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Die Liebe der Heiligen.

Wir stehen an der Schwelle eines neuen Lebens. Denn auch wenn wir wieder zurückkommen aus diesem Kerker, unser altes Leben ist dahin. Wer von uns ist heute derselbe, der er war, als hier diese Tür hinter ihm zufiel? Und wenn wir jetzt in dieser Dunkelheit und Unsicherheit die Köstlichkeiten unseres Lebens durch müßige Hände gleiten lassen, um uns an seinem Glanz zu erquicken, so kommen wir immer auf zwei Dinge zu sprechen: auf die Liebe und auf den Tod. Wunderlich, daß die beiden sich so nahe sind und scheinen doch die grimmigsten Feinde, die gegeneinander in Waffen trotzen; und wunderlich auch, daß alle von einer Liebe erzählten, die auf Erden keine Erfüllung fand und die doch wie ein Stern in ihrer Dunkelheit stand. Daß wir auch vom Tode reden und von dem, was geheimnisvoll hinter der Schwelle lebt – das ist nicht verwunderlich. Es würde mir schlecht anstehn, wenn ich als Priester in der Asche vergangener Jugendtage wühlen wollte nach den Fünklein, die nicht zur Flamme werden durften. Sie sind untergegangen in dem einen großen heiligen Feuer, und sie sind als Verirrungen ab von der ewigen Liebe durch Gottes Gnade gelöscht und vergeben.

Aber ich erinnere mich einer Erzählung, die mich immer tief bewegt hat, und mich dünkt, sie hat uns in der Lage, in der wir sind, etwas zu sagen.

Im Mittelalter lebte in Siena eine Färberstochter, Catharina Benincasa, eine geistesmächtige, fromme Jungfrau, zum Herrschen geboren, mit heißem Herzen und großem Verstand, die wunderbaren Einfluß auf die Menschen und Schicksale ihrer Zeit gehabt hat, und von der sich Päpste und Bischöfe Rat geholt, und vor der Fürsten sich gebeugt haben. Man kennt sie unter dem Namen der heiligen Catharina von Siena. In ihrem Leben gibt es eine ergreifende Liebesgeschichte. Im Kerker beginnt sie, auf dem Schaffott endet sie; sie währt nur zwölf Stunden und schließt in sich alle Entzückung und Verzweiflung des Menschenlebens, Liebe und Tod. Sie flüchtet aus diesem Leben hinaus in das Land, wo Gott abwischen wird alle Tränen von den Wangen seiner Kinder, sie findet Erfüllung und Vollendung trotz des Todes, der die Liebenden auseinanderreißt. Alle die Liebesworte, die darin gesprochen werden, sind rot von Blut. Eine Ekstase, ein Rausch ergreift die Jungfrau, ihr und des Geliebten Blut und das Blut Christi mischen sich zu einem mystischen Hochzeitsfest, so daß der Tod aller Schrecken entkleidet zur Brautkammer wird, in die sie den Geliebten geleitet.

Also lassen Sie mich erzählen. In Siena hatte das Volk sich erhoben, den Adel verjagt, ihn seiner Güter beraubt, hingerichtet, und regierte nun allein, alle andern Stände grausam unterdrückend. Ein sehr junger Ritter aus Perugia, Nicola Tuldo mit Namen, empörte sich gegen diese Vergewaltigung, und mit aufrührerischen Reden stachelte er seine Standesgenossen gegen diese Schreckensherrschaft auf. Aber er fiel in Siena in die Hände seiner Feinde, die kurzen Prozeß mit ihm machten und ihn zum Tode verurteilten. Der junge Mensch wurde von Verzweiflung erfaßt. Da stand er an der Schwelle des Lebens, voll heißen Dranges, alle Schönheit der Welt an seine Brust zu drücken, voll Sehnsucht, große Taten zu tun. Und die Türe fiel vor ihm zu, er versank in Nacht. Kein Licht, das sänftigend über all die Schrecken floß. Er warf sich auf sein Lager, wühlte den Kopf in das Stroh und weinte bitterlich, wie ein verirrtes Kind, das keinen Ausweg findet. Der Gefängnisschließer hörte ihn draußen schluchzen und kam herein. »Liebes Kind«, sagte der Graubärtige, »ich will Euch einen Priester schicken, der Euch tröstet und mit Euch betet.«

Der Jüngling schnellte hoch und sah ihn zornig an, während seine Augen noch voll Tränen standen. »Ich will keinen Priester!« schrie er. »Kann er mich vom Tode retten mit seinem Plappern? Kann er mein Leben auch nur um einen einzigen Tag verlängern? Was soll mir sein Beten, wenn sein Gott mich ins Grab stößt?« Er breitete die Arme und reckte sie steil empor. »O Licht, o Sonne, du Wonne des Menschen! die Freude und Seligkeit in unseren Herzen entzündet, wie kannst du dein Kind verbannen von deinem Angesicht?«

Und aufs neue warf er sich schmerzbewältigt auf sein Lager. Leise rührte ihn der Wärter an. »Pater Tommaso ist ein guter Mensch.«

Nicola blickte auf, von jäher Hoffnung erfaßt.

»Wird er meine Henker um Gnade für mich anflehen?« Hungrig nach Trost ergriff er diesen Strohhalm. Der Wärter schüttelte bekümmert den Kopf. »Das ist ihm versagt.«

»So werde ich ihn anspeien, wenn er mit leeren Worten zu mir kommt.« Und plötzlich, weich wie ein Kind: »Alter Mann, hast du auch einen jungen Sohn? Denke, wenn sie ihn dir entrissen, wenn er nie wieder deine Hand ergriffe, dir zulächelte, wenn sie ihn zum Tode schleppten, zum Tode …« Er umklammerte des Alten Hand und seine starren Augen flehten.

Der Alte räusperte sich und klopfte dem Jüngling beschwichtigend auf die Schulter. »Ich schicke Euch die Benincasa.«

»Die Benincasa? Wer ist das?« Wegwerfend: »Soll mir ein schönes Weib vorgesetzt werden in der letzten Nacht wie eine Henkersmahlzeit?«

Der Alte bekreuzte sich erschrocken. »Ihr lästert mein Kind, Catharina Benincasa ist die Heilige von Siena. Wenn eine Euch helfen kann, so ist's diese.«

»Ein Weib?« Er schürzte trotzig den Knabenmund, um den noch kaum der Bart sproßte, und der Wärter entfernte sich mit behenden Schritten.

Es ging schon gegen Abend. Durch das hochgelegene vergitterte Fenster schien die Abendröte und vergoldete die graue Kerkerwand. Bon den Türmen läuteten die vielen Glocken das Angelus, es war ein heiteres geschwätziges Gebimmel, nur die Glocke des Domes hatte einen tieferen Klang und schwang feierlicher. Durch das offene Fenster kam der Duft blühender Kastanien, und eine honigtrunkene Hummel, die sich hereinverirrt hatte, suchte aufgeregt brummend den Ausgang.

»Bist du auch gefangen!« rief Nicola von Mitleid mit dem Tier bewegt und half ihr ins Freie. Wie er noch so stand und mit brennenden Augen der Davonfliegenden nachsah, fühlte er plötzlich, daß er nicht allein sei. Die ganze Atmosphäre erschien ihm verändert, und als er sich umdrehte, sah er eine Jungfrau vor sich stehen. Sie trug einen schwarzen Mantel über dem weißen Untergewand. Hoch und schlank gewachsen, die blonden Haare vom Schleier bedeckt, schien sie die Düsterkeit des Kerkers zu erhellen, denn ein Glanz ging von ihr aus.

Nicola stand wie gelähmt und fühlte seinen Trotz dahinschwinden, als er in das lichte, von Liebe und Reinheit strahlende Gesicht sah, aus dem die blauen Augen voll Sanftmut und Geistesklarheit ihn frei anblickten.

»Friede sei mit dir, lieber Bruder«, grüßte sie.

Ihre Stimme klang ihm süß. »Du kommst zu mir?« murmelte er befangen und empfand ihre seelische Schönheit so tief im Herzen, daß er vergaß, was sie herführte.

»Ich komme zu dir, mein Bruder, weil Petruccio mich wissen ließ, daß du meiner bedarfst.«

Da fiel die schreckliche Gegenwart mit Keulen über ihn. »Und ob ich deiner bedarf!« Er stürzte vor ihr auf die Knie. »Sie werden mich töten, Catharina Benincasa, o ich bin noch so jung! Bor einem Jahr erst gürtete mich der Vater mit dem Schwert. Nie hab ich Weibesliebe kennen gelernt, in keiner Schlacht noch die Waffe geführt. Ich kann doch nicht sterben!« Er sah flehend zu ihr auf. »Bist du gekommen, um mich zu retten, O lieblicher Engel, erbarme dich!« Heiß bittend umklammerte er ihre Knie und preßte sein Gesicht in die Falten ihres Kleides.

»Ja, ich bin gekommen, dich zu retten«, sagte Catharina, und strich leise mit den blassen Heiligenhänden über seine wirren Haare, in denen die Verzweiflung gewühlt hatte.

Er hielt der zarten Berührung schauernd stille und sein Herz sank anbetend in Dankbarkeit zu ihren Füßen.

»Über deinen Leib habe ich keine Macht, aber deine Seele hat Gott in meine Hände gegeben«, fuhr die Jungfrau mit sanfter Stimme fort. Er sah sie an wie im Traum. »Meine Seele ist in deinen Händen? In deinen lieben Händen? Ach, wie schön!«

Langsam erhob er sich und sein Auge sank in das ihre. »Was willst du mit meiner befleckten Seele machen, die du in deinen reinen Händen hältst?«

»Ich will sie hinauftragen zu meinem süßen Erlöser, daß er sie mit seinem Blute reinwasche.«

Bei dem Wort Blut zuckte Nicola zusammen, die Schrecken des Todes erfaßten ihn wieder. »Weißt du, daß ich sterben muß?«

Sie nickte traurig.

»Was habe ich denn getan? Mich mit Worten gegen unerhörte Gewalt gewehrt! Gibt es denn keine Gnade?«

»Nicht bei den Menschen. Gott aber will dich mit seiner Gnade überschütten, in Seligkeit tauchen, mit seiner Liebe dich einhüllen.«

»Ach«, sagte der Jüngling mutlos, »ich weiß so wenig von Gott; wenn du ihm gleichst, könnte ich ihm vertrauen.«

»Du armes Kind!« rief Catharina eifrig. »Ich ihm gleichen! Ich bin nur ein Fünklein aus seiner Feuersglut, ein dünner Strahl aus seinem Glanze, ein Tropfen aus seinem Liebesmeer.«

»Und bist so herrlich, daß ich nichts sehen und hören möchte als dich!«

In Catharinas weißes Gesicht stieg eine zarte Röte. Sie sah den hingerissenen Jüngling freundlich an. Sein Gesicht war von edler Bildung, die Rase kühn gebogen, die dunklen Augen voll Feuer, der Mund zärtlich und trotzig zugleich. Wirre schwarze Haare fielen in Locken auf ein ritterliches Gewand. Eine große Trauer überschattete sie, daß diese blühende Jugend dem Tode verfallen war; sein Anblick rührte ihr Herz, wie noch nie eines Mannes Anblick sie bewegt hatte. »Wie wenn ich seine Mutter wäre«, dachte sie, »und bin doch nur wenige Jahre älter als er.«

Sie faßte ihn bei der Hand und zog ihn zu der Bank, die an der Kerkerwand stand. »Setze dich zu mir, ich will dir von Gott reden und von meinem Bräutigam, dem süßen Jesus Christ.«

Ein scharfer Stachel der Eifersucht fuhr durch Nicolas Herz.

»Deinem Bräutigam?«

Catharina hob die Augen in Ekstase. »Ich habe mich ihm verlobt und werde keinem Manne je angehören.«

»Und – darfst du mich nun gar nicht lieb haben?« fragte er kindlich. »In deinem Anblick, in deiner Liebe ist all mein Trost beschlossen. Nein, laß mich nicht sitzen neben dir, das gebührt mir nicht. Laß mich vor dir knien und mein Haupt in deine Hände legen, und dann sprich mit mir, und mache diese Nacht der Schrecken zur lieblichsten Nacht meines Lebens.«

Das Abendrot verblich und ließ die Kerkerwände grau und düster wie zuvor. Dämmerung senkte sich herab. Nicola merkte es nicht. Seine Augen hingen an Catharinas leuchtendem Gesicht, an diesem Mund, der himmlische Worte des Trostes zu ihm sprach, so daß sein Herz wie mit warmen Wellen überschwemmt wurde. Petruccio erschien mit einer Ampel und entfernte sich wieder geräuschlos. Das einsame Lichtlein zeigte, wie schwarz die Nacht war, und es sammelte all seine spärlichen Strahlen nur auf die Heilige, um sie leuchtend zu machen.

Langsam flossen die Stunden. Zuletzt schwieg Catharina und hielt ihre Hände betend über dem Haupt des Gerichteten; und von ihnen strömte Kraft und Friede auf den Knienden aus und eine Wonne ohne gleichen.

Ihr Herz schmolz in süßem Weh. »Gott hat mich zu dir gesandt«, flüsterte sie, »daß ich dir helfe und bei dir sei. Bald, bald werden wir bei der ewigen Hochzeit sein. Fürchte dich nicht, geliebter Sohn, ich erwarte dich an der Stätte der Gerechtigkeit.«

»Woher kommt mir die Gnade«, sagte der Jüngling hingerissen, »daß du Wonne meiner Seele mich an der heiligen Stätte der Gerechtigkeit erwarten willst?«

»Von Gott, mein Kind. Und ich möchte dich an der Hand nehmen und mit dir vereint in die ewige Herrlichkeit gehen.«

»Ich will voll Kraft und Freude sein und immer nur den einen Namen auf den Lippen haben: Catharina.«

»Ach, mein Kind, was soll dir dieser Name eines schwachen Weibes? Ich will den Namen Jesu auf deine Lippen legen, der heilet alle Wunden.«

Der Tag begann mit grauem Licht den Kerker zu füllen.

Taumelnd erhob sich Nicola von den Knien und blickte nach dem blassen Himmel. Er schauderte fröstelnd.

»Zum letztenmal der Sonne Licht!« Er streckte bittend die Hände nach dem blassen Himmel, und plötzlich fiel noch einmal das ganze Grauen des Todes auf sein Herz. Er begann zu zittern und zu beben und kein Trostwort, das Catharina über ihm sprach, konnte seine Angst wegnehmen.

»Ach, mein Kind«, sagte sie endlich mit Tränen, und breitete die Arme für ihn aus; da stürzte er an ihre Brust. So hielt sie ihn in hingegebener Liebe an ihrem Herzen, bis er in ihre Kraft gehüllt, und von ihr gehalten und umströmt, stark wurde. Die Kerkertüre öffnete sich, und Catharina ließ den Jüngling aus ihren Armen. »Ich gehe jetzt, aber wenn die Glocke läutet, bin ich an der Stätte des Gerichts. Jesus aber ist bei dir.«

»Und Catharina!« rief Nicola, und sein Gesicht glühte. Sie entschwand ihm.

»Soll ich Pater Tommaso rufen? Willst du die heilige Kommunion?« fragte der Schließer.

»Jesus und Catharina«, murmelte Nicola, und Petruccio entfernte sich. Sein helles, runzeliges Gesicht schwamm wie ein gütiges Vaterhaupt im Dunkel des Kerkers. – – –

Catharina erwartete ihren Sohn an der Gerichtsstätte. Menschen drängten sich um den Platz, sie unterschied kein Gesicht, ihr kam nicht einmal zu Bewußtsein, daß Zuschauer da waren; sie war ganz eingehüllt in Liebe wie in einen strahlenden, lichtvollen Mantel, und ihr Herz war zersprungen von der Fülle der Hingebung, die es nicht fassen konnte. Sie wünschte mit Nicola zu sterben. Wie eine Mutter, die versucht, ob das Kissen für ihr Kind weich genug sei, legte sie das eigene Haupt auf den Block, und ihre Augen hingen an dem blitzenden Schwert, ob es nicht herabsausen und sie mitnehmen wolle. Aber es gleißte da oben in der aufbrechenden Sonne und rührte sich nicht. Nun streckte sie betend ihre Hände ihm entgegen, damit es dem geliebten Kinde keine Schmerzen bereite. Sie segnete Block und Schwert mit den Zauberkräften der Liebe, sie überströmte die Erde, die er betreten sollte, sie füllte die Luft, die er einatmen mußte.

Und nun kam er aufrechten Ganges im Glanze seiner Jugend und Schönheit. Sie trat ihm entgegen in jungfräulicher Hoheit und Lieblichkeit. Jetzt zeichneten ihre Finger ihn mit dem Zeichen des Kreuzes. »Gehe ein in das Leben, das nie enden wird!«

»Catharina!« Er sprach den Namen wie ein magisches Wort, in dem der Sieg verheißen ist, und kniete nieder.

Im Volke war es totenstill, nur das Sterbeglöckchen wimmerte hoch in der Luft und klagte über den Dächern der Stadt.

Ihre fraulichen Hände entblößten seinen Hals. Es schienen ihm Liebkosungen zu sein, die er in süßem Weh erlitt. Dann legte er seinen Kopf auf den Bock, der von der Liebe der Heiligen gesegnet war. Sie kniete neben ihm und ihre Hände umfaßten sein Haupt.

»Jesus«, flüsterte sie in heißer Inbrunst.

»Catharina«, antwortete er.

Da fiel das Schwert und ihre Hände hielten betend das gerichtete Haupt. Blut überströmte sie, rotes Blut, heiß von Liebe, Sehnsucht, Jugend, das Blut ihres Kindes, ihres Freundes, ihres Geliebten.

Stumm kniete sie, ihre gesenkten Augen sahen auf seine geschlossenen Lider. Seidig lagen dichte, lange Wimpern auf den Wangen, trotzig wölbten sich die dunklen Brauen über ihnen. Da bettete sie sanft das tote Haupt auf die Erde.

Und nun blendendes weißes Licht. Block und Henker werden davon verzehrt, Menschen und Häuser. Die Armesünderglocke verstummt, aber von allen Türmen läuten die Kirchenglocken, die großen und die kleinen, und der Klang schwebt wie eine silberne Wolke über der Stadt. Da erhebt Catharina die Augen und schaut: Jesus steht vor ihr, öffnet seinen lichten Mantel und schlägt ihn um Nicola, und sein Mund spricht das eine Wort: »Aus Gnade«.

»Jesus!« ruft Catharina in wehem Entzücken.

»Catharina!« antwortet ein Doppelklang.

Da überkommt sie die Ekstase. Sie erhebt sich und breitet die blutigen Hände dem Volke entgegen, das wie eine lebendige Mauer die Richtstätte umgibt.

»O meine Geliebten, badet euch im Blute des Gekreuzigten, sättigt euch an seinem Blute, berauscht euch in seinem Blute, kleidet euch in sein Blut, weinet und freuet euch in seinem Blut, wachset und werdet stark in seinem Blut, vertrauet auf nichts als nur auf sein Blut, das er für euch vergoß!«

Der Priester schwieg. Etwas von der Ekstase der Heiligen zitterte in seiner Stimme nach.


»Ja, die Liebe«, sagte andächtig die alte Frau. »Keiner entgeht ihr, und wehe dem Menschen, der ihr entginge, er würde seelisch ein Krüppel bleiben, selbst eine Heilige.«

»Aber wunderlich, wie sich hier Jesus und Eros in die Herrschaft teilen«, sagte der junge Arzt. Ich liebe da reinlichere Scheidung.«

»Sie sind eben noch sehr jung, lieber Kollege«, meinte der Psychiater freundlich. »Wissen Sie nicht, daß Logos, Ethos und Eros die göttliche Trinität im Menschen bilden? Wie wollen Sie da den Eros vom Logos reißen? Es gibt ganz tiefe Zusammenhänge, die erst dadurch von uns erkannt werden, daß sie durch Krankheit aus dem Gleichgewicht geraten und auseinanderfallen.«

»Aber wir wollen keine Psychiaterdebatte über Liebe«, wehrte der schweigsame Dichter. »Ihr Leute bringt es fertig, die Zärtlichkeit eines kleinen Kindes mit Sexualität in Verbindung zu sehen, und das herrlichste Geschehen und die reinsten und größten Taten aus verdrängtem Zeugungsdrang entstehen zu lassen. Als ob der Mensch nur Körper wäre und Liebe nichts anderes als Fortpflanzungstrieb!«

»Oho«, ereiferte sich der Professor, »das habe ich doch nicht behauptet?«

»Aber viele Ihrer Kollegen tun es, deshalb soll Frau Eva uns von Liebe erzählen, ich sehe ihren Augen an, daß sie tieferes Wissen von Liebe hat, als wir alle zusammen.«

»Lassen Sie mich erst noch eine Geschichte erzählen, die auch von der heiligen Catharina handelt«, sagte der Jude. »Vielleicht wundern Sie sich, daß gerade ich sie erzähle, aber Sie mögen daraus sehen, daß ich Ihnen im Geist verbundner bin als mancher Christ.« Er senkte die Stirne. »Ich habe das Bedürfnis, mich mit Ihnen verbunden zu fühlen«, sagte er leise.

Die Gefangenen kehrten ihre Augen auf ihn und er fühlte das Einssein mit den Genossen des Leides als einen Trost.

»Ich nenne meine Erzählung:


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