Conrad Ferdinand Meyer
Der Heilige
Conrad Ferdinand Meyer

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IV

Als ich auf Schloß Windsor zum ersten Male vor den König von Engelland trat, zitterte mir das Herz im Leibe, denn er war von gewaltigem Wuchs und herrischer Gebärde, und seine blauen unbeschatteten Augen brannten wie zwei Flammen. Er blickte mich zuerst ungnädig an, begriff aber sogleich, worum es sieh handelte, mehr aus der dargebotenen Armbrust als aus meinen stockenden Worten, nahm, spannte sie, legte den Pfeil, trat an das geöffnete Fenster und schoß nach einer Krähe, welche sich auf die, da es windstill war, bewegungslose Fahne des Schloßturms gesetzt hatte; und ein helles Lachen ging über sein Antlitz, wie sich die Fahne drehte und das Tier flatternd in die Dachrinne stürzte.

Noch einmal prüfte er mit dem Finger Senne und Drücker, dann warf er mir einen befriedigten Blick zu. ›Das ist mit Kunst gemacht, mein Junge‹, lobte er mein Werk. ›Da, trag es in meine Rüstkammer und melde dich beim Waffenmeister als meinen Dienstmann; denn du bleibst um mich, Deutscher, und magst mir die Armbrust auf die Birsch nachtragen.‹

Da war keine Widerrede, auch wenn mein eigenes Herz nicht danach gelüstet hätte, den Königsdienst zu versuchen als das Höchste im Weltspiel.

Während Herr Heinrich noch zu mir sprach, kam sein Dritter, der halbwüchsige Herr Richard, hereingesprungen mit dem Jubelrufe: ›Vater, die normännischen Hengste sind da! Prächtiges Blut!‹ und Herr Heinrich ließ sich von seinem Lieblinge fortziehen.

Jetzt erhob sich aus einer tiefen Nische, wo er, ohne von mir erblickt zu werden, vor einem mit Schriftstücken belegten Marmortisch gesessen hatte, ein vornehmer, bleicher Mann in köstlichen Gewanden und trat, diese schön und langsam bewegend, zu mir, als trüge er Verlangen, auch seinerseits über meine Erfindung sich unterrichten zu lassen. Es war der Kanzler. Ich wiederholte meine Lehre mit mehr Verwirrung – könnet Ihr es glauben? – als vor dem Könige; denn mir wurde bange, da er, aufmerksam lauschend, mich ganz ausreden ließ, und mir schien, als ertöne meine einsame Rede viel zu keck und laut in der hochgewölbten Halle.

›Eure Gnade‹, endigte ich, ›ist ein Gelehrter und hat wohl kein Gefallen an Kriegszeug?‹

Er senkte die dunkeln Augen und antwortete leutselig: ›Ich liebe das Denken und die Kunst und mag es leiden, wenn der Verstand über die Faust den Sieg davonträgt und der Schwächere den Stärkeren aus der Ferne trifft und überwindet.‹

Mit diesem schönen und einsichtigen Lobe der Armbrust, lieber Herr, köderte mich der Kanzler, ohne es zu wollen, und ich hätte ihm meine Lust an seiner Weisheit mit dankbaren Worten bezeigt, hätte ich meine Scheu vor seinem blassen und übermenschlich klugen Antlitz verwinden können.

 

In die Rüstkammer tretend, fand ich dort den Waffenmeister, einen eisgrauen Normannen, der mich wohl um Kopfeslänge überragte. Herr Rollo empfing mich hochfahrend und geringschätzig, beschäftigte sich dann aber eingehend mit meiner Erfindung; denn er war in Engelland der beste Kenner alles Rüstzeuges. Er brummte etwas Beifälliges zwischen den Zähnen und kam endlich dahin, meinen Gedanken zu billigen. Als er mich dann um meine Heimat befragte und erfuhr, ich stamme von unweit des schwäbischen Meeres her, schenkte er mir aus seinen harten Runzeln einen aufmerksamen Blick.

›Treue Leute, die Schwaben, und deren sind wir hier zu Hofe bedürftig‹, sagte er. ›Hältst du dich aufrichtig, Deutscher, so mangelt es hier nicht an Gnaden und Lohn. Du trittst in eines gewaltigen Herren Dienst.‹

Und er hob an, das Wesen der normännischen Könige mit großen Worten zu preisen und mir ihre Reiche und Herrschaften aufzuzählen. ›Diesseits und jenseits des Meeres sind sie mächtig‹, rühmte er, ›und was sie ergreifen, das lassen sie nimmermehr los.‹

Dabei zeigte er mir die Panzerhemden und Kronhelme des Eroberers und seines Sohnes, welche, an den Mauern der langgestreckten Halle, zuvörderst in einer endlosen Reihe von Rüstungen und Waffenstücken hingen.

›Eines nur‹, fuhr er kopfschüttelnd fort und wehrte mir, einen verrosteten Pfeil zu berühren, der unter der Rüstung des zweiten Königs auf den Steinfliesen lag, ›eines nur, das Letzte, mißrät ihnen. Die hohen Herren haben allesamt ein böses Sterben. Dieser Bolz – Gott und der Teufel wissen, wer ihn abschoß – hat Herrn Wilhelm dem Rothaarigen mitten im lustigen Jagen den Lebensfaden zerschnitten. Aber was tut's? Glänzende Sonnen gehen blutig unter.‹

 

So ritt ich denn von nun an in Jagd und Fehde hinter meinem Herrn und Könige her und fand ihn, wie er sich mir am ersten Tage gezeigt hatte: von wechselnden Launen wie April, barsch, ungeduldig, aufbrausend, schrecklich im Zorn, aber auch wieder von mitteilsamem Gemüte, zugänglich und leutselig, so daß man zur guten Stunde einen Scherz wagen durfte und es geschehen konnte, daß der erhabene Herr mit seinem Gesinde lachte, bis ihm die hellen Tränen über die Backen liefen.

Daß ich aber aus dem Stalle und der Gewehrkammer in das Vorzimmer gelangte und mich zuletzt auf die Schwelle der königlichen Schlafkammer wie ein Rüde betten durfte, das geschah nicht sprungweise, sondern allmählich von Schritt zu Schritte.

König Heinrich war ein gewaltiger Nimrod, der es liebte, in gestrecktem Jagen auf den Fährten eines Hirsches zu fliegen, sein Gefolge weit hinter sich lassend, und der dann, von wenig Bedürfnissen wie er war, bei einbrechender Nacht mit dem ersten besten Lager vorlieb nahm. Da war ich, auf meinem schnaubenden Tiere mich dicht hinter ihm haltend, oft der einzige in der Nähe, ihn zu bedienen, und brachte ihn auch trunken zu Bette, wann er, nach dem Schweiße der Jagd, dem Becher zugesetzt hatte. So gewöhnte er sich an meinen Dienst und mich, und, wenn ich mich auch nicht mit bösen Listen einschmeichelte, war ich doch witzig genug geworden, um mir mein gutes Spiel nicht täppisch zu verderben.

Dreierlei aber kam mir dabei zugute: daß ich weder Normanne noch Sachse war, daß ich von niemandem als meinem Herrn Miet' und Gabe nahm – einzig den Kanzler, dem keiner etwas weigern durfte, zu Zeiten und unter Umständen ausgenommen – und daß ich, ohne gerade den dummen Hans zu spielen, mich etwas einfältiger stellte, als ich von Natur war, und etwas neuer, als mich die Erfahrung gelassen hatte. Dergestalt fand Herr Heinrich ein Wohlgefallen an meiner schwäbischen Treuherzigkeit.

Doch auch Herr Thomas half mir weiter in der Gunst des Königs dadurch, daß er seine Blicke gnädig auf mir ruhen ließ – denn der König sah mit den Augen seines Kanzlers –, und dadurch, daß er mir zuweilen ein scherzendes, sinnvolles Wort zuwarf, welches er in seiner Ehrerbietung an Herrn Heinrich nicht richten durfte und von welchem er doch wünschte, daß dieser es vernehmen möge.

Das Wohlwollen des Kanzlers aber fiel mir zu an einem Tage, da er und ich den Finger an den Mund legten.

Im ersten Jahre meines Königsdienstes nämlich begab es sich, daß Herr Heinrich an einem schwülen Sommernachmittage in seinem Gemache sich zum Schlummer gelegt hatte, als der Kanzler in dringenden Geschäften ihn aufsuchte. Ich trat Herrn Thomas entgegen und flüsterte, den Finger auf die Lippen legend: ›Herrlichkeit, der König schläft...‹ Nun müsset Ihr wissen, ehrwürdiger Herr, daß die Heiden in Granada, Vornehm und Gering, die fromme Gewöhnung haben, jedesmal, wann von Schlummer und Schlaf geredet wird, hinzuzufügen: ›Gelobt sei, der nicht schläft noch schlummert!‹ So tun sie von Kindesbeinen an, ohne sich mehr dabei zu denken, als wir Schwaben bei unserem ›Grüß Gott‹. Da ich unter den Heiden lebte, hatte ich mir diesen Spruch gleicherweise angewöhnt, um mir auf eine unschuldige Art etwas Landesfarbe zu geben. War ich nun selber schlummertrunken, oder erinnerte mich der im verhängten Zimmer noch blasser als sonst erscheinende Kanzler an einen Mauren, oder tat ich es aus bloßer Gewohnheit, deren Macht stark ist – kurz, ich sagte: ›Herrlichkeit, der König schläft – gelobt sei, der nicht schläft noch schlummert!‹

Da lächelte der Kanzler wider seinen Willen, bis zuletzt die ganze Reihe seiner Perlenzähne schimmerte, und fragte mich dann in ernsthaftem Tone: ›Wie kommt ein Deutscher zu diesem Gruße?‹

Ich erzählte ihm, das Erwachen des Königs erwartend, daß ich drei Jahre in Granada die Bognerkunst erlernt hätte, und erzählte ihm auch die Geschichte des Prinzen Mondschein. Das war freilich ein gewagter Mutwille und hätte mir zum Schlimmen gereichen können. Aber die Versuchung zu ergründen, ob Prinz Mondschein und der Kanzler ein und dieselbe Person seien, und zu erproben, ob der ewig Ruhige nicht wenigstens diesmal sich überraschen lasse, war für mich zu stark. Herr Thomas aber verzog keine Miene. Er hielt eine Weile, wie er zu tun pflegte, die Augen sinnend gesenkt, dann erhob er sie auf mich und legte langsam den weißen Finger auf den Mund. Ich dagegen bog das Knie vor ihm und meldete ihn dann dem Könige, der in seiner Kammer eben ein Geräusch gemacht hatte.

Da mich nun die beiden Herren leiden mochten und mir gleicherweise trauten, werdet Ihr an das Wunder glauben, daß ich der seltnen Gunst genoß, hinter dem Stuhle meines Königs zu stehen, wenn er mit dem Kanzler in Staatsgeschäften zusammensaß. Herr Heinrich ließ sich dann von mir einen perlenden weißen Wein einschenken, der aus Frankreich kam, während er mit listigen Augen und innigem Vergnügen den scharfsinnigen Auseinanderlegungen und verwickelten Schachzügen seines Kanzlers folgte, und dieser sonnte sich, wie eine schlanke weiße Schlange, in den Strahlen der fürstlichen Gunst.

König Heinrich betrachtete den von ihm aus dem Nichts Gehobenen mit Wohlgefallen als sein Geschöpf; aber das Geschöpf, ehrwürdiger Herr, war dem Schöpfer unentbehrlich geworden und unterjochte ihn mit seinem sanften Eigensinne.

Oft habe ich dabeigestanden, wann der Kanzler den König, dessen zur Jagd gesattelte Pferde schon im Schloßhofe wieherten und stampften, noch beim Überschreiten der Schwelle aufhielt, seine Rollen vor ihm entfaltete und den Unbändigen durch den Zwang seiner milden Worte nötigte, ihm Gehör zu schenken, und ich mußte mich wundern, wie er, den Stift in der einen und das Pergament in der andern Hand, Herrn Heinrichs hingeworfenen Bescheid wiederholte und entwickelte, denselben in eine schöne, geschmeidige Rede verwandelnd, daß es nur so strömte, wie flüssiges Gold.«

»Auch deine Rede strömt, daß ich mich wundern muß«, stichelte der greise Chorherr.

»Gebt Raum meiner Rede«, rief Hans, »und laßt mich Euch den wundersamsten Mann beschreiben, welchen die Erde getragen hat, das Vorbild und die Mode des Jahrhunderts. Der vornehmste Adel von Engelland gab ihm seine Söhne als Edelknaben in die Lehre, und welcher Jungherr den Ritterschlag nicht von der Hand des emporgekommenen Sachsen empfangen hatte, galt nicht für voll unter dieser hochmütigen und wegwerfenden Jugend.

Es hat mich oft ergötzt, wann die schmucken Knaben, welche ihre blühenden Lippen nie mit einem englischen Worte verunreinigt hätten, an den farblosen des Thomas Becket hingen, dem freilich die französische Herrensprache zierlicher vom Munde klang als nicht einem unter ihnen; wie sie sich jede seiner Redensarten und Wendungen sorgfältig merkten, die Feinheit seiner Scherze bewunderten, den Schnitt seiner Kleidung nachzeichneten und seine ruhige Gebärde nachahmten, als das Höchste höfischer Vollendung.

Eines aber, mein ich, mangelte dem Kanzler. das Ungestüm und die Schärfe eines männlichen Blutes.

Nicht, daß er feige gewesen wäre! Eine Memme hätte sich keinen Tag am Hofe König Heinrichs gehalten; denn die Normannen sind kitzlig im Ehrenpunkt wie kein anderer Adel. Gleich fährt das Schwert aus der Scheide, und verloren ist unter ihnen, wer den Stich eines Blickes oder einer Klinge nicht parieren und zurückgeben kann.

Obzwar ein halber Kleriker, war Herr Thomas in jeder ritterlichen Übung und Waffe wohlerfahren, wobei ihm sein biegsamer Wuchs zustatten kam, und zog wohl auch, wenn es die Staatsgeschäfte erlaubten, mit dem König zu Felde. Ich bin einmal hinter seinen Fersen eine Sturmleiter hinaufgeklettert und habe ihn innerhalb der erstiegenen Ringmauer jener französischen Burg mit einem wütigem Pikarden handgemein werden sehen, totenblaß in der Tat und die Zähne aufeinanderbeißend. Aber er täuschte die feindliche Waffe und jagte dem Recken richtig zielend das Schwert durch das Herz, freilich um es dann, als sein Gegner in der Lache seines Blutes lag, mit Ekel und Abscheu zu betrachten und wegzuwerfen. ›Bogner, gib mir ein reines!‹ gebot er mir. Und doch war dieses Schwert ein Meisterstück fremder Schmiedekunst, das Euch die Maschen jedes Panzers durchschnitt wie Tuch. Ich habe es aufgehoben und lange Jahre zu meiner eigenen Sicherheit gebraucht.

Herr Thomas konnte kein Blut vergießen.

In den Bezirken seiner weiten Besitztümer spielte und weidete das Wild in den Waldlichtungen wie im Paradiese, und wann er seine Forste besuchte, näherten sich die Rehe und freuten sich, ihm aus der Hand zu fressen.

Auch das Todesurteil eines Menschen vermochte er ohne Erblassen nicht zu unterschreiben, und eine Hinrichtung, wie solche in einem ordentlichen Staatswesen häufig sind, mit anzusehen, überstieg seine Kraft, während mein Herr und König sich gerne herabließ, ihnen, als die verkörperte Gerechtigkeit, vorzustehen. Oft gab es Herrn Heinrich zu lachen, wann er mit seinem Kanzler an einem Rabensteine vorüber ritt und Herr Thomas mit Unlust das Haupt abwendete, nicht wegen der Geister, die dort heimisch sind (denn der Kanzler war ein ungläubiger Mann), sondern aus Grauen, wie er einmal fallen ließ, vor der gequälten Menschheit, deren zerrissene Glieder dort auf dem Rade zuckten.

Sogar das Urteil einer landkundigen und ihrer teuflischen Frevel geständigen Zauberfrau und Hexe zu unterschreiben, weigerte sich der Kanzler und setzte sich dadurch, der sonst so kluge Mann, einer heidnischen Laune wegen, in Widerspruch mit ganz Engelland: König, Adel, Volk und Pfaffheit.

Das war die schwarze Mary, die in einem Dorfe unfern von London ihr Wesen trieb, Gewitter braute, Seuchen ausgehen ließ, Vieh und Kindlein würgte, bis sie zuletzt von einem geistlichen Gerichte gefoltert und, nachdem sie willig bekannt, um ihre reuige Seele aus dem ewigen Brande zu retten, zum zeitlichen Feuer begnadigt wurde.

Da geschah es, daß der verzärtelte Kanzler die Unholdin in ihrem ekeln Kerker aufsuchte und sich ihre verlassene Jugend und ihren spätern Umgang mit dem Teufel erzählen ließ. Könnet Ihr es mir nun glauben, daß Herr Thomas der schwarzen Mary, die unter heißen Tränen nach der reinigenden Flamme schrie, den Satan auszureden suchte und ihr vorhielt, sie betrüge andere und sich selbst? Und je handgreiflicher sie ihm alles schilderte, um so ungläubiger wurde der Heide. Herr Thomas riß den Prozeß vor den König; dieser aber wollte nichts von Gnade hören, sondern sagte majestätisch: ›Kanzler, ich bin das christliche Gewissen von Engelland, ich kann nicht!‹ Da sprach der Kanzler gelassen: ›Was vermag ich gegen die hohe Weisheit des Jahrhunderts, welche, o Herr, die deinige ist!‹ und unterschrieb das Todesurteil.

Später, als er den Saal verließ, wendete er sich zu mir, der neben der Schwelle stand, und sagte: ›Die Mary ist eine Hexe wie ich ein Heiliger! Alter Hans, es gibt Augenblicke, da mir gleichermaßen graut vor dem, was die Menschen sind, und vor dem, was sie sich zu sein einbilden!‹

Diese Rede habe ich nie verstanden; aber ich muß vermuten, daß Herr Thomas in hochmütiger Philosophie nicht an die Künste Satans glaubte.

Als hernach die schwarze Mary hinausgeführt und gerichtet werden sollte, fanden sie ihren Kerker leer, und da Herr Heinrich mit drohendem Finger den Kanzler darüber zur Rede stellte, meinte dieser, das sei ein Blendwerk, so gut wie alles Frühere – und damit war die Sache abgetan.

Später lief die Rede, die schwarze Mary sei nicht mit solchem Gestank abgefahren, sondern führe auf einer entlegenen Meierei des Kanzlers ein stilles und eingezogenes Leben. Wenn sie aufrichtig in sich gegangen ist, sei es ihr wohl gegönnt! Ich will Euch nur gestehen, daß auch mich ein Mitleid mit der Sünderin überfallen hatte, als ich sie auf ihrem modrigen Strohhaufen sitzen und unter den verwirrten Strähnen ihrer Haare hervor mit schwarzen, irren Augen zu dem Kanzler aufblicken sah, als ich sie über ihre unbeschirmte Jugend klagen hörte und über die Unbill, die man ihr angetan, als sie noch unschuldig war. Wußte doch auch ich ein Lied davon zu singen!

Ihr sehet nun, Herr, denn ich habe es in meiner Ehrlichkeit an den Tag gelegt, daß der Kanzler, als er die Hexe besuchte, mich als einen verläßlichen Mann hatte mitreiten lassen.«

Der Chorherr blickte den Armbruster prüfend an. »Du bist es, Hans«, rief er, »der das arge Weib geflüchtet hat!«

»Meint Ihr wirklich, Herr?« versetzte Hans, und es war, als ob er unter seinem Barte den Mund verzöge. Dann lenkte er seitwärts:

»Eine schlimmere Hexe, die zu jener Zeit in Engelland lebte, konnte auch nicht verbrannt werden, und aus triftigen Gründen. Mein Herr und König war mit ihr verheiratet.

Warum Herr Heinrich mit Frau Ellenor in die Ehe getreten war, dem geschiedenen Weibe des Königs von Frankreich, das offenbart sich jedem, der die Weltkarte betrachtet und darauf die Länder zählt, die sie ihm zubrachte; das ist Gascogne, Saintonge und Poitou mit unzähligen Burgen und Städten. Sie soll in ihrer Jugend lieblich und bescheiden gewesen sein. Ich will ihr diese Märzblume nicht aus der Krone nehmen. Zur Zeit, da ich das Knie vor ihr bog, hatte sie einen schwarzen Helm von üppigen Haaren, unstete, beschäftigte Augen und stets gejagte Füße. Auch hielt sie Herr Heinrich beiseits, bald in einer Abtei, denn sie war zeitweise andächtig, bald in einer abgelegenen Burg mit wenig Gesinde, das zuweilen ein ehrgeiziger nachgeborener Sohn oder ein eitler Fahrender, der mit einer Vornehmen zu tun haben wollte, vergrößerte.

Der Kanzler begegnete ihr, wo er ihr nicht ausweichen konnte, mit tiefer Ehrerbietung, während ich glaube, daß sie ihm zuwider war; denn er liebte an Frauen das Zarte und Anständige. So vergnügte er sein Auge – wenngleich der große falsche Prophet den Seinigen diese bildlichen Ergötzungen untersagt hat – oft an den weißen und ruhigen Gliedmaßen der keuschen Marmorweiber, die er in seinen Palästen aufgestellt hatte. Ihr habet wohl noch keine gesehen. Sie werden aus dem Schutte zerstörter Griechentempel hervorgezogen, und der Herr von Byzanz hatte dem Kanzler für eine politische Gefälligkeit deren einige zugeschickt. Es sind tote Steine ohne Blick und Kraft der Augen, aber betrachtet man sie länger, so fangen sie an zu leben, und nicht selten bin auch ich vor diesen kalten Geschöpfen stehengeblieben, um zu ergründen, ob sie heitern oder traurigen Gemütes sind.

An Frau Ellenor dagegen, die nicht von Marmor war, hatte der Kanzler kein Wohlgefallen, und ihrerseits haßte sie ihn von Herzen. Möglich, daß er ihr einmal, wie der unschuldige Joseph der Ägypterin, seinen Purpurmantel in den Händen zurückließ; denn sie hatte, obschon sie eine Rechtgläubige war – in diesem Punkte hab ich ihr nie etwas nachreden hören –, eine Anmutung zu den Heiden; wie sie es denn auch vor Zeiten mit einem sarazenischen Flaumbarte gehalten hatte, da sie ihren gottesfürchtigen ersten Gemahl auf seiner Kreuzfahrt nach dem Gelobten Lande begleitete.

Es kann Euch das nicht unbekannt sein, denn es ist über den Erdkreis erschollen.

Oder sie haßte ihn auch nur, weil er sie auf allen ihren Wegen im Auge behielt, als eine Gefahr und drohende Verwirrung des Königreiches. Bedenket wohl, lieber Herr, daß ihre drei Länder den Herren Heinrich, Gottfried, Richard und Hans, des Königs vier Söhnen, als Muttererbe zugehörten. So bemühte sich die Weisheit des Kanzlers, Frau Ellenor in erträglicher Gangart und mäßiger Zügelung zu halten, nicht zu locker, damit sie nicht durch die Launen ihres heißen Blutes Schande über den König und Engelland bringe, nicht zu hart, damit sie sich nicht bäume in jähem Unmut und sich losreiße mit ihren Ländern und Söhnen.

Diese Söhne aber ließ Herr Thomas nicht von seiner Seite und war ihnen ein zärtlicher Vater und stündlicher Lehrer. Wenn die Natur der Zucht nicht öfter spottete als ihr gehorchte, die vier Kinder von Engelland hätten nicht ihresgleichen gefunden, eine so große Liebe und herrliche Weisheit hat der Kanzler an sie gewendet. Aber Junker Heinrich schätzte an ihm nur den Wurf seines Kleides und die edle Beredsamkeit seiner Gebärde; denn er war ein Geck und ein Schauspieler. Junker Gottfried dagegen vergaß über Nacht, was er gestern geliebt oder geschworen hatte, und konnte, von unsteter Art, keine Ergötzung und keinen Ernst zu Ende führen.

Den Dritten des Königs, Richard, das Löwenherz, hatte Herr Thomas besonders lieb, und auch mir war er ins Herz gewachsen. Das Spiel seiner Natur war ehrlich wie ein Stoß ins Hifthorn und überquoll wie der Schaum am Gebiß eines jungen Renners. Da blieb kein Widerstand, man mußte ihm gut sein – aber Klugheit war nicht in ihm, nicht eines Pfennigs wert; wie er denn auch zu dieser laufenden Stunde für eine Tat seines jähen Blutes unten in Österreich eingetürmt liegt.

Junker Hans, der Vierte – Gott behüte meine Zunge, gegen ihn zu reden, denn er steht jetzt zunächst dem Throne! –, aber einen nichtsnutzigern, bösern Buben trug die Erde nicht; und diese meine Hand hat mir oft gegen ihn gezuckt, wenn er an mir oder einem andern Gottesgeschöpf seine Tücke ausließ – wenn er mir eine kunstreiche Armbrust mutwillig schändete oder stumme Tiere marterte.

Wie er lachte! Ich habe Tag meines Lebens, auch in Schenken und auf Märkten, nicht gemeiner lachen hören.

Wißt, der Kanzler sah zuweilen nach, wann ich die viere schießen lehrte, und erzählte ihnen dann wohl während einer Rast, zu Lust und Warnung, Tierfabeln, die mich, als einen Weidmann, besonders ergötzten. Da redeten und handelten Geflügelte und Vierfüßige, je nach ihrer Natur, oder wenigstens nach der Art, die ihnen von den Menschen beigelegt wird. Auch dieses kluge Spiel haben die Araber erfunden, um ungestraft die Fehler ihrer Machthaber unter der Tiermaske zu tadeln und zu verspotten.

Kam nun eines dieser Fabelgeschöpfe zu Schande und Schaden im Munde des Kanzlers, plumpte Braun der Bär in die Grube, hing Isegrim in der Falle und dergleichen, so schlug der kleine Hans unversehens eine gellende teuflische Lache auf, daß ich, obwohl mit seinem Wesen vertraut, zusammenschrak und der Kanzler, der doch ein Freund der Klugheit war, das Kind mit traurigen Augen betrachtete. Aber er gab seinen Ekel dem innerlich Mißschaffenen nicht zu fühlen, sondern ließ sich mehr zu ihm herunter und bedachte ihn mehr als die andern. Ich habe ihn auch wohl seufzen hören, was sonst nicht seine Art war, wann ich ihm eine frische Missetat Herrn Hansens zu berichten hatte.

In Wahrheit, der Reichskanzler liebte die Königskinder wie seine eigenen, und übel ward ihm vergolten.

Jetzt komme ich zu reden auf ein Geheimnis der Ungerechtigkeit, das zwar in keiner Chronik wird verzeichnet stehen, aber doch die Grabschaufel ist, die Herrn Thomas und Herrn Heinrich, einem nach dem andern, seine Grube gemacht hat.«

 

Hans der Armbruster faltete mechanisch die starken alten Hände, als hätten auch sie mit dieser Schaufel gegraben.


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