Joseph Conrad
Gaspar Ruiz
Joseph Conrad

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VI

»Ich kannte die Leute vom Sehen«, pflegte General Santierra seinen Gästen beim Abendtisch zu erzählen. »Ich meine die Leute, bei denen Gaspar Ruiz Aufnahme fand. Der Vater war ein alter Spanier, der ehemals begütert gewesen und durch die Revolution ruiniert worden war – seine Ländereien, sein Landhaus, sein Geld, alles, was er in der Welt sein Eigen nannte, war durch Proklamation konfisziert worden, denn er war ein bitterer Feind unserer Unabhängigkeit. Nachdem er einst eine einflußreiche und ehrenvolle Stellung im Rate des Vizekönigs eingenommen hatte, war er nun zu noch geringerer Bedeutung herabgesunken als seine eigenen Negersklaven, die durch unsere glorreiche Revolution frei geworden waren. Er hatte nicht einmal die Mittel, aus dem Lande zu fliehen, was andere Spanier getan hatten. Während er so, zugrunde gerichtet und heimatlos, herumwanderte, mit nichts als mit seinem Leben beladen, das ihm durch die Milde der provisorischen Regierung erhalten geblieben war, da mag er vielleicht unter dem morschen Dach der alten Hütte untergekrochen sein. Es war ein einsamer Ort. Nicht einmal ein Hund schien dazu zu gehören. Obwohl zwar das Dach Löcher hatte, als hätten ein oder zwei Kanonenkugeln durchgeschlagen, waren doch die Holzläden stark und die ganze Zeit über dicht geschlossen.

Mein Weg führte mich häufig an der elenden Ranch vorbei. Ich ritt fast jeden Abend vom Fort zur Stadt, um vor dem Haus einer Dame zu seufzen, die ich liebte – damals. Wenn man jung ist, Sie verstehen . . . Sie war eine gute Patriotin, das können Sie sich denken. Caballeros, glauben Sie mir oder nicht, die politischen Leidenschaften gingen so hoch in jenen Tagen, daß ich mir nicht vorstellen kann, wie mich die Reize einer Frau von royalistischer Gesinnung hätten anziehen können . . .«

Ein Murmeln heiterer Ungläubigkeit rings um den Tisch unterbrach den General. Er streichelte unterdessen ernst seinen weißen Bart.

»Señores«, fuhr er fort, »ein Royalist war ein Untier für unsere überspannten Gefühle. Das sage ich Ihnen, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, als hätte ich auch nur die leiseste Zärtlichkeit für die Tochter jenes Royalisten empfunden. Überdies war ja auch, wie Sie wissen, mein Herz anderweitig vergeben. Ich konnte nur nicht umhin, sie zeitweilig zu bemerken, wenn sie bei offener Haustür in der Vorhalle stand.

Sie müssen wissen, daß dieser alte Royalist so verrückt war, wie ein Mann es nur sein kann. Sein politisches Mißgeschick, sein völliger Niedergang und Ruin hatten seinen Geist verwirrt. Um seine Verachtung für alles zu beweisen, was wir Patrioten tun konnten, lachte er prahlerisch zu seiner Gefangennahme, zu der Einziehung seiner Güter, der Einäscherung seiner Häuser und zu dem Elend, zu dem er und die beiden Frauen verdammt waren. Diese Gewohnheit, zu lachen, hatte sich in ihm so festgesetzt, daß er laut zu lachen und zu schreien begann, sooft er einen Fremden zu Gesicht bekam. So äußerte sich seine Verrücktheit.

Ich natürlich verachtete das Lärmen dieses Irren aus dem Gefühl von Überlegenheit heraus, das der Erfolg unserer Sache uns Amerikanern einflößte. Ich glaube, ich verachtete ihn wirklich, weil er ein alter Kastilier war, ein geborener Spanier und ein Royalist. Das waren ja gewiß keine Gründe, auf einen Mann herabzusehen; doch jahrhundertelang hatten geborene Spanier uns Amerikanern ihre Verachtung gezeigt, obgleich wir von ebenso guter Abstammung waren wie sie – nur weil wir Kolonisten waren, wie sie es nannten. Wir waren gedemütigt worden und hatten unsere soziale Minderwertigkeit zu fühlen bekommen. Nun war die Reihe an uns. Es war ganz in Ordnung, wenn wir Patrioten nun dieselben Anschauungen betätigten; und da ich ein junger Patriot war und der Sohn eines Patrioten, so verachtete ich den alten Spanier, und da ich ihn verachtete, so überhörte ich natürlich seine Schmähreden, obwohl sie mir zuwider waren. Andere wären vielleicht nicht so nachsichtig gewesen. Er pflegte mit einem lauten Aufschrei zu beginnen. ›Ich sehe einen Patrioten. Wieder einer!‹ Lange bevor ich an das Haus kam. Der Ton seiner sinnlosen Schimpfereien, in die sich Lachausbrüche mischten, war bald durchdringend schrill, bald tiefernst. Das Ganze war völlig verrückt. Doch ich hielt es für unvereinbar mit meiner Würde, mein Pferd anzuhalten oder auch nur nach dem Hause hinzusehen, gerade als kümmerte mich das Geschrei des Mannes im Hausflur weniger als das Bellen eines Köters. Ich ritt immer mit dem Ausdruck hochmütiger Gleichgültigkeit vorbei.

Das war zweifellos äußerst würdig; ich hätte aber besser daran getan, die Augen offenzuhalten. Ein Soldat sollte sich im Kriege niemals dienstfrei fühlen, und besonders nicht in einem Revolutionskrieg, wenn der Feind nicht vor der Tür, sondern im eigenen Hause ist. Zu solchen Zeiten arten die leidenschaftlichen Überzeugungen bis zum blinden Haß aus und nehmen vielen Männern die Begriffe von Ehre und Menschlichkeit und manchen Frauen alle Furcht und Scheu. Diese letzteren werden, wenn sie erst einmal die Schüchternheit und Zurückhaltung ihres Geschlechtes von sich geworfen haben, durch die Lebhaftigkeit ihres Geistes und die Wut ihrer unerbittlichen Rachgier gefährlicher als bewaffnete Riesen.«

Die Stimme des Generals klang lauter, doch seine große Hand streichelte den weißen Bart zweimal mit dem Anschein würdiger Ruhe. »Si, Señores! Frauen sind ebensowohl imstande, die Höhen von Ergebung zu erklimmen, die uns Männern unerreichbar sind, wie auch in die tiefsten Tiefen einer Erniedrigung hinabzusteigen, die unsern männlichen Vorurteilen unverständlich ist. Ich spreche von Ausnahmen unter den Frauen, Sie verstehen . . .«

Hier warf einer der Gäste ein, daß er noch nie eine Frau getroffen habe, die nicht imstande gewesen wäre, sich ganz unerhört zu entfalten, sobald nur ihre Gefühle durch irgendwelche Umstände stark geweckt waren. »Diese Art von überlegener Rücksichtslosigkeit, die sie vor uns voraus haben«, schloß er, »macht sie zur reizvolleren Hälfte der Menschheit.«

Der General, der die Unterbrechung ernst hinnahm, nickte höfliche Zustimmung. »Si! Si! Unter Umständen . . . gewiß. Sie können auf ganz unerwartete Weise unerhörtes Unheil anrichten, denn wer hätte sich einfallen lassen, daß ein junges Mädchen, die Tochter eines ruinierten Royalisten, der sein Leben nur der Verachtung seiner Feinde dankte, daß dieses Mädchen also die Macht haben sollte, Tod und Verwüstung über zwei blühende Provinzen zu bringen und den Führern der Revolution noch im Augenblick des Erfolges ernstliche Sorge zu bereiten!« Er machte eine Pause, um das Wunderbare ganz auf uns wirken zu lassen.

»Tod und Verwüstung«, murmelte jemand überrascht. »Ganz unfaßbar.«

Der alte General warf einen raschen Blick in die Richtung, aus der das Murmeln kam, und fuhr fort: »Ja, das heißt Krieg – Unglück. Doch die Mittel, durch die sie sich die Möglichkeit verschaffte, dieses Gemetzel an der Südgrenze anzurichten, scheinen mir, der ich sie gekannt und gesprochen habe, noch viel unfaßbarer. Diese eine Erfahrung hat einen schrecklichen Eindruck in mir hinterlassen, den mein späteres Leben, über fünfzig Jahre, nicht verwischen konnte«.

Er blickte umher, als wollte er sich unserer Aufmerksamkeit versichern, änderte den Ton und erzählte weiter: »Ich bin, wie Sie wissen, ein Republikaner, der Sohn eines Befreiers«, erklärte er. »Meine unvergleichliche Mutter – Gott laß sie in Frieden ruhen – war Französin, die Tochter eines glühenden Republikaners. Als Knabe schon habe ich für die Freiheit gekämpft; ich habe immer an die Gleichheit der Menschen geglaubt; und daß sie alle Brüder sind, das scheint mir noch viel sicherer. Sehen Sie sich die wilde Feindseligkeit an, die sie in ihren Zwistigkeiten entfalten; und was in der Welt ist so unerbittlich feindselig wie ein Bruderzwist?«

Der vollkommene Mangel an Zynismus schaltete jeden Gedanken daran aus, diese Ansichten über die Verbrüderung der Menschheit zu belächeln. Im Gegenteil, in dem Ton klang die natürliche Melancholie eines im Grunde mildherzigen Mannes mit, der aus Beruf, Überzeugung und Notwendigkeit an Szenen voll blutiger Grausamkeit teilgenommen hatte.

Der General hatte viel mörderischen Bruderstreit gesehen. »Gewiß, kein Zweifel, daß sie Brüder sind«, beharrte er. »Alle Männer sind Brüder und wissen daher viel zuviel voneinander, aber –« und dabei begannen in dem alten silberweißen Patriotenkopf die schwarzen Augen lustig zu zwinkern, »wenn wir alle Brüder sind, so sind nicht alle Frauen unsere Schwestern.«

Man hörte einen der jüngeren Gäste halblaut seine Befriedigung hierüber ausdrücken. Doch der General fuhr mit neuem Ernst fort: »Sie sind so verschieden! Das Märchen von dem König, der ein Bettelmädchen erwählte, um den Thron mit ihr zu teilen, mag ganz hübsch sein, soweit es die Anschauungen von uns Männern über uns selbst und die Liebe betrifft. Doch daß ein junges Mädchen, berühmt wegen ihrer königlichen Schönheit und noch kurz zuvor die unbestrittene, bewunderte Herrin auf allen Bällen im Palast des Vizekönigs, daß die einem Guasso, einem ganz gemeinen Bauern, ihre Hand geben sollte, das ist mit unsern Begriffen von Frauen und ihrer Liebe unvereinbar. Doch muß man sagen, daß es in ihrem Falle der Wahnsinn des Hasses, nicht der Liebe war.«

Nachdem er diese Entschuldigung in ritterlichem Gerechtigkeitssinn vorgebracht hatte, schwieg der General eine Zeitlang. »Ich ritt fast täglich an dem Haus vorbei«, hob er wieder an, »und dies ging darinnen vor. Wie es aber geschah, das wird wohl kein Männerverstand erfassen können. Ihre Verzweiflung muß grenzenlos gewesen sein, und Gaspar Ruiz war ein gelehriger Bursche. Er war ein gehorsamer Soldat gewesen. Seine Körperkraft war wie ein ungeheurer Stein, der auf dem Boden liegt und auf die Hand wartet, die ihn da- oder dorthin schleudern soll.

Es ist klar, daß er den Leuten, die ihm das so nötige Obdach gaben, seine Geschichte erzählt haben muß; und er brauchte dringend Beistand. Seine Wunde war nicht gefährlich, doch sein Leben war verwirkt. Da der alte Royalist ganz in seinem lachenden Irrsinn befangen war, so richteten die beiden Frauen dem Verwundeten in einem der Schuppen unter den Obstbäumen hinter dem Haus ein Versteck her. Dieser Unterschlupf, reichlich frisches Wasser, während er im Fieber lag, und ein paar mitleidige Worte waren alles, was sie zu geben hatten. Ich vermute, er bekam auch seinen Anteil an der Nahrung. Soviel davon da war. Es kann nur wenig gewesen sein. Eine Handvoll geröstetes Korn, vielleicht ein Bohnengericht oder ein Stück Brot mit ein paar Feigen. Zu solcher Armut waren diese stolzen und ehemals reichen Leute herabgesunken.«

 


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