Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

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XII

Als wir die graue Heide, den Ort des verweigerten Kusses, verlassen hatten und schweigsam in uns gekehrt nach der festen normännischen Stadt Rouen trabten, trieb uns nach einem warmen, verlängerten Spätherbst eine rauhe Winterluft die ersten Flocken entgegen. Mich drückte der Kummer wie ein zu enger Brustpanzer, denn ich gab die Sache meines Königs verloren, wohl wissend, was ich Herrn Richard nicht verhehlt hatte, daß das an einem Sonnenstrahl der Güte schmelzende Eis der Herzen, von neuer Kälte überfallen, sich zwiefach verhärtet. Mit meinen Augen hatte ich es gesehen, wie der Primas dem Löwenherzen zuliebe sein innerstes Naturwesen hatte zwingen wollen, die Lippen meines Königs zu berühren, und wie er es nicht gekonnt.

Von Dohlen und Krähen umflattert, sprengte Herr Heinrich über das Blachfeld, das sich langsam mit Schnee bedeckte.

Da, an einem Kreuzwege, spornte Herr Richard seinen Falben, den er bei währendem Ritte gegen seinen Gebrauch in den hinteren Reihen gehalten hatte, neben den Berberhengst des Königs und beurlaubte sich von dem Vater mit gesenktem Haupte und, wie mir schien, tiefsinnigen und hinterhältigen Mienen, wie sein tapferes Antlitz sie sonst niemals zeigte. Er schützte ich weiß nicht welche persönlichen Anliegen und Verwickelungen in seiner Grafschaft Poitou vor, und ich verstand, daß er zwar nicht mit den Brüdern gegen den König Panier aufwerfen, aber außerhalb des Streites sich halten werde.

 

In der Stadt Rouen hielt sich Herr Heinrich bis zur Weihnacht, die nicht ferne war, in guter Zucht und christlicher Zerknirschung, hörte fleißig die Messe und tat sich wehe mit Fasten und jeglicher Enthaltsamkeit; denn er war gesonnen, am Morgen des teuern Festes das hochheilige Brot zu essen.

So tat er auch mit Andacht und Freude. Dann setzte er sich mit seinem adeligen Gesinde an die reich beladene Tafel, um seinen kasteiten Magen zu ergötzen. Das festliche Mahl war zu seiner Mitte gelangt, da regte sich der Böse und schickte einen Störefried.

Gestiefelt und gespornt – denn er hatte sich eben vom Pferde gekugelt – keuchte der Bischof von York durch die Halle und stellte sich, rot wie ein Puter, mit erzürnten Gebärden vor den tafelnden König. Dieser kurze, hitzige Normanne konnte mit seiner Unrast und dem Auffahren seiner Gliedmaßen einen Gelassenen und Gesunden aus der schönen Fassung bringen, geschweige meinen König. Ihm an der Seite erschien einer seiner Kleriker, ein Mann mit langem Gesichte voller Vernunft, der ihn mit bedächtigen Reden zu beruhigen und zu regeln trachtete.

›Helfet mir, gerechter König Heinrich‹, überschrie sich der Kleine. ›Nicht genug am Primas, hat nun auch der Heilige Vater in Rom seinen Bannstrahl auf mein Haupt geschossen. Thomas Becket, den Gott verpeste, hat die Bulle verstohlenerweise auf seinem eigenen Leibe in Euer englisches Königreich getragen, und eben jetzt, zur heiligen Freudenzeit, wird sie in allen Kirchen, wo Sachsen Messe lesen, zu meiner und meines Königs Schmach feierlich verkündigt. Und wie ist der Sohn der Bosheit nach Canterbury gekommen?... Als ein Triumphator mit Roß und Wagen und einem langen sächsischen Heerzuge!...‹

Hier gelang es dem verständigen Kleriker, seine Stimme hörbar zu machen.

Dem sei nicht so, wandte er ein, auf einer frommen Eselin sei der Primas eingeritten; wahr sei es aber, daß das Volk Gewand vor ihm ausgebreitet und, was Grünes in dieser Winterzeit vorhanden, auf seinen Weg gestreut habe. Der Verbannte sei als ein müder Mann nach Canterbury zurückgekehrt und habe sein erzbischöfliches Haus, ja sein Gemach seither nicht wieder verlassen. Freilich habe der Primas zwei päpstliche Bullen in seinem Gewande nach Engelland gebracht: die eine aber habe er in die Flamme seines Herdes geworfen, die andere von seinen kriegslustigen Klerikern nur mit Widerstand sich entreißen lassen. Herr Thomas sei am Erlöschen, und die Natur selbst werde Herrn Heinrich von seinem Peiniger und Widersacher in Bälde befreien.

Das sei die nüchterne Wahrheit. Ein ihm verpflichteter Hausgenosse des Primas habe sie ihm getreulich erzählt.

Der Bischof aber rannte diese Vernunft mit gewaltsamen Worten zu Boden. ›Thomas am Erlöschen?‹ schrie er. ›Bei meiner Bischofsmütze, drei Lebensgeister hat der Zähe, um deiner Majestät zu schaden! Thomas ein Friedebringer? Den Krieg bringt er dir nach Engelland! Überall auf seinen Wegen tumultuierten die Sachsen und griffen zu ihren Äxten! Ich habe es von Augenzeugen!‹

Das schien mir schon damals unmöglich, wie ich die geschwächten Sachsen kannte. Aber ich hörte kaum auf die kollernden Worte des Bischofs, denn alle meine Sinne waren auf meinen König geheftet, dessen Innerstes zu sieden begann.

Er hatte die Berichtigungen des verständigen Klerikers in der Betäubung seines Zornes nicht vernommen.

Jetzt kam die lodernde Flamme zum Ausbruch. Herr Heinrich, von dem Aufruhr oder der Demut des Primas gleicherweise empört, sprang in sinnlosem Zorne vom Sitz empor und stieß seinen Becher so hart von sich, daß er weit über die Tafel rollte, den Wein in roten Strömen auf das Linnen vergießend, wie Blut in den Schnee.

›Ich habe ihm verboten, meinen Boden zu betreten!‹ schrie der König mit bebender Stimme. ›Ich weiß, er verbirgt in seinem Busen und Gewande auch einen päpstlichen Bannbrief gegen mich, seinen König. Er hat mir ihn selbst gezeigt, der Böse!‹ Jetzt schlug er verzweifelnd die Fäuste gegeneinander und wehklagte: ›Ich habe ihn gekleidet und geschmückt wie eine Geliebte. Er hat wie ein schmeichelndes Hündlein das Brot aus meiner Hand gegessen, und dieser Teufel von Undankbarkeit tritt mich mit Füßen, zerreißt mein Haus und zerstört mein Reich.‹

Er blickte irr über die verstummte Tafelrunde und schleuderte seinen Rittern die beschimpfenden Worte zu: ›Ich mäste Knechte! Sie zehren am Mark meiner Länder und strecken die Füße aus unter meinem vollen Tisch; aber keiner dieser Fresser und Schwelger ist Mannes genug, mir einen Verräter vom Halse zu schaffen!‹

 

Während der Herr mit rollenden Augen auf und nieder schritt und sich keiner mit der Rede an ihn wagte, hatte sich die Mehrzahl der Königsgäste erhoben und umringte den Bischof, diesen mit Fragen und Vorwürfen bestürmend.

Hinter dem Stuhle des Königs stehengeblieben, sah ich am untern Ende der plötzlich gelichteten Tafel viere zusammensitzen, die sich Blicke zornigen Einverständnisses zuwarfen und im Flüstertone, als hielten sie geheimen Rat, aufgeregte Worte tauschten. Ihre Namen, Herr, sind Euch bekannt, denn die Legende hat sie in alle vier Winde gerufen, sie sind die Unseligsten aller Lebenden, und jedes Christenkind in Engelland bekreuzt sich vor ihnen.

Das ist zum ersten Herr Wilhelm Tracy, der Spötter, dann Herr Richard aus der Bretagne, Herr Rinald, der Schöne, ein Liebling der Weiber, und letztens Herr Hug, der Einsilbige.

Ich stand zu ferne, um ihre Worte zu verstehen, aber ihre Gebärden sprachen deutlich genug.

Noch seh ich, wie Herr Hug sich die Lippe benagte, wie Herr Rinald seine weichen Langhaare um die Finger schlang und zerriß, während Herrn Richard der Zorn dunkelrot in die Stirne stieg und der witzige Mund des Herrn Wilhelm Tracy, der sonst voller Gelächter war, sich zum bittersten Hohne verzog. Dann schienen sie eins geworden und verschwanden zusammen durch eine Hintertüre.

Ich wandte mich nach dem Fenster und sah die viere im Schloßhofe ungeduldig auf ihre Rosse harren und sie dann hastig besteigen.

 

Als ich am Abend dieses schlimmen Christtages in der Kammer meines Herrn erschien, um seinen Jagdbefehl für morgen zu holen, fand ich ihn, wie den Zornmütigen zu geschehen pflegt, stumm und niedergeschlagen, so daß ich es wagen durfte, meinem geängstigten Herzen Luft zu machen.

›Zu Mittag nach Eurer scharfschneidigen Tischrede‹, begann ich, ›sind vier Eurer Gäste‹, und ich nannte sie, ›spornstreichs verritten, ich meine nach der Küste. – Hätten sie aus Euern entrüsteten Worten einen Wunsch oder einen Befehl herausgehört... o Herr! Was dann? Wenn sie Eure Rede in Eure Tat verwandelten – es wäre nicht Euer Wille.‹ –

Er starrte mich an, mühsam seine Gedanken zusammenknüpfend, und antwortete nicht.

›Bei der glückseligen Krippe‹, warnte ich flehentlich, ›das ist kein Geringes! Alle Heiligen und Engel wollen Euch behüten, daß Ihr Euch keinen Märtyrer auf die Seele ladet!‹ –

Jetzt begriff er mich plötzlich und packte mich an der Schulter. ›Wann sind sie verritten?‹ fragte er, obwohl ich es ihm eben gesagt hatte. ›Warum mahnst du nicht zu guter Zeit, krächzender Rabe?‹ –

›Noch ist es nicht zu spät!‹ versetzte ich unerschrocken. ›Betrachtet die von Mitternacht heranziehenden Schneewolken! Sicherlich tobt die See, und sie haben Gegenwind.‹

›So sattle meinen Berber‹, befahl er, ›er überholt den Sturm. Erreiche die viere und bring sie mir zurück. Du ereilst sie mir – ich will es!‹

›Herr‹, sagte ich, ›sie werden mich nicht hören; denn Ihr habt ihre Ehre aufs Blut gereizt. Besser, ich reite einen andern Weg, erreiche die Küste, wo der Meeresarm am dünnsten ist, presse dort das schnellste Schiff, wem es gehöre, gelange nach Canterbury vor den vier von Euerm Zorne Gejagten und schaffe Herrn Thomas in Euerm Namen Sicherheit.‹

›Das ist deine Sache!‹ drohte er. ›Wisse eines: ich will nicht, daß dem Primas ein Leides geschehe! Wird ein Haar dieses ehrwürdigen Hauptes gekrümmt, so büßest du dafür und baumelst mir am nächsten Galgen!‹

Es hätte dieser unsinnigen Drohung für mich nicht bedurft. Nie wurde schneller gesattelt, nie rastloser geritten! Unterwegs erfuhr ich, die viere hätten sich dem nächsten Seehafen, welchen sie den Port der Gnade nennen, zugewendet, und eilte quer durch französisches Land nach Calais, von wo mich ein Schnellsegler in wenig Stunden nach Engelland hinüber brachte, während ich inmitten der stürzenden Wellen Gottes liebe Mutter, die mich auch erhörte, inbrünstig anrief, mich den vier Zornmütigen nur wenigstens um zwanzig Ave Maria vorkommen zu lassen.

Auf englischem Boden wurde ich häufig von streifenden geharnischten Normannen angerufen; denn das Land war in Unruhe und die Sage überall verbreitet, der Primas umgebe sich in Canterbury mit sächsischen Waffen.

Von diesem in der Luft herrschenden Geiste der Bangigkeit gejagt, trieb ich, auf die fliegende Mähne des Berbers mich beugend, das edle Tier zu rasendem Laufe, und dennoch schien es mir, als wollten sich die aus dem Häuserhaufen von Canterbury aufsteigenden Türme der Kathedrale, auf die ich meinen Blick unverwandt geheftet hielt, nicht vergrößern.

Als ich mich endlich in Schweiß gebadet den Mauern der Stadt näherte, fand ich die Straße vor dem Tor mit frisch abgehauenen Tannenzweigen und dürftigen Wintermaien, den Zeugen eines friedfertigen Einzuges, bestreut. –

Ich glitt vom Pferde und führte das schnaufende Tier durch eine Hintergasse in die Brauerei, wo ich abzusteigen pflegte; denn ich hatte nicht selten meinen König nach Canterbury begleitet, dessen eben vollendetes Münster als ein Wunder der neuen Baukunst galt. Der Hauswirt, ein Sachse, der zugleich der Alderman von Canterbury war, schloß gerade behutsam die Läden der gegen die lange Hauptgasse gewendeten Fensterreihe. Als ich ihn fragte, wozu er am hellen Tage Finsternis mache, deutete er mir mit der Linken zu schweigen und schob mich mit der Rechten vor die breite Spalte eines Fensterbalkens. Ich lugte durch und sah die viere von der Königstafel in voller Rüstung die Gasse auf und nieder reiten, mit ausgestreckten Schwertern auf die Fenster und die Haustore weisend.

›Jeder halte sich im Hause! Keiner setze den Fuß auf die Gasse!‹ gebot Herr Wilhelm Tracy, der seinen Rappen vor der Wohnung des Aldermans herumriß, während das Tier aus schnaubenden Nüstern eine Dampfwolke in die kalte Winterluft ausstieß.

Nachdem der Herr sein Roß gewendet, wiederholte er den Befehl, nicht in der verächtlichen Weise, wie der normännische Hochmut die Sachsen anzufahren pflegt, sondern mit feierlichem Heroldsrufe.

Die erschrockenen Bürger gehorchten. Hier schloß sich eine Kaufbude, dort trug ein Hökerweib jammernd seine Körbe weg, weiter unten hob eine geängstete Mutter ihr auf der Gasse spielendes Kind auf den Arm und flüchtete es heim.

Der witzige Herr Wilhelm war nicht zu kennen. Ernst und unglücklich schauten seine Augen unter den schwarzen Brauen hervor aus der Blässe seines Angesichtes. Es wurde mir deutlich, daß sich die viere unterwegs geeinigt hatten und die auf ihrer Seele brennenden Schmachworte des Königs nicht mit einer zornigen Mordtat, sondern mit Gericht und Bluturteil zu löschen gedachten.

Auch ich ratschlagte mit dem Alderman, machte den echten und letzten Willen meines Herrn und Königs geltend und gebot ihm, sobald die viere gewichen, seine Bürger zu ermutigen, zu bewaffnen und mit ihnen meines Zeichens zu harren.

Dann schlüpfte ich durch Seitengäßchen und erreichte das feste erzbischöfliche Haus, wo sie mich als Königsknecht und eine in Engelland wohlbekannte Person ohne Schwierigkeit, ja bereitwillig wie einen Nothelfer, einließen.

 

Sie führten mich in eine prächtige, lieblich erwärmte Halle, wo der Primas unter vielen Klerikern und dienenden Brüdern Tafel hielt, hinter denen ich mich barg, ungern mich geduldend, bis der Augenblick es erlaube, mich Herrn Thomas zu nahen.

Er selbst berührte keinen Bissen, sondern hielt das geisterhafte Haupt mit geschlossenen Augen in den bischöflichen Stuhl zurückgelehnt, einen armen, frommen Mann aus Canterbury anhörend, der mit bebender Stimme den Eintritt der viere berichtete.

Nachdem er ihn von der Nähe der Gefahr überzeugt hatte, beschwor der Sachse den Primas, sein Leben durch die Flucht zu retten. Ein ängstliches Gemurmel lief um die Tafel.

Herr Thomas aber regte sich nicht. ›Es ist genug‹, sagte er ruhig, segnete und entließ den Weinenden. Dann sprach er: ›Gib mir den Kelch!‹, und der junge Kleriker, an den er sich wandte, ein blondlockiger Knabe in weißem faltigen Gewand, reichte ihm eine mit Wasser gefüllte kristallene Schale, die er langsam ausschlürfte.

Jetzt trat ich vor und warf mich dem Primas zu Füßen. ›Ehrwürdiger Vater, ich komme von meinem König! – Ihm ist bange um Euch!‹ rief ich. ›Er sendet mich auf eiligen Schiffen und dampfenden Rossen, daß ich Euch mit meinem Leibe decke und die königliche Macht über Euer Haupt breite!... Auf, fromme Brüder‹, und ich wendete mich an seine Kleriker, ›auf! Stehet mir bei! Führet Euern Bischof in sein innerstes, festestes Gemach! Und ihr andern, helfet mir die Tore versperren und die Türen verrammeln! Ist nur das erste Feuer der vier Herren verlodert und ihr erster Anlauf abgeschlagen, so geleite ich mit Hilfe der Leute von Canterbury den Primas in die nächste königliche Burg. – Herr Thomas, im Namen der benedeiten Mutter, widerstrebet nicht! Gebt Euch in des Königs Schutz, und Euch wird kein Haar gekrümmt werden!‹

Ohne sich von der Stelle zu rühren, richteten die Kleriker insgesamt ihre Blicke auf den Primas; doch dieser machte mit wenigen gelassenen Worten meinen Anschlag zunichte. ›Besser als dir ist der Wille deines Herrn mir bekannt. Ich lese deutlich in seinem Herzen! Gottes ewiger Ratschluß und der Vorsatz meines Königs erfülle sich an mir!‹

›Bei den fünf heiligen Wunden!‹ schrie ich, außer mich geratend, ›der König will nicht, daß Ihr hier erwürgt werdet! Trägt er die Schuld, wenn Ihr die trotzige Absicht habt, Euern Leib und des Königs Seele wissentlich und freventlich zu verderben?‹ –

Da wandte sich plötzlich Herr Thomas gegen mich und schlug mich mit biblischen Worten: ›Hebe dich von hinnen, du Schalk und böser Knecht, denn du bist mir ärgerlich!‹ –

Erschrocken sprang ich auf die Füße und wich zurück unter die Kleriker. Ich war betrübt und mehr noch ergrimmt, daß Herr Thomas, der bis heute säuberlich mit mir gefahren war, im Augenblicke, da sein Innerstes offenbar wurde, mir so böse und ehrrührige Namen gab, als wäre ich ein Erzschelm von lange her. – War das nicht eine Ungerechtigkeit? Ich überlasse Euch das Urteil, jetzt, da Ihr meinen Wandel von jung auf kennt und ich Euch nichts von meiner Blöße verhehlt habe.

Bevor ich den Schmerz dieses unverdienten Schlages verwunden hatte, wurde die Türe geöffnet, und die vier normännischen Herren traten in die Halle, ohne Rüstung und Waffen, in gewöhnlicher Hoftracht. Sie begrüßten den Primas mit tadelloser Courtoisie und feindseligen Mienen.

Der Bischof hatte sich bei ihrem Eintreten in seinem Stuhl emporgerichtet, und ich wunderte mich über die Erhabenheit seiner Gestalt, aus welcher jede Schwäche gewichen schien. Er erwiderte den Gruß seiner finstern Gäste ebenso adelig und lud sie, die Hand leise bewegend, an seine Tafel. Sie setzten sich.

›Wie steht es um meinen Herrn und König?‹ fragte er sie nach einer Weile und erhielt keine Antwort.

›Ist's Friede?‹ fragte er wieder.

Die viere aber betrachteten den Bischof, die einen mit gesenkter Stirn unter drohenden Brauen hervor, die andern mit scheuen Seitenblicken, nur ein unverständliches Gemurmel kam über ihre Lippen.

Zuerst ermannte sich Herr Richard, den sie seiner unbezwinglichen Faust halben Frappedür, das heißt in unserer Zunge Schlagehart, nannten. ›Im Namen des Königs kommen wir!‹ sagte er.

›Ich glaube euch‹, versetzte der Primas. ›Ihr, die ihr um ihn seid, verstehst seine Winke und erfüllet seinen Willen.‹

›Hebe den Bann von dem Bischof zu York, Primas, oder hebe dich selbst aus Engelland!‹ fuhr Herr Frappedür fort, und der Einsilbige stimmte bei: ›Hebe den Bann oder dich selbst.‹

›Nicht ich allein, jetzt hat ihn auch ein anderer als ich, der Heilige Vater in Rom, mit dem Banne belegt‹, erwiderte Herr Thomas ruhig. ›An diesen wende sich mein Bruder in York. Meine Sache kann das nicht länger sein. Ich suche nur den Frieden.‹

›So entrinnst du uns nicht, du Doppelzüngiger!‹ drang Herr Wilhelm Tracy, der unter den vieren der gewandteste Redner war, auf den Primas ein. ›Befreie den Bischof von dem Banne, den du auf ihn geschleudert hast! Er brennt ihm stärker auf der Haut als der römische. Genug der Unterscheidungen und Spitzfindigkeiten! Gehorche deinem Könige und Lehensherrn in geraden Treuen, wie wir alle tun! Bist du nicht lediglich ein Geschöpf seiner Gnade? Wer hat dich aus dem Nichts gezogen und aus einem Sachsen zu einem Menschen gemacht? Woher kommt dir die erhabene Macht dieses Stuhles? Du Undankbarer, Feindseliger, sprich und bekenne: aus wessen Händen hast du sie empfangen?‹

Da rief Herr Thomas mit durchdringender Stimme, daß es durch die Halle zitterte:

›Aus den Händen meines Königs zu seinem Gericht!‹

Über dieser harten Rede gerieten die viere in Aufruhr. Rinald der Schöne drehte an den Fingern seiner Handschuhe, die er bis jetzt spielend in der Linken gehalten. Herr Richard Frappedür stieß mit Rücken und Fuß seinen Stuhl zurück, daß das Eichenholz krachte, und der Einsilbige sagte: ›Endet!‹

Herr Thomas aber sprach mit heiliger Hoheit: ›Ich glaube, Ihr drohet, tapfre Herren? Was will mein König von mir? Was sein ist, will ich ihm geben. Meinen Leib? Hier ist er. Nehmet ihn. Mein Gewissen aber gehört weder ihm noch mir.‹ –

›Vergessen wir der ritterlichen Sitte nicht!‹ sprach Herr Wilhelm. ›Herren, überlasset mir die Fragestellung!‹

Er erhob sich und trat in Totenblässe vor den Primas.

›Thomas Becket, nimmst du den Bann von dem Bischofe zu York? Rede!‹

Herr Thomas aber schwieg und verurteilte sich damit zum Tode.

›Thomas Becket, du hast den englischen Boden gegen den Willen deines Königs und den Spruch seines Parlamentes wieder betreten. Weiche aus Engelland! Zugesagt ist dir freies Geleit bis ans Meer. Wann ziehst du von hinnen? Rede!‹

Herr Thomas aber schwieg.

Eine Weile harrte Herr Wilhelm auf Antwort, dann schloß er finster: ›Das ist Felonie. Dein Blut über dich!‹ –

Die viere verließen den Saal mit gemessenen Schritten. Ich wußte, sie gingen, sich zu waffnen.

 

Es entstand nun eine so große Stille, daß ich mein Herz wie einen Hammer gegen die Rippen schlagen hörte. Da erklang aus dem Schweigen, stark und markig, eine Stimme, die ich anfangs nicht erkannte. Sie gehörte Herrn Thomas, der einen ihm gegenüber an der Wand hängenden Crucifixus mit Inbrunst ansprach:

›Fürst der Schmerzen, nimm Wohnung in diesem Leibe!‹

Wieder hörte ich lange Zeit nichts als die Schläge meines Herzens. Dann sprach Herr Thomas zum andern Male und streckte seine schmalen Hände aus:

›Durchstich sie und gewähre mir deine Passion!‹

Da erbebte ich in Ehrfurcht und getraute mir nicht länger, das Angesicht des Herrn Thomas zu besehen, weil ich fürchtete, der Dreifaltige habe in seinem Leib Einzug gehalten und blicke majestätisch aus seinen Augen.

Aber ich raffte mich zusammen, als ich auf dem Gange Waffenlärm vernahm, stürmte nach der Pforte und stieß alle Riegel vor. Durch mein Zufahren wie aus dem Banne eines Traumes gelöst, umringte der ganze Haufe der Kleriker den Primas, etliche fielen ihm zu Füßen, andere, die ihn fortziehen wollten, faßten seine Arme, noch andere umschlangen seine Hüften, um sich seiner zu bemächtigen und ihn mit liebender Gewalt wegzutragen.

Inzwischen schmetterten Beilschläge von draußen gegen die Türe.

Der Primas aber wollte von dem Sitze, wo er gerichtet worden, nicht weichen. Da trat ein schlanker, klug blickender Diakon vor ihn hin, legte den Finger auf den Mund und machte ihn auf das feine Geläute eines Glöckleins aufmerksam, das in dem Tumulte kaum zu vernehmen war. ›Es läutet zur Vesper, und man erwartet Euch in der Kirche, Vater‹, mahnte er.

Thomas Becket erhob sich ohne Weigerung, ein Zug ordnete sich, und der Primas durchschritt hinter dem vorgetragenen Kreuze den langen Gang, der durch das Innere des bischöflichen Hauses in den Chor der Kathedrale führte. Auch ich wandelte in Reih und Glied mit den psallierenden Pfaffen.« –

Hier hielt der Armbruster inne. Sein Blick richtete sich auf eine neben ihm auf dem Kaminsimse stehende Sanduhr, in welcher eben die letzten Körner aus dem oberen in das untere Glas rollten. Hans drehte die Uhr und sagte: »Heute jährt es sich, und es war zu dieser Stunde des Nachmittags, daß Herr Thomas seinen letzten Gang antrat.

 

In den Chor des Münsters gelangt, warf er sich vor dem Fronaltar auf die Knie, von seinen Klerikern umlagert, deren mehr als einer, an den Bogentoren des Lettners lauschend, furchtsam Blicke durch die Länge des Schiffes nach dem Hauptportale irren ließ, durch welches die Normannen jeden Augenblick eindringen konnten; denn der Diakon hatte diese Zufluchtsstätte nicht der Festigkeit, sondern der unantastbaren Heiligkeit des Ortes wegen gewählt.

Auch ich hielt das Portal unverwandt im Auge, entschlossen, im letzten Augenblicke, nicht gegen die vier Herren das Schwert zu ziehen – solches war mir als einem Knechte verwehrt –, aber Herrn Thomas mit meinem Leibe zu decken, ob ich die Schuld vergossenen Märtyrerblutes von meinem Herrn und Könige abwende.

Alle Zeit und Frist nimmt ein Ende. Es klirrte und blitzte unter dem Portal, die viere traten, geharnischt vom Wirbel bis zur Sohle, in die Pforte und stürmten mit nackten Schwertern durch das Schiff der Kirche. ›Mir nach, Getreue des Königs!‹ schrie Herr Wilhelm Tracy.

Schleunig wollte ich noch die offenstehenden festen Gitterpforten schließen, die den Chor von der Kirche trennen; aber der Primas, der sich erhoben und gegen seine Mörder gewendet hatte, wehrte es mir mit unwiderstehlicher Gebärde. Seine Kleriker aber alle umdrängten ihn. Die jüngeren und mutigeren füllten die Stufen. Voran auf die unterste stellte sich festen Fußes Trustan Grimm, der das Kreuz trug. Die anderen standen und knieten um den Bischof und drückten sich durcheinander wie eine erschreckte und verwirrte Herde, deren Hirte geschlagen wird.

›Wo ist der Verräter?‹ rief Herr Wilhelm Tracy. Da hielt der tapfere Mönch Trustan das Kreuz mit beiden Händen gegen ihn empor als einen Schutz und eine Drohung. Ein Schwerthieb, ein Blutstrahl, und der vom Leibe getrennte Arm sank mit dem Kreuz auf die Erde. Jetzt griffen die viere mit flach fallenden Hieben die geängstigte Pfaffheit an und trieben die auseinanderstürzenden Geschornen in feige Flucht. Ich aber trat neben Herrn Thomas, der mitten vor dem Hochaltare stand, die Arme öffnend, wie der Gekreuzigte über ihm, als hätte sich dieser verdoppelt.

›Der König will, daß du sterbest!‹ sprach Tracy und erhob das Schwert. ›Es geschehe!‹ antwortete Herr Thomas.

Ich umschlang ihn mit diesen beiden Armen und fühlte den Schlag niederblitzen und wurde in demselben Augenblicke unter dem Rufe: ›Fort, Knecht!‹ von einer eisernen Faust, die nur dem Frappedür gehören konnte, gepackt und geschleudert, daß ich sausend mit dem Schädel gegen eine Säule fuhr.

Während mir die Sinne schwanden, sah ich ein Blutmeer vor meinen Augen und darin ein sterbendes, lächelndes Haupt.

 

Wie lange ich auf den Steinplatten lag, ist mir unbewußt. Als meine Sinne wiederkehrten, war ich allein in der Kirche. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber wagte nicht, nach der Leiche des Heiligen hinzublicken, die zwei Schritte von mir entfernt vor dem Altare lag. Das aber sah ich, wieder zurücksinkend, daß mein Lederkoller mit dem Blute des Gemordeten benetzt war.

Jetzt erhoben sich aus der dunkeln Tiefe des Schiffes zerreißende Klagetöne, das Wehgeschrei wuchs und wuchs, und die Kirche füllte sich mit armem sächsischen Volke, das nach seinem Vater schrie und die Rache des Himmels auf die Mörder herabflehte. Mit unheimlicher Hast und Liebe stürzten sich neben mir die Gestalten über den heiligen Leichnam, umfaßten die toten Hände und Füße, küßten die Wunden und wuschen sie mit Tränenströmen. Ihre Kleider und Lumpen aber tunkten sie gierig in das ausgegossene Märtyrerblut.

Endlich brachte ich mich auf die Knie, zog mit noch umnebelten Sinnen ein Tüchlein hervor und wischte die rieselnden Tropfen von meinem Wams. Da ward mir jammervoll zumute, und ich stöhnte:

›Mea culpa, mea maxima culpa.‹« – –

 

Also sprechend, ließ sich Hans der Armbruster, als wäre das Vergangene wieder gegenwärtig, stöhnend von seinem Schemel in die Knie sinken. Herr Burkhard streckte mitleidig seine alten Arme nach ihm aus und tröstete ihn mit liebreichem Zuspruche.


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