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Die Stimme.

Es war in San Domenico, das in diesen Frühlingstagen wie ein köstliches Juwel, in Blumen gebettet auf den Höhen um Florenz lag. Edda war vom Arzt zur Erholung heraufgeschickt worden und sollte in Licht und Luft ruhen und liegen. Im Oberstock eines weißen Landhauses fand sie Wohnung. Die Veranda war mit Glyzinen berankt, und die blauen und weißen Blütentrauben hingen schwer von hingegebener Schönheit und berauscht von ihrem eignen Duft über ihr, wenn sie die müßigen Stunden durch blasse kraftlose Hände gleiten ließ.

Sie war müde, wie eine Lilie, die zu lange auf dem Hochaltar gestanden und all das Leid der betenden Menschheit vernommen hat, und sie war bereit wie ein braunes Feld, das vom Pflug gebrochen, des Sämanns harrt. Sie erwartete irgendetwas Unerhörtes, nie Erlebtes. Etwas, das vom Jenseits kommt und ins Jenseits mündet.

Die Tage waren voll unendlicher Süßigkeit. Wäre sie ein junges Mädchen gewesen, so würde sie von Liebe geträumt haben, und die Nachtigallen hätten in den blauen Sammetnächten die Musik zu diesen Träumen gemacht.

Aber Edda war eine Enttäuschte. Es schien ihr, als ob die Liebe die Menschen narrte, indem sie ihnen Göttertrunkenheit verhieß und sie dann aus einem armen Räuschlein zu einem Katzenjammer erwachen ließ. Und doch – im tiefsten Grunde konnte sie den Glauben an sie nicht wegwerfen, obgleich sie wußte, daß ihre Zeit vorüber war. –

Die Erzählerin sann nach und hielt ihre feine weiße Hand vor die Augen, als müsse sie innere Bilder verdecken. Dazu neigte sie das schöne klare Profil, das in Sehnsucht leuchtete.

»Weiter«, sagte das junge Mädchen ungeduldig. »Gelt, dann kam Er? Und war herrlich!«

Die Erzählerin schüttelte den Kopf. »Nein, er kam nicht. Etwas viel Merkwürdigeres, Köstlicheres kam: Eine Stimme.«

Es war schon gegen Abend und die Sonne wollte untergehn. Haben Sie einmal in Italien Sonnenuntergänge gesehen? Sie sind zum Sterben schön. Es ist, als verblute man mit dem Licht, ein Ewigkeitsrausch faßt einen, man ist aufgelöst in grenzenlose Sehnsucht, in ein süßes Sterbensweh. Der ganze Himmel flammte an diesem Abend, die Kuppeln von Santa Maria del Fiore warfen den Schein zurück, und all die Dächer und Türme, die Fenster und Säulen von Florenz ertranken in rotem Licht.

Da hörte Edda unter sich auf der Veranda eine Stimme. Sie war leise bedeckt, wie um ihr innerstes Geheimnis zu verhüllen, aber dennoch durchfuhr sie die Lauschende wie ein Himmelsblitz, Der ihr das Herz spaltete. Sie schloß die Augen, um keinen Ton, kein leises Vibrieren zu verlieren. War sie schön, die Stimme? Edda wußte es nicht. Aber sie kannte sie, wie sie noch nichts auf dieser Erde gekannt hatte. Der Weltenwanderer, der die Glocken seiner Heimat wieder vernimmt, das verirrte Kind, dem die Stimme des Vaters ruft, die Frau, die von den Lippen ihres Erstgeborenen den Mutternamen hört, sie haben eine Ahnung von dem, was für Edda in dieser Stimme lag. Sie war ein wenig bedächtig und kam nur stockend, wie nach Ausdruck ringend über die Lippen. Jedes Wort wahrhaftig und wie aus dem Herzen geboren, von gütigem Klang, kein falscher Ton darin, der Eitelkeit oder ein unlauteres Gemüt verraten hätte; wie von einer leisen Trauer verschattet, die ihr das Herz bewegte, fast schüchtern und doch fest, so jung noch und doch so reif.

.

Da verschoben sich vor ihrem inneren Auge Wände, Ausblicke taten sich auf, Erkenntnisse brachen rauschend über sie ein, lohendes Licht blendete sie. Und dann fühlte sie eine solche Verbundenheit mit dieser Stimme, daß es tiefe Stille um sie ward. So dachte sie sich den Frieden des ersten Sonntags nach der Schöpfung, Sehnsucht und Erfüllung in einem; ganz märchenhaft unwirklich und doch so wirklich, daß alles andere daneben schemenhaft wird.

»Das rotglühende Götterauge, nun sinkt es!«

Eine flache Frauenstimme antwortete mit lachendem Vogelgezwitscher. »Das sagst du so tragisch.«

»Das ist auch jedesmal traurig. Traurig und schön zugleich. Wie Sterben.«

»Sprich nicht davon«, klang es unwillig, »du weißt, daß ich's nicht hören kann.« Ein kleines eigensinniges Fußstampfen begleitete die Worte.

»Aber Kind«, sagte er gütig.

Ein Schweigen folgte, das für Edda redete. Sie verstand, daß diese zwei Menschen aneinander gebunden waren und doch nicht zusammen gehörten, daß der Eine die ganze Last des Andern auf den Schultern trug. Und er trug sie mit solcher Kraft und Liebe, daß die Frau nicht merkte, daß er in ihr eine Last schleppte. Das rührte Edda zu Tränen; seit sie unglücklich war, erschütterte alles Göttliche sie so, daß ihre Seele wie eine Windharfe darunter erbebte.

Sie wischte die Tropfen nicht ab, die ihre Wangen betauten, denn es lag solch eine Süßigkeit in diesem Meinen.

An jenem Abend hörte sie die Stimme nicht mehr. Die Abendluft kam kühl herein, unten raste ein losgelassener Rolladen herunter. Edda blieb unter den heraufziehenden Sternen liegen und fühlte ihre Seele losgelöst schwingen in der Harmonie der Sphären. Blumendüfte stiegen wie Opferrauch der liebenden Erde aus den Gärten auf, Brunnen rauschten und sprachen tiefste Geheimnisse, und alles Reden und Schweigen schien Edda der Ausdruck ihres eigenen erzitternden Herzens zu sein.

Die Tage kamen und gingen. Edda lebte vom Warten auf die geliebte Stimme. Sie wünschte nie den Menschen zu sehen, dem sie gehörte, ihr war, als müsse ihr das den reinen Eindruck verzerren, das innere Bild zerstören.

Sie lag auf ihrem Ruhebett, gebadet in lichte Sonne, nur mit einem weißen faltigen Gewand bekleidet. Die nackten Füße, die zuerst wie scheue weiße Tauben gewesen waren, bräunten sich unter ihren heißen Strahlen, die von Seelenleiden geadelten, blassen Händen wurden von rotem Blut durchpulst und verloren den Schmerzenszug. Bücher lagen auf einem kleinen Tischchen neben ihr, und in einer dunkelblauen Glasvase stand ein Strauß brennend roter Geranien, der in der Sonne Funken sprühte.

Zwei Männerstimmen kamen zu ihr herauf, die geliebte und eine andere arme, heisere, die eines Lungenkranken. Sie hörte erst nur auf die Töne, dann aber nahm ein Wort sie gefangen. Die Stimme sprach es, die schon am Erlöschen war.

»Es kommt nicht darauf an, daß wir viel wissen, sondern, daß wir viel sind?

Und die geliebte Stimme antwortete und klang so jung. »Mir brennt oft das Herz, daß das Leben so kurz ist. Es gibt so unendlich vieles, das mich lockt zu erforschen, zu studieren und zu tun. Hundert Leben genügen nicht. Ich strecke nach allem die Hände aus, es an mich zu reißen …«

»Und mußt sie wieder sinken lassen.«

»Ja.«

»Da ist nur ein Ausweg, du wirst ihn gehen, wie auch ich ihn gegangen bin. Ich entbehre nun das Wissen nicht mehr und empfinde seinen Mangel nicht als Schmerz.«

»Ich weiß, was du meinst«, sagte die geliebte Stimme verhalten, und Edda richtete sich lauschend auf, daß kein Wort ihr entgehe. Denn sie fühlte, daß das, was er jetzt sagte, aus dem Zentrum seines Wesens kam.

»Alle Kraft sammeln in einem einzigen Punkt – in der Hingabe an Gott und in der Liebe, die aus dieser Hingabe fließt.«

Edda sank zurück und preßte die Hände auf die Augen. Die Stimmen schwiegen, als dürfe nach diesem letzten kein Wort mehr fallen, das die Stille störte, denn sie war heilig und der Name Gottes bebte noch in ihren Wellen.

Seit Edda dieses Bekenntnis von ihm gehört hatte, liebte sie ihn mit einer Hingegebenheit, der sie sich nie für fähig gehalten hätte. Dieses, sein letztes Wort, war ihr, was der Ring der Braut ist – sie fühlte sich dadurch mit ihm verbunden wie von Ewigkeiten her. Ihre Liebe kam wie aus einer fernen, in Dunkel gebetteten Vergangenheit, glänzte auf und wurde ihr bewußt im Licht des gegenwärtigen Tages und würde einmünden in einen Zustand, der ganz anders ein Ineinanderstürzen der Seelen ermöglichte als dieses Erdendasein.

Jede Sinnlichkeit war aus Eddas Empfinden weggewischt. Sie fühlte eine Leichtigkeit des Körpers und eine Durchsichtigkeit der Materie, wie wenn die Liebe alles Stoffliche in ihr aufgelöst, verklärt und durchstrahlt hätte.

Es kamen stürmische rauhe Tage. Der Regen peitschte die Fenster, rann in Bächen auf den Steinboden des Balkons und sprudelte durch die antiken Wasserspeier auf den mosaikgepflasterten Hof. Edda lag aus dem Ruhebett und hüllte sich fröstelnd in die Decke aus Leopardenfell. Die Glyzinen, die um die Steinsäulen der Veranda rankten, hingen schwer die Häupter von Nässe, und wenn die klaren Tropfen von ihren Trauben abrannen, sah es aus, als ob sie weinten.

Nun hörte sie viele Tage die Stimme nicht, und dies Entbehren machte sie fast krank. Jedes Wort, das er in den Sonnentagen gesprochen, lebte in ihr, und sie ließ es immer wieder durch die Hände gleiten wie ein köstliches Geschmeide, an dessen Besitz man sich freut. Aber dann sanken ihre Hände leer und sehnten sich – zu geben, zu behüten, zu schenken, zu segnen. Ihr anderes Leben war wie ein Traum: ihr Essen und Trinken, ihr Reden und Tun. Wirklich war nur ihre Liebe.

In diesen Tagen fühlte sie sie als Schmerz. War sie ihr zuerst als seliges Staunen genaht, als etwas, das aus einer geheimnisvollen Welt wie ein strahlendes Licht in ihr Leben hineinschien, so fühlte sie sie jetzt als glühenden Schmerz des Behaltenmüssens, des sich nicht Verströmendürfens. Aber dieser Schmerz linderte sich, wurde von Verklärung überleuchtet, wenn sie ihn dorthin trug, wohin die geliebte Stimme sie gewiesen hatte. Da wurde ihr klar, daß, wer die Liebe will, sich vor den Leiden nicht scheuen darf.

Und dann erkannte sie, daß es für solche Liebe nur zwei Wege gab: Leben für den Geliebten, oder Sterben für den Geliebten. Sie wußte aber auch, daß ihr keine Wahl blieb. Aus Urgründen her fühlte sie das Band, das sie an den Menschen fesselte, der mit dieser Stimme sprach, ein Band, das nie gebrochen worden war und auch in Ewigkeit nicht zerrissen werden konnte. Sie würde hundert Leben für ihn leben und hundert Tode für ihn sterben, und daran, wie Glück und Leid ihr unzertrennlich nahten, würde sie erkennen, daß ihre Stunde gekommen war. Herrlich schien ihr diese Stunde, in der ihre Liebe wie eine reine Opferflamme zum Himmel steigen und alles verzehren würde, was nicht Liebe war.

Oft redete sie im Geist mit ihm. Ihre Phantasie zeigte ihr Bilder, so wirklich, daß sie meinte, in irgendeinem früheren Leben sie schon gesehen zu haben. Aber das Bild des Geliebten blieb ungeformt, sie hörte nur seine Stimme. Und ein Duft war um sie; bald wie von Goldlack, süß und keusch, bald von moosigem Waldboden im Tannenwald, aus dem die Sonne Würzgeruch auskochte, bald den kindlich reinen von Frühlingswiesenblumen und jungem Gras. Sie wandelte mit ihm durch weite Wiesen, sonnenbeglänzt und sehnsuchtsgrün, sie hörte Wasser rauschen, wie das Klopfen eines lebendigen Herzens, und kleine Mädchen spielten im Grünen, hatten sich gelbe Kränze in die Locken gedrückt und sangen mit feinen dünnen Stimmen, ganz hoch und hell.

Dann wieder saß sie mit ihm im Boot, das ins blaue Meer hinaustrieb. Das Wasser war so still, daß man keinen Wellenschlag spürte; ihr Wesen und ihre Liebe war ganz in diese Stille aufgelöst, ihre Grenzen waren zerbrochen. Sie fühlte sich in dem klaren Wasser, das den Kahn trug, sie fühlte sich auseinanderfließen in der sonnenwarmen, salzdurchsprühten Luft, und die geliebte Stimme holte sie wieder herein und bettete sie an ihrem Herzen.

Dann wanderte sie mit ihm durch den dunkeln Tannenwald, der Mond schien, und sie sprachen mit leisen scheuen Tönen, wie man kostbare Dinge anrührt, ehrfürchtig und voll Entzücken. Und wenn er nur ein einziges Wort sprach, verstand sie ihn, und ihre Seele schwang mit der seinen.

Sie diente ihm in ihren Träumen, wie eine Mutter ihrem Kind dient, und er sprach: »Warum bist du so gütig gegen mich?«

»Ach«, wehrte sie, »gütig? Und du siehst doch nur die dünnen Lichtstäbchen, die durch das Schlüsselloch und die Ritzen dringen!«

»Ist so viel Licht in dir?« staunte er.

»Ja, denn in dieser Kammer dulde ich keine Dunkelheit, auch nicht in den verborgensten Ecken. Nur die Vollkommenheit meiner Liebe verleiht ihr Daseinsrecht, nur die vollkommene Liebe hat Erlöserkraft.«

»Was nennst du vollkommene Liebe?«

Und nachdenkend antwortete sie: »Vollkommene Liebe ist Liebe, in der nichts Fremdes mehr ist, alles ist zu Liebe geworden. In ihr gibt es keine Dunkelheit mehr, sie ist ganz göttlich.«

»Wenn du von Liebe sprichst«, sagte er leise, »muß ich immer an Jesus denken.«

Sie neigte ihr Ohr dem verschleierten Klang, und es war ihr, als müsse sie ihre Hand ausstrecken und die seine ergreifen. Aber sie fand keine Hand, Stimmen sind ganz Geist und Seele. Und sie ließ den ausgestreckten Arm sinken.

»Ja« sagte sie, »Jesus hatte die vollkommene Liebe, und er fand auch den einzigen irdischen Ausdruck für die vollkommene Liebe – den Tod.«

»Niemand hat größere Liebe, denn daß er sein Leben hingibt für seine Freunde«, sagte die Stimme, und es lag eine ehrfürchtige Scheu in ihr.

»Ja – der Tod ist der restlose Ausdruck der Liebe. Hingabe wird die Kluft der Zweiheit nur auf Augenblicke überbrücken, körperliche Hingabe nimmt sich auch wieder zurück. Im Tod gibt sich die Liebe endgültig.«

Und über dem Reden mit ihm ward sie wie eingehüllt in warmes Licht, und ein großes Glück überflutete sie, so daß sie zitternd stille hielt. – – –

Eines Tages erwachte Edda früh, irgendetwas hatte sie geweckt. Ein silberner Morgen blickte durch das Fenster, die zwei Zypressen, die wie finstere Wächter am Gartentor standen, schliefen noch; sie regten sich nicht, und die Morgenfrühe strich ihnen leicht über die dunkeln starren Häupter. Sie hörte das hastige heiße Atmen eines Autos und dann unbestimmte Geräusche im Hause, irgend jemand schien abzureisen. Plötzlich schrak sie auf. Die flache Vogelstimme der Frau aus dem unteren Stockwerk tat irgendeine gleichgültige Frage, und dann, als keine Antwort kam, ungeduldig: »Was stehst du da, als ob du festgewachsen wärest, steig doch ein.«

»Mir ist, als hätte ich etwas vergessen«, sagte die geliebte Stimme.

Edda stöhnte auf. »Abschied zu nehmen von mir, das hast du vergessen!« Und sie schluchzte in die Kissen.

Nun leichte Schritte auf der Treppe, aber sie hielten nicht am unteren Stockwerk, sie stiegen herauf bis vor ihre Türe. Hier stockten sie. Durch unbarmherzige Wände hindurch fühlte Edda das Klopfen eines Herzens, das zu ihr gehörte, und dann stiegen die Schritte abwärts – langsam, so müde, wie wenn unsichtbare Fesseln sie zurückzögen.

»Da bist du ja endlich, was hattest du denn wieder vergessen?«

»Ich mußte noch einmal allein Abschied nehmen.« Und seine Stimme klang so traurig.

Dann ratterte das Gefährt davon in die weite Welt.

Als Edda sich vom Lager erhoben hatte und mit kraftlosen Füßen vor die Türe ihrer Wohnung trat, fand sie eine halberschlossene weiße Rose, an der noch Tauperlen hingen, an den Messinggriff gesteckt. Sie nahm sie und küßte sie mit zitternden Lippen.


Die Erzählerin schwieg, und eine kurze Zeit war alles still. Dann begann die Geige in dies Schweigen hinein eine feierliche süße Melodie zu singen, die klang wie Liebe und Tod und himmlische Verklärung, und alles lauschte bewegt den holden Klängen. Als der letzte Ton verschwebt war, schien das Gefängnis nicht mehr so dunkel, es war, als haftete etwas von Eddas Liebe und der engelhaften Musik an den starren Mauern und erfülle den düsteren Raum.

»Und hat Edda nie wieder etwas von der geliebten Stimme gehört?« fragte das junge Mädchen leise und schämte sich, daß die Worte nicht zart klangen wie ein Hauch.

»Nie wieder.«

»Und glaubt Edda noch an diese Verbundenheit?« Gabriele schaute sie mit verhaltenem Atem an.

»Sie lebt von ihr.«

»Und ihre Liebe wurde niemals müde?« fragte die alte Frau.

»Sie wurde größer, reiner und tiefer mit jedem Tag, den Gott ihr gab.«

»Frau Eva, über Ihre Geschichte kann ich nichts sagen, so wunderbar und unwirklich sie auch scheint, sie ist so von Glut des Erlebens getragen, daß sie überzeugt«, sagte der Psychiater und reichte der jungen Frau die Hand hinüber sie herzlich zu drücken.

»Aber bewiesen ist mit der Erzählung doch noch gar nichts«, meinte Ottokar zweifelnd.

»Allerdings nicht«, sagte der Psychiater. »Aber die tiefsten Erkenntnisse sind immer unbeweisbar. Sie rauschen aus den Abgründen der Seele empor, sie brechen mit ihrem Lichtschein in unsre Dunkelheit, und für den, den sie erleuchten, sind sie unwidersprechbare Wirklichkeit.«

»Ich könnte Ihnen auch eine solche Erkenntnis vermitteln«, sagte der Graf. »Sie ist so schwer gewesen, daß sie den Menschen zerbrochen hat, den sie überwältigte.«

Eva wich vor den lodernden Dämonenaugen erschreckt zurück, und Magelone trat näher zu Ottokar.

»Keine Angst, meine Damen«, spottete er, »Erkenntnisse, die nur vermittelt werden, büßen ihre Leuchtkraft ein, und auch einen Teil ihrer Gefährlichkeit. Sie werden sagen, ich sei wahnsinnig. Und vielleicht – ja vielleicht haben Sie sogar recht! Was meinen Sie, Herr Professor?« Seine Augen flackerten und eine geheime schmerzliche Angst brannte in ihnen.

Der Jude sah ihn gütig und aufmerksam an. Dann sagte er ruhig. »Ich meine, Herr Graf, das Hervorzerren einer so traurigen Geschichte, wie Sie andeuten, wird unsre lieben Frauen bedrücken. Ich bitte Sie, mir sie allein zu erzählen.«

»Im Grunde wollte ich sie auch nur Ihnen erzählen, Herr Professor. Also auf später!« Er begann nervös seinen Zwicker zu putzen, und zuckte dabei immer wunderlich mit dem einen Augenlid.

»Dann fehlt nur noch ein Erzähler«, sagte der Dichter, denn der Musiker sprach uns durch sein Instrument, und wir danken ihm dafür.« Er wandte sich an den Soldaten, der mit dem Musiker gekommen war. Sein Gesicht war sehr bleich, oder schien es nur in dem fahlen Licht so? Eine hohe feingemeiselte Stirne mit zarten, blauen Schläfenadern, wie Kinder sie haben, hellblondes, weiches, langsträhniges Haar, glatt zurückgestrichen. Seine Hände lagen auf den Knieen, schmale braungebrannte Hände, und seine Augen senkten sich, als alle ihn erwartungsvoll anblickten, und mit fast widerstrebender Stimme begann er:


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