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Siebzehnter Brief

Die Themse. – Die Brücke. – Der Eberkopf. – Erster Besuch in London. – Die beiden Ciceroni. – Ein amerikanischer Matrose im West-End. – Freiheits-Ansichten. – Rundel und Bridge. – Juwelen. – Englisches Silberzeug. – Ein königlicher Kredenzteller. – Anekdote von Georg dem Vierten.

 

An Herrn Richard Cooper in Cooperstown, N. Y.

Mr. – – hat so viele Höflichkeit mir erwiesen und mich auch auf die Themse mitgenommen. Wir hatten uns vorgenommen, nach Greenwich zu rudern, da aber das Wetter uns nicht günstig blieb, so beschlossen wir, blos bis zur Londoner Brücke hinab zu fahren und dann zu Fuße durch die City zurückzukehren. Wir nahmen unsere Plätze in einem Kahne an der Westminster-Treppe ein, und ließen uns mit der Ebbe abwärts treiben.

Die Themse ist ein hübscher und ein häßlicher Fluß zugleich. Bei hohem Wasserstand ist sie ein ziemlich tiefer und ein ordentlich breiter Strom; aber bei niedrigem Wasserstand ist sie oberhalb London nichts mehr als ein Bach, der sich einen Weg durch schlüpfrig morastige Ufer bahnt. Die Ueberfahrtsnachen sind zu ihrem Zweck in dieser Gegend ganz brauchbar eingerichtet; aber weiter unten sind diese Fahrzeuge nicht gehörig gegen die hohen Wellen geschützt. Es ereignen sich daher öfters Unglücksfälle, wiewohl diese im Verhältniß zur ungeheuern Zahl der in jeder Richtung einander durchkreuzenden Nachen gewiß selten genannt werden können. Die meiste Gefahr bringen die Ankertaue der Barken und Schiffe, an welchen man vorbeischlüpfen muß, während die Stärke der Strömung gar leicht die Wellen ins Boot treibt.

Als wir uns mit der Ebbe hinab begaben, bedienten wir uns der Schöpfruder, denn man kann nach Belieben Schöpfruder oder Streichriemen haben. Oberhalb der Westminsterbrücke nehmen sich die Ufer der Themse recht hübsch aus; und oberhalb Chelsea, wo der Fluß seinen Lauf durch ebenes Feld nimmt, sind sie fast noch anmuthiger. Die Landhäuser am Uferrande, die Krümmungen des Flusses und die Wiesengründe geben ihm wirklich ein recht freundliches Ansehen, das der Schönheit nahe kommt. Doch unterhalb Westminster bleibt wenig übrig, das Bewunderung verdient, bis man das Meer erreicht. Zwar ähnelt im größeren Maaßstabe der schiffbare Theil dieses Flusses gar sehr dem Raritan bei uns, unterhalb Brunswick, er macht weite Krümmungen, fließt durch ein erdiges Bett und ist von feuchtem Weideland eingefaßt. Doch hat die Themse einigermaßen Etwas voraus, da die Hügel weniger entfernt vom Ufer liegen. Auch die Durchfahrt bei Kilns hat mich öfter an die Themse unterhalb London erinnert.

Im Bereich der Stadt nehmen Waarenmagazine, von Kohlendampf geschwärzt, Manufakturgebäude, Zimmerplätze, Schiffswerfte, Docks zur Ausbesserung der Fahrzeuge und Anlandungsplätze fast die ganze Länge der Ufer ein. Hier sieht man keine prächtigen Quais, wie in Paris; die Verladungen geschehen in und aus den Schiffen mittelst Lichtern, ausgenommen in den trockenen Docks, von denen es jetzt jedoch eine hinreichende Menge gibt, um alle Verladungen, die den ausländischen Handel betreffen, auf eine zweckmäßigere Weise zu besorgen.

Heutiges Tags stellt die Themse ein von dem, als ich sie im Jahr 1806 zum ersten Mal sah, ganz verschiedenes Gemälde dar. Zu jener Zeit war der Fluß buchstäblich so dicht gedrängt mit Fahrzeugen aller Art bedeckt, daß es äußerst schwierig war, ein Schiff durch das Gewühl hindurch zu bringen. Damals lagen hier an hundert Gallioten einzig zum Handel mit Holland bestimmt, und das war zur Zeit eines mit Erbitterung geführten Kriegs. Es war dies der einzige Ort, den ich gesehen, der eine lebhafte Vorstellung von dem geben konnte, was man einen Wald von Masten heißt. Auch die meisten der jetzt vorhandenen Docks waren schon damals da, und auch sie wimmelten von Schiffen. Deßhalb fragte ich jetzt den Ruderer, einen alten Mann, der mit dem Fluß schon jahrelang bekannt war, wie hoch er dem Ansehn nach die verschiedene Anzahl der Schiffe schätze, die im Jahr 1806 und jetzt im Jahre 1828 die Themse befahren hätten, und er sagte mir, der Unterschied betrage über die Hälfte. Nach eignem Augenmaße konnte ich seine Meinung nur bestätigen. Der Handel hat sich seitdem mehr nach den Häfen außerhalb des Kanals hingezogen, vorzüglich nach Liverpool. Mit dem lebhaften Handel hat der Fluß viel von seiner Lebhaftigkeit und seiner Eigenthümlichkeit eingebüßt. Die besondern Trachten der Schiffleute sind verschwunden; die Kahnschiffer haben nicht mehr das frühere stattliche Ansehen; sogar die Schifferbuben tragen die stattlichen weiten besetzten Hosen nicht mehr. Diese Veränderungen gehen ihren durch die Zeitumstände bestimmten Gang; aber seit den zweiundzwanzig Jahren ist mir der Eindruck geblieben, den die Themse auf meine jugendliche Empfänglichkeit gemacht hatte, und als ich den Fluß nach so langer Zeit wieder befuhr, erneuerte sich jener Eindruck mit Macht und versetzte mich in eine fast wehmütige Stimmung.

Wenn auch die Themse nicht mit der Seine, dem Arno, der Tiber zu vergleichen ist, so hat sie doch eine malerische und imposante Schönheit eigenthümlicher Art, zumal unter den Brücken, die über dieselbe führen. Es liegt eine eigne düstere Erhabenheit in der Menge der sie umdrängenden Gegenstände, in den gewaltigen Riesenbauten, die den Strom durchschneiden, in dem unaufhörlichen Gewühl, in den dunkeln Häusermassen, welche die Ufer einschließen. Hier und da sieht man ein geschichtlich merkwürdiges oder durch seine Bauart ausgezeichneteres Gebäude hervorragen, und fast überall erscheint die Kuppel vom Saint Paul im nebligen Hintergrund hervordämmernd. Die Brücken selbst scheinen nicht unpassend dem düstern Charakter der Scene sich anzuschließen, wiewohl ich ihrem Bau den bessern Kunstgeschmack absprechen möchte. Die englische massive Bauart derselben gewährt zwar einen imposanten Eindruck; doch kommen mir diese Brücken unverhältnißmäßig plump vor für den wenig breiten Fluß, über den sie führen, und ihre übermäßige Festigkeit erscheint ganz zwecklos. Die Bogen dieser Brücken, die Southwarkbrücke ausgenommen, sind nicht hinreichend elliptisch, um gefällig und schön genannt werden zu können. Es wäre ein poetischer und würdiger Gedanke gewesen, hätte man die Westminsterbrücke im gothischen Styl erbaut. Die Southwarkbrücke ist von Eisen, und die durchbrochene Arbeit thut der Wirkung ihrer schönen Verhältnisse viel Abbruch, durch welche sie sich vor den übrigen vorzüglich auszeichnet; könnte man die offenen Seiten verdecken, so würde sie eine der schönsten Reihenfolgen kühner, prächtiger Bogenwölbungen darstellen.

Zwischen Westminster-Hall und dem Customhouse (Zollhause) gibt es jetzt fünf solcher schwerfälliger Bauten: Westminster-, Waterloo-, Blackfriars-, Southwark- und London-Bridge. Man macht Anstalten, die letztere wieder aufzubauen; und da London während der letzten Jahre in keiner Hinsicht so weit vorgeschritten ist, als in der öffentlichen Baukunst, so läßt sich leicht voraussehen, daß das neue Werk der englischen Hauptstadt weit würdiger ausfallen wird, als das frühere. Doch glaube ich nicht, daß man es deßhalb höher rühmen wird; denn Nationen, wie einzelne Menschen werden mit der Erweiterung ihres Gesichtskreises und der Erhöhung ihres Standpunktes immer weniger eitel auf ihre Fortschritte, als sie es im Zustande der Unwissenheit zu sein pflegen. Die Londonbridge, von der ich in meiner Kindheit so viel Rühmens hörte, war in der That gar kein ausgezeichnetes Muster des Nationalgeschmacks, obgleich man sie bis zum Himmel erhob.

Wir kamen an den »Temple-Gardens« und außerdem an zwei oder drei Gärten, die Privatwohnungen angehören, vorüber, ehe wir die Blackfriarsbridge erreichten. Nachher sahen wir nichts mehr, das an Vegetation erinnerte. Die zum Temple gehörigen Gebäude waren hübsch und interessant von Ansehen, und die dazu gehörigen Gartenanlagen, wie sie in diesem Lande gewöhnlich sind, gleich smaragdnen Plätzchen recht anziehend geordnet.

Bei der Londonbridge gingen wir ans Land, und mein Begleiter hatte die Gefälligkeit, mir die muthmaßliche Lage des Eberkopfs (Boars-Head) und von Eastcheap anzudeuten. Die neulich vorgenommenen Verbesserungen in diesem Stadttheil waren Schuld daran, daß dieses Haus abgebrochen wurde; und es ist wahrscheinlich, daß die neu angelegte Straße, die von der neuen Londonbridge nach der königlichen Börse führt und welche um das Jahr 1833 eine der schönsten Zierden der Stadt zu werden versprach, jede Spur der ehmalichen Lage desselben verwischt hat. Es mag wohl etwas Aehnliches von dem gewesen sein, was unsere Spießbürger einen »Rumplace« nennen, ansehnlich genug, um einen Thronerben zu veranlassen, darin sich zu belustigen; auch würde wohl Shakspeare, welcher ein Jahrhundert später dichtete, als in dem Heinrich wirklich lebte, sich wohl kaum so große Freiheiten mit einem königlichen Haupte genommen haben, wenn er nicht durch vorzüglich genaue und verbürgte Ueberlieferungen in seinen Schilderungen unterstützt worden wäre.

Mr. – – führte mich wie an einem Ariadne's-Faden durch die engen Gassen dieses Stadttheils, als ein in diesem Labyrinth durchaus bekannter Mann, und wies und erläuterte mir recht gefällig jeden interessanten Gegenstand, an dem wir vorübergingen. Während wir durch mir noch erinnerliche Hauptstraßen gingen, mußte ich lächeln, da ich immer wieder veranlaßt wurde, diesen gebildeten, vielbewanderten und geistvollen Mann, der sich so viele Mühe meinethalben gab, mit einem Menschen zu vergleichen, der mich vor zweiundzwanzig Jahren in diesen nämlichen Straßen umher führte.

Was in der Familie vorfiel, ist Ihnen bekannt genug, als daß Sie nicht mehr wüßten, daß ich damals in der Marine diente. Zu jener Zeit wurde es als ein empfehlender und daher einem jungen Anfänger im Seekriegsdienste förderlicher Umstand betrachtet, wenn dieser sein Geschick einigermaßen auf einigen Reisen als gemeiner Matrose vorher schon auf einem Kauffahrer erprobt hatte, ehe er auf dem Quarterdeck eines Kriegsschiffes sich blicken ließ. Das war auch meine Laufbahn, und so hatte ich denn vor meinem achtzehnten Jahre schon zweimal London als junger Matrose besucht und außerdem manche Reisen gemacht. Als ich zum erstenmal nach London kam, hatte ich kaum die höhere Schulanstalt verlassen, als ein Jüngling von etwa siebzehn Jahren. Ich war schon lange genug auf der See, um eine matrosenähnliche Haltung anzunehmen, und so konnte man mich kaum von meinen Schiffsgenossen aus dem Vorderkastell unterscheiden. Der alte Zollbediente, der an Bord unseres Schiffes gehen mußte, war früher Bedienter in einem vornehmen Hause gewesen, und war noch voll von den Streichen der Bedientenzimmer. Er suchte mich bald aus dem übrigen Schwarm heraus, und eine Woche lang ließ ich mich tüchtig erbauen durch seine Erzählungen aus zweiter Hand von den vornehmen Herrschaften und von den Wundern des West-End. Den ersten Sonntag nach unserer Ankunft im Dock machte er mir den Vorschlag, mich durch den Augenschein von der Wahrheit seiner Berichte zu überzeugen; und wir machten uns miteinander auf den Weg, er als mein Minerva-Mentor, ich als sein Telemach.

Wir gingen damals den größten Theil der Wege, die ich jetzt unter der bessern Leitung von Mr. – – aufs Neue betrat, und so war es für mich recht unterhaltend, überall den Unterschied im Geschmack und in der Erklärungsweise meiner beiden Ciceroni zu bemerken. Als wir uns dem Monument näherten, blieb der Exbediente stehen und fragte mich, ob ich jemals von dem großen Londoner Brand gehört habe? Daß mir diese Begebenheit nicht unbekannt war, stellte mich glücklicher Weise bedeutend höher in seiner Achtung. Mit den geziemenden Förmlichkeiten führte er mich nun zu der Stelle, wo das Feuer ausgekommen war und von da zum Monument. Mr. – – sagte blos in seiner ruhigen Weise, indem er einen Blick auf die Erinnerungssäule warf: »Dieß ist, was wir das Monument nennen«, und wandte sich dann um mir den neuen Eberkopf zu zeigen. – »Das ist das Haus unseres Lordmayor«, sagte Mr. Swinburne, so hieß der Zollbeamte, »und das ist die Kutsche eines seiner Sherif's.« – »Wren ist wegen dieses Gebäudes sehr gelobt und auch viel getadelt worden«, bemerkte Mr. – – vorübergehend, als wir durch dies massive Mauerwerk hindurch kamen. Der Exbediente führte mich durch eine enge Gasse in ein geschnörkeltes gothisches Gebäude, wo er mich in einer weiten Halle vor in Holz geschnitzten ungeheuern Gestalten hinpflanzte und mir laut lachend erklärte, dies sei Gog und Magog. Der Dichter dagegen sagte: »das ist ein geschnörkeltes, aber merkwürdiges Gebäude«, als wir an das Ende derselben Straße gekommen waren, »es ist Guildhall; Sie wissen ja wohl, daß hier die Guilds, die verschiedenen städtischen Corporationen hier ihre Zusammenkünfte halten.« – »Das ist Bow-Church und da sind die Glocken, welche Whittington läuten hörte, als er Lunnun (London) verließ«, bemerkte Mr. Swinburne im Orakelton. »Sie sind zu weit von uns geboren, um an diesem den Spießbürger merkwürdigen Ort Gefallen zu finden« sagte mein dichterischer Führer, als wir vorüberschlenderten. »Das da ist Saint Paul's!« rief Mr. Swinburne mit erhobener Stimme, als erwarte er, ich müsse niederfallen und anbeten. »Es war ein großes Werk, für einen einzelnen Baumeister, es völlig zu Ende zu bringen«, sagte der Dichter ganz einfach, »es hat manche edele Einzelheiten, und ich meine, es hat wenigstens das Verdienst der Einfachkeit.« Was das äußere Ansehen betrifft, konnte ich ihm wohl Recht geben, aber im Innern vermißt man die Einfachheit des Bauplans.

Auf diese Weise ging ich immer weiter mit meinem jetzigen Begleiter, unwillkürlich immer aufs neue zu Vergleichungen angeregt zwischen der ruhigen, anspruchslosen Weise desselben mit der überströmenden Wichtigkeit und der aufgeblähten Unwissenheit des Zollbeamten. Einer dieser Contraste war so drollig, das ich mich desselben noch deutlich erinnere, obschon es Nichts mit geschichtlichen Denkmälern zu thun hat. Mr. Swinburne drängte sich nämlich dicht an mich, als wir in die Gegend kamen, wo damals der Hof sich aufhielt, legte die Hand vor den Mund, indem wir an einem ruhig vor sich hinblickenden alten Manne vorbeikamen, und flüsterte mir auf eine ominöse Weise zu: »Ein Graf!« – »Sehen sie da den Mann an der andern Seite der Straße?« sagte der Dichter etwa fünfzig Schritte von der nämlichen Stelle, »es ist Lord – –; er hat die schönste Frau in England, weiter weiß man nichts von ihm.« – Doch den Mr. Swinburne habe ich damals recht böse gemacht, wie ich mich noch erinnere. »Haben Sie jemals von einem Manne gehört«, fragte er, »der John Horn Tooke heißt?« – »Gewiß!« sagte ich: »was ist mit dem?« – »Was? der ging eben an uns vorbei, – der Kerl, der halb und halb wie ein Geistlicher aussieht.« – Ich wandte mich auf der Stelle und suchte ihn einzuholen; denn in meinem jugendlichen Alter machte es mir außerordentliches Vergnügen, einen berühmten Mann zu sehen, und zwar einen Mann, wie Horn Tooke, von dem man mir gesagt hatte, er schreibe besser als Junius. Durch meine Jacke und weite Hosentracht begünstigt, konnte ich meine Eile beschleunigen und mehrmals um ihn her kreisen. Es war ein ernstblickender Mann, er schien aber nicht ungehalten zu werden über diesen augenscheinlichen Beweis von Bewunderung. Mr. Swinburne dagegen rügte meine Albernheit durch mehrere beißende Reden, doch es gelang mir, ihn zu besänftigen, indem ich seinen spießbürgerlichen Wunderdingen doppelte Aufmerksamkeit widmete.

Manche Scenen, die ich bei meinen ersten Besuchen in London erlebt hatte, traten an diesem Tage wieder so lebhaft vor meinen Geist, daß es mir vorkam, als sei ich in die frühe Jugendzeit und in die Tage der Kurzweil zurückversetzt. Wir hatten auf dem Schiffe einen riesenhaften Kerl, Namens Stephan Simpson, aus Kennebunk. Er war früher zur britischen Marine gepreßt worden, und als er zu uns kam, war er eben von einer englischen Fregatte, der Boadicea, oder Boadishy, wie er sie nannte, entlassen worden, und (wie es damals nicht anders sein konnte) haßte er England von Herzensgrund. Dieser Mann bezeugte späterhin Lust, mit mir nach dem West-End zu gehen, da er nun schon so viel Wunderbares, eben von jenem Mr. Swinburne, davon hätte rühmen hören. Wir gingen also mit einander durch Saint James Street, und es kostete mir außerordentliche Mühe, ihn so weit zu bringen, denn er hielt sich damit lange auf, über Alles was er sah, Betrachtungen anzustellen und weiter nachzuforschen, und war öfter nicht übel aufgelegt, durch Zuschlagen seine Ansichten zu bekräftigen; endlich blieb er plötzlich stehen. Da kam eben eine ältliche Dame durch das Gedränge gegangen, von einem Bedienten in Trauerlivree gefolgt. Der Mensch trug einen Rohrstock und einen dreieckigen Hut; Stephan beobachtete dies Paar eine Weile, dann rief er plötzlich: »ich möchte wohl wissen was dieser Pastor da, der immerfort der Alten Schritt für Schritt nachgeht, eigentlich haben will?« Ich erklärte ihm, dies sei eine vornehme Dame mit ihrem Bedienten; doch Stephan lachte mich aus, denn es sei, meinte er, ein Prediger und nichts Anders, das sehe er ganz deutlich an dem dreieckigen Hut, dem schwarzen Rock, den schwarzen Beinkleidern und an dem Rohrstock, und er lasse sich am allerwenigsten von mir Etwas weiß machen; er wisse doch wohl einen Prediger von einem Bedienten zu unterscheiden! Ich konnte es nicht hindern; er ging der Dame nach bis zu ihrer Wohnung, wo er denn sah, wie ich es ihm vorhergesagt hatte, daß sein vermeintlicher Pastor ehrerbietig den Hut abnahm, seiner Gebieterinn die Thüre öffnete, sie eintreten ließ und dann dienstwillig nachfolgte. Es währte mehrere Monate, ehe Stephan aufhören konnte, von diesem wunderbaren Auftritt zu erzählen. Doch genau genommen möchte ein ähnlicher Spaziergang durch Broadway bei unsern Landsleuten noch heute fast nicht weniger Aufsehen erregen, als bei diesem einfachen Seemann.

Zu jener Zeit war hier ein Standplatz für Sänften und deren Träger in der Saint James Street, nahe an der Stelle, wo seitdem Mr. Crockfords Klubbgebäude aufgeführt worden ist. Da kostete es mich außerordentliche Mühe ihn von dieser »Sandbank« abzubringen. Ich konnte es nicht hindern, daß er nicht wenigstens seinen Spaß über die zweibeinigen Rosse ausließ und verlangte, sie möchten ihn doch einen kleinen Spazierritt machen lassen.

Der Förster von Green-Park, gewöhnlich eine Person hohen Ranges, hat eine recht hübsche Wohnung mit dazu gehörigem Garten, der Eingang ist von Piccadilly. Als wir auf dem Wege nach Hyde-Park-Corner durch das Thor dieses Hauses gingen, sahen wir einen schwarzen Bedienten am Eingang stehen, da sein Herr vermutlich Gesellschaft erwartete. Der Neger hatte eine kostbare weiße Livree an, prächtig besetzt mit Silberborten, dazu rothe plüschene Hosen, weiße seidne Strümpfe und einen dreieckigen Hut auf dem schneeweiß gepuderten Kopf. Sie können sich vorstellen, welchen heftigen Eindruck eine solche Erscheinung auf meinen Kennebunkman machen mußte. Da an der Parkseite von Piccadilly sonst keine Häuser zu sehen sind, als dies Försterhaus, und vergleichungsweise nur wenig Leute dort vorübergehen, so befanden wir uns eine kleine Weile ganz allein bei dem schwarzen Thürsteher. Ich hatte genug zu thun, meinen Stephan abzuhalten, daß er nicht Hand anlegte und den armen Kerl kopfüberstürzte, um ihn näher zu untersuchen. Er ließ es sich wenigstens nicht nehmen um ihn herum zu gehen und seinen Bemerkungen über ihn freien Lauf zu lassen. Während der ganzen Zeit verhielt sich der Neger in lächerlicher Würde ganz ruhig, stand grade aufrecht wie ein salutirender Seesoldat, und blickte immerfort in die Straße hinein, ohne eine Miene zu verziehen. Unter andern fiel dem Stephan ein, das müsse wohl einer von Mr. Jefferson's »Nigger's« sein, der sich mit ein paar Strümpfen seines Herrn davon gemacht habe, und über diesen schlechten Witz freute er sich so überlaut, daß ich die gute Laune benutzen und ihn schnell weiter schleppen konnte. Als wir ein paar Stunden später denselben Weg zurück kamen, war glücklicherweise der Neger nicht mehr zu sehen.

Stephan hatte große Lust in den Green-Park zu gehen, ich zögerte aber, denn ich war schon einmal aus den Kensington-Gärten ausgewiesen worden, weil ich eine Jacke trug. Während wir noch darüber stritten, trat ein ehrenhafter Bürgersmann zu uns und sagte: »Geht ihr nur hinein, ihr Jungen; dies ist ein freies Land, und ihr habt ebensoviel Recht, da hinein zu gehen, als der König.« Diese Rede bewog uns hinein zu gehen. »Was haben diese Leute«, versetzte Stephan ganz trocken, »für sonderbare Begriffe von Freiheit. Die halten es am Ende für etwas Großes, in einem Stück Feld spazieren zu gehen können; und dort stellen sie einen Neger hin, der einem ins Gesicht starrt, mit dreieckigem Hut, rothen Hosen, seidnen Strümpfen und gepudertem Wollenhaar!« Ich machte auch meine Bemerkungen für mich allein; denn der erste klare Begriff des weiten Abstandes zwischen »politischer Freiheit« und politischen »Freiheiten« schreibt sich von diesem Augenblick her. So jung ich damals war, wußte ich genug von königlichen Appanagen und von den Gebräuchen, welche die königlichen Parks betreffen, um einzusehen, daß das Publikum wohl die Vergünstigung aber nicht das Recht hatte, frei hineingehen zu dürfen; wäre es aber auch anders gewesen, so wäre noch hinreichend viel zu bemerken gewesen über den wesentlichen Unterschied, der darin besteht, ob nach dem herrschenden Grundsatz ein Verein von Menschen gewisse Freiheiten blos verwilligt bekommt, oder ob die bestehende Macht selbst nur eine vorübergehend anvertraute Gewalt ist, welche unmittelbar und ausdrücklich von der Gesammtheit des Volks ausgeht.

 

Doch ich habe mich durch Erinnerungen aus meiner Jugendzeit ganz von dem gegenwärtigen Augenblick abziehen lassen.

 

Mr. – – zeigte mir die Bluecoat School, das neue General Post-Amt und mehre andere interessante Gegenstände, unter denen auch Newgate war. Die Bauart des letztern schien mir vorzüglich zweckmäßig und manche Sinnbilder hatten so viel poetische Wahrheit, daß ich nicht weiter darüber nachdachte, ob auch der legale Ruf dem Ganzen entsprach.

Wir verfolgten sodann unsern Weg den Ludgate Hill hinab, und dann wandte mein Begleiter sich kurz in die Thüre eines ansehnlichen Ladens hinein. Es war das Waarenlager der Herren Rundell und Bridge, der ersten Juwelen- und Goldgeschmeidehändler in der ganzen bekannten Welt. In England ist wahrscheinlich mehr Silberzeug als im ganzen übrigen Europa zusammengenommen; wenn man nach dem Aeußern urtheilt, so muß wenigstens ein Fremder dies voraussetzen; dagegen scheint der Reichthum an Edelgesteinen hier sogar geringer zu sein, als in manchen kleineren Ländern. Man sieht wenigstens weit geringern Aufwand an Juwelen in den hiesigen großen Gesellschaften; doch hat man mich versichert, daß die bei Hoffesten übliche Juwelenpracht bisweilen außerordentlich groß sei. Die öffentlichen Schmuckausstellungen sind indessen mit denen auf dem Festlande nicht zu vergleichen; und die streng einfachen, man möchte fast sagen, klassischen Anzüge der Engländer haben eine Wirkung, welche den Werth des Juwelenschmucks hier weit entbehrlicher macht.

Einst saß ich in einer Ballgesellschaft in Paris auf demselben Sopha, wo auch ein Fürst – –, einer der reichsten Männer des Festlandes, Platz genommen hatte. Sein einer Arm lag grade auf der Rücklehne, so daß seine Hand mir ganz nahe kam. Jeder Finger war mit Juwelen von hohem Werth geschmückt, an manchen Fingern steckten zwei oder drei Ringe, wie an den Fingern mancher Frauenzimmer. Ein wenig gute Seife würde seine Hand weit mehr verschönert haben, als aller dieser Prunk. Grade vor mir stand der Herzog von – –, einer der reichsten englischen Edelleute. Ich nahm die Gelegenheit wahr, nach ihm zu sehen, als er einen seiner Handschuhe abzog. Er trug nicht einmal einen Siegelring, deren man sich so häufig bedient, aber seine Hand war weiß wie Schnee.

Das Waarenlager der Herren Rundell und Bridge war groß; aber es machte eher einen soliden und reichen Eindruck als einen glänzenden und prunkenden, wie die schimmernden Pariser Läden. Mr. – – war ein Bekannter des Hauses, und daher empfing man uns mit Achtsamkeit und Höflichkeit. Einer der Häupter der Handlung führte uns treppauf in ein mehr abgesondertes Gemach, und hier bekamen wir mehre prächtige Waaren zu sehen, worunter sich ein Theil des königlichen Silberzeugs befand, welches hierher geschickt worden war, um neu aufpolirt zu werden. Mir fiel hierbei auf, daß an dem englischen Silberzeug dasselbe zu tadeln war, was man bei fast allen ihren künstlichen Arbeiten zu tadeln finden kann, das Plumpmassive. Eine englische Suppenschüssel ist größer als eine französische; ein englischer Stuhl, eine englische Schüssel, eine englische Kutsche, selbst ein englisches Scheermesser, alles ist größer, als man es sonstwo antrifft. Die Arbeit ist meist vorzüglich, aber die Formen sind weder klassisch, noch anmuthig zu nennen. Was das Silberzeug betrifft, so erweckt das Massive allerdings die Idee des Prächtigen; aber es ist bei allem dem nur eine schwerfällige und desto rohere Pracht, je mehr man Gelegenheit findet, sie mit derjenigen Pracht zu vergleichen, in welcher die Schönheit der Verhältnisse oder der geistige Antheil am Kunstwerk den Werth des bloßen Metalls überwiegt. In den Augen von Leuten von Geschmack kann ein elegantes Gefäß von Messing oft größern Werth haben, als eine plumpe Masse von Gold.

Sie können keine Vorstellung von dem Reichthum an Silberwaaren in den Londoner Läden haben. Goldne, silberne-vergoldete und silberne Gefäße, stehen hochaufgethürmt in ihren breiten Fenstern, vom Boden bis an die Decke hinan, als ob es ihnen an Nichts als an Raum gebräche, Alles unterzubringen. So habe ich einzelne Fenster gesehen, in welchen ich überzeugt war, den bloßen Metallwerth größer zu finden, als den Werth des sämmtlichen Vermögens unserer reichsten Silberschmiede. So bin ich gewiß, daß wir heute manchen Brilliantenschmuck gesehen haben, der einzeln für sich ein tüchtiges Kapital für einen amerikanischen Handelsmann ausgemacht haben würde.

Zwar habe ich im Allgemeinen gegen Sie behauptet, daß die englischen Silberwaaren im Ganzen nicht im besten Geschmack gearbeitet sind; da die Fortschritte der schönen Kunst in England noch immer zu sehr beschränkt sind, um auf die mehr mechanischen Kunstarbeiten des englischen Gewerbfleißes einen bedeutenden Einfluß zu äußern; doch darf ich nicht übergehen, daß es davon auch manche rühmliche Ausnahmen gibt. Flaxman, einer der genialsten Künstler unserer Zeit, – ein Mann, der vielleicht höher steht, als Benvenuto Cellini, wenn man mehr auf das Intellektuelle in diesem besonderen Kunstzweige sieht, – ward durch den Mangel an Geschmack im Publikum und durch seine Dürftigkeit in die Nothwendigkeit versetzt, seinen Unterhalt zum Theil durch Zeichnungen, die er für Silberarbeiter fertigte, zu verdienen. Sein Talent hatte er dazu durch seine frühen und ernsten Studien in Italien ausgebildet. Vielleicht glückten ihm auch seine Skizzen weit mehr, als seine vollständigeren Ausarbeitungen. Hätte England nur ein Dutzend solcher Männer besessen, die Tafeln der reichen Adlichen in England würden ebensowohl mit Geschmack und Schönheit, als mit bloßer Pracht geschmückt worden sein.

Unter dem königlichen Silberzeug befand sich unter andern ein Credenzteller, der eben fertig geworden war; er war sehr schön, wiewohl die darin ausgeführte Idee eher an das Mittelalterliche, Lehensherrliche und Ritterschaftliche, als an ächten dichterischen Schwung erinnerte; der Anblick desselben erregte einen ganz verschiedenen Eindruck von dem, den der Anblick der stählernen Maßstäbe, der Gewichte und anderer Geräthe hervorbringt, die man bei den Ausgrabungen bei Pompeji gefunden hat. Das Material war Gold, und die Zierrathen waren die Sterne und übrigen Insignien der Ritterorden, welche der jetzige König zu tragen berechtigt ist. Stern und Knieband des ersten englischen Ordens sah man in der Mitte des Tellers in großen Umrissen gezeichnet; während die übrigen längs dem Rand angeordnet waren, der breit genug war, sie sämmtlich aufzunehmen, jedoch in einem kleinern, aber doch schicklichen Maßstabe ausgeführt. Die Arbeit hatte einige Aehnlichkeit mit Linearkupferstich und war mit Geist und Treue ausgeführt; im Ganzen lag etwas Schneidermäßiges darin. Die Geschichte dieses Credenztellers war noch das Merkwürdigste. Die Könige des Morgenlandes haben die Gewohnheit, ihre persönliche Schreiben in Röhren oder Büchsen von Gold einzuschließen, welche den zinnern und kupfernen Kapseln gleichen, worin man Rollen aufzubewahren pflegt. Im Laufe eines Jahrhunderts hatte sich die Zahl dieser übersendeten Kapseln so angehäuft, daß Georg der Vierte, der in solchen Dingen ein größerer Fürst ist, als in andern wichtigeren Gegenständen, auf den Einfall kam, solche in dieses Stück Hausgeräth umarbeiten zu lassen.

Letzt hörte ich eine Anekdote von diesem Herrscher, welche zeigt, daß er am wenigsten von allen einen Widerspruch verträgt, und daß er darin so weit geht, daß selbst die englische Nation solches bisweilen entgelten muß. Der Herzog von Wellington war einer der Gäste an der königlichen Tafel, und das Gespräch kam zufällig auf die verschiedenen Armeen von Europa. »Ich meine, darin könne gar kein Zweifel bestehen,« bemerkte der König, »daß die britische Cavallerie die beste in ganz Europa sei; ist es nicht so, Arthur?« denn, wie man sagt, hat er die gezierte Eigenheit, den großen Krieger bei seinem Taufnamen zu nennen, vermutlich, um sich selbst dadurch zu schmeicheln. »Die französische Reiterei ist ganz vortrefflich, Sir,« antwortete der Mann, der eine ganz andere kriegerische Laufbahn durchgemacht hat, als die, welche gewöhnlich in geschichtlichen, romantischen oder zeitungsgemäßen Schilderungen vorkommt. – »Ich gebe zu, daß die französische Cavallerie recht gut ist, aber unsere ist besser.« –Die französische ist vorzüglich gut, Sir.« – »Das leugne ich ja nicht; aber ist unsere nicht besser?« – »Die französische ist vorzüglich gut, Sir.« –Nun so muß ich wohl mich unterwerfen, wenn Arthur nicht anders will.« – Sie werden sich erinnern, daß praktische Männer behauptet haben, daß die französische Cavallerie in neuerer Zeit die beste von Allen sei. Hätte ich diese Anekdote aus der zweiten Hand, etwa von einem dienstthuenden Lakaien, dann würde ich sie nicht erzählt haben.

Indem wir durch Fleetstreet kamen, führte mich Mr. – – in einen Hof, wo derselbe ein Geschäft bei einem Buchdrucker hatte. Hier, sagte er, befände ich mich im Boltcourt, dadurch berühmt, daß Johnson hier wohnte; das Gebäude schien jetzt ganz in eine Druckerei umgestaltet zu sein. Hier verließ ich meinen Begleiter und begab mich wieder nach Hause.


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