Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel.
Arnolds Ansichten über die Zukunft.

»Ich hoffe, es ist nun erlaubt, im Hause zu rauchen?« fragte Arnold, nachdem Florence für seine leiblichen Bedürfnisse gesorgt hatte. Sie bewilligte es freundlich, wenn auch mit innerem Widerstreben, in Erinnerung an ihres Vaters ausgesprochene Abneigung gegen Tabakgeruch. Hierauf nahm sie in einem Armsessel neben dem Schreibtisch Platz, und gab ihrem Vetter eine ausführliche Darstellung der Umstände, von welchen, so weit diese ihr selbst bekannt geworden, seines Onkels plötzliches Verschwinden begleitet war.

»Niemand hörte ihn demnach in jener Nacht das Haus verlassen?« bemerkte Arnold, nachdem Florence ihre Erzählung beendet hatte.

»Niemand.«

»Sah man keine verdächtige Person, keinen Fremden sich in der Nähe des Dorfes aufhalten?«

»Nur die Leute, die den Einbruch in Oberst Askews Hause verübten,« antwortete Florence »das heißt, man sah sie nicht, man vermutet nur, daß sie zur selben Zeit in Rookfield und Umgebung sich umhertrieben.«

»Es wäre von Bedeutung, zu erfahren, ob diese Einbrecher etwas von der Sache wissen,« sprach Arnold halblaut vor sich hin, während er sinnend den bläulichen Tabakwolken nachblickte. »Vorläufig also haben wir nicht den geringsten Beweis in Händen – es hat sich gegen niemand ein Verdacht erhoben!«

»Nein,« versetzte Florence, »es ist nichts weiter ans Licht gekommen. Die ganze Angelegenheit bleibt in ein unergründliches Geheimnis gehüllt. Vielleicht ist Inspektor Holt mit seiner Ueberzeugung, den Vater unter den Lebenden zu suchen, doch auf der richtigen Spur. Ach, wie gern wollte ich ihm glauben! Ich wage kaum eine Hoffnung zu nähren, und kann sie mir trotzdem nicht aus dem Herzen reißen.«

»Was nützt es dir, Flora, diesen Kampf stets von neuem aufzunehmen! Wenn ich dir raten darf – sieh dem Aeußersten mutig ins Gesicht und lasse die ganze Sache damit ein für allemal abgethan sein. Zehn gegen eins – Holt ist ein ausgemachter Schwindler! Glaube nicht an ihn, sondern laß dich von mir aufheitern, so weit ich es vermag.«

»Nicht wahr, du hast Edwards Brief nicht erhalten? Es wäre der Zeitdauer nach nicht möglich gewesen. Welch ein Glück, daß du eben auf dem Heimwege begriffen warst, wie leicht hätte die Nachricht dir niemals zukommen können.«

»Sehr wahrscheinlich, da ich von einem Orte zum andern wanderte. Du weißt, ich liebte das Seßhafte nie, war immer ein rollender Stein, der erst hier zur Ruhe kommen soll.«

»Wie kamst du auf den Gedanken, nach England zu reisen?« fuhr Florence hartnäckig fort. »Ahnte dir, daß etwas Furchtbares geschehen war? Es ist gewiß recht abergläubisch, doch ich halte entschieden an Vorahnungen fest.«

Arnold lachte leise vor sich hin; sein Lachen klang immer angenehm.

»Nein, Flora, bei mir waren keine übernatürlichen Geisterstimmen im Spiele, ich hatte nicht die mindeste trübselige Ahnung.« Er hielt inne und lehnte sich vor, um seine Pfeife frisch zu stopfen. »Kannst du nicht erraten, warum ich heim kam?«

Florence wich der Antwort durch eine neue Frage aus: »Wann hast du das Kapland verlassen, Arnold?« Der rosige Schimmer, der ihr Hals und Antlitz überflutete, von dem schönen blonden Haare an bis zu der schwarzen Krause ihres Kleides, ließ sie dabei besonders reizvoll erscheinen.

»Laß' mich nachdenken – vor zwei Monaten etwa,« antwortete Arnold mit einiger Verlegenheit, die Florence nicht entgehen konnte.

»Ich dachte, du wärst vorgestern erst in Southampton gelandet?« versetzte sie, offenbar überrascht. »Wie lange braucht man zur Ueberfahrt vom Kap bis England? Doch gewiß nicht zwei Monate.«

Arnolds Befangenheit nahm sichtlich zu. Er richtete sich aus seiner nachlässigen Stellung auf, kreuzte dann wieder die Beine und rauchte einige Minuten stillschweigend vor sich hin. »Ich will dir die Wahrheit sagen, Flora!« brachte er schließlich mit Ueberwindung hervor.

»Ich habe auch nichts anderes von dir erwartet,« gab sie ernsthaft zurück.

»Ja, wenn man immer das bekäme, was man voraussetzt! Ich könnte dir ebenso gut irgend ein Märchen aufbinden, statt dessen will ich dir gestehen, daß ich auf Teneriffa zurückgeblieben bin. Es war mir nämlich gelungen, eine kleine Beute aus den Diamantfeldern zu erobern.«

»Ich dachte, du wärest mit der Absicht nach dem Kaplande gegangen, bei der berittenen Polizei einzutreten.«

»Das war Onkel Roderichs Idee, nicht die meine. Nachdem ich in Natal gelandet war, machte ich mich sofort auf den Weg nach Kimberley, und gewann dort, wie schon erwähnt, eine kleine Summe Geldes. Da erfaßte mich das Heimweh, der Wunsch, euch alle wiederzusehen, und rasch entschlossen schiffte ich mich auf dem nächsten absegelnden Fahrzeuge, dem ›Stirling Castle,‹ nach England ein. Du weißt, Flora, welch ein Leichtfuß ich von jeher gewesen – doch, bei meiner Ehre, ich wollte ohne Aufenthalt mit dem verdammten Gelde in der Tasche heimwärts reisen, wollte Onkel Roderich überzeugen, daß auch ohne sein Zuthun ein selbstständiger Mann aus mir geworden war, wollte dann bei Sebastian weiter studieren, mir den Doktorrang erwerben, schließlich zu euch nach Rookfield eilen und – nun, Flora, es wird dir wohl nicht schwer sein, zu erraten, was ich mir als Endziel vorgesetzt hatte.«

»Was thatest du statt dessen?« forschte Florence weiter.

»Ich schiffte mich vorerst auf Teneriffa aus. Was mich heute am meisten kränkt, ist die Ueberzeugung, daß ein Bursche wie ich, trotz bester Absicht, niemals bei seinen guten Vorsätzen beharren kann. In der That – mir fehlt die Stetigkeit hierzu. Onkel Roderich machte mir oft den Vorwurf der Unzuverlässigkeit, er hatte recht, er irrte nur insoweit, als er meinte, ich könne selbst gegen diesen Fehler ankämpfen; das übersteigt jedoch meine Kräfte – ich bin einmal so und kann mich nicht ändern, überdies ist jedermann der Sklave zufälliger Umstände.«

»Nicht jeder – nur der, welcher sich von ihnen leiten läßt,« sagte Florence ernst; ihre Gedanken waren auf einen Augenblick zu Owen Fairford gewandert.

»Nun, ich will mich nicht besser machen, als ich bin – was würde es mir nützen? Ich wollte dir nur die Wahrheit sagen, und es dir überlassen, wie du nun weiter über mich zu urteilen gedenkst.«

»Du wolltest mir erklären, Arnold, warum du nicht ungesäumt nach England kamst.«

»Ich wünschte, ich hätte es gethan, da wäre mir heute weitaus besser zu Mute! Doch dieses verdammte Geld brannte ein Loch in meine Tasche und ließ mir keine Ruhe, bis es vergeudet war. Zuerst stand ich, fest entschlossen das Schiff nicht zu verlassen, ruhig auf Deck und sah zu, wie die anderen in die Boote stiegen, um ans Land zu rudern. Ich blieb bei meinem Vorsatze, bemühte mich, alle Gedanken auf euch und die Heimat zu lenken – da, plötzlich – ich weiß nicht wie es geschah – saß auch ich im Boote. Kaum am Lande, geriet ich in eine gar lustige Gesellschaft, wir feierten ein heiteres Gelage, die Stunde der Abfahrt war versäumt, ich blieb zurück, und konnte erst mit dem ›Radnor‹ meine Reise wieder fortsetzen.«

Das alles brachte Arnold in so freimütiger, launiger Weise hervor, und sah dabei so hübsch aus, daß die harmlose Erzählung dieses Zwischenfalles ihm eher zum Vorteil gereichte. Sie verriet eine liebenswürdige Schwäche, wegen der Florence ihm nicht zu grollen vermochte. Was sie von ihm abstieß und thatsächlich zu seiner Gegnerin machte, war nicht das Eingeständnis eines Wankelmutes, der andere, edlere Regungen nicht ausschloß, sondern die Leichtfertigkeit, mit welcher er über das Unglück, das ihren Vater betroffen hatte, hinwegging, so wie der augenscheinliche Mangel jeder verwandtschaftlichen, ja sogar natürlichen Teilnahme an ihrem herben Geschicke.

»Und jetzt, nachdem du gekommen bist – was beabsichtigst du weiter?« fragte Florence.

»Vorläufig hier zu bleiben.«

»Das meinte ich nicht – selbstverständlich bleibst du hier – ich wollte dich wegen des Doktor-Examens fragen.«

»Wozu sollte dieses mir nunmehr nützen?«

»Du sagtest doch, du hättest das Kapland mit dem Vorsatze verlassen, endlich deine Prüfungen abzulegen.«

»Gewiß, allein seither hat sich alles für mich zum Besseren gewendet. Ich konnte damals den gegenwärtigen Lauf der Ereignisse nicht annähernd voraussetzen. Es mag dir hart erscheinen, liebe Flora, und wir wollen auch erst später eingehend darüber reden – aber es ist eine unleugbare Thatsache, – ich bin Onkel Roderichs Erbe.«

»Wenn er wirklich gestorben ist, Arnold.«

»Du weißt, es kann nicht anders sein; meintest du doch selbst, du hättest bereits jeder Hoffnung entsagt.«

»Jawohl,« antwortete Florence traurig, »nur steht diese Entsagung im Widerspruche zu meinen Empfindungen. Wie soll ich dir diese oft recht unverständlichen Gefühle erklären? Wenn Inspektor Holt oder ein anderer es versucht, mich zu überzeugen, der Vater sei nicht gestorben, so vermag ich mir kaum vorzustellen, daß er lebt und doch nicht zurückkehrt; kommt hingegen eine zweite Person, so wie du, die seinen Tod als eine feststehende Thatsache auffaßt, dann klammert sich mein Herz in heller Verzweiflung an jeden Strohhalm von Hoffnung, ich überdenke nochmals die gesamte Kette der Ereignisse und sage mir, daß wir keinen einzigen gütigen Beweis seines Ablebens besitzen, keinen, der uns wirklich berechtigt, an seinen Tod zu glauben.«

»Ich gebe es zu, Flora, wir besitzen keinen offenbaren Beweis – meine Aufgabe soll es daher sein, dir einen solchen zu liefern; gab mir doch auch der alte Edwards den Rat, das Wild aufzuspüren, bevor ich es schieße.«

»Du meinst wohl, es sei deine Aufgabe, des Vaters Mörder der Gerechtigkeit zu übergeben, wenn wir in der That an ein Verbrechen glauben müssen,« unterbrach ihn Florence schaudernd.

»Jawohl; das heißt – an Onkel Roderichs Mördern ist mir gar nichts gelegen – man mag sie hängen oder nicht, das gilt mir gleichviel, mein Bestreben geht nur dahin, den Beweis seines Todes zu liefern.«

»Dies wird dir so leicht nicht gelingen,« versetzte Florence eifrig – »jedes Bemühen der Polizei schlug in dieser Richtung so gründlich fehl, daß Inspektor Holt zu dem Schlusse gelangen mußte, der Vater weile noch immer unter den Lebenden.«

»Darin, liebste Flora, liegt eben der Unterschied zwischen mir und Inspektor Holt – ihm ist's eine Geschäftssache, mir, um offen zu reden, eine Frage über Leben und Tod, denn ich bin mittellos und brauche Geld.«

Entrüstet erhob sich Florence von ihrem Platze, ihr Busen wogte, gerechter Zorn glühte in den schönen, sonst so sanften Augen. »Wie kannst du jetzt, in dieser Stunde, an elendes Geld denken!« rief sie vorwurfsvoll, »wie niedrig, wie hartherzig von dir! Was liegt an Geld und Geldeswert, wenn ein Mann, wie mein Vater, für uns verloren ist!«

»Mir geht jedenfalls das Geld verloren, wenn er am Leben ist!« erwiderte Arnold, der sich gleichfalls erhoben hatte. »Nein, Flora, wende dich nicht ab mit dem Gedanken, ich fühlte keine Teilnahme für dich – dein Unglück geht mir verteufelt zu Herzen, aber was nützt es, der verschütteten Milch nachzuweinen; Onkel Roderich ist nun einmal mausetot – das lasse ich mir nicht ausreden. Ich besitze keinen Kreuzer Vermögen – hier winken mir über tausend Pfund jährliches Einkommen – ich wäre kein Mensch, wenn ich nicht trachtete, mir dies Gut so bald wie möglich zu sichern, und das bin ich doch – ein ganz gewöhnliches, schwaches Menschenkind!«

Da Florence fürchtete, ihre Fassung nicht länger bewahren zu können, verließ sie rasch das Zimmer. Erst beim zweiten Frühstück traf sie wieder mit Arnold zusammen. In gewohnter Güte bestrebt, ihre frühere vorteilhafte Meinung über den Vetter zurückzugewinnen, suchte sie das Gespräch in gleichgiltige Bahnen zu lenken, worauf Arnold sofort einging.

»Beiläufig bemerkt,« begann er, »ich sah, die ›Waldaussicht‹ ist bewohnt – wer hat das Haus gemietet? Hoffentlich anständige Leute?«

»Ein Herr Fairford, dem Vater aufrichtig zugethan war, – er lebt seit drei Monaten in Rookfield.«

»Ein alter Fuchs natürlich, wenn Onkel Roderich sich an ihn anschloß.«

»Herr Fairford ist weder alt noch jung, er sieht kaum älter aus als du.«

Im Laufe des Nachmittags langte Arnolds Gepäck im ›Krähenneste‹ an. Bald darauf erbat er sich von seiner Base den Schlüssel zu Herrn Derwents Weinkeller. Als er vor Tische im Wohnzimmer erschien, war sein Gesicht derart erhitzt, daß Florence sich eines bangen Gefühles nicht entschlagen konnte.

»Verdammt ruhiges Haus!« sagte er, indem er auf einem Sofa neben ihr Platz nahm. »Aber vielleicht kann sich mit der Zeit auch ein Wanderbursche wie ich hier heimisch fühlen. Uebrigens werde ich in den nächsten Tagen genug Beschäftigung finden. Ich fürchte, ich habe dich heute recht lange allein gelassen.«

»Ich war oben in Annens Zimmer,« versetzte Florence; »ich hatte die arme Kranke ohnehin mehr vernachlässigt, als es sonst meine Gewohnheit ist.«

»Die gute alte Anna – sie war eine brave Dienerin – schade, daß sie so früh ihren Laufpaß bekommt; nun,« fügte er etwas ernster hinzu, »wir müssen alle sterben, und selbst ein Leichtfuß wie ich, könnte darüber nachdenklich werden. ›Ernte dein Heu, solange die Sonne scheint,‹ lautet die Moral. Dieser Lehre will auch ich folgen, sobald du, Flora, nichts dagegen einzuwenden hast.«

»Ich habe gar nichts mitzusprechen!« erwiderte Florence, indem sie ihren Platz mit einem Stuhle in der Nähe des Klaviers vertauschte.

»Wieso, Flora?«

»Sobald mein Vater für tot erklärt wird, ist alles dein, und ich habe kein Recht mehr hier im Hause.«

»Ach was, wie kannst du nur so reden! Du weißt, ich gebe ohne dich keinen Pfifferling für den ganzen Besitz.« Er stand vom Sofa auf, näherte sich Florence und stützte die Arme auf die Rücklehne ihres Sessels.

»Es ist schön von dir, so zu sprechen,« gab sie ruhig zur Antwort, »doch gibt es auch sonst allerlei Schwierigkeiten. Unter anderm habe ich kein bares Geld in Händen – wäre mir nicht Doktor Viret zu Hülfe gekommen – – –«

»Der gute Mann, wie danke ich ihm dafür! Gewiß, ohne Geld kann man nicht leben – ein Grund mehr für dich, ruhig hier zu bleiben. Auch mir fehlt es gegenwärtig an Glücksgütern, ich weiß oft nicht, wie ich mich durchbringen soll.«

»Entschuldige mich,« brach Florence das Gespräch ab, »ich muß zu Annen gehen.«

Oben angelangt, überlegte sie zum erstenmale, ob sie nicht gut daran thäte, Doktor Virets Vorschlag anzunehmen, denn über einen Umstand war sie nicht länger im Zweifel, daß die Notwendigkeit sie baldigst zwingen würde, das Vaterhaus zu verlassen.


 << zurück weiter >>