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Die Schuldige.

Lukrezia war eine Kinoschauspielerin. Hochgewachsen und sehnig, wettergebräunt, dunkel, mit schwarzen glatten Haaren, tiefliegenden Augen, großem rotlippigem Mund mit starken weißen Zähnen und der ungeheuren Beweglichkeit und Ausdrucksfähigkeit ihrer Züge machte sie einen dämonischen Eindruck. Sie schien einer fremden Rasse anzugehören, einer Rasse, die mit dem Teufel Bündnisse schloß und dadurch übermenschliche Kräfte hatte. Ihre langfingrigen harten Hände sahen aus, als würden sie nie loslassen, was sie einmal ergriffen hatten, und sie zeigten den Ausdruck eines Willens, der Gewissensbedenken nicht kennt, nur sich selbst und den aufschießenden gewaltigen Feuerstrahl seines Begehrens.

Lukrezia gewann einen Musiker lieb, der in allem ihr Gegenbild schien: blond mit reinen Zügen und weltfremden Augen. Die geschmeidige Gestalt nur mittelgroß, die Hände weiß, schmal, empfindsam, echte Musikerhände, dabei von frauenhafter Reinheit. Sein Spiel war wie er selbst: klar, lauter, nichts Dämonisches, eher etwas Engelhaftes.

Diese verklärte Menschlichkeit, ihrer eignen so wesensfremd, zog sie an wie etwas, das sie Jahre ihres Lebens als Notwendigstes gesucht, nachdem sie gehungert und gedürstet hatte, das sie als Ergänzung ihrer Natur so unbedingt brauchte, daß sie den Pfeil ihrer Sehnsucht über sich hinaus schoß und ihr ganzes wildes Ich diesem Du entgegen schmachtete.

Sie hatte ihn zum erstenmal gesehen, als er in einem Konzert die Geige spielte. Sie war eigentlich nicht musikalisch im gewöhnlichen Sinn, aber die Musik Fridolins sank ihr zutiefst ins Herz, keine Kammer war ihr verschlossen, kein Zugang ihr versperrt. Lukrezia ergab sich widerstandslos diesem Werben um ihre Seele. Sein Bild brannte sich so in sie ein, daß ihre Bewegungen unwillkürlich den seinen ähnlich wurden, daß ihre Seele der Spiegel der seinen war und sein Bild zurückgab.

Nach dem Konzert fanden sich die Künstler noch zusammen, und Lukrezia, die einige kannte, war dabei. Sie sah an diesem Abend niemand als ihn. Sie war so hingenommen von seiner Person, daß sie kein Wort hörte, das er nicht sprach, keinen Menschen beachtete außer ihn. Speise und Getränk standen unberührt vor ihr, und als jemand sich wunderte, daß sie nicht aß, antwortete sie wie im Traum: »Ich habe eine Speise, da wisset ihr nicht von.«

Diesem biblischen Zitat, das man aus ihrem Mund nicht gewohnt war, folgte eine kleine peinliche Stille, bis ein Spaßvogel einen Witz über ihre plötzliche Bibelkenntnis machte und Gelächter das Schweigen wegwischte. Nur Lukrezia blickte erstaunt auf, sie hatte die Worte, die irgendwie in ihr geschlafen hatten, ausgesprochen, ohne ihren Ursprung zu kennen.

Da begegneten ihre verwirrten Augen, in denen eine heiße Flamme schmerzhaft brannte, dem klaren Gesicht des Geigers, der sie nun zum erstenmal mit Bewußtsein erblickte. Sinnend lehnte er den Kopf an die Sesselwand und gab sein Gesicht willig ihren flehenden Blicken hin. Er fühlte ihre Not und ihr Aufgewühltsein, ihre Fassungslosigkeit, und unwillkürlich neigte er sich helfend zu ihr. Kann man Bittende leer lassen, Dürstende nicht tränken, Verzweifelte nicht stützen? Ohne zu überlegen, was er tat, reichte er ihr sein von Kälte beschlagnes Glas hinüber und sagte: »Trinken Sie!«

Und sie trank und gab es ihm zurück. Sie fühlte, daß hinter dieser alltäglichen Handlung ein tiefes Symbol stand, und erschauerte.

Eines Tages erfuhr sie, daß er verheiratet war. Noch mit keinem einzigen Gedanken hatte sie eine solche Möglichkeit gestreift. Die Tatsache zerschmetterte sie. Als sie es erfuhr, schloß sie die Türe ihrer Wohnung zu und legte sich am hellen Tage ins Bett, denn sie fühlte dieses Verzichtensollen wie einen leiblichen Tod, der sie einfach zerschlug. Nachdem sie viele Stunden in einer Agonie gelegen hatte, in der alles Leben sich aufzulösen und auseinanderzufallen drohte, verfiel sie endlich in einen zwanzig Stunden andauernden Schlaf, aus dem der jubelnde Gesang einer Amsel sie weckte, deren Lied durch die dichtgeschlossenen Laden fiel.

Da ballte ihr Wille sich aufs Neue zusammen, sie preßte die Zähne aufeinander und krampfte die starken Hände zu Fäusten. Als sie in ihrem weißen Nachtkleid, über das die schwarzen Haare herunterhingen, am Spiegel vorüberging, erschrak sie vor ihrem eigenen Bilde. Wandelte sie nicht so als Mörderin in dem Film. »Der Dämon« über die Leinwand?

Als Mörderin! Der Gedanke durchschlug sie; der tödliche Schmerz um Fridolin vermählte sich ihrem heißen Lebensdrang, der nur das eigene Ich fühlte und nichts sonst, und die Gewohnheit, menschliche Leidenschaften bis zum Verbrechen darzustellen und in sich zu gestalten, bot ihrer Phantasie berauschenden Trank.

Sie erfuhr eines Tages, daß Fridolins Frau lungenkrank sei; nicht sehr, aber doch geschont werden müsse. Er selber teilte es ihr in leiser Betrübnis mit, als sie ihn nach ihr fragte. Sie schloß die Augen, daß er den aufflammenden wilden Gedanken nicht sehen sollte, der sie durchzuckte. Er wunderte sich über dies rätselhafte Gesicht, das in einem Gemisch von tiefem Leid und grausamer Härte sich vor ihm zu verschließen suchte.

»Ist Ihnen nicht wohl?« fragte er endlich scheu.

Sie schüttelte den Kopf und öffnete langsam, wie erwachend die Augen. Dann sah sie ihn in dunkler Trauer und heißer Hingegebenheit an, daß er erschrak und ihren Blick nicht aushielt.

Lukrezia begann Zauberkünste zu üben. Sie verschaffte sich ein Bild der Frau und ihre Handschrift, ließ um Mitternacht den siderischen Pendel über ihr Kreisen und triumphierte in wilder Freude, als er nur in schwache Schwingung geriet, die ein Zeichen von mangelnder Lebenskraft war.

Sie stellte sich abends auf ihren Balkon unter den Sternenhimmel, streckte die Hände aus nach der Gegend, in der Fridolin wohnte und sandte den Feuerstrahl ihres frevelnden, tötenden Willens wie einen elektrischen Strom aus den gespreizten Fingern. Dabei murmelte sie Bannflüche von wilder poetischer Schönheit und zermalmender Wucht, wie wenn sie die Priesterin eines zerstörenden Gottes in einem barbarischen Volk der Vorzeit gewesen wäre.

Und sie fühlte, wie ihre Macht über die Frau mit ihrer Leidenschaft für den Mann wuchs, wie eine Verbindung sich zwischen ihnen herstellte, die die leidende Frau erbeben ließ, wenn sie Lukrezia auf der Straße begegnete, oder wenn die geheimnisvoll gebietenden Augen in Konzerten ihr bleiches Gesicht durchwühlten. Dann gingen fieberhafte Angstschauer über die Gequälte und Lena spürte den Willen, der sie machtvoll umklammerte, dem sie immer mehr verfiel, gegen den sie sich mit ihrer letzten verflackernden Kraft wehrte. Aber es gab kein Entrinnen für sie. Sie barg sich bei ihrem Mann, der sie mit sanfter Güte in seine Arme nahm, aber der kein Wall war, sie zu schützen vor den Todespfeilen der Nebenbuhlerin, und der ihre Klagen für irre Fieberphantasien nahm. Sie schlüpfte in dämmernde Kirchen und flehte auf den Knien um die Gnade des Lebens, aber sie stand leer auf, denn sie sagte nicht. »Ja« zu ihrem Schicksal.

Lukrezia fühlte keinen Haß gegen diese Frau, eher ein leises Bedauern, das aber stets überrannt wurde von den daherstürmenden Rossen ihres Begehrens und ihrer Leidenschaft.

Eines Tages gab Fridolin ein Konzert, das als eines der musikalischen Ereignisse des Winters angesehen wurde. Lukrezia saß wie immer in ihrer Loge, ganz vorn, düster wie eine Rachegöttin der Nacht. Ein schwarzes, eng anliegendes Kleid verstärkte diesen Eindruck noch mehr. Ihre Augen waren starr, blicklos, mit innerer Zusammengerafftheit der Seele. Wenn Fridolin aber spielte, schmolz dieses Angesicht bis zu Tränen; die Muskeln entspannten sich, wie wenn eine weiche zärtliche Hand darüber gestrichen hätte, es fing an zu leuchten in himmlischer Klarheit. Es war eines Engels und eines Teufels Angesicht zu gleicher Zeit. Niemand sah diesen Wechsel in den bewegten Zügen, den Kampf, den Licht und Dunkel um diese Seele kämpften.

Fridolins Frau hatte diesen Abend sich abgerungen. Trotz Körperschwäche und tiefster Seelenangst hatte sie sich hergeschlichen und saß nun wie eine bleiche gebrochene Waldlilie hinter einer Säule und kämpfte mit Gefühlen der Ohnmacht und des Sterbens. Wenn Fridolin spielte, wich die Angst von ihr, dann atmete sie in seinen Tönen, badete sich im Licht seiner Augen, fühlte sich seinem Herzen nah, von dem ihr Kraft kam, denn sie liebte ihn mit der ganzen Inbrunst der vom Tode Gezeichneten. Aber wenn der letzte Ton verhallte, kämpfte sie wieder mit gerungenen Händen und schweißbedeckter Stirne, über deren Todesblässe sich eine kunstvolle Frisur kräuselte, mit ihrer Angst und dem Gespenst, das ihr auflauerte.

In der großen Pause öffnete sich plötzlich die Türe zu ihrer Loge und Lukrezia stand im Hintergrund, übergroß und übermächtig, mit der geschmeidigen schlangenhaften Gestalt, den begehrenden lebensdurstigen Lippen und den tötenden Augen. Die Kranke erschrak so in ihre tiefste Seele hinein, daß alles Lebensgefühl von ihr wich und sie erbleichend vom Stuhl sank. Eine Flamme des Triumphs loderte über das Gesicht der Kinoschauspielerin, der aber sogleich ein wahnsinniges Erschrecken folgte. Sie fing die Sinkende in ihre Arme auf und trug sie hinaus; sie bettete sie mit fast mütterlicher Sorgfalt in einem Nebenraum aufs Sofa, benachrichtigte den Gatten und bestellte ein Auto.

Die Ohnmächtige konnte nicht ins Leben zurückfinden. Lukrezia stand vor ihr mit der reuigen Miene eines Kindes, das ein köstliches Gefäß zerschlagen hat. Und doch – sie konnte es nicht ungeschehen machen und wollte es nicht. Angst, Trotz, Schmerz und wilder Triumph mischten sich in ihrem Gesicht, und sie blickte nur scheu nach der blonden schwachen Frau mit den verwischten Zügen, deren Bedeutungslosigkeit vom Leiden geadelt wurde.

Mit ihren hart zugreifenden Händen zwang sie sich linde die bleiche Stirne mit Wasser zu netzen. In diesem Augenblick trat Fridolin ein, sah die Geste schwesterlicher Barmherzigkeit, wie sie der Leidenden beistand, und zum erstenmal erwachte sein Vertrauen in den Menschenwert Lukrezias. Leise tauschten sie Rede und Gegenrede, er faßte ihre Hand und drückte sie dankbar; dann meldete ein Diener das vorgefahrene Auto, und die beiden trugen die leichte Gestalt Lenas hinein.

Lukrezia fuhr mit. Ein brausendes Meer widersprechender Gefühle schlug über ihr zusammen, sie verlor die Klarheit über ihr Empfinden, gab sich keine Rechenschaft mehr. Im engen Raum des geschlossenen Wagens mengte sich ihre Atmosphäre mit der des Geliebten und der Verfolgten zu einer betäubenden Mischung, die sie ganz krank und kraftlos machte. Sie konnte fast dem Zwang nicht entgehn laut zu weinen. Fridolin sah ihre Bewegung und streichelte tröstend und dankbar über ihre Hand. Da schrie es auf in ihr, und sie grub die Nägel ihrer Finger in die Handflächen, um den Schmerz abzulenken.

Als sie im grellen Licht der elektrischen Bogenlampe Fridolins Frau heraushoben, schlug diese plötzlich die Augen auf und sah Lukrezia an. Ohne Schrecken, aber mit einem so gebietenden und wissenden Blick, daß die Schauspielerin ihn nicht ertrug.

»Was du tun willst, das tue bald.«

Lukrezia wußte nicht, ob die Kranke diese Worte gesprochen hatte, ob sie in ihrer eignen Brust erwacht waren. Die Selbstbeherrschung verließ sie, und aufschluchzend warf sie sich in den Wagen, der sie in ihre Wohnung brachte.

Von Lukrezia war seit diesem Abend die dämonische Kraft gewichen; sie wartete in geheimer Angst und dumpfer Sehnsucht, daß eine andre Hand als ihre eigne nun ihr Schicksal lenke und ihre Zukunft füge.

Fridolins Frau verlosch wie ein Licht verlöscht, das seinen Brennstoff aufgezehrt hat. Aber da Lukrezia sie losgelassen hatte, wurde ihr Sterben sanft. Es schien ihr wie ein böser Traum, daß sie diese Frau gefürchtet hatte, und sie vergaß in hinschwindender Schwäche die Lähmung, die von ihr auf sie übergegangen war.

Nun war Lena tot und für Lukrezia war die Bahn frei. Sie zwang sich zu vergessen, welchen Anteil sie an diesem Tode hatte; wie sie die Macht ihres gewaltigen Willens mißbrauchte, um das schwache Lichtlein zu ersticken, wie sie Tag und Nacht sie nicht losgelassen hatte, wie einen Raub in Adlersfängen, und sie mitriß dorthin, wo sie sie haben wollte.

Fridolin fand Lukrezia von nun an häufig an seiner Seite, und sie ward ihm lieb. Das Unheimliche, Verschlossene ihres Wesens schien ihm rätselvolle Tiefe, das Dämonische Genialität, und ihre leidenschaftliche Liebe, die sie ihm nicht verbergen konnte, lockte ihn an, wie ein Urerlebnis des Menschen, das ihm bisher vorenthalten geblieben war. Lukrezia fragte nicht nach einer Ehe mit ihm, sie wollte nur seine Person, ganz, ungeteilt, so wie die ihre ihm verfallen war. Jede menschliche, gesellschaftliche Einrichtung schien ihr schwächlich, ärmlich, fast lächerlich in ihrer Primitivität gegen das, was sie an Fridolin band, und wie sie diese Verbindung erlitt. Ja, es war ein Erleiden, das fühlte sie. Was zuerst teuflische Aktivität gewesen war und selbstverständlicher Glaube an ihr Recht, hatte sich gewandelt seit dem Tod der Frau in zitternde Erwartung vor einem vernichtenden Schicksal. Und je inniger sie seine Gegenliebe wachsen fühlte, und je tiefer sie in die Reinheit und Klarheit seines Wesens eingetaucht wurde, um so unsicherer, um so hilfloser wurde sie.

Sie gab ihren Beruf auf, denn sie konnte sich nicht mehr in fremdes Tun, Erleben und Fühlen hineinversetzen. Sie lebte nur noch ihrer Liebe und Fridolin, alle andern Menschen waren versunken, und sie war so in ihn hineinverflochten, daß alles andre ihr fremd erschien und fern rückte.

Eines Tages wanderten sie zusammen im Hochgebirge. Fridolin war von aufglühender Fröhlichkeit, Lukrezia ging innerlich gebeugt unter der Last ihrer Schuld; und je heiterer er wurde, je inniger sein Blick ihr Angesicht suchte, um so gewaltiger riß sie sich zusammen, daß die Verzweiflung nicht aus ihr brach wie ein unterirdisches Feuer.

Der Pfad war steil. Er ging bald durch blumige Matten, bald über Geröll. Alpenrosen nisteten in Felsspalten, und ihre roten Glöckchen glühten in der Sonne. Weiß und gebietend hoben sich scharfgezackte Firne und Gletscher vom hartblauen Himmel, an dem majestätische Wolkengebilde dahinglitten. Es roch nach würzigem Alpenheu und reifen Erdbeeren. Kuhglocken von fernen Herden klangen durch die Stille. Manchmal tönte das Rollen einer Lawine, die die Sonne gelöst hatte, wie grollender Donner durch den Mittag. Die Erde war vollkommen wie am ersten Tag, und alles schien Fridolin fern, was nicht Hingabe an die Natur war, und an das Glück, das sie gab.

Er wandte sich um und reichte Lukrezia die Hand; sie war zurückgeblieben, als der Pfad mühsam wurde. Nun stand sie vor ihm, schwer atmend, mit glühenden Wangen, in den mächtigen Augen ein hüllenloser Blick der Hingegebenheit, und um den Mund ein zuckendes Lächeln, das fast wie beginnendes Weinen aussah.

»Lukrezia«, sagte er erschüttert.

Sie sah ihn stumm an. Er nahm ihren Arm und behielt ihre Hand in der seinen. Sie fühlte seine körperliche Nähe, an der sie schmolz.

»Warum verschließest du dich vor mir?« fragte er leise.

»Tue ich das?« erwiderte sie schwer.

»Ja, ich fühle, daß etwas zwischen uns steht, uns trennen will.«

Sie erschauerte. »Das steht zwischen uns, daß ich deiner nicht wert bin.«

»Ach du«, rief er stürmisch, »wer ist der Liebe wert? Bin ich es denn?«

»Ja, du bist es«, sagte sie traurig.

»Ich weiß doch, daß du gut bist«, tröstete er.

»Ich bin nicht gut Ich weiß nur, daß ich dich liebe, und daß ich nichts anderes mehr tun kann als dies. Ich weiß nicht mehr was gut und böse ist, ich bin nicht mehr mein eigen, denn ich habe meine Seele an dich verloren.«

»Und was kann ich dir dafür geben?« fragte er erschüttert.

»Liebe mich! Nie kann man Liebe anders vergelten, als durch Liebe.«

»Lukrezia, ich liebe dich, und ich meine, ich hätte noch nie geliebt vor dir!«

Ein Schrei erstickte in ihrer Kehle. »So laß mich deine Liebe fühlen«, flüsterte sie heiß und neigte den begehrenden Mund dem seinen zu.

Blumen und Gräser schlugen über ihnen zusammen, Alpenrosen standen zu ihren Häuptern und rührten ihre Wangen, Latschenkiefern säumten den Platz und schlossen einen magischen Zauberring um die Liebenden. Sie lag mit geschlossenen Augen in seinem Arm, an seinem Herzen und seine Augen lächelten zärtlich über ihr.

»Geliebte«, sagte er innig, »mein Weib!«

Da entstellte plötzlich eine scharfe Pein Lukrezias Gesicht. Sie schlug die Augen auf, in denen eine Nacht von Qual dunkelte. Und dann war's ihr, als ob ihre verloren gegangene Seele wieder zu ihr zurückkäme, als ob sie wie ein weinendes, bittendes Kind vor der Türe stünde und um Einlaß bäte. Sie wehrte sich dagegen.

»Ach nein!« rief sie, »ich kann ja nicht!«

»Was kannst du nicht, Geliebte? Sage mir doch, was dich quält.«

»Ich kann die Kluft nicht ausfüllen zwischen mir und dir, wenn ich dir nicht die Wahrheit sage.« Zäh entwand sie sich seinen Armen und richtete sich auf. »Deine Liebe habe ich mir erschlichen, ich habe dich betrogen, ich bin die Mörderin deiner Frau. Durch meinen Willen starb sie. Du kannst, du darfst mich nicht lieben. O Gott!«

Fridolin erbleichte. Er wußte um die Angst und Abneigung seiner Frau. »Lukrezia!« rief er entsetzt, »du fieberst, ein Wahn faßt dich!«

»Kein Wahn! Ich bin eine Mörderin, aber ich liebe dich, und ich werde an dieser Liebe sterben, wie Lena daran starb.«

»Und warum sagst du mir das jetzt

Sie sah ihm gerade und fest in die Augen, und es begann etwas in ihnen zu leuchten, was er noch nie gesehen, etwas Starkes, Himmlisches.

»Ich liebe dich so, du Guter, Reiner, daß ich kein Verbrechen scheute und keinen Tod, damit du mein würdest. Aber nun fühle ich: nie kannst du so in der Tiefe mein werden wie mich's verlangt, denn ich bin eine Sünderin. Habe ich einst die Sünde nicht gescheut, so will ich jetzt auch das Leid nicht scheuen und fern von dir büßen, daß ich dein Leben einer anderen entriß. Büßen mit jedem Blutstropfen und tausend Tode sterben im Fernsein von dir.«

Sie stand vor ihm groß und dunkel gegen den strahlenden Himmel, und er konnte kein Wort sagen. Nur einmal gingen seine Augen über sie hin, und das war wie eine Verzeihung. Da stieg sie hinauf durch die Matten, und die Blumen bewegten sich unter ihren Füßen. Fridolin sah sie niemals wieder.


Einen Augenblick war alles still; der Dichter fuhr sich ein wenig hilflos durch sein langsträhniges Haar, dann nahm er die Brille ab und putzte sie umständlich.

»Ihre Geschichte ist furchtbar und wahr!« rief Eva, »ich fühle es ja, daß die Macht liebender Gedanken ohne Grenzen ist, so muß auch die Macht hassender Gedanken schrecklich sein?«

»Ohne Grenzen ist wohl zu viel gesagt«, meinte der Psychiater bedächtig, »aber jedenfalls geht sie viel weiter, als der brave Spießbürger des zwanzigsten Jahrhunderts es sich träumen läßt. Aber ob so etwas möglich ist, wie Sie es hier schildern?«

»Man muß dem Dichter auch gestatten, die Möglichkeiten des Geschehens über das Ziel hinauszuschleudern«, verteidigte der Student.

»Die Macht der Gedanken überhaupt, nicht nur der liebenden und hassenden, ist viel größer, als wir denken«, sagte der Dichter, ohne auf den Einwurf einzugehn. »Ich hatte eine Freundin, sie starb vor einigen Jahren; sie war ein edler vornehmer Geistesmensch. Wenn man sie ansah, fühlte man, daß von ihr nur Gutes, Reines ausgehen konnte. Wenn ich nur ihr Zimmer betrat, fühlte ich mich sofort eingeordnet in eine höhere Welt. Sie konnte abwesend sein, das tat nichts zur Sache, ihr Wesen, ihre Gedanken lebten in dem Raum. Das Zimmer war sehr einfach, gar nicht stilvoll, denn sie war arm. Die Möbel zufällig und ohne besonderen Reiz, aber die ganze Atmosphäre war so durchtränkt von ihrer reinen und feinen Geistigkeit und so von Liebe durchweht, daß ich mich nie mehr in einem Raum so wohl gefühlt habe, wie in diesem. Und das kam nur von der Macht der unsichtbaren Gedanken her, die in diesem Raum gedacht wurden und ihm eine Seele gaben.«

»Daß aber auch böse Gedanken solch eine Macht haben sollen, das ist furchtbar und unheimlich zu denken«, sagte Gabriele schaudernd.

Der Graf verzerrte sein Gesicht zu einem Lächeln, vor dem die junge Frau zurückschreckte. »Fürchten Sie sich nicht, gnädige Frau, die zahmen Gedanken unsrer lieben Zeitgenossen sind kaum so mächtig, wenn sie nicht gerade aus der teuflischen oder göttlichen Glut eines leidenschaftlich wollenden Herzens geboren werden. Und solcher gibt es nicht viel.«

»Allerdings nicht«, sagte der Student, »und das ist zum bejammern. Nicht einmal gehorsame Herzen findet der göttliche Impuls, geschweige denn solche, die Macht haben. Alles ist zum Ausspucken …«

»Weil Euch die Liebe fehlt«, sagte der Priester. »Ihr seht nur noch das Kleine, Erbärmliche, Hassenswerte. Jesus hatte den Blick der Liebe, der im gesunkenen Menschen noch die göttliche Idee erkannte und liebte.«

»Es ist manchmal leichter, im Gesunkenen die Idee Gottes finden, als im Spießbürger«, murrte der Student.

»Da haben Sie recht«, gab der Priester zu, »Jesus konnte auch mehr mit den Sündern anfangen, als mit den Gerechten.«

»Weil sie Sehnsucht hatten«, sagte Magelone schüchtern, »und die andern so gar satt sind.«

Ottokar sah sie freundlich an und seine Augen bekamen ein warmes Leuchten. Er streckte fein? Hand aus, und Magelone legte die ihre hinein, und sie fanden es selbstverständlich, so Hand in Hand zu sitzen, wie zwei Kinder, die sich im Dunkeln fürchten und sich durch das Zusammensein gegenseitig Mut machen.

»Aber was bei Ihrer Geschichte so besonders ergreifend ist«, sagte die Mutter, »das ist doch, daß das Gute, die Liebe, schließlich siegt. Weil Lukrezia ihr Herz ganz der Liebe hingibt, reinigt diese Liebe den ganzen Menschen.«

»Solche Dinge kommen häufig vor«, versicherte der Jude. »Gefallene Mädchen erheben sich aus dem Schmutz, sobald sie lieben. Und sie empfinden sich auch als rein geworden. Fühlen wir uns alle, wenn wir lieben, nicht besser, reiner, stärker?«

Ottokar drückte leise Magelones Hand.

»So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung«, sagte nachdenklich der Priester.

Eine Pause entstand, man hörte eine Glocke Mitternacht schlagen.

»Es ist wohl Zeit zur Ruhe zu gehn«, sagte Maria. »Draußen ist es still geworden und unsre Kerze ist niedergebrannt.«

»Ach, wer schlafen könnte«, seufzte Magelone. Ottokar faßte ihre Hand fester. Zeder suchte sich seinen Platz auf den Matratzen und dem spärlichen Stroh, das in einer Ecke aufgeschüttet lag, dann löschte Maria wie eine sorgliche Mutter das Licht und legte sich neben das junge Mädchen.

Auf der Straße war es ganz still, und die Dunkelheit war so dicht in dem unterirdischen Raum, daß sie fast körperlich wirkte. Der Priester murmelte endlose Gebete; man verstand seine Worte nur halb, aber sie legten sich wie ein Gespinst von Goldfäden über die Ruhenden, sie rieselten wie kleine weiße Perlen über sie hin, nach denen sie mit müden Händen griffen, ohne sie fassen zu können. Aber es war schön, dazuliegen und über sich beten zu lassen. Wie wenn man wieder ein Kind geworden wäre. Und die Gedanken gingen zurück, tasteten nach Vater- und Mutterhänden, die lange schon im Staub zerfallen waren, und die doch irgendwo noch eine geistige Existenz führten und sich aus höheren Ebnen nach ihren Kindern streckten, um ihnen zu helfen.

Magelone hatte die schweren Zöpfe gelöst, die sie drückten, und schloß die Augen, aber sie konnte nicht schlafen mit den vielen Menschen zusammen. Sie erregten und bedrückten sie. Und doch war sie so müde von Kummer, Sehnsucht und Angst. Unruhig warf sie sich zur Seite, daß das Stroh unter ihr rauschte und seine Halme wie Spieße gegen sie streckte. Sie hätte sich am liebsten wie ein kleiner Vogel unter starke Flügel geborgen, ihr Herz an ein liebendes Herz gebettet, das zu ihr gehörte, Sie sehnte sich nicht mehr. »Ich« zu sein, nur noch. »Du«. Und in großem Liebesweh rannen Tränen über ihre Wangen und tropften in das dürre Stroh. Sie weinte ganz leise, niemand konnte es hören, trotzdem fühlten es ihre Nachbarn. Es streckten sich zwei Hände nach ihr aus; die alte Frau streichelte leise ihre feuchte Wange, Ottokar legte den Arm unter ihren Backen und bettete ihren Kopf an seine Brust. Da lag sie nun wie eine hingewehte Blume, die den Starken mit zarten Fäden umrankt, aus ihm Kraft saugt, sich an ihm festhält. Und Marias Hand blieb auf ihrer Stirne liegen und schien Segen auszuströmen.

Die Tränen des Mädchens versiegten. Der Arm, der sie so brüderlich umfing, löste alles Wehe und Einsame in ihr zu süßer Hingegebenheit. Ihre Hand suchte die seine, als dürfe nichts mehr an ihr sein, das nicht von ihm berührt und erfüllt sei.

»Nun schlafe, mein geliebtes Kind«, sagte Ottokar, »Mutter Maria und ich behüten dich.«

»Und es kommt ein goldner Tag, der dir die Freiheit bringt«, flüsterte die Frau, »dann gehst du mit Ottokar in deinen Garten und alles, was darin blüht und wächst, ist euer.«

»Dann singen wir ein Lied in Moll; aber es ist nicht traurig, sondern selig, daß es wie von unsäglichem Glück beschwert wieder wie Schmerz klingt«, sagte Ottokar und legte sein Gesicht an die blonde Haarflechte, die sich im Stroh ringelte.

Immer noch murmelte der Priester und schüttete seine Kostbarkeiten über die Gefangenen. Don Juan stöhnte in seinem Winkel; ihn schienen die sanften feierlichen Worte zu quälen; sein Seufzen irrte zwischen den undurchdringlichen Mauern und fand keinen Ausweg, und die Menschen, die es hörten, verschlossen sich davor. Nur der Jude konnte das nicht, er war so gewohnt, das Leid der Menschen mitzutragen, daß er sich auch hier nicht entzog.

Danach wurde es still. Magelone schlief sanft in Ottokars Arm und verlor auch im Schlaf nicht das Bewußtsein selig-schmerzlichen Glücks, so wenig wie aus Gabrieles Herz das Gefühl und die Sorge für ihre Kinder wich. Der Graf war endlich eingeschlafen und atmete mit offnem Mund in diskreten trocknen Schnarchtönen. Der Dichter löschte sich aus wie ein Licht und lag dann gerade und still wie eine tote Kerze, ohne sich zu rühren.

Der Student schlief überhaupt nicht. Er kroch immer wieder in dem Keller herum, versuchte die Festigkeit der Gitterstäbe und redete heftig und eindringlich flüsternd mit der Wache, die zum Nachsehen kam. Als sich ihm auch dort kein Ausweg eröffnete und der Priester ein Gespräch im Hinblick auf die Schlafenden ablehnte, warf er sich ins rauschende Stroh, biß wütend in die Halme und preßte die geballten Fäuste zornig in die Augenhöhlen, denn er wollte nicht sterben; alles in ihm schrie auf dagegen, jede Faser, jeder Blutstropfen empörten sich in ihm gegen ein sinnloses Schicksal, über das der Glaube ihn nicht hinübertrug.

Die Nachtstunden schlichen vorüber. Durch die kleinen Luken kroch graues Licht und gab den Gesichtern der Schlafenden das Aussehen, als seien sie mit Asche gepudert. Der Student war gegen Morgen in Schlaf verfallen, sein Kopf war von Stroh umstarrt, und er murmelte aufgeregte Worte im Traum.

Als Magelone erwachte, fand sie sich in Ottokars Arm. Eine heiße Röte stieg in ihr Gesicht, aber sie rührte sich nicht. Neben ihr lag die alte Mutter und lächelte sie gütig an. Alle schienen es natürlich zu finden, daß sie hier im Arm der Liebe ruhte und so dem Tod entgegen schlief. Ottokars Augen hatten schon die ganze Zeit auf ihrem Gesicht geruht, während sie noch schlief, und ein Löwenmut, dieses Kind zu retten, um es zu kämpfen, sich das Glück vom Himmel zu reißen, machte des Mannes Herz wilder pochen.

»Hast du gut geschlafen, Liebe?« fragte er heiter, als sie ihn verlegen anblickte.

»Wie könnte ich anders?« lächelte sie, »in deinem Arm? Die habe ich köstlicher geruht.«

»Aber Dein Härlein ist zerzaust.« Er betrachtete mit Entzücken das blonde Gelock, das ihr Gesicht umgab, und strich mit zarten, fast ehrfürchtigen Fingern die weichen Strähnen zurück.

Die Türe öffnete sich und Brot wurde hereingeworfen, so wie man Hunden einen Fraß vorwirft. Als Mutter Maria die Stücke verteilt hatte, faltete der Priester die Hände und betete: »Komm Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.«

Die altvertrauten Worte, in dieser Umgebung gesprochen, berührten wunderlich.

»Bei solcher Mahlzeit Gast zu sein, mag ihm nicht fremd sein«, meinte die Mutter sinnend, »wohl nirgends lädt man ihn inständiger ein, wünscht man seine Gegenwart heißer, als in solcher Lage.«

»Ja«, sagte der Jude bewegt, »und welche Stärkung für alle, die in der Not und Schmach der Gefangenschaft sind, zu wissen, daß sie mit dem besten der Menschenkinder diese Schmach gemeinsam tragen.«

»Es mag das einzige sein, was unschuldig Verurteilte vor Verzweiflung bewahrt«, meinte Ottokar.

Gabriele hatte Magelones Haar gelöst und kämmte es mit einem kleinen Kämmchen, das sie bei sich hatte. Die goldne weiche Flut umgab das Mädchen wie ein schimmernder Mantel und der Mann, der sie liebte, konnte sich nicht satt sehen an dieser Offenbarung der Schönheit. Magelone fühlte ihre Schönheit wie eine Krone und beugte demütig ihr Haupt darunter. Der Student war aufgewacht und starrte sie schlaftrunken an.

»Wer ist das goldne Mädchen? Sind wir schon im Himmel und unter den Engeln des Paradieses?«

Man überließ es ihm selber zur Besinnung zu kommen und zum Bewußtsein der Wirklichkeit.

»Ermuntern Sie sich und essen Sie Ihr Brot«, sagte Gabriele, »Sie sollen uns heute die erste Geschichte erzählen.«

Er sprang auf und fuhr sich mit den Fingern durch die langen Haare. »Ich erzählen? Geschäft für Weiber, Pfaffen, Dichter und Juden. Ich brauche jeden Gedanken, der sich regt und jeden Blutstropfen, der sich bewegt, um auf Bettung zu sinnen. Meine Phantasie kann nur den einen Weg laufen, und sie hat ihn schon ganz hart getreten in diesen Tagen.«

»So soll unser hochwürdiger Herr uns etwas erzählen«, sagte die Mutter ungekränkt.

Der Priester stimmte zu, legte sein Brevier, in dem er gerade gelesen, beiseite und begann:


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