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Die Hirtenflöte

Deutsch von Alexander Eliasberg

 

Von der Schwüle des Tannendickichts ermattet, über und über mit Spinngewebe und Tannennadeln bedeckt, arbeitete sich der Aufseher vom Dementjewschen Gute, Meliton Schischkin, mit dem Gewehr auf der Schulter aus dem Walde heraus. Seine Damka, eine Mischung von Hofhund und Setter, eine trächtige und ungewöhnlich magere Hündin folgte müde, den nassen Schwanz eingezogen, ihrem Herrn, sich die größte Mühe gebend, um sich die Nase nicht an den Nadeln zu zerstechen. Der Morgen war trüb und unangenehm. Von den in einen leichten Nebel gehüllten Bäumen und den Farnkräutern fielen große Tropfen herab, und die feuchte Waldluft roch scharf nach Fäulnis.

Vorn, wo das Dickicht aufhörte, erhoben sich Birken, und durch ihre Stämme und Zweige hindurch war die nebelige Ferne zu sehen. Hinter den Birken blies jemand eine selbstverfertigte Hirtenflöte. Es waren nicht mehr als fünf oder sechs gedehnte Töne, und der Spielende versuchte gar nicht, sie zu einer Melodie zu verbinden, aber in der Musik war dennoch etwas ungemein Düsteres und Beklemmendes.

Als der Wald weniger dicht wurde und die Tannen sich mit jungen Birken vermischten, erblickte Meliton eine Herde. Gekoppelte Pferde, Kühe und Schafe irrten zwischen den Sträuchern umher, brachen die Zweige und beschnupperten das Waldgras. Am Waldrande stand, an eine nasse Birke gelehnt, ein hagerer, alter Hirt in zerrissenem Rock und ohne Mütze. Er blickte zu Boden, dachte über etwas nach und blies wohl ganz mechanisch die Flöte.

»Grüß Gott, Alter!« begrüßte ihn Meliton mit hoher, heiserer Stimme, die so gar nicht zu seinem großen Wuchs und seinem breiten, fleischigen Gesicht paßte. »Gut bläst du deine Pfeife! Wessen Herde ist das?«

»Artamonows,« antwortete der Hirte unfreundlich und steckte sich die Flöte in die Brust.

»Also ist es der Artamonowsche Wald?« fragte Meliton, sich umschauend. »Ja, der Artamonowsche, weiß Gott ... Habe mich wirklich verirrt. Das ganze Gesicht habe ich mir im Dickicht zerkratzt.«

Er setzte sich auf die nasse Erde und begann sich aus Zeitungspapier eine Zigarette zu drehen.

Nicht nur das feine Stimmchen, auch alles andere an diesem Menschen war kleinlich und zierlich und stand in einem Mißverhältnis zu seinem Wuchs und zu seinem breiten, fleischigen Gesicht: das Lächeln, die Aeuglein, die kleinen Knöpfe und die winzige Mütze, die sich kaum auf seinem dicken, kurzgeschorenen Schädel hielt. Wenn er sprach oder lächelte, nahm sein aufgedunsenes, glattrasiertes Gesicht und seine ganze Figur einen weiblichen, scheuen, demütigen Ausdruck an.

»Ist das ein Wetter, Herr Gott!« sagte er kopfschüttelnd. »Die Leute haben ihren Hafer noch nicht eingebracht, und der Regen will gar nicht aufhören, wie wenn man ihn gedungen hätte.«

Der Hirt blickte auf den Himmel, von dem ein feiner Sprühregen niederging, auf den Wald, auf die nasse Kleidung des Aufsehers und sagte nichts.

»Der ganze Sommer war so ...« fuhr Meliton fort. »Die Bauern haben es schlecht, und auch die Herren haben gar kein Vergnügen.«

Der Hirt blickte noch einmal auf den Himmel, dachte eine Weile nach und sagte langsam, jedes einzelne Wort vorkauend:

»Alles läuft auf das eine hinaus ... Es ist nichts Gutes zu erwarten.«

»Wie stehts bei euch?« fragte Meliton, sich die Zigarette anzündend. »Hast du im Artamonowschen Walde keine Auerhähne brüten sehen?«

Der Hirt antwortete nicht so schnell. Er blickte wieder auf den Himmel und nach allen Seiten, überlegte eine Weile und zwinkerte mit den Augen ... Seinen Worten maß er offenbar eine große Bedeutung bei und sprach sie, um ihren Wert zu unterstreichen, langsam und feierlich. Sein Gesicht hatte greisenhaft scharfe Züge und einen gesetzten Ausdruck; seine Nase zeigte in der Mitte eine sattelförmige Vertiefung, und die Nasenlöcher guckten nach oben, was ihm einen schlauen und spöttischen Ausdruck verlieh.

»Nein, ich glaub', ich habe keine gesehen,« antwortete er. »Unser Jäger Jerjomka sagte zwar, er hätte am Tage des Propheten Elias eine Brut aufgescheucht, aber er lügt wohl. Es gibt sehr wenig Geflügel.«

»Ja, mein Lieber, sehr wenig ... Ueberall ist es so! Die ganze Jagd ist, wenn man es so bedenkt, nicht der Rede wert. Es gibt kaum Wild, und das, was man findet, ist so, daß es sich gar nicht lohnt, zu schießen – ist noch nicht ausgewachsen! So kleines Zeug, daß man sich schämt, es auch nur anzuschauen.«

Meliton lächelte spöttisch und winkte mit der Hand.

»Es gehen solche Dinge in der Welt vor, daß man einfach lachen muß! Das Geflügel hat jeden Verstand verloren und beginnt unsinnig spät zu brüten; es gibt solches, das auch noch am Petritag auf den Eiern sitzt. Bei Gott!«

»Alles läuft auf das eine hinaus,« sagte der Hirt, sein Gesicht hebend. »Im vergangenen Jahre gab es wenig Wild, heuer gibt es noch weniger, in fünf Jahren aber wird es wohl gar keins mehr geben. Ich meine, daß es bald nicht nur kein Wild, sondern überhaupt keine Vögel mehr geben wird.«

»Ja,« bestätigte Meliton nach kurzem Nachdenken. »Das stimmt.«

Der Hirt lächelte bitter und schüttelte den Kopf.

»Ein wahres Wunder!« sagte er. »Wo ist das alles hingekommen? Vor zwanzig Jahren gab es hier, wie ich mich gut erinnere, Wildgänse, Kraniche, Wildenten, Auerhähne – sie schwärmten nur so! Wenn die Herren einst zur Jagd zusammenkamen, so hörte man nichts als piff-paff! piff-paff! Alle die Sumpfschnepfen, Waldschnepfen und Kronschnepfen waren gar nicht auszurotten, und die kleinen Enten und Wasserhühner waren so gewöhnlich wie Stare oder Spatzen – unzählige Mengen! Wo ist das alles hingekommen? Selbst das Raubzeug ist verschwunden. Man sieht weder Adler, noch Falken, noch Uhus ... Es gibt auch viel weniger Getier. Ein Wolf oder ein Fuchs, ist heute eine Seltenheit, von Bären oder Ottern rede ich schon gar nicht. Einst gab es hier aber auch Elentiere! Seit vierzig Jahren beobachte ich jahraus jahrein die Werke Gottes und sehe, daß alles auf das eine hinausläuft.«

»Auf was denn?«

»Auf das Ende ... Es ist wohl Zeit, daß die Welt Gottes untergeht.«

Der Alte setzte die Mütze auf und begann auf den Himmel zu schauen.

»Schade!« versetzte er nach einer Pause. »Mein Gott, wie schade! Es ist natürlich Gottes Wille, nicht wir haben die Welt erschaffen, und doch ist es schade, mein Lieber. Wenn ein einzelner Baum umfällt oder eine Kuh eingeht, so ist es traurig, wie ist es aber einem zumute, wenn er sieht, daß die ganze Welt zugrundegeht? So viel Gutes geht verloren, Herr Jesu! Die Sonne, der Himmel, die Wälder, die Flüsse, die Geschöpfe – alles ist ja erschaffen, eingerichtet und einander angepaßt. Jedes Ding hat seine Bedeutung und seinen Platz. Und alles muß zugrundegehen!«

Ein trauriges Lächeln glitt über das Gesicht des Alten, und seine Lider zuckten.

»Du sagst, die Welt geht zugrunde ...« versetzte Meliton nachdenklich. »Vielleicht ist wirklich das Weltende nahe, aber das kann man doch nicht nach den Vögeln beurteilen. Ich glaube kaum, daß die Vögel diese Bedeutung haben.«

»Nicht die Vögel allein,« sagte der Hirt. »Auch die Tiere, das Vieh, die Bienen, die Fische ... Wenn du mir nicht glaubst, so frage nur die älteren Männer. Ein jeder wird dir sagen, daß es auch mit den Fischen zu Ende geht. In den Meeren, in den Seen und in den Flüssen gibt es von Jahr zu Jahr weniger Fische. In unserer Pestschanka fing man einst, ich kann mich gut erinnern, ellenlange Hechte, es gab auch Aale, Rotaugen und Brachsen, und jeder Fisch sah nach was aus; wenn man aber heute einen kleinen Hecht oder einen Barsch fängt, so muß man Gott danken. Es gibt sogar keine richtige Kaulbarsche mehr. Von Jahr zu Jahr wird es schlimmer, und bald wird es gar keine Fische mehr geben. Und auch die Flüsse ... Die Flüsse trocknen doch aus!«

»Das stimmt, daß sie austrocknen.«

»Nun siehst du es selbst. Von Jahr zu Jahr werden sie seichter, es gibt keine Untiefen mehr, wie einst. Siehst du diese Büsche da?« sagte der Alte, auf die Seite weisend. »Dort liegt das alte Flußbett: als mein Vater lebte, floß die Pestschanka noch in diesem Bett; nun schau, wohin sie der Teufel jetzt gebracht hat! Immerwährend wechselt sie den Lauf, und das wird so lange gehen, bis sie ganz austrocknet. Hinter Kurgassowo gab es einst Sümpfe und Teiche, und wo sind sie jetzt? Und wo sind die Bäche? Hier durch diesen Wald lief einst ein Bach, in dem die Bauern mit Netzen Hechte fingen, in dem die Wildenten überwinterten, heute ist aber selbst im Frühjahr kein richtiges Wasser darin. Ja, Bruder, was du auch anschaust, alles ist schlecht. Alles!«

Beide verstummten. Meliton starrte nachdenklich auf einen Punkt. Er wollte sich wenigstens eines Dinges in der Natur erinnern, den das allumfassende Verderben noch nicht berührt hätte. Ueber den Nebel und die schrägen Regenstreifen glitten wie über mattierte Glasscheiben einige helle Flecke und erloschen gleich wieder: die aufgehende Sonne versuchte durch die Wolken zu dringen und einen Blick auf die Erde zu werfen.

»Auch die Wälder ...« murmelte Meliton.

»Ja, auch die Wälder ...« wiederholte der Hirt. »Man holzt sie aus, sie brennen und verdorren, und neue Wälder wachsen nicht. Kaum ist etwas gewachsen, haut man es schon gleich um; heute schießt ein Baum empor, und morgen ist er schon gefällt; so geht es, bis nichts mehr übrig bleibt. Siehst du, mein Bester, seitdem wir die Freiheit haben, hüte ich die Gemeindeherde; unter der Leibeigenschaft bin ich auch Hirt bei der Herrschaft gewesen und habe das Vieh immer an dieser Stelle geweidet. Solange ich lebe, hat es wohl keinen Tag gegeben, an dem ich nicht hier gewesen wäre. Und ich beobachte immer die Werke Gottes. Ich habe in meinem Leben genug gesehen und weiß, daß es auch mit jeder Pflanze abwärts geht. Ob man das Korn nimmt, oder das Gemüse, oder irgendeine Blume, – es ist alles eins, alles läuft auf das eine hinaus.«

»Dafür sind die Menschen besser geworden,« bemerkte der Verwalter.

»Worin sind sie denn besser?«

»Sie sind klüger.«

»Klüger sind sie wohl geworden, das stimmt, aber was hat man davon? Was brauchen die Menschen vor dem Untergange den Verstand? Untergehen kann man auch ohne Verstand. Was taugt dem Jäger Verstand, wenn es kein Wild gibt? Ich meine, daß Gott dem Menschen Verstand gegeben und ihm dafür seine Kraft genommen hat. Schwach sind die Leute geworden, furchtbar schwach. Schau zum Beispiel mich an ... Bin keinen roten Heller wert, bin der letzte Bauer im Dorf, und doch habe ich eine Kraft, mein Lieber. Schau nur, ich bin schon in den Siebzigern, hüte aber den ganzen Tag das Vieh und gehe für zwanzig Kopeken auch noch auf die Nachtweide und schlafe nicht, friere aber auch nicht; mein Sohn ist wohl klüger als ich, wenn du ihn aber an meine Stelle setzest, so wird er morgen eine Zulage verlangen oder ins Spital gehen. Ja, so ist es. Ich esse nichts außer Brot, denn es steht geschrieben: ›Unser täglich Brot gib uns heute.‹ Auch mein Vater hat nichts außer Brot gegessen, auch mein Großvater, aber der heutige Bauer verlangt Tee, und Schnaps, und Semmeln und muß vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang schlafen, und will von Aerzten behandelt werden und noch allerlei Extrawürste. Er möchte auch nicht einschlafen, aber die Augen fallen ihm zu, er kann nichts dafür.«

»Das stimmt,« bestätigte Meliton. »Der Bauer ist heute gar nichts wert.«

»Was soll man es verschweigen: von Jahr zu Jahr werden wir schlechter. Und was die Herrschaften betrifft, so sind sie noch mehr als die Bauern heruntergekommen. Der heutige Herr hat alles erreicht und weiß alles, und auch solche Dinge, die man gar nicht wissen soll; aber was nützt das? Es ist ein Jammer, ihn anzuschauen! Mager ist er, unansehnlich wie irgendein Ungar oder Franzose, hat keine Würde und kein Aussehen, nur den Namen nach ist er noch Herr. Der Aermste hat weder eine Stellung noch eine Beschäftigung, und er ist nicht zu verstehen, was er eigentlich will. Entweder sitzt er mit einer Angel am Wasser, oder er liegt auf dem Rücken und liest ein Buch, oder treibt sich zwischen den Bauern herum und redet allerlei Unsinn. Und wenn einer nichts zu essen hat, so wird er Schreiber. So ist sein ganzes Leben unsinnig, und er denkt gar nicht daran, etwas Vernünftiges zu beginnen. Einst waren die Herren halbe Generäle, die heutigen sind aber gar nichts!«

»Sie sind sehr verarmt,« sagte Meliton.

»Sie sind verarmt, weil Gott ihnen die Kraft genommen hat, gegen Gott kann man nichts ausrichten.«

Meliton begann wieder auf einen Punkt zu starren. Nach kurzer Ueberlegung seufzte er auf, wie gesetzte vernünftige Menschen zu seufzen pflegen, schüttelte den Kopf und sagte:

»Und warum das alles? Wir sündigen viel, wir haben Gott vergessen ... auch ist so eine Zeit angebrochen, daß alles zu Ende geht. Und es ist auch wirklich so: die Welt kann nicht ewig bestehen, sie muß auch mal ein Ende nehmen.«

Der Hirt seufzte und ging, als wollte er das unangenehme Gespräch abbrechen, von der Birke weg und begann mit den Blicken die Kühe zu zählen.

»He, he!« schrie er sie an. »He, he! Daß euch der Teufel! Was seid ihr ins Gestrüpp geraten!«

Er machte ein böses Gesicht und ging in die Büsche, seine Herde sammeln. Meliton erhob sich und schritt langsam den Waldrand entlang. Er blickte zu Boden und dachte; er wollte sich noch immer wenigstens einer Sache erinnern, die das allgemeine Verderben noch nicht berührt hätte. Ueber die schrägen Regenstreifen glitten wieder helle Flecken; sie liefen zu den Baumwipfeln hinauf und erloschen im nassen Laub. Damka fand unter einem Strauche einen Igel und begann zu heulen und zu bellen, um ihren Herrn auf den Fund aufmerksam zu machen.

»War auch bei euch die Sonnenfinsternis oder nicht?« rief ihm der Hirt aus dem Gebüsch zu.

»Ja!« antwortete Meliton.

»So! Ueberall beklagen sich die Leute über die Sonnenfinsternis. Also geht es auch im Himmel nicht mit rechten Dingen zu, Bruder! Nicht umsonst war wohl die Finsternis ... He! He, he!«

Der Hirt trieb die Herde aus dem Walde heraus, lehnte sich wieder an die Birke, sah auf den Himmel, holte langsam seine Flöte aus der Brust und begann zu blasen. Er blies wie früher ganz mechanisch, und sein ganzes Spiel bestand aus nur fünf oder sechs Tönen; es klang, wie wenn er die Flöte zum erstenmal in der Hand hätte; die Töne kamen unsicher, unordentlich heraus, ohne sich zu einer Melodie zu fügen. Aber Meliton, der an den Weltuntergang dachte, hörte in der Musik etwas Beklemmendes und Unangenehmes, was er lieber gar nicht hören mochte. Die höchsten piepsenden Töne zitterten und schienen verzweifelt zu weinen, als ob die Flöte selbst krank und erschrocken wäre, und die tiefsten erinnerten aus irgendeinem Grunde an den Nebel, an die traurigen Bäume und den grauen Himmel. Solche Musik paßte gut zum Wetter, zum Alten und zu seinen Worten.

Meliton hatte das Bedürfnis zu klagen. Er ging auf den Alten zu und sagte, ihm in das traurige, spöttische Gesicht und auf die Flöte blickend:

»Auch das Leben ist jetzt viel schlechter, Großvater. Das Leben ist gar nicht zu ertragen. Mißernten, Armut ... Seuchen, Krankheiten ... Die Not läßt einen gar nicht aufatmen.«

Das aufgedunsene Gesicht Melitons wurde rot und nahm einen bedrückten, weibischen Ausdruck an. Er bewegte die Finger, als suche er nach den richtigen Worten, um seine unbestimmten Gefühle wiederzugeben, und fuhr fort:

»Eine Frau und acht Kinder ... meine Mutter ist auch noch am Leben, und dabei nur acht Rubel Monatsgehalt bei eigener Verpflegung. Vor lauter Armut ist meine Frau ganz wild geworden, und ich höre gar nicht zu trinken auf. Ich bin ja ein vernünftiger, solider Mensch und habe Bildung. Ich hätte ruhig zu Hause sitzen sollen, aber ich renne den ganzen Tag wie ein Hund mit dem Gewehr herum, denn ich halte es anders gar nicht aus: so verhaßt ist mir mein Haus!«

Da er sieht, daß seine Zunge etwas ganz anderes stammelt, als er sagen möchte, winkt er abwehrend mit der Hand und spricht erbittert:

»Wenn die Welt schon untergehen soll, dann gleich! Wozu noch die Sache in die Länge ziehen und die Leute unnütz quälen ...«

Der Alte nahm die Flöte von den Lippen, kniff ein Auge zusammen und blickte in die enge Mündung. Sein Gesicht war traurig und mit großen Tropfen wie mit Tränen bedeckt. Er lächelte und sagte:

»Schade ist es, Bruder! Mein Gott, wie schade! Die Erde, der Wald, der Himmel ... jede Kreatur ... alles ist ja erschaffen, aneinander angepaßt, und in allem steckt Verstand. Und alles soll so mir nichts, dir nichts untergehen. Am meisten ist es aber um die Menschen schade.«

Ein neuer Regenguß rauschte durch den Wald und kam immer näher. Meliton blickte in die Richtung, aus der das Rauschen kam, knöpfte seinen Rock zu und sagte:

»Ich geh mal ins Dorf. Leb wohl, Großvater. Wie heißt du?«

»Luka der Arme!«

»Leb wohl, Luka! Danke für die guten Worte. Damka, komm!«

Nachdem er sich von dem Alten verabschiedet, schlenderte Meliton den Waldrand entlang und dann über die Wiese, die allmählich in einen Sumpf überging. Unter seinen Füßen gluckste das Wasser; das immer noch grüne und saftige Schilf neigte sich zur Erde, als fürchte es, niedergetreten zu werden. Hinter dem Sumpfe standen am Ufer der Pestschanka, von der der Alte gesprochen hatte, Bachweiden, und hinter den Weiden blaute durch den Nebel eine zum Herrenhofe gehörende Scheune. An allem ließ sich schon die Nähe der unglücklichen, unabwendbaren Zeit ahnen, wo das Feld dunkel wird, die Erde kalt und schmutzig, wo die Trauerweide noch trauriger scheint und Tränen an ihrem Stamm herablaufen, und nur die Kraniche allein das allgemeine Unglück fliehen, aber, um die traurige Natur nicht durch ihr Glück zu verletzen, die Lust mit traurigen, beklemmenden Rufen erfüllen.

Meliton ging zum Fluß und hörte hinter sich die Töne der Hirtenflöte ersterben. Er hatte noch immer das Bedürfnis zu klagen. Traurig blickte er nach allen Seiten, und sein Herz krampfte sich vor Mitleid mit dem Himmel, der Erde, der Sonne, dem Wald und seiner Damka zusammen. Und als der höchste Flötenton wie die Stimme eines weinenden Menschen erzitterte, fühlte er sich durch die Unordnung, die sich in der Natur überall bemerkbar machte, erbittert und gekränkt.

Der hohe Ton erzitterte und erstarb, und die Flöte verstummte.


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