Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

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VIII

Da begab es sich eines Tages, daß der König mit seinem Kanzler über Staatsgeschäften zusammensaß. Das war in einem Schlosse der Normandie. Der Herr ließ sich von mir den Becher füllen mit jenem leichten Schaumweine, den er liebte, und der Kanzler legte ihm den Inhalt der eben aus Engelland angelangten Botentasche vor. Einen Brief, an welchem das Siegel von Canterbury hing, behielt er bis zuletzt und sprach dann, denselben vor dem Könige entfaltend, in seiner ruhigen Art:

›Der Primas von Canterbury ist zu Anfang verwichener Woche gestorben, erhabener Herr.‹ – Herr Heinrich wunderte sich wenig darüber. Ohne etwas zu entgegnen, ließ er wohlgefällige Blicke auf dem Kanzler ruhen.

›Er kränkelte schon lange‹, fuhr Herr Thomas fort, ›doch glaubte ich ihn seinem Ziele noch nicht so nahe. Jetzt ist für dich, o König, und für die englische Staatsmacht die gelegene Zeit, die entscheidende Stunde gekommen, wo du das schädliche Geschwür deines Reichs, die geistliche Gerichtsbarkeit, schneiden und heilen kannst. Wenn mein Herr diese gefährliche Stelle mit kühner Wahl besetzt, so ist er der Erfüllung seiner königlichen Wünsche nahe gerückt.‹

Der König zwinkerte schalkhaft mit den Augen, sei es, daß er wie gewöhnlich an der Weisheit seines Kanzlers sich ergötzte, sei es, daß er dieselbe mit der seinigen diesmal noch zu überbieten und zu überraschen hoffte.

Herr Thomas sah die schlaue Miene des Königs und beobachtete sie gelassen. ›Auch einen besseren Heiligen Vater als den, welchen sie vor etlichen Monden in Rom auf den Thron gehoben haben, könnten wir uns nicht wünschen. Er hat eine Leidenschaft, durch welche wir ihm menschlich nahe kommen können. Mit gelehrter Hast sammelt und betrachtet er Münzen, und, wunderbar, während er sich begnügt, die alten römischen Imperatoren in ein paar wohlerhaltenen Exemplaren zu besitzen, kann er deiner Goldstücke, o Herr, nie genug bekommen, zu Hunderten, zu Tausenden ersehnt er sie, weil sie dein erhabenes Antlitz tragen und er an ihm, als an demjenigen eines treuen Sohnes der Kirche, sein Gefallen findet.‹

Herr Heinrich schüttelte sich vor Lachen, während der Kanzler diese Hohnrede mit ernstem und traurigem Munde, wie er immer zu scherzen pflegte, vortrug. ›Wie aber wird mein Herr nun den Stuhl des Primas besetzen?‹ sprach er weiter. ›Mit jenem Bischof oder mit diesem Abte‹ – ich bin der Namen nicht mehr sicher und möchte Euch um nichts in der Welt, auch nur in einer Kleinigkeit, das Unwahre sagen –, ›beide sind sie geeignet für die Zwecke meines Herrn, doch vielleicht der Abt noch besser, denn er ist der Lasterhaftere.‹

›So läßt er sich leichter handhaben‹, ging der König auf den Gedanken seines Kanzlers ein.

›Der Bischof wäre nicht weniger gefügig‹, versetzte Herr Thomas, ›der Vorzug des Abtes ist ein anderer, und ich gebe nur der Weisheit meines Königs Worte, wenn ich der Gefahr deiner Politik folgendermaßen das Antlitz aufdecke. Du weißt, o Herr, wie und warum der Eroberer, dein erhabener und ruhmbedeckter Ahne, die englischen Bistümer nicht nur mit der Gerichtsbarkeit über die Kleriker, sondern, was den Staat entkräftet und zerstört, über die Händel zwischen Klerikern und Laien begabt hat. Das war damals nützlich, da die ersten Bischöfe des Eroberers Kreaturen waren; jetzt ist es schädlich und unerträglich, denn aller Eigenwille deiner Normannen duckt unter den Bischofsstab, und jeder Empörer gegen deine Majestät läßt sich eine Krone scheren, um die Blitze deiner Gerechtigkeit ungestraft verhöhnen zu können.‹ –

Mein Herr und König ballte seine auf der Lehne des Stuhles liegende Hand, denn er war ein Freund der Ordnung und der Gerechtigkeit.

›Deiner Weisheit ist nicht verborgen‹, bemerkte Herr Thomas, ›warum auch erschlichene Rechte der Kirche sich so schwer mindern oder aufheben lassen: weil die Kirche ein Doppelwesen ist, das aus Leib und Seele besteht. Der Leib ist ein Heer von Geschorenen und Ehelosen, ein paar tausend von Münstern und Klöstern, ein Bündel von Gebräuchen, Gelübden und auf Fabeln und Fälschungen beruhenden Ansprüchen. – Die Seele der Kirche aber ist Tugend, Bescheidenheit, Erbarmen, Keuschheit‹ – der König machte unwillkürlich eine Gebärde und zuckte mit den Wimpern –, ›kurz, alles, was jener Andere lehrte, den sie gekreuzigt haben.‹

Ihr müßt wissen, Herr Burkhard, daß der Kanzler den Salvator nie bei einer seiner hochgelobten Würden nannte, sondern immer nur den ›Andern‹, und ich meine, daß es seinem heidnischen Blute widerstrebte, den heiligen Namen auszusprechen.

›Das Volk aber, o Herr, kann Gefäß und Inhalt nicht trennen; – hast du es mit einem Primas zu tun, der durch seine Tugend Gewalt über die englischen Seelen übt, du nimmst ihm nicht ein Titelchen seiner Vorrechte. Darum wähle du einen öffentlichen Sünder, einen unbestrittenen Lasterhaften wie unsern Abt...‹«

 

Also fuhr der Armbruster, der im besten Zuge war, in der Rede des Kanzlers fort, doch Herr Burkhard hatte sich gegen ihn vorgeneigt und zupfte ihn am Ärmel.

 

»Armbruster«, tat er Einspruch, »ich halte dich für einen wahrhaften Mann; aber es wird mir schwer zu glauben, daß ein jetziges Mitglied der triumphierenden Kirche sich bei Lebzeiten, auch vor seiner Bekehrung, über die hienieden streitende so schnöde geäußert und deinem König einen so ruchlosen Rat gegeben. Ich habe es dir gesagt, dem neuen Heiligen bin ich nicht grün; aber was zu viel ist, ist zu viel. Das kommt aus deinem Eigenen!«

»Herr«, versetzte Hans der Engelländer mit einem bösen Lächeln unter seinem grauen Barte, »es mag sein, daß der Kanzler dazumal nicht diese körperlichen Worte ausgesprochen hat, dem Geiste nach aber hat er sich so ergangen, das dürft Ihr mir glauben, und nicht ein-, sondern hundertmal – versteht mich, als Staatsmann. Er hat vor meinem Könige diese Frage häufig erörtert. Daß aber etwas von dem Meinigen beifloß, ist nicht unmöglich, denn leider beten wir alle dieselbe Litanei, sobald auf die Sitten der Pfaffheit die Rede fällt – natürlich mit gebührender Ausnahme Eures Stiftes und noch mehr Eurer eigenen ehrwürdigen Person. –

Gesetzt aber auch, meine Geschichte wäre etwas ins Ungewisse geraten, von jetzt an wird sie echt und unumstößlich wie das Evangelium. Denn was nun geredet wurde, haftet in meinem grauen Kopfe wie die römische Schrift auf einem umgestürzten Meilenstein, dessen Bruchstücke noch die unauslöschlich eingegrabenen Lettern tragen. Bei der Gnade der Mutter Gottes, ich rede die Wahrheit und lüge nicht. Wo aber stand ich, ehrwürdiger Herr, als Ihr mich unterbrochen habt?«

 

»Bei deinem lasterhaften Abte«, versetzte der Alte noch etwas gereizt.

»Zweifelt nicht daran, daß der Kanzler ihn empfohlen hat!« fuhr Hans mit Feuer fort.

»›Mein König‹, sagte Herr Thomas, ›diesem tierischen Menschen wird es nicht gelingen, die Rechte seines Stuhles als göttliche zu verteidigen. Du wirst sie ihm entreißen – und dann: weg mit ihm!‹

Er stieß diese Worte verachtungsvoll von seinen feinen Lippen und fügte hinzu: ›Der Unreine wird sich überdies selbst zerstören. Begnügt er sich doch nicht, o Herr, wie deine anderen Bischöfe, Buhlerinnen zu halten, sondern überfällt und verdirbt die unschuldige Jugend.‹

Ich meine, daß der Kanzler nur jenen landkundigen Sünder im Sinne hatte; aber unversehens mußte ich an Gnade denken, und auch der König bewegte sich unruhig. Doch schnell überwand er die Scham und verwarf diesen Verdacht, wußte er doch, daß Herr Thomas es verschmäht hätte, sein Inneres durch eine Anspielung zu enthüllen.

In der hellen Laune eines Freigebigen, der im Begriffe steht, ein großes Geschenk zu machen, und mit freudestrahlenden Augen fuhr der König fort:

›Wohin denkst du, Thomas? Diesen Stuhl, worin zwei Heilige und Gelehrte gesessen haben, von denen der eine, der selige Lanfranc, den die Wandlung leugnenden Ketzer Berengar besiegt, der andere, St. Anselm, einen triumphierenden Beweis für das Dasein Gottes geführt hat, diesen Stuhl sollte ich mit einem Schweine besetzen? Das bleibe ferne von meinem königlichen Willen!‹ Und mein Herr und König freute sich seines Wissens.

In der Miene des Kanzlers war die vorwurfsvolle Frage zu lesen, ob ihm Herr Heinrich durch eine plötzliche Laune lang erwogene Pläne durchkreuzen werde.

Der König ergriff seinen Becher und leerte ihn fröhlich. ›Ich will meinen Pfaffen einen Primas setzen, darob sie sich wundern werden, einen Mann von vornehmer und unbefleckter Sitte, einen spitzfindigen Philosophen und dazu einen mir ergebenen Mann und geborenen Gegner des päpstlichen Wesens.‹

Herr Thomas aber erwiderte mit einem ungläubigen Lächeln: ›Ich lasse meine Blicke, o Herr, durch deinen Klerus wandern, aber sie suchen deinen Erwählten vergebens.‹

›Du errätst nicht?‹ drängte der König, ›ich will dir zu Hilfe kommen! Ich sage dir, wahrlich keiner wird auf dem Stuhle des Primas sitzen als du!‹

Der Kanzler blieb ruhig, aber in allmählichem Erblassen wich jede Farbe aus seinem Antlitz. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück. Dann wendete er, den Anblick des Königs vermeidend, seine dunkeln Augen seitwärts zu mir. Mit zwei Fingern seiner lässig herabhängenden Rechten hob er eine Falte seines Purpurgewandes langsam in die Höhe, so daß die zurückgebogenen Schnäbel seiner köstlichen Schuhe sichtbar wurden.

›Bogner‹, scherzte er und streifte mit einem verächtlichen Blicke seine von Edelsteinen schimmernde Kleidung, ‹beschaue dir einmal den heiligen Mann!... Diesen Täufer Hans, der die weichen Kleider verschmäht, die man an den Höfen der Könige trägt – betrachte dir diesen guten Hirten, der das verirrte Lamm auf den Schultern heimholt und sein Leben läßt für die Herde.‹

Der König stieß ein grelles Gelächter aus – mir aber ward übel dabei zumute.

Inzwischen hatte sich der Kanzler mit kaltem Angesichte gegen den König gewendet. ›Hoheit‹, sagte er, ›diese Wahl ist nicht dein Ernst. Sie ist eine unmögliche in den Augen deiner Bischöfe, deiner Normannen und deiner Sachsen. – Soll der englische Klerus, als seinem Vater, einem geschmeidigen Höfling gehorchen, weil dieser einmal in seiner Jugend durch Zufall oder um eines Vorteils willen die erste Weihe empfangen hat – soll ein Sachse die Seelen deiner Normannen oder ein Abtrünniger – wie sie ihn nennen – die Seelen deiner Sachsen weiden? Herr, dein Kanzler widerrät dir diese schlechte Wahl.‹

›Sie ist die vortrefflichste‹, behauptete Herr Heinrich hartnäckig. – ›Du auf dem Stuhl von Canterbury, und der Thron St. Petri kracht in seinen Fugen; du unter der Mitra, und dem Heiligen Vater wackelt die seinige auf dem Kopfe! Schach und Schachmatt!‹

›Ich weiß nicht, Herr‹, fuhr der Kanzler mit ernsthaftem Spotte fort, ›ob du je von jenen plötzlichen Wandlungen gehört hast, die mit einem Menschen vorgehen können, der sein Kleid wechselt und geistliches Gewand anzieht. Es ist kein Geringes, den Hirtenstab zu ergreifen, den zwei jetzt in der Glorie Stehende in den Händen getragen haben: der selige Lanfranc, der die Frucht der Ähre und des Weinstockes als den Leib und das Blut Gottes erkannte, und der heilige Anselm, der den Unergründlichen ergründete. Wenn ich nun durch ein Wunder zu einem wahren Bischof würde? Das käme dir unerwartet und ungelegen!‹

›Thomas, zügle deine Zunge!‹ drohte ihm der König mit dem Finger, ›ich leide keinen Spott über heilige Dinge! Wohl ist es schon lange, daß ich anfange, dich zu durchblicken. Du hast arabische Philosophie eingezogen – du folgst einer Geheimlehre und bist kein demütiger Christ; ich aber will als ein solcher leben und sterben!‹

›Du kannst nicht glauben, o König‹, antwortete Herr Thomas traurig und deutete auf seine Brust, ›daß auf diesen abgestorbenen Baum noch ein Tau des Himmels fallen möge – und du hast wohl recht! Aber auch ohne Frömmigkeit kann man der Welt müde werden. Unter den Flügeln deiner Macht habe ich dieses Reich lange Jahre regiert, mit welchen Mitteln? Mit Gewalt, Bestechung, Wortbruch... und mit schlimmern, die ich nicht aussprechen mag. So werden die Reiche der Welt verwaltet, aber ich bin es müde. Was ist mir dieses Engelland? Ich bin kein Normanne, nicht einmal ein Sachse! Fremdes Blut fließt in meinen Adern. – Und die Schätze, mit welchen du mich, Großmütiger, überhäufst – für wen sammle ich sie? – Für den Rost und die Motten!‹

Hier sah ich gleich, daß Herr Thomas an den Tod von Gnade dachte, und auch der König war davon gerührt. Eine Träne rollte auf seiner Wange, denn Herr Heinrich hatte ein weiches Herz.

›Sunt lacrimae rerum‹, murmelte der Kanzler vor sich hin.

›Von wem ist dieser Vers, Armbruster? Du warst ja ein Kleriker!‹ wandte er sich von neuem gegen mich, als wollte er die Maske des Gleichmutes, die einen Augenblick gefallen war, wieder vornehmen.

›Von dem römischen Poeten Virgilius‹, antwortete ich ohne Anstand, ›und er bedeutet, daß man die menschlichen Dinge nicht zu stark pressen soll; denn sie sind innerhalb voller Tränen.‹ Also wollte ich meinem Herrn und Könige zu Hilfe kommen.

›Nimm mir ab das alte Joch‹, bat der Kanzler, ›statt mir ein neues aufzubürden, das mich zum Doppelsinnigen und Zweideutigen macht.‹

Einen andern Kanzler suchen? Unmöglich. Herr Thomas war unentbehrlich, und das konnte nicht sein Ernst sein. So sagte sich Herr Heinrich, wie ich mir es denken muß, denn er brach plötzlich in die Worte aus:

›Du bist ehrgeizig, ehrgeizig, ehrgeizig! – Du machst dich kostbar, du Überkluger, weil du dich unersetzlich weißt. Sieh, Thomas, das gefällt mir nicht. Ein fröhlicher Geber, ein fröhlicher Nehmer!‹

›Dein Kanzler muß ich bleiben, denn ich glaube, unsere Sterne und unsere Geburtsstunden stehen zueinander in Beziehung‹, erwiderte Herr Thomas; ›aber zwinge mich nicht, dein Primas zu werden!‹

›Greif zu, greif zu!‹ schrie Herr Heinrich, durch diesen Beginn von Nachgiebigkeit angefeuert.

›Halt ein, o König!‹ rief zu gleicher Zeit der Kanzler – mit einem Blicke, ehrwürdiger Herr, den ich nie vergesse, mit dem Blicke eines Sterbenden. Er fuhr mit der Hand an die Stirn, als brenne ihn dort eine Wunde, und seine Stimme sank zum Geflüster herab:

›Wohin werde ich geführt? In welche Zweifel? In welchen Dienst und Gehorsam? In welchen Tod?‹

Dann erhob er sie wieder fast drohend zur Frage: ›Bist du meiner gewiß, o König?‹

›Gewisser als meiner selbst‹, versicherte Herr Heinrich, der kein feines Ohr besaß und deshalb die geflüsterten Worte überhört hatte. ›Genug des Rätselns! – Ich brauche dich, Thomas! Und sage nicht: was geht mich Engelland an? Meine Gunst hat dich längst über die Sachsen weggehoben, und ich habe mehr für dich getan als für irgendeinen Normann.‹

Hier verzog ein Blitz des Hohns das Antlitz des Kanzlers; aber Herr Heinrich achtete dessen nicht und schrie ungeduldig: ›Keine Widerrede mehr! Ich erhebe dich so hoch ich will und du, gehorche!‹

Da neigte Herr Thomas sein bleiches Haupt und sprach: ›Was du verhängst, das geschehe!‹


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