Joseph Conrad
Gaspar Ruiz
Joseph Conrad

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X

»Nach diesem Akt der Gerechtigkeit, wie er es nannte, überschritt Ruiz den Rio Blanco, von dem größeren Teile seiner Schar gefolgt, und verschanzte sich auf einem Hügel. Eine Kompanie regulärer Truppen, die blindlings gegen ihn ausgeschickt worden war, wurde umzingelt und fast bis zum letzten Mann vernichtet. Andere Expeditionen, obwohl besser geleitet, blieben in gleicher Weise erfolglos.

Es war zur Zeit dieser blutigen Scharmützel, daß sein Weib erstmals an seiner Seite zu Pferde erschien. Stolz und zuversichtlich gemacht durch seine Erfolge, stürmte Ruiz nicht länger an der Spitze seiner Partida vor, sondern blieb wie ein General, der die Bewegungen einer Armee leitet, im Rücken der Truppe auf irgendeinem Hügel, gut beritten und reglos, und sandte seine Befehle aus. Sie wurde zu wiederholten Malen an seiner Seite gesehen und wurde vielfach für einen Mann gehalten. Es gab damals viel Gerede über einen blaßgesichtigen Anführer, dem die Niederlagen unserer Truppen zugeschrieben wurden. Sie ritt wie eine Indianerfrau im Herrensattel und trug einen breitrandigen Männerhut und einen dunklen Poncho. Später, in den Tagen ihres höchsten Erfolges, war dieser Poncho mit Gold gestickt, und sie trug dann auch den Säbel des armen Don Antonio de Leyva. Dieser alte chilenische Offizier hatte das Unglück gehabt, mit seiner kleinen Schar umzingelt zu werden; dann war ihm die Munition ausgegangen, und er hatte von den Händen der Arauko-Indianer, der Verbündeten und Hilfstruppen von Gaspar Ruiz, den Tod gefunden. Das war die fatale Episode, die noch lange nachher unter dem Namen ›Das Massaker vom Eiland‹ in Erinnerung blieb. Das Schwert des unglücklichen Offiziers wurde ihr von Peneleo, dem Häuptling der Araukaner, geschenkt; denn auf diese Indianer wirkte ihr Anblick, die tödliche Blässe ihres Antlitzes, der scheinbar kein Wetter etwas anhaben konnte, und ihre ruhige Gleichgültigkeit im Feuer so mächtig, daß sie sie für ein übernatürliches Wesen oder doch wenigstens für eine Zauberin hielten. Durch diesen Aberglauben wurde der persönliche Einfluß und die Macht von Gaspar Ruiz über diese unwissenden Leute wesentlich erhöht. Sie muß ihre Rache voll ausgekostet haben an dem Tage, als sie den Säbel des Don Antonio de Leyva anlegte. Er war immer an ihrer Seite, außer wenn sie Frauenkleidung anzog – nicht, daß sie ihn je hätte gebrauchen können oder wollen; aber sie liebte es, ihn an ihrer Seite zu fühlen, als eine stete, symbolische Erinnerung an die schmähliche Niederlage der republikanischen Waffen. Sie war unersättlich. Und dann gibt es ja auf dem Pfade, auf den sie Gaspal Ruiz gebracht hatte, kein Einhalten. Entronnene Gefangene – und es gab nicht viele davon – erzählten oft, wie sie es mit wenigen geflüsterten Worten fertigbrachte, seinen Gesichtsausdruck zu verändern und seinen heißen Zorn wieder anzufachen. Sie erzählten, wie er nach jedem Scharmützel, nach jedem Handstreich, nach jedem erfolgreichen Streifzug nahe zu ihr ritt und ihr ins Gesicht sah, dessen hoheitsvolle Ruhe ewig gleich blieb. Ihre Umarmung, Señores, muß kalt gewesen sein wie die einer Statue. Er versuchte ihr eisiges Herz in einem Strom heißen Blutes zu schmelzen. Ein paar englischen Offizieren, die ihn zu jener Zeit besuchten, fiel seine eigenartige Verblendung auf.«

General Santierra schwieg einen Augenblick, als er sah, wie sich unter seinen Zuhörern Überraschung und Neugierde zeigten.

»Jawohl – englische Marineoffiziere«, wiederholte er. »Ruiz hatte eingewilligt, sie zu empfangen, um wegen der Freilassung einiger Gefangenen ihrer Nationalität zu verhandeln. In dem Gebiet, das er beherrschte, von der Meeresküste bis zu den Kordilleren, lag eine Bai, in der die Schiffe jener Zeit, nach der Fahrt um das Kap Horn, anzulegen pflegten, um Holz und Wasser einzunehmen. Da hatte er die Besatzung an Land gelockt und zunächst die Walfischfängerbrigg ›Hersalia‹ und später noch zwei weitere Schiffe überrumpelt und gekapert, ein englisches und ein amerikanisches.

Damals ging das Gerücht, daß er daran dachte, sich eine eigene Flotte zu schaffen. Doch das war natürlich unmöglich. Er bemannte jedoch die Brigg mit einem Teil ihrer eigenen Besatzung, schickte einen Offizier und eine beträchtliche Schar seiner eigenen Leute an Bord und sandte sie zu dem spanischen Gouverneur der Insel Chiloé mit einem Bericht über seine Taten und der Bitte um Beistand in dem Krieg gegen die Rebellen. Der Gouverneur konnte nicht viel für ihn tun: schickte ihm aber, als Antwort, zwei leichte Feldgeschütze, einen schmeichelhaften Brief mit der Ernennung zum Obersten der königlichen Truppen und eine spanische Flagge. Diese wurde mit großem Pomp an seinem Haus mitten im Araukoland gehißt. Damals mag sein Weib wohl ihrem Guassogemahl mit einer weniger hochmütigen Zurückhaltung zugelächelt haben.

Der rangälteste Offizier des englischen Geschwaders an unserer Küste machte unserer Regierung wegen dieser Kapereien Vorwürfe. Doch Gaspar Ruiz lehnte es ab, mit uns zu verhandeln. Dann fuhr eine englische Fregatte nach der Bai, und der Kapitän, der Doktor und zwei Schiffsleutnants reisten mit freiem Geleit ins Innere. Sie wurden gut aufgenommen und waren drei Tage lang die Gäste des Bandenführers. In seiner Residenz herrschte ein gewisser barbarisch kriegerischer Prunk. Die Einrichtung stammte aus den Plünderungen der Grenzstädte. Als sie zum ersten Male in die Sala geführt wurden, sahen sie sein Weib auf einem Ruhelager (sie befand sich damals nicht wohl), zu dessen Füßen Gaspar Ruiz saß. Sein Hut lag auf dem Boden, und seine Hände ruhten auf dem Säbelgriff.

Während dieser ersten Unterredung nahm er die Hände keinen Augenblick lang vom Säbelgriff; nur einmal ordnete er mit zärtlichen, behutsamen Bewegungen die Decken über ihr. Sie bemerkten, daß er, wenn er sprach, die Augen mit einer Art erwartungsvoller, atemloser Spannung auf sie richtete und augenscheinlich die Welt und sich selbst vergaß. Im Verlaufe des Banketts, dem sie auf ihr Lager zurückgelehnt beiwohnte, brach er in heftige Klagen über die Behandlung aus, die er erfahren hatte. Nach General San Martins Abreise war er von Spionen umgeben, von den Zivilbeamten verleumdet, seine Dienste waren nicht anerkannt und seine Freiheit und sogar sein Leben von der chilenischen Regierung bedroht worden. Er stand vom Tisch auf, donnerte Verwünschungen, während er wild den Raum durchmaß; dann setzte er sich auf das Lager zu Füßen seines Weibes, mit schwer arbeitender Brust, die Augen auf den Boden gerichtet. Sie lag auf dem Rücken, das Haupt auf den Kissen, die Augen fest geschlossen.

»Und jetzt bin ich ein geehrter spanischer Offizier«, fügte er mit ruhiger Stimme hinzu.

Da benutzte der Kapitän der englischen Fregatte eine Pause, um ihm freundlich mitzuteilen, daß Lima gefallen war und daß sich die Spanier, einem getroffenen Abkommen gemäß, aus dem ganzen Kontinent zurückzogen.

Gaspar Ruiz hob den Kopf und erklärte ohne Zögern mit verhaltener Erregung, daß er den Kampf gegen Chile bis zum letzten Blutstropfen durchhalten wolle, auch wenn nicht ein einziger spanischer Soldat in ganz Südamerika übrigbliebe. Als er diese verrückte Tirade beendet hatte, da hob sich die lange, weiße Hand seines Weibes, und sie streichelte für den Bruchteil einer Sekunde mit den Fingerspitzen sein Knie.

Für den Rest des Aufenthaltes der Offiziere, der sich auf nicht mehr als eine halbe Stunde nach dem Bankett erstreckte, war dieser blutdürstige Anführer einer verzweifelten Partida von einer überströmenden Liebenswürdigkeit und Güte. Er war vorher gastlich gewesen, doch nun schien es, als könne er nicht genug tun für die bequeme und sichere Rückreise seiner Besucher zu ihrem Schiff.

Es stand dies, wie man mir nachher erzählt hat, im verblüffendsten Gegensatz zu seiner Heftigkeit von kurz vorher und zu seiner sonstigen schweigsamen Zurückhaltung. Wie ein Mann, den ein unverhofftes Glück über alle Maßen beseligt, überbot er sich an liebenswürdiger Bereitwilligkeit und allerlei Aufmerksamkeiten. Er umarmte die Offiziere wie Brüder, fast mit Tränen in den Augen. Die freigelassenen Gefangenen wurden, jeder mit einem Goldstück beschenkt. Im letzten Augenblick erklärte er plötzlich, daß er es für seine Pflicht halte, den Kapitänen der Handelsschiffe ihr persönliches Eigentum zurückzugeben. Diese unerwartete Großmut hatte eine Verzögerung des Aufbruchs zur Folge, und die erste Etappe war sehr kurz.

Spätabends kam Gaspar Ruiz mit einer Eskorte bei ihren Lagerfeuern angeritten und führte ein Maultier mit, das mit Weinkisten beladen war. Er sei gekommen, erklärte er, mit seinen englischen Freunden, die er nie wiedersehen würde, einen Steigbügeltrunk zu teilen. Er schien weich und dabei fröhlich gestimmt. Er erzählte von seinen Abenteuern, lachte wie ein Junge, dann lieh er sich von dem ersten Maultiertreiber der Engländer eine Gitarre, setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf seinen feinen Poncho, den er vor dem verglimmenden Feuer ausgebreitet hatte, und sang mit weicher Stimme ein Guasso-Liebeslied, dann ließ er den Kopf auf die Brust, die Hände zu Boden sinken, die Gitarre glitt ihm von den Knien und ein drückendes Schweigen legte sich über das Lager nach dem Liebesgesang des wilden Bandenführers, der so viele Tränen über zerstörte Heimstätten oder vernichtetes Liebesglück verschuldet hatte.

Bevor irgend jemand ein Wort sagen konnte, sprang er auf und rief nach seinem Pferd.

›Adios, meine Freunde‹, sagte er, ›geht mit Gott – ich liebe euch – und sagt es denen in Santiago, daß zwischen Gaspar Ruiz, Oberst des Königs von Spanien, und den republikanischen Aaskrähen in Chile Krieg ist bis zum letzten Atemzug. Krieg! Krieg! Krieg!‹

Mit dem wilden Schrei ›Krieg! Krieg! Krieg!‹, den seine Eskorte aufnahm, ritten sie davon, und der Klang der Hufe und Stimmen verhallte zwischen den weiten Schluchten und Hügeln.

Die beiden jungen englischen Offiziere waren davon überzeugt, daß Ruiz verrückt sei. Wie nennen Sie das? – eine Schraube los – wie? Der Doktor aber, ein Schotte, der scharfsinnig beobachtete und gern philosophierte, sagte mir, es sei ein ganz merkwürdiger Fall von Besessenheit gewesen. Ich traf ihn viele Jahre später, doch er erinnerte sich noch sehr gut an den Vorfall. Er sagte mir auch, daß seiner Ansicht nach jenes Weib Gaspar Ruiz nicht durch offene Überredung zu seinem blutigen Verrat gebracht habe, sondern dadurch, daß sie in seinem einfachen Gemüt in feiner Weise die brennende Empfindung weckte und lebendig erhielt, es sei ihm ein nie wieder gutzumachendes Unrecht geschehen. Das mag schon so sein. Ich möchte sagen, daß sie die Hälfte ihrer rachedurstigen Seele in den starken Leib dieses Mannes gegossen hat, wie man Rausch, Irrsinn, Gift in eine leere Schale gießt.

Da er den Krieg wollte, so bekam er ihn allen Ernstes zu spüren, als unsere siegreiche Armee aus Peru zurückkehrte. Man begann gegen diesen Schandfleck auf der Ehre und dem Ruhm unserer hart erkämpften Unabhängigkeit planmäßig vorzugehen. General Robles führte das Kommando mit seiner wohlbekannten, rücksichtslosen Strenge. Auf beiden Seiten griff man zu grausamen Mitteln, und Pardon wurde nicht gegeben. Ich war in dem peruanischen Feldzug avanciert und war damals Kapitän des Stabes.

Gaspar Ruiz fand sich hart bedrängt; wir erfuhren von einem flüchtigen Priester, den man im Galopp aus seiner Dorfpfarrei achtzig Meilen weit in die Berge entführt hatte, damit er die Taufzeremonie vollziehe, daß ihm eine Tochter geboren sei. Vermutlich um das Ereignis zu feiern, vollbrachte Ruiz ein oder zwei glänzend durchgeführte Überfälle genau im Rücken unserer Truppen und vernichtete die Abteilungen, die wir ausgeschickt hatten, um ihm den Rückzug abzuschneiden. General Robles hatte vor Wut beinahe einen Schlaganfall. Er fand einen andern Grund, für die Schlaflosigkeit als die Moskitostiche; doch gegen diese, Señores, blieben ganze Humpen von reinem Brandy wirkungslos wie Wasser. Er begann mich wegen meines ›starken Mannes‹ zu hänseln und anzufahren. Und unsere Ungeduld, diesen unrühmlichen Krieg zu beenden, hatte, fürchte ich, zur Folge, daß wir jungen Offiziere alle waghalsig wurden und anfingen, uns blindlings in unnötige Gefahr zu stürzen.

Trotz all dem schlossen sich langsam, Zoll um Zoll, unsere Kolonnen rings um Gaspar Ruiz, obwohl er es fertiggebracht hatte, den ganzen Stamm der wilden Arauko-Indianer gegen uns aufzuwiegeln. Dann brachte, nach einem Jahr oder noch später, unsere Regierung durch ihre Agenten und Spione in Erfahrung, daß er im Begriff sei, mit Carreras, dem sogenannten Diktator der sogenannten Republik Mendoza, jenseits der Berge ein Bündnis einzugehen. Ob Gaspar Ruiz dabei eine tiefere politische Absicht hatte, oder ob er nur seinem Weib und Kind einen ungefährdeten Rückzug sichern wollte, während er selbst mit Überfällen und Metzeleien rücksichtslos seinen Krieg gegen uns fortführte – das kann ich nicht sagen. Das Bündnis war jedenfalls Tatsache. Da ihm ein Versuch, unser Vordringen von der See her aufzuhalten, mißlang, so zog er sich mit der gewohnten Schnelligkeit zurück, und bevor er zu einem neuen tollkühnen Schlag ausholte, schickte er seine Frau und das kleine Mädchen über das Pequenagebirge an die Küste von Mendoza.«

 


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