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Einundfünfzigstes Kapitel

Am Abend desselben Tages fand Fanny Mere, als sie mit dem Kaffee das Speisezimmer betrat, Lord Harry und Mr. Vimpany allein und entdeckte sofort, als sie die Thür öffnete, daß sie die Sprache, in der sie sich bis jetzt unterhalten hatten, plötzlich wechselten; sie redeten auf einmal französisch mit einander. Fanny verlängerte daher ihren Aufenthalt in dem Zimmer, anscheinend, um die verschiedenen Gegenstände auf dem Buffet in Ordnung zu bringen. Ihr Herr sprach gerade während dieser Zeit; er fragte, ob der Doktor so glücklich gewesen sei, ein Schlafzimmer in der Nachbarschaft für sich zu finden. Mr. Vimpany antwortete darauf, daß es ihm gelungen sei; er habe ferner auch sich mit noch etwas anderem versehen, was er notwendig in Bereitschaft halten müsse, »das heißt,« fuhr er in seinem schlechten Französisch fort, »ich habe einen photographischen Apparat gemietet. Wir sind jetzt genügend vorbereitet, um unseren interessanten dänischen Gast empfangen zu können.«

»Und wenn nun der Mann kommt, was soll ich dann meiner Frau sagen? Woher soll ich eine Entschuldigung nehmen, wenn sie hört, daß ein Kranker aus dem Hospital Ihr Schlafzimmer mit meiner Einwilligung in Besitz genommen hat und daß Sie ihn behandeln wollen?«

Der Doktor schlürfte ruhig seinen Kaffee.

»Wir haben den Berühmtheiten eine Geschichte erzählt, und sie haben sich damit zufrieden gegeben,« antwortete er kalt. »Wiederholen Sie dieselbe Geschichte Ihrer Frau.«

»Sie wird sie nicht glauben,« entgegnete Lord Harry.

Mr. Vimpany wartete, bis er sich eine neue Cigarre angebrannt und sich zu seiner Befriedigung überzeugt hatte, daß sie es wert war, geraucht zu werden.

»Sie haben sich selbst dieses Hindernis zu verdanken,« sagte er dann. »Wenn Sie meinem Rat gefolgt wären, würde Ihre Frau jetzt nicht im Wege stehen. Ich sehe schon, ich muß die Sache auf mich nehmen. Wenn es Ihnen mißlingt, dann überlassen Sie Mylady nur mir. Wir brauchen aber eine Pflegerin für unsern armen, lieben Kranken; wo sollen wir eine finden?«

Dieser Schwierigkeit Ausdruck gebend, trank er seinen Kaffee aus und sah sich nach der Cognacflasche um, die sonst immer auf dem Tische stand. Dabei bemerkte er zufällig Fanny. Ueberzeugt, daß ihrer Herrin Gefahr drohte nach dem, was sie soeben gehört hatte, war sie von Furcht und Verwirrung so eingenommen, daß sie vergaß, ihre Rolle zu spielen. Anstatt sich wie bisher an dem Büffet zu schaffen zu machen, kehrte sie demselben den Rücken und hörte offenbar zu. Der schlaue Mr. Vimpany gab, nachdem er sich in den Besitz des Cognacs gesetzt hatte, einen einfachen Wunsch zu erkennen, um sie für einen Augenblick zu entfernen.

»Etwas frisches Wasser, wenn ich bitten darf!« war alles, was er sagte. Sobald Fanny das Zimmer verlassen, wandte er sich in englischer Sprache an seinen Freund, während er die Thür im Auge behielt:

»Eine recht angenehme Neuigkeit für Sie, mein Freund – wir sind in eine hübsche Falle geraten – Lady Harrys Kammermädchen versteht französisch.«

»Ganz unmöglich!« erklärte Lord Harry.

»Wir wollen sie auf die Probe stellen,« antwortete Mr. Vimpany. »Geben Sie genau acht, wenn sie wieder hereinkommt.«

»Was haben Sie vor?«

»Ich werde sie mit einigen französischen Worten überrumpeln; achten Sie auf den Erfolg.«

Kurz darauf kehrte Fanny mit dem frischen Wasser in das Zimmer zurück. Als sie die Glaskaraffe vor Mr. Vimpany hinstellte, legte er plötzlich seine Hand auf ihren Arm, sah ihr gerade ins Gesicht und sagte:

» Vous nous avez mis dedans, drôlesse, vous entendez le français

Ein Blick, gemischt aus Zorn und Angst, den sie vergeblich zurückzuhalten suchte, schrieb das offene Geständnis auf Fannys Gesicht. Sie war entlarvt und hatte hören müssen, daß man sie » drôlesse« nannte; so stand sie vor den beiden Herren, ihr eigenes Benehmen hatte sie schuldig gesprochen. Lord Harry drohte ihr erzürnt mit sofortiger Entlassung aus seinem Dienst. Der Doktor aber trat dazwischen.

»Nein, nein,« sagte er, »Sie dürfen Mylady nicht so ohne weiteres ihres Kammermädchens berauben – so eines klugen und geschickten Mädchens,« fügte er mit boshaftem Lächeln hinzu. »Fanny ist eine gebildete Person, die französisch versteht und zu bescheiden ist, es einzugestehen.«

Der Doktor hatte Fanny manch ermüdenden und manch erfolglosen Weg geführt, als sie ihm auf seinen geheimnisvollen Wegen nachgeschlichen war; er hatte ihr jetzt mit voller Ueberlegung eine Beleidigung zugefügt, als er sie »drôlesse« nannte, und er setzte nun seiner Beleidigung die Krone auf, indem er verächtlich von ihrer Bescheidenheit und ihrer Kenntnis der französischen Sprache redete. In die Enge getrieben, versuchte jetzt Fanny den geheimen Plan, dessen Seele Mr. Vimpany war, zu entdecken durch ein Vorgehen, verwegen genug, um des Doktors würdig zu sein.

»Meine Kenntnis der französischen Sprache hat mir allerdings etwas verraten,« begann sie. »Ich habe gehört, Mr. Vimpany, daß Sie eine Pflegerin für Ihren Kranken brauchen. Wollen Sie, wenn es Mylord erlaubt, einen Versuch mit mir machen?«

Diese Kühnheit Fannys war doch mehr, als ihres Herrn Geduld ertragen konnte. Er befahl ihr, sofort das Zimmer zu verlassen.

Der friedfertige Doktor trat wieder dazwischen.

»Mein lieber Lord,« sagte er, »ich bitte Sie, nicht zu hart gegen das junge Mädchen zu sein.« Dann wandte er sich wieder an Fanny und machte den Versuch, wohlwollend auszusehen, was aber nur das boshafte Lächeln auf seinem Gesicht wieder erscheinen ließ. »Ich danke Ihnen, meine Liebe, für Ihr Anerbieten,« sagte er freundlich. »Ich werde Sie morgen wissen lassen, ob wir es annehmen.«

Fannys erzürnter Herr, der nicht vergessen konnte, daß sie ihn getäuscht, zeigte nach der Thür. Sie dankte Mr. Vimpany und ging hinaus.

Lord Harry sah seinen Freund mit ärgerlichem Erstaunen an.

»Sind Sie denn toll?« fragte er.

»Sagen Sie mir erst das eine,« entgegnete der Doktor, »fließt in den Adern Ihrer Familie auch englisches Blut?«

Lord Harry antwortete mit einem Ausdruck seines patriotischen Gefühls:

»Leider muß ich sagen, daß meine Familie auf diese Weise verdorben worden ist, denn meine Großmutter war eine Engländerin.«

Mr. Vimpany nahm diesen Auszug aus dem Familienregister des Lords mit der ihm eigenen Ruhe auf.

»Es gewährt mir eine wahrhafte Erleichterung, dies zu hören,« sagte er, »Sie werden dann vielleicht doch etwas von dem gesunden englischen Verstand durch Ihre Großmutter geerbt haben. Ich will wenigstens versuchen, ob es der Fall ist. Dieses Mädchen ist viel zu verwegen und viel zu klug, um wie ein gewöhnlicher Dienstbote behandelt zu werden. Ich bin sehr geneigt, anzunehmen, daß sie Ihrer Frau als Spionin dient. Ob ich nun recht habe, oder ob ich mich darin irre, das können wir, so viel ich sehe, nur auf eine Weise herausbringen: wir müssen sie zur Pflegerin des Dänen machen. Halten Sie mich jetzt immer noch für verrückt?«

»Für verrückter denn je.«

»Nun, dann haben Sie eben nichts von dem gesunden englischen Verstand Ihrer Großmutter geerbt. Jetzt hören Sie mir einmal zu. Laufen wir denn die geringste Gefahr, wenn Fanny in ihrem Interesse es für nötig hält, uns zu verraten? Wir wollen uns doch einmal fragen, was sie denn eigentlich herausbekommen haben kann. Sie weiß, wir wollen einen kranken Mann aus dem Hospital hieher bringen. Weiß sie aber, wozu wir ihn brauchen? – Nein, das weiß sie nicht. Weder Sie noch ich haben darüber ein Wort verlauten lassen. Sie hat dann ferner gehört, wie wir beide darin übereinstimmten, daß Ihre Frau uns im Wege ist. Was thut das? Hat sie uns denn sagen hören, warum wir nicht wünschen, daß Ihre Frau unsern Plan entdeckt? – Nein, das hat sie auch nicht. Nun also! Wenn Fanny dann Oxbyes Pflegerin ist, so wird sie auch nicht seinen Tod verhindern und somit auch nicht das, was wir durch den Tod des Dänen gewinnen wollen. O, Sie brauchen nicht so entsetzt auszusehen; ich meine selbstverständlich seinen natürlichen Tod, den die Schwindsucht herbeiführen wird. Kein Verbrechen, mein lieber Freund, kein Verbrechen!«

Der irische Lord, welcher neben dem Doktor saß, rückte seinen Stuhl eilig weg.

»Wenn in meinen Adern englisches Blut fließt,« sagte er, »so will ich Ihnen etwas sagen, Vimpany: dann fließt in Ihren Adern teuflisches.«

»Alles, was Sie wünschen, nur kein irisches Blut,« entgegnete der kaltblütige Schurke.

Als Mr. Vimpany diese freche Antwort gab, kam Fanny wieder herein mit einer genügenden Entschuldigung für ihr Wiedererscheinen. Sie meldete, daß ein Bote aus dem Hospital draußen sei, welcher den englischen Doktor zu sprechen wünsche.

Es war ein junger Mann, der in dem Sekretariat des Hospitals angestellt war. Oxbye beharrte auf seinem Entschluß und wünschte sehnlichst, in die Behandlung Mr. Vimpanys zu kommen. Die Aerzte wollten sich nur noch über eines vergewissern, und damit war der junge Mann beauftragt. Der ärztlichen Behandlung durch Mr. Vimpany konnten sie vollständiges Vertrauen schenken, aber sie wollten auch ihrer Verantwortlichkeit gegenüber sichergestellt sein, daß der Däne von einer zuverlässigen Wärterin gepflegt werde. Wenn Mr. Vimpany die Person, die er dazu bestimmt hätte, in dem Hospital vorstellen könnte, so würde er ihnen einen großen Gefallen erweisen. Sobald dann auch diese Angelegenheit zur vollständigen Zufriedenheit erledigt sei, könne Oxbye unverweilt in sein neues Quartier überführt werden.

Am nächsten Morgen begab sich in der Villa von Passy der erste in einer langen Reihe von Vorfällen, die kein prophetischer Geist hätte vorhersehen können. Mr. Vimpany und Fanny Mere verließen gemeinsam Passy und fuhren mit einander nach Paris.


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