Joseph Conrad
Gaspar Ruiz
Joseph Conrad

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XI

»Nun war aber Carreras, unter der Maske eines liberalen Politikers, ein Schuft der schlimmsten Sorte, und der unglückliche Staat von Mendoza war eine Beute der Diebe, Räuber, Verräter und Mörder, die seine Partei bildeten. Äußerlich vornehm, hatte er weder Herz noch Mitgefühl, Ehre oder Gewissen. Tyrannische Herrschsucht war sein einziges Verlangen, und wenn er auch Gaspar Ruiz für seine nichtswürdigen Pläne hätte gebrauchen können, so kam er doch bald darauf, daß es für seine Zwecke dienlicher sei, der chilenischen Regierung entgegenzukommen. Ich schäme mich einzugestehen, daß er unserer Regierung den Vorschlag machte, unter gewissen Bedingungen das Weib und das Kind des Mannes, der seinem Wort vertraut hatte, auszuliefern. Und daß dieser Vorschlag angenommen wurde.

Auf ihrem Weg nach Mendoza über den Pequenapaß wurden sie von ihrer Eskorte, die aus Carreras-Leuten bestand, verraten und dem kommandierenden Offizier eines chilenischen Forts im Hochland, am Fuß der Hauptkette der Kordilleren, übergeben. Dies grausame Vorgehen hätte mir teuer zu stehen kommen können, denn ich war gerade als Gefangener in Gaspar Ruiz' Händen, als er die Nachricht erhielt. Ich war während einer Rekognoszierung gefangengenommen worden; die wenigen Soldaten, die ich bei mir gehabt hatte, waren unter den Speerwürfen der Indianer seiner Leibwache gefallen. Vor dem gleichen Schicksal bewahrte mich nur der Umstand, daß er mich noch rechtzeitig erkannte. Meine Freunde hielten mich zweifellos für tot, und ich selbst hätte für mein Leben nicht viel gegeben. Doch der starke Mann behandelte mich ausgezeichnet, weil ich, wie er sagte, stets an seine Unschuld geglaubt und ihm hatte helfen wollen, als er ein Opfer der Ungerechtigkeit war.

›Und nun‹, sagte er mir, ›sollen Sie sehen, daß ich immer die Wahrheit spreche. Sie sind in Sicherheit.‹

Ich hatte nicht das Gefühl, daß ich so ganz in Sicherheit sei, als ich eines Nachts zu ihm gerufen wurde. Er rannte wie ein wildes Tier auf und ab und schrie: ›Verraten! Verraten!‹

Dann kam er mit geballten Fäusten auf mich los. ›Ich könnte dir die Kehle durchschneiden.‹

›Wird dir das dein Weib wiederschaffen?‹ fragte ich ihn so ruhig wie möglich.

›Und das Kind!‹ brüllte er auf, wie verrückt. Er ließ sich in einen Sessel fallen und lachte, ein gräßlich wildes Lachen. ›O nein. Du bist sicher.‹

Ich versicherte ihm, daß auch das Leben seines Weibes nicht gefährdet sei; das eine aber, wovon ich fest überzeugt war, sagte ich ihm nicht. Daß er sie nie wiedersehen würde. Er wollte Krieg bis zum Tod. Und der Krieg konnte nur mit seinem Tod enden.

Er sandte mir einen sonderbaren, unerklärlichen Blick zu und murmelte mechanisch vor sich hin: ›In ihren Händen. In ihren Händen.‹ Ich verhielt mich still, wie eine Maus vor der Katze.

Plötzlich sprang er auf. ›Was tu' ich hier?‹ schrie er. Dann riß er die Tür auf und brüllte den Befehl zum Satteln und Aufsitzen hinaus. ›Was ist denn?‹ stammelte er und kam auf mich zu. ›Das Pequenafort; ein Palisadenfort. Nichts. Ich würde sie wiederkriegen und wäre sie ganz zuunterst in den Bergen versteckt.‹ Zu meiner Verblüffung fügte er, mit sichtlicher Überwindung, hinzu: ›Ich habe sie in meinen Armen fortgetragen, als die Erde bebte. Und das Kind wenigstens gehört mir; das wenigstens gehört mir!‹

Das waren sonderbare Worte; doch zum Nachdenken hatte ich keine Zeit.

›Sie kommen mit mir‹, sagte er heftig. ›Ich muß vielleicht unterhandeln, und jedem andern Boten von Ruiz, dem Geächteten, würde man den Hals durchschneiden.‹

Das war durchaus richtig. Zwischen ihm und dem Rest der empörten Menschheit konnte es nach ehrlichem Kriegsbrauch keine Verständigung mehr geben.

In weniger als einer halben Stunde waren wir im Sattel und rasten wild durch die Nacht. Er hatte nur eine Eskorte von zwanzig Mann bei sich, wollte jedoch keine Verstärkung abwarten, sondern sandte nur an Peneleo, den Indianerhäuptling, der gerade in den Vorbergen lagerte, die Botschaft, er solle mit seinen Kriegern ins Hochland kommen und bei dem ›Wasserauge‹ genannten See, an dessen Ufern das Pequenafort lag, zu ihm stoßen.

Wir kreuzten das Flachland mit der rastlosen Schnelligkeit, durch die Gaspar Ruiz' Ritte so berühmt waren und folgten den tieferen Tälern bis hinauf zu den steilen Wänden. Der Weg war nicht gefahrlos. An einer senkrechten Basaltwand mit scharfen Vorsprüngen zog sich die Straße hin wie ein schmales Gesims, bis wir endlich aus dem Düster einer tiefen Schlucht auf das Hochland von Pequena kamen.

Es war eine Ebene, mit hartem, grünem Gras und mageren, blühenden Büschen bestanden; doch hoch über uns lag Schnee in den Rissen und Spalten der mächtigen Felswände. Der kleine See war rund wie ein erstauntes Auge. Die Garnison des Forts war eben dabei, die kleine Viehherde einzutreiben, als wir auftauchten. Dann schlugen die großen Holztore zu, und die viereckige Umzäunung aus breiten altersschwarzen Bohlen starrte uns entgegen, schien nichts zu bergen als die strohgedeckten Hütten innerhalb, schien verlassen, leer, ohne eine menschliche Seele.

Doch als sie von einem Mann, der auf Gaspar Ruiz' Befehl furchtlos vorritt, aufgefordert wurden, sich zu ergeben, da antworteten die von drinnen mit einer Salve, die Pferd und Reiter zu Boden warf. Ich hörte, wie Gaspar Ruiz neben mir mit den Zähnen knirschte. ›Macht nichts‹, sagte er. ›Jetzt gehen Sie.‹

Wenn meine Uniform auch zerfetzt und fadenscheinig war, so wurden doch die Überbleibsel anerkannt, und man erlaubte mir, auf Sprechweite nahe zu kommen; und dann mußte ich warten, da durch eine Schießscharte laute Ausrufe freudiger Überraschung tönten und mich nicht zu Worte kommen ließen. Es war die Stimme des Majors Pajol, eines alten Freundes. Er hatte, wie meine anderen Kameraden, mich längst tot geglaubt.

›Gib deinem Gaul die Sporen, Mensch‹, brüllte er in höchster Aufregung, ›wir werden das Tor vor dir aufmachen.‹

Ich ließ die Zügel fallen und schüttelte den Kopf. ›Ich habe mein Wort gegeben‹, rief ich zurück.

›Dem dort‹, schrie er mit grenzenloser Verachtung.

›Er sichert euch das Leben zu.‹

›Unser Leben gehört uns. Und du, Santierra, willst uns raten, uns dem Rastrero zu ergeben?‹

›Nein‹, erwiderte ich. ›Aber er will sein Weib und Kind und kann euch vom Wasser abschneiden.‹

›Dann würden sie zuerst darunter leiden. Das kannst du ihm sagen. Schau her – das ist alles Unsinn; wir rennen hinaus und nehmen dich gefangen.‹

›Ihr sollt mich nicht lebend haben‹, sagte ich fest.

›Trottel!‹

›Um Gottes willen‹, fuhr ich hastig fort, ›macht das Tor nicht auf.‹ Dabei wies ich auf die Scharen von Peneleos Indianern, die sich an den Seeufern drängten.

Ich hatte nie so viele von diesen Wilden beisammen gesehen. Ihre Lanzen schienen zahlreich wie Grashalme. Und ihre rauhen Stimmen gaben ein wüstes, unbestimmtes Getöse, wie das Rauschen des Meeres.

Mein Freund Pajol fluchte vor sich hin. ›Gut also – geh zum Teufel!‹ brüllte er, außer sich. Als ich aber kehrtmachte, bereute er es offenbar, denn ich hörte ihn hastig sagen: ›Schießt dem Narren den Gaul nieder, bevor er sich fortmacht.‹

Er hatte gute Schützen. Zwei Schüsse krachten, und mitten in der Wendung strauchelte mein Pferd, stürzte und lag still, wie vom Blitz getroffen. Ich hatte die Füße aus den Bügeln heraus und rollte weit fort; doch machte ich keinen Versuch, mich zu erheben. Und die andern wieder wagten es nicht, vorzukommen und mich hineinzuholen.

Die Scharen der Indianer hatten sich gegen das Fort in Marsch gesetzt. Sie ritten in Haufen heran und ließen ihre langen ›chuzos‹ nachschleifen; dann saßen sie außer Schußweite ab, warfen ihre Pelzmäntel fort und gingen nackt zum Sturm vor, wobei sie im Takt mit den Füßen stampften und schrien. Dreimal brach eine Flammengarbe aus der Breitseite des Forts, ohne ihr stetes Vorrücken aufhalten zu können. Sie krochen gedrängt bis hart an die Palisaden und schwenkten ihre breiten Messer. Doch die Palisaden waren nicht in der üblichen Art mit Fellstreifen verbunden, sondern mit langen Eisenklammern, die sie nicht durchschneiden konnten. Und als sie sahen, daß ihre gewohnte Methode, sich Eingang zu erzwingen, fehlschlug, da brachen die Heiden, die so unbeirrt gegen das Gewehrfeuer angerückt waren, aus und flohen unter den Salven der Belagerten.

Sobald sie auf ihrem Vormarsch an mir vorbei waren, erhob ich mich und ging zu Gaspar Ruiz; er saß auf einem niederen Felsgrat, der die Ebene überragte. Das Feuer seiner eigenen Leute hatte den Sturm unterstützt, doch nun blies ein Trompeter, auf ein Zeichen von ihm, das Signal ›Feuer einstellen‹. Wir sahen schweigend die zügellose Flucht der Wilden mit an.

›Es muß also eine Belagerung werden‹, murmelte er. Und ich sah, wie er verstohlen die Hände rang.

Doch was für eine Belagerung konnte es werden? Ich brauchte ihm die Botschaft meines Freundes Pajol gar nicht auszurichten, da er es von selbst nicht wagte, dem Fort das Wasser abzuschneiden. Sie hatten Fleisch in Menge. Und hätte es ihnen daran gefehlt, so wäre er gewiß ängstlich bemüht gewesen, ihnen Lebensmittel zukommen zu lassen, wenn es in seiner Macht gestanden hätte. So aber waren wir es auf der Ebene, die unter dem Hunger zu leiden begannen.

Peneleo, der Indianerhäuptling, saß an unserem Feuer, in seinen weiten Mantel aus Guanacofellen gehüllt. Er war ein athletisch gebauter Mann, mit einem ungefügen Schädel, dessen riesiger Haarwulst an Form und Größe einem Bienenkorb glich, und mit mürrischen, scharfen Zügen. In seinem gebrochenen Spanisch wiederholte er immer wieder, knurrend, wie ein gereiztes Raubtier, daß seine Leute hineinstürmen und die Señora holen würden, wenn man eine auch noch so kleine Bresche in die Palisaden legen würde – sonst nicht.

Gaspar Ruiz saß ihm gegenüber und hielt den Blick unverwandt auf das Fort gerichtet, in grauenhafter, schweigender Unbeweglichkeit. Inzwischen erfuhren wir durch Läufer aus dem Tiefland, die fast täglich eintrafen, von der Niederlage eines seiner Leutnants im Maiputal. Ausgeschickte Späher brachten die Nachricht, daß eine Infanteriekolonne über entlegene Pässe zum Entsatz des Forts heranmarschiere. Sie kam langsam vorwärts, doch wir konnten ihr mühsames Vorrücken durch die tieferen Täler herauf verfolgen. Ich wunderte mich, daß Gaspar Ruiz nicht auszog, um diese bedrohliche Macht in irgendeiner dazu geeigneten Schlucht aus dem Hinterhalt zu überfallen und aufzureiben, wie es von einem genialen Guerillaführer zu erwarten gewesen wäre. Doch sein Genius schien ihn der Verzweiflung überlassen zu haben.

Ich sah bald ein, daß er sich vom Anblick des Forts nicht losreißen konnte. Ich versichere Ihnen, meine Herren, daß ich diesen machtlosen ›starken Mann‹ nicht ohne Mitleid ansehen konnte, wie er auf dem Felsen saß, gleichgültig gegen Sonne, Regen, Kälte, Wind, die Hände um die Beine gekrampft, das Kinn auf die Knie gestützt – und starr schaute – und schaute.

Und das Fort, auf das er die Augen gerichtet hielt, war still und regungslos wie er selbst. Die Besatzung gab kein Lebenszeichen. Sie erwiderte nicht einmal das wirkungslose Feuer, das auf die Schießscharten gerichtet wurde.

Eines Nachts, als ich hinter ihm vorbeiging, sprach er mich unerwartet an, ohne seine Stellung zu ändern. ›Ich habe um ein Geschütz geschickt‹, sagte er. ›Ich werde Zeit haben, sie zu befreien und abzuziehen, bevor euer Robles hier herauf geklettert ist.‹

Er hatte um ein Geschütz in die Ebene geschickt.

Es ließ lange auf sich warten, doch endlich kam es an. Es war ein siebenpfündiges Feldgeschütz. Es war abmontiert, über Kreuz an zwei lange Pfosten geschnürt und so zwischen zwei Maultieren gemächlich über die engen Wege heraufgebracht worden. Der wilde Triumphschrei, den er ausstieß, als er bei Tagesanbruch die Geschützmannschaft aus dem Tal auftauchen sah, tönt mir heute noch in den Ohren.

Doch, Señores, ich habe keine Worte, Ihnen seine Verblüffung, seine Wut, seinen verzweifelten Schmerz zu schildern, als er hörte, daß das mit der Lafette beladene Tragtier während des letzten Nachtmarsches aus irgendwelcher Ursache in einen Abgrund gestürzt war. Er tobte in Androhungen von Tod und Marter gegen die Eskorte. Ich ging ihm den ganzen Tag über aus dem Weg, lag hinter Büschen herum und wartete gespannt darauf, was er nun wohl tun werde. Es blieb ihm nur der Rückzug; doch er konnte nicht fort.

Unter mir sah ich seinen Artilleristen Jorge, einen alten spanischen Soldaten, wie er aus gehäuften Sätteln eine Art Unterlage baute. Auf diese wurde das geladene Geschütz gehoben, doch beim Abfeuern brach das ganze Zeug zusammen, und der Schuß ging hoch über die Palisaden.

Es wurde kein weiterer Versuch gemacht. Eines der Munitionstragtiere war ebenfalls verlorengegangen, und sie hatten nur sechs Schuß zu verfeuern; reichlich genug, das Tor niederzulegen, vorausgesetzt, daß das Geschütz gut gerichtet war. Dies aber war unmöglich, solange eine passende Unterlage fehlte. Man hatte weder die Zeit noch die Mittel, eine Lafette zu konstruieren. Ich erwartete jeden Augenblick das Echo von Robles' Signalhörnern aus den Felsen zu hören.

Peneleo wanderte bedrückt herum, in seine Felle gehüllt, setzte sich einen Augenblick zu mir und knurrte mir die alte Geschichte vor.

›Macht eine Entrada – ein Loch. Wenn ein Loch machen, bueno. Wenn kein Loch machen, dann vamos – wir fortgehen müssen!‹

Nach Sonnenuntergang bemerkte ich mit Überraschung, daß die Indianer Vorbereitungen trafen, als wollten sie nochmals stürmen. Sie standen in geordneten Reihen im Schatten der Berge. Auf der Ebene, gegenüber dem Tor des Forts, sah ich eine Gruppe von Leuten, die sich auf einem Fleck drängten.

Ich ging unbeachtet von dem Felsen herunter. In der dünnen Hochlandsluft schien der Mond taghell, doch die tiefen Schatten verwirrten den Blick, und ich konnte nicht erkennen, was sie vorhatten. Ich hörte die Stimme Jorges, des Artilleristen, der in eigentümlich zweifelndem Ton sagte: ›Es ist geladen, Señor.‹

Dann sprach eine andere Stimme in der Gruppe fest die Worte: ›Bringt die Riata her!‹ Es war die Stimme von Gaspar Ruiz.

Es entstand ein Schweigen, in das die Schüsse aus dem Fort scharf hineinkrachten. Auch von drinnen hatte man die Gruppe bemerkt. Doch die Entfernung war zu groß. Und während die Kugeln zischend den Boden aufwühlten, öffnete sich die Gruppe, schloß sich, schwankte, so daß ich in ihrer Mitte Augenblicke lang emsig beschäftigte Gestalten sehen konnte. Ich kroch näher, im Zweifel, ob es nicht ein teuflisches Blendwerk, ein lebhafter und sinnloser Traum sei.

Eine merkwürdig gepreßte Stimme kommandierte: ›Zieht die Knoten fester.‹

Si, Señor‹, antworteten mehrere andere Stimmen im Ton dienstfertiger Ergebenheit.

Dann sagte die gepreßte Stimme: ›So, ja. Ich muß atmen können!‹

Dann gab es ein heftiges Stimmengewirr. ›Helft ihm auf, hombres. Halt! Unter dem andern Arm.‹

Die dumpfe Stimme befahl: ›Bueno! Tretet weg von mir, Leute.‹

Ich bahnte mir einen Weg durch den umgebenden Kreis und hörte nochmals dieselbe erdrückte Stimme eindringlich sagen: ›Vergiß, daß ich ein lebender Mensch bin, Jorge. Vergiß mich ganz und denk nur daran, was du zu tun hast.‹

›Keine Angst, Señor. Ihr seid mir nichts als eine Lafette, und ich werde keinen Schuß vergeuden.‹

Ich hörte das Knattern einer Zündbüchse und roch den Salpeter der Lunte. Plötzlich sah ich vor mir eine unbestimmte Form, auf allen vieren, wie ein Tier, doch mit einem Menschenkopf; dieser beugte sich unter einem Rohr, das vom Genick aus überragte; auf dem Rücken glänzte eine runde Bronzemasse.

Inmitten eines schweigenden Halbkreises von Leuten hockte dieses Wesen allein da; dahinter standen reglos Jorge und ein Hornist, die Trompete in der Hand.

Jorge beugte sich nieder und murmelte, die Lunte in der Hand: ›Einen Zoll nach links, Señor. Zuviel. So. Jetzt, wenn Ihr Euch ein wenig auf die Ellbogen niederlassen wollt, dann will ich . . .

Er sprang beiseite, sengte die Lunte – und ein Feuerstrahl brach aus der Mündung des Geschützes, das auf des Mannes Rücken geschnallt war.

Dann ließ sich Gaspar Ruiz langsam zu Boden. ›Guter Schuß?‹ fragte er.

›Volltreffer, Señor!‹

›Dann lade noch einmal!‹

Da lag er vor mir auf der Brust, unter der ungeheuren Last dunkelschimmender Bronze, unter einer Last, wie sie in der kläglichen Geschichte der Welt noch keines Mannes Liebe und Stärke je zu tragen gehabt hatte. Seine Arme waren ausgebreitet, und er nahm sich auf dem mondhellen Grund wie ein reuig hingestreckter Büßer aus.

Wieder sah ich ihn auf Hände und Knie erhoben, die Leute traten weg von ihm, und der alte Jorge beugte sich und visierte über das Rohr.

›Links ein wenig. Rechts einen Zoll. Por Dios, Señor, hört mit dem Zittern auf. Wo ist Eure Stärke?‹

Die Stimme des alten Artilleristen war heiser vor Erregung. Er trat weg und brachte schnell wie der Blitz die Lunte ans Zündloch.

›Ausgezeichnet!‹ schrie er, mit Tränen in der Stimme; doch Gaspar Ruiz blieb lange Zeit flach hingestreckt und stumm liegen.

›Ich bin müde‹, murmelte er endlich. ›Wird's der nächste Schuß tun?‹

›Zweifellos‹, sagte Jorge hart an seinem Ohr.

›Dann – laden!‹ hörte ich ihn deutlich murmeln. ›Trompeter!‹

›Ich bin hier, Señor, und warte auf Euren Befehl.‹

›Auf diesen Befehl blas mir einen Ruf, den man von einem Ende von Chile zum andern hören soll‹, sagte er mit außerordentlich starker Stimme. ›Und ihr andern macht euch fertig, die verfluchte Riata durchzuschneiden. Denn dann wird es Zeit sein, daß ich euch beim Sturm anführe. Nun hebt mich auf, und du, Jorge – beeile dich mit dem Richten.‹

Das Knattern von Gewehrfeuer aus dem Fort übertönte fast seine Stimme. Die Palisade war in Rauch und Flammen gehüllt.

›Braucht Eure Kraft, um Euch gegen den Rückstoß zu stemmen, mi amo‹, sagte der alte Artillerist unsicher. ›Grabt die Finger in den Boden. So. Jetzt!‹

Ein Jubelschrei entfuhr ihm nach dem Schuß. Der Hornist hob die Trompete fast bis zu den Lippen und wartete. Doch kein Wort kam von dem hingestreckten Mann. Ich ließ mich auf ein Knie nieder und hörte alles, was er noch zu sagen hatte.

›Was gebrochen‹ flüsterte er, hob den Kopf ein wenig und wandte mir aus seiner hilflos verkrümmten Stellung die Augen zu.

›Das Tor hängt nur noch an Splittern‹, brüllte Jorge.

Gaspar Ruiz versuchte zu sprechen, doch die Stimme erstarb ihm in der Kehle, und ich half das Geschützrohr von seinem zerbrochenen Rücken wegrollen. Er schien gefühllos.

Ich hielt natürlich den Mund. Das Angriffssignal für die Indianer wurde nie gegeben. Statt dessen erdröhnte plötzlich der Hornruf der Ersatztruppen, nach dem ich mich so lang gesehnt hatte, für unsere überraschten Feinde furchtbar wie die Posaune des Jüngsten Gerichts.

Ein Tornado, Señores, ein wahrer Orkan stampfender Leute, wilder Pferde, berittener Indianer fegte über mich weg, während ich auf dem Boden kauerte, an der Seite von Gaspar Ruiz, der noch immer auf dem Gesicht in Kreuzesform ausgestreckt lag. Peneleo, der ums Leben galoppierte, stieß im Vorbeireiten mit seinem langen chuzo nach mir – aus alter Bekanntschaft, denke ich. Wie ich den schwirrenden Kugeln auswich, ist schwer zu erklären. Als ich es mir einfallen ließ, mich zu früh zu erheben, da hätten mich Soldaten vom 17. Taltalregiment, in ihrer blinden Wut, an irgend etwas Lebendes zu kommen, fast auf dem Fleck mit Bajonetten erstochen. Sie schienen arg enttäuscht, als einige Offiziere heransprengten und sie mit flacher Klinge zurücktrieben.

Es war General Robles mit seinem Stab. Er wünschte unbedingt einige Gefangene zu machen. Auch er schien einen Augenblick lang enttäuscht. ›Was! Sie sind das?‹ schrie er. Doch dann stieg er gleich ab, um mich zu umarmen, denn er war ein alter Freund meiner Familie.

Ich wies auf den Körper zu unseren Füßen und sagte nur die zwei Worte:

›Gaspar Ruiz!‹

Er warf vor Erstaunen die Arme hoch.

›Aha! Ihr starker Mann! Sie waren bis zuletzt bei Ihrem starken Mann. Das macht nichts. Er rettete uns das Leben, als die Erde bebte, genug, um dem Tapfersten die Besinnung zu rauben. Ich war toll vor Angst. Aber er – nein! Que guape! Wo ist der Held, der ihn untergekriegt hat? Ha! ha! ha! Was hat ihn umgebracht, chico‹?

›Seine eigene Stärke, General‹, antwortete ich.«

 


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