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Neunundvierzigstes Kapitel

Der irische Lord hatte einige erklärende Worte vorauszuschicken, bevor er seiner Frau den Brief zu lesen gab.

Auf dem Zeitungsbureau hatte eine Versammlung der Besitzer des neuen Blattes stattgefunden, um die Bedingungen für eine neue Subskription festzustellen, welche sich infolge unvorhergesehener, aber im Interesse des Unternehmens nicht zu umgehender Ausgaben durchaus notwendig machte. Der Beschluß, der nach sorgfältiger Beratung gefaßt wurde, stellte eine Forderung an die Geldbeutel der Eigentümer, welche in einschneidendster Weise die Summe verminderte, welche Lord Harry noch besaß. Gänzlicher Ruin starrte ihm ins Gesicht, wenn er nicht die nötigen Mittel beschaffen konnte, um den pekuniären Erfolg des Unternehmens ruhig abzuwarten; darüber konnten aber nach den verschiedenen Schätzungen noch sechs, vielleicht sogar noch zwölf Monate ins Land gehen.

»Unsere Lage ist verzweifelt genug,« sagte er, »um nach einem verzweifelten Hilfsmittel zu greifen. Erschrick nicht, Iris – ich habe an meinen Bruder geschrieben.«

Iris blickte ihn mit unverhohlenem Mißmut an.

»Du hast mir doch erzählt,« sagte sie, »daß Du früher einmal an Deinen Bruder geschrieben hättest und daß er Dir in der schonungslosesten Weise durch seinen Advokaten hätte antworten lassen.«

»Ganz recht, liebe Iris. Aber diesmal spricht ein Umstand zu unseren Gunsten – mein Bruder steht im Begriff, sich zu verheiraten. Die junge Dame soll eine reiche Erbin sein und einen außerordentlich liebenswürdigen Charakter besitzen; wer mit ihr verkehrt, bewundert und verehrt sie. So eine glückliche Aussicht muß doch gewiß selbst das härteste Gemüt erweichen. Lies, was ich geschrieben habe, und sage mir dann, was Du davon denkst.«

Die Meinung der geliebten Frau ermutigte den verzweifelten Ehemann: der Brief wurde noch an demselben Tag mit der Post abgeschickt.

Wenn geräuschvolle Heiterkeit einen Mann bei Tisch angenehm machen kann, dann spielte in der That Mr. Vimpany nach seiner Rückkehr in die Villa die Rolle eines gern gesehenen Gastes. Er war unerschöpflich in galanten Aufmerksamkeiten gegen die Frau seines Freundes; er erzählte in der unterhaltendsten Weise die lustigsten Geschichten; er trank vergnügt den ausgezeichneten weißen Burgunder seines Wirtes und pries mit großer Sachkenntnis die wohlschmeckenden französischen Gerichte; er sprach mit Lord Harry über Politik, Sport und – was besonders merkwürdig in unseren Tagen – über Literatur. Der mit anderen Gedanken beschäftigte irische Edelmann war für alle drei Gegenstände in gleicher Weise unzugänglich. Als das Dessert auf den Tisch getragen wurde, brachte Mr. Vimpany, immer noch eifrig bemüht, sich Lady Harry so angenehm wie möglich zu machen, das Gespräch auf die Pflanzenzucht. Im Interesse des hübschen kleinen Gartens der Lady befürwortete er einen vollständigen Wechsel in dem System der Pflege und stützte sich dabei auf ein unlängst erschienenes und Iris wohlbekanntes Buch über Gartenbau und Blumenpflege in so widersinniger Weise, daß Iris in dem Eifer, ihn zu widerlegen, vom Tisch wegeilte, um das Buch zu holen. In demselben Augenblick, wo es ihm endlich gelungen war, sie aus dem Zimmer zu entfernen, wendete sich der Doktor an Lord Harry. Sein Wesen und seine Miene veränderten sich plötzlich und nahmen einen gebieterischen Ausdruck an.

»Nun, was haben Sie gethan,« fragte er, »seitdem wir unser Gespräch in dem Luxembourg-Garten beendigt haben? Haben Sie sich Ihren leeren Geldbeutel betrachtet und sind Sie nun vernünftig genug geworden, meinen Vorschlag, wie er wieder gefüllt werden kann, anzunehmen?«

»So lange mir noch die leiseste Hoffnung bleibt,« antwortete Lord Harry, »werde ich zu jedem andern Mittel greifen, meine Kasse zu füllen, nur nicht zu dem Ihrigen.«

»Soll das heißen, daß Sie ein solches anderes Mittel gefunden haben?«

»Thun Sie mir den Gefallen, Vimpany, alle Fragen bis ans Ende der Woche aufzusparen.«

»Und dann soll ich die Antwort bekommen?«

»Ganz gewiß, ich verspreche es! – Still!«

Iris kam mit dem Buch in das Speisezimmer zurück, und der höfliche Mr. Vimpany gestand in der bereitwilligsten Weise zu, daß er sich geirrt habe.

Die noch übrigen Tage der Woche schlichen langsam dahin. Während dieser Zeit bewahrte Lord Harrys Freund sorgfältig die Haltung eines musterhaften Gastes – er verursachte so wenig Störung wie nur möglich. Jeden Morgen nach dem Frühstück fuhr der Doktor mit der Bahn nach Paris; jeden Morgen mit der gleichen Regelmäßigkeit folgte ihm die entschlossene Fanny Mere. Auf seinen Gängen durch die verschiedensten Stadtteile der französischen Hauptstadt blieb er jedesmal vor einem öffentlichen Gebäude stehen, zog jedesmal einen Brief aus der Tasche und wurde infolge dessen jedesmal gebeten, einzutreten. Die Erkundigungen, welche Fanny mit bewunderungswürdiger Geduld immer wieder einzog, führten jedesmal zu dem gleichen Ergebnis. Die verschiedenen öffentlichen Gebäude, die Mr. Vimpany betrat, waren alle demselben wohlthätigen Zweck gewidmet. Wie das Hotel Dieu waren sie alle Hospitäler. Der Grund aber, weswegen sie der Doktor besuchte, blieb nach wie vor ein tiefes Geheimnis.

Am letzten Tag der Woche traf morgens in aller Frühe die Antwort von Lord Harrys Bruder ein. Als Iris es erfuhr, eilte sie sofort in das Zimmer ihres Gatten. Sie fand den Brief, schon in Stücke zerrissen, auf dem Boden liegend. Wie der Ton in dem Brief des herzlosen Earls das erstemal gewesen war, so war er auch jetzt wieder.

Iris schlang ihre Arme um den Hals ihres Gatten.

»O mein armer Liebling, was soll nun geschehen?«

Er antwortete mit dem einen trostlosen Wort:

»Nichts!«

»Gibt es denn niemand, der uns helfen kann?« fragte sie.

»O ja, es ist vielleicht noch eine Person da, die es könnte.«

»Wer ist es?«

»Wer sollte es anders sein als Du selbst, liebes Herz?«

Sie sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen an.

»Sage mir nur, Harry, was ich thun kann.«

»Schreibe an Mountjoy und bitte ihn, mir das Geld zu leihen.«

Er sprach es aus. Mit diesen schamlosen Worten sprach er es aus. Sie, die Mountjoy dem Mann geopfert, den sie geheiratet hatte, sie wurde jetzt von diesem Mann aufgefordert, Mountjoys Liebe zu ihr zur Zahlung der Schulden ihres Gatten zu mißbrauchen! Mit einem Schrei der Entrüstung wendete sich Iris von ihm weg.

»Schlägst Du mir es ab?« fragte er.

»Willst Du mich beleidigen, indem Du daran zweifelst?« antwortete sie.

Wütend riß er an der Glocke und stürzte aus dem Zimmer. Iris hörte, wie er auf der Treppe fragte, wo Mr. Vimpany sei. Der Diener erwiderte:

»In dem Garten, Mylord!«

Seine Cigarre gemächlich rauchend, sah der Doktor seinen aufgeregten irischen Freund aus dem Hause hervorstürzen.

»Laufen Sie doch nicht so,« rief er ihm in seiner unverschämten guten Laune entgegen, »und verlieren Sie nicht gleich den Kopf. – Nun, wie steht's? Wollen Sie endlich meinen Vorschlag annehmen, um aus Ihren Verlegenheiten herauszukommen? – Ja oder nein?«

»Sie teuflischer Schurke – ja!«

»Mein bester Lord, ich gratulire Ihnen.«

»Wozu?«

»Daß Sie ein ebenso großer Schurke sind wie ich!«


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