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Sechsundfünfzigstes Kapitel

Es galt jetzt nur noch eine Person aus dem Hause Lord Harrys zu entfernen: das war die Köchin. Unter der Bedingung, daß sie sofort weggehe – als Grund wurde größere Einschränkung angegeben – empfing sie von ihrem Herrn noch einen Monatslohn mehr, als ihr eigentlich zukam, und ein Zeugnis, das ihren vielen guten Eigenschaften mehr als gerecht wurde. Die Arme verließ ihre Stelle mit den innigsten Segenswünschen aus dankbarem Herzen.

Der kranke Däne stellte Fanny Meres Standhaftigkeit auf eine harte Probe. Dieser Landsmann Hamlets, wie er sich selbst mit Vorliebe nannte, war ein lebender Protest gegen die eingewurzelten Gefühle der Verachtung und des Hasses, mit denen seine Pflegerin gewohnt war, jeden Mann zu betrachten. Wenn die Schmerzen ihn zeitweise verließen, dann zeigte Mr. Oxbye ganz die glänzenden blauen Augen und das gewinnende Lächeln, welches so sehr an Lord Harry erinnerte. Sein bartloses Gesicht, das in den unteren Partien sehr schmal war, vervollständigte die Aehnlichkeit nur bis zu einem gewissen Grade, denn der kühne Ausdruck, den Lord Harrys Züge nicht selten anzunehmen pflegten, erschien bei Mr. Oxbye niemals. Fanny pflegte ihn sorgfältig und kam auf das gewissenhafteste ihren Pflichten nach; sie befand sich in dem Bannkreis eines Mannes, der in den schmerzlosen Zwischenpausen seiner Krankheit kleine Gedichte zu ihrem Preise verfaßte, der sie bat, ihm einige Blumen aus dem Garten zu holen, und dann aus ihnen zierlich zusammengestellte Bouquets band, die er ihr dann schenkte; der weinte, wenn sie ihm sagte, er sei ein Narr, und der ihr dann doch kaum fünf Minuten später die Hände küßte, wenn sie ihm die Medizin reichte, obgleich sie ihm nichts Süßes dazu gab, das im stande gewesen wäre, den bittern Geschmack in seinem Munde zu vertreiben. Dieser liebenswürdige Patient liebte Lord Harry, liebte Mr. Vimpany und liebte Fanny, so wenig dieselbe davon wissen wollte. Nachdem sie es hartnäckig verweigert hatte, ihm die Geschichte ihres Lebens zu erzählen, obgleich er ihr selbst mit gutem Beispiel vorangegangen war, verlegte er sich darauf, sich selbst eine Geschichte ihres Lebens zu bilden, und kam zu dem Schluß, daß dieses interessante Mädchen das Opfer eines schweren Herzenskummers sein müßte. »Sie sehen entsetzlich bleich aus,« sagte er. »Sie werden bald sterben; bei mir wird dann ein Blutgefäß springen, und ich werde Ihnen bald nachfolgen. Dann werden wir neben einander über den Wolken weilen und immerfort zusammen singen unter der Begleitung himmlischer Harfen. O, was für ein Hochgenuß wird das sein!« Wie ein Kind schrie er laut, wenn er Schmerzen hatte, und wie ein Kind lachte er, sobald sie wieder vorüber waren. Sagte sie ärgerlich zu ihm: »Wenn ich gewußt hätte, was für ein Mensch Sie sind, so würde ich es niemals übernommen haben, Sie zu pflegen,« dann antwortete er ihr nur: »Meine Liebe, lassen Sie uns gemeinsam Gott danken, daß Sie es nicht gewußt.« Er konnte niemals in Zorn gebracht werden, und was noch schlimmer war, an besseren Tagen, wenn er sich wohler befand, war es nicht möglich, ihn zu überzeugen, daß er nicht lange genug leben würde, um seine Pflegerin zu heiraten. Oft genug hatte er ihr diesen Antrag gestellt. Was war mit einem solchen Mann anzufangen? – Fanny suchte sich einzureden, ihr schwacher Patient sei ihr höchst gleichgültig. Dabei aber bereitete sie die Mahlzeiten für ihn eigenhändig zu, während die anderen Bewohner der Villa, da die Köchin ja nicht mehr da war, sich mit der wenig verlockenden Kost eines benachbarten Gasthofes zufrieden geben mußten.

Dabei lag Fanny immer sorgsam auf der Lauer, ob es ihr nicht einmal gelinge, Vimpanys Absichten zu durchschauen. Vorderhand aber bemerkte sie nur mit immer wachsendem Interesse die Aufmerksamkeit, mit welcher der harmlose Däne von Mylord und dem Doktor beobachtet wurde. Auch bemerkte sie sehr wohl, daß Lord Harry sich in beständiger Aufregung befand. Bald wanderte er aus einem Zimmer in das andere oder durchstreifte, beharrlich rauchend, den Garten nach allen Richtungen hin; bald ritt er aus oder fuhr mit der Bahn nach Paris und blieb dann den ganzen Tag weg. Verhielt er sich einmal ausnahmsweise ruhig, so hatte er gewiß seine Zuflucht in das Zimmer seiner Gattin genommen. Fanny beobachtete ihn dann des öfteren durch das Schlüsselloch und sah ihn auf dem Stuhl seiner Frau sitzen. Es schien einleuchtend, daß er sich lebhaft nach Lady Harry sehnte; aber was hatte seine Besorgnis um Mr. Oxbye zu bedeuten? Aus welchem Grunde ging er so viel als möglich – ohne den Versuch zu machen, es zu verbergen – Mr. Vimpany aus dem Wege, und wie kam es, daß dieser sein elender Freund, obgleich er so unliebenswürdig behandelt wurde, niemals darüber gekränkt, sondern eher belustigt erschien.

Was das Benehmen des Doktors gegenüber seinem Patienten anbetraf, so war es nach der Ansicht Fannys keineswegs eines Arztes würdig.

Er schien kein Interesse für den Mann zu fühlen, der auf seinen eigenen Wunsch zu ihm aus dem Hospital geschickt worden war und den zu heilen, wie er vorgegeben, sein höchster Ehrgeiz war. Wenn Mr. Oxbye von seinen Schmerzen sprach, so gab sich Mr. Vimpany kaum den Anschein, als ob er zuhörte; mit finsterem Gesicht wendete er das Stethoskop an, fühlte den Puls und besah sich die Zunge und zog seine Schlüsse in ärgerlichem Stillschweigen; wenn die Pflegerin einen günstigen Bericht abzustatten hatte, kehrte er ihr brutal den Rücken, wenn aber entmutigende Folgen der Behandlung während der Nacht sich zeigten und Fanny es für ihre Pflicht hielt, dieselben zu melden, dann lächelte er höhnisch, als ob er zweifelte, daß sie die Wahrheit spreche. Mr. Oxbyes unerschöpfliche Geduld und Liebenswürdigkeit fand endlose Entschuldigungen für seinen ärztlichen Berater. »Es ist mein Unglück, daß ich meinen hochverehrten Doktor in einem Zustand von immerwährendem Aerger halte,« pflegte er zu sagen, »und wir alle wissen, was es für eine Geduldsprobe ist, in unaufhörlicher Ungewißheit zu schweben. Ich habe zu Mr. Vimpany das beste Vertrauen.«

Fanny hütete sich wohlweislich, ihre eigene Meinung zu verraten. Die Bedenken, die sie gegen den Doktor hegte, beunruhigten sie mehr und mehr. Sobald sich nur irgend welche Gelegenheit bot, beobachtete sie ihn auf das sorgfältigste. Eine Lieblingsbeschäftigung seiner Mußestunden bestand in Versuchen mit dem photographischen Apparat. Er machte zuerst kleine Aufnahmen von den Zimmern der Villa; dann folgten Bilder aus dem Garten. Nachdem er damit fertig geworden, setzte er die Pflegerin erst recht in Verwunderung dadurch, daß er ein Bild von dem Dänen verfertigte, während dieser eines Tages schlafend dalag, nachdem sich in der letzten Zeit eine kleine Besserung in seinem Befinden gezeigt hatte. Fanny bat um die Erlaubnis, das Bild sehen zu dürfen. Der Doktor aber betrachtete es zuerst selbst, zerriß es dann und ließ die Stücke in alle Winde fliegen. »Ich bin nicht damit zufrieden,« erklärte er kurz. Neben ihm stand zufällig ein Gartenstuhl; er setzte sich darauf nieder und sah aus wie ein Mann, der von seinen eigenen Gedanken gequält wird.

Hätte sich die Wirkung der Medikamente, die Vimpany dem Kranken verabreichte, als eine bedenkliche erwiesen, dann würde Fannys Argwohn ein ernster geworden sein; aber die Veränderung, die mit Oxbye vorging, seitdem er in reinerer Luft schlief und bessere Nahrung erhielt, als sie ihm im Spital gegeben werden konnte, zeigte eine entschiedene Zunahme seiner Kräfte. Seine hohlen Wangen füllten sich wieder. Auf der Blässe der Haut begann sich etwas Farbe zu zeigen. So sonderbar nun auch das Benehmen Lord Harrys und Mr. Vimpanys sein mochte, es bot sich insoweit keine Möglichkeit dar, dasselbe in Verbindung zu bringen mit der Lage, in der sich der dänische Gast befand. Niemand, der sein Gesicht gesehen hatte damals, als er in die Villa gebracht worden war, konnte es nach dem Verlauf von vierzehn Tagen wieder betrachten, ohne Hoffnung auf seine Wiedergenesung zu schöpfen.


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