebildet würden. Der New-River, welcher die Stadt London mit so vielem Wasser versieht, fließt ebenfalls an dieser Stelle vorbei, und auf dem Rückwege gingen wir eine Strecke weit längs seinen Ufern. Er ist nicht viel breiter als ein Wettrennpfad, und sein Lauf war keineswegs schnell. Wenn dieser künstliche Fluß hinreicht, die Londoner Spießbürger mit Wasser zum Gesicht- und Händewaschen zu versehen, dann muß der Croton ausreichen, ganz New-York unter Wasser zu setzen.

Hoddesdon ist von mehren ausgewanderten amerikanischen Familien zum Aufenthalt ausersehen worden, welche aus ihrem Lande vertrieben wurden und ihre Güter während der Revolution eingebüßt haben. Die Wohlfeilheit an diesem Ort und dessen Nähe bei London mögen ihm zur Empfehlung gedient haben, denn weder der Ort selbst noch die umliegende Gegend schienen mir irgend etwas Anziehendes zu haben. Jene Güterconfiskationen waren hart für diejenigen, welche solche trafen, und in mancher Beziehung hatten diese Leute eine solche Einbuße, selbst von politischem Standpunkte aus betrachtet, nicht verdient; doch wenn es wahr ist, wie man neulich behauptet hat, daß das britische Ministerium den Kampf angeregt hatte, in der Hoffnung die Kolonisten zu unterjochen, und für ihre Freunde und Anhänger durch Confiskationen auf der Jenseite sorgen zu wollen beabsichtigte, dann hat die wiedervergeltende Gerechtigkeit hier wie gewöhnlich gewaltet. Die wahre und umständliche Geschichte großer politischer Ereignisse möchte wohl kaum in irgend einem Lande eine sorgfältige Beleuchtung vertragen können.

Wenn irgend ein Amerikaner beide Theile über den großen Kampf zwischen den Kolonien und dem Mutterlande hören will, so würde ich ihm rathen, sich eine kurze Zeit an solchen Orten aufzuhalten, wo diese Emigranten ihre Traditionen zurückgelassen haben. Da wird er finden, daß Namen von Personen, welche er von Kindheit an verehren lernte, hier einen angeborenen Widerwillen zurückgelassen haben; daß seine Helden bei andern Leuten als Schelme verschrieen werden, und daß diejenigen, welche andere Leute bewundern, ihm als Raubgesindel bekannt sind. In allen diesen Dingen besteht, wie überall, die gewohnte Mischung von Dichtung und Wahrheit; beide übertreiben im Partei-Eifer und in dem Unvermögen, Geschehenes vergessen zu können.

Doch in unserm Verwandten fand ich einen überzeugenden Beweis, wie sehr der Sinn des Menschen, wenn er nicht durch besondere Beweggründe gestachelt wird, geneigt ist, mit dem Erworbenen zufrieden zu sein, und über die in ihrem Wesen immerfort sich verändernden Dinge der Welt nicht anders zu urtheilen, als nach dem Einfluß der ersten Eindrücke. Er ist ein Mann von liberalen Eigenschaften, gesundem Urtheil, durchaus reinen Sinnes, von ungewöhnlich vielseitiger praktischer Bildung, und doch ließen mich manche seiner Ansichten über Amerika, wie er sie vor einem halben Jahrhundert aufgefaßt hatte, bisweilen an seinem gesunden Menschenverstande einigermaßen zweifeln. Ein scharfer Beobachter, ein Landsmann, welcher sich hier lange Zeit aufgehalten hat, hat mir bald nach meiner Ankunft hier gesagt: »daß die Engländer, so verständig und wohl unterrichtet, so ruhig erwägend und praktisch sie gewöhnlich zu sein pflegen, alle ihre gewöhnlichen Eigenschaften einzubüßen scheinen, sobald es Amerika gilt.« Wirklich, ich fange an, dasselbe zu denken.

Unser Verwandter war so weit davon entfernt, England zu überschätzen, als irgend einer; mit der ihm eignen persönlichen Bescheidenheit und Treuherzigkeit scheint er sein Urtheil über Nationen einzurichten. Er ist zum Beispiel einer der wenigen Engländer, die ich kennen lernte, welche von freien Stücken zugaben, Napoleon würde vielleicht Manches ausgerichtet haben, wenn es ihm gelungen wäre, Englands Boden zu betreten. »Ich sehe nicht, wie wir es hätten möglich machen wollen, ihn zu hindern, nach London zu gehen«, sagte er, »wenn er glücklich mit etwa hunderttausend Mann bei Dungneß gelandet wäre.« In dieser Aeußerung schien mir gesunde Ueberlegung statt zu finden; denn die englische Nation ist zu reich, und die Trennung zwischen den verschiedenen Casten ist zu groß, als daß man einen tapfern Widerstand hätte erwarten können, wenn die gewöhnlichen Vertheidigungsmaßregeln vergeblich gewesen wären. Ich zweifle wenig daran, daß, den Unterschied der systematischen Vorbereitungen und der Zahl regelmäßiger Truppen abgerechnet, eine große Macht weit größere Fortschritte in England machen würde, als in den Ansiedlungen von Amerika, so groß auch die Prahlereien der Quarterly Review sein mögen. Unser Freund übersieht auch nicht den Einfluß der Nationalschulden, wovon er mit besorgten Ausdrücken sprach, und durchaus nicht in die hochfahrende Gleichgültigkeit einstimmend, mit welcher die National-Eitelkeit diesen schwierigen Gegenstand betrachtet. Sobald aber die Rede auf Amerika kommt, dann scheint sein Urtheilsvermögen das Gleichgewicht völlig zu verlieren.

Als eine Probe, wie lange Zeit man an den alten in diesem Lande gehegten Kolonialmaximen festhält, will ich blos anführen, daß er mich fragte, woher wir die Wolle nehmen wollten zu unsern Manufakturen? Ich erinnerte ihn an die Ausgedehntheit unseres Gebiets. Dagegen hatte er nichts, indessen: »die Winter«, sagte er, »dauern zu lange in Amerika, als daß man dort eine gute Schaafzucht haben könnte.« Als ich ihm sagte, daß nach der im Jahr 1823 stattgefundenen Zählung in dem einzigen Staat New-York mit einer Bevölkerung von weniger als 1,800,000 Seelen sich an drei und eine halbe Million Schaafe befunden hätten, so wollte er kaum die Richtigkeit unserer Angaben für möglich halten.

Sämmtliche altherkömmliche englische Meinungen haben ihren Ursprung in dem politischen System der Nation, und die Menschen hier bemühten sich, ohne Rücksicht auf das, was bei andern wirklich sich ereignete, immerfort die Ansicht festzuhalten, Alles das, was diesem System entgegen sei, könne gar nicht existiren. Die Hartnäckigkeit, ihr gesundes Urtheil nach den Forderungen ihres Systems zu bequemen, hat sie öfter in die Nothwendigkeit versetzt, mit ihren Urtheilen der gesunden Vernunft zu widersprechen.

In Hoddesdon ist ein kleines Haus, das Roydonhouse genannt wird, welches einen besondern Eindruck auf mich gemacht hat. Als europäisches Gebäude ist es nicht groß, nicht größer, als ein gewöhnliches amerikanisches Landhaus zweiter Klasse, aber recht anmuthig und alterthümlich von Ansehen. Dergleichen Gebäude habe ich etwa ein Dutzend gesehen und beneide die Engländer fast um den Besitz derselben, weit mehr als um ihre Blenheims und Eatons. Wie ich höre, befindet sich in demselben kein einziges beträchtliches Zimmer, sondern es ist in lauter kleine Gemächer nach alter Weise vertheilt und besteht daher fast zur Hälfte aus der großen Halle und aus Treppen. Da unser Land dergleichen Ueberreste aus frühern Zeiten gänzlich entbehrt, so steigt dadurch ihr Werth in meinen Augen, und so oft ich eins dieser alten Gebäude erblicke, möchte ich weit lieber in ihrer dichterischen und alten Unbequemlichkeit mein Leben beschließen, als in den aufs zweckmäßigste eingerichteten Wohnungen unserer Zeit. Doch möchte ich wohl im Voraus behaupten, daß ein einjähriger Aufenthalt in einem solchen Bau vielleicht dieselbe Wirkung auf unsere Voreingenommenheit haben würde, wie das Wohnen in einer Hütte auf Liebende wirken mag.

Ich kehrte nach der Stadt in einer Postchaise zurück, ein Fuhrwerk, welches die Spießbürger nicht schelten, wenn sie es »Post scheu« (postshy) nennen. Es ist ein kleines, gepreßtes, unansehnliches Fuhrwerk ohne Bock, und, wie das Innere der gewöhnlichen Postkutschen, macht es dem hohen Ruf der englischen Einrichtungen wenig Ehre. Diejenigen, welche in Europa mit Postpferden reisen, bedienen sich gewöhnlich ihrer eignen Wagen, und so werden diese Fuhrwerke nur für den seltner vorkommenden Bedarf noch beibehalten.

Während wir durch die lange Reihe von Dörfern hinfuhren, die London sämmtlich einverleibt zu werden den Anschein haben, vertiefte ich mich unwillkürlich in Betrachtungen über das Wachsthum dieser ungeschlachten Hauptstadt, über ihren Einfluß auf die Bevölkerung des Landes und auf die ganze gebildete Welt, über ihren Anfang und ihr endliches Schicksal.

Um Ihnen vorerst einige Vorstellung von der Zunahme dieser Stadt zu geben, brauche ich Ihnen blos mitzutheilen, daß ich öfter gehört hatte, wie ein beiderseitiger Verwandter von uns, der in England geboren war, des Umstandes erwähnte, der Mann einer seiner Basen, der eine Hofbedienung bekleidete, habe ein kleines Gut in der Nähe von London gekauft, um seinen Kindern den Genuß der Landluft zu verschaffen, da sein Dienst und seine beschränkten Vermögensumstände ihm nicht gestatteten, ein größeres Gut in größerer Entfernung von der Stadt zu kaufen. Als ich im Jahr 1826 hier war, wurde ich in die Vorstadt zum Essen eingeladen und wollte nun nach dem Landhause, wo ich erwartet wurde, zu Fuß hingehen. Ich verirrte mich aber, und indem ich an der ersten, besten Straßenecke stehen blieb, um mich zu besinnen, welchen Weg ich nehmen müsse, erblickte ich den Namen einer Familie, die nahe mit derjenigen verbunden ist, mit welcher wir, wie ich sagte, verwandt sind. Die drei oder vier folgenden Straßen hatten ebenfalls Namen, die in der Familie vorkommen, und einige davon gehörten Amerikanern. Ueber dieses Zusammentreffen verwundert, erkundigte ich mich in der Nachbarschaft und fand, daß ich mich auf dem Gebiet des Enkels eben desselben Mannes befand, der vor fünfzig Jahren solches angekauft hatte, um seinen Kindern den Genuß der Landluft zu verschaffen! So hatte die Armuth des Vorfahren seinen Nachkommen in den Genuß von fünfzehn bis zwanzigtausend Pfund jährlicher Einkünfte gesetzt.

Mir scheint es, als ob London in seiner Vergrößerung weit rascher fortschreite, als irgend eine andere europäische Stadt, mit Ausnahme vielleicht von zwei oder drei andern Städten in England. Manche halten in der That die Stadt schon für zu groß im Vergleich mit der Größe des Landes, obwohl dieser Vergleich nicht paßt, da das ganze englische Reich und nicht blos England in London seine Hauptstadt erkennt. So lange England den Besitz der beiden Indien, so wie seine übrigen auswärtigen Besitzungen, zu behaupten im Stande ist, so lange wird London in weit richtigerem Verhältniß zur Macht und zum Wohlstand seines unermeßlichen Reichs sich befinden, als Paris zur Macht und zum Wohlstand des französischen Gebiets steht. Der Tag wird kommen, und vielleicht kommt er früher, als wir sämmtlich solches erwarten, an welchem das britische Reich, wie es jetzt besteht, erschüttert werden wird, und dann wird freilich London für das Reich zu groß erscheinen. Wann diese Zeit gekommen sein wird, dann werden die vielen Vorstädte wahrscheinlich ebenso rasch abnehmen, als sie jetzt in einem fort zunehmen. Auch Mr. Mac Adam hält die große Ausdehnung von London für ein Uebel.

Die Engländer besprechen öfter die Vortheile, welche sie aus ihren Kolonien ziehen und weisen die Frage kurz ab, ob es nicht zuträglicher sein würde, auf diese Kolonien sämmtlich zu verzichten. Diejenigen, welche das letztere Vorhaben unterstützen, kommen immer auf Amerika zurück, um zu beweisen, daß ihre jetzigen Kolonien dem Mutterlande weit nützlicher werden könnten, wenn sie unabhängig wären, als unter den bestehenden Verhältnissen. Ich habe öfter über ihre Schlußfolgen lächeln müssen, in welcher die gewöhnliche Unkunde in Dingen, die außerhalb des gewöhnlichen Gesichtskreises liegen, hervortritt.

Zuvor verdient bemerkt zu werden, daß England in diesem Augenblick wenige wirkliche Kolonien unter allen seinen Besitzungen aufzählen kann. Ich weiß nicht, ob man jetzt eine einzige auswärtige Niederlassung nahmhaft machen könnte, die England nicht irgend einem früheren Besitzer mit Gewalt entrissen hätte. Es ist zwar wahr, daß durch die Länge der Zeit und durch den lebhaften Verkehr ein großer Theil dieser Eroberungen den Charakter und die Beschaffenheit wirklicher Kolonien angenommen haben. Ober-Kanada, Neu Schottland, Jamaika, Neu-Holland und vielleicht selbst das Kap der guten Hoffnung, mögen sämmtlich mehr oder weniger diese Benennung verdienen. Mir schien es, daß Mr. Mac Adam weit mehr zu der Ansicht hinneigte, daß sich England ohne seine Kolonien weit besser befinden würde, als mit denselben. Er führte unser Land als Beispiel an, und meinte, wir gewährten jetzt England weit größere Vortheile, als wie zu der Zeit, wo wir von demselben abhängig waren.

Dreizehn von unseren Vereinstaaten waren sämmtlich wirklich englische Ansiedlungen. Nur Eine davon war eine Eroberung, nämlich New-York, doch ein über hundert Jahre dauernder Besitz hatte auch dieser Einen das Gepräge des Englischen mitgetheilt, und da das Eroberungsrecht keine Hindernisse in der Landesverfassung zu besiegen hatte, so that sich dort der englische Charakter weit überwiegender als bei den übrigen hervor mittelst einer Aristokratie des Grundbesitzes. Die mächtigen Eindrücke, welche unsere Abstammung von diesen englischen Kolonisten in engerer Bedeutung in uns aufbehalten hat, können bei uns noch immer deutlich nachgewiesen werden, sowohl in der fortdauernden Anhänglichkeit an frühere Vorurtheile, als in der Nachgiebigkeit, die wir in Ansichten und Gewöhnungen gegen unser Mutterland bewahrt haben. Diese Vorurtheile und diese Nachgiebigkeit sind durch ein halbes Jahrhundert von politischen Ereignissen, welche den Engländern weit feindlicher gewesen sind, als irgend andere, durchaus nicht zerstört, sondern höchstens ein wenig geschwächt worden.

Bei der Betrachtung des Verhältnisses von England zu seinen Kolonien dürfen aber die Ausdehnung und die Macht der Vereinigten Staaten nicht außer Acht gelassen werden. Unsere Unabhängigkeit wurde im Jahr 1783 anerkannt. Im Jahr 1793 begannen die Kriege der französischen Revolution. Um diese Zeit begannen wir unsere Baumwollenpflanzungen. Indem wir unsere Neutralität bewahrten und aus der Geschicklichkeit der Nation Vortheil zogen, wird die Weltgeschichte kaum ein ähnliches Beispiel vergleichungsweise rascheren Wachsthum, allgemeinen Wohlstandes und schnellerer Anhäufung von Reichthümern aufweisen können, als Amerika in dem Zeitraum zwischen 1792 und 1820 darbot. Unser Schiffbaumaterial, unser Getreide, unsere Baumwolle, Taback, Potasche, Indigo, Reiß, alles wurde zu den vortheilhaftesten Preisen abgesetzt. Hierin kam unsere Abstammung, so wie Gewohnheiten und Bedürfnisse als Kolonisten den Engländern ganz erwünscht. Von zwanzigen mußten wenigstens neunzehn unserer Bedürfnisse aus den englischen Werkstätten befriedigt werden. Wären wir noch unter englischer Herrschaft gewesen, so hätten wir weder neutral bleiben, noch Waaren versenden, noch kaufen können.

Wo kann England in der ganzen Reihe seiner Kolonien zu solchen Thatsachen eine Parallele aufstellen? Wenn die kanadischen Besitzungen unabhängig wären, was würden sie zur Ausfuhr aufbringen können, worin wir ihnen den Markt nicht alsobald verderben würden? England mag immerhin von den Kanada's allein, als einer englischen Kolonie sein Zimmerholz nehmen wollen; aber wenn das britische Amerika unabhängig würde, so würden wir uns dieses nicht gefallen lassen. Unsere südlichen Holzarten, welche die besten in der ganzen Welt sind, würden alle nördlichen Holzarten bald von den Märkten verdrängen. Da die Kanada's wenig verkaufen könnten, so würden sie auch wenig einkaufen können, und die Bevölkerung würde zu ihrer Selbsterhaltung genöthigt sein, sich mit Manufakturen vorwärts zu bringen. Unsere Manufakturen würden aber die westindischen Inseln überschwemmen, unsere Schiffe würden ihre Produkte einnehmen, und eine ganz natürliche Folge davon würde es sein, daß alle Staaten Amerika's zu dem großen amerikanischen Bundesstaat, als zu ihrem natürlichen Haupt aufblicken würden.

Im Osten würden die Sachen noch weit schlimmer sein. Von allen Weltgegenden her würde man an einem Handel Theil zu nehmen trachten, der jetzt den besondern Absichten gemäß beschränkt wird. Kurz, England würde aufhören, den Alleinhandel der Welt zu besitzen und den übrigen Nationen den Marktpreis zu setzen; ihm würden nur noch einzelne militärische Stationen übrig bleiben, welche alsdann noch besetzt zu halten, kein hinlängliches Motiv vorhanden wäre.

Wollte also England seine auswärtigen Besitzungen aufgeben, so würde es vielleicht schon innerhalb zwanzig Jahren zu einer Macht zweiten Ranges herabsinken. Wenn wir gar noch nicht als gesonderter Staat beständen, dann möchte diese Umwandlung vielleicht nicht so schnell vor sich gehen; denn alsdann würde England weniger von Mitbewerbung zu besorgen haben; – aber unsere Existenz ist nun nicht mehr zu widerrufen; schon zählen wir fast ebenso viel Einwohner als England, und ein Vierteljahrhundert später werden wir eine Bevölkerung haben, wie die sämmtlichen britischen Inseln zusammen genommen.

Ist aber England wohl im Stande, jedenfalls seine Besitzungen zu behaupten? Die Verhältnisse sind von der Art, daß England solches nicht immer im Stande sein wird. Es liegt im Interesse der ganzen Christenheit, das englische Handelssystem zu stürzen, weil es den Rechten aller Menschen und Völker widerstrebt, zuzugeben, daß ein kleines Ländchen in Europa seinen eigenmächtigen Besitz und sein ausschließliches Handelsmonopol über die ganze Erde, gleich der Zwingherrschaft eines feindlichen Eroberers ausbreite. Die Verfolgung von Zwecken, wobei das Interesse des ganzen übrigen Erdkreises betheiligt ist, kann vorübergehende Unterbrechungen erleiden, wo dringendere Angelegenheiten die augenblickliche Aufmerksamkeit beschäftigen, und wo vortheilhafte Verbindungen mit England eine Zeitlang das allgemeine Begehren Aller bei Einzelnen zum Schweigen bringen; doch mit den wachsenden Fortschritten der Civilisation wird das ausschließliche Bereicherungs- und Unterdrückungssystem der Engländer immer peinlicher empfunden werden, bis alle Nationen, öffentlich oder im Verborgenen sich vereinigen, um das auf ihnen lastende Joch abzuschütteln. Die Wichtigkeit der Einzelnen geht immer unter in den allgemeinem Bestrebungen Europa's, und die Interessen der Gesammtheit vereinigen sich immer mehr zu einer eigenthümlichen Macht, welche jeden Widerstand vernichten wird.

Es ist wahrscheinlich, daß England noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts sich in einer solchen Lage befinden wird, daß es sich gezwungen sieht, sein Kolonien-System ganz aufzugeben. Wenn dies geschehen sein wird, so wird es keinen Beweggrund übrig haben, noch länger auswärtige Besitzungen zu behaupten, welche ihr von seinem Vortheil, sondern nur zur Last sein würden. Die Herrschaft der ostindischen Besitzungen wird dann vermutlich den Farbigen, die der westindischen Kolonien den Schwarzen in die Hände fallen, und Britisch-Amerika ein Gegengewicht gegen alles Land längs dem mexikanischen Meerbusen bilden. Die erste Flotte von dreißig Linienschiffen, welche wir alsdann in See senden, wird die Streitfrage über die englische Obermacht in den Gewässern unserer Halbkugel für immer entscheiden.

Wenn diese Resultate von der amerikanischen Politik abhingen, so würde ich ihnen größtentheils mißtrauen; denn keine Nation ist um ihre auswärtigen Interessen so wenig bekümmert, oder blickt so wenig in ihre nächste Zukunft, als die Unsrige. Es fehlt uns fast durchaus an Staatsmännern, während wir an Politikern einen großen Ueberfluß haben. Indessen ist der faktische Einfluß unserer Politik so außerordentlich, daß er alle Nebendinge in Schatten stellt. Dies ist ein wesentlicher Zug, in welchem die beiden Länder einander so wenig gleichen, als möglich. In England hängt alles von Menschen ab, von ihren Spekulationen, von ihren combinirten Maßregeln, von ihrer Vorsicht und Ueberlegung, von ihrer Behutsamkeit und Besonnenheit, von ihren politischen Planen und von der konsequenten Ausführung derselben. Bei uns erscheint der junge Herakles kaum aus den Windeln sich aufrichtend, und seine Glieder erstarken und üben sich in freier natürlicher Entwicklung; – oder um ohne Gleichniß zu reden, – es ist eine bekannte Thatsache, daß unsere Kraftäußerungen ganz unsern Bedürfnissen entsprechen. Diese Wahrheit leuchtet am deutlichsten ein, wenn man die auswärtige Politik von England und Amerika mit einander vergleicht.

Die auswärtige Politik der Engländer geht mit der wachsamen, entschiedenen, durchgreifenden und planmäßigen Weise zu Werke, welche man von einem Staat erwarten muß, dessen Lage so äußerst verwickelt ist und dessen Interessen so mannigfach modificirt sind, während sich unsre auswärtige Politik durch ein nachlässiges, unbekümmertes Benehmen und zum Theil durch eine unwissende, leichtsinnige Weise zu erkennen gibt, mit der ein kräftiger Jüngling in der Blüthe seiner Kraft in die Zufälligkeiten und Gefahren des Lebens hineinstürmt.

Einen der besten Beweise, welche man für die Vortrefflichkeit der britischen Regierungsform anführen kann, ist die bewunderungswürdige Anwendung der ihnen zu Gebote stehenden Mittel, um unter so schwierigen Umständen eine solche Herrschaft zu behaupten. Eine Demokratie zeigt sich durchaus nicht zur Anwendung hauptstädtischer durchgreifender Maßregeln geeignet, weil ihre Maßregeln gebieterisch die beständige Berücksichtigung der Rechte des Volks erheischen. Das geheime Bewußtsein dieses gewandten Ineinandergreifens der öffentlichen Einrichtungen Englands, und der die Aufrechthaltung des Rechts bezweckenden Bestrebungen seiner Machthaber wird wahrscheinlich auf die Gemüther aller einsichtsvollen Männer in England großen Einfluß äußern, wenn die Frage über große Staatsveränderungen zur Sprache kommt; denn sobald demokratische Ansichten in England irgend das Uebergewicht bekommen würden, sogleich würden auch alle Bande sich lösen, welche jetzt die so verschiedenartig verwickelten künstlichen Interessen verbinden. Das über die wahren Absichten beobachtete Stillschweigen und das Aufgeben der allgemeineren Rücksichten, wie solches die Leitung einer so zusammengesetzten Staatsmaschiene erfordert, vertragen sich nicht mit der Publicität der Volksherrschaft und den gewöhnlichen Sympathien der menschlichen Natur. Ein Beweis für die Wahrheit dieser Behauptung findet sich in dem Gesetz, welches die Sklaven der Inseln emancipirt, ein Schritt, welcher nur als ein Vorläufer ihres Verlustes betrachtet werden kann. Allen genauern Beobachtern ist recht wohl bekannt, daß diese Maßregel dem Parliament durch die Theilnahme eines Publikums eingegeben worden ist, welchem vorübergehende Ursachen einen Einfluß gegeben hatten, den es vorher nie besaß. Dagegen behauptete Mr. Cobbett ganz öffentlich, man beabsichtige blos, Amerika in Unordnung zu bringen, um auf die öffentliche Meinung hier einzuwirken! Man darf nicht durchaus alles glauben, was Mr. Cobbett gesagt hat; doch eine solche Vermuthung beweist wenigstens Etwas, – wo nicht mehr. A. d. V.

Wenn London in Trümmern zerfiele, so würden vermuthlich binnen hundert Jahren weit weniger Ueberreste von demselben sich erhalten, als man jetzt noch vom alten Rom besitzt. Alle die mit Mörtel beworfenen Paläste und griechischen Façaden von Regent-Street und Regent-Park, würden nach wenigen Jahren durch den Einfluß der Witterung zerfallen. Die schönen Brücken, die Saint Paulskirche, die Westminsterabtei und noch wenige andere Gebäude würden für den wißbegierigen Forscher sich längere Zeit erhalten; aber ich möchte auch wohl behaupten, daß wenige andere europäische Städte eine so geringe Zahl von Ueberresten aufzuweisen haben würden, um in physischer Hinsicht der Nachwelt als Gegenstände der Bewunderung zu dienen. In Dingen, die weniger die rohe Masse betreffen, ist dies ganz anders. Der unbedingte und überwiegende moralische Einfluß der Stadt London ist vielleicht weniger in die Augen fallend, als der von Paris, aber in allen höhern Beziehungen denke ich, überragt der Einfluß London's bei weitem den Einfluß Rom's auf die ganze gebildete Welt.


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