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Fünfundvierzigstes Kapitel

»Hier, Sie alter Vagabund, hier ist ein interessanter Fall für Sie, Vimpany, der Schmerzensschrei eines Leidenden mit einem kranken Geist. Ich komme mir vor wie ein Mann, der seines Verstandes beraubt ist. Zuerst wurde mir gemeldet, daß der Mörder Arthur Mountjoys in London gesehen worden; ich machte mich daran, seine Spur zu verfolgen; da wurde ich durch die Nachricht ereilt, zuerst, daß er krank sei, dann, daß er sich wieder erholt und endlich, daß er verschwunden; das sind die Schläge, welche mich ganz meines Verstandes beraubt haben. Zum zweitenmal ist der Frevler meiner Rache entschlüpft; er wird jetzt ruhig in seinem Bett sterben und dann mitten unter schuldlosen Toten auf einem stillen Friedhof begraben werden. Ich kann nicht darüber hinauskommen!

»Fügen Sie hinzu die Besorgnisse um meine Frau und die Briefe von Gläubigern, die mich ganz wahnsinnig machen, und Sie werden nicht erwarten, daß ich vernünftig schreibe.

»Was ich zu wissen wünsche, ist, ob Ihre Kunst, oder wie Sie es sonst nennen wollen, zu meinem kranken Geist durch meinen gesunden Körper gelangen kann. Sie haben mir mehr als einmal gesagt, daß Aerzte das vermögen. Die Zeit ist gekommen, es zu beweisen. Mein einziger Freund und Doktor, erretten Sie mich vor mir selber!

»Auf jeden Fall bitte ich Sie, das Folgende mit aller Ruhe zu lesen.

»Ich muß Ihnen gestehen, daß der Teufel, dessen Name Eifersucht ist, über mich Gewalt bekommen hat und nun die Ruhe meines ehelichen Lebens bedroht. Sie lieben Iris nicht, ich weiß es, und sie erwidert Ihre feindlichen Gefühle. Versuchen Sie trotzdem, meiner Frau Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wie ich es thue. Ich glaube nicht, daß mein Mißtrauen gegen Iris irgendwelche Entschuldigung hat, und dennoch bin ich eifersüchtig. Und was noch viel unvernünftiger ist, ich bin noch ebenso verliebt in sie, wie ich es in den ersten Tagen der Flitterwochen war. Liebt sie mich nun auch noch so wie früher?

»Als Iris die erste Nachricht von Hughs ernstlicher Erkrankung erhielt, saßen wir gerade beim Frühstück. Sie traf sie schwer; sie übergab mir den Brief stillschweigend und verließ den Tisch.

»Ich hasse einen Mann, der nicht weiß, was es heißt, Geld nötig zu haben; ich hasse einen Mann, der immer seinen Gleichmut bewahrt; ich hasse einen Mann, der behauptet, der Freund meiner Frau zu sein, und der sie von jeher heimlich liebt. Was würde es für mich für ein Unterschied sein, ob Hugh Mountjoy stirbt oder am Leben bleibt? – Wenn ich irgend ein Interesse an der Sache hätte, so müßte ich notwendigerweise, da ich sehe, daß ich eifersüchtig bin, seinen Tod wünschen. Nun gut! Ich erkläre mit aller Bestimmtheit, daß die beunruhigenden Nachrichten aus London mein Frühstück gestört haben; es ist so eine Sache mit dem Freunde meiner Frau, mit diesem schmucken, glücklichen, wohlgesitteten Engländer; es scheint etwas für ihn zu sprechen, Gott weiß wie – wenn ich noch wenig zu seinen Gunsten gestimmt bin. Während ich den Bericht von seiner Krankheit las, lebte in mir – meinem Hasse zum Trotz – die Hoffnung, daß er wieder genesen werde.

»Lassen Sie uns zu meiner Frau zurückkehren. Nach langer Abwesenheit erschien sie wieder und konnte endlich etwas mit ihrem Mann sprechen.

»›Ich bin die unschuldige Ursache,‹ begann sie, ›daß Hugh Mountjoy dies furchtbare Unglück befallen hat. Wenn ich ihm nicht einen Auftrag an Mrs. Vimpany gegeben hätte, so würde er niemals darauf bestanden haben, sie zu sprechen, und würde niemals sich das Fieber geholt haben. Es wird mir helfen, meine Selbstvorwürfe und meine Angst zu tragen, wenn ich immer Nachrichten über sein Befinden erhalte; es liegt auch keine Gefahr der Ansteckung vor, wenn ich Briefe bekomme. Ich werde an eine Freundin von Mrs. Vimpany schreiben, die in einem andern Hause wohnt und die mir dann antworten wird. Lieber Harry, verbietest Du mir's, daß ich mir jeden Tag über das Befinden Hugh Mountjoys berichten lasse, so lange er in Gefahr ist?‹

»Ich war vollständig mit diesem Briefwechsel einverstanden; sie hätte es selbst wissen sollen.

»Es schien mir auch verdächtig zu sein, daß sie ihre Bitte mit thränenlosen Augen stellte. Sie mußte geweint haben, als sie gehört hatte, daß er wahrscheinlich dem Fieberanfall erliegen würde. Warum verbarg sie vor mir ihre Thränen und weinte nur, wenn sie sich allein auf ihrem Zimmer befand? Als sie zu mir zurückkam, war ihr Gesicht bleich, hart und thränenlos. Glauben Sie, daß sie meine Eifersucht ganz vergessen haben könnte, da ich mich ernstlich bemühte, sie nicht zu zeigen? Nach meiner festen Ueberzeugung war ihr sehnlichster Wunsch, nach London zu eilen und Ihre Frau in der Pflege des armen Mannes zu unterstützen, sich das Fieber zu holen und mit ihm zu sterben, wenn er sterben sollte.

»Ist das bitter? – Vielleicht ist es so. Zerreißen Sie den Brief, und zünden Sie Ihre Pfeife damit an.

»Also die Briefe, welche von dem Kranken handelten, kamen und gingen nun jeden Tag, und jeden Tag händigte Iris mir sie ein, damit ich sie lesen sollte. Ich lehnte es unter allen möglichen Ausflüchten ab, die ärztlichen Berichte zu lesen. Eines Morgens, als sie den Brief dieses Tages öffnete, ging mit ihr eine wunderbare Veränderung vor, die mir, so lange ich lebe, im Gedächtnis bleiben wird. Niemals vorher habe ich in den Augen einer Frau eine solche Verklärung gesehen, wie ich sie damals sah, als sie die wenigen Zeilen las, welche ihr meldeten, daß man des Fiebers Herr geworden. Iris ist süß, Iris ist lieb, Iris ist schön, mit einem Wort, Iris ist bezaubernd. Aber so schön war sie nie wie in dem Augenblick, da sie erfuhr, daß Mountjoys Leben gerettet war, und sie wird niemals wieder eine so schöne Frau sein, bis die Zeit kommt, wo mein Tod es ihr freistellt, ihn zu heiraten. An ihrem Hochzeitstag wird er die Veränderung sehen, welche ich jetzt wahrgenommen habe, und er wird davon ebenso geblendet sein, wie ich es war.

»Sie sah mich an, als ob sie erwartete, ich sollte etwas sagen.

»›Ich freue mich in der That,‹ sagte ich, ›daß er sich außer Gefahr befindet.‹

»Sie eilte auf mich zu und küßte mich; ich hatte nie geglaubt, daß sie so stürmisch küssen könnte. ›Jetzt, da Du an meiner Freude teilnimmst,‹ rief sie aus, ›ist mein Glück vollkommen!‹ Glauben Sie, daß ich wegen dieser Küsse mir selber oder jenem andern Mann verpflichtet bin? – Nein, nein, das ist ein unwürdiger Verdacht. Ich verwerfe ihn. Niedriger Argwohn soll diesmal Iris nicht unrecht thun.

»Und doch ... die Entfremdung zwischen Iris und mir nimmt von Tag zu Tage zu. Lassen Sie mich auf etwas anderes übergehen. Das neue Journal wird, wie ich mit Vergnügen Ihnen mitteile, allgemein bewundert. Als ich mich aber nach meinem Gewinnanteil erkundigte, sagte man mir, die Ausgaben seien sehr große, und ich müsse daher warten, bis die Verbreitung sich noch steigere. Wie lange? – Niemand weiß es.

»Wie soll ich nun meinen Verpflichtungen nachkommen, wenn der Wechsel fällig ist? – Zum Glück ist ja der schlimme Tag noch fern genug; einstweilen kann ich Ihnen, wenn Ihre literarische Spekulation keine besseren Ergebnisse erzielt als meine Zeitung, einige Pfund leihen, damit Sie leben können. Was sagen Sie zu dem Gedanken, in Ihr altes Quartier nach Passy zurückzukehren und mir mündlich anstatt schriftlich Ihren wertvollen Rat zu erteilen?

»Kommen Sie, fühlen Sie meinen Puls, sehen Sie sich meine Zunge an, und dann sagen Sie mir, wie ich den verschiedenen Verlegenheiten, in denen ich mich jetzt befinde, ein Ende machen kann, bevor einer von uns ein Jahr älter geworden. Werde ich wie Sie von meiner Frau getrennt werden? – Natürlich nur auf ihren Wunsch, gewiß nicht auf den meinigen. Oder werde ich in ein Gefängnis gesperrt werden? Und was wird aus Ihnen, Doktor?«


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